Kitabı oku: «DIE ANKUNFT»
Michael Wächter
DIE ANKUNFT
Die Sariah-Mission - ein historisch-phantastischer Roman
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Impressum neobooks
Kapitel 1
DIE ANKUNFT
Die Sariah-Mission zum Blauen Planeten
Michael Wächter
Impressum
Texte: © Copyright by Michael Wächter
Umschlag: © Copyright by Michael Wächter
Verlag: Michael Wächter
Borsigweg 21a
48153 Münster
waechter.michael@t-online.de
Druck: epubli, ein Service der
neopubli GmbH, Berlin
Printed in Germany
Die Invasion begann lautlos. Zu Abertausenden drangen die fremden Raumsonden und Roboterschiffe mit ihren high-tec-Einheiten in den interplanetaren Raum des Sonnensystems ein. Eine hochentwickelte Zivilisation hatte sie in einem fernen Exoplanetensystem mit künstlicher Intelligenz ausgestattet und losgeschickt. Sie waren Vorboten. Ihre Programmierung gab ihnen vor, das Planetensystem zu erkunden und Versorgungsdepots, Kraftwerke und Raumstationen mit Wohnzylindern für die Raumsiedler aufzubauen. Sie hatten alle Bahndaten gesammelt, von Planeten und Kometen, Planetoiden und Planetesimalen und von Monden, die um diese Himmelskörper kreisten. Nun sandten sie Datensätze zurück an ihre Heimatwelt. Es sollte zwar noch fast zwölf Erdenjahre dauern, bis dass der Datensatz dort empfangen und ausgewertet werden konnte, um über den weiteren Weg der Sonden und Roboterschiffe im Sonnensystem zu entscheiden.
Aber die Raumsiedler hatten schon beschlossen, ihnen zu folgen. Schließlich hatten ihre Vorboten eine neue, bewohnte Welt entdeckt: Sariah, den blauen Planeten. Später erfuhren sie, dass sich seine Bewohner „Menschen“ nannten. Doch die Raumsiedler ahnten noch nichts von ihrer Existenz. Noch war für sie alles offen: Konnten sie Sariah in Besitz nehmen? Gab es dort schon eine Zivilisation? Mussten sie sie in diesem Fall vernichten, um den Planeten besiedeln zu können? Oder gab es eine Möglichkeit des Zusammenlebens und –wachsens?
Die Raumsiedler von Puntirjan hatten Zeit. Viel Zeit. Sie würden diese Frage erst entscheiden, nachdem sie das Sonnensystem erreicht hatten. Danach würden sie die Zivilisation der Sariahner erst einmal gründlich erforschen, gegebenenfalls sogar kontaktieren. Dann aber, und erst dann, sollte sich ihr Schicksal erfüllen.
Kapitel 2
Jenis blickte in den Spiegel. Seine Kopf-Federn waren grau geworden, sein Schnabel spröde. Das Nasenbein über dem Schnabel bekam Falten, und seine Bewegungen wurden langsamer. Er fand, dass seine Flügel zu schlaff herabhingen, wenn sie seine Arme bedeckten, und sein linkes Bein schien sich an der Prothese zu reiben, die sein rechtes Bein ersetzte.
Er sah alt aus. Jahrzehnte waren vergangen, seit sie ihr Heimatsystem verlassen hatten. Es war Annu 28 d’IPO, das achtundzwanzigste puntirjanische Jahr des Fluges ihrer Flotte durch den endlosen, toten Raum. Das größte Projekt in der Geschichte ihrer Zivilisation. Oft hatte ein Scheitern gedroht, doch sie waren noch immer unterwegs. Drei der anfänglich sieben Raumstationen waren noch bewohnbar.
Jenis erblickte hinter dem Spiegel ein altes Kärtchen. Er zog es hervor und betrachtete es neugierig.
„Das steckt aber schon lange hier“, dachte er. Beiläufig las er den Text. Es war eine Funkbotschaft, die er sich damals ausgedruckt hatte.
Sehr geehrter Kommandantenkollege! Ich beglückwünsche Sie ausdrücklich und im Namen der Altakolia VII zur Beseitigung des feigen Attentäters Ssefaru Xing, stand da, Unterschrift: General Fazzuwär.
Erinnerungen kamen auf. Die Glückwunsch-Funkbotschaft – ob sie ehrlich gemeint war? Auch die Crew der Altakolia I unter Kapitän Jenis hatte den Tod Ssefaru Xings mit Beruhigung zur Kenntnis genommen. Sie hatte einige Überlebende seines Terror-Anschlags auf die Altakolia IV geborgen und in die Crews der Altakolia I, VI und VII integriert. Die Flüchtlinge hatten Xings Anschlag zufällig überlebt, weil sie dabei in größerer Entfernung auf Außeneinsätzen waren. Und sie waren in Raumanzügen, bevor der Terroranschlag alle elektrischen Anlagen mit einem nuklearen elektromagnetischen Impuls (EMP) zerstört hatte. Die Überlebenden hatten den Bergungsteams monatelang geholfen, alles noch brauchbare Gerät aus den zerstörten Raumstationen zu bergen, auch viele Habseligkeiten der Crew und Rohstoffe – Treibstoffreste, Sauerstoff- und Trinkwasser-Reste. Dann hatte die Kälte des Raumes die dunklen Stationsreste ergriffen. Kondenswasserreste erstarrten zu steinhartem Eis. Es glitzerte im Licht mitgebrachter Akku-Leuchten, und selbst Reste von Atemluft kondensierten in den Wohnzylindern sofort zu tiefkaltem Nebeln, die sich verflüssigen wollten.
Auch auf der Altakolia I hatte der Anschlag viele Solarzellen und Sonnensegel zerstört. Die Verbindungstunnel, Reaktoren und Wohnzylinder mit ihren Ökosystemen hatten den EMP zwar überstanden, aber die Raumsiedler hatten viele Annus lang kämpfen und Schäden reparieren müssen, die die Explosionstrümmer verursacht hatten. Hunderte von Quadratkilometern an Solarfolie und –paneelen waren zu kontrollieren gewesen, etliche Quadratkilometer zu reparieren. Die Mechatroniker-Teams hatten auf Hochtouren gearbeitet, um jede erdenkliche Ersatzkraft verstärkt. Sie hatten die Energie-Zusatzversorgung über die Solarzellen nicht mehr vollständig wiederherstellen können. Sie hatten vorher zwar noch ganz schwache Reste von Versorgungsstrahlen aus der Heimat empfangen können, doch es war ohnehin klar, dass diese Energiequelle bald versiegen würde. Schließlich hatten sie auf ihrer interstellaren Reise inzwischen über die Hälfte der Strecke zum Altakol-System zurückgelegt. Auf der anderen Seite hatten sie nun aber auch zusätzliche Rohstoffe in Reserve – geborgen von den unbewohnbar gewordenen Schwesterschiffen. Und die Rümpfe der toten Raumstationen, die neben ihnen herflogen. Einige Mechatronik-Roboter hatten sie inzwischen umgebaut. Es hatte sogar Versuche gegeben, einen der Wohnzylinder wieder mit einem Lebenserhaltungssystem auszustatten, doch es fehlte an Elektronik-Bauteilen. Zu viele davon hatte der Terroranschlag vernichtet.
Trotzdem: Jenis konnte sich im Spiegel anschauen, dankbar und stolz. Sie hatten überlebt. Gleich zu Expeditionsbeginn hatten sie die Altakolia II verloren. Ihre Ökosysteme waren kollabiert. Auch ihr Rumpf befand sich noch im Geschwader. Die durch den Anschlag unbrauchbar gewordenen, ausgeräumten Reste der Raumstationen III bis V waren noch im Gefolge. Und sie hatten noch immer drei bewohnbare Altakolia-Stationen zur Verfügung: Die I, die VI und die VII. Sie würden überleben und ihr Ziel erreichen.
Jenis wischte die Erinnerungen fort. Heute war ein guter Tag. Eine Feier stand an. Er hatte eine Feiertags-Einladung auf die Altakolia VI. Das erste Tringo-Erntedankfest. Nach irre langem Wachstum und hingebungsvoller Pflege hatte der Tringo-Baum im Wohnzylinder der Altakolia VI erste Früchte hervorgebracht. Von nun an würde es Annu für Annu eine immer reichere Ernte an Früchten geben, und das war wahrlich ein Grund zum Feiern!
Das Armband-smartphone auf der Spiegelkonsole ertönte. Jenis fluchte. Ein Eilsignal. Gerade jetzt, wo er seine Feder- und Schnabelpflege vornehmen wollte, erreichte ihn so eine lästige Eilnachricht. Er öffnete sie und las.
Bitte, mich auf der Altakolia VI zu entschuldigen. Arbeite an neuen Strategien zur Wahrung der Sicherheit der Raumflotte. General Fazzuwär.
Der General. Er kommandierte die militärische Raumstation der Altakolia-Flotte. Er war Sarkarier, und Jenis mochte ihn nicht. Damals auf Puntirjan hatte Fazzuwär im Krieg als junger Leibgardist auf Seiten der Sarkarier gekämpft. Nach dem Sturz seines Kaisers hatte er den Siegern plötzlich erklärt, er habe eigentlich schon immer eine demokratische Gesinnung vertreten. Er sei nur Mitläufer gewesen. Das Gericht sprach ihn frei. Er wurde Kommandant einer Militärstation. Schließlich wurde er von der I.P.O., der interplanetarischen Organisation der Puntirjaner, im Rahmen des Friedensabkommens als Expeditionsteilnehmer anerkannt – dem IPO-Megaprojekt der ersten interstellaren Reise von Raumsiedler-Kolonien. Jenis musste das akzeptieren. Aber er traute ihm nicht.
„Auch gut“, murmelte Jenis, „soll er doch.“ Doch als er wieder in den Spiegel sah und seinen Schnabel öffnete, um ihn zu reinigen, hielt er vor Schreck den Atem an. Schnabelfäule! Er starrte auf den pelzigen, weißgelben Belag, der sein Schnabelinneres befallen hatte. Daher das Kribbeln. Er war dabei, eine deftige Schnabel- und Halsinfektion auszubrüten. Für die langlebigen Vogelmenschen von Puntirjan war das ein ernstes Warnsignal. Über IPO-Interfunk rief er Dr. Keush an und ließ sich einen Arzttermin geben. Jetzt konnte er also nur noch eine weitere Absage hinterherschicken und den Schiffsarzt aufsuchen. Sein Raumflug hinüber zur Altakolia VI war beendet, noch bevor er begonnen hatte. Er war sauer. Er hatte nicht einmal mehr Lust, seinen Stellvertreter zur Altakolia VI zu entsenden. Verdammte Schnabelinfektion! Missmutig begab er sich in die Krankenstation.
An Bord der Altakolia VI lief Festmusik im Hintergrund, als die Crew und ihre Gäste zusammenkamen. Eine volle Festbeleuchtung verzauberte den gesamten Wohnzylinder. Die Schiffskommandanten und weitere, höhere Repräsentanten der Altakolia VI und VII waren voller Freude zusammengekommen, um das erste Tringo-Erntedankfest zu feiern. Kapitän Jenis von der Altakolia I war erkrankt, hörte man, und die Station befand sich momentan in zu großem Abstand von den Schwesterschiffen, um kurzfristig eine Ersatz-Delegation zu entsenden. Auch General Fazzuwär vom Militärschiff Altakolia VII ließ sich entschuldigen – er arbeite an neuen, dringenden Strategien zur Wahrung der Sicherheit der Raumflotte. Die Feierstimmung jedoch trübte das nicht.
Die gesamte Crew der Altakolia VI war auf dem Agrarfeld des Wohnzylinders angetreten. Kapitän Barloff flog zum Rednerpult. Die Festmusik verstummte und es wurde leise.
„Werte Offiziere, geehrte Mannschaftsmitglieder, sehr geehrte Gäste von der Altakolia VII: Der Kommandant der Altakolia VI!“, kündigte ihn sein Schiffsstabschef an.
„Sehr verehrte Anwesende!“, eröffnete Kapitän Barloff die Festrede. „Wir haben uns hier versammelt, um einen großen Erfolg zu feiern und die Züchterin zu ehren! Wir begrüßen die Züchterin der ersten an Bord geernteten Tringo-Frucht unserer Altakolia-Mission, Leutnant Leydi Lilli!“
Die Anwesenden jubelten, erhoben sich und klatschten. Viele zwitscherten und flatterten freudig auf. Ihre Begeisterung war echt. Dann wurde es wieder ruhiger. Leutnant Leydi Lilli flog auf das Podium neben den Kapitän, eine Tringo-Frucht auf einem silberglänzenden Tablett präsentierend. Die Tringo war in den alten puntirjanischen Ökosystemen ebenso wie in den Ökosystemen der Cosmocity-Wohnzylinder von zentraler Bedeutung: Genau wie die großen Ravrokyl-Pflanzen spendete sie nicht nur Sauerstoff, sie lieferte auch noch Bauholz (wenn sie alt genug war) und Nahrung. Tringo-Früchte gehörten neben Ravrokylkörnen und Flugechsenkeulen zu den wichtigsten, naturnahen Nahrungsmitteln der Crew. Als der Jubel und der Beifall endlich verstummten, lobte Kapitän Barloff den Erfolg seiner Schiffsbiologin. Ihr war schon kurz nach dem Expeditionsstart ein erster Saaterfolg geglückt: Aus den Tringo-Kernen wuchsen Sämlinge. Viele Annus lang hatte sie die Sämlinge auf der Altakolia VI gehegt und gepflegt, gedüngt und begossen, belichtet und belüftet. Dann endlich war der Puntirjanday gekommen, da sie erstmals die ersten Früchte von dem mannshohen, jungen Bäumchen ernten wollten.
„Dieses Erntedankfest wollen wir heute feiern!“, schloss der Kapitän, „wir eröffnen die Zeremonie!“
Die Früchte wurden in kleinste Portionen zerteilt, und jedes Crewmitglied bekam ein Tringo-Stück Marke Eigenanbau-Altakolia-VI.
„Ein Lob dem Schöpfer, eine Ehrung der Züchterin!“, sprach der Kapitän, hob das erste Stück Fruchtfleisch in die Höhe und führte es zum Schnabel. Die Anwesenden taten es ihm gleich. Gerade als sie die Stücke ehrfürchtig verkosten wollten, erschütterte ein lauter Knall den Wohnzylinder. Eine Art Lichtblitz folgte. Dutzende Anwesende begannen zu kreischen und zu flattern – andere waren zu Boden gefallen durch die Erschütterung. Nebel kondensierte. Atemluft aus dem Wohnzylinder entwich in den leeren Raum.
„Verdammt!“, schrie einer der Offiziere in das Chaos, „Ein Impakt!“
„Hilfe! Wir dekomprimieren!“, kreischte eine Kadettin.
„Atemmasken!“, schrie ein Anderer, „Masken anlegen! Raumanzüge!“
Von da an ging alles rasend schnell: Alarmsirenen ertönten, alle Crewmitglieder hasteten zu den Atemgeräte- und Raumanzug-Depots. Das Bereitschafts-Notfallteam jagte im Shuttle um den Zylinder, um das Leck zu suchen und schnellstmöglich abzudichten. Es waren zwei Lecks. Ein Meteorit hatte den Wohnzylinder durchschlagen – wohl ein Brocken aus der vor ihnen liegenden Kometenwolke. Er hatte die zentrale Versorgungsachse erwischt. Die Stromzufuhr zu den Xenonleuchten war unterbrochen, es wurde dunkel. Die Beregnungsanlage war getroffen, die Leitungen entleerten sich. Die aufgescheuchten Crewmitglieder, die Raumanzüge oder Atemmasken hatten greifen können, flatterten im Dunkel aufgeregt umher, und sie wurden nass. Der Unterdruck ließ das Wasser verdampfen und es wurde kalt. Der Sog wurde immer heftiger. Das Notfallteam hatte nur eines der Löcher rechtzeitig schließen können. Als das Reparaturshuttle am anderen Ende ankam, ein Zweites war nicht rechtzeitig startklar gewesen, schoss mittlerweile eine richtige Fontäne aus dem Inneren des rotierenden Zylinders. Die Luftfeuchtigkeit kondensierte beim Austreten blitzartig zu Schnee, dessen Flocken ins All abtrieben. Sie bildeten Spiralen um den leckgeschlagenen Wohnzylinder, der zur Erzeugung künstlicher Schwerkraft noch immer rotierte. Der Druck der Gasfontäne stieß das Abdeckmaterial, das die Notteams des Feuerwehrshuttles außen befestigen wollten, jedoch jedes Mal gleich wieder fort. Die Zentrifugalkraft tat ein Übriges hinzu. Also mussten sie ins Innere des Wohnzylinders dringen. Dieser aber war schon fast evakuiert. Als sie dort Titan- und Graphen-Platten anbringen wollten, kamen sie in ihren Raumanzügen kaum voran. Ein Bagger musste Ackerboden-Substrat um die Einschlagstellen wegräumen, damit sie an die Wandteile kamen, wo sich die Platten befestigen ließen. Der Sekundenkleber aus den Stahlspritzflaschen hielt aber nicht schnell genug. Die Platten drohten, sich seitlich zu verschieben. Als sie dann endlich hielten, war es zu spät. Der Wohnzylinder frei von Wasser und Atemluft. Die Crew hatte sich in Notkabinen gerettet – die Bepflanzung jedoch und die tierischen Mitbewohner konnten das nicht. Der Meteoritentreffer hatte das Ökosystem der Altakolia VI vernichtet. Wieder war ein Wohnzylinder unbewohnbar geworden. Wieder musste eine Station evakuiert werden. Und wieder galt es, Überlebende auf der Altakolia I unterzubringen.
Kapitän Jenis trug plötzlich die ganze Verantwortung. Kapitän General Fazzuwär ließ sich von der Altakolia VII aus entschuldigen. Ein weiterer, angeblicher Notfall. Eine sofortige Neuprogrammierung der vorausgesandten Raumsonden sei nötig. Jenis begann, ihn zu verfluchen. Sicherlich hätte er noch weit mehr getan als nur das, wenn er gewusst hätte, was der General in diesem Moment tat. Er hatte sich wieder seinen heimlichen Plänen zugewandt – der Inbesitznahme des Zielplaneten ihrer Mission für das Militär. Sariah war bewohnbar. Theoretisch könnte es dort schließlich sogar intelligentes Leben geben, eine Zivilisation. Für diesen Fall, dachte Fazzuwär, ist deren Vernichtung erforderlich. Auf Puntirjan hatte man darüber nachgedacht, ob spätere Raumsiedler gegenüber etwaigen Bewohnern des Altakolsystems friedlich auftreten sollten. Oder sollten sie den Zielplaneten „Sariah“ lieber gleich gewaltsam besetzen? Letzteres wurde damals von sarkarischen Militärs befürwortet. Sie schlugen vor, eine eventuelle technisierte Zivilisation dort präventiv anzugreifen. Zum Beispiel Interfunk in deren Cyberspace. Über nukleare elektromagnetische Impulse, die Xing eingesetzt hatte. Oder über gentechnisch manipulierte Mikroben, die ihr Ökosystem infizieren und destabilisieren. Die IPO-Gremien daheim verhandelten noch immer. Symbiose oder Okkupation, das war die Frage. Für Fazzuwär jedoch war sie schon entschieden. Jenis aber ahnte nichts davon.
Kapitel 3
Die alte IPO-Raumsonde „Intersystemar 1“ war als Erste in das Planetensystem des Fixsternes Altakol eingedrungen. Sie kam an der Spitze eines ganzen Schwarmes von Raumsonden, aus der fremden Welt Puntirjan. Seit ihrem Start war sie auf das Altakolsystem zugerast, jahrzehntelang und mit fast unvorstellbarer Geschwindigkeit. Hier hatten ihre Absender ihr Ziel entdeckt: Sariah, den blauen Exoplaneten. Die interstellaren Robotersonden dorthin waren jahrzehntelang beschleunigt worden, zuerst chemisch und mit Sonnensegeln, dann mit einem Xenon-Ionentriebwerk, nuklear und am Ende mit Hilfe von Antimaterie. Dann waren sie jahrzehntelang abgebremst worden, wiederum mit all diesen Arten von Antriebskräften.
Zunächst gab es hin und wieder einige Kometenkerne oder Gesteinsbrocken, die in den kalten, dunklen Weiten des Weltalls vorbeizogen, zusammen mit etwas interstellarem Staub. Die Brocken zogen beim Abbremsvorgang der Sonden noch immer mit einigen Promille der Lichtgeschwindigkeit vorüber. Die Sondenformation begann abzubremsen. Sie hatte eine Wolke aus einigen Hundert Milliarden Gesteins-, Staub und Eiskörpern erreicht. Sie gehörte bereits zum System des noch fast ein Lichtjahr entfernten gelben Zwergsterns Altakol.
Plötzlich geschah es, dass dort zufällig zwei dieser tiefgekühlten Brocken frontal kollidierten. Sie prallten nicht nur voneinander ab, sie zerbrachen in viele, kleine Fragmente. Ein winziges Teilchen dieser Eisfragmente geriet in den Weg der fremden Sonde. Es berührte sie leicht. Die Sonde streifte es kurz, ohne dass ihre Bahn groß verändert wurde, aber ein äußeres Blech der Sonde bekam einen Kratzer. Dadurch gab es mechanische Spannungen in der Außenhaut der Sonde. Ein Stück Außenhaut sprang ab. In Folge dessen lockerten sich einige der Befestigungsschrauben, gefertigt aus einer permanent magnetisierten, außerirdischen Neodym-Legierung. Langsam lösten sie sich vom Blech, zusammen mit Dschersis Modul, der kleinen Kommunikationsbox an der Intersystemar 1. Das Modul driftete langsam ab, zusammen mit einer der Schrauben. Sie wurden von einem der vorbeischießenden Eisfragmente aufgenommen und verschwanden mit ihm in den Tiefen des Raumes. Das Eisfragment wurde von weiteren Bruchstücken getroffen. Sie lenkten es ab. Und so geriet es auf eine Bahn, die es langsam aber sicher in die Nähe des Fixsternes Altakol führte, in das Zentrum der Kometenwolke.
Es piepte. Kapitän General Fazzuwär sah auf sein Display. Eine die Mitteilung von der Astronavigation. Die der Altakolia-Flotte vorausgesandten „Intersystemar“- und „Altakol-Späher“-Raumsonden hatten das Planetensystem von Altakol erreicht. Neue Holo-Aufnahmen des inneren Planetensystems trafen ein. Die vier Gesteinsplaneten waren deutlich erkennbar: außen ein roter Planet, dann Sariah, der blaue Planet, danach ein grell-weißer und ganz innen ein schneller, kleiner Planet. Weiter außen die vier Gasriesen. Und zwischen ihnen und dem roten Planeten lag einen Trümmergürtel, ideal zum Aufsammeln von Rohstoffen für die automatische Konstruktion der Versorgungsstationen.
Auch Kapitän Jenis auf der Altakolia I erhielt die Daten. Er hatte gerade ein paar Ravrokylkörner aufgepickt, zusätzlich zu Dr. Keushs Antibiotikum gegen die Schnabelfäule, als Tüngör ihm die Dateien übermittelte. Tüngör war der Offizier der Raumsonden-Steuerzentrale, und er sandte eine weitere Kopie der Datensätze zu den Relaistationen im interstellaren Raum, zur Weiterleitung in die nun viele Lichtjahre ferne Heimatwelt.
„Perfekte Arbeit!“, lobte Jenis. Dankbar sah er Tüngör an. Sie verband eine so lange Geschichte. Bevor Tüngör damals zum Expeditionsteam kam, war er Geheimagent der I.P.O., der Interplanetarischen Organisation. Im Krieg gegen die Sarkarier hatte er seine Schwester verloren, bei einem Bombenangriff der Sarkarier. Auch sein großer Bruder, der Abenteurer Gugay, war in den immer weiter ausufernden Konflikt mit dem sarkarischen Gouverneur Aru geraten. Nach dem Sieg der IPO hatten sie sich in Jenis‘ Augen für die Teilnahme am Projekt Altakolia qualifiziert. Jenis war damals sein Kollege. Schließlich ist er auch der beste Freund von Tüngör geworden. Jenis war wie Tüngör überzeugter Demokrat, und er war ein liebevoller Familienvater. Im Einsatz für die IPO war er über sich hinausgewachsen, hatte anderen Mut gemacht und Führungsqualitäten entwickelt – aber auch eine Abneigung gegen seinen damaligen Widersacher, den sarkarischen Kapitänskollegen General Fazzuwär. Dank seiner Spezialausbildung zum Agenten des IPO-Geheimdienstes behielt er trotz allem ruhiges Blut – auch dann noch, als es zu einer sarkarischen Cyberattacke auf eine IPO-Raumstation kam. Seine damalige, mutige Besonnenheit, sie wurde zum Motto seiner Crew: „Hier gibt es kein draußen, nur die Leere des Alls. Wir räumen daher jetzt erst einmal die eigene Station auf – und dann auch noch Puntirjan!“ Dann, nach dem Sturz des Kaisers von Sarkar, war ihr Aufatmen groß: Nie wieder Krieg, die IPO-Demokratie hatte gesiegt. Doch der Untergrund-Terror der radikalen Sarkarier blieb. Kurz vor dem Start der Flotte verlor der junge Jenis bei einem ihrer Attentate ein Bein. Er überlebte und konnte mit Tüngör am großen, interstellaren Projekt „Altakolia“ teilnehmen. Nach einem Giftmord an seinem Schiffskommandanten auf der Altakolia I. wurde er sogar dessen Nachfolger. Er ermittelte den Mörder. Es war Ssefaru Xing, der Attentäter, dem trotz aller Bemühungen noch dieser schreckliche Terroranschlag auf die Flotte gelungen war. So viele Leben hatte er gekostet, so viele Raumstationen! Trotzdem: Jenis hatte die Mission retten können. Und jetzt waren sie im Anflug auf Altakol.
Tüngör zeigte Jenis ein neues Bild. „Schau, Sariah! Dort, bei Altakol!“
Jenis fühlte Glück und Stolz warm wie einen Blutstoß durch seinen Körper strömen. „Altakol!“, flüsterte er. Seit puntirjanischen Urzeiten war er das Ziel aller Träume. Die puntirjanische Religion war zudem extrem wissenschaftsfreundlich. Die Kleripapyri von Monastair, ihre heilige Schrift, sagte es voraus: „Die Natur offenbart die Größe ihres Schöpfers. Darum: erforsche sie. Untersuche ihre Phänomene. und du wirst nicht mehr allein sein!“. Schon in der Antike der uralten, puntirjanischen Zivilisation hatten die Vogelmenschen naturwissenschaftliche Arbeitsweisen entwickelt, industrielle Strukturen, der Interfunk und die Raumfahrt-Technologien und Mond-Kolonien der Orbital-Pioniere und Raumsiedler. Einer ihrer antiken Wissenschaftsingenieure hatte in der instrumentell-analytischen Astronomie sogar das Verfahren der Spektralpolarimetrie entdeckt, mit dem man im Lichtspektrum fremder Planeten Anzeichen von Photosynthese nachweisen konnte – und somit Biosignaturen für das Vorhandensein von Leben. Beim Altakol hatte man einen Gesteinsplaneten entdeckt, einen Exoplaneten in der Lebenszone. Sariah. Hier gab es flüssiges Wasser, Photosynthese und auch Sauerstoff. Sariah wurde das Zentrum aller religiösen und auch populärwissenschaftlichen Mythen, bei allen Völkern Puntirjans. Ganze Nationen und Generationen arbeiteten daran, den interstellaren Raumflug einer Sonde zu planen und zu ermöglichen. Und dann den ersten Flug bemannter Raumkolonien dorthin – die große Expedition der Altakolia-Flotte.
Das Eisfragment mit dem Modul der fernen, puntirjanischen Sonde und der Schraube driftete an den Rand der Kometenwolke. Hier traf er auf einen umgelenkten Kometenkern. Dieser nahm ihn in sich auf und setzte seine Reise in das Innere des Sonnensystems fort.
Die Raumsonde selbst leitete ein weiteres, automatisches, nukleares Abbrems-Manöver ein. So gelangte auch sie in eine Umlaufbahn um das gelbe Zentralgestirn, dessen System sie erforschen sollte. Weitere Schwärme puntirjanischer „Intersystemar“- und „Altakol-Späher“-Raumsonden folgten. Noch im Anflug nahmen sie detailliertere Holo-Bilder und -Spektren der noch fernen Planeten auf, auf die sie zurasten. Sie wurden gespeichert, gebündelt, verstärkt und der Altakolia-Flotte zugesendet. Auch die Roboterschiffe und ihre Mikro-Raumsonden hatten Positions- und Vollzugsmeldungen an die Altakolia-Flotte gefunkt. Ihr automatisches Abbremsmanöver hatte einige Monate gedauert. Dann waren auch ihre Ionentriebwerke ausgebrannt. Sie hatten den Ringplaneten registriert und dort planmäßig ein Swingby-Manöver vollführt. Sie gerieten in den Planetoidengürtel. Hier befanden sie sich in einer stabilen, elliptischen Umlaufbahn. Ihre Funktionsfähigkeit war nicht beeinträchtigt. Der Verlust des Kommunikationsmoduls „Dschersi“ und einiger Neodymschrauben in der Kometenwolke hatte bei „Intersystemar 1“ damals keinen weiteren Schaden verursacht. Ohne dass sich jemand Sorgen machen musste, konnten die Sonden in Ruhe einige Jahre Solarenergie tanken und abwarten, bis dass neue Funkbefehle der Raumsiedler aus Puntirjan bei ihnen eintrafen. In dieser Zeit verfolgten sie ihre Forschungs- und Konstruktionsprogramme. Nach und nach gesellte sich der ganze Schwarm von Begleitsonden und puntirjanischen Roboterschiffen zu ihr. Vollautomatische Sammelsonden schwärmten zur Rohstoffsuche im Planetoidengürtel aus. Die Roboterschiffe konstruierten daraus die Bauteile und –module, aus denen weitere Roboterschiffe und Raumkolonien gefertigt wurden, Versorgungsdepots für die demnächst eintreffenden Raumsiedler aus Puntirjan.
Auch die Schwestersonden vom Typ „Altakol-Späher“ erreichten stabile Umlaufbahnen, viel näher bei Altakol. Spähersonde 34 näherte sich dem blauen Planeten. Ein Funkbefehl weckte sie aus ihrem Energiesparmodus. Er aktivierte die Energiespeicher hinter den Radionuklid-Batterien. Sie gaben ihre elektrische Energie an viele, technisch hoch komplizierte Messgeräte, die das Ziel weiter analysieren sollten. Die Sonde fuhr die Solarpaneele aus, das Spektralpolarimeter sowie die Mikroteleskope und –spektroskope. Sie sammelte genauste Daten des blauen Planeten, in fast allen Bereichen des elektromagnetischen Spektrums. Sie registrierte und analysierte die auf Sariah vielfältigen Biosignaturen. Alles funktionierte reibungslos und plangemäß.
Anschließend setzte die Raumsonde ein Landegerät ab. Vollautomatisch drang es in die Atmosphäre des blauen Planeten ein und suchte auf der Nordhalbkugel einen geeigneten Landeplatz. Es fand ihn am Strand eines Wattenmeeres. Es bremste ab, düsengefeuert und mit Landefallschirm. Ein sanfter Windstoß ließ das Landegerät etwas abtreiben, aber es korrigierte den Kurs, so gut es noch ging. Dann setzte es sanft auf, bei Ebbe im weichen Schlick.
Tüngör schreckte auf. Der Pieper an seinem Armband-smartphone meldete sich. Er blickte auf das Display. Es war die Raumsonden-Steuerzentrale. „Lander des Altakol-Spähers 34 erfolgreich gelandet!“, stand da. Die erste weiche Landung auf Sariah war geglückt.
„Schau!“, zwitscherte Tüngör stolz und flatterte mit den Flügeln. Jenis beugte sich zu ihm herüber, sah auf das Display. „Gratuliere!“, flötete er zurück. „Das werden wir feiern! Dafür spendiere ich dir eine Portion Ravrokylkörner, einen Krug feinsten Krøgs und ein Flugechsen-Steak!“
Schiffsjunge Ernst Köller sah über die Nordsee. Er dachte an seine Familie zuhause, seine Mutter, seinen Vater Otto, Schwesterchen Charlotte …
„Nimm schon!“, ermunterte ihn der Offizier neben ihm an der Reling. „Du darfst!“
Schüchtern sah der Junge ihn an und bedankte sich. Die SMS Vineta hatte Gefechtspause, und der 2. Offizier hatte dem jungen Ernst Otto Wilhelm Friedrich Köller ein Fernglas geborgt. Der junge Mann war glücklich, einmal hindurchsehen zu dürfen. Es war Flaute, die See lag ruhig. Eine kleine, sanfte Brise zog vorüber, und Otto Köller blickte zur Küste hinüber. Die Mannschaft der SMS Vineta genoss die kurze Pause. Ihr Schiff der kaiserlichen Marine war das vierte Schiff der Victoria-Louise-Klasse, einer Klasse von fünf Panzerdeckskreuzern II. Klasse. Anfang 1906 in Kiel als Torpedoversuchsschiff hergerichtet war es dem Torpedo-Versuchskommando zugeteilt worden.
Im Frühjahr 1907 hatte sie an funktelegraphischen Versuchen teilgenommen und war als Schulschiff für Seekadetten und Schiffsjungen ins Auge gefasst worden. Die zwölf Dürr-Kessel sollten in zwei Jahren noch gegen acht Marinekessel ersetzt werden, um den Wegfall eines Schornsteins zu ermöglichen. Und es sollte eine neue Bewaffnung bekommen. Ihr Knallfunkensender sollte dazu sogar noch gegen einen neuartigen Löschfunkensender ausgetauscht werden, der gedämpfte, hochfrequente Schwingungen nutzte. Er taktete sie mit der Morsetaste nach dem Morsecode, speiste sie in eine Antenne ein und strahlte sie als Funkwellen ab. Diese Sendetechnik war die neuste Errungenschaft (Seit Juni 1906 gab es in Norddeich eine Küstenstation für den öffentlichen Verkehr. Ihr Rufzeichen KND wurde allgemein bekannt und geschätzt). Doch es war Herbst 1907, und die Vineta hatte beim Herbstmanöver der Hochseeflotte als Aufklärer zu dienen. Es nicht so weit.