Kitabı oku: «Warum der stille Salvatore eine Rede hielt»

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Michael Wäser

Warum der stille Salvatore eine Rede hielt

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorbemerkung zum Roman

Salvatore

Vera

Die abenteuerliche Geschichte des Soldaten Lydian Perta, fünfter Teil: Ein glückliches Kind

Ein einfacher Mann

Fortinbras und die 60-Watt-Birne

Sica

Zu Hause

Ein Versuch

Verändert

Die abenteuerliche Geschichte des Soldaten Lydian Perta, vierter Teil: 0,36772 Sekunden

Dem seltsamen Salvatore kommt in der Welt alles seltsam vor, und er hingegen der Welt auch

Conradi

Signaturtechnologie

Geheimnis

Es ist ein Band von meinem Herzen

Die abenteuerliche Geschichte des Soldaten Lydian Perta, dritter Teil: Held der Freiheit

Zwei Mal Limonade

Was der Präsident wünscht

Der Herr im Hause Miller

Du riechst gut

Heraus aus Babylon!

Liebe

Auf einem Spielplatz im Park

Die abenteuerliche Geschichte des Soldaten Lydian Perta, zweiter Teil: Frauen

Operation Blaubart

Mr. Miller macht einen Termin

Uhrenvergleich

Freunde

Die abenteuerliche Geschichte des Soldaten Lydian Perta, erster Teil: Tapezieren

Denunziation

Eine Nachricht von der Regierung

Schuld

Kümmern

Entführt

Bovniker Cabernet

Schalen

Drei Tote

Hebel

Advent

Epilog. Traum. Wie schön.

Impressum neobooks

Vorbemerkung zum Roman

Eine Reihe von engen Freunden und Kollegen haben meine Arbeit an diesem Roman teils von Anfang an begleitet, teils in der letzten Phase vor der Veröffentlichung. Sie haben mir mit ihrer Aufmerksamkeit, dem oft nicht unbeträchtlichen Zeitaufwand, ihrem Zuspruch und ihrer Kritik, ihren Anregungen und ihrem schlichten Vorhandensein viel mehr gegeben, als ich aufzählen könnte. Dafür danke ich ihnen allen von ganzem Herzen. Ich nenne sie in alphabetischer Reihenfolge:

Inka Bach, Chang Nai Wen, Margit Ehrlich, Katja Früh, Peter Goergen, Jeannette Hagen, Wolfgang Hilse, Heidi Varin, Ulrike Warmuth, Thomas Wipf, außerdem die Kollegen und Besucher der Pankower Lesebühne „So noch nie”.

Die Arbeit an diesem Roman wurde gefördert vom Deutschen Literaturfonds. Für diese Unterstützung und große Ehre danke ich herzlich.

Michael Wäser

Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret!

Andreas Gryphius

Das Revolutionärste, was wir tun konnten, war, direkt neben den Bankentürmen eine kleine Kommune zu gründen, wo alle immer wahnsinnig nett zueinander sind.

David Graeber, Occupy Wall Street

Why donʼt we do it in the road?

Paul McCartney

Thatʼs why I love mankind.

Gott/Randy Newman

Salvatore

Als der Pottwal neben ihm explodierte, wechselte Salvatore Krig auf seinem Motorroller gerade vom zweiten in den dritten Gang. Überraschenderweise stand die Explosion in keinem direkten Zusammenhang mit der bestehenden politischen Situation in Bovnik, sondern bildete den ab einem gewissen Zeitpunkt zwar vorhersehbaren, aber dennoch unerwarteten Höhepunkt einer Kette von Ereignissen, mit denen Salvatore, außer dass sie sein Leben beendeten, nicht das Geringste zu tun hatte.

Wie an fast jedem Tag war der unscheinbare Mann an diesem Morgen im späten April durch Bovniks Straßen geknattert, hatte sich durch die engen Gassen des Haupthügels der Altstadt geschlängelt, die mit Wein bewachsenen Hänge an deren Rand durchquert und war dann über die Küstenstraße am neuen Hafen vorbei zurück Richtung Stadtzentrum gefahren. Aus der Entfernung war ihm der Schwertransport, der sich auf dem Weg zum zoologischen Institut der Bovniker Universität befand, nicht weiter aufgefallen. Eskortierte Tieflader und Lastwagenkonvois gehörten in dem geschundenen Kleinstaat zum alltäglichen Stadtbild. Erst als er sich den langsam fahrenden Vehikeln näherte und hinter den blauen Blinklichtern der den Zug abschließenden UN-Jeeps ein äußerst ungewöhnliches und auch ungewöhnlich großes Objekt auf der Ladefläche des Sattelzuges entdeckte, wurde seine Neugier geweckt. Er überholte den hinteren Jeep und verlangsamte dann neben dem dunklen, monumentalen Kadaver, um ihn bestaunen zu können, doch die Begleiter des Transporters hupten und schrien ihn an, er solle sich davonmachen und gefälligst weiterfahren. Also beschleunigte er wieder. Er passierte gerade die Mitte des Tieres, als es geschah.

Mehrere Kubikmeter Blut, Blutgefäße und andere Organe und etwa die Hälfte der einhundertachtzig Meter Darm des Wals stürzten aus dem aufplatzenden Körper und überfluteten die Straße neben dem Sattelschlepper wie die Schlammlawine eines Erdrutschs. Die Innereien, die aus dem toten Wal herausgeschleudert wurden, schienen, so erzählten es Augenzeugen aufgeregt und nach Atem ringend den sich rasch versammelnden Schaulustigen, geradezu nach dem Rollerfahrer gegriffen, ihn vom Sitz geschleudert zu haben, bevor sie ihn unter sich begruben und der Motorroller, nachdem er noch eine kurze Strecke führerlos weitergefahren war, krachend unter ein geparktes Auto rutschte. Der mystifizierende Anflug, der dem ohnehin spektakulären Ereignis auf diese Weise beigemengt wurde, entsprach dem traditionell irrationalen Grundbefinden der meisten Bewohner dieses Landstriches und wurde folglich von niemandem bezweifelt. Stattdessen haftete er von nun an dem Unfallopfer als Legende an. Unmittelbar nach der Explosion herrschte für eine gewisse Zeit völlige Verwirrung. Hatten die Thunakis die Begrenzungsvereinbarung gebrochen und einen zivilen Transport mit unsignierten Granaten angegriffen, natürlich genau am Tag der großen Kundgebung auf dem Platz des Sieges, die am frühen Abend stattfinden sollte? War der Wal vielleicht zum Ziel der Bovniker Untergrundbewegung geworden, die ihn vor dem Nationalfest für einen ihrer geschmacklosen Späße missbrauchte? Weder ein Granatenabschuss noch eine echte Detonation waren zu hören gewesen. Nein, das Tier war offenbar ganz von selbst geplatzt. Letzte Gewissheit brachte der Geruch. Jeder Mensch in Bovnik wusste genau, wie es nach einer Sprengstoffexplosion roch, und nichts roch hier wirklich nach einer Granate. Stattdessen verbreitete sich über der gigantischen Sauerei auf der Straße ein Gemisch aus Gerüchen, das allen Menschen im Umkreis von zweihundert Metern den Atem nahm. Als erstes und flüchtigstes Element attackierten die Verwesungsgase aus dem Bauch des Wals den Geruchssinn der Umstehenden. Diesem folgte der Gestank des verdorbenen Fleisches und der Innereien des Wals, der sich langsamer verbreitete, aber wegen der Windstille an diesem Morgen nicht verflog. Als Drittes dünstete aus den geplatzten Därmen des Kadavers der scharfe, etwas salzige, Übelkeit erregende Geruch halb verdauter Tiefseekalmare. Die Sensibelsten unter den Zuschauern übergaben sich spätestens jetzt, was dem Geruchscocktail weitere unangenehme Noten hinzufügte. Ob es eher der Anblick war, der den Menschen so zusetzte, der Geruch oder beides zusammen, spielte nun keine Rolle mehr. Doch selbst die Hartgesottensten, die gerne mit einem Magen aus Stahl prahlten, wurden auf eine ernste Probe gestellt, als nun der König des Gestanks dem Chaos entstieg: Ambra. Die mehrere Kilogramm schweren, wächsernen Klumpen aus dem Verdauungstrakt des Pottwals schützen die Tiere vor harten, unverdaulichen Überresten ihrer Beute, indem sie z.B. den abgetrennten Schnabel eines Kalmars umschließen, sodass er im Darm des Pottwals keinen Schaden mehr anrichten kann. Die Substanz, die, wenn sie einige Wochen an der Luft trocknen konnte, sehr angenehm riecht und früher zum Grundstoff vieler Parfums gehörte, entwickelt im frischen Zustand einen gänzlich anderen Geruch, den ein deutscher Chemiker einmal mit einem Vergleich zu beschreiben versuchte. Der Geruch von frischem Ambra, schrieb er, habe sich eingestellt, als er einmal eine größere Menge menschlicher Exkremente über längere Zeit in einem Fass verrotten ließ. Der Gestank sei so durchdringend gewesen, dass er das fest verschlossene Gefäß aus dem Labor habe entfernen müssen. Die Wale jagenden Ureinwohner der Polarregionen evakuierten ihre Dörfer, wenn sie mit einem erbeuteten Pottwal zurückkamen und wegen starken Seegangs gezwungen waren, das Tier am Ufer auszuweiden und nicht, wie sonst üblich, schon auf See, so sehr stanken die Gedärme. Dies dürfte erklären, warum sich einige Begleiter des Zuges nur zögernd dazu entschließen konnten, sich einen Weg durch den beinahe mannshohen Haufen aus Blut, Blutgerinnseln und Innereien zu bahnen, der sich mitten auf der Straße über dem unbekannten Rollerfahrer auftürmte. Sie wateten durch das in der kühlen Morgenluft dampfende Geschlinge, wussten sich aber nicht recht zu helfen, zögerten auch, sich durch diese ungeheure Masse aus prall gefüllten Därmen hindurchzuwühlen, in sie einzutauchen, um den Unbekannten, der darunter lag, zu bergen und, wenig wahrscheinlich, zu retten. Denn das hier konnte ein normaler Mensch nicht überlebt haben. Falls doch, würde er ersticken, während die Helfer sich mit bloßen Händen durch die tonnenschweren, blutigen Überreste arbeiteten. Trotz des Gestanks, der sich über der Unglücksstelle nun dauerhaft festgesetzt hatte und das Atmen schon von sich aus fast unmöglich machte, warfen sich ein paar Beherzte in den warmen, blutigen Berg und zerrten mit bloßen Händen die baumdicken, schmierigen Därme zur Seite, minutenlang, sicherlich viel zu lang für den, der dort unten lag.

Der etwa fünfzehn Meter lange Pottwal war am vorangegangenen Morgen tot am Strand in der Nähe des Hafens angespült, von Arbeitern entdeckt und der Hafenaufsicht gemeldet worden. Ein toter Wal in Bovnik, zumal dieser Größe, stellte ein außergewöhnliches Ereignis dar, und so war schon die Bergung, die äußerst kompliziert und mühsam vonstattenging und vom späten Morgen bis zum späten Abend dauerte, von Hunderten Zuschauern und etlichen Journalisten neugierig verfolgt worden. Zuerst war der Kadaver mithilfe eines Schleppers zu einer befestigten Hafenmole gezogen und dort festgemacht worden, damit ein von den Universitätsmitarbeitern dorthin bestellter mobiler Schwerlastkran den Wal unbeschädigt aus dem Wasser hieven und auf einen Sattelschlepper laden konnte. Die Chance, einen vollständigen, ausgewachsenen Wal in der Universität untersuchen zu können, bot sich den Bovniker Zoologen und Meeresbiologen zum ersten Mal überhaupt. Deshalb bestanden sie darauf, den Wal nicht zu zerteilen und lieber einen zweiten mobilen Kran zu ordern, als sich die ersten Probleme bei der Bergung zeigten. Sie schätzten das Tier nun auf 35 Tonnen und mussten zugeben, dass ein Wal im Wasser eindeutig leichter zu bewegen war als in der Luft. Der erste Kran brachte den mächtigen Kadaver alleine nicht aus dem Hafenbecken und drohte, selbst hineinzustürzen, weil ihn das enorme Gewicht des toten Tieres zum Kippen brachte. So mussten die Beteiligten und Unbeteiligten beinahe zwei Stunden auf den zweiten Kran warten. Sie unterhielten sich, ob sie nun Biologen waren oder nicht, lebhaft über Sinn und Unsinn der Bergung, über die einzig richtige und die vielen falschen Methoden dafür, über die jüngste Provokation der thunakischen Feinde und den schönen, sonnigen Vormittag. Eine übernatürliche Angelegenheit mochten die Bovniker zu diesem Zeitpunkt noch nicht aus dem Vorfall machen, dazu sah der Wal einfach zu erbärmlich aus, fast so erbärmlich wie der erste Versuch, das viel zu schwere Tier aus dem Wasser zu befördern. Der gigantische Meeresbewohner war zwar aufsehenerregend, aber ansonsten einfach nur tot. Er wies, soweit man sehen konnte, keine frischen Verletzungen auf, die wenigstens auf einen dramatischen Kampf hingedeutet hätten, einen Kampf, den das Tier in der Tiefsee mit einem Riesenkalmar geführt haben könnte. Nein, dieser Wal war offenbar einfach so verstorben und tot an Land gespült worden. Wie alt mochte er sein? Wüste Spekulationen machten die Runde, man überbot sich mit Schätzungen, denn diese Wale, das hatte man ja gehört, wurden manchmal über zweihundert Jahre alt. Dieser hier, wenn er an Altersschwäche gestorben war, konnte also durchaus am Anfang des 19. Jahrhunderts geboren worden sein. Vielleicht hatte er schon früh Bekanntschaft mit Waljägern in kleinen Ruderbooten gemacht, war unter den großen Ozeanlinern, vielleicht gar unter der Titanic hindurchgetaucht, hatte das Stampfen der Schlachtschiffe verfolgt, die brutalen Explosionen von Torpedos und Minen überstanden und es später, in hohem Alter, auch noch geschafft, den modernen Fangschiffen mit ihren erbarmungslos zielgenauen und tödlichen Harpunen zu entwischen. Ein Stück Weltgeschichte wartete darauf, von Wissenschaftlern der kleinen Bovniker Universität untersucht zu werden.

Auch als der zweite Kran endlich einsatzbereit war, mühten sich die Arbeiter und Biologen noch stundenlang mit dem Kadaver ab. Zu dem Stahlseil, das man schon am Morgen um den hinteren Teil des Wals geschlungen hatte, und das über den ersten Kran lief, kam nun ein weiteres vom zweiten Kran, das um den Kopf des Kadavers gezurrt wurde. So konnte das Tier endlich aus dem Wasser gehoben werden, wobei es, wie ein gigantischer Egel zwischen den beiden Schlaufen hängend, einen noch erbärmlicheren Eindruck machte als vorher. Immerhin gelang es nun, den Wal langsam und vorsichtig auf der Ladefläche des Tiefladers abzulegen, mit dem Kopf zum Heck. Nun erwies sich jedoch, dass man sich mit dem Gewicht des Wals grob verschätzt hatte. Der Ladeanhänger brach unter dem Kadaver zusammen, der zweifellos mehr als fünfzig Tonnen wiegen musste. Ein 100t-Anhänger musste bestellt, der Wal wieder angehoben, der zerstörte Anhänger entfernt und der stärkere unter den Wal manövriert werden, bis das schwergewichtige Untersuchungsobjekt endlich als geborgen bezeichnet werden konnte. Die Arbeiter nahmen erschöpft den zaghaften, aber verdienten Applaus der verbliebenen Zuschauer entgegen, die sich auf diese Weise für die Ablenkung von ihrem kriegsgewohnten Alltag bedankten und sich zerstreuten, bevor der Wal, es war mittlerweile schon Nacht geworden, gänzlich fixiert und transportfertig war. Die fortgeschrittene Tageszeit war es auch, welche die Bovniker Behörden veranlasste, den sofortigen Abtransport des Kadavers zur Universität zu untersagen. Die nächtliche Ausgangssperre, die dem Ausnahmezustand geschuldet war, galt nun einmal auch für diesen Sonderfall. So musste der tote Wal die Nacht auf einem abgeschlossenen Lagerplatz im Hafen verbringen, wo die dort stationierte, vierköpfige Wachmannschaft ihn in ihre Obhut nahm. Leider hatten die Stunden (oder gar Tage), die der Wal tot im Meer getrieben hatte, das hilflose Gezerre an den scharfen Stahlseilen, die um den Leib des Wals geschlungen worden waren, und zu guter Letzt das Eigengewicht des Kadavers, der zwischen den Seilen baumelte, seine Wirbelsäule und die inneren Organe, Blutgefäße und Bindegewebe derart stark gewalkt, gezerrt und gestaucht, dass das schon im Verwesen begriffene Tier, als die warme, mediterrane Nacht fortschritt, eher einem mit zig Tonnen verdorbener Eingeweide gefüllten Sack als einem toten Säugetier glich. Durch die beschleunigte Verwesung im Inneren des Kadavers entstanden mehr und mehr Gase, die den Leib aufblähten. Diese Veränderung fiel den Wachmännern in ihrem Wachhäuschen nicht auf, sie hatten sich nur anfangs ein paar Minuten für die spektakuläre Fracht auf dem Platz interessiert, sich gegenseitig fotografiert, wie sie vor dem Wal posierten und sich dann ihrer nächtlichen Routine gewidmet. Verhängnisvollerweise war am folgenden Morgen keiner der Meeresbiologen der Universität mit zum Hafen gekommen, als der Tieflader sich auf den Weg zur Fakultät machte, und so fiel niemandem auf, dass der Kadaver sich über Nacht erheblich aufgebläht hatte. Was den wenigen Männern auffiel, die an jenem Morgen in die Nähe des Wals kamen, war der mächtige Penis, der plötzlich, vor ihren Augen, durch den Druck im Leibesinneren aus seiner Hauttasche gepresst wurde und von nun an seitlich des Kadavers herabhing. Selbst im schlaffen Zustand maß dieses auberginefarbene, spitz zulaufende Fortpflanzungsorgan knapp zwei Meter Länge und veranlasste die anwesenden Männer, sich wiederum gegenseitig vor dem toten Wal zu fotografieren, diesmal, angestachelt von der Vorstellung maßloser Potenz, in sehr aufgeheiterter Stimmung. Erst danach hatte man den Lastwagen in Gang gesetzt. Die Rüttelbewegungen während der Fahrt durch die Stadt und die ansteigenden Temperaturen verstärkten die Gasentwicklung im Innern des Tieres ein weiteres Mal. Vielleicht hätte der Körper dem wachsenden Druck länger widerstehen können, wäre der Wal am Vortag nicht doch bereits mit starken inneren Verletzungen, die zu seinem Tode geführt hatten, angeschwemmt worden. Denn anders, als die Schaulustigen und auch die Biologen vermutet hatten, war der Wal nicht einfach so gestorben. Er war von einem gigantischen, stählernen Hammer getroffen worden, unvorbereitet, und vielleicht sogar, ohne dass es der Wal überhaupt bemerkte. Der Hammer hatte seine Wirbelsäule zerschmettert, als er, verloren in einem tiefen, kollektiven Traum aufrecht im Wasser schwebend, mit dem mächtigen Kopfende knapp über der Wasserlinie, schlief. Der Hammer, das war der Bugwulst eines einhundertneunzig Meter langen Containerschiffes, beladen mit Baumaterialien, Handels- und Hilfsgütern für Bovnik. Mit seiner Höchstgeschwindigkeit von 35 Knoten war der Frachter einige Tage vor dem unappetitlichen Vorfall in der Bovniker Innenstadt etwa zehn Seemeilen vor der Küste in eine Gruppe schlafender Pottwale gefahren. Im Zustand der maximalen Beladung des Schiffes durchpflügte die Spitze des Wulstbugs das Wasser etwa sechs Meter unter der Oberfläche und traf den träumenden Wal direkt in den Rücken, zerschmetterte seine Wirbelsäule oberhalb der Körpermitte und quetschte das umliegende Gewebe, Nerven und Blutgefäße so stark, dass das bewusstlose und bewegungsunfähige Tier wenige Stunden später an inneren Blutungen starb. Zuvor aber versammelten sich einige der anderen Wale um den Verletzten und brachten ihn in die Nähe der Küste. Erst als er kein Lebenszeichen mehr zeigte, überließen sie ihn der Strömung und zogen sich wieder zurück in tiefere Gewässer. Dass er während des Schlafes getroffen worden war, den Pottwale vollkommen austariert wie Bojen direkt an der Wasseroberfläche verbringen, sorgte auch dafür, dass er nicht in die Tiefe sank, sondern selbst nach seinem Tod noch an der Oberfläche dümpelte, bis er schließlich beim Hafen anlandete. Sein Körper platzte über der Wirbelsäule auf, genau an der Stelle, die von dem Frachtschiff getroffen worden war.

Endlich legte jemand eine Hand des Verschütteten frei und schrie nach den anderen Helfern, die, über und über mit Blut und halb verdautem Tintenfisch beschmiert, zu ihm eilten. Die umstehenden Gaffer, die trotz des unerträglichen Gestanks immer zahlreicher wurden, fühlten sich wie in einer dieser Fernsehshows, in der kleine Teams sich durch einen Swimmingpool voller Schmierseife arbeiten müssen, nur war das hier keine Seife. („Jedenfalls noch nicht!“, scherzte einer, der sich mit Walen auszukennen glaubte.) Die Helfer legten den Kopf und den anderen Arm Salvatores frei und zogen an seinen glitschigen Gliedmaßen, zerrten, rutschten ab, zerrten wieder. Diesmal fühlten sich die Zuschauer an TV-Dokumentationen erinnert, in denen wagemutige Tierärzte Kühen, Elefanten oder Giraffen Geburtshilfe leisten, wobei man anfangs nur einige Gliedmaßen des Neugeborenen erkennen kann, in oft absurden Verrenkungen, glitschig so wie hier, bis irgendwann der ganze Körper herausstürzt, begleitet von einem Schwall aus Blut, Fruchtwasser und der Nachgeburt. Endlich befreiten die Helfer den leblosen Körper, zogen ihn aus der blutigen Masse heraus. Kein Puls, keine Atmung war auszumachen. Allerdings auch keine äußerlichen Verletzungen, soweit man das in all dem Walmatsch und Blut überhaupt ausmachen konnte. Einer der begleitenden UN-Soldaten zog dem Mann seinen altmodischen Motorradhelm vom Kopf, strich mit seinen vor Aufregung zitternden Händen das unbeschreibliche, schmierig-blutige Zeug so gut er konnte zuerst aus seinem, dann aus Salvatores Gesicht, unterdrückte den Brechreiz und begann, das Opfer des toten Wals zu beatmen und sein Herz zu massieren und fuhr damit fort, bis ein Krankenwagen eintraf. Gerade als sich der Notarzt, gegen die Übelkeit ankämpfend, die ihn am Unfallort wie ein Schlag getroffen hatte, über den Körper beugte, der von den Innereien, dem Blut und den stinkenden Ambra-Klumpen um ihn herum kaum zu unterscheiden war, betrachtete Salvatore die Szenerie mit tiefer Freude und einer bis dahin für ihn gänzlich unbekannten Gelassenheit. Wie ein kühnes, von Rot- und Violetttönen geradezu überbordendes Gemälde mit einem himmelblauen Bildhintergrund breitete sie sich über ihm aus. Über ihm. Jetzt erst bemerkte Salvatore, dass er sich selbst und alles andere von unten sah, umrahmt von den feucht glänzenden Schlieren, Schlingen und Klumpen, die ihn eben noch bedeckt hatten. Er sah den Notarzt, der sich auf Salvatores Reanimation vorbereitete und seinen Rettungssanitätern Kommandos zurief, sah den Walkadaver, dem Eingeweide wie eben erst erstarrte Lavaflüsse aus dem aufgerissenen Leib hingen, sah die Menschen, die rundherum um Fassung rangen und über das Geschehen staunten, das selbst den abgebrühten Bovnikern wie das ultimative und sprichwörtliche Blutbad erscheinen musste, und darüber den blauen, strahlenden Morgenhimmel, sah alles, als bestünde der Boden aus Glas oder Wasser und Salvatore schwebe heiter spielend darunter her. „Traum“, dachte Salvatore. „Wie schön.“