Kitabı oku: «Sklaverei»

Yazı tipi:

Michael Zeuske

Sklaverei

Eine Menschheitsgeschichte von der Steinzeit bis heute

Mit 10 Karten

Reclam

2018, 2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung nach einem Entwurf von zero-media.net

Covermotiv: mauritius images / ClassicStock / Sipley, mauritius images / Science Source / LOC, FinePic®, München

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2018

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961309-3

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-020546-4

www.reclam.de

Inhalt

  Vorwort zur Neuausgabe

  Sklaverei – eine sehr alte Schlange Definitionen

  Globalhistorische Sklavereiplateaus Erstes Sklavereiplateau ohne Menschenhandel (Beginn etwa 20 000 / 8000 v. Chr.) Zweites Sklavereiplateau (Beginn etwa 3. Jahrtausend v. Chr.) Drittes Sklavereiplateau (Beginn etwa 1400 n. Chr.) Viertes Sklavereiplateau – Abolitionsdiskurse, Bond-Sklaverei und Second Slaveries (Beginn um 1800) Ein fünftes Sklavereiplateau (Beginn etwa 1900)? Und heute?

  Was kosten menschliche Körper?

  Andere globale Räume – andere Sklavereien. Fallbeispiel China

  Versklavte weltweit in Zahlen Die östliche Hemisphäre: Indischer Ozean, Ostafrika und Pazifik Die westliche Hemisphäre der Atlantic Slavery: Afrika – Atlantik – Amerika und zurück

  Kein Ende nach dem Ende – Diskurse und Realitäten der globalen Sklaverei seit 1800

  Literaturhinweise (Auswahl) Webseiten

  Verzeichnis der Karten

Vorwort zur Neuausgabe

Das Interesse an Sklaverei allgemein und ihren Folgen bis heute hat seit der Erstveröffentlichung des vorliegenden Buches 2018 stark zugenommen. Diese Zunahme ist neuen Forschungen, aber auch der memory-Bewegung, den Diskussionen darüber und den Dekolonisierungsdebatten geschuldet. Die breitere Öffentlichkeit wird mit diesem Diskurs etwa durch den Streit um Straßennamen, Denkmäler und Museen konfrontiert. Das Interesse an Sklaverei ist historisch, memory sowie Dekolonisation sind politische Phänomene.

Zunächst zum Historischen. Seit ich 1987 als Assistent in Leipzig Vorlesungen des kanadischen Historikers Clarence J. Munford hörte, beschäftige ich mich, zunächst eher neben globalhistorischen Forschungen zur Revolutionsführung im nördlichen Südamerika (Simón Bolívar im Rahmen des Zentrums für Vergleichende Revolutions-/Transformations-Forschung unter den Universalhistorikern Walter Markov und Manfred Kossok), mit Sklaverei und Sklavenhandel in der Karibik. Nach dem Zusammenbruch des Staats-Marxismus und der Umstrukturierung der Universitäten in der ehemaligen DDR begann ich 1993 mit Forschungen, die sich nach eher strukturellen Ansätzen (die Idee bestand darin, den Klassenbegriff auf schwarze Versklavte in Kuba anzuwenden) auf die »Stimmen der Versklavten« konzentrierten. Aus einer Regionalgeschichte des 1860–1886 weltweit modernsten Massensklaverei-Industriegebiets um Cienfuegos im mittleren Süden Kubas wurde sehr schnell postkoloniale Mikrogeschichte, und ich befasste mich mit Lebensgeschichten ehemaliger Versklavter und ihrer Nachkommen.

Dieser Ansatz führte mich immer tiefer in Provinzarchive der Region, in denen Tausende Notariatsprotokolle über Kauf und Verkauf menschlicher Körper, Testamente ehemaliger Sklavinnen und Sklaven sowie Akten zu Gerichtsverhandlungen unter Beteiligung von Versklavten und ihren Nachkommen zu finden waren. Ich analysierte ellenlange Namenslisten ehemaliger Sklaven und ihrer Nachkommen (Wahllisten, Armeelisten). Dazu kamen Narrative ehemals Versklavter, sogenannte testimonios (unter anderen das berühmte Buch Der Cimarrón von Miguel Barnet über den geflohenen Sklaven Esteban Montejo) und zeitgenössische Beobachtungen sowie Analysen von Sklaverei – wie die Alexander von Humboldts in seinem Buch Politischer Essay über die Insel Kuba (frz. 1826, span. 1827, dt. 1889).

Nach zehn Jahren intensivster Studien und Feldforschungen (u. a. auf ehemaligen Sklavenplantagen, die zu großen Zucker-Agrarindustriezentren geworden waren, in Sklavenhäfen und an Küsten, an denen geschmuggelte Versklavte aus Afrika illegal angelandet worden waren) hatte ich unzählige Käufe und Verkäufe von Versklavten auf Kuba (Abolition 1886) sowie Namen von Nachkommen ehemals Versklavter recherchiert. Ich verfügte über eine umfassende Datenbasis zu einer konkreten Sklaverei (die übrigens die wirtschaftlich profitabelste des 19. Jahrhunderts war). Das Aufschlussreichste war aber ein Negativ-Ergebnis: Ich habe nur extrem wenige »Stimmen« in Selbst-Repräsentation von Versklavten in der Sklaverei (nicht danach!) gefunden. Zwar hatte ich dank des mikrohistorischen Ansatzes und der extrem vielen Dokumente und Beobachtungen vor Ort ›Grund berührt‹. Aber ich traute mich gerade wegen dieses Ansatzes kaum noch, Aussagen zur Nachbarprovinz auf Kuba, zu anderen Sklavereikolonien der Karibik (wie Jamaika oder Martinique) oder gar weltweit zu machen, weil es dort ähnlich viel Material gab und gibt.

Da kam es mir sehr gelegen, dass 2005 im Nationalarchiv Kubas in Havanna Interna aus dem Leben eines Sklavenschiffskapitäns namens Ramón Ferrer, des Kapitäns und Besitzers des filmnotorischen Schoners Amistad, auftauchten. Ich machte mich atlantikweit auf die Suche nach den Schiffen dieses Kapitäns. Auch, weil Sklavenschiffskapitäne, Offiziere, Ärzte, Mannschaften, Matrosen und Köche (wenn man so will, die direkten Versklaver), sehr nahe an den Versklavten ›dran‹ waren (im Englischen heißt das face-to-face). Die Zeugnisse und Darstellungen der direkten Versklaver, von denen es sehr viel mehr als von Versklavten gibt, konnten mir verlässliche Informationen über die Lebensbedingungen der Versklavten geben. Der Grundansatz aller meiner Bücher und Texte zur Sklavereigeschichte ist immer das Interesse am Leben versklavter Menschen gewesen. Das gilt auch für die Zukunft und für das vorliegende Buch.

Aus dieser Suche ging alles hervor, was ich zu atlantischem Sklavenhandel und illegalem Menschenschmuggel (den ich mit dem Konzept des Hidden Atlantic erfasse) geschrieben habe. 2006 erhielt ich das Angebot, eine 600-seitige Weltgeschichte der Sklaverei zu verfassen. Ich wandte mich wieder der Globalgeschichte zu, erinnerte mich meiner welthistorischen Ausbildung bei Markov und Kossok in Leipzig 1976–1990 und behielt zugleich die mikrohistorische Herangehensweise bei. Schnell stellte ich fest, dass sich fast alle Sklaverei-Gesamtgeschichten auf die traditionelle Linie dessen konzentrieren, was ich »hegemonische Sklavereien« (nach dem Muster der »Sklavengesellschaften« von Moses I. Finley) aus europäischer oder nordamerikanischer Sicht nenne: Sie behandeln die Antike (meist Griechenland und Rom), das Mittelalter eher nicht und von den neuzeitlichen Sklavereien vor allem den Süden der USA und meist noch ›etwas Karibik‹ – in der Regel die britische. Eine gewisse Ausnahme stellt José Antonio Saco mit seiner Historia de la esclavitud vom Ende des 19. Jahrhunderts dar (den ich im vorliegenden Buch öfter zitiere). Davon deutlich getrennt gab es mehr und mehr soziologische, politikwissenschaftliche oder anthropologische Studien zur sogenannten »modernen Sklaverei«. Ich wusste aber aus meiner mikrohistorischen Arbeit, dass es extrem viele konkrete Sklavereiregimes sowie Sklavereien mit ihren Folgen und Konsequenzen für das Leben von Versklavten und ihrer Nachkommen gab und bis heute gibt. Und dass diese historische Dimension auch für heutige Sklavereien eine extrem wichtige Rolle spielt.

Ich begann bei der Recherche über Versklavte mit ihren jeweiligen Bezeichnungen, Sklavereien und Sklavereiregimes weltweit, in der Geschichte aller Gemeinschaften, Gesellschaften und Territorien. Ich stellte schnell fest, dass, wenn man wirklich genau hinschaut und die Fixierungen auf »hegemonische Sklavereien« aufgibt, überall Versklavte und Sklavereien zum Vorschein kommen, von der Prähistorie bis heute. Auch in Gesellschaften, deren Mitglieder, Historiker oder Intellektuelle, aus welchen Gründen auch immer, behaupten, dass es bei ihnen gar keine Sklaverei »wie in Rom« oder »wie im Sklavenhandel von Afrika in die USA« gegeben habe. Und schwarze Sklaven schon gar nicht. Und auch kein Wort für »Sklaven« oder »Sklaverei«. Auch die Zeitleiste wurde länger und länger: Im Grunde gab es schon in der Prähistorie Menschen, deren Status der dem eines Sklaven oder einer Sklavin »ohne institutionelle Sklaverei« gleichkam, und überall existieren Sklavereiregimes ohne eine Definition von privatem Eigentum (wie im sogenannten »römischen« Recht).

2009 hatte ich ein 700-seitiges Manuskript fertig, aber noch nicht einmal die östliche Hemisphäre um den Indischen Ozean, Südostasien oder China bearbeitet. In jeder Gesellschaft, die ich untersucht hatte, passierte mehr oder weniger das Gleiche – es gab sehr zeitig Kriegsgefangene, Verschleppte, Frauen und Mädchen auf der Suche nach Schutz, Waisen oder Verurteilte und Schuldner. Überall entstanden Eliten mithilfe solcher Menschen, die, je mächtiger die Eliten wurden, desto deutlicher in einen Status von Versklavten kamen, und es bildeten sich mehr und mehr expansive Imperien mit definierten Sklavereien, in die Menschen kamen und oft über Generationen in ihnen blieben. Ohne Sklavereien gäbe es keine Imperien. Hätte ich dieses Manuskript weiter in einer historisch-chronologischen Unterteilung nach Gruppen, Häuptlingstümern, Staaten/Monarchien und Imperien geschrieben, wären wahrscheinlich zehn Bände mit jeweils 600 Seiten herausgekommen.

Ich strukturierte das Manuskript nach historisch-anthropologischen Gesichtspunkten und großen Weltregionen um (Ozeanen/Meeren, Hemisphären und Kontinenten). Das Buch erschien 2013 und 2019 als Handbuch Geschichte der Sklaverei. Eine Globalgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. Die Globalgeschichte ist ein typisches Grundlagenforschungsbuch und steht in vielen National- und Universitätsbibliotheken. Es ist aber kein Publikumsbuch. Ein Buch zu diesem Thema mit wissenschaftlichem Anspruch, aber eben kurz und lesbar, blieb ein Desiderat. Eine Kollegin hatte in einer Rezension gefordert, ich möge doch einmal in lesbarer Form erklären, was die Hauptergebnisse meiner Grundlagenforschung seien. Also schrieb ich eine kurze und lesbare Synthese. Das Ergebnis war die erste Auflage des vorliegenden Buches.

Dieser Band ist eine Geschichte der Sklavereien, die sich wie eine dichtgewebte Bindungsstruktur extremster asymmetrischer Abhängigkeiten durch die Welt- und Globalgeschichte von den Anfängen bis heute und in allen Gesellschaften ziehen. Werden Wirtschaft, Produktion, Handel, Hierarchien oderHerrschaftsverhältnisse betrachtet, finden sich bei genauer Analyse fast immer Versklavte, Sklavereien und Sklavereiregimes (und ihre Folgen). In vielen Büchern zu Kultur-, Wissens- und Geistesgeschichte, auch in Nationalgeschichten, werden sie oft nicht behandelt - sie werden verschwiegen oder interessieren schlicht nicht. Auf den nachfolgenden Seiten stehen sie im Zentrum. Das vorliegende Buch ist keines über »Freiheit«, Menschenrechte, Widerstand oder Abolitionen (obwohl es ein Kapitel dazu gibt), sondern über Sklavereien, Versklavte und ihren ›Wert‹ sowie ihre Preise in den jeweiligen Sklavereien und Sklavereiregimes. Die Hauptaussage lautet, dass Sklavereien in der Welt- und Globalgeschichte bis heute ubiquitär und in gewissem Sinne alltäglich sind, samt ihren strukturellen Folgen und Nachwirkungen sowie heutigen Wirkungen. Nur merken wir das oftmals gar nicht. Um das handhabbar (und lesbar) zu machen, habe ich die historisch-anthropologische Differenzierung nach Sklaverei-Plateaus (insgesamt sechs für die Geschichte der Menschheit) bei der Gliederung des Bandes angewandt. Das sind keine »Formationen« oder stages (wie es heute in Neudeutsch heißt). Sie beginnen alle an einem gewissen Punkt der Weltgeschichte, hören aber nicht auf, mit relativer Ausnahme des dritten Plateaus zur atlantischen Sklaverei um 1400–1900.

In der Zeit zwischen der Erstpublikation 2018 und der Neuauflage 2021 ist die Sklavereiforschung (weniger die Forschung zu Versklavten) exponentiell gewachsen. Und es gibt Sklavereiforschungszentren, die wichtiges neues empirisches Material vorgelegt haben. Allein schon Deutschland hat sich vom ›Zaungast‹ der Sklavereiforschung mit Fixierung auf die USA-Academia zu einem neuen Zentrum der Sklavereiforschung mit den wichtigsten Standorten Bremen, Frankfurt an der Oder (Vergleichende Europäische Wirtschafts- und Sozialgeschichte), Hannover und Bonn (Bonn Center for Dependency and Slavery Studies, kurz BCDSS) entwickelt. Neben den sehr vielen Einzelergebnissen und Tagungen des BCDSS ist vielleicht das wichtigste bisher erreichte Resultat, dass eine der globalhistorischen Fehlrezeptionen in Deutschland und Mitteleuropa dabei ist, sich aufzulösen – nun ist klar, dass Brasilien das Land mit der umfassendsten Sklavereigeschichte und -forschung weltweit ist.

Deutschland und Mitteleuropa (es gibt auch in der Schweiz starke Forschungen) galten bisher als Hinterland oder Peripherie der dynamischen Wirtschaften der Sklaverei- und Sklavenhandelsnationen (Portugal, Spanien, Großbritannien, Frankreich, Niederlande, Dänemark, Schweden samt ihren Kolonien; mit Abstrichen auch Brandenburg/Preußen). Inzwischen aber wird deutlich, dass diese Regionen daran durchaus beteiligt waren – entweder durch einzelne Unternehmer, Firmen oder durch Teilnehmer am afrikanischen und atlantischen Sklavenhandel sowie Plantagenbesitzer oder in sklavereinahen Jobs wie Mediziner/Arzt, Handwerker, Aufseher/Manager in der Sklaverei, in Sklavereiregimes und -wirtschaften oder durch Besitz und Handel mit Versklavten im deutschen Alten Reich, in der Schweiz oder in italischen Staaten. Dies war vor allem im 18. Jahrhundert und den Zeiten des Biedermeierkapitalismus bis zur eigentlichen Industrialisierung in Mitteleuropa (um 1870) der Fall.

Was einzelne Forschungsergebnisse betrifft, will ich nur auf die aus meiner Sicht wichtigsten verweisen, zumal auf solche, die gerade Gegenstand der Debatte sind: Die Erbauer der Pyramiden waren keineswegs stolz darauf, an einem »Weltwunder« mitgearbeitet zu haben – im Alten Ägypten gab es richtige Sklaven (ein Forschungsergebnis mit Signalwirkung für materielle Kultur und Sozialgeschichte der frühen Staatlichkeit expansiver Imperien). Neue Erkenntnisse gibt es aber auch zu verschiedensten Sklavereien in der Geschichte Chinas sowie Asiens überhaupt, zur globalgeschichtlichen Neujustierung antiker Sklavereien, zur Globalgeschichte (inklusive der Geschichte »vormoderner Sklavereien« sowie other slaveries, d. h. formeller und informeller Sklavereien von Indigenen und unter Indigenen); zu Russland, russischer Geschichte und russischem Reich; zu Afrika als Zentrum der Sklavereigeschichte und der Beteiligung afrikanischer Eliten an der atlantischen Sklaverei; zu den Debatten um Sklaverei als Kapitalismus vor allem in den USA bis 1860, Surinam bis 1863, Puerto Rico bis 1873, Kuba bis 1886 und Brasilien bis 1888 (Second Slavery, New Economic History – vor allem in den USA – und Slavery as Capitalism), zu Sklavereien und Sklaverei-/Sklavenhandels-Regimes am und auf dem Indischen Ozean sowie Randmeeren des Pazifiks und in Südostasien.

Zum Schluss noch ein Blick aufs Politische: memory. Die Erinnerungskultur der Sklaverei bzw. des Sklavenhandels, der Sklavereiregimes und des Lebens von Versklavten und ihrer Folgen (sowie des materiellen Erbes in Städten, Bauten, Institutionen, Banken, Museen – heritage) ist zugleich die Politik von Aktivisten (meist bis heute nationale oder lokal-urbane Politik). Aber memory, sofern es sich nicht um geschichtsblinden Aktivismus handelt, ist auf historische, soziologische und anthropologische Sklavereiforschung angewiesen, speziell auf Forschungen zu Versklavten und Versklavern (Sklavenhändlern, Sklavenhalterinnen und Sklavenhaltern sowie Funktionskräften – also Reedern, Schiffsausrüstern, Versicherern, Investoren, Ärzten, Managern, Administratoren, Notaren, Priestern, auch Kapitänen und Schiffsoffizieren oder Köchen, die die Massen von Versklavten ernährten – und Hilfskräften, also Wachen, Übersetzern, Ruderern, Matrosen, Karawanenträgern etc.

Dekolonisierungs-, Umbenennungs- und Anti-Rassismus-Debatten laufen schon einige Zeit (auch in Bezug auf Museen); wichtige neuere memory-Aktivitäten in der Politik gab es im Nachgang des Todes von George Floyd (25. Mai 2020 in Minneapolis) vonseiten der Black-Lives-Matter-Bewegung. Alle drei Debatten werden uns auch in Zukunft begleiten. Die vorliegende Sklavereigeschichte soll nicht zuletzt dafür eine Basis bilden.

Leipzig, im Februar 2021

Sklaverei – eine sehr alte Schlange

»Welche neue Form wird dieses alte Monster annehmen, in welcher neuen Haut wird diese alte Schlange daherkommen?« (Frederick Douglass, 1865).1

Der Mensch sei frei geboren, aber überall liege er in Ketten, sagte Jean-Jacques Rousseau im ersten Kapitel seines Gesellschaftsvertrags.2 Sklaverei, der Besitz von Menschen, ist heute weltweit verboten, aber es gibt sie immer noch als globales Phänomen, heute genauso wie durch die ganze Weltgeschichte hindurch.3 War ›der Mensch‹ je frei geboren?

Sklaverei bedeutet Gewalt von Menschen über den Körper anderer Menschen, es bedeutet in den allermeisten Fällen körperlichen Zwang zu schwersten und schmutzigsten Arbeiten oder zu Dienstleistungen sowie Mobilitätseinschränkung. Dazu kommen alle Formen und Folgen von Statusdegradierung, wie besonders der entwürdigende Kauf und Verkauf von Menschen. Einzelne der genannten Dimensionen, auch in Kombinationen, existieren weiterhin. Heute sind sie oft nicht mehr begründet mit der falschen, aber wirkungsvollen Theorie von eingefrorener ›äußerer‹ Statusdegradierung, d. h. Rassismus, sondern eher durch andere soziale oder ethnische Rangzuschreibungen. Sexuelle Verfügung ist sogar noch immer verbunden mit einem der Hauptmerkmale formeller Sklaverei – dem Kauf und Verkauf sowie der Kommodifizierung menschlicher Körper, oft im Rahmen irgendeiner Art illegaler Verschleppung oder Entführung. Aber Sklaverei bedeutet nicht nur sexualisierte Gewalt; auch die schlicht durch exzessive Gewalt erzwungene Arbeit für die jeweiligen Halter macht die Opfer zu Sklaven – heute ist das meist keinen Medienbericht mehr wert. Was hingegen nicht mehr existiert, ist die Legitimierung und Institutionalisierung durch formale Rechtssysteme sowie der Anspruch, ein einmal erworbenes Eigentum über das Mutterrecht (»Sklavenbauch gebiert Sklaven«) sozusagen legal zu verewigen. Aber selbst das gilt in Bezug auf Gebräuche weltweit nur bedingt.

Sklavenstatus und Sklaverei (oder besser: Sklavereien) sind offenbar ein nicht-evolutionäres Phänomen der Welt- und Globalgeschichte. Ich komme auf dieses fundamentale Problem noch mehrfach zurück. Hier gilt es zunächst festzuhalten, dass Sklaverei zwar in bestimmten Gesellschaften eine stärkere Einbindung in vorherrschende Wirtschaftssektoren (wie Hauswirtschaft, Bergbau oder Plantagen), Institutionalisierung und Verrechtlichung erfahren hat in Form von sogenannten »hegemonischen Sklavereien«, aber nicht-institutionalisiert oder in anderen Formen der Institutionalisierung in allen Gesellschaften bis heute existiert hat und weiterhin existiert. Sklavereien und unfreie Arbeit treiben eher, wie ein Motor aus menschlichen Körpern, die Dynamiken von Wirtschaft und Reichtum an. Es gibt insofern keine evolutionistische Epoche der »Sklavereigesellschaft«; es gibt nur Gesellschaften mit mehr oder weniger ausgeprägten, mehr oder weniger institutionalisierten Sklavereien. Oder eben mit Sklavereiplateaus, wie ich es in vorliegendem Buch vorschlage. Besagte Plateaus setzen in der Welt- und Globalgeschichte irgendwann einmal ein; sie hören aber nicht auf und existieren auch unterhalb oder neben den jeweils späteren Plateaus (mit Ausnahme des weiter unten behandelten dritten Sklavereiplateaus). Ich bin auch nicht ganz sicher, ob wir nicht besser immer im Plural von Sklavereien sprechen sollten. Bei den Gesellschaften mit stärker ausgeprägten Sklavereien handelt es sich, möglicherweise seit der Bronzezeit, aber einigermaßen sicher seit der Uruk-Zeit im 4. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung, jeweils um staatlich oder imperial organisierte Gesellschaften oder um solche, die sich gegen Expansionen wehren bzw. auf Raub und Menschenjagd spezialisiert sind (räuberische Gesellschaften oder militaristic slaving societies).4 Erst seit dem 14. Jahrhundert verbanden sich Sklavereien, zuerst in Weltregionen, die mehr und mehr als »Westen« bezeichnet wurden, mit Institutionen und Firmen, deren Gesamtheit seit 1900 als »Kapitalismus« bezeichnet wird (siehe das dritte Plateau unten).

Sklaverei ist nur scheinbar tot. Bei näherem Hinsehen wird schnell klar, dass die großen und klar erkennbaren Sklavereien sich zu illegalen, meist kleinen und getarnten Sklavereien gewandelt haben. In diesem Wechsel des Aggregatzustandes der Sklaverei von groß und fest zu eher flüssig und klein sowie oft opportunistisch liegt der Bruch, den ihre formalen Abschaffungen im »Westen« oder auf seinen Druck hin 1792–1970 weltweit langfristig bewirkt haben. Die große Mehrzahl anderer, sagen wir ›kleinerer‹, verdeckter und mobiler Sklavereien, existiert weiter oder entwickelte sich neu. Prozesse der Versklavung und Zwangssysteme haben, vor allem seit dem ambivalenten Prozess von Abolitionen und Abolitionsdiskursen, zwar einen anderen historischen Aggregatzustand angenommen. Alle Sklavereien sind heute, wie bereits gesagt, illegal, aber es gibt mehr Versklavte als je zuvor in der Geschichte (zumindest was die geschätzten, bekannten und absoluten Zahlen betrifft).

Um das Rätsel der sich immer wieder häutenden Schlange Sklaverei zu lösen, will ich zunächst auf der Ebene von Welt- und Globalgeschichte Definitionen von Sklaverei darstellen und analysieren. Danach folgen, in einer sehr weiten historischen Perspektive, die Plateaus oder Stratifikationen von Sklaverei auf diesem Globus. Im Grunde ist dies ein anthropologisch-historischer Versuch, die genannten Aggregatzustände von Sklavereien in chronologische Schichten zu ordnen. Es wäre auch eine räumliche Ordnung von Sklavereitypen möglich, dann würden sich aber zu viele chronologische Sequenzen innerhalb einzelner Räume wiederholen. Die übergreifende räumliche Ordnung ist an Ozeanen und Hemisphären ausgerichtet.

Für mich gibt es eine relativ simple Zäsur zwischen Welt- und Globalgeschichte – ohne dass ich damit sagen will, dass bestimmte Imperien, Staaten, Kulturen oder gar Individuen nicht auch heute noch Weltgeschichte schreiben, dafür sorgt schon die sogenannte New Imperial History (die natürlich von britischen Historikern lanciert worden ist). Die Zäsur ist 1522. In diesem Jahr kehrte eines der Schiffe, mit denen Fernão de Magalhães, spanisch Fernando de Magallanes (dt. Magellan), 1519 aus Sanlucar bei Sevilla aufgebrochen war, nach fast genau drei Jahren im September 1522 nach Spanien zurück. Das Schiff hatte den Erdball umrundet. Damit war der Beweis für die Theorie des Globus erbracht. Im 16. Jahrhundert beginnt Weltgeschichte, die den Globus umfasst – reale Globalgeschichte. Und es entsteht der enge historische Zusammenhang von europäischem Kolonialismus, Massensklavereien, Imperien und Kapitalismus, verbunden und vorangetrieben durch neues Wissen, die Massenproduktion (von Nahrungs- und Genussmitteln wie Zucker, Kakao, Kaffee, Tabak, Drogen, Opium, Farben, Gewürzen, Kautschuk, Trockenfrüchten), Technologien (wie dem Schiffbau und Transport) sowie Transkulturationen. Seit die Spanier 1565 Manila auf Luzón gegründet hatten, waren alle vier großen, bis dahin in Europa bekannten Landmassen (Amerika, Asien, Afrika und Europa) durch Segelschiffe verbunden. Auf all diesen Kontinenten existierten lokale und indigene Formen von Sklaverei. Damit begann die globale Phase der Weltgeschichte, die bis heute anhält. Nur Australien wurde erst durch britische Sträflingstransporte Ende des 18. Jahrhunderts einbezogen. Das sind Fixpunkte der wirklichen Globalisierung, natürlich nicht des ideellen Raumsphären- und Globendenkens (da sei Peter Sloterdijk vor).

Die Weltgeschichte vor und nach dem 16. Jahrhundert sowie die Globalgeschichte seit dem 16. Jahrhundert sind durch Sklavereien geprägt, oft unter dem Dach von Imperien oder räuberischer Regimes bzw. militaristischer Menschenjagdgesellschaften. Meist aber, und das dürfte für viele neu sein, verbirgt sich Sklaverei in der Tiefe der Geschichte in Häusern und Gebäuden, d. h. die sogenannte Haussklaverei konnte und kann auch in Tempeln, Jurten, Hausbooten, Zelten oder Palästen stattfinden.

Was war Sklaverei? Zunächst sollten wir uns darüber klar sein, dass das deutsche Wort ›Sklaverei‹ für eine Institution steht, ein bereits existierendes Gewaltsystem, das in einer Gemeinschaft mit herausragenden Anführern oder einer Gesellschaft mit Staatsstrukturen (sozialen Hierarchien, Herrschaft, Armee, Recht, Bevölkerung, Territorium) durch Rechtsregeln und Gewohnheit der Mitglieder der Gesellschaft abgesichert ist, meist sogar durch Religion. Wenn also nach Sklaverei als Institution gefragt wird, ist die antike Sklaverei im römischen Imperium und Sklaverei in der Tradition des »römischen« Rechts wahrscheinlich die am besten definierbare Sklaverei der Welt- und Globalgeschichte. Auf jeden Fall aber ist sie die am häufigsten in der Geschichtsschreibung dargestellte Sklaverei. Sklaverei als voll entwickeltes soziales System bedeutet aber mehr – sie besteht mindestens aus den sozialen Elementen Versklavte (die absolute Mehrheit), Sklavenhalter, ›Sklavenproduzenten‹ und -jäger sowie Sklavenhändlern und ihren jeweiligen Hilfskräften (Bewacher, Matrosen/Ruderer, Ärzte/Heiler, Köche, Übersetzer, Schreiber/Notare, Priester).

Um diese Elemente in der Breite der Globalgeschichte und der Tiefe der Weltgeschichte zu erforschen und darzustellen, reicht es nicht, die Rechtsregeln und -texte einer Institution in einer gegebenen Gesellschaft und deren geschichtliche Entwicklung und Rezeption anzuschauen. Sklaverei als Institution war und ist ein rechtlich erlaubtes System der Gewalt (coercion/violence), der Nutzung menschlicher Körper als Kapital und der Herrschaft einer Person über den Körper einer anderen Person, meist zum Zweck der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft und/oder ihres Körpers.5 Die sehr lakonische Kurzform einer Definition des Verhältnisses von Gewalt und Kontrolle menschlicher Körper stammt von Peter Kolchin: »Born in violence, slavery survived by the lash«6. Das erfasst nachgerade paradigmatisch auch das Ubiquitäre und Alltägliche von Gewalt. »Ubiquitär« bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Sklaverei und Gewalt immer und überall anzutreffen waren und auch heute noch zusammengehören.

Ich spreche lieber von Sklavereien, weil eine Sklaverei immer das innere Bild eben dieser gerade skizzierten »römischen« Sklaverei evoziert. Um die sprachliche Konstruktion von etwas Festgefügtem und Unveränderlichen zu vermeiden, bezeichne ich mit Joseph Miller »slaving als historischen Prozess«7. Im Kern geht es um die Verfügbarkeit der Körper von Menschen oder von Teilen der Körper von Menschen. Diskursiv umhüllt und repräsentiert waren diese verfügbaren Körper in der meisten Zeit, indem man ihnen niedrigste Ränge der jeweiligen Gesellschaft oder Gruppe (Verwandtengemeinschaft) zusprach oder sie sogar ganz ausschloss (Orlando Patterson nennt das social death).8 Das ist für die bisherigen, eher rechts- oder wirtschaftshistorisch ausgelegten Geschichten der Sklaverei eine völlig neue Herangehensweise an Sklavereipraktiken.

Sklavereien und, mehr noch, slaving als Strategie hat es in der Welt- und Globalgeschichte bei allen Clans, Völkern, Stämmen und Gruppen gegeben, vor allem um und in Feuer- und Wohnstätten, Siedlungen, Häusern, Tempeln sowie Palästen. Die frühen Sklavereien existierten lokal und weltgeschichtlich zugleich in dem Sinne, dass es sie überall in der Welt gegeben hat, sie aber nur in ihren lokalen Sinnzusammenhängen zu verstehen sind und keine Verbindungen miteinander aufwiesen, also beispielsweise kein Sklavenaustausch stattfand. Bis zu den großen Wissensrevolutionen der Neuzeit, die mit dem Beweis der Globalität zusammenhingen, waren Sklavereien selten global in dem Sinne, dass Versklaver oder gar Versklavte gewusst hätten, dass sie auf dem Erdglobus operieren; oder dass es übergreifenden Sklaventransport und -austauschstrukturen gegeben hätte. Lokale Gruppen fanden es die meiste Zeit der Weltgeschichte auch völlig legitim, Mitglieder anderer Gruppen (›Fremde‹) zu töten oder zu versklaven.

Die extrem lokale Fokussierung erweiterte sich – mit Vorläufern in anderen expansiven Imperien (wie Assyrien, Rom oder China) – vor allem seit der arabisch-berberischen Expansion, der mongolischen Expansion im 13. Jahrhundert und seit der europäischen Atlantikexpansion im 15. und 16. Jahrhundert. Die im 16. Jahrhundert einsetzenden Transporte von Massen Versklavter auf iberischen Schiffen über den Atlantik von Afrika nach Amerika haben sogar entscheidend zur Erkenntnis dieser Globalität beigetragen: Die erste Süd-Süd-Globalisierung, wenn ich das in modernen Begriffen ausdrücke, fand zwischen Afrika (sowie bald auch Asien über Manila und Macau) und Amerika statt.

Als Hypothese datiere ich die Anfänge von lokalen, aber weltweiten Sklavereien wegen ihrer Bedeutung für Arbeiten, Dienstleistungen, Viehhüten und Vorratshaltung auf die Anfänge der Landwirtschaft. Diese begann vor rund 10 000 bis 3000 Jahren in voneinander unabhängigen Gebieten – im Vorderen Orient, in der Ost-Sahara, in China, im Industal, in Neu-Guinea, Peru und Mittelamerika. Diese Sklavereien differenzierten sich auch chronologisch und breiteten sich von den Entstehungszentren in unterschiedlichen chronologisch-räumlichen Dynamiken aus (u. a. nach Europa). Es könnte angenommen werden, dass es günstige Gelegenheiten zur Haltung erster ›Sklavinnen ohne Institution‹ schon in der Zeit der Cro-Magnon-Menschen (Jungpaläolithikum), besonders in der Phase des Magdaléniens (um 18 000–10 700 v. Chr.) mit seinen Feuerstätten, Lagerplätzen und ersten Siedlungen gab. Damals taten sich einerseits erfolgreiche Jäger als dominante Persönlichkeiten und sozusagen erste Eliten (volkstümlich große Männer, big men, genannt; später auch Häuptlinge, Priester usw.) hervor. Andererseits waren Brennstoffbeschaffung, Abfallbeseitigung, Verletztenpflege sowie andere »schmutzige« und geringer geachtete Nebenarbeiten zu erledigen (knüpfen, flechten, Seile drehen, Felle schaben – sogenannte »geringe Arbeiten«, d. h., gering geschätzte menial works). Möglicherweise hatten auch Frauen als Heilerinnen und Spezialistinnen für Beobachtung und Übersinnliches eine besondere Stellung, sodass neue Mitglieder von Gruppen (meist Frauen und Waisen) entweder unter deren Kontrolle oder die von »großen Männern« kamen. Eventuell existierte eine eher opportunistische Art der Sklaverei schon in den präneolithischen Opferritualen, die es 400 Generationen lang geben sollte. Auf jeden Fall sollten Opfersklaverei und Menschenopfer sowie Anthropophagie und Rituale mit lebenden oder toten Körpern bedacht werden, wenn es um die Entstehung von ›Zivilisation‹ (Ackerbau; städtische Siedlungen), Religion, Landbesitz, Kontrolle von Sexualität, Herkunftsbewusstsein sowie die Legitimierung von Eigentum (Ahnen) und die Herrschaft von Priestern ging.

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