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Globalhistorische Sklavereiplateaus
»Forscher schrecken zurück vor den hässlichen Implikationen, die das Wort ›Sklave‹ für gewöhnlich mit sich bringt«.46
Erstes Sklavereiplateau ohne Menschenhandel (Beginn etwa 20 000 / 8000 v. Chr.)
Slaving ist eine mächtige Triebfeder der Geschichte. Sklavereien haben die Weltgeschichte von Anfang an nicht nur begleitet, sondern waren oft – wie Gewalt (als ordnende Kraft und als Grausamkeit oder Zwang), wie Krieg und Gier nach Ruhm, Erfolg oder auch Jagderfolg, Profite, Macht und Reichtum – eine Art Motor hinter dynamischen Entwicklungen. Die Frage, wo Sklaven und Sklavinnen oder Sklavereien Spuren und Quellen in der Menschheitserinnerung und Tradition hinterlassen haben, soll im Folgenden nur punktuell, anhand von drei Aspekten, thematisiert werden, obwohl sie für die Globalgeschichte heute ausgesprochen wichtig ist.
1. Die meiste Zeit seit etwa 20 000 v. Chr. gab es opportunistische Versklavungen, vor allem von Frauen, Kindern und Fremden.
2. Wo ist die Erinnerung der versklavten Menschen selbst, und wo ist die Erinnerung an sie geblieben? Die meisten Versklavten sind ihr gesamtes Leben in der Sklaverei verblieben und, bildlich gesprochen, in Ketten gestorben (oder durch Selbsttötung, meist durch Erhängen). Das ist keine heroische Perspektive für die Memoria, aber eine realistische. Ihre Körper wurden, mit Ausnahme vielleicht des frühen Christentums, in Armen-, Massengräbern oder Sonderbegräbnissen verscharrt und möglicherweise gar nicht begraben; von ihnen ist nichts oder nur sehr wenig geblieben. Erinnerungen gibt es, Geschichte keine.
3. Wo sind die Gewinne geblieben, die Sklavenhalter aus der Sklaverei und sehr oft direkt aus den Körpern Versklavter gezogen haben? Bei (potenziell) nachweisbaren Spuren oder Quellen handelte es sich in neueren Zeiten vor allem um Vermögen sowie religiöse Anlagen, Festungen und Mauern, Kirchen, Paläste, repräsentative Gebäude, Agrarland, Industrieanlagen, Hafenplätze und -städte, ja das Gepräge ganzer Großstädte. In Europa ist diese Frage zwar im Detail schwierig, aber mit dem Verweis auf die Kapitalakkumulation sowie Profite und Reichtum von Institutionen und Personen noch vergleichsweise einfach zu beantworten. Strukturgeschichtlich gesehen legte Sklaverei die Basis für den Industriekapitalismus und die Konsumgesellschaft sowie prozessual für die Dynamik des atlantischen Kapitalismus. Darauf ist noch ausführlich zurückzukommen.
Wenn wir uns von der gängigen Vorstellung lösen, Sklaverei und Sklaven habe es vor allem in der europäischen Antike (Griechenland und Rom) sowie im Süden der USA vor dem Bürgerkrieg gegeben (diese beiden Sklavereien sind auch die welthistorisch Einzigen, in denen Sklaverei die scharfe Antinomie von »Freiheit« war), können wir Sklaverei historisieren. Es gab Sklavereien als extreme Abhängigkeit und extreme Form der Verfügung über Körper von Menschen überall auf unserem Globus, wo Menschen siedelten, und in einem Zeitraum, der Prähistorikern und Geologen kurz erscheinen mag (10 000–20 000 Jahre), nach der Faustformel »je älter, desto lokaler«. Gerade diese ältesten »kleinen« Sklavereiformen existieren heute noch bzw. verbreiten sich sogar wieder.
Unter Historikern und Archäologen ist umstritten, wann das weltgeschichtliche Phänomen der Versklavung (slaving) seinen Anfang nahm: Joseph Miller ist der Meinung, dass erste Sklavereien schon vor rund 20 000 Jahren (Jungpaläolithikum, speziell Magdalénien) einsetzten, mit ersten individuellen, segmentären und regionalen Differenzierungen. Ich nehme mit Detlev Gronenborn an, dass nicht-institutionalisierte und mehr oder weniger opportunistische Versklavungen mit der Neolithisierung und erste institutionalisierte Sklavereien mit dem Übergang zur Sesshaftigkeit, Landwirtschaft, Vorratswirtschaft und frühen befestigten Siedlungen sowie der Herausbildung von Viehhaltungswirtschaften einsetzten (in Vorderasien 10.–6. Jahrtausend v. Chr.; in vielen anderen Gebieten später bzw. bis in historische Zeiten reichend).47
Das erste Sklavereiplateau in der Globalgeschichte ist das der Sklavinnen ohne Institutionalisierung. Vor allem Frauen, Mädchen und Kinder (Waisen, ausgesetzte, geraubte oder vertauschte Kinder) sowie Fremde wurden versklavt, ohne dass es erkennbare Regeln oder Institutionen gegeben hätte – mit Ausnahme eines niederen Status und der Tendenz zur Integration in Gemeinschaften. Die soziale Position einer Sklavin in diesem Plateau hing mit der Gewährung von Schutz oder der Aufnahme in eine neue Gruppe (Herdfeuerlager, Siedlungsgemeinschaft, Verwandtengruppe) zusammen. Die Neuankömmlinge mussten, sozusagen als legitime Gegenleistung, meist die unangenehmsten Arbeiten machen bzw. den Gruppenchefs zu Diensten sein – vor allem mit ihren Körpern und möglicherweise auch schon durch eine zeitlich ziemlich unbegrenzte Arbeitsleistung. Einige wurden eventuell auch geopfert, d. h. man nahm ihnen das Leben.
Dies sind in den meisten Fällen logisch extrapolierte Hypothesen, die sich archäologisch-historisch höchstens an bestimmten Formen von Sklaverei in rituellen Ökonomien (Opfer, Totenfolge, Kannibalismus) oder an (Massen-)Gräbern ohne Beigaben nachweisen lassen, das heißt an – im archäologischen Sinne – ›anonymen‹ Gräbern. Die Namen der Begrabenen wissen wir in frühhistorischen Zeiten ohnehin nicht, aber diese Begrabenen können heute nicht einmal mit Rangbezeichnungen à la »Fürst von …« benannt werden.48 Es kann aber auch sein, dass schon ein Begräbnis an sich ein Zeichen für sozialen Status ist und dass Versklavte dieses Plateaus überhaupt nicht rituell bestattet wurden.
Mit dem Übergang zur Sesshaftigkeit stellten sich für die Siedler, die Landwirtschaft, Gartenbau, Vorratswirtschaft mit Keramik und Textilproduktion sowie Viehhaltung betrieben, neue Grundprobleme: Der Anspruch auf ein Territorium musste definiert und die Gruppe, die ihn erhob, als solche gestärkt werden, was zumeist in Riten geschah.49 In solchen Riten sind drei Formen von frühem Sklavenstatus denkbar, ohne dass diese schon institutionalisiert gewesen sein müssen: erstens Menschen, die unter Gewalt oder mit Betäubungsmitteln zu Opfern (Opfersklaverei) gemacht wurden, und zweitens der Ausschluss Fremder aus der auch genealogisch bestimmten Gemeinschaft.50 Drittens nahm man Fremde zur Stärkung von Gemeinschaften auf, die zunächst einen extrem niedrigen Status hatten und gewisse Riten durchmachen mussten (die manchmal auch Torturen bis hin zum Tod beinhalteten). Sowohl der Ausschluss bzw. die Verstoßung (Weggabe, z. B. von Kindern) aus der Gruppe, dem Haus, dem Clan oder der engeren Verwandtschaft als auch die Aufnahme von Fremden in einem niederen Status sind in weiten Teilen der Welt der eigentliche Ursprung von Sklavereien gewesen. Inwieweit die Beschaffung von Opfern, vor allem von Kindern und jungen Frauen, für die Riten zu frühen Konflikten und Razzien führte, bleibt offen. Hierarchien und Konflikte/Kriege in und zwischen frühgeschichtlichen Gemeinschaften wird man aber voraussetzen können.
Ein anderes denkbares Szenario sind Hierarchisierungen innerhalb von und zwischen Häusern oder Haushalten der eigenen Gruppe innerhalb einer Siedlung, die möglicherweise die Traditionen von Menschen, die jagten und sammelten oder Vieh hielten, mit denen von Bodenbauern vereinigten.51 All das ist nur extrem punktuell nachweisbar und keinesfalls als chronologisch und räumlich klarer Beginn bekannter politischer Formen (wie Staaten) oder evolutiver Sozialgroßformationen (wie ›Sklavereigesellschaften‹) zu verstehen. Sklavereien und unfreie Arbeiten treiben eher die Dynamik von Hierarchisierungen voran. Ein drittes allgemeines Szenario der Entstehung informeller Sklaverei, auch von Kindern oder sogar schon jungen Männern, könnten schwerste Routinearbeiten in Bergwerken oder in der Metallurgie überhaupt sein. Auch als Hirten könnten versklavte Männer in früheren Zeiten eingesetzt worden sein – siehe die Odyssee und Herodots Beschreibung der Skythen.52 Oft arbeitete man damals wohl auch schon mit Verstümmelungen (Blendung; Durchtrennen der Sehnen eines Fußes). Generell waren vermutlich »Sklaven in einer einfachen Subsistenzwirtschaft eine Belastung«.53 Am einfachsten war es noch, Frauen und Kinder zu versklaven, die dann eine Vielfalt von Arbeiten und Dienstleistungen bei schlechter Ernährung übernehmen mussten.
Erste Nachweise bestimmter Statusunterschiede hängen möglicherweise mit der Entwicklung sesshafter Wirtschafts- und Lebensweisen in »spätneolithischen Dörfern«54 (Johannes Müller) zusammen. Die Organisation der Arbeit größerer Gruppen von etwa 200 bis 300 Individuen durch Eliten für Jagd, Rituale, Bewässerungen oder Bauarbeiten dürfte innerhalb von nichtstaatlichen Gesellschaften mit relativ geringen oder punktuellen Hierarchien möglich gewesen sein. Das unterscheidet sich deutlich von bestimmten gigantischen Arbeitsleistungen (Pyramidenbau, Bau der Großen Mauer, der kaiserlichen Grabpaläste sowie der Kanäle in China), die auch Formen kollektiver Sklaverei in frühen Staatsgebilden voraussetzen. Diese Formen scheinen sich weniger aus den Dorfgemeinschaften (deren Funktionieren für die landwirtschaftliche Produktion unbedingt notwendig war) als aus dem Rechtssystem und/oder aus kriegerischen Gewalthandlungen herausgebildet zu haben. Sklaven-»Handel«, der zur entwickelten Sklaverei gehört wie ein Zwilling, existierte möglicherweise schon in den opportunistischen ersten Sklavereien (als Tausch), aber als eine Art Elitentausch setzte er nachweisbar zunächst mit Razzien- und Expansionskriegen, der Vergabe von Kriegsgefangenen an Eliten sowie dem Gabenaustausch zwischen Herrschern ein (im 2. Jahrtausend v. Chr.).
Dieses erste Plateau der Sklavinnen ohne Institution dürfte das älteste und am weitesten verbreitete in der Geschichte sein. Vom hypothetisch-opportunistischen Beginn der Sklavereien bis mindestens zur Bildung erster Dominanzformen unter Häuptlingen, Priestern, Eliten und von Territorien bestimmter Siedlungen mit Kontrolle über das Land war es wohl das vorrangige Plateau von Sklaverei. Dieses Plateau war das einzige mindestens bis zum mittleren Neolithikum und der Metall-/Bronzezeit (um 3000–800 v. Chr.); in Mitteleuropa wohl bis zur sogenannten Michelsberger Kultur. Und es ist trotz der scheinbaren Simplizität eine doch recht komplizierte und vor allem sehr lange Geschichte, in der sich entehrende Arbeiten (Unrat, Blut, Dreck, Abfall, schwerste Routinearbeiten), körperliche Dienste, Patriarchalismus, erzwungener Sex (sexualisierte Gewalt), aber auch die Annahme elternloser Kinder, Konkubinat und andere den Fremdenstatus abschwächende Sozialrituale ausbildeten.55 Wichtig für dieses alle Sklavereien begründende Plateau ist, dass es Sklaven »ohne Sklaverei«, vor allem Sklavinnen und Kindersklaven, bis heute gegeben hat und gibt.
Ein fast schlagendes Beispiel von Sklavenstatus »ohne Sklaverei« am Beginn der Neuzeit ist die Indigene aus dem Volk der Tocobaga im heutigen Florida (bei Tampa), der die Spanier den Namen Madalena gegeben hatten. Sie war 1539 bei einem Razzienüberfall der Expedition Hernando de Sotos durch La Florida (damit bezeichneten die Spanier im 16. Jahrhundert das ganze Nordamerika außerhalb Neu-Spanien-Mexikos) gefangen genommen worden (Razziensklaverei). Sie wurde von De Soto in den Haushalt seiner Ehefrau Inés (Isabel) de Bobadilla nach Havanna verschleppt. De Soto kam gegen 1542 am Mississippi um. Seine Witwe nahm Madalena mit nach Sevilla. Als Inés de Bobadilla dort 1546 gestorben war, kehrte Madalena nach Havanna zurück und half als lengua (Übersetzerin) dem Dominikanermönch Luis Cáncer (ein enger Vertrauter von Bartolomé de las Casas) bei der Vorbereitung einer Expedition zur heutigen Tampa Bay. Die Dominikaner versuchten dort eine Missionsstation zu etablieren (entrada). Nach schweren Konflikten mit Tocobaga-Kriegern, die Cáncer töteten, verschwand Madalena 1549 aus den schriftlichen Quellen (wie fast alle Sklavinnen »ohne Sklaverei« in der Weltgeschichte). Das Spannende in Bezug auf diesen Sklavenstatus illustriert eine kleine Notiz in einem Artikel zur life history von Madalena: »Madalena wird nie formal Sklavin genannt, aber ihre Entführung, ihre Verschleppung und Arbeit erzeugten die Sklaverei, in Taten statt Worten«.56 Es gab auch in Europa zwischen 1400 und 1900 etwa zwei Millionen Sklaven, obwohl viele europäische Staaten in ihren Rechtsordnungen »Sklaverei« nicht definierten oder, vor allem seit dem 18. Jahrhundert, Sklaven auf ihrem Territorium verboten (free-soil-Prinzip). Die meisten dieser Versklavten in West- und Mitteleuropa waren Nichteuropäer und Nichtchristen, oft Gefangene der Türkenkriege, Kinder aus Afrika oder anderen Kolonialgebieten, Opfer der Seeräuber- und Korsarenplünderfahrten im Mittelmeer sowie zunehmend Statussklavinnen und -sklaven aus der Karibik, die ihre Herren oder Herrinnen mit nach Europa genommen hatten. Auch hielt man sich geschenkte Kinder oder junge Frauen oder sogenannte »Hofmohren« – eine Mode unter europäischen Eliten der Aufklärungszeit.57 Hermann von Pückler-Muskau kaufte 1837 auf dem Sklavenmarkt von Kairo eine Oromo-Sklavin namens Machbuba (etwa 1823–1840) als Mätresse.
Zweites Sklavereiplateau (Beginn etwa 3. Jahrtausend v. Chr.)
Das zweite Sklavereiplateau umfasst zunächst ›kleine‹ Sklavereien im Rahmen von Verwandtschafts- und Siedlungsgruppen, meist in Verbindung mit einem Gebäude oder einer Behausungsart. In den meisten Sprachen wird eine solche Unterkunft als »Haus«58 bezeichnet, aber auch als Zelt, Jurte, Hausboot, Halle, Palast, Tempel; hinzu kommen die jeweiligen Anlagen wie z. B. Tempel, Palastanlage oder Herrscherhaus, d. h., architektonisch-soziale Grundeinheiten (Behausung). Abgeleitet vom englischen Begriff kin (Verwandtschaft) wird diese Haussklaverei auch Kin-Sklaverei genannt. In ihr ist die lokale oder regionale Geltung eines »Hausrechts« entscheidend, das es einer Verwandtschaftsgruppe erlaubt, Haushaltsmitglieder zu kontrollieren und Statusniedrige als Sklaven zu »halten«. Solche Haushalte konnten bisweilen eine beträchtliche Größe haben und auch eine gewisse Anzahl an Sklaven, vor allem in Tempelgebäuden, in denen noch die symbolisch-ideelle Gewalt eines Gottes oder mehrerer Götter und vor allem die reale Gewalt von Priestern sowie religiösem Personal (Wächter, Aufseher, Verwalter, Schreiber) hinzukam.
Dieses Plateau der Kin-Sklaverei formierte sich wahrscheinlich seit der Metallzeit, speziell seit der Bronzezeit (die in den Amerikas eher eine Kupferzeit war) in festen Siedlungen zur Steigerung der Nahrungsmittelproduktion, in der Landwirtschaft, der Viehhaltung, der Metallgewinnung und in Religion und Wissensvermittlung. Zum letzteren Sektor gehören Ahnenkult sowie Kenntnisse über Wetter, Medizin, Drogen, Ressourcen und Technologien sowie Elitefeste, Reisen/Kriegszüge. Dazu kamen die allgemeine Zunahme kriegerischer Konflikte mit der Herausbildung strukturierterer Territorialkontrolle (meist als chiefdoms oder Spanisch señoríos bezeichnet) und die Erfindung neuer Waffen. Nun bildeten sich Kriegereliten heraus, die andere Menschen gefangen nahmen, zumal sie an der Steigerung ihres Status durch viele Anhänger und Abhängige interessiert waren. Detlev Gronenborn sagt zu solchen Gemeinschaften: »in dem Maße, wie die Komplexität der Gesellschaft und die Intensität der Sklaverei zunimmt [, nimmt auch] die Bereitschaft der Gesellschaft für Adoption/Integration ab«59. Kristian Kristiansen hat diesen Übergang als evolutionären Sprung hin zu fest institutionalisierten sozialen Differenzierungen beschrieben.60
Nun verkompliziert sich die Geschichte der Sklaverei, vor allem, weil viele regional unterschiedliche Sklavereiformen dieses zweite Plateau bilden und weil organisierte Razzien sowie der Kriegsgefangenen- und Sklaventausch bzw. -handel einsetzten. Zunächst wurden Menschen oft von big men oder aristokratischen Eliten als »Gaben« an andere Eliten, etwa von Herrscher zu Herrscher, weitergereicht.
Die Grundstrukturen dieses Plateaus wurden gebildet durch Formen »innerer« Sklaverei von (weiterhin überwiegend) Frauen, Mädchen und Kindern mit vielfältigen niederen Aufgaben. Es kommen nun aber auch zum Teil massiv verschuldete Männer hinzu. Neu ist eine zunehmend ›äußere‹ Sklaverei von kriegsgefangenen Männern, die zunächst meist als Hirten oder zu schweren Routinearbeiten eingesetzt wurden oder in Kriegertrupps in niederen Rängen sowie als Träger arbeiteten. Die Versklavung von Männern, die vorher Krieger oder Soldaten waren, ist gefährlich – auch deshalb genossen Männersklaven anfangs oft die relative Autonomie von Hirtensklaven oder waren Teil einer speziellen Festökonomie reicher Eliten.61 Normalerweise verbinden wir Versklavte eher weniger mit Festen, aber Daphne Nash Briggs hat eine gute Erklärung:
»Feste zeichneten sich in dieser Zeit [8. Jahrhundert v. Chr. – M. Z.] durch Elitenbeziehungen aus und verdienen hier Aufmerksamkeit sowohl wegen ihres fundamentalen Anteils an der Schaffung und Akkumulation von Reichtum als auch wegen der notwendigen Rolle, die die Sklaven bei ihrer Abhaltung spielen. In bevölkerungsreichen Gesellschaften, die immer noch sehr nah am Rand der Subsistenz standen und immer von unvorhersehbarer Hungersnot bedroht waren, speiste sich das Vermögen der Eigentümer selbstverständlich aus den Produkten ihres eigenen Landes und ihres Viehbestandes, deren Überschuss es ihnen erlaubte, sich die mehr oder weniger freiwilligen Dienstleistungen von weniger begünstigten Menschen im Gegenzug für eine gute Mahlzeit zu sichern«.62
Es handelt sich um die Universalie der ›freiwilligen‹ Selbstversklavung aus Angst vor dem Hungertod oder um den Wunsch, zu einem Elitenhaushalt dazuzugehören.
In diesem Plateau kam es aber nicht nur zu Festen, sondern zu deutlich mehr Gewalt in Form bewaffneter Konflikte, Überfälle und regelrechter Kriege – im Grunde setzt unsere Überlieferung von Kriegen und Fernreisen (Netzwerken von Fernbeziehungen63) hier ein. Archäologisch nachweisen lässt sich der Status von Menschen möglicherweise in sogenannten »Sonderbestattungen«.64 Damit entwickelten sich schließlich auch Sonderformen wie die kollektive Sklaverei besiegter Menschen eines bestimmten Territoriums, Opfersklaverei (die eventuell schon ebenso alt oder älter ist als das erste Plateau, aber jetzt öfter zur Machtdemonstration eingesetzt wird), Razziensklaverei professioneller Kriegertrupps, in die die besiegten und versklavten Krieger oft mit ganz niedrigem Status eingegliedert wurden, und verschiedene Arten von Elitesklaverei (Schwurkriegerverbände, die dem Anführer bis in den Tod treu sein sollen; versklavte Amtsexekutoren, Gruppen von jungen Frauen, die den herrschenden Anführern als Konkubinen dienen müssen; Tempelsklaverei).65
Die meisten dieser kollektiven Sklavereien haben eines gemeinsam – ihr Ort ist das Privathaus. Der Status der Versklavten wurde meist am Verwandtschaftsrang gemessen. ›Innere‹ Sklavinnen haben eine schwache oder arme Verwandtschaft, die sie nicht mehr schützen kann oder sie aktiv weggegeben, verschenkt oder verkauft hat; ›äußere‹ Sklaven hatten gar keine Verwandtschaft innerhalb der versklavenden Gruppe und wurden symbolisch auch ihrer Ahnen und ihrer Genealogie beraubt.66 Damit und im Zusammenhang mit Niederlagen, die oft nachträglich für gottgewollt erklärt wurden, entwickelten sich zwei Verfahren, die bis zum formellen Ende der Sklavereien die Geschichte der Sklaverei geprägt haben: die sich nun verfestigende innere und eine äußere Statusdegradierung. Menschen, die meist nach Kriegsniederlagen oder Razzien als Versklavte in eine Gruppe kommen, haben weder Ehre noch Rechte. Orlando Patterson hat diesen Status social death genannt, und er hatte damit, trotz der vielen Kritik, die ihm dieser Begriff eingebracht hat, nicht ganz Unrecht. Oft reichte in der Versklaver- und Sklavenhaltergruppe schon die Erwähnung eines eroberten Territoriums oder einer besiegten Gruppe, aus denen öfter Versklavte kamen, um diesen sozialen Tod zu verdeutlichen (der sich häufig auch individuell in den Namen Versklavter ausdrückte, wie Simos/Simon aus der Gruppe der Skythen in Griechenland, Trax usw.).
Unter den Karibenvölkern des nördlichen Südamerika hießen solche Gruppen macu bzw. poito. Viele indigene Völker, die nicht zu den Kariben gehören, haben dort noch heute macu oder maku in ihrem Namen. Poito bezeichnete zudem eine Art Schwiegersohn, denn die Familien der Sieger hatten das Recht, unter den Besiegten einen Mann auszusuchen als Ersatz für den eigenen gefallenen Krieger. Das bedeutet, sie konnten den Status des Gefangenen (durch Rituale) ändern. Auch das ist Kin-Sklaverei. Das extrem pejorative Wort awahkân wiederum bezeichnete bei Sprechern des westlichen Algonquian in Nordamerika wie den Ottawas, Ojibwas und Crees sowohl Kriegsgefangene als auch »Tiere, die gefangen gehalten werden«.
Ich halte Bezeichnungen von bzw. für Sklavereien in ihrer Verwendung von Zeitgenossen für die Zwangsinstitution und die Menschen in Sklavereien für relativ langlebige historische Phänomene. Auch wenn sich der generelle Name eventuell leicht änderte wie bei servus-serf, war er oft langlebiger als Rechtstexte. Ob das Ausgangswort in den mittelalterlichen arabisch-islamischen und christlichen Gesellschaften – sakaliba (bzw. siklab/sklábos) –, das zu »unserem« Wort für Sklave, aber auch zur ethnischen Bezeichnung Slawe mutierte, eine Gruppe versklavbarer Menschen oder ein Territorium, auf dem Versklavbare lebten, bezeichnete, ist allerdings nicht ganz klar. Jedenfalls wurden Menschen aus dem Raum slawischer Ethnogenese seit dem 6. Jahrhundert durch frühe Albaner (Bessen), Wolgabulgaren, Araber, Chasaren, Rus, Sachsen, Wikinger, Kumanen, Ungarn und andere Razzienkrieger massiv versklavt (und umgedreht). Daraus entwickelte sich im Zuge der äußeren Statusdegradierung in den versklavenden Gemeinschaften der Brauch, Versklavte mit dem Wort für Menschen aus der Region der Slawen (ein paar Sachsen, Franken, Germanen oder Krieger anderer Gruppen werden auch unter den Sakaliba gewesen sein) zu bezeichnen: eben als sakaliba-sklábos-slawe-slave. Vor dem 9. und 10. Jahrhundert, der Zeit des fränkischen Karolinger-Reiches und der beiden frühmittelalterlichen Supermächte Byzanz und Abbasiden-Kalifat, gab es das Wort »Sklave« schlicht noch nicht. Im lateinischen Europa wurden meist die »römischen Namen« für Sklaven – famulus, servus (männlich) oder ancilla (weiblich) verwendet;67 in Byzanz meist griechische allgemeine Worte für Sklaven: andrapodon (Sklave im Allgemeinen, versklavter Gefangener), doulos/doulē (Sklave im Allgemeinen, Untertan, Beherrschter), therapaina (Sklavin, Dienerin), oiketēs/oiketis (Sklave des Hauses oder der Familie), oiketikon prosōpon / oiketikon sōma (Körper oder Gesichter von Sklaven, oft im Plural gebraucht), paidiskē/paidiskos (kleines Mädchen / kleiner Junge), pais (Kind, Junge, Sklave, Diener), psukharion (Seele, Sklave).68
Stark vereinfacht gesagt, gab es in Byzanz und im Kalifat, das seit dem 8. Jahrhundert auch weite Teile der iberischen Halbinseln beherrschte, große Nachfrage nach Versklavten, darunter auch Sklavensoldaten, Haremssklavinnen und Eunuchen, aber auch vielen einfachen Arbeitssklaven. Kleinkönigtümer und entstehende christliche Monarchien in Mittel- und Westeuropa waren, ebenfalls vereinfacht gesagt, die großen ›Sklavenproduzenten‹ und Beherrscher der Transportwege, die die Territorien feindlicher Stämme und Völker als slaving-zones69 und Expansionsziele betrachteten und behandelten. Sie agierten auch als Lieferanten (im Einzelnen brachten sie in christliche Monarchien des frühen Europas oft Menschen jüdischen Glaubens). Die meisten Versklavten für die arabisch-islamischen Käufer kamen aus Gebieten östlich der Elbe und des nördlichen Balkans, aber auch von den Ostseeküsten, von den Küsten des Schwarzen Meeres und aus dem nördlichen Osteuropa (einschließlich der Finnen).70 Aus diesen Territorien, in denen zugleich die Ethnogenese einer bestimmten menschlichen Gemeinschaft stattfand, deren Mitglieder, wie gesagt, später Slawen genannt worden sind, kamen Geraubte, Kriegsgefangene und Versklavte, deren Phänotyp sich mit blond und blauäugig verallgemeinern lässt. Sie wurden in den arabisch-islamischen Hauptnachfragegebieten sowohl in Westasien als auch in Spanien und Nordafrika seit dem 9. und 10. Jahrhundert als sakāliba oder saqāliba bezeichnet. In Byzanz, aber auch in Italien hießen sie sklábos, Σκλάβος oder eben sclavus. Auch Bezeichnungen wie sclavam a[n]cillam71 kamen im 13. Jahrhundert vor, eigentlich eine Dopplung. Beide Worte bedeuten das Gleiche, nur bezeichnet ancilla die weibliche Form des römischen Sklaven. Matthias Hardt hingegen argumentiert, »Sklawenen« sei die gentile Eigenbezeichnung der Westslawen. Sie wurde eventuell (füge ich hinzu) an den expansiven Osträndern des Karolinger-/Ottonen-Imperiums übernommen, um verschleppte Kriegsgefangene und Plünderungsopfer aus Gebieten zu benennen, die nicht zum Reich gehörten oder in Grenzgebieten lagen.72
Dass aus dem Namen einer Gemeinschaft, die sich in Ethnogenese befindet, ein allgemeiner Name für Versklavte wurde, ist nicht nur aus Europa und Westasien bekannt. Viele Völker der Prärien Nordamerikas, die Kontakte mit europäischen Kolonialherren hatten, nannten ihre Sklaven panis – ein Wort, dem die Bezeichnung der pawnee zugrunde liegt, die als ein im Innern des Kontinents (vor allem im heutigen Nebraska und Kansas) lebendes Volk oft von Apachen-, Comanchen-, Osage-, Irokesen- oder Sioux-Kriegern versklavt wurden (und umgekehrt). Panis gelangten als pananas bis nach Mexiko und in die Karibik.73
Fest steht, dass der ›neue Name‹ für Versklavte in Mittel- und Westeuropa sowie im Kalifat aus der Konfrontation zwischen arabischen, slawischen und lateinischen Gebieten des späteren Europa stammt. Seit etwa 800 kamen auch Wikinger auf Eroberungszügen und Nordmänner dazu, die wieder eigene Namen für Sklaven mitbrachten. Im Altenglischen zur Zeit der Auseinandersetzungen zwischen Dänen und Norwegern (Normannen/Wikingern) einerseits und Sachsen andererseits hießen Sklaven theow, æht oder thræll.74 In Nordeuropa, in Schweden, Dänemark und Norwegen, wurden Unfreie als thralls oder trælle (Knechte/Sklaven) bezeichnet. Im Dänemark der Wikingerzeit bestand sogar die Mehrheit der Bevölkerung aus thralls oder trælle. Trelleborg (= Sklavenburg) war ein Handelsplatz für Gefangene. Knecht konnte im dänischen Reich jede und jeder werden, schreibt Robert Bohn,
»durch Schuld oder Kauf oder durch Gefangennahme. Für bestimmte Vergehen war die Strafe die Knechtschaft. Auch die Kinder eines in Knechtschaft lebenden Paares wurden Knechte. Die meisten Menschen, die sich in Knechtschaft befanden, hatten einen Status, den man heute eher als Sklaverei bezeichnen würde«.75
In den nordischen Gebieten, vor allem in Dänemark, Schweden, am Nordweg (Norwegen), auf Irland und Island sowie einer Reihe von Inseln des Nordatlantiks, der Nord- und Ostsee sowie an den russischen Flüssen, auf denen die Wikinger bis ins Schwarze Meer und ins Mittelmeer vordrangen, hießen Sklaven trælle, die weibliche Form lautete im Norden ambátt (isländisch: Sklavin; keltisch: ambaxtos – männlicher »Amtmann« / Sklave; lateinisch: ambactus). Das heute für seine frühen Formen der ›Demokratie‹ hochgelobte Island war eine Kolonie männlicher Wikingerkrieger und versklavter, meist keltischer Frauen aus Schottland und Irland. In modernem Finnisch heißt Sklave orja; der gleiche Name für Sklave wird in anderen baltisch-finnischen Sprachen benutzt.76
Wie die ›tausend Namen‹ von Sklavereien zeigen, ist das Plateau der Kin- und Haussklaverei viel breitflächiger als das erste Sklavereiplateau, es blieb aber ein punktuelles oder vielleicht besser fleckengleiches Phänomen. Allerdings hatten sich schon Sklavenhandelsrouten mit Märkten und Häfen etabliert, meist auf das ›Haus‹ konzentriert. Es gab bereits große Wirtschaftssklavereien im Römischen Reich und anderen Reichen, etwa im Südirak um Basra, in Indien oder China. Aber die absolute Mehrheit der Sklavereien waren Haussklavereien, auch wenn sie sich mit Elitesklavereien mischten. Das gilt auch für viele Imperien der Weltgeschichte, etwa die karolingischen, arabisch-islamischen, osmanisch-türkischen oder persischen Imperien, die Mongolenreiche oder das Moghul-Reich.
Asien war eine Sklavereiregion par excellence.77 Vor allem Südostasien war » eine der am stärksten von Sklaverei geprägten Regionen und am ähnlichsten mit Afrika im allgegenwärtigen Einfluss von Sklaverei und Sklavenhandel«.78 All diese Sklavereien waren im Kern auch Kin-Sklavereien. Jeder Kaiser (oder Cäsar, Zar, Sultan, Maharadscha, Khagan, Moghul, Mansa, Sohn des Himmels, tlatoani) war auch Vorsteher einer Familie und eines Haushalts. Versklavte Elitesoldaten wurden bisweilen sogar Sultan (Mamlukenreich, Sultanat von Delhi). In Yuan-, Ming- und Qing-China sowie in der frühen Republik bis 1949 existierten, getarnt als (formal erlaubter) Frauenkauf sowie als (ebenso geduldete) Weggabe und Kauf von Kindern (meist Mädchen), sehr viele Märkte für Kinder, Nebenfrauen und Konkubinen. Im Grunde handelte es sich um hartnäckige Überreste des ersten Sklavereiplateaus im Rahmen der Kin-Sklaverei. Sklaven werden in Chinesisch nubi bzw. nu oder bi genannt; eines der dafür verwendeten Zeichen gleicht dem für Frau (Frau: nu – 奴 und Sklave: nu – 奴). Sklavenmädchen sind binu. Das ist ein sprachliches Indiz für die Vermischung der beiden Sklavereiplateaus in der Realität.
Im weiten und langlebigen russischen Reich durfte man private Sklaven bis 1725 (kholopy oder cholopen), iasyry (Kriegsgefangene, verschleppte Nichtchristen) hingegen auch noch danach halten. Hinzu kam die kollektive Sklaverei von Dorfgemeinschaften als organisierte leibeigene Bauern, daneben vielfältige Razzien-, Frauen- und Kindersklavereien in den Grenz- und Expansionszonen (jenseits der Grenzen Russlands auch von Russen und Russinnen).