Kitabı oku: «Charles Manson - Meine letzten Worte»
Impressum
Die Autorin: Michal Welles
Hannibal Originalausgabe
© 2011 by Hannibal
Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH,
A-6604 Höfen
ISBN 978-3-85445-351-2
Auch als Hardcover erhältlich: ISBN 978-3-85445-344-4
Michal Welles wird exklusiv vertreten durch:
Robert Williams & Glenn Blackman
WBA Entertainment, Inc.
www.wbaentertainment.com
info@wbaentertainment.com
Coverskizze: © Charles Manson
Coverdesign: www.bw-works.com, Wien
Layout und Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com, Innsbruck
Übersetzung: Kirsten Borchardt
Lektorat und Korrektorat: Hollow Skai
Hinweis für den Leser:
Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Es kann jedoch keinerlei Gewähr dafür übernommen werden, dass die Informationen in diesem Buch vollständig, wirksam und zutreffend sind. Der Verlag und der Autor übernehmen weder die Garantie noch die juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für Schäden jeglicher Art, die durch den Gebrauch von in diesem Buch enthaltenen Informationen verursacht werden können. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.
Vorwort von Mark Benecke
Einleitung von Michal Welles
Die Reise – eine Annäherung an Charles Manson
Über mich
Keine Tränen mehr
Erinnerungen an ganz, ganz früher
Vater
Bildstrecke 1
Es war einmal ein Junge
Was hätte sein können
Ich bin’s gewesen
Du machst dir selbst nur etwas vor
Wir sind in der Hölle, das Ende ist nah
Ja, ich weiß, ich weiß, okay, es reicht!
Lachend auf den Tod hoffen
Aufgeben
Lasst mich sterben
Nicht mehr kämpfen
Bildstrecke 2
Die Frauen, die ich liebte
Sex und so
Das Gefängnis Hollywood
Das Hakenkreuz
Gestern ist vorbei
Schon viel zu oft gesagt und getan
Meine Jugend, mein Ich
Nur noch diese letzten Worte
Gedichte
Anhang
I. Der Bundesstaat Kalifornien gegen Charles Manson
II. Briefe an Charles Manson
III. Erinnerungen an Charles Manson
IV. Die Mitwirkenden
Quellenhinweise
Über die Autorin
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Das hier ist ein richtig gutes Buch. Wirklich. Es beginnt mit einer jüdischen Journalistin, die befangen und vernebelt von ihrer vermurksten Jugend in die Arme des charismatischen Zausels Charles Manson stolpert. Er versucht eigentlich nur, zusammen mit seinen wenigen Kumpels und aus dem Knast heraus, tausenden von BriefeschreiberInnen und BesucherInnen das abzuschmeicheln, was von ihnen zu holen ist: Geld, Drogen, Sex und Aufmerksamkeit.
Anders als die harten Fans, die ihr Leben wegwerfen, in die Nähe des Knastes ziehen und dort für den Rest ihres kümmerlichen Daseins Häuptling Manson lauschen, tickt die Journalistin ein wenig anders. Zwar lechzt auch sie nach Verständnis und Zuneigung durch das Monster, ist aber zugleich derart von Zweifeln zerfressen, dass sie rechtzeitig aufpasst. Manson, der schon im christlichen Kinderheim für schwer Erziehbare gelernt hat, wie man andere einschätzt, um sie auszunutzen und zu überleben, erkennt die Schwäche seiner Besucherin gleich beim ersten Treffen. Weil er aber eine respektvolle Zuhörerin gefunden hat, die ihm zudem in ihrer Unsicherheit ähnelt – und auch, weil seine Kräfte merklich schwinden –, schildert er ihr im Laufe der kommenden 20 Jahre sein Dasein so fragmentarisch und wüst, wie es war.
Dabei ist Manson eigentlich bloß der stereotype Hardcore-Knacki: die Sorte, bei der man nie weiß, ob sie gerade lügt und trickst oder aber die Wahrheit sagt, um dadurch besser lügen und tricksen zu können. Mansons Mutter soff, hatte einige Schrauben locker und parkte ihren Jungen – angeblich mit Tränen in den Augen – für immer bei der Großmutter. Von dort aus trat der vernachlässigte Junge seinen einsamen Weg durch eine Welt an, die meist aus Heimen und Gefängnissen bestand. So weit, so typisch.
Dennoch hat Manson ein tückisches Etwas – etwas, das mir erst nach vielen Gerichtsverhandlungen, einer Menge verbeulter Fälle (andere landen bei mir komischerweise nicht) und endlosen Gesprächen mit meiner Frau, die Psychologin ist, aufgefallen ist. Denn der verstrubbelte Irre ist nicht zufällig das in der neueren Geschichte bekannteste Beispiel für etwas eigentlich Widersinniges: einen strahlkräftigen Täter. Serienmörder wie Jürgen Bartsch oder Frank Gust sind dagegen Lichtjahre von Mansons Charisma entfernt, obwohl sie sich viel klarer über ihr Leben geäußert haben.
Zwar ähneln gefühlskalte Täter wie diese beiden Charles Manson in ihrer oft richtigen Kritik an sozialem Unsinn (den sich aber auch jeder Rapper von der Seele schreibt), und auch in ihrer steuernden und auf sich selbst bezogenen Art sind sie ihm gleich. Doch niemand außer Manson erreichte je den Ruf und die Möglichkeit, Ratgeber, Tröster und Leitstern für Schwache und Verbogene zu sein. All das ist Manson, weil er aus seinem eigenen seelischen Hohlweg zwar eine völlig eingeschränkte Sicht auf die Welt hat, dafür aber auch weniger von ihr abgelenkt ist. Er sieht daher klarer, was schief läuft – weil er es selbst erlebt. Er sagt Wahres, weil er so verletzt ist, dass ihn nichts mehr daran hindert, das Fürchterliche wahrzunehmen. Und er bezahlt für alles mit einer entsetzlichen Währung: Gefühlschaos. Wenn er von Liebe schwärmt, dann so, wie es die Journalistin gerne hätte. „Ich begebe mich auf eine Art Liebesreise“, sagt Manson, „um die Frau, die ich liebe und die mir wichtig ist, glücklich zu machen. Nein, damit meine ich jetzt nicht irgendwelche Techniken, was Sex und Stellungen angeht. Es geht mehr darum, die Poesie zu entschlüsseln, die in ihren Körper gemalt wurde und die ganz einzigartig ist. In der Hinsicht habe ich ein ganz besonderes Talent, Frau, ich kann die Geheimnisse einer Frau entschlüsseln und sie dazu bringen, sich selbst zu erkennen.“ Doch damit ist es im Hochsicherheitstrakt des Knastes schnell vorbei. „Wenn ein Mann sich in einen Mann verliebt, wo ist das Problem?“, meint er nun viel pragmatischer. „Hinter dem ganzen romantischen Disneyland-Scheiß und dem Feuerwerk beim Sex muss doch eine tiefere Bedeutung stecken. Hier geht es darum, dass man allein ist, dass man Angst hat, dass man nicht weinen kann, dass niemand kommt, der einen tröstet. Ich hatte eine Menge Jungs, die ich mochte und wollte und rangenommen hab, na und?“ Wer würde diesen Mann nicht gerne in sein Haus und Herz lassen und ihn tröstend in den Arm nehmen? Doch Vorsicht ist geboten, wie einer seiner Knast-Kollegen berichtet: „Charlie ist echt ein großzügiger Typ, wenn man ihn ein bisschen kennt. Ich mag ihn, das muss ich noch einmal ganz deutlich sagen. Und trotzdem, er hätte mich sofort in den Arsch gefickt, wenn ich ihm die Gelegenheit gegeben hatte – was ich allerdings nie tat.“
Eins ist Manson: Am Leben. Und weil so viele das nicht sind, entwickelte er sich zu einem wunderbaren, wenngleich auch ziemlich wunderlichen Guru. Hinzu kommt noch etwas. Egal, wieviel Scheiße ein bei Manson Rat Suchender in seinem Leben schon fressen musste: Manson hatte grundsätzlich mehr davon abgekriegt. Das ist praktisch für die Jünger, denn so hat der Guru mehr gesehen und weniger Mitleid, so wie ein Profi-Bergsteiger, der dem Anfänger die großen Praxis-Tipps gibt, anstatt mit ihm über Fersen zu heulen, die er sich im Wanderschuh aufgescheuert hat.
Ihre seelischen Schmerzen kennen die JüngerInnen ohnehin gut genug. Sie wollen Lösungen. Und die hat Manson: Das Versprechen einer heilen Welt mit gesunden Bäumen, frischem Wasser und jeder Menge Liebe. Natürlich lassen sich diese ultrakonsensuellen Träume eigentlich kaum verkaufen, wenn man selbst ein Ungeheuer ist. Doch Mansons Gefolgsleute brauchen den von ihnen als superstark empfundenen Überbösewicht als Chefideologen, weil sie selber keinen Mumm mehr in den Knochen haben. Der wurde ihnen nämlich irgendwann von irgendwem gründlich aus dem Körper geflucht, geprügelt und gevögelt. Manson weiß das, und seine Kumpels im Knast wissen das auch. Dennoch kann man ihm schlecht vorwerfen, dass er sich aufrichtig nach einer besseren Welt sehnt.
Zudem sind Mansons Wüten und Toben ebenso wie seine endlosen Grimassen, Faxen und Clownerien, seine gruftimäßig-pubertären Gedichte nebst der wollsockigen Vorschläge zur Weltverbesserung samt Enttarnung pädophiler Scheinheiliger im guten Sinne rührend. Auch wenn er sehr leicht erkennbar versucht, aus diesen Zutaten ein jahrzehntelang eingeübtes Rührstück zu brauen, glaubt man ihm dennoch eigentlich alles. Dazu muss man ihn allerdings, auch als Profi, erst einmal ausreden lassen. Denn Manson überschätzt sich nicht, und das macht ihn sympathisch. Er weiß, dass er bloß ein Wurm ist, dem durch einen zeitgeschichtlichen Witz zuerst der Job des Wishmasters und dann der des schwarzen Mannes zugefallen ist. „Dir ist doch klar“, teilt er der mittlerweile zur guten Freundin gewordenen Interviewerin mit, „dass ich bloß ein Penner bin, oder? Ein Penner, der dir mit wenigen Worten vermittelt, dass du okay bist und dass du dich lieben sollst.“ Punktlandung. Vielen Menschen gibt noch nicht einmal der Lebenspartner dieses einfache und wichtige Gefühl. Manson hingegen ist Profi im Persönlichkeitsaufbau anderer. Kein Wunder, dass die Menschen ihn lieben.
Selbstverständlich ist Manson auch ein Zerrbild der Hippie-Zeit, die ihn erst als das ambivalente Phantom erschuf, das er bis heute ist – sogar in einer Weihnachtsfolge der Serie South Park. Denn nur unter denjenigen, die die Welt Ende der 1960er-Jahre für einen kurzen Augenblick ändern wollten, konnte sich Manson angenommen und wohl fühlen. Sie hörten dem seelisch verkochten Irren nicht nur zu, sie sagten ihm auch das, was er heute seinen Schäflein predigt: Nämlich dass er okay sei und sich nur locker machen brauche. Verständlich, dass Manson so bis heute behaupten kann, dass er niemanden zu Morden angestiftet, sondern den Menschen bloß gezeigt habe, was in ihnen steckt. Das ist ihm gelungen. Tataa!
In Wirklichkeit ist diese Aussage eine blöde Rechtfertigung seiner damaligen Rolle als Anstifter und Aufwiegler. So abgebrüht ist Manson allerdings nicht, als dass er sich im Laufe von zwei Jahrzehnten nicht doch in den Interviews verplappert und verraten hätte:
„Mein Verbrechen bestand darin, dass ich [nach dem ersten Mord] nicht sofort die Bullen anrief und die Mädchen festnehmen ließ. Dort, wo ich herkomme, tut man so etwas nicht. Deine Gang ist ein Teil von dir, im Guten wie im Bösen, im Recht oder Unrecht. Ich habe ihnen [den Mitgliedern seiner „Family“] gesagt: Wenn sie es richtig machen wollten, dann würden sie es noch einmal tun müssen, aber richtig professionell.“ Tja. Nicht alles, was logisch ist, ist allerdings auch unterstützenswert. Hier räumt Manson seinen Part als Triebfeder des Ganzen also unumwunden ein. Seine Gefühlskälte macht ihn so stumpf gegen sich selbst, dass er sein Geständnis gar nicht bemerkt.
Und damit komme ich zum Ende. Manson ist der mit Abstand gruseligste Clown, aber auch der traurigste und irrste Straftäter, von dem ich je gelesen habe. Das liegt nicht nur an seinen eigenen Schilderungen, in denen das Wüten und der Wahnsinn seiner Denkgebäude gar nicht richtig zum Vorschein kommen. Viel eindrücklicher bricht das Höllische aus den ebenfalls hier abgedruckten Erinnerungen seines Zellengang-Genossen hervor, die mir wahrscheinlich Alpträume en gros bescheren. Denn wie Manson seine Zelle Woche für Woche in eine dunkle Höhle voller Krempel und Kram verwandelt, wie er sich für seine Haustier-Spinne in den Karzer hineintobt, um dort dann tagelang an der Tür stehen zu bleiben, wie er aus Urin und Getränkepulver Farben mischt, um Skorpione aus alten Unterhosenbändern zu basteln – dagegen ist der Kellergang, in dem Hannibal Lector mit seinen verrückten Mitgefangenen lebt, ein wohltemperiertes Frühstück mit englischer Orangenschalenmarmelade, Drei-Minuten-Ei und frisch aufgebackenem Croissant. Lassen Sie sich überraschen.
Aber jetzt halte ich besser die Schnauze – ich höre mich ja schon an wie ein verdammter Gesellschaftskundelehrer.
Mark Benecke, im März 2011
Mark Benecke arbeitet weltweit als Kriminalbiologe. Zu seinen Klienten zählen neben der Polizei auch Serienmörder, Anwälte und Eltern von Opfern. Im Januar 2011 erschien im Verlag Bastei Lübbe sein Buch „Mordmethoden: Neue spektakuläre Kriminalfälle – erzählt vom bekanntesten Kriminalbiologen der Welt“.
Ende Juli und Anfang August 1969 ereigneten sich in Los Angeles acht der blutigsten Morde, die je in den USA verübt wurden.
Am 31. Juli 1969 wurde die Kriminalpolizei in die Old Topanga Road 946 gerufen. Dort fand sie einen Toten, der mehrere Stichverletzungen aufwies; die Tat war offenbar schon einige Tage her. In unmittelbarer Nähe der Leiche hatte jemand mit dem Blut des Opfers „political piggy“ („politisches Schweinchen“) an die Wand des Schlafzimmers geschrieben. Zudem war die Wand überall mit blutigen Spuren besudelt, die wie Handabdrücke aussahen. Bei dem Opfer handelte es sich um den 32-jährigen Gary Hinman, einen Soziologiestudenten, der sich nebenbei mit Musikunterricht etwas Geld verdiente. Wie später bekannt wurde, besserte er sein Einkommen zusätzlich auf, indem er Meskalin herstellte und verkaufte.
Am Samstag, den 9. August, nahm die Polizei einen weiteren Tatort in Augenschein, und hier bot sich den Beamten ein so grauenhafter Anblick, dass ihnen beinahe übel wurde; es kostete sie größte Überwindung, sich in dem Haus am Cielo Drive genauer umzusehen. Fünf junge Leute waren wie in einem Mordrausch mit zahllosen Messerstichen getötet worden. Es handelte sich um die bekannte Schauspielerin Sharon Tate Polanski sowie ihre Freunde Abigail Folger, Voytek Frykowski, Jay Sebring und Steven Parent. Wie im Hinman-Fall fanden sich auch hier überall blutige Parolen an den Wänden. An der Tür des Hauses prangte das Wort „PIG“ („SCHWEIN“); wie sich später herausstellte, war es mit dem Blut von Sharon Tate geschrieben worden. In den ersten Presseberichten über das entsetzliche Massaker beschrieben einige Journalisten die Taten als „Ritualmorde“, andere folgerten, es habe zuvor eine wilde Sexparty gegeben, und viele kamen zu dem Schluss, dass es sich nur um einen Racheakt nach einem verpatzten Drogendeal handeln könnte. Dabei tappte die Polizei hinsichtlich eines möglichen Motivs für die Morde noch völlig im Dunkeln und suchte immer noch nach Hinweisen.
Knapp 24 Stunden, nachdem die Polizei in den Cielo Drive gerufen worden war, gab es am Sonntag, den 10. August, einen ähnlich grausigen Leichenfund im Stadtteil Los Feliz. Im Waverly Drive 3301 war der Hausbesitzer, der 44-jährige Leno LaBianca, mit 26 Stichen getötet worden, die teilweise von einer Fleischgabel stammten. Auf seine 38-jährige Ehefrau Rosemary hatte man 41 Mal eingestochen. Wie schon bei den zwei anderen Fällen waren mit dem Blut der Opfer Botschaften an die Wände geschmiert worden: „DEATH TO PIGS“ („TOD DEN SCHWEINEN“) und „RISE“ („ERHEBT EUCH“) stand an einer Wand, die Kühlschranktür zierte das falsch geschriebene „HEALTER SKELTER“. Vincent Bugliosi, der leitende Bezirksstaatsanwalt, kam zu dem Schluss, dass der Schlüssel zum Motiv der Morde in diesen Worten zu suchen war. Doch zunächst, da noch keine Lösung der Fälle in Sicht war, versetzten die so genannten „Tate-LaBianca-Morde“ das ganze Land in Trauer und Entsetzen.
Zwar war kurz nach dem ersten Mord an Gary Hinman ein möglicher Täter festgenommen worden, Robert Beausoleil, aber man brachte ihn nicht mit der gesamten Mordserie in Verbindung. Eine Spur fand sich erst Monate später, als eine zweite Verdächtige im Hinman-Fall verhaftet wurde: Susan Denise Atkins packte willig aus. Sie erzählte alles, was geschehen war, und nannte alle Beteiligten. Immer wieder kam sie dabei auf Charles Manson zurück, den sie als einen mächtigen Guru darstellte, der seine Anhänger dazu aufgefordert hatte, für ihn zu töten. Und sie beschrieb auch die Morde an sich, die sie zusammen mit anderen Manson-Anhängern begangen hatte, um seine Anerkennung zu gewinnen. Anfang Dezember 1969 gab die Polizei schließlich bei einer Pressekonferenz bekannt, der Tate-LaBianca-Fall sei gelöst.
Manson wurde angeklagt, seine Anhänger durch Gehirnwäsche zu den Morden angestiftet zu haben. Staatsanwalt Bugliosi erklärte, Manson habe die Absicht gehegt, einen Aufstand der Schwarzen gegen die Weißen auszulösen, den so genannten „Helter Skelter“; der Begriff war vom Titel eines Beatles-Songs abgeleitet worden. Bugliosi zufolge hatte Manson seinen Leuten befohlen, die schrecklichen Morde zu begehen und falsche Fährten zu legen, damit die Polizei Afroamerikaner für die Täter hielt; diese Ungerechtigkeit, so hoffte Manson, würde den von ihm vorhergesagten Aufstand auslösen. Außerdem konnte man auf diese Weise gleichzeitig das Family-Mitglied Bobby Beausoleil entlasten, da die Morde weitergingen, während er wegen des Hinman-Mords in Untersuchungshaft saß.
Der Prozess gegen die Manson Family zog sich über anderthalb Jahre hin. Charles Manson, Susan Atkins, Tex Watson, Leslie Van Houten und Patricia Krenwinkel wurden schließlich für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Während der Ermittlungen kam ein weiterer Mord ans Licht, den die Family-Mitglieder Bruce Davis und Steve Grogan an dem Rancharbeiter Shorty Shea begangen hatten, und auch sie wurden zum Tode verurteilt. Bobby Beausoleil erhielt das Todesurteil für den Mord an Gary Hinman. 1974 schaffte der US-Bundesstaat Kalifornien jedoch die Todesstrafe ab, und die Urteile wurden daraufhin in lebenslängliche Freiheitsstrafen umgewandelt, bei denen eine vorzeitige Entlassung wegen guter Führung ausgeschlossen war. Während der ersten acht Jahre konnten die Verurteilten keine Gnadengesuche einreichen. Bis zum heutigen Tag wurde allen Mitgliedern der Manson Family mit Ausnahme von Steve Grogan die Begnadigung verweigert.
Tatsächlich war Charles Manson einmal wegen guter Führung vorzeitig aus der Haft entlassen worden, als er 1967 wegen kleinerer Delikte im Gefängnis Terminal Island einsaß. Damals hatte er sogar darum gebeten, weiter hinter Gittern bleiben zu dürfen. Während seiner Haftstrafe hatte er sich im Gefängnis seinen Platz erkämpft, und er schrieb dort und machte Musik. Unfreiwillig wieder auf freiem Fuß fuhr er per Anhalter bis nach Berkeley, wo sich ihm nach Jahren der Haft eine völlig neue Welt offenbarte. Die Hippies hatten Kalifornien erobert.
Überall in der Stadt traf er auf junge Leute, die lieben und geliebt werden wollten, und die nach einer persönlichen Identität und dem Sinn des Lebens suchten. Viele hatten sich von ihrem Zuhause und dem Wertesystem ihrer Eltern abgewandt und waren nun bestrebt, etwas Eigenes aufzubauen. Der wohnungslose Manson geriet als Gitarrist, Sänger und Songwriter mitten in diese Szene hinein. Er spielte an Straßenecken, in kleinen Gassen und manchmal auch in Wohnungen oder Häusern, und konnte dabei viele Kontakte knüpfen. Zum ersten Mal in seinem Leben wurde er nicht als Ausgestoßener betrachtet. Im Gegenteil, seine Lebensgeschichte mit ihren Brüchen, den Erfahrungen auf der Straße und im Knast verliehen ihm die Aura des Besonderen. Lynette Fromme und Mary Brunner, die er als Straßenmusiker kennen lernte, wurden seine ersten Anhänger.
„Sie brauchten mich, damit sie sich in sich selbst zu Hause fühlen konnten. So übel hatte eure Gesellschaft ihnen mitgespielt. Sie waren so verzweifelt, dass für sie alles, was ich sagte, eine enorme Bedeutung bekam. In meiner Welt hatte ich gelernt, dass man nur überlebte, wenn man andere genau beobachtete und sie so sein ließ, wie sie waren. Für sie bedeutete genau das einen großen Schritt hin zu einem völlig neuen Leben. Für mich bestand kein Unterschied zwischen meinem alten Leben und dieser neuen Welt, die alle so feierten.“ So beschrieb Manson selbst die Anfangszeit der Family mir gegenüber – heute längst zu alt, um einen Unterschied zu erkennen, aber auch gar nicht mehr daran interessiert.
Es dauerte nicht lange, bis weitere junge Leute zu der Gruppe stießen. Sie waren alle bestrebt, im Musikgeschäft Karriere zu machen und ihren Anführer zu beeindrucken. Gerade letzteres gab ihrem Leben einen Sinn. Als jedoch das Geld knapp wurde und immer noch kein Schallplattenvertrag in Sicht war, machten sich Wut und Enttäuschung breit. Seit meiner ersten Begegnung mit Charles Manson vor 20 Jahren hat er immer wieder betont, dass er die blutigen Morde nie beabsichtigte oder gewollt hat. Er sah mich mit seinen braunen Augen an und wiederholte voller Überzeugung stets aufs Neue:
„Was mich ausmacht, ist meine Wahrheit und mein Talent, das Wahre und Echte zu erkennen. Und das bringt andere Menschen dazu, mir zu vertrauen und meine Freundschaft zu suchen.“
Allein auf sich gestellt hätte niemand aus der Manson Family diese Morde begangen, und auch Manson selbst hätte sie nicht verübt. Allein das unglückliche Zusammentreffen bestimmter Personen hätte eine gewalttätige und schließlich auch tödliche Entwicklung in Gang gesetzt. Ursprünglich dominierten Kreativität und Originalität, doch zunehmend fühlten sich die Family-Mitglieder von dem Bedürfnis getrieben, die Gesellschaft dafür zu bestrafen, dass man sie im Stich gelassen hatte. Daraus entstand eine gefährliche Weltsicht, geprägt von Verzweiflung und wilder Sinnlosigkeit. Erschwerend kamen noch andere Faktoren hinzu – das Scheitern der musikalischen Ambitionen und der allgemein chaotische, drogenbeeinflusste Gemütszustand. Auf welche Weise und aus welchen Gründen es Charles Manson gelang, Menschen in seinen Bann zu ziehen und sie dazu zu bringen, dass sie ihm ihr Leben widmen, ist dennoch eine entscheidende Frage, die Beachtung verdient.
Das Gericht befand Charles Manson für schuldig. Dennoch betrachten ihn viele neue Anhänger sowie auch einige alte Mitglieder der Family (beispielsweise Lynette Fromme und Sandra Good) dessen ungeachtet immer noch als einen mächtigen Guru. Bis zum heutigen Tag erhält Manson jeden Monat viele hundert Briefe von Menschen verschiedenen Alters, Herkunft und Geschlechts, die an seinen Gedanken zu den verschiedensten Themenbereichen interessiert sind. Über die letzten Jahre habe ich einige dieser Anhänger kennen gelernt, und es sind etliche darunter, die alles dafür tun, um auf seine Besuchsliste zu kommen.
Am 14. August 2009 wurde Lynette Fromme aus der Sicherungsverwahrung in einer texanischen Psychiatrie entlassen, nachdem sie 35 Jahre Haft wegen eines Mordanschlags auf den US-Präsidenten Gerald Ford verbüßt hatte. Zwar kämpft sie nicht mehr offen für Charles Manson und seine „friedliche Wahrheit“, aber es gibt viele neue junge Frauen und ältere Männer, die energisch und entschlossen in ihre Fußstapfen treten. Frauen, die sich von ihren Familien und den Werten der oberen Mittelklasse losgesagt haben und ins kalifornische Corcoran gezogen sind, um in Mansons Nähe zu sein und ihn bei seinen Anstrengungen „zur Rettung der Welt“ zu unterstützen. Die Rettung der Luft, der Bäume, des Wassers und der Tiere („air, trees, water and animals“, kurz ATWA), die Manson seit den Sechzigerjahren predigt, ist ihr höchstes Ziel; die einzige Sache, für die es sich zu kämpfen lohnte.
Die Männer, die zu Manson halten, sind im Durchschnitt älter und finanziell unabhängig. Sie unterstützen die Frauen, wenn es nötig ist, und sie sorgen dafür, dass die Besucher, die Manson jedes Wochenende sehen, genügend Geld dabei haben, um ihm aus den Automaten im Besucherraum zu ziehen, was er haben möchte.
Es sind Menschen, die nach einer eigenen Identität suchen, irgendeiner Identität, die für sie passt. Diese verzweifelte Suche ist es, die Charles Manson und Männer wie ihn so mächtig und gefährlich macht – damals wie heute.