Kitabı oku: «Ausweitung der Kampfzone», sayfa 2
Fünf
Kontaktaufnahme
Später vereinbarte ich einen Termin im Landwirtschaftsministerium. Am Telefon war ein Mädchen namens Catherine Lechardoy. Das Software-Paket hingegen nannte sich »Sycomore«. Die richtige Sykomore ist ein von den Möbeltischlern geschätzter Baum, der außerdem einen süßen Saft liefert und in bestimmten Gegenden der gemäßigt kalten Zone wächst; er ist besonders in Kanada verbreitet. Das Sycomore-Programm ist in Pascal geschrieben, mit bestimmten Routinen in C++. Pascal ist ein französischer Schriftsteller des 17. Jahrhunderts, Verfasser der berühmten Pensées. Zugleich ist es eine leistungsstark strukturierte, besonders für statistische Erhebungen geeignete Programmiersprache, die zu beherrschen ich in der Vergangenheit gelernt hatte. Das Sycomore-Programm sollte dabei helfen, den Landwirten die Regierungszuschüsse auszuzahlen, wofür Catherine Lechardoy zuständig war – auf der Ebene der Informatik, versteht sich. Wir hatten uns bisher noch nie getroffen. Es handelte sich also um eine »erste Kontaktaufnahme«.
Das Faszinierende an unserer Tätigkeit im EDV-Engineering ist zweifelsohne der Kontakt zur Kundschaft; jedenfalls pflegen das die Verantwortlichen des Unternehmens bei einem Glas Feigenschnaps zu betonen (beim letzten Seminar im Village-Club in Kuşadasi habe ich manchmal ihre Swimmingpoolgespräche belauscht).
Ich hingegen sehe dem ersten Kontakt zu einem neuen Kunden stets mit leichter Besorgnis entgegen. Man stößt da auf verschiedenartige Wesen, die in einer vorgegebenen Struktur organisiert sind und an deren Gegenwart man sich wird gewöhnen müssen – eine wenig erfreuliche Aussicht. Natürlich hat mich die Erfahrung bald gelehrt, dass ich ohnehin nur Leute treffen muss, die vielleicht nicht alle ganz gleich sind, sich aber in Gewohnheiten, Meinungen, Geschmäckern und allgemeiner Lebenshaltung weitgehend ähneln. Daher gibt es eigentlich nichts zu befürchten, zumal der rein berufliche Charakter der Begegnung in der Regel ihre Harmlosigkeit garantiert. Trotzdem hatte ich auch Gelegenheit, zu beobachten, dass sich die Menschen immer wieder gern durch ausgeklügelte, meist ärgerliche Variationen, Defekte, Charakterzüge und so weiter hervortun – natürlich um ihr Gegenüber zu nötigen, sie als vollwertige Individuen zu behandeln. So spielt der eine gern Tennis, der andere schwingt sich aufs Pferd, der dritte entpuppt sich als Golfspieler. Es gibt Manager, die schwärmen für Heringsfilets; andere verabscheuen sie. So viele Schicksale, so viele Lebensläufe. Obwohl der allgemeine Rahmen eines »ersten Kontakts mit dem Kunden« klar umrissen ist, bleibt leider doch immer ein Quäntchen Ungewissheit.
In diesem Fall war Catherine Lechardoy, als ich im Büro 6017 erschien, gar nicht da. Sie habe, wurde mir mitgeteilt, »noch eine Kleinigkeit im Hauptcomputerraum zu erledigen«. Man bat mich, Platz zu nehmen und auf sie zu warten, was ich tat. Das Gespräch drehte sich um das gestrige Attentat auf den Champs-Élysées. Jemand hatte unter einer Sitzbank eines Cafés eine Bombe versteckt. Zwei Personen kamen ums Leben. Einer dritten wurden die Beine abgetrennt und das halbe Gesicht weggerissen; sie bleibt für den Rest ihres Lebens verstümmelt und blind. Ich erfuhr, dass es sich nicht um das erste Attentat handelte; wenige Tage zuvor war in einem Postamt nahe dem Rathaus eine Bombe explodiert und hatte eine etwa fünfzigjährige Frau zerfetzt. Ich erfuhr auch, dass diese Bomben von arabischen Terroristen gelegt worden waren, die die Freilassung anderer arabischer Terroristen verlangten, die in Frankreich wegen mehrerer Morde im Gefängnis saßen.
Gegen siebzehn Uhr musste ich aufs Polizeikommissariat, um den Diebstahl meines Wagens zu melden. Catherine Lechardoy war nicht gekommen, und an dem Gespräch hatte ich mich kaum beteiligt. Die Kontaktaufnahme wird wohl an einem anderen Tag stattfinden.
Der Inspektor, der meine Aussage tippte, war ungefähr in meinem Alter. Offensichtlich stammte er aus der Provence; er trug einen Ehering. Ich fragte mich, ob seine Frau, seine eventuellen Kinder und er selbst in Paris glücklich waren. Die Frau vielleicht Postangestellte, die Kinder in der Krippe? Kann man nicht wissen.
Erwartungsgemäß war er ein wenig enttäuscht und verbittert: »Diebstähle ... kommen den ganzen Tag rein ... keine Chance ... werden sowieso gleich wieder freigelassen ...« Er gewann meine Zustimmung und Sympathie, als er diese einfachen, wahren Worte aussprach, die seiner täglichen Erfahrung entsprangen. Aber ich konnte nichts tun, um seine Bürde leichter zu machen.
Gegen Ende schien mir seine Verbitterung jedoch eine leicht positive Färbung anzunehmen: »Also, auf Wiedersehen! Vielleicht finden wir ihn ja doch, Ihren Wagen! Kommt manchmal vor ...« Ich glaube, er wollte noch weiterreden; aber es gab sonst nichts zu sagen.
Sechs
Die zweite Chance
Am nächsten Morgen wird mir mitgeteilt, dass ich einen Fehler gemacht habe. Ich hätte darauf bestehen müssen, Catherine Lechardoy zu sprechen. Mein stummer Abgang war beim Landwirtschaftsministerium nicht gut angekommen.
Ich erfahre außerdem, und das ist eine Überraschung, dass meine Arbeit während des vorhergehenden Auftrags nicht ganz zufriedenstellend ausgefallen ist. Es war mir bisher verschwiegen worden, aber ich hatte Missfallen erregt. Der neue Auftrag aus dem Landwirtschaftsministerium ist in gewisser Weise meine zweite Chance. Mein Abteilungsleiter setzt eine besorgte Miene auf, wie man sie aus amerikanischen Fernsehserien kennt, und sagt: »Wir stehen im Dienst des Kunden, wie Sie wissen. In unserem Beruf bekommt man leider nur selten eine zweite Chance ...«
Es tut mir leid, diesem Mann Verdruss zu bereiten. Er ist sehr schön. Sinnliches, zugleich männliches Gesicht, graue, kurz geschnittene Haare. Weißes Hemd aus einwandfreiem, sehr feinem Stoff, der den kräftigen, sonnengebräunten Brustkorb durchscheinen lässt. Club-Krawatte. Natürliche, sichere Bewegungen, Zeichen einer hervorragenden körperlichen Verfassung.
Mir fällt nur die, wie ich finde, reichlich schwache Entschuldigung ein, dass mir vor Kurzem mein Wagen gestohlen worden sei. Ich berufe mich auf psychische Probleme, die dadurch entstanden seien und gegen die anzukämpfen ich entschlossen sei. Augenblicklich tritt bei meinem Abteilungsleiter eine Veränderung ein; der Diebstahl meines Wagens empört ihn sichtlich. Er habe ja nicht gewusst; er konnte doch nicht ahnen; jetzt verstehe er alles besser. Als er mich entlässt, begleitet er mich zur Tür seines Büros, stemmt seine Füße in den dicken perlgrauen Teppich und wünscht mir gerührt, ich möge »die Sache durchstehen«.
Sieben
Catherine, kleine Catherine
»Good times are coming
I hear it everywhere I go Good times are coming
But they’re sure coming slow.«
Neil Young
Die Pförtnerin im Landwirtschaftsministerium trägt immer noch einen Minirock aus Leder; aber diesmal brauche ich sie nicht, um das Büro 6017 zu finden.
Catherine Lechardoy bestätigt von Anfang an alle meine Befürchtungen. Sie ist fünfundzwanzig, hat ein Technikerdiplom in Informatik und schlechte Zähne. Ihre Aggressivität ist erstaunlich: »Hoffen wir, dass Ihr Programm funktioniert! Und zwar besser als das letzte, das wir Ihnen abgekauft haben ... reiner Schrott. Aber schließlich entscheide ich ja nicht, was wir kaufen. Ich bin hier die brave Liese, die die Dummheiten der anderen ausbaden muss ...« usw.
Ich erkläre ihr, dass ich auch nicht entscheide, was wir verkaufen. Und schon gar nicht, was wir produzieren. In Wirklichkeit entscheide ich überhaupt nichts. Weder sie noch ich entscheiden irgendetwas. Ich bin nur gekommen, um ihr zu helfen, um ihr Exemplare des Benutzerhandbuchs zu geben und zu versuchen, mit ihr ein Programm für die Einführung zusammenzustellen ... Aber nichts von alldem kann sie beschwichtigen. Ihr Zorn ist heftig und sitzt tief. Jetzt redet sie von Methodologie. Ihrer Meinung nach müsste sich jedermann einer strengen Methodologie unterordnen, die auf dem strukturierten Programm basiert; stattdessen herrscht überall Anarchie, die Programme sind auf x-beliebige Weise heruntergeschrieben, jeder sitzt in seiner Ecke und macht, was er will, ohne sich um die anderen zu scheren, es gibt keine Verständigung, es gibt keinen gemeinsamen Plan, es gibt keine Harmonie, Paris ist eine grauenhafte Stadt, die Leute kommen nicht mehr zusammen, sie interessieren sich nicht einmal für ihre Arbeit, alles ist oberflächlich, jeder geht um sechs Uhr nach Hause, ob die Arbeit erledigt ist oder nicht, das alles ist ihnen scheißegal.
Sie schlägt vor, einen Kaffee trinken zu gehen. Natürlich bin ich einverstanden. Wir gehen zum Münzautomaten. Ich habe kein Kleingeld, sie gibt mir zwei Francs. Der Kaffee ist ekelhaft, aber das bremst sie nicht in ihrem Elan. In Paris kann man mitten auf der Straße verrecken, und keiner schert sich darum. Bei ihr zu Hause, im Béarn, ist das anders. Jedes Wochenende fährt sie nach Hause, ins Béarn. Und abends besucht sie Kurse am CNAM, um beruflich voranzukommen. Noch drei Jahre, und sie hat vielleicht ihr Ingenieursdiplom in der Tasche.
Ingenieur. Ich bin Ingenieur. Ich muss etwas sagen. Mit leicht verkümmerter Stimme erkundige ich mich: »Welche Kurse?«
»Controlling, Algorithmik, Buchhaltung.«
»Wohl eine Menge Arbeit ...«, bemerke ich etwas vage.
Ja, viel Arbeit, aber Arbeit macht ihr keine Angst. Abends arbeitet sie oft bis Mitternacht in ihrer kleinen Einzimmerwohnung, um ihre Aufgaben zu machen. Auf alle Fälle muss man kämpfen, um im Leben etwas zu bekommen: Das war immer schon ihre Meinung.
Wir steigen die Treppe hoch zu ihrem Büro. »Na gut, dann kämpf, kleine Catherine«, sage ich melancholisch zu mir. Sie ist wirklich nicht sonderlich hübsch. Abgesehen von den schlechten Zähnen hat sie glanzloses Haar und kleine, vor Zorn funkelnde Augen. Kaum Brüste, keinen Hintern. Gott hat es wirklich nicht gut mit ihr gemeint.
Ich denke, wir werden uns sehr gut verstehen. Sie scheint entschlossen, alles in die Hand zu nehmen und einzuteilen, ich werde nur noch reisen und meine Kurse abhalten müssen. Das passt mir hervorragend ins Konzept; ich habe überhaupt keine Lust, ihr zu widersprechen. Ich glaube nicht, dass sie sich in mich verlieben wird. Ich bin sicher, dass sie nicht im Traum daran denkt, mit irgendeinem Typ etwas anzufangen.
Gegen elf Uhr platzt eine neue Figur in das Büro. Der Mann heißt Patrick Leroy und teilt offensichtlich das Büro mit Catherine. Hawaii-Hemd, enganliegende Jeans und ein Schlüsselbund am Gürtel, der beim Gehen Krach macht. Er sei ein bisschen geschlaucht, sagt er. Er hat die Nacht mit einem Kumpel in einem Jazzkeller verbracht, es ist ihnen gelungen, »zwei Mädels abzuschleppen«. Jetzt ist er zufrieden.
Den Rest des Vormittags verbringt er mit Telefonieren.
Er spricht laut.
Beim dritten Telefonat (mit einem Mädchen) kommt er auf ein an sich nicht sehr lustiges Thema zu sprechen: Eine gemeinsame Freundin ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Erschwerender Umstand: Am Steuer saß ein anderer Kumpel, den er »der Fred« nennt. Und dieser Fred ist heil davongekommen.
Das alles ist eigentlich eher deprimierend, aber es gelingt ihm, den düsteren Aspekt der Sache durch eine Art von zynischer Vulgarität zu überspielen, wobei er die Füße auf den Tisch legt und sich einer fetzigen Sprache bedient: »Nathalie war echt in Ordnung ... Außerdem ein steiler Typ. Total übel ist das, echt bescheuert ... Warst du beim Begräbnis? Mir liegt das nicht so, Begräbnisse. Außerdem, wer hat schon was davon ... vielleicht die Alten, wenn überhaupt. Was, der Fred war da? Der schreckt vor nichts zurück, dieser Vollidiot.«
Ich war erleichtert, als endlich Mittagspause war.
Am Nachmittag musste ich zum Leiter der »EDV-Studienabteilung«. Ich weiß auch nicht, warum. Jedenfalls hatte ich ihm nichts zu sagen.
Ich wartete eineinhalb Stunden in einem leeren, etwas dunklen Büro. Ich hatte keine rechte Lust, das Licht anzumachen; auch weil ich meine Anwesenheit nicht verraten wollte.
Bevor ich mich in dieses Büro setzte, hatte mir jemand einen umfangreichen Bericht mit dem Titel »Leitschema für den EDV-Plan des Landwirtschaftsministeriums« in die Hand gedrückt. Auch hier war mir unklar, wozu. Das Dokument betraf mich nicht im Geringsten. Laut Einleitung widmete es sich einem »Versuch der Vorausdefinition verschiedener archetypischer Szenarien, entworfen im Rahmen des Prozesses einer Zieldeterminierung«. Die Ziele selbst, die eine »verfeinerte Analyse in Hinsicht auf ihre Wünschbarkeit« rechtfertigten, waren zum Beispiel die Steuerung der Subventionspolitik für die Bauern, die Entwicklung eines wettbewerbsfähigeren Agrarsektors auf europäischer Ebene, die Verbesserung der Handelsbilanz auf dem Gebiet der Frischprodukte ... Ich blätterte den Bericht rasch durch, wobei ich die komischsten Sätze mit Bleistift unterstrich. Zum Beispiel: »Das strategische Niveau besteht in der Realisierung eines globalen Informationssystems, das durch die Integration heterogen gestreuter Subsysteme zu erstellen ist.« Oder: »Dringend nötig scheint die Durchsetzung eines kanonischen Beziehungsmodells, das mittelfristig zu einer objektorientierten Datenbank führen wird.« Schließlich kam eine Sekretärin, um mir zu sagen, dass die Sitzung länger dauern werde und ihr Chef heute leider keine Zeit mehr für mich hätte. Ich bin also nach Hause gefahren. Wenn mein Monatsgehalt kommt, werde ich mir ins Fäustchen lachen.
In der Metro-Station Sèvres-Babylone habe ich ein merkwürdiges Graffito gesehen: »Gott wollte Ungleichheit, nicht Ungerechtigkeit«, verkündete die Inschrift. Ich fragte mich, wer die Person war, die so gut über die Absicht Gottes Bescheid wusste.
Acht
Am Wochenende verkehre ich in der Regel mit niemandem. Ich bleibe zu Hause, räume ein wenig auf, kultiviere eine kleine Depression.
Diesen Samstag aber, zwischen zwanzig und dreiundzwanzig Uhr, steht Mitmenschlichkeit auf dem Programm. Ich gehe mit einem Freund, der Pfarrer ist, in ein mexikanisches Restaurant essen. Das Restaurant ist gut; kein Problem in dieser Hinsicht. Aber ist mein Freund noch mein Freund?
Wir haben zusammen studiert. Damals waren wir zwanzig: Blüte der Jugend. Jetzt sind wir dreißig. Nachdem er sein Ingenieursdiplom bekommen hatte, ging er ins Priesterseminar. Er hat umgesattelt. Heute ist er Pfarrer in Vitry. Keine leichte Gemeinde.
Ich esse einen Maisfladen mit roten Bohnen und Jean-Pierre Buvet redet über Sexualität. Seiner Meinung nach ist das angebliche Interesse unserer Gesellschaft für die Erotik (in Werbung, Zeitschriften, überhaupt in den Massenmedien) völlig gekünstelt. In Wirklichkeit langweilt das Thema die meisten Leute sehr bald; doch sie behaupten das Gegenteil – eine bizarre, umgekehrte Heuchelei.
Er kommt nun zu seiner These. Unsere Zivilisation, sagt er, leidet an vitaler Erschöpfung. Im Jahrhundert Ludwigs XIV., als der Lebenshunger groß war, legte die offizielle Kultur den Akzent auf die Verleugnung der Lüste und des Fleisches. Sie erinnerte unablässig daran, dass das irdische Leben nur unvollkommene Freuden biete und Gott die einzig wahre Quelle des Glücks sei. Ein solcher Diskurs, versichert er mir, würde heute nicht mehr akzeptiert. Wir brauchen Abenteuer und Erotik, denn wir müssen uns ständig einreden, das Leben sei wunderbar und erregend; und natürlich haben wir genau daran so unsere Zweifel.
Mein Eindruck ist, dass er mich für ein Musterbeispiel dieser vitalen Erschöpfung hält. Keine Sexualität, kein Ehrgeiz, keine großen Zerstreuungen. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Ich habe den Eindruck, dass alle so sind. Ich halte mich für einen normalen Menschen. Vielleicht nicht bis ins letzte Detail, aber wer ist schon ein ganz normaler Mensch, na? Sagen wir, ich bin zu achtzig Prozent normal.
Um etwas zu sagen, wende ich ein, dass heutzutage jedermann zwangsläufig irgendwann in seinem Leben glaubt, gescheitert zu sein. In diesem Punkt sind wir derselben Meinung.
Das Gespräch kommt ins Stocken. Ich stochere in meinen kandierten Vermicelli herum. Er rät mir, zu Gott zurückzukehren oder eine Psychoanalyse zu machen; die Nähe der beiden Begriffe lässt mich zusammenfahren. Er hakt nach, er interessiert sich für meinen Fall; anscheinend glaubt er, dass es mir dreckig geht. Ich bin allein, viel zu sehr allein. Er meint, das sei nicht natürlich.
Wir trinken einen Schnaps; er legt seine Karten auf den Tisch. Seiner Meinung nach ist Jesus die Lösung; Jesus, die Quelle des Lebens. Eines reichen und lebendigen Lebens. »Du musst deine göttliche Natur akzeptieren!«, ruft er aus; vom Nebentisch schauen sie zu uns herüber. Ich fühle mich ein wenig erschöpft; mir scheint, wir sind in eine Sackgasse geraten. Für alle Fälle setze ich ein Lächeln auf. Ich habe nicht viele Freunde und will diesen hier nicht verlieren. »Du musst deine göttliche Natur akzeptieren ...«, wiederholt er, jetzt mit leiserer Stimme. Ich verspreche, dass ich mich bemühen werde. Ich füge ein paar Sätze hinzu und versuche, einen Konsens herzustellen.
Danach ein Kaffee und ab nach Hause. Eigentlich ein angenehmer Abend.
Neun
Sechs Personen sitzen jetzt an einem recht hübschen ovalen Tisch, wahrscheinlich ein Mahagoni-Imitat. Die dunkelgrünen Vorhänge sind zugezogen; man fühlt sich wie in einem kleinen Salon. Ich ahne plötzlich, dass die Konferenz den ganzen Vormittag dauern wird.
Der erste Vertreter des Landwirtschaftsministeriums hat blaue Augen. Er ist jung, trägt eine kleine runde Brille, noch vor Kurzem muss er Student gewesen sein. Trotz seiner jungen Jahre macht er einen überaus seriösen Eindruck. Den ganzen Vormittag kritzelt er Notizen, manchmal in den unerwartetsten Augenblicken. Es handelt sich offenbar um einen Chef oder wenigstens um einen zukünftigen Chef.
Der zweite Vertreter des Ministeriums ist ein Mann mittleren Alters, mit Bartkrause wie die strengen Hauslehrer der Fünf Freunde. Er scheint starken Einfluss auf Catherine Lechardoy auszuüben, die neben ihm sitzt. Ein typischer Theoretiker. In jeder seiner Stellungnahmen betont er eindringlich die Bedeutung der Methodologie; letztlich sind es immer nur Aufforderungen zum Nachdenken vor dem Handeln. In diesem Fall verstehe ich nicht, warum: Die Software ist gekauft, das Nachdenken erübrigt sich – aber das sage ich nicht laut. Ich spüre sofort, dass er mich nicht leiden kann. Wie seine Zuneigung gewinnen? Ich beschließe, ihm mehrmals an diesem Vormittag lebhaft zuzustimmen und dabei einen leicht blöden Ausdruck der Bewunderung aufzusetzen, als würde er mir ungeahnt überraschende, weitgespannte Perspektiven der Weisheit eröffnen. Daraus müsste er normalerweise den Schluss ziehen, dass ich ein junger Mann guten Willens bin, bereit, unter seinem Kommando in die richtige Richtung zu marschieren.
Der dritte Vertreter des Ministeriums ist Catherine Lechardoy. Die Arme schaut ein wenig traurig drein heute Morgen; der Kampfgeist vom letzten Mal scheint sie verlassen zu haben. Ihr hässliches Gesichtchen ist ganz griesgrämig; sie putzt in regelmäßigen Abständen ihre Brille. Ich frage mich sogar, ob sie nicht geweint hat. Ich kann mir gut vorstellen, wie sie in Schluchzen ausbricht, wenn sie sich morgens anzieht, allein und verlassen in ihrem Zimmerchen.
Der vierte Vertreter des Ministeriums ist die Karikatur eines Agrarsozialisten: Er trägt Stiefel und Parka, als ob er gerade von einer Expedition aufs Land zurückgekommen wäre; er hat einen dichten Bart und raucht Pfeife; ich möchte nicht sein Sohn sein. Vor ihm liegt demonstrativ ein Buch mit dem Titel »Käseerzeugung und neue Techniken«. Ich begreife nicht, wozu er hier ist, denn offensichtlich hat er keine Ahnung vom Thema, um das es geht; vielleicht ein Vertreter der Basis. Wie dem auch sei, er scheint sich das Ziel gesetzt zu haben, die Atmosphäre zu verschlechtern und einen Konflikt zu provozieren, indem er wiederholt die »Nutzlosigkeit solcher Konferenzen, die zu nichts führen«, anprangert oder sich über die Computerprogramme auslässt, »über die in einem Ministerialbüro entschieden wird und die doch niemals den realen Bedürfnissen der Kollegen vor Ort entsprechen«.
Ihm gegenüber sitzt ein Typ aus meiner Firma, der unermüdlich auf seine Einwände antwortet – meiner Meinung nach ziemlich ungeschickt – und dabei so tut, als sei er der Meinung, der andere würde absichtlich übertreiben oder mache bloß Witze. Er ist einer meiner Vorgesetzten; ich glaube, er heißt Norbert Lejailly. Ich hatte nicht gewusst, dass er da sein würde, und ich kann nicht sagen, dass mich seine Anwesenheit besonders erfreut. Dieser Mann hat exakt das Aussehen und das Benehmen eines Schweins. Er ergreift jede sich bietende Gelegenheit, lange und schmierig zu lachen. Wenn er nicht lacht, reibt er seine Hände langsam aneinander. Er ist dick, um nicht zu sagen fett, und seine Selbstgefälligkeit, die sich auf keinerlei Fundamente stützen kann, empfinde ich gewöhnlich als unerträglich. Heute Morgen aber fühle ich mich wirklich ziemlich gut, zweimal lache ich sogar mit ihm, als Echo auf seine Bonmots.
Im Lauf des Vormittags zeigt sich sporadisch eine siebte Person, um die ehrwürdige Versammlung ein wenig aufzuheitern. Es handelt sich um den Leiter der EDV-Studienabteilung des Landwirtschaftsministeriums, denselben, den ich neulich verpasst hatte. Der Mann scheint es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, eine hektische Übertreibung der Figur des jungen, dynamischen Chefs darzustellen. Auf diesem Gebiet schlägt er alles, was ich bisher zu beobachten Gelegenheit hatte, um mehrere Längen. Das Hemd trägt er offen, als hätte er keine Zeit gehabt, es zuzuknöpfen; die Krawatte hängt ihm zur Seite, als wäre sie beim Laufen verrutscht. Tatsächlich geht oder läuft er nicht durch die Gänge, sondern er gleitet. Könnte er fliegen, würde er es bestimmt tun. Sein Gesicht glänzt, sein Haar ist wirr und feucht, als käme er geradewegs aus dem Schwimmbecken.
Bei seinem ersten Auftritt erblickt er mich und meinen Chef und ist in Windeseile bei uns. Keine Ahnung, wie er das angestellt hat: Er muss die zehn Meter in weniger als fünf Sekunden zurückgelegt haben; jedenfalls hatte ich nicht die Zeit, seinen Weg zu verfolgen.
Er legt seine Hand auf meine Schulter und spricht mit sanfter Stimme. Er sagt, es tue ihm leid, dass er mich letzthin umsonst habe warten lassen. Ich setze ein Madonnenlächeln auf und sage, das sei nicht so schlimm, ich könne ihn gut verstehen und wisse, dass unser Treffen früher oder später stattfinden werde. Ich bin ehrlich. Es ist ein sehr zärtlicher Augenblick; er beugt sich zu mir, nur zu mir; man könnte uns für zwei Liebende halten, die das Leben nach einer langen Trennung wieder zusammengeführt hat.
Im Verlauf des Vormittags kommt er noch zweimal herein, aber jedes Mal bleibt er in der Tür stehen und wendet sich nur an den jungen Typ mit der Brille. Jedes Mal entschuldigt er sich mit einem bezaubernden Lächeln für die Störung; er lehnt sich gegen den Türpfosten, auf einem Bein das Gleichgewicht haltend, als verböte ihm die innere Spannung, die ihn beseelt, längere Zeit in aufrechter Position zu verharren.
Von der Konferenz selbst bleibt mir nur wenig Erinnerung; auf alle Fälle wurde nichts Konkretes beschlossen, sieht man von der letzten Viertelstunde ab, als noch rasch vor dem Mittagessen ein Zeitplan für die Kurse in der Provinz erstellt wurde. Davon bin ich unmittelbar betroffen, denn diese Reisen werde ich auf mich nehmen müssen; und so notiere ich eilig die festgelegten Termine und Orte auf ein Blatt Papier, das ich noch am selben Abend verliere.
Das Ganze wird mir gleich am nächsten Tag bei einem Briefing mit dem Theoretiker ein weiteres Mal erklärt. So erfahre ich, dass vom Ministerium (also von ihm, wenn ich recht verstehe) ein ausgeklügelter Ausbildungsgang auf drei Ebenen erstellt worden ist. Es geht darum, durch Komplementärausbildungen, die zwar ineinandergreifen, aber voneinander organisch unabhängig sind, bestmöglich auf die Bedürfnisse der Benutzer zu antworten. Das alles trägt ganz offensichtlich den Stempel eines scharfsinnigen Geistes.
Konkret werde ich auf eine Rundreise geschickt, die mich zuerst für zwei Wochen nach Rouen, dann eine Woche nach Dijon und schließlich für vier Tage nach La Roche-sur-Yon führen wird. Am 1. Dezember soll ich losfahren; zu Weihnachten werde ich zurück sein, damit ich »die Festtage im Kreis der Familie verbringen« kann. Man hat also auch die menschliche Seite nicht vergessen. Das ist wunderbar.
Zu meiner Überraschung erfahre ich außerdem, dass ich nicht allein für die Ausbildung verantwortlich bin. Meine Firma hat nämlich beschlossen, zwei Leute zu schicken. Wir werden als Tandem auftreten. Umgeben von einem beängstigenden Schweigen, zählt der Theoretiker fünfundzwanzig Minuten lang die Vor- und Nachteile der Ausbildungstätigkeit eines Tandems auf. Am Ende tragen die Vorteile über die Nachteile einen hauchdünnen Sieg davon.
Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wer mein Begleiter sein könnte. Wahrscheinlich jemand, den ich kenne. Wie dem auch sei, kein Mensch hat es für wichtig gehalten, mir vorher etwas davon zu sagen.
Der Theoretiker greift geschickt eine seiner Bemerkungen auf, um die Abwesenheit jener zweiten Person (deren Identität bis zuletzt ein Geheimnis bleiben wird) zu bedauern; er verstehe nicht, dass niemand es für nötig befunden habe, den Unbekannten einzuladen. Er spinnt sein Argument weiter und sagt unausgesprochen, dass so gesehen auch meine Anwesenheit nutzlos oder jedenfalls nur von geringem Nutzen sei. Genau das meine ich auch.
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