Kitabı oku: «Die Schwiegermutterwette»
Die Schwiegermutterwette
Mira Bergen
Impressum:
Die Schwiegermutterwette
Mira Bergen
Copyright: © 2013 Mira Bergen
Copyright Coverdesign: © 2013 Mira Bergen
published by: epubli GmbH, Berlin www.epubli.de
ISBN 978-3-8442-5968-1
Verliebte Menschen sind - sofern in diesem Punkt Einigkeit besteht - die glücklichsten Wesen der Welt. Nichts ist schöner als das Gefühl, wenn Schmetterlinge durch den Bauch flattern, das Herz kollabiert und das Gehirn seine Tätigkeit vorübergehend völlig einstellt.
Verliebte Menschen sind auch rücksichtslos und neigen dazu, ihre Umwelt zwanghaft an ihrem Glück teilhaben zu lassen. Das ist nicht nur anstrengend für alle anderen, sondern wirkt mitunter auch provokativ; beispielsweise auf Leute, welche eine deprimierende Beziehung führen oder vielleicht gar keinen abbekommen haben.
Im Interesse der Allgemeinheit sah sich das Schicksal daher gezwungen, dem Glück der Liebenden einen Dämpfer zu versetzen. Ein dauerhaftes Ärgernis sollte es sein - etwas, das Verliebte auf die Schattenseiten des Lebens aufmerksam macht und sie damit ermuntert, das rationale Denken wieder aufzunehmen.
Schicksal musste nicht lange überlegen. Die Lösung lag auf der Hand. Sie wurde bei einer Beziehung praktisch mitgeliefert.
Die Schwiegermutter.
Es funktioniert nicht immer. Viele Schwiegermütter widersetzen sich der ungeschriebenen Regel. Oftmals auch deshalb, weil sie nicht werden wollen wie ihre eigene Schwiegermutter.
Doch immer wieder hat das Schicksal Erfolg, und liebende, aufopfernde Mütter verwandeln sich in dem Moment, in welchem ihre Söhne mit der Liebe ihres Lebens konfrontiert werden, auf geheimnisvolle Weise in etwas Schreckliches. In Schwiegermütter eben.
Nun, kein Freud ohne Leid. Weshalb wohl lebten die ersten Menschen sorglos und zufrieden im Paradies?
Ganz genau. Sie hatten keine Schwiegermutter.
Und die Schwiegermutter selbst ist nur die eine Seite des Problems.
**
Sonntag, 27.11.
Meike schloss die Augen und überlegte, worauf sie einschlagen konnte. Am besten dafür geeignet schien momentan ihr Mann, doch der war noch immer bei seiner Mutter. Diese hätte, wenn Meike es sich recht überlegte, ebenfalls Schläge verdient. Aber allein der Gedanke, dieser alten Hexe gegenüberzutreten und sie zu berühren, entsetzte sie.
Sie bemühte sich, tief durchzuatmen und an etwas Angenehmeres zu denken. Doch dabei scheiterte sie kläglich. Ihre Gedanken folgten anderen Befehlen, und wieder und wieder wanderten sie zurück zu dem vorhin geführten Gespräch am Tisch ihrer Schwiegereltern.
Dabei hatte sie noch heute Vormittag angenommen, dass es im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten ein erträgliches Mittagessen werden könnte. Immerhin war heute der erste Advent, was unter den Menschen angeblich Nächstenliebe und ähnliche ungewohnte Gefühle verursachen sollte.
Überdies hatten Ron und sie gestern beschlossen, ein drittes Kind zu bekommen. Da sie die dafür erforderlichen Aktivitäten sofort eingeleitet hatten und der heutige Morgen entsprechend harmonisch und liebevoll verlief, war sie der Illusion erlegen gewesen, dass nichts und niemand ihr Glück stören konnte. Außerdem hatte sie wenigstens dieses eine Mal mit mehr Loyalität seitens ihres Mannes gerechnet.
Nun, sie hätte es besser wissen müssen.
Verdammt. Vermutlich trug sie selbst die Schuld, weil ihr die glückliche Gemütsverfassung nur zu deutlich anzusehen war.
Selbstverständlich freute sie sich auf ein weiteres Kind. Aber heute Mittag erheiterte sie hauptsächlich der Gedanke, wie sie irgendwann, wenn sie endlich schwanger wäre, die frohe Botschaft ihrer Schwiegermutter verkünden würde. Ihre Schwiegermutter hatte bereits die beiden ersten Schwangerschaften ausgesprochen bestürzt aufgenommen, da Kinder dazu neigten, ihre Väter zu beschäftigen, was diese wiederum davon abhielt, Zeit mit ihren Müttern zu verbringen.
Darüber hinaus hatte die alte Schachtel es in unerwartet kurzer Zeit geschafft, ihre Enkel zu verschrecken, sodass diese nur ungern zu den Großeltern gingen, wenn Oma da war. Meike nahm an, dass sie deshalb ein schlechtes Gewissen haben sollte. Doch es war nicht ihre Schuld - im Gegenteil. Sie hatte sich bemüht, die Kinder ihre eigene Abneigung gegen ihre Schwiegermutter nicht anmerken zu lassen. Doch Jule war sieben und Jakob fünf, und beide waren nicht auf den Kopf gefallen. Meike zweifelte nicht daran, dass ihre Schwiegermutter nicht lange brauchen würde, auch einem dritten Kind jegliche Lust, sie zu besuchen, auszutreiben.
Alles in allem wäre ein weiteres Kind für Meikes Schwiegermutter eine mittlere Katastrophe, und der Gedanke daran fühlte sich unanständig gut an.
Bis sie dann am Mittagstisch saßen und Meike von Gertrud, ihrer Schwiegermutter, misstrauische Blicke erntete. Wie gesagt - sie hätte nicht so verdammt glücklich aussehen dürfen.
Ihre Schwiegermutter wusste genau, wie sie die Ursache für Meikes Hochstimmung am schnellsten herausbekommen konnte. Nämlich von Ron, bei dem jegliche Vernunft aussetzte, wenn seine Mutter einen Wunsch äußerte.
Abermals lief vor Meikes innerem Auge das Gespräch ab und sie fragte sich, ob sie es hätte abwenden können.
»Du lächelst heute so zufrieden. Gibt es gute Neuigkeiten?« Liebevoll hatte Gertrud ihren Sohn gemustert, während sie ihm das größte Bratenstück auf den Teller legte und damit ungläubiges Entsetzen bei ihrem Mann hervorrief.
Meike kannte diese Masche zu Genüge. Ihre Schwiegermutter konnte diesen Tonfall ihrem Sohn gegenüber jederzeit abrufen und wusste genau, dass ihr Ronnie dagegen wehr- und machtlos war. Es war, als würde jemand seinen gesunden Menschenverstand, den er als Steuerberater zweifellos besaß, ausknipsen. Und so kam es, dass Ron fröhlich die Neuigkeit bekannt gab, dass Gertrud, wenn alles nach Plan lief, bald ein neues Enkelkind würde begrüßen dürfen.
Meike klappte die Kinnlade herunter. Wenigstens hätte er doch warten können, bis sie tatsächlich schwanger war.
Eisiges Schweigen breitete sich nach Rons Ankündigung aus. Ron sah verwirrt von einem Gesicht zum anderen. Offensichtlich hatte er die Reaktion seiner Mutter auf frühere derartige Bekanntmachungen inzwischen vollständig verdrängt und verstand nicht, weshalb die Freundlichkeit seiner Mutter mit einem Mal wie weggefegt war.
Meikes Schwiegervater behielt argwöhnisch seine Frau im Auge, während er einen großen Schluck Bier trank. Meike war sich sicher, dass er sich über ein weiteres Enkelkind freuen würde, jedoch klug genug war, das nicht offen zu zeigen.
Jule stieß begeistert ihrem Bruder den Ellenbogen in die Rippen. »Hast du gehört? Wir bekommen ein Baby«, gluckste sie und verstieß damit gegen die oberste Regel ihrer Großmutter, welche besagte, dass Kinder bei Tisch den Mund zu halten hatten, solange sie nicht angesprochen wurden.
Gertrud hatte ihre Sprache wiedergefunden. Eisig funkelte sie Meike an. »Das machst du doch absichtlich!«
»W-wie bitte?« Meike fragte sich verwirrt, worauf ihre Schwiegermutter nun dieses Mal wieder hinaus wollte.
Ron sah seine Mutter mit schiefem Gesicht an. »Äh, vielleicht hast du mich nicht richtig ver...«
»Ich habe sehr genau verstanden. Ihr wollt noch ein Kind in die Welt setzen. Dabei hast du selbst nach Jacobs Geburt gesagt, dass zwei genug sind.«
Meike warf Ron fragende Blicke zu. Wann sollte er etwas derartiges gesagt haben?
Ron musterte seine Mutter mit gerunzelter Stirn. »Du weißt doch, wie das ist. So etwas sagt man schnell einmal, wenn die ganze Nacht über ein Baby brüllt. Aber jetzt...«
»Jetzt habt ihr es euch anders überlegt. Schon klar. Nun..., und wo wird dieses Kind wohnen?«
Ron tauschte mit Meike ratlose Blicke. »Ich-, das wissen wir noch nicht genau. Wahrscheinlich werden wir das Gästezimmer zum Kinderzimmer umbauen.«
Meike nickte schwach und rätselte, was in Gertruds Kopf vor sich ging.
»So. Das hast du dir ja fein ausgedacht«, stieß Gertrud hervor und sah Meike wütend an.
Ron starrte sie bestürzt an und öffnete den Mund, doch Gertrud war schneller.
»Und wo soll ich wohnen, wenn ich allein bin und gepflegt werden muss?« Sie warf einen Seitenblick zu Herbert, der nun auch von Meike und Ron entsetzt gemustert wurde. Gab es etwas, das sie noch nicht wussten? »Ihr wisst ganz genau, dass der da mit seinem hohen Blutdruck Probleme hat!« Ein weiterer Seitenblick auf Meike und die Kinder zeigte deutlich, wer ihrer Ansicht nach die Schuld an Herberts gesundheitlichem Zustand trug.
»Was?« Ron trat auf seine Mutter zu und im nächsten Moment war Meike klar, dass Rons Ich-mache-alles-was-Mutti-will-Automatik die Kontrolle übernommen hatte, als Gertrud zu schluchzen begann.
»Du willst nicht, dass ich zu dir kommen kann, wenn ich allein bin. Und der beste Weg, das zu verhindern, ist, so viele Kinder in die Welt zu setzen, dass für mich kein Platz mehr im Haus ist.«
Das war der Punkt, an dem Meike ihre Kinder vom Tisch hochzog, ihrem resigniert mit dem Kopf schüttelnden Schwiegervater einen entschuldigenden Blick zuwarf und verschwand.
Aus dem Augenwinkel konnte sie noch im Gehen erkennen, wie ihr Mann die Arme um seine schluchzende Mutter legte.
Das glaube ich einfach nicht. Das kann jetzt nicht passiert sein, sagte sie sich immer und immer wieder, während ein letzter, kleiner Funken Hoffnung blieb, dass Ron ihr folgen würde.
Doch Ron blieb, wo er war. So, wie er es eigentlich immer tat. Meike war allein mit ihrem hilflosen Zorn.
Vermutlich plant er jetzt mit ihr, wie sie das Gästezimmer einrichten möchte, während für das Baby das Arbeitszimmer reichen muss, dachte Meike und überlegte bereits, wie sie eine komplette Babyausstattung in dem ungefähr sieben Quadratmeter großen Arbeitszimmer unterbringen sollte.
Vielleicht besprechen sie auch gemeinsam seine Sterilisation, damit derartige Unglücke nicht mehr passieren können, spekulierte sie weiter und hielt sich den Mund zu, um nicht hysterisch zu kichern.
Jakob zog an ihrem Ärmel. »Bekommen wir wirklich ein Baby? Bringt das der Weihnachtsmann mit?« fragte er und sah sie erwartungsvoll an.
»Also, ich will lieber einen Hund«, verkündete Jule nachdenklich.
»Jaah, oder eine Kuh«, schlug Jakob begeistert vor, der zwei Tage zuvor mit dem Kindergarten einen Bauernhof besucht hatte und melken durfte, was einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen zu haben schien.
Ratlos sah Meike ihre Kinder an. Nun denn. Zumindest konnte sie sich sicher sein, dass sie damit morgen im Büro das spektakulärste Wochenenderlebnis aufzuweisen hatte.
**
Nein, die Schwiegermütter allein sind nicht das Problem. Es gibt noch eine zweite Seite - die Söhne. Selbst gestandene Männer werden mitunter zu kurz- und nachsichtigen, manipulierbaren und willenlosen Leisetretern, wenn sie auf ihre Mütter treffen.
Auch wenn sie sich eben noch über Äußerungen oder Handlungen ihrer Mutter über alle Maßen empört haben, ist das in dem Moment, in dem sie vor ihrer Mutter stehen, wie weggezaubert. Irgendetwas legt einen Schalter um und aktiviert das tatsächliche Wesen des entsprechenden Mannes erst dann wieder, wenn sich die Mutter außer Sicht- und Hörweite befindet.
Das ist ausgesprochen ärgerlich und unberechenbar für junge Frauen, da sie die Männer in der Regel nicht im Beisein deren Mütter kennenlernen und somit nicht bereits im Vorfeld die Risiken und Nebenwirkungen einschätzen können.
Ein von der Natur eingebautes, im Unterbewusstsein arbeitendes Selbstschutzgen sorgt dafür, dass junge (und vermutlich auch ältere) Männer den Moment, in dem sie ihre Auserwählte der eigenen Mutter vorstellen, so weit wie möglich hinauszögern.
Wenn dann endlich der schicksalhafte Moment nicht länger verhindert werden kann, ist die betroffene Frau meistens schon so verliebt, dass sie die warnenden Rufe des Verstandes ignoriert und sich einredet, dass es schon nicht so schlimm werden wird.
Außerdem können auch die hinterhältigsten Schwiegermütter nett sein, solange sie sich der Überzeugung hingeben, es handele sich nur um eine vorübergehende Verliebtheit und ihr Sohn würde sicherlich bald ein Einsehen haben.
Oftmals erkennen sie ihre Fehleinschätzung erst, wenn ihr Sohn aus- und mit der Antagonistin zusammenzieht.
Erst dann zeigen viele Schwiegermütter ihr wahres Gesicht, und damit viel zu spät. In diesem Moment haben potentielle Schwiegertöchter in der Regel ein eigenes Besitzdenken hinsichtlich des betreffenden jungen Mannes entwickelt und räumen nicht mehr so einfach das Feld.
Besonders dann nicht, wenn eine größere Wohnung eingerichtet werden muss. Diese Möglichkeit lässt sich keine Frau, die ihre Sinne beieinander hat, entgehen.
**
Am anderen Ende der Stadt bekam eine Frau einen Heiratsantrag. Es war ein guter, wenn auch nicht spektakulärer Antrag; insbesondere wenn man berücksichtigte, dass die meisten Männer in einer derartigen Situation beiläufig fragten, wann man denn mal heiraten würde. Oder gleich darauf warteten, dass ihre Lebenspartnerin die Geduld verlor und selbst das Thema anschnitt.
Vincent kniete nieder und hatte einen offensichtlich sehr teuren Ring parat. Die Sache mit dem Ring war sozusagen eine Frage der Ehre, da Vincent Juwelier und Uhrmacher war und somit sich selbst geschadet hätte, wenn er in einem solchen Moment auf ein geschmackloses Schmuckstück zurückgreifen würde.
Das überraschte und erwartungsvolle Getuschel und Gekicher an den anderen Tischen des Restaurants war Friederike etwas unangenehm, doch das war ein großer Moment in ihrem Leben und sie bemühte sich, das Publikum zu ignorieren.
Vincent stellte hastig und mit glühenden Ohren die Frage aller Fragen und ließ kurz entschlossen die einstudierte Liebeserklärung weg, da sein Kopf wie leergefegt war.
Was um alles in der Welt hatte ihn nur geritten, den Heiratsantrag in einem öffentlichen Restaurant zu stellen? Dazu noch in einem, in welchem die halbe Stammkundschaft verkehrte.
Wie stünde er jetzt da, wenn Friederike ablehnt? Oder anfängt zu lachen? Sein Verstand aktivierte sich wieder, um eine Vielzahl beängstigender Möglichkeiten aufzuzeigen.
Sicher, Friederike war schwanger und somit vermutlich an einer schnellen Heirat interessiert. Doch andererseits stand sie gerade unter dem Einfluss unberechenbarer Hormone.
Vincent schwitzte und sah Friederike flehend an.
Da! Hatte sie gerade JA gesagt? Alles deutete darauf hin, denn sie nickte und schickte sich mit feuchten Augen an, ihn zu umarmen. Eine Last fiel von Vincent Schultern und benommen nahm er die Glückwünsche der Nachbartische entgegen.
Frauen bewunderten den Ring, der perfekt an Friederikes Finger passte. Unauffällig platzierte er die Schachtel mit der Werbeaufschrift seines Juweliergeschäftes auf dem Tisch.
Genau genommen war es nicht sein Juweliergeschäft, sondern das seines Vaters. Aber da er das einzige Kind seiner Eltern war, stellte dies nur eine unwichtige Formalität dar.
Offensichtlich war das mit dem öffentlichen Antrag doch eine gute Idee gewesen, und Vincent klopfte sich gedanklich auf die Schulter.
Jetzt musste nur noch eine Sache erledigt werden. Vincent hatte ein ungutes Gefühl dabei, wenngleich ihm nicht klar war, weshalb. Er beugte sich zu Friederike über den Tisch. »Wenn wir gegessen haben, fahren wir zu meinen Eltern und erzählen es ihnen.«
Friederike lächelte ihn glücklich an und nickte.
Vincent gratulierte sich zu seinem Geschmack. Friederike war schön. Nicht im klassischen Sinne, bei welchem Schönheit oft mit Symmetrie verwechselt wurde.
Setzte man gleichmäßige Augen, einen perfekt geschwungenen Mund und eine schmale, gerade Nase zu einem Gesicht zusammen, wäre man überrascht, wir oft das Ergebnis zwar ein ebenmäßiges, jedoch auch langweiliges und nichtssagendes Gesicht ergab.
Bei Friederike hingegen schienen die einzelnen Gesichtsmerkmale für sich betrachtet nicht überdurchschnittlich attraktiv zu sein. Insbesondere der Mund war zu groß (und das nicht nur im übertragenen Sinne). Doch sie waren auf vollkommene Art zusammengefügt und ergaben ein Gesicht, das nicht nur Vincents Herz zum Schmelzen brachte. Ihre Augen strahlten, das heute einmal offene blonde Haar glänzte und sie hatte eine umwerfende Figur. Und jetzt infolge der Schwangerschaft auch eine aufregende Oberweite.
Apropos.
»Dann können wir auch gleich verkünden, dass du schwanger bist«, fügte Vincent vorsichtig hinzu.
Friederike fiel die Kinnlade herunter. »Sagtest du nicht, dass du das schon erzählt hast? Vor zwei Wochen? Und dass sie sich freuen?«
»Äh, ja. Ich..., ich dachte, es wäre besser, gleich alle frohen Neuigkeiten auf einmal mitzuteilen. Und..., und außerdem ist es sowieso besser, wenn du dabei bist«, erklärte Vincent unsicher und sah Friederike hoffnungsvoll an.
Er war sich fast sicher, dass seine Eltern die Neuigkeiten positiv aufnahmen. Immerhin handelte es sich dabei um freudige Ereignisse. Doch der Gedanke an seine Mutter ließ ihn frösteln, auch wenn ihm der Grund dafür ein Rätsel war.
Auch Friederike sah mit einem Mal dem anstehenden Gespräch bei ihren zukünftigen Schwiegereltern mit gemischten Gefühlen entgegen. Vincents Vater hatte sie nur selten zu Gesicht bekommen, da er sich die meiste Zeit über im Geschäft aufhielt; selbst wenn dieses geschlossen war. Vincent hatte ihr einmal verraten, dass sein Vater dort in der Regel auf einem alten Sessel in seiner Werkstatt saß und in Ruhe Fußball schaute.
Vincents Mutter war bisher meist freundlich zu Friederike gewesen, allerdings auf eine etwas unnahbare Art. Friederike hatte so ihre Bedenken, was Vincents Mutter von dieser Beziehung hielt. Vincent war immerhin ihr einziges Kind. Darüber hinaus war Friederike schon einmal verheiratet gewesen und brachte einen fünfjährigen Sohn mit.
Nun, heute Abend würde sie es vermutlich herausfinden.
**
Montag, 28.11.
Meike traf erwartungsgemäß als Erste im Büro ein. Kurz vor halb acht hatte sie die Kinder in der Schule und im Kindergarten abgeliefert. Anschließend musste sie nur noch fünf Minuten fahren, um ihre Arbeitsstelle, die Filiale einer Versicherungsgesellschaft, zu erreichen.
Einen kurzen Moment lang erschien ein Lächeln auf ihrem Gesicht und sie dachte daran zurück, wie ihr Vater auf ihren Berufswunsch reagiert hatte.
Ihr Vater gehörte zu den Menschen, die tiefes Misstrauen gegen Versicherungen hegten. Es bestürzte ihn zutiefst, als seine älteste Tochter beschloss, für eben so einen zwielichtigen Haufen zu arbeiten. Dementsprechend lange dauerte es, bis er die sich daraus ergebenden Vorteile zu schätzen wusste. Mittlerweile war er ausgesprochen dankbar dafür, dass er sich mit ungeliebten Versicherungsproblemen an jemanden wenden konnte, dem er vertraute, und nicht an einen Vertreter, der hinter seinem einstudierten Lächeln damit beschäftigt war, die Provision auszurechnen.
Zielstrebig setzte Meike den Kaffeeautomaten in Gang und begann, die Blumen zu gießen. Aus irgendeinem Grund bemühten sich alle im Büro, die allernächste Umgebung ihrer jeweiligen Schreibtische mit Grünpflanzen zu umzingeln, vergaßen dann jedoch, dass diese zumindest gelegentlich Wasser brauchten.
Vielleicht brachten sie all die Blumentöpfe aber auch nur deshalb mit, weil zu Hause kein Platz mehr dafür war. Oder damit man die Kollegen nicht mehr sehen musste.
Jetzt stand auf jedem der ohnehin schon vollgestapelten Schreibtische noch ein kleiner Weihnachtsstern, den das Unternehmen ausgeteilt hatte in der Hoffnung, die Mitarbeiter damit zu vorweihnachtlicher Höchstform zu motivieren. Der gewünschte Erfolg war bislang jedoch ausgeblieben.
Meike genoss die morgendliche halbe Stunde, in der sie nicht auf den Monitor starrte oder mit aufgebrachten Kunden telefonierte, sondern sich um Lebewesen kümmerte, die ihre Klappe hielten und zuhörten. Heute gab es ganz besonders viel zu hören, da Meike die Vorfälle des vergangenen Wochenendes noch immer nicht verarbeitet hatte.
Ron war gestern zwei Stunden, nachdem Meike das Haus ihrer Schwiegereltern verlassen hatte, noch immer nicht aufgetaucht, und so war Meike mit beiden Kindern zu ihren eigenen Eltern gefahren. Irgendwo musste sie schließlich Luft ablassen, und die Kinder schienen ihr dafür nicht geeignet.
Dummerweise schneite es, und so zog sich die Fahrt zu ihren Eltern beinahe eine Stunde hin. Da die Kinder am nächsten Tag früh aufstehen und deshalb beizeiten im Bett liegen mussten, dauerte ihr Aufenthalt bei Meikes Eltern gerade mal eine Dreiviertelstunde, was noch nicht einmal annähernd ausreichte, um das Geschehene zu berichten und auszuwerten.
Als sie dann frustriert wieder zu Hause eintraf, wartete Ron schon auf sie und eröffnete ihr, dass er nachgedacht habe. Das Ergebnis dieser Bemühungen war die Erkenntnis, dass ein drittes Kind vielleicht doch keine so gute Idee sei.
Was für eine Überraschung.
Sie fragte ihn nicht, was er für den Fall, dass sie bereits schwanger war, plante. Sie konnte nicht fragen, da sie nicht mehr mit ihm sprach.
Es war nicht so, dass sie ihm nichts zu sagen gehabt hätte. Im Gegenteil. In ihrem Kopf sagte sie ununterbrochen Dinge. Der Grund, weshalb sie diese nicht laut aussprach, war zum einen die Anwesenheit der Kinder. Das, was sie dachte, würde zwar zweifellos den Wortschatz der Kinder erheblich erweitern, könnte aber zu empörten Briefen von Lehrern und Kinderbetreuern führen, falls die Kinder das neu erworbene Wissen dort anbrachten.
Zum anderen war sie sich nicht sicher, ob sie überhaupt in der Lage war, einigermaßen ruhig zu sprechen. Mit großer Wahrscheinlichkeit würde sie nur schreien, was die Wirkung des Geäußerten zumeist einschränkte. Außerdem schadete es der Stimme.
Nein. Gelegentlich war es besser zu schweigen. Erfahrungsgemäß zog dies einen erzieherischen Effekt nach sich und hatte mitunter bereits dazu geführt, dass ihr Mann nachdachte (und zwar mit seinem eigenen Verstand und nicht dem seiner Mutter). Noch immer bestand Hoffnung, dass Ron einsah, wie absurd dieser Tag verlaufen war. Diesen kleinen Hoffnungsschimmer wollte Meike nicht mit hysterischem Geschrei zerstören.
Sie war unter gar keinen Umständen bereit, nachzugeben und diese alte Schachtel bei der Familienplanung mitentscheiden zu lassen.
Meike hielt mit ihren Überlegungen über den gestrigen Abend für einen Moment inne, als sie bei Pias Schreibtisch angekommen war. Der Weihnachtsstern hier sah nach dem Wochenende ebenso traurig wie die der anderen aus und schaute sie hoffnungsvoll an. Doch Meike blieb hart. Sie verabscheute Pia, und der Anblick des vertrockneten Weihnachtssterns auf dem Schreibtisch verschaffte ihr Genugtuung, auch wenn ihr Hobbygärtnerherz dabei litt.
Erneut versank sie in Gedanken.
Heute Morgen hatte noch nichts darauf hingedeutet, dass Ron wieder zu rationalem Denken in der Lage war. Und so schwieg sie weiter.
Sie hatte bereits den ganzen letzten Abend, die schlaflose Nacht und auch den Morgen über kein Wort zu Ron gesprochen, innerlich jedoch so viele Argumentationen, Erklärungen und Beweisführungen ausgearbeitet und vorgetragen, dass sie nun völlig erschöpft war. Das Gespräch mit den Pflanzen tat gut, und da diese Gesprächspartner von ihrer Gnade abhängig waren, hoffte sie wenigstens hier auf Verständnis.
Dann wurde Meike bewusst, wie verrückt das war, und sie zwang sich, an etwas anderes zu denken. Hoffentlich dauerte es noch eine Weile, bis die anderen kamen.
Im nächsten Moment öffnete sich die Tür und Friederike betrat das Büro. Ein Blick genügte und Meike erkannte, dass sie offensichtlich nicht die Einzige war, hinter der ein anstrengendes Wochenende lag.
»Oh. Hallo«, murmelte Friederike.
»Guten Morgen.« Meike sah Friederike fragend an. »Kaffee?«
»Oh ja. Gerne«, erwiderte diese dankbar und ließ sich auf ihren Stuhl fallen.
Wenige Minuten später saßen sie sich stumm gegenüber und nippten gedankenverloren an ihren Kaffeetassen.
»Schlechtes Wochenende gehabt?« erkundigte sich Friederike schließlich vorsichtig.
Meike nickte.
»Deine Schwiegermutter?« bohrte Friederike weiter. Wenn Meike derart schlecht gelaunt war, musste man meistens nicht lange nachfragen, wo die Ursache dafür lag. Schon viel zu oft hatte Friederike auf die Frage nach dem Grund die gleiche Antwort erhalten und gerätselt, weshalb sich Meike das gefallen ließ.
Seit gestern wusste sie es.
Meike nickte schwach, riss den Blick von ihrer Kaffeetasse los und sah Friederike fragend an. »Und bei dir?«
»Also, du wirst es nicht glauben. Dasselbe wie bei dir.«
»Was? Äh, ich meine..., wieso?«
»Vincent hat mir gestern einen Heiratsantrag gemacht.«
»Oh. Aber das ist doch..., also, meinen herzlichen Glückwunsch«, sagte Meike verwirrt.
Sie selbst hatte nie einen Heiratsantrag bekommen, da ihr Angetrauter zu den Männern gehörte, die darauf warteten, dass ihnen die Frau ihrer Wahl Ort, Datum und Uhrzeit mitteilte, einen Anzug besorgte und im passenden Moment einen Schubs in die richtige Richtung gab.
Doch sie würde darauf wetten, dass sie nach einem Heiratsantrag glücklicher ausgesehen hätte. Ganz besonders dann, wenn der Antrag vom richtigen Mann kam und man sowieso schon mehr oder weniger darauf wartete, wie das bei Friederike der Fall war.
Die Tür öffnete sich erneut und Björn kam schwungvoll herein.
»Guten Morgen«, rief er, warf seine Tasche in eine Ecke und begann, seine Jacke auszuziehen.
Meike tauschte einen resignierten Blick mit Friederike und erwiderte Björns Gruß.
Mist. Vermutlich war Friederike nicht bereit, in Björns Beisein die interessanten Details ihres Wochenendes zu erzählen, und Meike würde warten müssen.
Darüber hinaus störte Björn die allgemeine morgendliche Ruhe. Wobei Meike Björn während der restlichen Tageszeiten durchaus mochte.
Doch Björn gehörte nun einmal zu den Menschen, die morgens auf eine penetrante und lästige Weise wach waren. Bereits in den frühen Morgenstunden sang und pfiff er unerträglich fröhlich vor sich hin und redete. Und zwar ohne Unterbrechung. Oder er schleppte enthusiastisch Aktenberge durch das Büro und rannte dabei Papierkörbe und Stühle über den Haufen, und manchmal auch frisch gegossene Blumentöpfe.
Meike hingegen brauchte morgens etwas Anlauf, und nichts behinderte sie dabei so sehr wie aufdringliche Fröhlichkeit. Sie empfand ein derartiges Verhalten gewissermaßen als persönliche Provokation und konnte äußerst gereizt reagieren, wenn es jemand übertrieb. Insbesondere dann, wenn sie schlecht geschlafen hatte.
Friederike schien die explosive Stimmung zu spüren und warf Björn warnende Blicke zu. Doch sie stieß dabei auf das Problem, dass die meisten Männer gegen subtile Warnhinweise immun waren*.
»Geht es dir gut?« Björn kniff die Augen zusammen, um Friederikes Bemühungen, ihr Gesicht in ein Warnschild zu verwandeln, näher zu betrachten.
Meike gab den Versuch, ihren Kaffee zu hypnotisieren, auf und schaute nun ebenfalls Friederike fragend an, die die Augen verdrehte und seufzte.
Jetzt gab es nur zwei Möglichkeiten. Entweder sie begann mit ihrer Arbeit, die in Form von zwei bedrohlichen Aktenstapeln auf ihrem Schreibtisch winkte, oder sie eröffnete ein neutrales, unverfängliches Gesprächsthema.
Nach einem schuldbewussten Blick auf die Akten und der Erkenntnis, dass sie für diese heute noch nicht bereit war, wählte Friederike die zweite Möglichkeit.
»Habt ihr schon alle Weihnachtsgeschenke?«
Björn hielt einen Moment lang verblüfft inne, dachte kurz nach und öffnete den Mund. Friederike erfuhr jedoch nicht, wie weit er in der weihnachtlichen Konsumschlacht schon gekommen war, da Meike abrupt aufstand, sie ansah und sagte: »Komm mal mit!«
Verwirrt folgte sie Meike und verließ das Zimmer, wo Björn sprachlos zurückblieb.
»Findest du nicht, dass wir zu alt sind, um zusammen aufs Klo zu gehen?« fragte sie Meike grinsend, als sie im Vorraum der Toilette angekommen waren. Doch von Neugier geplagten Menschen war so etwas vermutlich egal.
Meike atmete auf. »Jetzt muss man am frühen Morgen schon auf die Toilette flüchten, um seine Ruhe zu haben. Also, nun erzähl schon.«
**
Friederike hatte am vorangegangenen Abend mit gemischten Gefühlen das Haus ihrer zukünftigen Schwiegereltern betreten. Eigentlich gab es bei objektiver Betrachtung keinen Grund für Bedenken. Darüber hinaus war Vincent bei ihr, auch wenn das mit dem starken Mann an ihrer Seite in seinem Fall einer genaueren Untersuchung nicht standhielt, weder körperlich noch mental. Aber er liebte sie. Zumindest hatte er das gerade eben noch behauptet, und so etwas sollte angeblich auch schwächer gebaute Männer über sich hinauswachsen lassen. Schließlich zogen sie nicht in den Krieg, sondern besuchten seine Eltern.
Ihr sollte erst später klar werden, dass sowohl das eine als auch das andere zu unschönem Gemetzel führen konnte.
Sie trafen nicht nur Vincents Mutter, sondern auch seinen Vater an, was bedeutete, dass gerade entweder kein Fußballspiel lief oder aber Vincents Mutter ihre Autorität geltend gemacht hatte. Auf letztere mussten Frauen von Männern, die sich gern einmal der häuslichen Nähe entzogen, gelegentlich zurückgreifen, wenn sie kontrollieren wollten, ob ihr Mann einen neuen Haarschnitt brauchte oder die Unterwäsche wechseln sollte.
Vincents Eltern waren überrascht, so spät noch Besuch von ihrem Sohn zu bekommen, boten aber bereitwillig Platz und Getränke an. Vincents Vater nippte erwartungsvoll an seinem Weinglas und warf Vincent wissende Blicke zu, bis es dieser nicht mehr aushielt und mit der Neuigkeit herausplatzte. Beziehungsweise den Neuigkeiten.
Danach ging alles sehr schnell.