Kitabı oku: «Böse Jungs dringend gesucht»
Mira Schwarz
Böse Jungs dringend gesucht
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Böse Jungs dringend gesucht
Prolog - Böse Jungs
Kapitel 1 - Freunde bleiben
Kapitel 2 – Ernste Gespräche
Kapitel 3 - Ein Hauch von Freiheit
Kapitel 4 - Auf die alten Zeiten
Kapitel 5 - Hitzige Gedankenspiele
Kapitel 6 - Peppermind Nights
Kapitel 7 – Musik im Blut
Kapitel 8 - Schläge in die Magengrube
Kapitel 9 - Überraschungen
Kapitel 10 - London calling
Kapitel 11 - Schmerzende Wahrheiten
Kapitel 12 - Ein Hauch von Normalität
Kapitel 13 - Schatten der Vergangenheit
Epilog - Böse Jungs dringend gesucht – und gefunden
Inhalt
Impressum tolino
Böse Jungs dringend gesucht
Böse Jungs dringend gesucht
November 2015
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Mira Schwarz
Böse Jungs dringend gesucht
Da stand er nun – Chris, der Rockstar.
Und er hatte nichts mehr mit dem kleinen, unsicheren Jungen aus der Nachbarschaft gemein.
Außer vielleicht seine Augen, die mich immer noch ansahen,
als wäre ich von einem anderen Stern.
Doch das Schlimmste war, ich liebte es. Immer noch.
Prolog - Böse Jungs
Das Wasser im Swimming-Pool war immer noch lauwarm, obwohl es schon fast Mitternacht war. Sie hatten ihre Schuhe ausgezogen und ließen die Füße ins Wasser hängen. Über ihnen funkelten die Sterne am klaren Himmel.
Jenny griff zum dritten Mal nach der Rolle Mentos und steckte sich einen Bonbon in den Mund. Der Minzgeschmack beruhigte ihre aufgewühlten Nerven. Sie sah zur Seite und lächelte Chris schüchtern an.
Er strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. „Weißt du, was ich glaube?“, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf, sprachlos und verwirrt von der Tatsache, dass er hier wirklich neben ihr saß.
Er lehnte sich zurück und ließ sich auf seine Ellenbogen sinken. Seine Füße bewegten sich leicht im Wasser. „Ich glaube, du bist das netteste Mädchen, das ich kenne.“
Sie hielt den Atem an. Sie war siebzehn Jahre alt und hatte keine Ahnung von der Liebe. Sie drehte sich zu ihm und zog die Beine vor ihren schmalen Körper. „Ich dachte bis jetzt, dass du nichts für nette Mädchen übrig hast.“
Er streckte die Hand nach ihr aus, streifte leicht ihren Arm. „Es ist kompliziert, wenn man selbst kein netter Junge ist.“
Sie sahen sich in die Augen. Dann stand er auf. Sie wollte ihn aufhalten, aber sie fand keine Worte. Er stand vor ihr – groß und erwachsen. Unerreichbar. Mit seinen neunzehn Jahren hatte er schon eine Menge von der Welt gesehen. Er würde mit seiner Band auf Tour gehen und sie hier alleine lassen. Er nahm ihre Hände in seine und zog sie auf die Füße.
„Wir sollten wieder zu den anderen gehen“, sagte er leise. Der Partylärm drang zu ihnen herüber, aber Jenny nahm nichts wahr außer seiner Stimme. Jetzt, dachte sie. Jetzt wird er mich küssen. Stattdessen legte er ihr einen Arm um die Schultern.
„Kann ich dir was sagen?“ Seine Stimme war warm.
„Natürlich.“ Sie nickte und sah ihn gespannt an.
„Ich komme bald wieder. Versprochen.“
Sie glaubte ihm. Es war der erste große Irrtum ihres Lebens.
Kapitel 1 - Freunde bleiben
Zwölf Jahre später
Die Abendsonne schien auf den aufgeschütteten Sand, Strohschirme im Karibik-Stil und bunte Cocktails verbreiteten Urlaubsflair und die Spree plätscherte vor der Berliner Skyline gemächlich gegen die Kaimauer. In die Musik vom DJ-Pult mischte sich das Gelächter der Gäste – zum Großteil Touristen, die den ersten warmen Abend im Mai nutzten, um sich von ihrem anstrengenden Sight-Seeing-Programm zu erholen. Das Leben schien zu sagen: alles easy, einfach mal durchatmen.
Aber Jenny war alles andere als entspannt.
Wie konnte sie auch?
Anstatt sich zurückzulehnen und das schöne Wetter zu genießen, zappelte sie unruhig auf ihrem Liegestuhl herum. Alle zwei Minuten zog sie ihr Smartphone aus ihrer Umhängetasche, schaute genervt auf die Uhr und steckte es wieder zurück. Dann griff sie nach ihrem mexikanischen Bier, trank einen Schluck, fischte ein Haargummi aus ihrer Jeanstasche und band sich ihre langen, hellbraunen Haare zusammen. Sekunden später löste sie den Zopf und ließ sich wieder in den Liegestuhl zurückfallen. Nach wenigen Augenblicken griff sie erneut nach dem Telefon und das Spiel begann von Neuem.
Typisch, dachte Jenny wütend. Sie hätte sich ja denken können, dass Anouk es nicht pünktlich schaffen würde. Ihre beste Freundin war eine notorische Zuspätkommerin. Ohne Frage, wenn jemand heutzutage noch ein Lexikon lesen würde, also so ein richtiges, mit Seiten, dass im Schrank steht, dann würde er ihren Namen und bestimmt auch ein Foto, neben dem Eintrag 'zuspätkommen' finden. Wieder zerrte Jenny ihr Telefon hervor. Jetzt wartete sie schon eine halbe Stunde. Warum war sie bloß nicht erst mal nach Hause gefahren, um sich umzuziehen? Jetzt saß sie hier in ihrer viel zu warmen Jeans und dem langärmeligen Shirt und schwitzte. Aber nein, sie war direkt nach ihrer Schicht im Krankenhaus in den Bus gesprungen, um Anouk nicht warten zu lassen. Bescheuert!
Ärgerlich krempelte Jenny ihre Ärmel hoch.
Eigentlich konnte sie eine kleine Pause ganz gut gebrauchen. Seit sie als Assistenzärztin auf der Kinderstation arbeitete, waren die Momente selten geworden, in denen sie einfach nur herumsitzen konnte. Aber gerade jetzt wollte sie sich nicht ausruhen. Sie wollte ihre verdammten Neuigkeiten loswerden. Sofort. Am liebsten Vorgestern.
Wieder griff sie nach ihrem Bier, aber es war leer. Sie nahm die volle Flasche, die sie vorhin schon für ihre Freundin bestellt hatte.
„Hey! Ich glaube, das ist mein Bier.“ Anouk kam mit langen Schritten auf sie zugeeilt. In ihren hochhackigen Schuhen und mit der dramatischen Sonnenbrille sah sie aus wie ein Filmstar. Sie ließ sich in den gelben Liegestuhl neben Jenny fallen und griff nach dem Bier wie eine Verdurstende.
„Mann, wo hast du denn so lange gesteckt?“ Jenny funkelte ihre Freundin wütend an, obwohl sie ihr nie lange böse sein konnte. „Ich warte hier schon seit Ewigkeiten.“
Anouk ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie schlüpfte aus ihren Riemchen-Sandalen und steckte ihre nackten Füße in den Sand. „Ach, komm schon. Die paar Minuten“, sagte sie und schlug lässig die Beine übereinander.
Jenny schüttelte den Kopf. „Offenbar hast du dir die Zeit genommen, dich in aller Ruhe umzuziehen.“ Sie betrachtete den kurzen, roten Rock und das silberne Spaghettiträger-Top ihrer Freundin. „Wieso rutscht dein Rock nicht hoch?“, fauchte sie dann angriffslustig. „Wenn ich mich so hinsetzen würde wie du, würde jeder sofort meine Unterwäsche sehen.“
Anouk hob nur leicht die Schultern, stellte gelassen ihr Bier ab, streckte die Arme in die Höhe und verschränkte sie hinter ihren raspelkurzen, blondierten Haaren. Ihr Top rutschte ein Stückchen hoch und gab den Blick auf ihren Bauch frei.
Auch dieser Anblick brachte Jenny in Rage. „Warum zum Teufel ist dein Bauch so braun?“
Anouk zog halbherzig ihr Top herunter. „Ich habe eine gute Ausrede“, sagte sie dann grinsend. Jennys schlechte Laune prallte einfach an ihr ab. „Ich meine nicht für den Rock und den Bauch. Sondern fürs Zuspätkommen. Du errätst nicht, mit wem ich gerade eben telefoniert habe.“
„Ist mir völlig egal“, erwiderte Jenny patzig. „Ich muss dir auch etwas erzählen und weil ich hier schon ewig warte, bin ich zuerst dran.“ Sie setzte sich auf. „Florian schläft mit Kessy.“ Sie atmete heftig aus und ließ sich dann erschöpft nach hinten sinken, als wäre ihre Aussage eine sportliche Höchstleistung gewesen.
„Oh“, sagte Anouk mit ungerührtem Ausdruck. „Und wer ist?“
„Die Laboranten-Kuh, die seit einem halben Jahr mit Florian zusammen arbeitet? Über die ich ständig rede? Die, von der ich dir das Foto auf der Homepage gezeigt habe? Verdammt, hörst du mir überhaupt nie zu?“
„Doch, als du mir diese Manolo Blahnik-Schuhe im Ausverkauf beschrieben hast, habe ich sehr genau zugehört.“ Anouk musterte Jenny. „Warum regst du dich so darüber auf, dass dein Ex-Freund mit einer anderen schläft? Soweit ich mich erinnern kann, hast du mit ihm Schluss gemacht.“
„Ja, und?“ Jenny lachte freudlos auf. „Aber muss er deshalb mit so einer ...“, sie suchte nach dem passenden Wort, fand aber keins, „... mit so einer zusammen sein? Ich meine, was sagt das über mich aus?“
Anouk seufzte. „Ich würde sagen, mit dir hat das nichts mehr zu tun. Florian hat sich in eine andere Richtung entwickelt und du hast es rechtzeitig erkannt. Das war doch dein Hauptvorwurf: dass er nicht Arzt geworden ist, sondern sich an die Pharmaindustrie verkauft hat. Es macht also Sinn, wenn er sich jetzt auch eine andere Freundin sucht.“
Anouk trank ihre Flasche leer und sah Jenny fragend an. „Soll ich uns noch zwei holen?“
„Das ist alles?“ Jenny hatte so laut gesprochen, dass sich ein Pärchen am Nachbartischchen nach ihnen umdrehte. Sie senkte ihre Stimme etwas. „Mehr hast du dazu nicht zu sagen?“
„Doch“, erwiderte Anouk trocken. „Aber das willst du nicht hören.“
Jenny nickte ihr kurz zu. „Versuch es trotzdem.“
Anouk nahm die Sonnenbrille ab. „Du hast nicht mit Florian Schluss gemacht, weil er - Achtung, ich zitiere dich nur - eine Pharma-Hure geworden ist. Du hast dich von ihm getrennt, weil er dir noch keinen Heiratsantrag gemacht hat.“
Jenny schnappte nach Luft, aber Anouk redete einfach weiter. „Klar, die Phase der ersten Verliebtheit ist vorbei. Aber du wolltest dich gar nicht wirklich trennen, sondern nur ein bisschen Pep in eure eingeschlafene Beziehung bringen.“ Sie drehte ihre leere Flasche in den Händen. „Du bist neunundzwanzig, Jenny. Seit dreiundzwanzig Jahren erzählst du mir, dass du drei Kinder willst. Da wird es doch langsam Zeit. Immerhin musst du ja auch noch deinen Facharzt machen, bevor du endlich aus Berlin rauskommst, dir ein Häuschen kaufen kannst und einen guten Halbtagsjob in einer Kinderarztpraxis findest.“
Jenny starrte Anouk sprachlos an. „Das denkst du von mir?“
Anouk nickte. „Das und Schlimmeres“, bestätigte sie mit einem Augenzwinkern. „Ich denke, diese Kessy ist völlig in Ordnung. Du bezeichnest jede Frau als Schlampe, die regelmäßig die Haare färben lässt, Röcke trägt, die nicht das Knie bedecken und Spaß an Sex hat.“ Sie erhob sich und zeigte wieder auf ihre leere Bierflasche. „Noch eins?“
Jenny starrte ihre Freundin an. „Ich mag Sex“, zischte sie.
„Womit wir wieder bei deinem impotenten Ex-Freund wären.“
„Er ist nicht impotent.“ Jenny war jetzt so sauer, dass sie fast schrie. Mehrere Leute drehten sich zu ihnen um und guckten neugierig, wer da dieses offenherzige Gespräch führte. Jenny lief rot an und drosselte ihre Lautstärke. „Es war nicht so, dass er nicht …“ Sie brach ab, setzte dann neu an. „Er hat nicht nicht …“ Sie warf die Hände gen Himmel. „Es ist nur ein einziges Mal passiert, okay? Ich hätte dir das überhaupt nicht erzählen dürfen. In deinen Händen wird jede Information zur Waffe.“
Anouk nickte verständnisvoll. „Stimmt. Aber wenn du nicht mehr über Sex reden würdest, dann hättest du überhaupt keinen Grund dafür, es noch zu tun.“
„Ich war sechs Jahre mit Florian zusammen“, erklärte Jenny. „Es ist doch klar, dass man dann nicht mehr so aufeinander steht, wie in den ersten Wochen.“
„Stimmt schon wieder“, gab Anouk ihr Recht. „Deshalb habe ich ja auch meine Dating-Regel. Höchstens fünf Mal Sex und dann ist Schluss.“ Sie stand auf. „Was ist nun - trinkst du noch eins?“
Jenny nickte stumm und sah ihrer Freundin nach, die sich Richtung Bar entfernte. Das hatte sie jetzt wirklich alles nicht hören wollen. Anouk brachte es immer wieder fertig, dass sie sich fühlte wie eine langweilige Spießerin. Nur weil sie nicht in Clubs ging, um fremde Typen abzuschleppen, war sie doch weiß Gott keine Nonne. Sie drehte sich noch einmal zu Anouk um, die gerade die Getränke bestellte und dann lachend den Kopf in den Nacken warf, während sie eine Frage des süßen Barkeepers beantwortete.
Nein, mit Anouk musste sie sich wirklich nicht vergleichen. Die war eine Klasse für sich. Und ihr beste Freundin – und die liebenswerteste Person, die es auf diesem Planten gab.
Aber was war mit den anderen Dingen, die Anouk gesagt hatte? Hatte sie Florian vielleicht wirklich bewegen wollen, ihr einen Heiratsantrag zu machten?
Jenny verzog das Gesicht. Gott, nein. Sie hatte schon seit längerem nur noch lauwarme Gefühle für ihn. Sie wollte ihn nicht zurück, aber sie wollte ihn auch nicht verlieren. Das machte zwar keinen Sinn, war aber die Wahrheit. Florian war ihr bester Freund – und irgendwie hatte Jenny angenommen, dass er das auch nach ihrer Trennung bleiben würde.
Sie fuhr zusammen, als Anouk ihr plötzlich eine eiskalte Bierflasche an den warmen Nacken hielt. „Na, hab ich ins Schwarze getroffen?“, fragte sie selbstzufrieden.
„Keine Ahnung“, seufzte Jenny. Die Wut war verraucht. Auf einmal fühlte sie sich nur noch so ausgelaugt, wie es sich nach einem Elf-Stunden-Tag im Krankenhaus gehörte. „Aber das Schlimmste kommst noch.“
Anouk beugte sich zu ihr herüber. „Er hat dir gesagt, dass sie besser im Bett ist.“
Jenny verdrehte die Augen. „Ha, ha.“ Sie trank einen Schluck. „Nein, er hat gefragt, ob es mich stören würde, wenn Kessy mit uns in den Urlaub fährt.“
„Ha!“ Triumph leuchtete in Anouks Augen. „Ich will ja nicht sagen, dass ich es dir gleich gesagt habe.“ Sie erhob ihre Stimme. „Aber habe ich es dir nicht gleich gesagt? Dieses Freunde-Bleiben-Getue ist vollkommen bescheuert. Ich meine, welches Ex-Pärchen fährt drei Monate nach der Trennung gemeinsam in den Urlaub?“
„Wir fahren doch jedes Jahr alle zusammen in das Haus“, erklärte Jenny kleinlaut. „Ich liebe das Haus.“
Das Haus war ein altes Bauernhaus in der Nähe von Schwerin, das Anouks Mutter in den 90er Jahren gekauft hatte. Mittlerweile wurde es als Seminarhaus vermietet, aber die erste Woche im Juni gehörte seit Ewigkeiten Anouk und ihren Freunden. Es war eine bunt zusammengewürfelte Truppe, die Jahr für Jahr für ein paar Tage zu diesem Trip in die Natur aufbrach: Anouk und ihr Mitbewohner Simon, Jenny und Florian und seit einigen Jahren auch Florians Schwester Sophie mit ihrer kleinen Tochter Emilia.
Jenny liebte diese Juni-Woche mit ihrer Clique. Sie freute sich schon Monate vorher darauf – es war für sie das Highlight des ganzen Jahres. Das wollte sie trotz der Trennung von Florian auf keinen Fall aufgeben.
„Ich will weiter ins Bauernhaus fahren“, wiederholte Jenny trotzig.
„Du sollst doch auch weiter hinfahren.“ Anouk sah sie an, als wäre sie ein wenig zurückgeblieben. „Du musst nur Florian sagen, dass er nicht mehr mit kann.“
„Aber was ist dann mit Sophie und Emilia? Sie sind Florians Verwandte, aber für mich sind sie doch auch fast so etwas wie Familie.“
„Weißt du, sieh es doch mal so.“ Anouk stuppste Jenny leicht an. „Diese Kessy-Sache hat dir wenigstens geholfen, Klartext zu reden. Ist wie nach einer Scheidung. Ihr müsst euren Freundeskreis aufteilen.“ Sie beugte sich ein wenig vor. „Ich bleibe natürlich bei Florian, jetzt wo er Hunderttausend im Jahr verdient. Nimm es nicht persönlich.“
Jenny boxte sie in die Schulter. „Sehr witzig. So viel verdient er nun auch wieder nicht.“
Anouk lehnte sich zurück und schloss für einen Moment die Augen. „Also, dann sind es diesmal nur du und ich, Simon und Sophie mit Emilia?“
„Na ja.“ Jenny wich Anouks Blick aus. „Ich habe Florian eigentlich nicht wirklich abgesagt.“
„Dann kommt er ohne seine neue Flamme?“
Jenny betrachtete interessiert die Aufschrift auf ihrer Bierflasche. „Ich habe auch nicht gesagt, dass ich etwas dagegen hätte, wenn er Kessy mitbringt.“
„Sag, dass das nicht wahr ist“, stöhnte Anouk.
Jenny verbarg ihr Gesicht in den Händen. „Ehrlich gesagt habe ich gesagt, dass ich mich freuen würde, sie kennenzulernen.“
Anouk brach in Gelächter aus. „Das wird sicher ein unvergesslicher Urlaub.“ Sie schüttelte den Kopf. „Jetzt verstehe ich auch, warum du so durcheinander bist. Ich habe übrigens auch Neuigkeiten, was Schwerin angeht. Das wollte ich dir vorhin schon sagen.“
„Was denn?“ Jenny sah Anouk ängstlich an. „Gute oder schlechte?“
„Kommst auf den Blickwinkel an. Unser Rockstar hat mich vorhin angerufen.“
Sofort beschleunigte sich Jennys Herzschlag und sie versuchte, ihrer Stimme einen beiläufigen Ton zu geben. „Meinst du Chris?“
„Kennen wir sonst noch irgendwelche Rockstars?“
„Eigentlich ist er ja eher Britpopper“, murmelte Jenny.
Anouk winkte ungeduldig ab. „Seine 'Sad Cowboys' spielen ein paar Konzerte in Deutschland, deshalb ist er im Lande. Und da hatte er die glorreiche Idee, seine Stiefschwester mal wieder zu sehen.“
Jenny schluckte. „Chris kommst nach Berlin?“
„Nein, er besucht unsere Eltern in Hamburg. Aber ich habe ihn gefragt, ob er danach mit uns ins Bauernhaus fährt.“
Jenny war auf einmal so aufgeregt, dass ihr fast übel wurde. „Und? Was hat er gesagt?“
„Er überlegt es sich.“
„Cool“, quiekste Jenny wie ein kleines Mädchen. Wie ging das noch mit dem Ein- und Ausatmen? Sie hatte das Gefühl, dass sie irgendwie aus ihrem normalen Atemrythmus geraten war.
„Cool?“ Anouk runzelte die Stirn. „Geht's dir gut?“
„Ja, toll, meinte ich. Ich meine, wäre doch toll, wenn er mitkommt“, stammelte Jenny. Sie spürte, dass sie einen hochroten Kopf bekommen hatte.
Anouk musterte ihre Freundin durchdringend. „Du stehst doch nicht immer noch auf ihn?“
„Ich stehe nicht auf deinen Stiefbruder“, entfuhr es Jenny. „So ein Blödsinn. Wie kommst du bloß auf so einen Quatsch? Ich habe ihn seit Jahren nicht mehr gesehen. Außerdem ist er ein totaler Angeber mit seinem ganzen coolen Musiker-Getue und...“
Weiter kam sie nicht, denn Anouk unterbrach sie lachend. „Du hast aber heute wirklich ein explosives Temperament. Ich weiß, dass du nicht auf Chris stehst. Ich meine, wie oft sind wir damals bei ihm auf dem Dachboden reingeplatzt, wenn er gerade dabei war, an sich herumzuspielen.“
Jenny hielt sich die Ohren zu. „Sei still, das will ich gar nicht hören. Außerdem stimmt das gar nicht.“
„Oder diese ganzen Groupies, die er abgeschleppt hat“, redete Anouk ungerührt weiter. „Nee, Frau Doktor, du mit deinem geordneten Lebenswandel und mein chaotischer Stiefbruder, das wäre sicher lustig, aber wahrscheinlich nur für mich.“ Sie ließ ein wenig Sand durch ihre Hand rieseln. „Aber du hast das Wesentliche noch nicht bedacht - wenn Chris mitkommt, rastet Florian bestimmt aus. Er war schon immer eifersüchtig auf ihn.“ Sie streckte die Beine von sich und machte ein wohliges Geräusch. „Der Urlaub wird auf jeden Fall viel lustiger, als ich gedacht habe.“
Als Jenny diese Worte hörte, wurde ihr mulmig im Bauch.
Gut, das war leicht übertrieben, man könnte sagen, dass mehrere Kampfjets ihre Übungen in ihrem Unterleib absolvierten. Und das betrunken.
Trotzdem zwang sie sich ein Lächeln ab und versuchte gleichgültig zu wirken. „Wenn du meinst.“
***
In Jennys Kopf herrschte nichts als Chaos, als sie sich schließlich auf den Weg nach Hause machte. Fast hätte sie ihre Bushaltestelle verpasst, so vernebelt war ihr Kopf. Der einzige Gedanke, der sich deutlich herauskristallisieren ließ, war: Bitte, lieber Gott! Mach, dass Chris mitkommt.
Vergessen waren Florian und seine neue Freundin, vergessen ihre Eifersucht und die Frage, ob sie ihren Ex-Freund zurück wollte. Jetzt war sie in Gedanken nur noch mit einem Mann beschäftigt: Einem unnahbaren Musiker, der Deutschland seit Jahren den Rücken gekehrt hatte. Einem einundreißigjährigen Gitarristen mit verstrubbelten, blonden Haaren, der zu viel trank und zu wenig redete, seit sie ihm vor fast sechzehn Jahren das erste Mal begegnet war.
Mit aller Kraft versuchte Jenny, das Bild von Chris aus ihrem Kopf zu vertreiben. Aber immer wieder tauchte sein Gesicht vor ihrem inneren Auge auf. Er war das perfekte männliche Gegenstück zu Anouk. Ebenfalls blond, mit ebenmäßigen, fast schon zu gleichmäßigen Gesichtszügen und einer raubkatzenhaften Geschmeidigkeit. Während Anouk jedoch zierlich und schmal war, war ihr Stiefbruder groß und breitschultrig. Beide kamen aus reichen Künstlerfamilien, beide hatten erschreckend wenig mit normal Sterblichen wie Jenny gemein. Man hätte sie wirklich für Geschwister halten können, dabei waren Anouk und Chris keineswegs blutsverwandt.
Anouks Mutter, eine erfolgreiche Schauspielerin, hatte Chris Vater kennengelernt, als die beiden schon Teenager waren. Chris hatte jedes zweite Wochenende in der Hamburger Luxusvilla verbracht, in der Anouk aufgewachsen war. Dort hatte auch Jenny ihn kennengelernt: einen coolen Fünfzehnjährigen, der regelmäßig mit einer Gitarre in der Hand und einer Sporttasche über dem Arm vor der Tür stand.
Schluss!, befahl sich Jenny streng und konnte gerade noch einem Auto ausweichen, als sie eine Straße überquerte. Diese Träumerei führte zu nichts. Chris würde sicher nicht mit einem Haufen Normalos in ein Bauernhaus in der Pampa fahren. Sie würde ihn nicht zu Gesicht bekommen, sondern sich nur stundenlang Geschichten über ihn von Anouk anhören und dabei vor Sehnsucht zerfließen.
Und genau das würde sie natürlich niemals, nie-ma-ls zugeben.
Jenny hatte Chris seit Jahren nicht gesehen. Jedes Jahr kündigte Anouk an, dass ihr Stiefbruder irgendwo aufkreuzen wollte. Aber er tat es nie. Jenny hatte Jahre gebraucht, um sich Chris aus dem Kopf zu schlagen. Jetzt würde sie nicht wieder damit anfangen, von ihm zu träumen. Sie war verdammt noch mal kein dummes Schulmädchen mehr, sondern eine ausgebildete Ärztin!
Chris gehörte so wenig in ihr Leben wie Designerklamotten und Filmstars. Das war die Welt von Anouk, nicht ihre.
Jenny atmete tief ein und aus und verbot sich jeden weiteren Gedanken an Chris. Als ob es nichts Wichtigeres gäbe! Sie musste sich auf ihren Job konzentrieren. Die nächste Woche in der Klinik würde besonders heftig werden: Jenny hatte drei Nachtdienste und es war verdammt stressig, zehn lange Nachtstunden die Verantwortung für die ganze Kinderstation alleine zu tragen. Sie musste allein entscheiden, was zu tun war, wenn ein Kind einen Fieberkrampf bekam oder plötzlich apathisch wurde.
Aber wenn sie diese Woche geschafft hatte, lag endlich der Urlaub vor ihr - und den würde sie sich nicht kaputt machen lassen. Nicht von Ex-Freunden mit ihren blöden, neuen Flammen und schon gar nicht von Gitarristen, die nicht mal auftauchten. Ein Gutes hatte Anouks Ankündigung von Chris‘ Anreise auf jeden Fall: Jenny war es auf einmal vollkommen egal, ob ihr Ex-Freund Florian mit seiner neuen Freundin oder einem Yeti in dem alten Bauernhaus auftauchen würde.
***
In ihrer Wohnung angekommen riss Jenny alle Fenster auf, um die Abendluft herein zu lassen. Dann ließ sie sich aufs Sofa fallen und schaltete den Fernseher ein. Ohne richtig hinzusehen zappte sie fahrig durch die Kanäle. Es war wie verhext.
Egal, welches Programm sie wählte, sie sah überall blonde Männer, E-Gitarren oder britische Bands. Alles schien sie an Chris zu erinnern. Wütend schaltete sie den Fernseher wieder aus.
Dann hörte sie auf, gegen sich selbst anzukämpfen. Sie ging zu ihrer Musikanlage und zog eine CD aus dem Stapel, der darauf lag. Sekunden später war der Raum von melancholischen Akkorden erfüllt und eine leicht kratzige Männerstimme sang von bittersüßen Erinnerungen und verpassten Chancen.
Jenny nahm die CD-Hülle und ließ sich wieder auf die Couch fallen. Sie hörte den Song vom ersten Akkord bis zum letzten Klang und starrte dabei auf das kleine Cover, das fünf Männer im Post-Grunge-Look zeigte. Aber Jenny hatte nur Augen für den Blonden mit der Gitarre in der Hand. Christoph Emanuel Safier.
Es war nicht seine Stimme, die sie hörte – schließlich war er nicht der Sänger der Band. Trotzdem hatte Jenny das Gefühl, dass dieses Lied nur für sie geschrieben worden war.
„Peppermint Nights“, murmelte sie leise den Songtitel vor sich hin, um den Klang der Worte zu hören. Es erinnerte sie an den Geschmack von Mentos und den Geruch von Lavendel in einer längst vergessenen, fernen Nacht.
Ihr Blick wanderte wieder zu dem Foto von Chris. Er war älter geworden, aber er sah auf jeden Fall genauso aus, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Er trug die blonden Haare immer noch im Beckham-Look der neunziger Jahre – mit Strähnen, die ihm in die Stirn fielen und im Nacken so lang, dass sie sich ein wenig kräuselten. Seine Augen sahen leicht zusammengekniffen und konzentriert in die Kamera.
Jenny schloss die Augen und ließ den Kopf an die Sofalehne sinken. Chris. Was wäre, wenn sie ihn wirklich wiedersehen würde? Würde sie jetzt immun sein - gegen seine blöden Sprüche, seine Überheblichkeit und seine blauen Augen?
Er fährt sowieso nicht mit, erinnerte sie sich.
Richtig. War auch besser so.
Sie stand auf, stellte resolut die Musik aus und holte die Wäsche aus dem Trockner. Dann schaltete sie die Abendnachrichten an und faltete Handtücher. Sie hatte weder die Zeit noch die Energie sich in so eine dumme Sache hineinzusteigern. Sie würde sich keine falschen Hoffnungen machen.
Diesmal nicht.