Kitabı oku: «Liebe auf Französisch - Küsse niemals einen Anwalt», sayfa 2

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Während der Ölkrise war das Projekt La Defense durch den damaligen Premier Valéry Giscard d’Estaing fast gekippt worden. Aber Pauls Vater hatte Recht behalten, das Viertel hatte sich bestens entwickelt. Über 2500 Firmen hatten sich mittlerweile angesiedelt, die gerne auf die Beratungen der alteingesessenen Anwälte zurückgriffen. Die Kanzlei hatte viel Geld in den vergangenen Jahren verdient.

Paul würde für den Rest seines Lebens finanziell abgesichert sein. Aber was nützte all das Geld, wenn er niemanden hatte, mit dem er es teilen konnte. Glück war manchmal eine viel zu flüchtige Bekanntschaft, dachte er und atmete aus.

Er verließ die Metro und eilte zwischen den modernen Gebäudekomplexen entlang zu seiner Firma. Der Wind wehte eisig die breiten Prachtstraßen entlang und rieb sich die Hände warm. La Defense unterschied sich architektonisch gewaltig von den Straßen im Zentrum von Paris. Alles war groß und kühl, nicht nur wegen des Windes. La Defense war unpersönlich und hatte keinen Charme.

Die Menschen hasteten durch die Straßen, blickten auf ihre Telefone oder stur geradeaus, die Menschen waren in schwarze Businessanzüge oder –kostüme gekleidet, alle sahen genau gleich aus. Paul sah an sich hinunter: »Wie ich«, stellte er fest.

Er schlug den Mantelkragen hoch und betrachtete eine Dame, die in viel zu hohen Schuhen über die Straße eilte. Kein Baum säumte die Gehwege, die Grünanlagen waren mit weißem und grauen Schotter gefüllt, vereinzelt gepflanzte Gräser schauten aus den unnatürlichen Beeten. Er dachte an die Kletterpflanze vor dem Eingang seines Hauses.

Er würde morgen Janine fragen, was das für eine Pflanze ist. Sie würde es bestimmt wissen. Die Pflanze hatte gefächerte Blätter und trug im Frühjahr hellviolette Blüten. Sie rankte am Fallrohr bis an die Dachkante empor. Ohne zu wissen, warum, lächelte er bei diesem Gedanken vor sich hin und dachte an die hübsche junge Frau, die ganz offensichtlich zu diesem künstlichen Ort, an dem er jetzt stand, überhaupt nicht gepasst hätte.

Das goldblonde Haar war zu einem wilden Knoten im Nacken geschlungen gewesen, Strähnen hatten sich gelöst und umrahmten das feine Gesicht mit den durchdringenden, fast grünen Augen. Er hatte ihre Hände betrachtet, die ihm die Rose reichten: Sie waren ein rot gefroren, von Erde beschmutzt und von Dornen zerkratzt gewesen, was sie kein bisschen zu stören schien. Und ganz sicher war er, dass sie keine hohen Schuhe getragen hatte.

Nein, an diesen unnatürlichen Ort würde jemand wie Janine nicht passen. Janine strahlte Natürlichkeit, Lebendigkeit aus, dieser Ort war reines Business und Zweckmäßigkeit.

Im Büro angekommen hängte er seinen Mantel an die Garderobe, begrüßte Claudine und ging in die Küche, um sich einen heißen Kaffee zu holen. Claudine folgte ihm.

»Das kann ich doch machen«, sagte sie und nahm ihm das Kaffeepulver aus der Hand.

»Also ehrlich, Claudine, du bist meine Schwägerin und Büroleiterin, nicht meine Sekretärin. Ich mach das selbst, gib her.« Sie gab ihm den Kaffee zurück, sah ihn aufmerksam an, als wenn sie irgendwas in seinem Gesicht lesen wollte, aber er hatte schon sein berufliches Pokerface aufgesetzt. Keine Regung war in seinen Zügen zu erkennen. Zweckmäßig.

»Henry ist schon wieder gegangen«, sagte sie zu Paul. »Ich hatte versucht, ihn telefonisch zu erreichen, bevor er losfuhr, aber Marlene sagte, er sei heute Morgen schon um fünf aufgestanden und losgefahren.«

Er sah sie erstaunt an. »Um fünf? Das hört sich nicht nach Henry an.«

»Hab ich auch gedacht. Aber Marlene wusste nicht, woran er im Moment arbeitet. Ich hab sie gefragt.« Claudine fuhr sich etwas genervt über das Gesicht.

Irgendetwas war mit ihr, dachte Paul und runzelte seine Stirn. »Dachte ich mir.«

»Uh, du bist ja gesprächig heute.«

Paul sah sie weiterhin verwundert an. »Ich bin so wie immer«, antworte er.

»Aber irgendwas ist heute anders. Ich glaube nicht, dass ich schon mal einen Termin verschieben musste, weil du den Kalender spontan geändert hast. Das ist in den fünf Jahren, die ich für dich arbeite, noch nicht vorgekommen.« Claudine trat näher. »Also, was war heute Morgen?«

Er drehte sich weg und füllte die Kaffeemaschine mit den Kaffeebohnen und Wasser. Ihm kam ganz und gar nicht in den Sinn, seiner Schwägerin zu erzählen, was er heute Morgen gemacht hatte. Das ging sie nichts an.

»Er hat nicht gesagt, was er von dir wollte« sprach sie weiter, als sie merkte, dass Paul nicht antworten würde.

»Ich ruf ihn später an«, sagte er und drehte sich zu ihr um, als sie die Küche verließ. Er betrachtete ihre Gestalt. Claudine war eine schöne Frau. Klein und zierlich. Und wie Manu hatte sie langes, schwarzes Haar. Doch ihr fehlte jegliche Ungezwungenheit und Leichtigkeit. Die Haare waren streng zurück gekämmt und in einem engen Knoten gebändigt. Das enge, dunkelblaue Kostüm saß perfekt und betonte ihre schlanke Figur. In der linken Hand hielt sie ihre Brille, eine elegante Schwarze, deren Bügel ein goldenes Chanelzeichen zierte.

Wie sie allerdings die zugigen Straßen von La Defense auf ihren Stöckelschuhen bei Wind und Wetter meisterte, war ihm schleierhaft. Er hatte sie noch nie ohne die hohen Schuhe gesehen. Er nahm an, dass sie ihm ohne Schuhe allerhöchstens bis zur Brust reichen würde.

»Da habe ich wohl etwas verpasst?« fragte sie schnippisch. Sie drehte sich um und erwischte ihn bei seiner Musterung.

Erst jetzt fiel ihm auf, dass er unendlich dämlich aussehen musste, wie er sie ansah und dabei kein Wort sagte. Wieso um alles in der Welt war er so in seine Gedanken vertieft? Das passiert ihm doch sonst nicht. »Nein, Claudine. Alles ist gut.« Langsam drängte er sich an ihr vorbei. Mit Schuhen war ihr Scheitel etwa auf Höhe seines Kinns. 10 Zentimeter größer in 10 Sekunden, dachte er und grinste unwillkürlich. Er ließ sie stehen und ging in sein Büro.

Claudine konnte manchmal wirklich anstrengend sein und ihr schnippischer Kommentar hatte Paul darauf hingewiesen, dass dies einer der anstrengen Momente war. Vermutlich war seine Büroleiterin verärgert, weil sie nicht wusste, wo er den Vormittag verbracht hatte. Sie übernahm gern die Kontrolle und wollte immer alles ganz genau wissen. Claudine machte ihren Job sehr gut.

Er hatte sich zunächst gesträubt, jemanden aus der nahen Verwandtschaft von Manu in die so wichtige Position einzustellen. Aber Manu hatte ihn mit nach allen Regeln der Kunst bearbeitet, mehrere Wochen lang, und am Ende hatte er ihr wie immer nicht widerstehen können.

»Nun gut, Manu, ich probiere es mit deiner Schwester«, hatte er ihr versprochen. »Aber wenn es nicht passt, muss sie sich etwas anderes suchen.« Die ersten Tage liefen nicht gut, aber nach und nach erkannte er ihre Qualitäten als Büroleiterin. Sie war der Drache vor seiner Tür. An ihr kam keiner vorbei, wenn sie es nicht wollte. Und nachdem Manu gestorben war, war ihm das genau recht, auch wenn er wusste, dass manch einer seiner Klienten sich ein wärmeres Willkommen in seiner Kanzlei wünschte.

Claudine war streng, lächelte wenig und verschanzte sich hinter einer höflichen Korrektheit, die manchmal nur haarscharf neben Unhöflichkeit und kalter Distanz lag. Es mangelte ihr gegenüber anderen an Einfühlungsvermögen. Paul glaubte, dass es sich um Selbstschutz handelte, denn ihm gegenüber hatte sie sich seit Manus Tod einigermaßen mitfühlend und zum Teil wirklich besorgt gezeigt. Sie konnte also auch ganz anders, wenn sie wollte. Das einzig schwierige war nur, dass er in ihr einen kleinen Teil von Manuela sah.

Und das Tag für Tag …

Kapitel 3 – Aller Anfang ist schwer

Janine hing ihren Gedanken an den ihren ersten Kunden noch immer hinterher, als die Türglocke ein zweites Mal an diesem Morgen bimmelte. Herein kam Jean.

»Salut, Jean! Wie geht es dir?« Janine freute sich, Jean zu sehen. Er gehörte der Trödelhandel, wo sie Tische, Dekoration und allerlei Utensilien in den letzten Wochen für ihren Blumenladen erstanden hatte und in den letzten Wochen und Monaten, war er zu einem echten Freund geworden. »Das freut mich aber, dass du mich besuchen kommst. Du bist heute schon der dritte Besucher.«

»Was? Schon drei Kunden heute Morgen und das am ersten Tag? Es ist doch erst zehn Uhr. Das geht ja gut los.« Er strahlte sie an.

»Ich muss zugeben, dass von drei Besuchern nur einer ein Kunde geworden ist, es sei denn, du möchtest ein paar Blumen kaufen?« Sie schaute ihn erwartungsvoll an.

»Eigentlich wollte ich nur mal nachsehen, was du mit all den Schätzen, die du bei mir erworben hast, angestellt hast.« Er schaute auf die Holztische, die in frischem Grün lackiert waren, auf die Glasvasen, die Dekoration. Sein Blick blieb an der Holzkiste, die Janine als Kasse diente, hängen.

»Aber ...«, sagte er geflissentlich, »… eine meiner alten Gewürzkisten mit dem Grünzeug darin kauf ich dir natürlich ab. Könnte ja vielleicht meine Kunden inspirieren, was man mit dem alten Kram noch so alles anstellen kann.«

»Das Grünzeug hat blaue oder rosa Blüten, Jean. Grünzeugs ist wirklich nicht der passende Ausdruck für meine schönen Hyazinthen«, sagte sie lächelnd. Während sie hinausging und mit der Hyazinthe wieder hineinkam, erzählte sie von ihrem ersten Gast, dem kleinen Kater und ihrem ersten Kunden, seinem Besitzer.

»... und so hat der kleine Kater mir meinen ersten Kunden gebracht. Prima, nicht wahr?«

»Ja, das war Paul. Den kenne ich gut. Der wohnt ein oder zwei Stockwerke über dir. Netter Kerl.« Die Stimme kam von irgendwoher, Jean war jedenfalls nicht mehr zu sehen.

»Jean? Wo bist du denn hin?«

»Hier unten«, kam seine Stimme von irgendwo unter den Tischen.

»Was machst du denn da?«, wollte Janine wissen und beugte sich nach vorne.

»Ich schaue mir an, was du mit meinem schönen alten Art-Deco-Tisch aus Eiche gemacht hast. Du hättest ihn abschleifen können. Wieso schmierst du da Farbe rauf? Der war doch noch gut«, klang seine Stimme dumpf an ihr Ohr.

»Der war noch gut? Der hatte Holzwurm und das Furnier war zum Teil schon abgefallen«, sagte sie ruhig und stellte die Hyazinthe neben ihn auf den Boden. Sie kniete sich hin und krabbelte unter den gleichen Tisch, unter dem Jean auf dem Rücken lag. Sie drückte mit dem Zeigefinger von unten gegen die Tischplatte. Ein paar Stückchen rieselten herunter.

»Naja, gut, hier ist er tatsächlich ein bisschen morsch«, gab er zu und robbte mühsam unter dem Tisch hervor. »Autsch, meine Knie. Man wird auch nicht jünger.« Jean war mindestens siebzig, schätzte Janine. Als sie den Tisch im Trödelladen gekauft hatte und Jean ihn zwischen den Kartons mit alten Landkarten und dem Bücherregal hervorholen musste, war ihr aufgefallen, dass er sich schwerfällig bewegte.

Nun sah sie ihn besorgt an. Jean strich den nicht vorhandenen Staub von seiner Kleidung, den er dort vermutete. »Du hättest mir die Tische niemals so günstig verkauft, wenn nicht irgendetwas mit ihnen gewesen wäre«, sagte sie ein wenig vorwurfsvoll.

»Ja, du hast ja recht, ich wollte mich auch nur nochmal versichern, dass ich kein schlechtes Geschäft gemacht habe und es meine Tische bei dir gut haben.« Er lächelte sie mit einem jungenhaften Grinsen an und sie erinnerte sich an ihren ersten Besuch in seinem Trödelladen.

Ziemlich genau sogar, denn er war alles andere als besonders freundlich gewesen. Nachdem sie eine Weile durch die Laden gestrichen war, die Möbel betrachtet hatte, die alten Lampen, die Gemälde an der Wand, sprach sie Jean an, um den Preise für fünf Tische, die sie sich ausgesucht hatte, zu erfragen. Sie hatte auf diejenigen gezeigt, die am wenigsten gut erhalten waren und gehofft, dass er ihr einen guten Preis machen würde.

Jean hatte sie fast ein wenig verächtlich angesehen. Es war ihr so vorgekommen, als wolle er seine Tische eigentlich gar nicht verkaufen und vor allem nicht an sie. Er hatte kaum gesprochen. »Sie wollen fünf Tische kaufen?«, war das einzige, was er über die Lippen brachte. Bei der Preisverhandlung hatte er ihr zwar einen einigermaßen akzeptabel günstigen Anfangspreis vorgeschlagen, aber als sie nachverhandeln wollte, war er ihr kein Stück entgegengekommen und hatte immer nur mit dem Kopf geschüttelt.

Sie hatte die Tische trotzdem gekauft, weil sie allemal günstiger waren als neue. Und der alte Trödel hatte natürlich viel mehr Charme. Nicht so, wie die neuen Tische aus Pressholz mit Plastikfurnier. Janine hatte eine genaue Vorstellung, wie die Einrichtung ihres Blumenladens aussehen sollte. Und Plastik hatte in ihrem Konzept keinen Platz. Also hatte sie den Trödel dennoch gekauft, obwohl der alte Kauz so unfreundlich zu ihr war.

Bei ihrem zweiten Besuch im Trödelladen, sie wollte zwölf alte Glasvasen kaufen, hatte er es doch glatt über sich gebracht und sie aktiv angesprochen. Er wollte wissen, warum sie von allem große Mengen kaufte. Fünf Tische und zwölf Vasen schienen ungewöhnliche Mengen für den Trödler zu sein. Also hatte sie ihm erzählt, dass sie in dem alten Tabac einen Blumenladen eröffnen wollte.

»Ah, im alten Laden von meinem Freund Victoire?« Er hatte sie mit einem etwas freundlicheren Blick bedacht. »Da wollen Sie Blumen verkaufen?« Sie wies auf die 25 Vasen, die er schon in einen Karton verpackt hatte.

»Ja, ganz genau.«

»Das finde ich eine gute Idee«, hatte er gesagt und plötzlich war so etwas wie ein Lächeln auf seinem Gesicht zu erkennen. »Ich hatte schon Sorge, dass das nächste Geschäft mit diesen tragbaren Telefonen in der Rue Cailloux Einzug hält. Es wäre dann das dritte. Wer braucht denn so viele Telefone? Man kann ja auch mal von Angesicht zu Angesicht mit den Menschen reden«, schwadronierte er vor sich hin, während er Zeitungspapier in den Vasenkarton stopfte.

Der Redefluss verwunderte Janine, immerhin war der Trödler bis jetzt nicht durch Gesprächigkeit aufgefallen und nun sprach er davon, dass Menschen miteinander reden sollten. Aber offensichtlich hatte die Bekanntgabe ihrer Pläne den alten Mann aufgetaut. Es war, als wäre ein Damm gebrochen, der die gut behüteten Worte des Mannes nun sprudeln ließ.

»Früher ging es hier in der Rue Cailloux beschaulich zu. Da war Victoire mit seinem Tabac, die zwei Bäckereien, ein Milchmann, viele kleine Handwerksbetriebe, das Antiquariat von der Maria und die Galerie von Xavier.« Er schmunzelte. »Er gestaltete Postkarten für die drei Touristen, die sich manchmal in diese Straße verliefen. Jeder kannte jeden, man konnte immer mal einen Plausch halten. Oft haben wir die Waren einfach getauscht: Ein Bild gegen ein Buch. Ein Buch gegen zwei Pfund Kartoffeln und so weiter. Und dann kamen die Ein-Euro-Läden aus China mit ihren Blinkesternen im Fenster. Als ob jeden Tag Weihnachten wäre.« Jetzt echauffierte er sich.

»Und dann diese Läden mit den ganzen Telefonen, wer braucht die denn alle? Anschließend noch so ein neumodischer Kram - Café to go...« Er holte tief Luft und redete weiter.

»… alles rennt mit dem Telefon am Ohr und einem Kaffeebecher in der Hand durch die Straße. Niemand grüßt und keiner hat Zeit. Keiner kennt den anderen, die Verkäufer wechseln ständig – also auch kein Plausch mehr zwischendurch.«

Janine kannte diese Diskussionen um den Verfall der Innenstädte, um den Niedergang der angestammten Einzelhändler, die ihren Platz für unpersönliche Geschäftsketten räumen mussten, weil die Mieten für die Ladengeschäfte zu teuer wurden oder aber die Besitzer keinen Nachfolger für ihre traditionellen Gewerbe fanden. Offensichtlich war es auch in der Rue Cailloux zu einem solchen Prozess gekommen. »Sie haben Recht«, stimmte sie ihm nachdenklich zu. »Es ist schade, wie sich die Geschäftsstruktur verändert hat. Ein-Mann-Betriebe haben es heute schwer, mitzuhalten.«

Jean hatte sie erstaunt angeblickt, als wenn er nicht vermutete, dass jemand wie sie einen klaren Gedanken fassen konnte. Ein Lächeln umspielte die Lippen des Mannes. »Oder Ein-Frau-Betriebe, oder, junge Dame? Ist ja schön, dass sie sich aufmachen, wieder Kultur in unsere Straße zu bringen. Na, ich wünsche Ihnen auf jeden Fall viel Erfolg mit ihrem Grünzeug!«

Als Janine das nächste Mal zu ihm gegangen war, um alte Lampen für »Les fleurs« zu erstehen, hatte er sie auf einen Kaffee eingeladen. Sie durfte auf einem der antiken Sofas in der hinteren Ecke des dunklen Ladens Platz nehmen, während er hinter einer Tür mit einer offensichtlich neumodischen Kaffeemaschine kämpfte.

Sie hörte nur ab und zu ein ärgerliches Gegrummel. »Wieso blinkt jetzt dieser Knopf, soll ich da drauf drücken?« Das Knallen von Tassen und anderen Dingen und hatte Zeit gehabt, sich ein wenig umzusehen.

Bis unter die Decke war der Brocante vollgestellt mit alten Möbeln. Kein Platz fand sich in den Schränken, die mit Büchern, alten Häkeldeckchen, Stoffen, Karten, Schallplatten, Gläsern und anderen Kostbarkeiten vollgestopft waren. An den Wänden hingen so viele alte Ölschinken, dass nicht ein Stück Tapete zu erkennen war. Sogar ein paar ausgestopfte Wildtiere hingen dort. Aber damit konnte Janine nichts anfangen. Sie liebte Tiere und ausgestopfte Jagdtrophäen passten einfach nicht in ihr Weltbild.

Die Glasvitrinen waren mit altem Geschirr dicht besetzt, dazwischen spiegelte sich das Licht in Schmuckvitrinen aus Glas. Trotzdem es etwas staubig roch und sie ein bisschen fror, fühlte sie sich wohl. Zumindest, wenn sie den Wildschweinkopf an der ihr gegenüberliegenden Wand ignorierte. Sie hatte das Gefühl, er starrte sie an.

Endlich kam Jean mit dem Kaffee zurück, der aus hübschen antiken Tässchen im Widerschein des Kronleuchters, der über dem Tisch hing, dampfte. Er brachte auch ein paar Plätzchen, die er sorgsam auf eine alte, mit Blumen bemalte Porzellanuntertasse gelegt hatte. Der Mann stellte die Untertasse und die Kaffeetassen auf das Tischchen, ging noch einmal in die Küche und kam mit einem Milchkännchen und einer Zuckerdose zurück.

Sie bewunderte das schöne Porzellan. Die einzelnen Teile passten zwar nicht zusammen, aber das Gesamtarrangement war herrlich. Jean hatte einen Blick für das Schöne, das war offensichtlich. Noch einmal drehte er sich weg, kramte hinter irgendeiner alten Vitrine in einem Koffer und zog etwas heraus.

»Wenn schon, denn schon, junge Dame«, sagte er. Jean holte eine alte Schellackplatte aus dem Umschlag, den er aus dem Koffer gekramt hatte und legte sie auf das mindestens ebenso alte Grammophon, das neben dem Sofa stand. Und tatsächlich: Nachdem er ordentlich die Kurbel gedreht hatte, drehte sich auch der Plattenteller und aus dem Trichter knarzte ein Ragtime.

»Erzählen Sie doch mal, wie es dazu kommt, dass Sie dem Vormarsch des Klingeling, der schnellen Küche und dem billigen Tand hier in unserer Rue Cailloux Einhalt gebieten wollen?« Sie hatte angefangen, von ihren Plänen zu erzählen und nach der dritten Tasse Kaffee waren sie Freunde geworden.

Jetzt stand Jean vor ihr in ihrem eigenen Blumenladen und sagte: »Ich finde es gar nicht so schlecht, was du aus den Tischen gemacht hast. Bisschen Farbe drauf und siehe da …«

»Naja, ein bisschen mehr hab ich schon gemacht. Holzwürmer vernichtet, Furnier repariert, neu geleimt, weil alles wackelte.« Sie strich sich die Haare aus der Stirn. Ihr Zopfband hatte sich bei der Krabbelei unter den Tischen gelöst und sie machte sich einen neuen Pferdeschwanz. »Und erst danach die Farbe. Die Tische brechen mir doch sonst unter dem Gewicht zusammen. In den Eimern sind nicht nur Blumen sondern auch Wasser.«

»Ja, ja, das brauchen die wohl«, schmunzelte Jean über seine eigene Einfalt. Er besah sich die alten Glasvasen mit den Blumensträußen. Er schien über irgendetwas nachzudenken. »Ich hab noch mehr Tische im Lager, brauchst du die vielleicht?«

»Nein. Nett von Dir, aber ich hab jetzt genug. Man muss ja noch durchkommen können.«

Jean strich bedächtig über die mintgrüne Tischplatte. »Und Vasen und so, hast du davon schon genug?«

Was wollte er bloß? Er wusste doch, dass sie kein Geld mehr hatte. Sie hatte alles in den Laden gesteckt und nun war sie pleite. Nichts mehr übrig für weitere Dekoration. Sie musste erst einmal Geld verdienen. »Die Kasse ist leer, Jean. Ich hatte erst einen Kunden. Vielleicht später. Möchtest du einen Tee?«

»Merci, Madame, aber nein.« Er schaute sich noch einmal um und nickte wie zur Bestätigung.

»Man kann sich hier ja auch nirgends komfortabel niederlassen. Ich muss sitzen, wenn ich etwas zu mir nehme, sonst schlägt mir alles auf den Magen. Ich nehme jetzt mal die Hyatinte, die Hya..., also das Grünzeug in der Gewürzdose mit und heize dann bei mir im Trödelladen die neue Kaffeemaschine an. Komm mich mal wieder besuchen, wenn du zwischendurch Zeit hast.« Er legte ihr einen kleinen Schein hin.

»Lass mal das mit dem Wechselgeld. Ich muss dich ja unterstützen, damit du dir bald einen Stuhl leisten kannst. Dann kann ich auch bei dir mal einen Tee trinken.« Er zwinkerte sie an und machte sich dann leicht hinkend mit der umfunktionierten Gewürzkiste unterm Arm auf den Weg.

Janine war froh, dass er es nicht weit bis zu seiner Kaffeemaschine hatte. Sie legte den Schein in ihre Kiste. Ganz schön klapprig, der alte Trödler. Aber was hat er denn nun eigentlich von ihr gewollt?

Und zwischen ihren Gedanken, die darum kreisten, warum Jean ihr auf einmal Tische und Vasen überlassen wollte, was sie außerdem tun könnte, um neue Kunden in ihren Laden zu locken, tauchte immer wieder der Herr von heute Morgen auf: Der Mann mit der weißen Rose.

Es war niemand mehr gekommen, als sie am Abend des Eröffnungstages von Les Fleurs kurz mit den Fingern auf die Kassenkiste tippte und bei sich dachte, dass sie wohl kaum die Einnahmen zählen müsste. Sie wusste den Betrag, der in der Kiste lag, auswendig. Zwanzig Euro in Kleingeld, das sie am Tag vorher bei Bank als Wechselgeld geholt hatte, der Schein von Jean und die drei Münzen des Herrn mit der weißen Rose.

»C’est tout. Das ist alles. Naja, morgen ist ein neuer Tag.« Sie setzte ihre selbstgestrickte Wollmütze auf, wickelte sich den dicken Schal dreimal um den Hals und zog den blauen Parka an, den sie vor einigen Monaten in einem Second-hand-Laden am Centre Pompidou erstanden hatte. Dann öffnete sie die Tür an der rückwärtigen Wand ihres Ladens und drückte auf den Schalter für das Licht vorsichtig herunter.

Der Schalter war ziemlich alt und sie hatte ein wenig Sorge, dass sie irgendwann einen Schlag bekommen könnte. »Den muss ich bald mal tauschen«, sagte sie zu sich und schrieb es gedanklich auf ihre lange To-do-Liste.

Sie ging die steile Steintreppe hinab und gelangte auf den Kellerflur. Janine blickte nach rechts, konnte aber im Licht der funzeligen Glühbirne, die an der Decke in einigen Metern Entfernung hing, nicht viel erkennen. Sie sah die Türen an den Seiten des Ganges. Alle waren geschlossen.

Wo der lange Gang endete, blieb im Dunkeln. Sie ging nach links und nach einigen Metern stieß sie auf eine Tür. Vorsichtig öffnete sie die grobe Holztür zu ihrem Kellerraum. Das Türblatt war alt, schwer und quietschte verdächtig laut in den Angeln. Wer wollte, hätte sie ohne besondere Schwierigkeiten aufbrechen können.

Das Holz war morsch und zwischen der Türkante und Schwelle waren mindestens 10 Zentimeter Platz. Sie griff um die Ecke. Auch hier war sie vorsichtig, als sie den Lichtschalter betätigte. »Diese schönen Räumlichkeiten sind Anfang des 20. Jahrhunderts mit Elektrizität ausgestattet worden und damit auf dem neusten Stand der Technik, meine geschätzten Damen und Herren Besucher«, erzählte sie einem unsichtbaren Publikum.

Der Kellerraum war feucht und leer, er roch modrig. Das war eindeutig nicht der Teil ihres Mietobjekts, den sie am Meisten mochte. Sie fühlte sich hier unwohl. Er erinnerte sie an die alten Keller in Valmont. Sie und ihre Freunde hatten die alten Gemäuer der verlassenen Häuser erforscht.

Es war eine Mutprobe gewesen: Wer einen noch unbekannten Keller als erstes bestieg, galt fortan als Besitzer des Kellers und durfte alle Schätze, die sie dort fanden, behalten. Janine war Besitzer von einem Keller, ihr bester Freund, Pascal, nannte fünf Keller sein eigen. Janine war erstens nicht besonders mutig gewesen, was die Erkundung dunkler, muffiger Keller anging. Sie vermutete stets, dass sich hinter den dunklen Ecken irgendetwas Gefährliches oder Ekliges versteckte. Zudem war sie sich sicher gewesen, dass ihre Eltern die waghalsigen Abenteuer ihrer heißgeliebten Tochter nicht gutgeheißen hätten.

Sie war dennoch froh, dass sie diesen dieses moderige Kellerloch hier unten hatte. Er war nicht perfekt, aber hier konnte sie die Schnittblumen kühl und feucht lagern und das Beste war, dass sie hier einen Wasseranschluss und ein Waschbecken hatte.

Sie zog den alten Vorhang vor dem Fenster zurecht. Das Fensterloch führte zwar auf der Seite der Rue Cailloux ins Freie, jedoch mindestens einen Meter unter dem Gehweg in einen gemauerten Schacht, sodass kein Licht nach innen in ihren Keller drang. Das Fenster war von außen mit dicken, eingemauerten vertikalen Eisenstangen vergittert. Anstatt des kaputten Glases der rechten Seite im doppelseitigen Fensterrahmen hatte sie Pappe zwischen das Holz geklemmt.

Sie überprüfte, ob es noch festsaß. Es hatte sich, wie sie vermutet hatte, an einer Ecke gelöst und war auch ein bisschen feucht. Sie machte eine Notiz auf ihrer gedanklichen Liste. Es zog durch den Spalt in der feuchten Pappe. Wenigstens kam wegen des Gitters keiner hinein. Allerdings auch keiner hinaus, sollte die Tür zufallen. Sie drehte sich schnell um, um zu sehen, ob die Eingangstür noch offen stand.

Unheimlich hier.

Es fröstelte sie, als sie die Treppen hochstieg und zurück in den Laden ging. Anschließend begann sie die Zinkeimer mit den Schnittblumen nach unten zu tragen. Für die Blumenlagerung war der Raum ideal, aber die Prozedur, die sie zweimal täglich, einmal morgens und einmal abends, vollzog, war Hochleistungssport.

Die Eimer mit dem Wasser waren schwer, die Steintreppe schmal und ein wenig rutschig, die Beleuchtung unzureichend. Sie brauchte länger als sie dachte. Trotz der Kälte kam sie in Mantel, Schal und Mütze ins Schwitzen. Nachdem sie alle Eimer auf dem Brett platziert hatte, das unterhalb des Fensters fest in der Wand verankert war, verschloss sie die Tür sorgfältig und ging zurück in den Laden.

Ächzend verstaute sie die Hyazinthen und den Tisch vom Gehweg ordentlich im Laden, nahm dann die alte Umhängetasche und trat auf die Straße. Sie ging ein paar Schritte rückwärts und sah von außen in das erleuchtete Schaufenster ihres Ladens. Auch hier hatte sie sich viel Mühe mit der Dekoration gegeben. Ein altes Schubladenschränkchen hatte sie ebenfalls in mintgrün gestrichen, die Schubladen standen offen und die blühenden Hortensien schienen aus den Schubladen zu wachsen.

Die weißen Fußbodenbretter der Auslage hatte sie mit schönen Steinen dekoriert, dazwischen alte Dessertschalen, in die sie grüne Moose gepflanzt hatte. Die Tiffanylampe, die sie bei Jean erstanden hatte, setzte die schlichte aber hübsche Dekoration in warmes Licht. Sie dachte einen Augenblick nach, beschloss dann, das Licht brennen zu lassen, trotz der hohen Preise für Elektrizität.

Wer weiß, wer heute Abend noch einmal vorbei kommen würde.

Vielleicht der Herr mit der weißen Rose, der musste hier ja irgendwo wohnen. Ihr fiel ein, dass er sagte, er wohne zwei Stockwerke über ihrem Laden. Sie schaute nach oben. Die Fenster waren schwarz in der Dunkelheit. Es war keiner zu Hause. Sie meinte in einem der Fenster ihren Freund, den Kater zu erkennen und winkte. »Guten Abend, Tom! Schlaf schön!«

Vielleicht wäre das Licht in dem beleuchteten Schaufenster auch für den Mann mit der Rose ein Trost, wenn er nach Hause kam. So wie das Licht des Tabac es früher auch für sie gewesen war. Schon wieder dachte sie an ihn. »Der geht mir ja gar nicht mehr aus dem Kopf«, dachte sie fassungslos. Was war denn nur mit ihr los. Sie konnte es kaum glauben, dass ein Mann, den sie nicht mehr als 3 Minuten gesehen hatte, ihre Gedanken einen ganzen Tag lang beschäftigen konnte. Janine schüttelte den Kopf.

Sie wandte sich nach links und steuerte auf die einzige Bäckerei zu, die um diese Zeit noch geöffnet hatte. Drinnen besah sie sich die Auslagen. Es war nicht mehr viel Auswahl, also nahm sie ein einfaches Baguette belegt mit Käse und Schinken. »Macht 3,90.« Der junge Mann hinter dem Tresen sah sie noch nicht einmal an, als er mit ihr sprach.

»Aber das liegt hier doch schon mindestens seit heute Mittag«, sagte sie und betrachtete das welke Salatblatt, das zwischen Schinken und Käse herauslugte.

»Macht trotzdem 3,90.« Er tippte auf seinem Handy herum, während sie überlegte, ob sie noch etwas in ihrem Kühlschrank finden würde. Da war nichts, das wusste sie ganz genau, denn sie hatte heute Morgen auch nichts zum Frühstücken darin gefunden. Sie musste jetzt endlich etwas essen. Das Mittagessen war auch ausgefallen. Erst jetzt bemerkte sie, wie hungrig sie war. Sie kramte in ihrer Umhängetasche und fand ihren selbstgeschneiderten Beutel aus altem Bezugsstoff, in dem sie ihr Geld aufbewahrte.

Wenn sie denn welches hatte. Sie ging zur Kasse und kippte den Inhalt, der hauptsächlich aus Zehnern, Fünfern und Ein-Cent-Münzen bestand neben den Zahlteller.

»Das kann doch wohl nicht wahr sein«, grummelte der Handyjunge.

»Ist auch Geld, soweit mir bekannt ist«, sagte sie und begann 3,90 abzuzählen. Was für ein Unsympath. Das Geld reichte und sie hatte sogar noch einen Euro für ein Baguette morgen früh übrig. Sie bekam ihr Sandwich in einer Papiertüte überreicht und verließ schnell den Laden.

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