Kitabı oku: «There will be no surrender», sayfa 3

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Geboren um zu kämpfen
Kapitel II

Ich wurde als uneheliches Kind am 28. Dezember 1950 um 21.22 Uhr im Claremore Indian Hospital, in Claremore, Oklahoma, geboren. Meine Mutter nannte mich Marvin Larry Tasso. Meine Großmutter gab mir eine Woche später den Namen „Mo o da me yotz“, was in der Sprache der Cheyenne „Walking Elk“ bedeutet. Später ließ ich meinen Namen in Mitch umschreiben und nahm aus kulturellen Gründen den Familiennamen Walking Elk an. Der Name „Tasso“ ist italienisch und ich habe gehört, dass er übersetzt „Dachs“ bedeuten soll.

Natürlich ist auch das kulturell ehrenvoll und hat Kraft, aber aus Respekt für die Italiener bleibe ich lieber bei Walking Elk.

Immer wenn mein Benehmen als Kind zu wünschen übrig ließ, pflegte meine Großmutter mit dem Finger auf mich zu zeigen und sagte: „Du wurdest nach einem guten Mann benannt, warum handelst du nicht so?“

Ich habe meinen Vater nie kennengelernt und bis zum Jahre 2006 waren die einzigen Dinge, die ich über ihn hörte, das was mir meine Mutter und meine ältere Schwester Mary erzählten.

Sie sagten, sein Name wäre Clem Jones. Er war halb Choctaw und lebte im selben Haus wie Mama und meine beiden Schwestern Mary und Rosie. Er sei verheiratet gewesen und hatte andere Kinder, aber offensichtlich war er nicht gerade ein treuer Ehemann. Ich habe ihn niemals bewusst vermisst. Ich dachte auch nie daran, dass ich einen Vater hätte, bis ich als Teenager eines Tages nach Haus kam und Mama mir sagte, dass meine Schwestern, zwei seiner anderen Kinder gekommen seien, um mich kennenzulernen. Dann wurde mir im Jahre 2006 von einer Frau namens Patsy Broderick berichtet, die östlich von Miami, Oklahoma, lebte und Clem Jones Tochter sein könnte. Nach längerem Ringen mit der Ungewissheit nahm ich schließlich all meinen Mut zusammen, um meiner möglichen Halbschwester einen Besuch abzustatten und sie über Clem Jones zu befragen.

Patsy war inzwischen 69 Jahre alt und lebte zu der Zeit mit ihrem alternden Mann Chester, der inzwischen verstorben war, auf einer kleinen Farm.

Sie war mir sofort sympathisch, denn sie war ein sehr freundlicher und verständnisvoller Mensch. Sie glaubte mir die Geschichte, die ich von meiner Mutter über meine vermutliche Herkunft gehört hatte, und bestätigte, dass es da ein Kind gäbe, von dem sie und ihre ältere Schwester Gertie gehört hätten, von dem man sagte, dass ihrem Vater nachgesagt wurde, der Erzeuger dieses Kind zu sein.

Sie erzählte mir, dass Clem Jones nicht gerade ein verantwortungsvoller Vater oder Ehemann gewesen sei, dass er getrunken hätte und im Jahre 1970 an den Folgen seines Alkoholkonsums gestorben wäre. Er war ins Koma gefallen und als er starb, wurde er auf dem Friedhof in France, Oklahoma, bestattet. Wenn Clem Jones tatsächlich mein Vater war, dann wurden alle Fragen, ob mein Leben mit ihm an meiner Seite nicht anders oder besser hätte verlaufen können, damit beantwortet. Die Antwort ist ein klares Nein. Trotzdem entstand mit Patsy nach diesem Besuch eine sehr nette Beziehung und wir wurden gute Freunde. Sie bestätigte mir außerdem, dass Clem Jones zum Teil Choctaw gewesen sei.

Oklahoma wurde anfänglich als „Indianer Territorium“ bezeichnet und war aus dem Konzept der US-Regierung entstanden, alle Indianer östlich des Mississippis und alle anderen Stämme zusammenzutreiben und ins Indianerterritorium umzusiedeln. Die Holländer, die Südafrika besetzten, wendeten das gleiche Prinzip an, nur nannte man es dort nicht Reservationen, sondern „Homelands“.

Man muss sich darüber klar werden, dass in der Zeit, als die Europäer und andere Rassen sich über die ganze Welt verbreiteten, dieser Menschenschlag mit der gleichen Ideologie in Afrika, Indien, Neuseeland, Australien die Gebiete der eingeborenen Völker besetzte. Sie kamen hierher und zwangen unseren Vorfahren ihre kolonialistische Lebensweise auf.

Nur Indien hatte das Glück, die Eindringlinge erfolgreich vertreiben zu können, wir anderen nicht.

Der Nordosten von Oklahoma, dort wo ich aufgewachsen bin, ist die Heimat von mindestens elf Stämmen, die man dort auf einigen hundert Quadratmeilen zusammengepfercht hat: die Seneca und Cayuga, die beide Mitglieder der Sechs Nationen oder auch der Irokesenkonföderation sind und nach Oklahoma umgesiedelt wurden, die Peoria, Cherokee, Delaware, Quapaw, Ottawa, Miami, Wyandotte, Shawnee und Cherokee (die echten). Alle ließen sich in dieser Region nieder.

Zur Zeit meiner Geburt lebten meine Mutter und meine Großmutter noch in Wyandotte, Oklahoma. Aber sie lebten nicht mehr auf dem Lande, auf einer Farm, wie zu der Zeit als Großmutter noch mit John verheiratet war. Wyandotte ist eine kleine Stadt in den Ausläufern der Ozark Mountains, die sich von Missouri und Arkansas bis ins nordöstliche Oklahoma erstrecken. Es hat nur ein paar hundert Einwohner. Mir wurde erzählt, dass Mama mich mit dem Zug nach Hause gebracht hätte.

Die ersten sechs Jahre meines Lebens sind unvergesslich. Meine Mutter zog mit meiner Großmutter nach Miami, Oklahoma, einer kleinen Stadt mit etwa fünfzehntausend Einwohnern, die nur 18 Meilen von Wyandotte entfernt liegt. Aufgrund ihrer körperlichen und den anderen Behinderungen hatte Mama immer mit Oma im selben Haus gelebt oder als Nachbarin gleich nebenan oder auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ich glaube, für meine Mutter war es immer wichtig, in der Nähe ihrer Mutter sein und meine Großmutter sorgte ständig für sie. Ich wurde immer zwischen Mama, der Oma und meinen Tanten Collen, Mary, Katherine (Oogie), Anna Bruce und Opa John Crotzer hin und her gereicht. Ich glaube, meine Mutter war zeitweilig nicht zu Hause, aber ich war so gut versorgt, dass ich mich gar nicht mehr erinnern kann, ob ich sie vermisst habe oder nicht.

Bei meinem Großvater zu sein war am Schönsten, denn er lebte auf dem Lande und hatte Hühner, Gänse, Kühe und ein Pferd. Obwohl er schon Elektrizität hatte, kochte er mit einem Holzofen und heizte das Haus mit Holz und Kohle. In einem hölzernen Fass, das 50 Gallonen (Anmerkung des Übersetzers: ca. 180 Liter) Flüssigkeit aufnehmen konnte, holten wir Wasser vom Fuße des Hügels, an dem er wohnte. Wir transportierten es mit einem Schlitten, der von dem Pferd gezogen wurde. Der einzige Grund, weshalb ich mich überhaupt daran erinnere, dass er einen elektrischen Anschluss hatte, ist das Radio. Abends saßen wir immer zusammen und hörten Radio. Ansonsten hatte das Haus keinerlei Komfot. Es hatte noch ein „Out house“, eine hölzerne Bretterhütte, die als Klo diente, und ich badete mich in einer großen Schüssel. Ich half meinem Großvater beim Einsammeln der Eier und beim Füttern der Hühner, oder pflügte mit seinem Pferd das Feld. Es war eine schöne Zeit. Ich erinnere mich auch noch daran, dass wir oft zum Angeln gingen.

Wir aßen sehr oft Brathähnchen, denn unter seinen vielen Hühnern war immer eines, das zu wenige Eier legte. Er hatte einen langen Draht mit einem Haken an einem Ende, mit dem er sie zu fangen pflegte. Nachdem er sie gefangen hatte, schlug er ihnen mit einer Axt den Kopf ab. Wenn man einem Huhn den Kopf abschlägt, dann schließt es zwar die Augen, aber der Schnabel bewegt sich noch ein paar Mal, bevor alles Leben in ihm erloschen ist. Ich hob immer die Köpfe der Hühner vom Boden auf und jagte meine Schwestern damit. Sie rannten dann schreiend davon und drohten mir mit körperlicher Züchtigung, wenn ich nicht aufhörte; aber natürlich scherzten sie nur. Das war so lustig. Und Großvater erzählte mir vor dem Schlafengehen Märchen und andere Geschichten.

Ich erinnere mich, dass ich mich jeden Abend auf die Geschichten freute, und wenn er nicht von sich aus anbot, eine zu erzählen, dann bat ich ihn darum.

Das war die schönste Zeit meines Lebens. Es gab keine Sorgen, keine Verantwortung, keine Ängste und keine schweren Zeiten, die mir bewusst gewesen wären. Bei meiner Tante Colleen und Anna Bruce zu Gast zu sein, machte auch viel Spaß, denn sie nahmen mich, bzw. uns oft zum Schwimmen oder auf Picknicks mit. Aber die Zeit mit meinem Großvater war die schönste. Kurz vor seinem Tod war ich leider nicht mehr in der Lage, ihn zu besuchen. Die Dinge änderten sich und für eine Zeitlang war es aus mit der Fröhlichkeit.

Ich möchte den nächsten Teil meiner Erzählung nicht zum Höhepunkt dieses Buches machen, aber er spielt sicherlich eine Rolle als Auslöser für viele Dinge die sich später ereignet haben. Ich habe diese Dinge bisher nur wenigen Leuten anvertraut und einer von ihnen war ein Seelsorger, zu dem ich ging, um etwas Frieden in mein Leben zu bringen.

Aber bevor ich das tue, möchte ich klarstellen, dass ich keine Feindseligkeit meiner Mutter gegenüber empfinde. Sie tat das Beste, was sie tun konnte, nach allem was sie durchmachen musste, aber wir Kinder hatten auch darunter zu leiden, dass sie behindert war. Es gibt niemanden, den man dafür verantwortlich machen könnte. Es war einfach so, wie es war und wir alle haben uns damit abgefunden. In den letzten Jahren hat es Momente gegeben, da fühlte ich mich betrogen, weil das Leben, das Schicksal oder wie immer man es nennen mag, uns darum gebracht hat, eine normale Mutter bzw. Familie zu haben. Aber sie war diejenige, die uns gegeben wurde und dafür bin ich dankbar.

Trotzdem es gibt einen Teil in unserem Leben, auf den ich überhaupt nicht stolz bin, und das ist der Alkohol. Unsere Mutter trank. Später erfuhr ich, dass dies der Grund für ihre häufige Abwesenheit war, und warum wir dann bei Verwandten bleiben mussten. Dagegen hätte man vielleicht etwas unternehmen können.

Wie überall gab es in Miami eine Reihe von Bars und Clubs, und ich erinnere mich daran, wie ich an vielen Abenden zusammen mit meinem jüngeren Bruder Lonnie auf der Suche nach unserer Mutter eine Bar nach der anderen abklapperte. Manchmal hatten wir Glück und fanden sie, oft aber auch nicht. Alle Barkeeper kannten Mama, und sie wussten auch, wer wir waren, denn manchmal nahm sie uns mit, wenn sie ausging, um zu saufen. Ich lebe schon seit längerer Zeit nicht mehr in Oklahoma, aber gelegentlich fahre ich nach Hause, um Familienangehörige zu besuchen, die dort noch leben. Als Mama noch lebte und bei meinem Eintreffen nicht zu Hause war, überraschte ich mich dabei, wie ich in die Bars ging, um nach ihr zu suchen. Bei einer dieser Gelegenheiten wurde mir bewusst, dass ich seit 40 Jahren immer genau dasselbe tat. Seit meinem vierten oder fünften Lebensjahr. Das war ein Schock für mich.

Es geschah an einem jener Abende, an denen sie mich nicht mitnahm, dass ich sexuell missbraucht wurde. Ich muss ungefähr fünf oder sechs Jahre alt gewesen sein, vielleicht sogar ein Jahr jünger. Ich kann bis heute nicht darüber schreiben. Jeder, der glaubt, dass ein solches Ereignis keine negativen Auswirkungen auf das Leben eines Kindes hat, liegt völlig falsch, und wenn Eltern glauben, ihrem Kind könnte so etwas nicht passieren, sollten sie noch einmal nachdenken. Der Mann oder Junge auf der Straße, der Babysitter oder selbst der Pfarrer könnten der Übeltäter sein, der ihr Kind um seine geistige Gesundheit und um eine normale Zukunft bringt.

Die Auswirkungen von sexuellem Missbrauch sind vergleichbar mit dem, was den amerikanischen Indianern an Unheil widerfahren ist. Die schwere Bürde wieder gesund zu werden liegt ganz allein auf den Schultern desjenigen, der missbraucht wurde. Andere können ihn dabei unterstützen, aber ab einem gewissen Punkt bist du es, der mit sich selbst zurechtkommen muss und du musst dir sagen: „Ok, jetzt ist es Zeit, mir selbst zu helfen“.

Und dann musst du etwas Positives für deine psychische Gesundheit und dein Leben tun.

In der Regel kommt diese Phase, nachdem man ein Leben voller Prüfungen, der inneren Unruhe und der Bedrängnis hinter sich hat. Aber die Hauptsache ist, dass die Möglichkeit besteht, wieder gesund zu werden. Ich selbst befinde mich immer noch im Heilungsprozess, aber ich habe meine Wahl getroffen, lieber mit der Situation umzugehen, anstatt die ganze Zeit nur mit mir selbst beschäftigt zu sein.

Die Auswirkungen von sexuellem Missbrauch sind in etwa mit Krebs vergleichbar. Sie gehen nicht von allein weg und müssen behandelt werden. Wenn es nicht behandelt wird, kann es dich umbringen. Sie sind zu 98% heilbar, bis auf die zwei Prozent, die wir in Erinnerung behalten. Damit wird der „Krebs“ eine Art von Schatten. Wie gefährlich dieser Schatten für uns wird, hängt von der Intensität und dem Erfolg der Behandlung ab. Es gibt Leute, die setzen sich niemals damit auseinander und für andere sind selbst die verbleibenden zwei Prozent zu viel, um sich dem zu stellen. Aus diesem Grund betrinken sie sich die ganze Zeit oder pumpen sich mit Drogen voll, werden sexuell ausschweifend und sind unfähig, eine längerfristige Liebesbeziehung aufzubauen. Sie werden gewalttätig oder depressiv, pflegen keine sozialen Kontakte mehr oder begehen Selbstmord. Ich habe alle diese Symptome selbst erfahren, bis auf letzteres, aber es gab einige Male, wo ich im Gefängnis saß und ernsthaft darüber nachdachte. Eines aber ist sicher, dieses Ereignis verletzte mein gesamtes Dasein, und es zu überwinden war keine leichte Aufgabe.

Zwei Indianer, die eine ganze Menge getan haben, um anderen in ihren Gemeinden zu helfen, sind Rick Thomas, ein Santee Dakota aus Nebraska, und Gene Thin Elk, ein Sincangu Lakota aus der Rosebud Reservation in Süd-Dakota.

Beide haben jahrelang für das „Red Road Approach” Projekt gearbeitet, um Indianer in Sioux City, Nebraska, zu heilen. Was sie im Wesentlichen im Verlauf ihrer Tätigkeit herausfanden ist, dass all die Bars, Gefängnisse, psychiatrischen Anstalten und Friedhöfe voll von Indianern sind, die missbraucht wurden.

Manchmal erscheinen uns die Probleme, mit denen wir im Verlauf unseres Lebens konfrontiert werden, unerbittlich und grausam zu sein. Das hat mich dazu inspiriert, einen Standpunkt im Leben einzunehmen, der das Unvermeidliche zumindest anerkennt. Ich habe erkannt, dass jeder an irgendeinem Punkt in seinem Leben einmal, wahrscheinlich auch mehrmals „hinfällt“ und dadurch gezwungen wird, sich mit den Fragen des Lebens auseinanderzusetzen.

Manches davon geschieht durch unsere eigene Schuld, anderes nicht, aber es wird passieren.

Sicherlich hat auch das seine Bedeutung, aber es ist nicht das Wichtigste. Das Wichtigste ist, dass man nicht am Boden liegen bleibt, sondern wieder aufsteht. Ich werde nicht müde den Indianern zu sagen, dass sie solange am Boden gelegen haben, dass es ihnen gar nicht mehr in den Sinn kommt, wieder aufzustehen. Aber jetzt wird es langsam Zeit wieder aufzustehen. Jeder, der von einem Schicksalsschlag getroffen wurde, sollte zum Ziel haben, sich zu erholen und wieder gesund zu werden.

Die zweite furchtbare Tragödie für mich ereignete sich, als ich sechs Jahre alt war. Auf Grund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen konnte meine Mutter nicht arbeiten. Sie ist der einzige Mensch auf der ganzen Welt, den ich kannte, der 91 Jahre alt wurde und in all den Jahren niemals eine Arbeitsstelle hatte. Die Kehrseite von der Medaille aber war, dass wir uns immer irgendwie durchschlagen mussten und auf den monatlichen Wohlfahrtsscheck angewiesen waren. Ich weiß nicht, wie sich die Sozialarbeiter von heute so aufführen, ich meine die, die für den Staat bzw. den Bezirk arbeiten, aber die aus der alten Zeit waren genauso unerbittlich wie das System des weißen Mannes. Sie waren erbarmungslos.

Mehr als nur einmal wurde ich von der ärgerlichen Stimme meiner Großmutter geweckt, wenn sie die „Frau von der Wohlfahrt”, wie wir sie nannten, anbrüllte: „Mach, dass du aus meinem Haus raus kommst, du gottverdammtes weißes Stück Scheiße“.

Sie billigen, dass man ein ganzes Volk bestohlen und fast seine gesamte Bevölkerung vernichtet hat, aber wenn es darum geht, den Überlebenden dieser Massaker etwas Geld zu geben, damit sie leben können, dann winden sie sich auf die eine oder andere Weise heraus, dafür zu bezahlen.

Wir mussten schließlich dafür bezahlen. Man drohte unserer Mutter, dass man ihr die Kinder ganz wegnehmen würde, wenn sie uns nicht ins Internat geben würde. Was auch immer sie für Unzulänglichkeiten gehabt haben möge, sie war unsere Mutter und sie liebte uns, aber sie hatte nicht die Kraft und die Ausdauer, gegen sie anzukämpfen und so mussten wir schließlich eines Tages in die Boarding School gehen. Solange wir dort hingingen, mussten sie keine Sozialhilfe für uns zahlen, weil sich dann nämlich jemand anderes um uns kümmerte. Dafür war wiederum eine andere Behörde zuständig. Für den Bezirk war es jedenfalls eine Entlastung und deshalb mussten wir Kinder, soweit ich mich erinnere, in die Boarding School gehen. Nur der Tod meiner Großmutter, meines Großvaters, meines Bruders und meiner Mutter, sowie mein erster Gefängnisaufenthalt kommt dem Trauma nahe, das ich fühlte, als ich ins Internat musste. Wir hatten kein Auto und Mama gab einem Mann etwas von ihrer Sozialhilfe, damit er mich zur Seneca Indian School brachte, die sich ungefähr eine Viertel Meile nördlich von Wyandotte befand.

In der Boarding School
Kapitel III

Ursprünglich hatte man das Internatssystem eingeführt, um die Assimilation der Kinder der besiegten Indianerstämme den letzten Schliff zu verpassen. Dies sollte durch eine anständige Ausbildung geschehen. Nachdem man unseren Vorfahren ihr Land geraubt hatte und sie in Reservationen gepfercht hatte, fragte man sich, was mit den Überlebenden geschehen sollte. In den Sälen des Kongresses ertönte der Ruf nach Assimilation, um uns auch kulturell zu vernichten. „Tötet den Indianer, aber rettet den Menschen“, wie es Richard Henry Pratt, der Erfinder des Boarding School Systems ausdrückte. Man musste nur abwarten, bis die älteren Indianer nach und nach starben, oder man sperrte sie als Kriegsgefangene ein, aber für jene, die noch da waren, brauchte man eine längerfristige Methode, um sie ihrer „heidnischen“ Kultur zu entfremden. Das Internatsystem war für sie die perfekte Lösung dieses Problems. Die („primitive“) Kultur der Eingeborenen musste der höherwertigen Lebensweise der dominanten (weißen) Gesellschaft weichen, und so verpasste man uns einen „ordentlichen Haarschnitt“, verbot uns, unsere Sprache zu sprechen und indoktrinierte uns mit christlichen Glaubensvorstellungen.

Das Department of Indian Work, welches von dem Kirchenrat in St. Paul, Minnesota, gefördert wird, hat ein Papier veröffentlicht, das das Internatssystem treffend beschreibt. Dort heißt es folgendermaßen: „Die Grausamkeiten der Weißen waren scheinbar immer noch nicht zu Ende. Dem physischen Genozid folgte nun der kulturelle durch diese Schulen. Der weiße Mann hatte beschlossen, dass der einzige Weg die Indianer zu retten, in ihrer Zerstörung lag, und so zog er in seinen letzten großen Indianerkrieg, der sich gegen unsere Kinder richtete“. Sie holten sich unsere Kinder. Das Boarding School System war nichts anderes als ein getarnter Krieg. Es war ein Krieg zwischen der Regierung der Vereinigten Staaten und den Kindern der indianischen Völker in diesem Land, und das Ziel war, wie in jedem Krieg, die Vernichtung des Feindes. Der Grund, weshalb dieser Krieg so schwer zu erkennen war, war der, dass man ihn mit einem Konzept veredelt hatte, das man Manifest Destiny (Fügung des Schicksals) nannte. Sie glaubten, dass es eine Fügung des Schicksals war, dass der weiße Mann gesiegt und der rote Mann verloren hatte und sie nun jedes Recht hatten, die Besiegten mit der weißen Zivilisation zu bekehren.

Und sie wollten, dass ich daran teilhatte.

Der Widerstand gegen das, was sich der Weiße Mann für uns ausgedacht hatte, fing gleich bei meiner Ankunft an. Mit aller Kraft, die ein Sechsjähriger nur aufbringen konnte, hielt ich mich an dem Auto fest, welches mich dorthin gebracht hatte. Ein Mann von der Schule, den ich später richtig hassen lernte, zog an meinen Beinen, während ein anderer versuchte, den Griff meiner Hände zu lockern. Jahre später erzählte ich einem Therapeuten von meiner ersten Erfahrung in der Boarding School. Ich ging zu ihm, um besser verstehen zu können, warum ich in meinen Beziehungen mit Frauen immer so unsicher war. Er unterbrach mich und fragte, wer denn damals noch in dem Auto gesessen hätte. Als er mir diese Frage stellte, fühlte ich mich, als hätte er einen Hammer genommen und ihn mir genau zwischen die Augen gehauen. Die Wirkung wäre die gleiche gewesen. Es war meine Mutter, die im Auto gesessen hatte und meine ganze Unsicherheit kam einfach aus diesem Gefühl heraus, verraten und verkauft worden zu sein.

Im Jahre 2009 gründete Don Coyhis, ein Stockbridge Muscogee Mohican aus Wisconsin, die White Bison Organisation. Diese Organisation organisierte eine Reise der Vergebung, wie sie es nannten. Es ging darum, von den Erlebnissen in der Boarding School geheilt zu werden. Die Organisatoren dieses Projektes bereisten viele Boarding Schools im gesamten Land. Sie begannen ihre Reise mit einem Besuch der Chemawa Boarding School in Kalifornien und beendeten ihre Tour einige Monate später mit der Carlisle Boarding School in Pennsylvania. Zweck dieser Reise war es, Menschen, die den Alptraum der Boarding Schools überlebt hatten, die Möglichkeit zu geben, von ihren Erfahrungen dort geheilt zu werden. Viele, die jetzt zu den Ältesten gehören, kamen dorthin und erzählten ihre Geschichte.

Die Gruppe kam auch nach Oklahoma und stattete dort drei Schulen einen Besuch ab. Zwei davon hatte ich früher besucht. Die Schule, die ich am längsten besucht hatte, die Seneca Indian School, gab es nicht mehr, aber die Sequoyah Indian School befand sich noch immer In Talequah, Oklahoma. Sie unterstand jetzt allerdings nicht mehr dem Büro für Indianische Angelegenheiten. Von der Concho Indian School im Cheyenne- und Arapaholand gab es noch die Unterkünfte, in denen die Schüler damals untergebracht worden waren. Auf Grund meiner beruflichen Tätigkeit war es mir möglich, eine kleine Gruppe von indianischen Studenten aus St. Paul, Minnesota, dorthin mitzunehmen, um meine Erfahrungen mit ihnen zu teilen. Meine Tochter Inyan Canunpa Winyan kam als Reisebegleiterin für die Mädchen mit.

Ich hatte die Ehre, die Adlerfederstandarte vom Cherokee Nation Komplex bis zur Schule zu tragen und wurde von Brenda Golden, einer bekannten indianischen Aktivistin und Mitglied der Creeknation gebeten, der Hauptredner und auch der Vorsänger unter den Anwesenden zu sein.

Während meiner Präsentation musste ich dreimal innehalten, aber ich konnte meine Rede vor den anwesenden Vertretern der US-Regierung beenden. Sie wurde später von der White Bison Organisation mit dem Titel „Ich habt mich nie besiegt, eure Gehirnwäsche hat nichts genützt“ veröffentlicht. Ich bin Don und der White Bison Organisation sehr dankbar, dass sie mir/uns nach so vielen Jahren eine Stimme gegeben haben. Natürlich hatte ich schon vorher mit meiner Musik damit begonnen, meine Stimme gegen all das, was unserem Volk widerfahren ist, zu erheben, aber sie schmolzen unsere vielen Stimmen zu einer zusammen und so wurden wir endlich gehört. Die White Bison Organisation leistet viele positive Dinge im Indianerland. Sie organisiert Treffen und Veranstaltungen zur spirituellen Heilung und nennt die Dinge beim Namen.

Eine dieser Reisen endete schließlich in Washington D.C., wo man Präsident Obama um eine öffentliche Entschuldigung bat, aber dies ist, soweit ich das weiß, bisher noch nicht geschehen, und ich bezweifele, dass das jemals geschieht.

Noch Jahre später, als ich als Erwachsener im Indianerland an diversen Konferenzen teilnahm, passierte es ziemlich oft, dass ich, von den Erinnerungen überwältigt, zu schlucken begann, den Raum verlassen musste, oder mich zumindest in eine stille Ecke des Raumes zurückzog, wenn man auf die Boarding Schools zu sprechen kam. Das passiert mir gelegentlich noch immer. Das letzte Mal war im Februar 2009, als ich eine Vorführung des Filmes „Older than America“, von der Regisseurin Georgina Lightening besuchte. Der Film erzählt darüber, was das Internatssystem den Indianerkindern alles angetan hat. Nachdem ich den Film gesehen hatte, konnte ich den Filmraum gar nicht schnell genug verlassen, so sehr kämpfte ich mit den Tränen. So viel also zu den Einfluss, welcher das Internat auf mich hatte. Obwohl ich bereits 60 Jahre alt bin, bin ich emotional immer noch stark geprägt von diesen Ereignissen.

Ein anderes Mal nahm ich an einer Bildungskonferenz auf der Oneida Reservation, in Oneida, Wisconsin, teil. Ich hörte einem Vortrag von Brenda Child zu, die später das Buch „Boarding School Seasons” verfasste. Sie las alte Briefe von Internatsschülern vor, die sie in der Zeit von etwa 1900 bis in die 1940er an ihre Eltern geschrieben hatten. Ich war so berührt von dem, was sie vorgelesen hatte und war so dankbar, dass ein solches Thema endlich einmal angeschnitten wurde, dass ich mich nach ihrer Präsentation mit einem Handschlag bei ihr bedanken wollte. Als ich mich durch die Menge zu ihr hindurch gekämpft hatte, war ich von meinen Gefühlen so überwältigt, dass ich zu weinen begann. Es war mir ein bisschen peinlich vor den Anwesenden, die mich weinen sahen, aber ich konnte nichts dagegen tun. Aber sie kam mir zu Hilfe, indem sie mich voller Verständnis anschaute und mich einfach umarmte. Später erhielt ich einen Brief von ihr, in dem sie mich darum bat, ein paar Passagen aus dem Lied „Indians“ zitieren zu dürfen. Ich habe dieses Lied selbst geschrieben und aufgenommen und ein Teil davon behandelt das Thema der Boarding Schools. Natürlich war ich einverstanden und sie fügte die Textpassagen des Liedes am Ende des ersten Kapitels ihres Buches „Boarding School Season“ ein.

Ich werde mit den Erinnerungen an meine Zeit in der Boarding School fertig werden müssen, so wie ich inzwischen auch den Tod meiner Verwandten überwunden habe.

Meine Urgroßmutter Mary Louise North war übrigens in der ersten Boarding School der USA: Die Carlisle Industrial Indian School wurde 1879 eingerichtet und befand sich in Carlisle, Pennsylvania. Sie war sozusagen das Pilotprojekt des amerikanischen Internatssystems. Sie war eine Erfindung von Richard Henry Pratt, einem ehemaligen Militärangehörigen, der zum Beruf des Lehrers wechselte. Zuerst unterrichte er indianische Kriegsgefangene in Fort Marion, Florida, wo man die gefangenen Apachen, Cheyenne und Arapaho gebracht hatte. Später unterrichtete er die vielen Indianerkinder, die man von ihren Heimstätten weggeholt und gezwungen hatte, sich den Assimilationspraktiken der Schule zu unterwerfen.

In den Schulunterlagen meiner Urgroßmutter Mary North ist verzeichnet, dass sie Carlisle am 26. Februar 1884 verließ. Von dort aus ging sie nach Genua, Nebraska, um für den Indian Service zu arbeiten. Später erfuhr ich, dass Genua auch eine Boarding School für Indianer war. Sie arbeitete dort eineinhalb Jahre lang und kehrte dann wieder zur Cheyenne Arapaho Reservation nach Oklahoma zurück. Nachdem ich einige ihrer Briefe gelesen hatte, die sie nach ihrem Abschluss an verschiedene Leute geschrieben hatte, gewann ich den Eindruck, dass sie ziemlich dankbar für die Ausbildung gewesen war, die sie dort erhalten hatte. Das steht im vollen Gegensatz zu dem, wie ich über die ganze Sache denke. Auch meine Großmutter Nettie hat das Boarding School System miterlebt. Sie war Schülerin der Concho Indian School, die sich im östlichsten Gebiet der Stammesgrenzen der Cheyenne und Arapaho Reservierung befand. Heutzutage befindet sich dort unser Stammesbüro. Von dort ging sie zur Chilocco Indian School in Nord-Zentral-Oklahoma, direkt an der Grenze zwischen Oklahoma und Kansas. Nachdem beide, meine Urgroßmutter und meine Großmutter zu einem Produkt der Boarding Schools geworden waren, erschien es eine klare Sache, dass der Rest von uns auch dorthin gehen sollte, und da die örtlichen Sozialarbeiter darauf bestanden, hatten wir keine andere Wahl.

Die bitterste Pille, die wir in der Boarding School zu schlucken hatten, war die Behandlung durch die Angestellten. Viele von ihnen waren unsere eigenen Leute, Indianer meine ich. Sie waren teilweise schlimmer als die Weißen, die dort arbeiteten. Mir ist bis heute nicht ganz klar, ob sie nur versuchten, es ihren weißen Vorgesetzten recht zu machen, oder ob sie die Gehirnwäsche so erfolgreich durchlaufen hatten, dass sie sich mit den Unterdrückern bereits identifizierten, oder ob sie einfach nur geistig behindert waren. Was auch immer der Grund gewesen sein mag, sie waren äußerst erfolgreich bei der Ausführung ihrer Mission und mit ihrer übertriebenen Durchsetzung der Internatsregeln. Ich bin sicher, dass sie von den Weißen gut indoktriniert worden waren, uns Kinder so gründlich zu misshandeln.

Die Seneca Indian School war auf dem Land einer der Stämme gebaut worden, die man in dieses Gebiet umgesiedelt hatte. Leiter der Schule war ein Indianer und die Mitarbeiter im Schülerwohnheim waren Indianer, aber die meisten der Lehrer waren Weiße. Ich glaube, es war in meinem ersten Jahr an dieser Schule, als einige von uns Schülern zu einem Ausflug nach Riverton in Kansas mitgenommen wurden, zu einem Ort namens Spring River Inn. Das war das erste Mal, soweit ich mich erinnere, dass ich die große weiße Frau sah, der dieser Platz gehörte. Das nächste Mal, als ich ihr wieder begegnete, war dann allerdings in unserer Schule, als sie sich nach mir erkundigte. Ich verbrachte den ganzen Tag mit ihr und sie fuhr mich in ihrem großen Cadillac herum. Sie lud mich zum Essen ein und war sehr nett zu mir, und ich hatte den Eindruck, dass sie wohl ziemlich wohlhabend war. Am Abend brachte sie mich wieder zur Schule zurück und plötzlich verspürte ich ein unangenehmes Gefühl ihr gegenüber. Ich kann mich nicht genau erinnern warum, aber schon während des ganzen Tages war dieses Gefühl ganz langsam in mir hochgekrochen. Aber ich erinnere mich noch gut daran, dass wir uns unterhielten. Wir waren gerade zurückgekehrt und hielten vor dem Haus mit dem Schlafsaal Nr. 5, in dem die kleineren Jungen untergebracht waren. Das letzte, was sie zu mir sagte, war: „Möchtest du nicht mit mir kommen und bei mir leben? Willst du nicht mein kleiner Junge sein?“ Ich wurde total wütend, sprang aus dem Auto und knallte die Tür zu. „Ich habe bereits eine Mutter“, schrie ich sie an.