Kitabı oku: «Der Messias vom Stamme Efraim», sayfa 2

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Die zehn Sefirot (Attribute der Gottheit)

Tausende Welten liegen im Mysterium der zehn Sefirot.

Die Seele des Menschen wandelt durch den Kristall der Welten und hallt wider im Klang der Sefira, in der sie sich findet.

Und wisse, Tausende Welten ruhen im Schein jeder einzelnen Sefira und in dem aller zusammen: Dies ist das Geheimnis der Einzahl der Zehn und der Zehnzahl des Einen.

Der Unendliche, der in Gestalt der zehn Sefirot einherkommt, umschließt alle Zahlen und ist erfüllt vom heiligen Glanz der Ewigkeit, und das Heilige der Ewigkeit läßt sich nicht fassen in Maß und Eigenart.

Und wisse, so wenig wir zu scheiden vermögen zwischen den zehn Sefirot nach dem Grad der ihnen innewohnenden Heiligkeit, so wenig ermessen können wir den Raum zwischen ihnen.

Denn das Mysterium von »der Einzahl der Zehn und der Zehnzahl des Einen« gilt nicht nur für das Leben, wie es sich fortsetzt, sondern auch für das Leben, das sich bedingt. So ist die Zahl der Gedanken gleich der Zahl der Substanz. Deshalb sagen wir nicht mit unseren Vorfahren:

Unsere Welt ist die Welt der Tat, die auf unterster Stufe der ergossenen Heiligkeit liegt.

Das »Mysterium von der Zehnzahl des Einen« verlangt, daß auch unsere Welt die Sefira Keter beherbergt, die Ergießung der Krone, der Krone offenbarter Heiligkeit.

Es gibt Menschen auf unserer Welt, die unter der Kraft offenbarter Schönheit stehen. Ihr Gang ist ein anderer, und ihre Stimmen sind anders!

Ich sah Menschen, deren Seele strahlte vom Licht der Sefira Keter.

So teilt sich die Seele. Sie will das Licht der Ewigkeit aufnehmen und wandert durch den Kristall der Welten. Und hallt wider im Klang der Sefira, in der sie sich findet.

Und wisse, die Seele eines Kindes, das heute geboren ward, ist so alt wie die Seele eines Sterbenden. Und kommst du zur Feier anläßlich einer Geburt und du siehst, wie die Menschen sich freuen, so sage ihnen:

»Ihr Narren, worüber freut ihr euch?«

Und trittst du ins Haus, wo ein Verstorbener liegt, und du siehst die Trauernden auf der Erde sitzen, wie sie wehklagen, so sage ihnen:

»Ihr Narren, was trauert ihr?«

Denn der Mensch weiß nichts vom dunklen Geheimnis der Schöpfung.

Wenn du in eine Stadt kommst, so achte nicht auf ihre Mauern und hohen Türme: Sie sind ein Rauch, der vergeht.

Achte nicht auf ihre Menschen, die auf den Straßen laufen und sich eilen, als hätten sie zu tun: Das ist eitles Blendwerk.

Kommst du in eine Stadt, lege dich auf die Erde, presse dein Ohr an sie und höre, was die Stadt im geheimen spricht.

Und wisse, Benje hat in seiner Einfalt die verborgenen Dinge geschaut, er verstand die Millionen und Abermillionen Welten und den Namen:


Die Nacht war weit, kalt und über und über mit Sternen besät.

Reb Benje verließ sein Haus. Drinnen war es ihm diese Nacht zu finster und schwül. So ging er auf ein verlassenes Feld und setzte sich dort unter einen Baum.

Die Zweige hingen in langen Rutenbündeln über ihm, und Finsternis troff aus ihnen herab.

Eine geheime Stille entströmte der Erde, und Benje saß zerlumpt unter dem Baum, die Arme auf der Brust verschränkt.

Die Himmel flossen ineinander wie Wasser, sie waren eingehüllt in unermeßliche Kälte, und er, Reb Benje, sah:

Der Mond kreiste weiß und groß über den Himmel wie ein lautloses Rad.

Der Mond kam von einem Ende des Himmels geschwommen, und auf ihm saß eine Gestalt in weißem Gewand:

Der Erzengel Rafael!

Die Gestalt beugte sich über den Mond und blickte in die tiefe Finsternis am anderen Ende der Welt.

Und vom anderen Ende der Welt schwamm ein Stern herbei, der Mars, düster und rot, und Blut floß von ihm herab. Und auf dem Mars saß eine Gestalt in schwarzem Gewand:

Der Engelsfürst Metatron!

Die Gestalt beugte sich über den Stern und blickte in die große Helle am anderen Ende der Welt.

Klar und kalt war es zwischen den Himmeln, nicht das kleinste Wölkchen stand da, nicht das mindeste Geräusch war zu vernehmen, wie in einem Haus, wo seit langem niemand mehr wohnt.

Und dann prallten beide Himmelskörper aufeinander und versprühten in der ganzen Umgegend Lichtergarben und Klumpen von Feuer.

Die Welt brodelte im Haß!

Und ringsum vernahm man bitteres Weinen und lautes Frohlocken.

Benje fiel aufs Gesicht und spürte, wie ein Universum zerplatzte.

Es klagte über ihm.

Und plötzlich riß ihn etwas empor. Er hob den Kopf und staunte und sah: Weit in der Ferne kam über die Erde, aus tiefer Dunkelheit, ein hochgewachsener, lichter Mensch.

Er näherte sich mit stillen Tritten, sein Gang war leicht und mühelos. Und er ging geradewegs auf Benje zu, der seinen Kopf, von Angst erfüllt, erneut zur Erde sinken ließ.

Reb Benje spürte das Licht vom Gewand des hochgewachsenen Fremden und vernahm dessen schwerelosen Schritt.

Lautlos stieg jener über ihn hinweg.

Und als Reb Benje aufschauen und ihm den Saum seiner Kleider küssen wollte, vermochte er den schweren Kopf nicht zu heben, und mit dem Gesicht auf der Erde lachte er aus innerer Freude, denn eine dürre Sehnsucht umfing seine Seele wie warmer Atem.

Die ganze Nacht über lag Reb Benje so in der Kälte, ohne den Kopf zu heben.

Im Morgendämmer war er weiß und reifbedeckt wie ein frühmorgendlicher Zweig im Herbst.

Levi Pataschnik und seine Gäste

Spätabends verließ Pan Wrublewsky Levi Pataschniks Haus, er hatte ihm einen Wald zum Abholzen verkauft, jenen Wald, in dem Reb Simches Hütte stand.

Auf der Veranda traf der Pan Leah, Reb Levis Tochter. Leah erschrak, denn der Pan hatte einen stechenden Blick, und seine Augen schlugen sie wie schwarze Ruten. Sie machte einen Knicks vor ihm, stürzte atemlos in den Flur und schlug die Tür hinter sich zu.

Reb Levi saß im ledernen Armstuhl und ließ seine Finger über die weichen Lehnen gleiten. Er hatte noch etwas Geschäftliches zu erledigen.

An jenem Tage war einer von Levi Pataschniks Männern unter eine von Levi Pataschniks Sägen geraten und dabei, nebbich, schwer verletzt worden.

Jetzt suchte ihn dieser Mann auf, um sich zu beklagen.

Reb Levi saß schwer im Stuhl, den Kopf in die Hände gestützt, und der Mann jammerte:

»Oh, es war entsetzlich!«

Er habe furchtbar gelitten.

Freilich leidet man, wenn man unter eine Säge kommt. Hahaha!

So saß Levi Pataschnik im Dunkel, und der Lüster erstrahlte in allen Regenbogenfarben über dem finsteren Zimmer.

Reb Levi Pataschnik haßte das Licht.

In der Dunkelheit öffnen sich breite Straßen über weite Strecken. Ihr geht von Weg zu Weg und trefft Menschen – den alten vergessenen Bruder oder Pan Wrublewsky oder einen Mann, der unter die Säge geraten war.

Die Tür öffnete sich langsam und herein kamen drei graue Juden mit Säcken auf den Schultern und Stecken in der Hand.

Die Juden blieben bei der Tür stehen, und Levi war so beschäftigt, daß er sie nicht bemerkte. Kaum, daß man die Besucher in der Finsternis sah.

Reb Levi saß da, wälzte seine Probleme und grübelte. Plötzlich stutzte er. Ihm schien, daß jemand gekommen wäre. Er wandte sich um und blickte zur Tür:

»Wer ist da? Was wollt ihr?«

Die Juden standen stumm wie Holzklötze und gaben keine Antwort. Doch dann erwiderte der älteste von ihnen leise:

»Nichts.«

Reb Levi erhob sich vom Stuhl, mit seinem schweren Bauch konnte er sich kaum auf den Beinen halten. Er spähte tiefer in die Finsternis und fragte:

»Wie? Ich höre nichts.«

Der älteste Gast sprach ein wenig lauter:

»Wir kamen hier vorbei und dachten, wir schauen herein.«

Reb Levi kochte vor Wut, und wenn er vor Wut kochte, ballten sich seine weichen Weiberhände zu Fäusten. Er ging auf die Juden zu und baute sich vor ihnen auf:

»Sagt ihr mir jetzt endlich, was ihr wollt!!«

Von seinem Geschrei verschlug es den Männern die Sprache.

Leah eilte bleich aus dem Nebenzimmer. Von der Tür her vermochte sie die Gestalten an der Wand kaum auszumachen. Die weißen Hände schützend vor den Hals gelegt, schlüpfte sie in eine Ecke, stand erschrocken im Dunkel und guckte.

Der älteste Gast antwortete schließlich:

»Wozu die Worte, Reb Levi? Dafür gibt es keine Worte.«

Reb Levi schrie. Er lief durch die Stube und schrie:

»Ich versteh nicht, Gott im Himmel! Ich verstehe nicht! Wofür gibt es keine Worte?«

Der älteste Gast sagte still und finster zu ihm:

»Es gibt keine Worte für den Schmerz, Reb Levi, für die Trauer, die zu ihm drang, zu seinem langen, bleichen Antlitz …«

Aber Reb Levi verstand noch immer nicht:

»Was für ein Antlitz, he? Wessen Antlitz?«

Der älteste Gast wollte es nicht sagen, er zögerte, dann aber beugte er sich langsam zu Reb Levi vor, schaute ihm fest in die Augen und sagte gespenstisch leise:

»Das des Messias! Das Antlitz des Messias!«

Reb Levi erstarrte, etwas schnitt ihm scharf durch den Leib, tief in sein Innerstes. Eine Weile stand er stumm da und starrte dem Gast ins Gesicht, starrte und hatte nichts begriffen.

Und ganz allmählich wandte er sich von ihm ab, faßte seinen kurzen gelbbraunen Bart, schob ihn sich zwischen die Zähne und begann im großen Zimmer herumzugehen.

Die Juden standen mit geschulterten Säcken bei der Tür.

Man hörte nur das weiche Schlurfen von Levi Pataschniks Pantoffeln auf den Dielen.

Er ging mit großen Schritten hin und her, blieb für einen Moment mitten im Zimmer stehen und setzte sich, wütend und hastig, erneut in Bewegung. Dann wandte er sich abrupt um und packte den ältesten Gast am Ärmel:

»Kommt!«

Und er führte sie ins zweite Zimmer. Die Tür blieb offen. Leah beugte sich heran, blickte in den Raum und sah, wie er die Juden in einen Winkel des Zimmers geleitete.

In der Dunkelheit hörte man Levi etwas aufschließen, er öffnete den Fremden seinen Geldschrank. Darinnen funkelte ein Häuflein Gold, brannte wie glühendes Feuer, leuchtete aus der Tiefe des Schrankes wie das ewige Licht eines Bethauses.

Und Reb Levi reckte sich und wies dreist mit der Hand auf das Gold:

»Das ist der Messias!«

Einer der Gäste, schwarzhaarig, zottig und leicht erregbar, stieß ein kehliges Brüllen aus, der älteste drehte sich zu ihm um und beruhigte ihn leise.

Levi genoß seinen Triumph. Er stand da, klein von Statur, den großen Bauch vorgestreckt, die Hände in die Seiten gestemmt, und blinzelte mit seinen Augen.

Die Eingeweide schwollen ihm vor Stolz, und er meinte schon, daß er damit allem ein Ende gemacht habe. Doch der älteste Besucher sagte zu ihm:

»Reb Levi, Gold ist Sünde, Gold ist das Feuer der Hölle!«

»Was ist Gold?« zischte Reb Levi.

Und mit Schaum vor dem Mund brüllte er sie an:

»Ihr Schnorrer! Habt ihr jemals einen Groschen in der Tasche gehabt?!

Vagabunden!

Faulpelze!

Kröten!

Gold ist Sünde, ja?! – Aber Almosen wollt ihr?«

Und er knallte die Tür des Geldschrankes zu.

»Bei mir gibt es keine Almosen!!«

Der jähzornige Gast, Ber ben Zippe, hob seine braune Pranke. Er wollte sie schon niedersausen lassen auf den kleinen Fettwanst, doch der älteste stieß ihn zurück und sagte kalt zu Reb Levi:

»Denk daran, Levi, Gold ist mit Blut getränkt!«

Und der dritte, ein einfältiger Hüne, dürr wie eine Hopfenstange, schwenkte seine Hand und stammelte:

»Und er hat sich wirklich weh getan!«

Reb Levi trat an ihn heran:

»Wer hat sich weh getan, du Kindskopf?«

»Der … der Mann, der unter die Säge gekommen ist.«

Reb Levi starrte ihn mit glasigen Augen an:

»Was für eine Säge? Ach, jene Säge? Woher weißt du das eigentlich? Wie?«

Und er griff sich an den Kopf, wurde kreidebleich und stürzte ins Nebenzimmer.

Die Besucher blieben beim Geldschrank stehen. Leah lief aus der Finsternis auf ihren Vater zu. Zitternd warf sie sich ihm an den Hals:

»Papa, was ist Papa?«

Und sie begann leise zu weinen.

Reb Levi blickte sich um und wußte nicht, wie ihm geschah. Langsam löste er sich aus den Armen seiner Tochter, holte tief Luft und blickte durch die offene Tür ins Zimmer nebenan.

»Was geht hier vor? Leah, weißt du es nicht?«

Bedächtig knöpfte er seine Jacke zu und wirkte mit einem Mal größer. Er streckte sich und blieb ein Weilchen ruhig stehen. Dann kehrte er mit großen Schritten ins erste Zimmer zurück.

Die Besucher standen noch beim Schrank. Sie musterten ihn mit kalten Blicken. Offenbar hatten sie seine Rückkehr erwartet. Er sagte ihnen ruhig und gelassen:

»Es hat ihm weh getan, meine Herren, weil es ihm weh tun sollte. Und jetzt geht!«

Sie antworteten nicht. Er hieß sie gehen, also gingen sie, doch in ihnen kochte es. Reb Levi stellte sich neben die Tür, um seine Besucher hinauszulassen.

»Geht«, sprach er, »und richtet dort aus – ich, Levi Pataschnik, habe gesagt: ›Wen kümmert es!‹ Hört ihr? – Wen kümmert es!«

Und damit schlug er die Tür hinter ihnen zu. Einige Male ging er noch gedankenversunken auf und ab, dann setzte er sich wieder in seinen Lehnstuhl, als wäre nichts geschehen.

Wie er so dasaß und zum Fenster schaute, rief er nach Leah, die irgendwo hinter ihm stand. Er zog die erwachsene Tochter zu sich auf den Schoß:

»Hast du Klavier gespielt?«

»Ja.«

»Bist du im Garten spazierengegangen?«

»Ja.«

»Und möchtest du ein neues Kleid haben, Närrchen?«

Aber Leah war noch ganz verwirrt, und so sagte sie:

»Papa, ihr Messias ist besser!«

Sie erschrak über ihre eigenen Worte. Reb Levi sah sie mit schreckgeweiteten Augen an. Sie rückte von ihm ab und lief eilends zurück in ihr Zimmer.

Gimpel, der Philosoph

»Hörst du, Benje, im Spätsommer, wenn das reife Obst seinen Duft verbreitet, ist es nicht schlecht, auf der Welt zu sein.« So sprach Simche Plachte.

Reb Benje antwortete nicht, er stand auf einem Holzklotz am Herd und kochte Kartoffeln. Reb Simche saß hinter ihm am geschlossenen Fenster. Die Pfeife im Mund, schaute er auf den Weg hinaus.

Der Weg glühte im Sonnenlicht, Kiesel funkelten im Sand.

Simche Plachte saß da und blickte ins Weite, denn eine Gestalt war in der Ferne aufgetaucht. Auf dem Weg näherte sich ein dünner Bursche mit einem Wanderstab.

Reb Simche meinte:

»Sieht aus, als ob da jemand käme.«

Doch Reb Benje antwortete nicht, er kochte Kartoffeln.

Simche öffnete das Fenster und schaute hinaus. Der Fremde winkte ihm zu.

Ein lustiger Wandersmann war das, er tänzelte beim Gehen, und schon von weitem hörten sie, was für schöne Lieder er sang.

Es war Gimpel Saßkewitzer, ein närrischer »Philosoph«.

Wie er zur Mühle kam, trällerte er ein fröhliches Liedchen:

»Seht ich bin ein Taugenichts,

Und mit meinem Stecken,

Tralali und tralala,

Klopf ich alle Hecken.

Komm ich auf ein Gasthaus zu,

Klopf ich an und grüß ich.

Fragt der Schankwirt, was ich tu,

›Was wohl, ich geh müßig‹ …

›Müßiggehen schon so früh!

Tagedieb!‹ so schreit er,

Tralala und tralali,

Und so geh ich weiter.

Wenn ich einen Brunnen seh,

Trinke ich sein Wasser,

Und im Morgengrauen steh

Ich als Hahn, als nasser.

Fährt ein Bauersmann vorbei,

Tadelt er mein Leben.

Ich versteh ihn nicht und schrei:

›Leben, Streben, Beben …‹«

Er trat in die Stube, wie man zu sich nach Hause kommt, stellte den Wanderstab in die Ecke, legte sein Bündel ab und sagte:

»Guten Morgen, ihr Juden!«

»Guten Morgen und ein gutes Jahr!«

Der Neuankömmling drehte sich auf hohen Absätzen herum, zog sein rotes Halstuch fest und fragte mit einem Lächeln:

»Habt ihr was zu beißen da, Freunde?«

»Was zu beißen? Man wird Euch schon zu beißen geben, aber sagt uns zunächst, wer Ihr seid, junger Mann.«

Gimpel ging keiner festen Arbeit nach, er frönte dem Müßiggang, doch keine Sorge, er hatte eine flinke Zunge:

»Ich bin ein Philosoph. Ein großer Philosoph!«

»Und achtet nicht darauf«, meinte Gimpel weiter, »daß meine Knie durchgescheuert sind. Mein Anzug war einmal mit Punkten gepunktet und mit Streifen gestreift, jawohl!

Und die Mädchen lieben mich, weil ich schön bin! Schade, daß Reb Simche schon alt ist, so weiß er nichts mehr vom Geschmack junger Mädchen:

Junge Mädchen gleichen frühen Tagen,

Über die sich Morgennebel legt.

Mädchen sollten ihre Brüste tragen,

Wie ein Apfelbaum die Äpfel trägt.«

Das Lied verwirrte Reb Simche, er rieb sich die Hände und wurde rot. Jetzt saß Gimpel auf hohem Roß. Beglückt von seinem Triumph, schnatterte er:

»Ich, Gimpel, habe einen neuen Stern am Himmel entdeckt.«

Plötzlich drehte sich Reb Benje zu ihm um und schrie wie ein Besessener:

»Zwei Sterne!«

»Nein, nur einen – und heißen wird er: Gimpelinus.«

»Zwei Sterne«, brüllte Reb Benje, »auf dem einen saß ein weißer Mann und auf dem zweiten ein schwarzer.«

»Nein, ohne Menschen.« Einen Stern hatte er entdeckt und ohne Menschen.

Reb Benje spie aus und ging zornig zurück an den Herd. Dort machte er sich wieder am Feuer zu schaffen, und nach einer Weile sagte er laut zu sich selbst:

»Der Bursche lügt!«

Gimpel stand da, wie vom Donner gerührt. Ihm war erbärmlich zumute. Er fühlte sich ertappt. Vor Scham rieb er sich die Augen und räumte ein:

»Mag sein, daß irgendwo da draußen noch ein Stern ist, der erst noch entdeckt werden muß. Ich, Gimpel, bin wahrhaftig kein Sternengucker, ich bin Philosoph. Hier, in der Brusttasche, habe ich meine ganze Philosophie zu Papier gebracht.

Wenn ich erst etwas gegessen habe, werden meine Gedanken klarer und ich vermag Reb Simche auch die schwierigsten Stellen meiner Philosophie zu erläutern.«

Und als Gimpel dann am Tisch saß und die heißen Kartoffeln herunterschlang, sagte er:

»Es gibt keine Menschen auf der Welt. Es gibt alles und jedes, aber keine Menschen. Das ist auch der Unterschied zwischen mir und einem Mann namens Schopenhauer. Der Mensch ist ein Traum der Materie.«

Und aus der Brusttasche zog er einen Stapel Papiere, blätterte darin und reichte Simche einen Zettel, der mit zierlichen Schriftzeichen bedeckt war:

»Da, lest.«

Reb Benje trat hinzu. Beide Männer setzten sich zum Fenster und machten sich ans Werk.

Der Zettel

Der Geist steht heute wider die geistlose Natur.

Seht, wie klein ist die Ansicht, die der Mensch von sich hat, gemessen am Berge, der gar keine Ansicht hat.

Mensch, sage dich los vom Geist!

Man darf Gott schmähen, denn das Meer ist schöner als Gott.

Seht, man ersann Gott, um die Natur zu verschönen. Damit hat man sich und ihn zuschanden gemacht.

Es gibt keine Seele und keine Materie, beides sind Erfindungen des Menschen.

Bleibe auf deinem angestammten Platz, denn der Platz um dich ist stärker und wunderbarer als du.

Nicht das Feuer der Seele erkennt die Welt, sondern der Leib erkennt sie – wenn wir ihn zügeln.

Nur vom Denken befreit, gelangen wir zur letzten Wahrheit.

Die Welt muß in mich eingehen, wie ich durch die Welt gehe.

Die wahre Ansicht lautet: »Ich weiß nicht, also verstehe ich.«

Dr. Levinsohn

Gimpel lachte, es bereitete ihm Freude. Simche Plachte und Reb Benje lachten nicht, sie hatten offenbar nicht verstanden.

Die Sonne war bereits am Untergehen.

Im Zimmer war es heiß und dunkel, und als Gimpel mit einem neuen Zettel auf sie zutrat, sah er aus wie ein langer dünner Stecken. Und wie er so vergnügt seine schwarzen Zähne bleckte, sah er noch dünner aus – wie ein Franzose in Rußland.

»Lest das hier.«

Sie mochten schon nicht mehr lesen.

»Hier geht es darum, daß wir alle nur ein Traum sind. Euch ist doch klar, daß es uns eigentlich nicht gibt?« Aber sie mochten nicht mehr lesen.

Da baute er sich zornig vor ihnen auf, wie man sich vor ein großes Auditorium stellt, und begann mit lauter, wohlklingender Stimme eine Ansprache:

»Meine Herren!«

Es wurde still, die Zuhörer saßen mit gespitzten Ohren, ihre Hände ruhten auf den Knien.

»Ich bitte Sie, während meines Vortrags Ruhe zu bewahren. Sie haben mich aufgefordert, Ihnen das System des irrationalen Denkens zu erläutern …«

Und plötzlich prustete er vor Lachen, so daß selbst Reb Benje zu lächeln begann, fuhr jedoch gleich wieder in ernsthaftem Tone fort:

»Lösen wir uns von der Vernunft, entledigen wir uns damit gleichfalls der Kategorien rationalen Denkens: Raum und Zeit. Zu Welterkenntnis gelangt man erst, wenn man sich nicht länger der traditionellen Auffassung von Vielzahl und Einzelnem beugt. Der Körper versteht keine Vielzahl, für ihn ist alles eines, nicht zu übertreffen und unveränderlich.

Meine Herren, nur einen Augenblick!

Erkenntnis ist jener Moment, da sich der Körper bewußt wird, daß es zwischen ihm und der Welt keine Trennung mehr gibt, daß er ein Objekt ohne Subjekt ist – ganz wie die Welt selbst. Wird jedoch der Mensch zum Subjekt, hört er auf zu verstehen.«

Reb Simche wieherte vor Gelächter. Nicht, weil er Spaß an dem fand, was er hörte, sondern einfach nur so, und er streichelte über Gimpels Gesicht:

»Philosoph!«

Gimpel schüttelte ihn ab. Die Gedanken strömten jetzt aus seinem Hirn und sprangen wie Flöhe in alle Richtungen, er mußte sie bändigen.

»Meine Herren, bitte bewahren Sie Ruhe! Ihr versteht mich nicht, Freunde. Jetzt steht ihr mitten im Leben, und euer Kopf arbeitet. Nachts im Schlaf aber werdet ihr mich verstehen. Ihr werdet mich verstehen, wenn ihr tot seid – oder wenn ihr schlaft.

Meine Freunde, die Welt ist das Subjekt ihres eigenen Objekts. Raum setzt Vielzahl und Einzelnes voraus, und wenn der Körper keine Vielzahl versteht, gibt es – logischerweise – auch keinen Raum. Zeit ist abstrahierte Räumlichkeit, meine Herrschaften, Bewegung an sich existiert nicht. Wenn es aber keine Bewegung gibt, gibt es auch keine Zeit, denn wir können uns Zeit nicht losgelöst von der Bewegung vorstellen. Also, meine Damen und Herren: Die Welt existiert zwar, doch den Menschen gibt es nicht! Hurra!«

Gimpel baute sich vor ihnen auf, die Hände in die Hüften gestemmt, ernst und hochmütig. Alle drei starrten einander an wie Hähne, starrten und starrten und brachen schließlich in Gelächter aus.

Reb Simche rutschte vor Lachen unter den Tisch, schnappte nach Luft, keuchte mit Tränen in den Augen, und Gimpel beugte sich zu ihm herunter und kitzelte ihn unter den Achseln. Jener hielt es nicht mehr aus und schrie unter dem Tisch hervor:

»Du Taugenichts!«

Auch Benje lächelte.

Nachts lagen sie ausgestreckt auf Reb Benjes breiten Bänken und schliefen.

Simche Plachte lag in seinen Pelz gehüllt auf dem Rücken, die Hände unter dem Kopf und schnarchte. Ab und an lachte er dumpf in sich hinein, es klang wie schwaches Donnergrollen.

Reb Benje hatte sich auf seinem Bett unter der ­Decke zusammengerollt. Das Gesicht zur Wand gedreht, schluchzte er leise, und manchmal schrie er, als ob man ihn schlachten wollte.

Nur Gimpel lag ruhig. Seine mageren Beine ragten unter der Decke hervor. Plötzlich aber erhob er sich im Schlaf still von der Bank. Gimpel war Schlafwandler.

Mit vorgestreckten bleichen Händen stieg er auf sein Lager und schritt lautlos von einer Bank zur nächsten.

Reb Benje schluchzte.

Der durchsichtige Gimpel lauschte dem erstickten Weinen mit seinem ganzen bebenden Leib.

Dann stieg er langsam auf den Tisch, der hell im Mondlicht lag.

Sein kurzes Hemd reichte ihm nur bis zum Bauch.

Er stand da, mit halbgeöffnetem Mund, bleich, dem Mond zugewandt, wie nicht von dieser Welt, und murmelte etwas. Es war ein wortloses Flüstern. Er redete stumm zu Simche Plachte und Reb Benje.

Beide lagen in tiefem Schlaf auf ihren Betten und lauschten. Sie vernahmen jedes seiner stummen Worte und antworteten mit ihren erschrockenen Leibern.

»Wir verstehen, Gimpel, wir verstehen … dich … und den Mond … und das Feld …«

Reb Benje weinte. Sein Weinen vermengte sich mit dem Mondlicht, das Gimpel und Simche Plachte in sich aufsogen.

Und die Traumverlorenheit, die hinter dem Mond hervorschwamm, wob sich ihre schattigen Menschen, und alle lebten sie ein einziges geheimes Leben.

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