Kitabı oku: «Trust me - Blindes Vertrauen», sayfa 2

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Mit Schwung parkte er in der einzigen freien Lücke unmittelbar vor dem Drugstore und besorgte sich schnell eine Packung Schmerztabletten. Als er zum Wagen zurückkehrte, hörte er Twister aufgeregt bellen. Eine Ordnungshüterin tippte mit wichtiger Miene sein Kennzeichen in ihr Erfassungsgerät und als er sie erreichte, zückte sie ihr Mobiltelefon und machte Beweisfotos.

„Ist das denn wirklich nötig?“, sprach er sie freundlich an. „Ich war nur zwei Minuten weg.“

„Sir, Sie parken auf einem Behindertenparkplatz. Das sollte Ihnen aufgefallen sein.“

„Hören Sie“, er bemühte sich seiner Stimme einen verständnisvollen Klang zu verleihen. Auf ein Ticket hatte er nun wirklich keine Lust. „Selbst wenn nun ausgerechnet in diesem Augenblick ein Mensch mit Handicap parken möchte, so war ich doch sofort zur Stelle und hätte ihm Platz machen können.“

„Es ist ein Behindertenparkplatz, Sir. Sind Sie gehandicapt?“

„Nein.“

„Das sollte die Antwort auf Ihre Aussage sein.“

Es hatte offenbar keinen Zweck, darum blieb er jetzt still. Sie tippte minutenlang auf ihrem Gerät herum und machte dann erneut Bilder. Ihm riss allmählich der Geduldsfaden.

„Fällt Ihnen auf, dass Sie mich mittlerweile länger aufhalten, als meine Parkzeit gedauert hat?“

Sie warf ihm stumm einen abschätzigen Blick zu, zückte einen Block und schrieb auf diesem weiter. Dann riss sie mit Schwung das oberste Papier ab und überreichte es ihm.

„Hundertachtundzwanzig Dollar?“, rief er fassungslos.

„Da Sie keinen Hydranten oder wichtige Einfahrten blockieren, will ich mal nicht so sein.“

„Wa…“ Ihm blieb der Rest seiner Worte im Halse stecken, als sie sich auch schon umdrehte und mit ihren dicken X-Beinen davonwatschelte. Er sah ihr sprachlos hinterher, als es neben ihm ohrenbetäubend hupte und er zusammenzuckte.

„Ist das Ihr Wagen, Sir?“, krähte eine sehr zierliche und sehr kleine ältere Dame mit Sonnenhut aus dem Seitenfenster. „Sie haben keinen Aufkleber! Ist das Ihr Wagen, dann fahren Sie ihn weg! Los!“ Dafür, dass sie so winzig war, war sie offenbar sehr herrisch.

Leon schnaubte, warf ihr einen wütenden Blick zu, setzte sich in seinen Wagen und fuhr aus der Parklücke. Der erste Impuls war, diese Stadt so schnell wie möglich zu verlassen, doch er hatte Hunger und sein Wagen brauchte Benzin. Also entschied er sich trotz des nervigen Erlebnisses, seinen Aufenthalt auszudehnen.

Nachdem er getankt hatte, fuhr er zurück zu dem Diner, den er zuvor entdeckt hatte. In einiger Entfernung fand er einen geeigneten Parkplatz und achtete diesmal peinlich genau darauf, ob er dort parken durfte. Noch mit leichtem Zorn im Magen und reißenden Schmerzen im Kopf, lief er hinüber zum Restaurant. Twister blieb im Wagen zurück, denn er hasste nichts mehr, als seinen geliebten Platz im Fußraum zu verlassen. Da es Leon nie lange an einem Ort hielt, hatte auch der Hund den Wagen zu seinem Zuhause erwählt.

Im Schnellschritt lief Leon an den Geschäften entlang zum Restaurant. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, dass sich die Tür eines Geschäfts öffnete und bevor er sich versah, prallte er mit jemandem zusammen. Beim dem heftigen Zusammenstoß hatte er für Sekunden das Gefühl, dass sein Kopfschmerz explodierte, und er taumelte kurz. Er fing sich jedoch schnell wieder, seine Kontrahentin dagegen hatte weniger Glück. Sie war unsanft auf ihrem Hintern gelandet.

„Können Sie nicht aufpassen?“, schnauzte er ungehalten. Die schlummernde Wut in ihm und seine Migräne ergaben keine gute Mischung. „Machen Sie gefälligst die Augen auf!“

Er rieb sich den Arm an der Stelle, an der sie zusammengeprallt waren, und warf einen Blick auf die Gestalt, die auf dem Gehsteig saß. Plötzlich geschah etwas Unerwartetes. Als er die junge Frau musterte, breitete sich dasselbe Gefühl in ihm aus, das er zuvor an den Klippen erlebt hatte. Ein unglaublich warmes und wundervolles Empfinden. Verwirrt versuchte er es zu analysieren, doch es verpuffte leider zusammen mit dem kräftigen Typ, der plötzlich aus dem Laden stürzte und ihn anpflaumte.

„Herrgott, können Sie nicht aufpassen?“

„Ich?“, fragte er entrüstet und sah dabei zu, wie der Kerl der jungen Frau auf die Beine half. Das hätte ihm allerdings auch einfallen können, dachte er etwas beschämt.

„Ist alles in Ordnung?“, wollte der Typ von der jungen Frau wissen. Er war offensichtlich Verkäufer in dem Laden, denn er trug ein Shirt mit der Aufschrift ‚Tillamook Musicstore’ und ein Namensschild, auf dem ‘George‘ stand. Leons Blick fiel wieder auf die blonde Schönheit, die sich mit schmerzverzerrtem Blick das Handgelenk hielt.

„Ich glaube, es ist verstaucht.“

„Sehen Sie, was Sie angerichtet haben?“, ranzte George ihn erneut an. Leon wurde innerlich ungehalten, auch wenn es ihm leid tat, dass sie sich offenbar verletzt hatte. Gerade als er sich rechtfertigen wollte, tauchte neben ihm eine weitere junge Dame auf und stieß ihn auf ihrem Weg unsanft beiseite.

„Eywa, oh mein Gott, ist alles in Ordnung?“

„Mein Handgelenk …“

„Verflucht, konnten Sie nicht aufpassen?“, herrschte der blonde Feger ihn an.

„Aber …“

George warf ihm einen vernichtenden Blick zu. So langsam fand Leon das Ganze etwas übertrieben. Sie waren nur zusammengeprallt, er hatte sie nicht umgebracht. Doch als der Typ sich nach einem weißen Stock bückte und ihn der aufregenden Schönheit in die Hand gab, wurde ihm siedend heiß klar, warum die beiden ihn so hart angingen. Die Traumfrau war blind.


July ließ sich weder davon abbringen, sie zu stützen, obwohl sie versicherte nichts an den Füßen zu haben, noch davon, sie zu einem Arzt zu bringen.

„July, es ist nur verstaucht. Ich benötige keinen Arzt.“

„Sorry, aber ich habe gesehen, wie du gefallen bist. Dieser Idiot!“

„Er konnte sicher nichts dafür und hör auf mich zu stützen, bitte.“

„Wir sind am Auto. Du kannst einsteigen“, entgegnete July nur knapp und es klang beleidigt. Eywa streckte die Hand aus und ertastete erst die Wagentür, dann den Griff. Sie zog daran, setzte sich jedoch nicht hinein, sondern blieb neben dem Wagen stehen.

„Sei nicht sauer, ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du dich immer so für mich einsetzt, aber du hättest ihn nicht derart zerfleischen müssen.“

July war schon auf dem Weg zur anderen Seite des Wagens, ihre Schritte kehrten jedoch zurück und sie blieb vor ihr stehen.

„Immerhin will er nun für deine Arztrechnung aufkommen. Ich denke nicht, dass er das getan hätte, wenn ich freundlich zu ihm gewesen wäre“, rechtfertigte sie sich.

„Er klang sehr höflich, im Gegensatz zu George und dir.“

„Können wir jetzt losfahren?“, drängelte sie.

„Ich will nicht zum Arzt, sag mal hörst du mir nicht zu?“

„Herrgott Eywa und wenn es etwas Schlimmes ist? Du bist Pianistin! Lass Doktor Malcom sich das wenigstens mal ansehen.“

„Meine Mutter war eine Pianistin, eine Weltklasse Pianistin, ich besitze lediglich ein altes Pianino.“

„Auf dem du Unterrichtsstunden für Kinder gibst.“

„Nur, wenn ihre Eltern davon überzeugt sind, dass eine Behinderte ihren Kindern etwas beibringen kann.“

„Eywa!“

„Stimmt doch. Sobald der kleine, hochtalentierte Nachwuchsstar daheim die verkehrten Töne trifft, geschieht das natürlich nicht mangels Talent oder Fleischwurstfingern, sondern die Blinde ist schuld.“

„Hat wieder einer deiner Schüler abgesagt?“ Julys Stimme klang mitfühlend.

„Was denkst du?“

Sie hörte sie seufzen.

„Komm, wir gehen etwas trinken.“

„Endlich wirst du vernünftig.“ Eywa gab der Tür Schwung und sie fiel zurück ins Schloss. Sie hörte das Klacken des automatischen Türverrieglers, dann schob July den Arm unter ihren und hakte sich ein. Wenig später betraten sie Joe’s Diner und setzten sich an den Tresen auf die gemütlichen Barhocker.

„Na Mädels, wie immer?“, begrüßte sie Joes tiefe Stimme.

„Für mich Wasser“, entgegnete July und pappte Eywa ihre schwere Handtasche auf den Schoß. „Halt mal, ich muss aufs Klo.“

„Und was möchtest du trinken, Eywa?“

„Überrasch mich mit einem deiner legendären Cocktails. Und spar nicht mit dem Alkohol.“ Sie klang frustriert.

„Hat wieder einer abgesagt?“

Eywa winkte ab, was sie sofort bereute, denn es war das lädierte Handgelenk.

„Nimm’s nicht tragisch“, hörte sie ihn sagen. „Dein Cocktail kommt sofort!“

Eywa ließ Julys Handtasche vorsichtig an ihrem Bein entlang zu Boden sinken und hielt den Henkel mit dem Fuß.

„Darf ich Sie einladen?“

Ihr Herz machte einen Satz, und was für einen! Sie hatte nicht viel von ihm hören können, die meiste Zeit hatten July oder George ihn angekeift, doch seine Stimme erkannte sie sofort wieder.

„Sie sind es …“

„Ja, der Zusammenstoß.“

„Oh …“ Himmel, sie sprühte ja vor Geisteswitz.

„Ich habe den Moment genutzt, in dem Ihre Schwester verschwunden ist.“ Sein Ton klang leicht erschreckt und Eywa musste lachen.

„Normalerweise ist sie nicht so rabiat“, erklärte sie. „Aber sie ist nicht meine Schwester.“

„Sie sehen sich sehr ähnlich.“

„Meine Cousine.“

„Ah, verstehe.“

Na Gottseidank schien auch er etwas beklommen zu sein.

„Sie sind fremd hier, oder?“

„Ja, ich bin nur zufällig in der Stadt. Darf ich mich vorstellen, mein Name ist …“

Joe unterbrach ihn leider, als er ihr das Getränk in die Hand schob.

„Bitteschön, Eywa. Lass ihn dir schmecken. Und was kann ich Ihnen bringen, junger Mann?“

Aus Nervosität nahm Eywa einen viel zu großen Schluck ihres Cocktails. Joe hatte, wie gewünscht, nicht mit dem Alkohol gespart und sie hätte beinahe angefangen zu husten, als das scharfe Getränk ihre Kehle herunterlief. Gerade noch konnte sie den Reiz unterdrücken.

„Nur Wasser, danke.“

Leider kehrte July in diesem Moment zurück.

„Sie schon wieder“, sagte sie, doch es klang bei Weitem versöhnlicher.

„Wie geht es Ihrem Handgelenk?“, fragte er, ohne auf July einzugehen.

„Nicht der Rede wert.“

„Das sehe ich anders“, warf July dazwischen, „aber leider ist sie stur wie ein Esel und möchte nicht zum Arzt.“

Eywa empfand ihre Anwesenheit und den Ton, mit dem sie ihn anging, als störend. Sie hätte gerne mehr von ihm erfahren, sie war neugierig geworden. Vor allem seine Stimme hatte es ihr angetan. Zu gerne hätte sie gewusst, wie er aussah und ob seine Erscheinung zu dieser sanften Stimme passte. July würde ihr das sicher später verraten.

„Sie ist eine großartige Pianistin und wenn sie nicht mehr spielen kann …“

„July, bitte!“

„Ich komme selbstverständlich für alles auf.“

„Sie können sicher nichts dafür und außerdem ist alles in Ordnung“, versuchte sie die Schärfe aus der Situation zu nehmen. „Sie wollten mir Ihren Namen verraten.“

„Leon Marshall und es tut mir wirklich leid.“

„Ihre Gestik kann sie nicht sehen, Mister Marshall“, warf July ein. „Wenn Sie auf ihr Handgelenk deuten, kann sie es nicht bemerken. Sie müssen es ihr schon sagen. Wie auch Kopfschütteln, oder nicken.“

„Verzeihung! Man ist leider so eingefahren in seinen Gewohnheiten.“

Er tat Eywa leid, weil ihre Cousine ihren leicht schnippischen Unterton offenbar nicht ablegen konnte. Sie fürchtete, July könnte ihn verjagen, bevor sie mehr von ihm erfahren konnte. Sie fand ihn nämlich sehr interessant. Joe stellte derweil das Wasser für ihn auf den Tresen und er bedankte sich höflich.

„Nun“, sagte er, „ich möchte nicht weiter stören.“

Bevor Eywa ihm antworten konnte, kam überraschend die Wende von July.

„Sie stören doch nicht. Wie wäre es, wenn wir das Kriegsbeil begraben?“

Eywa ärgerte sich, denn July war ihr zuvorgekommen und mehr noch, ihr Ton wurde plötzlich zuckersüß.

„Das würde mich freuen“, gab er zurück.

„Wie gefällt es Ihnen in unserem schönen Tillamook?“, wollte July wissen.

Er lachte leise und Eywa gefiel der tiefe Klang. Er erzählte, dass er in der kurzen Zeit seines Aufenthaltes einen deftigen Strafzettel kassiert hatte, dass es in diesem Hafenstädtchen überraschend nach Käse, statt nach Fisch roch, und er bedauerte noch einmal seinen Zusammenprall mit ihr.

„Diese Stadt und ich werden wohl keine Freunde“, schlussfolgerte er über seinen ersten Eindruck. July kicherte. Tatsächlich, sie kicherte wie ein Teenie!

„Dann sind Sie auf der Durchreise?“

Das hatte Eywa ihn auch fragen wollen, doch July war erneut schneller. Es grummelte in ihrer Magengegend, denn sie fühlte sich ausgeschlossen.

„Das stimmt, ich bin auf dem Weg nach Bakersfield.“

„Zu den Ölfeldern?“

„Ja richtig. Ich habe dort einen Job angenommen.“

„Ein Ölwurm“, sagte July und ihre Stimme war hell und vibrierte leicht. Sie lächelte offenbar, während sie mit ihm sprach. Eywa kannte die verschiedenen Timbres in Stimmen. Wer blind war, musste gut hören können und hier war es ganz offensichtlich, sie flirtete mit ihm! „Das soll ein ziemlich harter Job sein. Wenn Sie keine Lust mehr darauf haben, kommen Sie her. Hier werden immer starke Männer gebraucht.“

„Für die Käsefabrik?“

July lachte glockenhell und Eywa kam sich sehr deplatziert vor.

„Nein, aber auch die suchen immer Arbeiter. Meine Familie besitzt hier eine …“

Eywa erhob sich.

„Wo willst du hin?“

„Mir die Nase pudern.“ Sie verpasste es, die Enttäuschung aus ihrer Stimme zu nehmen und war verärgert über sich. Nun wirkte es, als wäre sie eifersüchtig. Um Himmelswillen. Warum reagierte sie so verspannt, anstatt July den Spaß zu gönnen?

„Ich begleite dich.“

Eywa wollte verneinen, doch das hätte sie noch zickiger erscheinen lassen.

„Ich muss sowieso los“, sagte der Mann. „Es war nett, euch beide kennenzulernen und Eywa, rufen Sie mich an, wenn es Probleme gibt. Meine Nummer haben Sie ja.“

July hatte seine Nummer, sie nicht. „Ihre Cousine kann für Sie anrufen“, schob er schnell hinterher, weil ihm das offenbar auffiel.

„Sie werden es nicht glauben, Mister Marshall, aber ich bin durchaus fähig zu telefonieren, ja mehr noch, ich bin sogar in der Lage zu essen, ohne mich zu bekleckern, zu trinken, mich allein anzuziehen, oder mich zu unterhalten, ohne dass andere für mich antworten müssen.“

„Eywa!“

Gottseidank, July stoppte sie, sonst wäre es vermutlich noch schlimmer geworden. In diesem Moment war sie froh, sein Gesicht nicht sehen zu können. Ein sehr peinlicher Auftritt und nun wurde es höchste Zeit, zu verschwinden. Den Weg zu den Toiletten kannte sie. Blieb nur die Hoffnung, dass nichts im Weg stand. Als hinter ihr die Schwingtür der Toiletten hin und her pendelte, lehnte sie sich an die Wand und fragte sich, was mit ihr los war. Sekunden später trat July zu ihr. „Alles ok?“

„Ich hatte einen scheiß Tag.“

„Wegen dem Schüler?“

„Mit dem fing es an.“

„Sollen wir heimfahren?“

„Ist er weg?“

„Ja, er ist weg.“

„Ok, lass uns fahren.“

Bis zum Auto sprachen sie kein Wort und auch auf den ersten Meilen blieb es still zwischen ihnen.

„Sag mal“, unterbrach July die Stille. „Fandest du ihn irgendwie … nett?“

„Mach dich nicht lächerlich.“

„Wieso? Du bist eine junge Frau, du hast Gefühle, du bist wunderschön.“

„Ich bin behindert.“

Wieder blieb es eine Weile still, doch diesmal war es Eywa, die das Gespräch wieder aufnahm. Vor allem, weil ihre Neugier sie nicht ruhen ließ. „Wie sah er denn aus?“

„Er sah sehr gut aus, wirklich, so richtig gut. Er war groß, sehr sportlich, breite Schultern …“

„Jaja. Ich meine sein Gesicht.“

„Sehr attraktiv, würde ich behaupten. Kurze dunkle Haare, aber einen langen Schopf, der ihm in die Stirn fällt, männliche Züge, schöne Lippen …“

„Du verstehst nicht. Ich möchte wissen, wie seine Mimik war, der Ausdruck seiner Augen, sein Lächeln, seine Ausstrahlung.“

„Also gut. Er wirkte zurückhaltend, beinah schüchtern. Kaum zu glauben bei der attraktiven Erscheinung. Er hat übrigens sehr oft zu dir rüber gesehen. Wenn er lächelt, zieht er dabei nur einen Mundwinkel leicht nach oben und es bilden sich kleine Fältchen um seinen Mund. Außerdem hat er wirklich schöne Zähne. Seine Augen sind braun oder grün, konnte ich nicht genau erkennen, aber mit ungewöhnlich dichten Wimpern und eine lange rote Narbe zieht sich von seiner Schläfe hinunter bis zur Wange. Vielleicht hatte er mal einen Unfall.“

„Schade, dass wir ihn nicht mehr wiedersehen.“

„Ja, schade. Er war wirklich nett.“

Kapitel 2

Dunkles Herz in großer Not.

Jeden Tag der Schatten droht.

Deine Seele ist so blind,

sie keine Liebe in sich find‘.

Und du mehr und mehr erkennst,

dass du in den Abgrund rennst.

Knapp neunhundert Meilen lagen zwischen Tillamook und Bakersfield. Eine Strecke, die er sonst in sich versunken hinter sich brachte. Er fuhr meist vor sich hin, hörte Musik, bis er sie nicht mehr hörte, weil sie irgendwann in seinen Ohren mit den Fahrgeräuschen und seinen Gedanken verschwamm. Bis er nicht mehr sagen konnte, wie weit er gefahren war, was er gedacht hatte, oder welches Lied sie gespielt hatten. Stumm hatte er bislang seine Linien quer durch die Staaten gezogen, mal hier, mal dort, meist Nirgendwo. Heute aber hatte er jede Menge nachzudenken und es trübte seine Stimmung, dass das schöne, seltsame Gefühl, das er erstmals oben auf den Klippen empfunden hatte, schwächer und schwächer wurde, je mehr Strecke zwischen ihm und Tillamook lag. Er hätte es gerne länger festgehalten. Dasselbe Gefühl, als er diese Frau zum ersten Mal gesehen hatte. Er spulte immer wieder ihr Bild vor sein inneres Auge, um es zu festigen und nicht mehr zu verlieren.

Ihre kurzen strohblonden Haare, mit noch helleren Strähnchen passten so ganz wunderbar zu ihrer leicht gebräunten Haut. Ihre schlanke Figur fand seine Bewunderung, ihre langen Beine hatten ihn kurz den Atem anhalten lassen und er war voller Respekt darüber, wie sicher sie sich trotz ihrer Erblindung bewegte. Warum auch immer, aber zuerst hatte er gedacht, es wäre ein abgekartetes Spiel und sie wollten ihn hereinlegen. Dass sie ihm die Blindheit nur vorspielte, vielleicht, um daraus Kapital zu schlagen. Heutzutage war alles möglich und er traute niemandem. Immer wieder hatte er verstohlen in ihre bernsteinfarbenen Augen gesehen, weil es ihm so unmöglich schien, dass sie ihn nicht sah. Er hatte noch nie Kontakt mit einem blinden Menschen gehabt und er musste zugeben, dass er völlig befangen gewesen war. Es war ein seltsames Gefühl, jemandem gegenüber zu stehen, dem es offensichtlich völlig egal war, wie man aussah. Ob man modische Klamotten trug, ob man die neueste Frisur hatte, ob man ausgeschlafen war oder einem ein Pickel auf dem Kinn wuchs. Selbst seine Narbe wäre ihr egal. Seltsam, und so schrecklich es klingen mochte, aber ihm hatte das gefallen. Er hätte nicht den Gockel herauskehren müssen, um sie zu beeindrucken, wenn er denn gewollt hätte. Es wirkte beruhigend auf sein Inneres, auch wenn es einen leichten Beigeschmack hatte, in dieser Form über ihr Handicap nachzudenken.

Je mehr Meilen sich zwischen sie und ihn schoben, desto mehr bemühte er sich, auch gedanklich Abstand zu ihr zu gewinnen. Er hatte noch nie so viel über eine Frau nachgedacht und das sollte auch so bleiben. Sie hatte ihn wahrscheinlich nur so sehr beschäftigt, weil sie blind war. Wäre sie wie alle anderen, hätte er sie nicht weiter beachtet. Obwohl sie auffallend hübsch war. Sehr hübsch.

Mittlerweile fielen ihm beinahe die Augen zu, während Twister auf seiner Decke im Fußraum lag und vor sich hin schnarchte. Es war wohl die bessere Idee, in dieser Nacht ausnahmsweise ein Motel anzusteuern, damit er am nächsten Tag ausgeruht und geduscht vor seinen neuen Arbeitgeber treten konnte, um den Vertrag zu unterschreiben. Ansonsten hatten er und Twister bereits so viele Nächte im Wagen hinter sich, dass er sie nicht mehr zählen konnte. Obwohl sie auch nicht schlechter geschlafen hatten, als in durchgelegenen Motel Matratzen, in denen sich die Wanzen tummelten.

Er hatte Glück. Nach einigen Meilen durch schier unendlich anmutendes Waldgebiet verhieß ein Leuchtschild eine nächtliche Unterkunft. Er folgte den Hinweisschildern und fuhr auf den Parkplatz.

Das Motel wirkte freundlich, nicht so heruntergekommen wie die meisten dieser Kette. Wenige Augenblicke später besaß er einen Zimmerschlüssel und hatte das letzte Sandwich aus einem Automaten ergattern können. Twister stellte glücklicherweise kein Problem dar, um ein Zimmer zu mieten, und selbst wenn, dann hätte er sicher gerne im Auto übernachtet.

Das Zimmer war nichts Besonderes, aber sauber. Das meiste Gepäck ließ er im Wagen und nahm nur das Nötigste zum Wechseln mit. Die Müdigkeit machte ihn so mürbe, dass er das Duschen verschob, sein Sandwich aß und ins Bett fiel. Twister rollte sich auf der kleinen Matte vor der Tür ein und Leon hätte schwören können, dass er sich genau dort hinlegen würde. Er löschte das Licht, doch statt, dass ihn bleierne Müdigkeit sanft ins Land der Träume schickte, war er plötzlich hellwach. Das Rauschen des wilden Ozeans drang zurück in seine Erinnerung, die Klippen und der Blick über den weiten Pazifik, der Geruch des salzigen Wassers. Dabei musste er an die Käsefabrik denken und an die schreckliche Politesse und - natürlich, er dachte wieder an Eywa. Verflucht, gab es denn wirklich nichts anderes mehr, an das er denken konnte? Er drehte sich verärgert auf die Seite und schlief dann endlich ein.

Nach einer unruhigen Nacht, in der ihn wirre Träume oft aufwachen ließen, fühlte er sich am Morgen wie gerädert. Er machte sich nicht die Mühe, sich an die Träume erinnern zu wollen. Es waren meist Albträume und die waren eine der Begleiterscheinungen seit … Leon ballte die Faust. Verflucht, er wollte nicht in diese Erinnerungen fallen. Er sprang auf und ging schnell unter die Dusche. Das Wasser belebte und vertrieb den Schwachsinn in seinem Kopf. Es blieb noch genug Zeit für ein Frühstück, bevor er seinem neuen Arbeitgeber gegenübertrat. Der Job würde sicher nicht einfach. Körperliche Fitness und der Wille, hart zu arbeiten, waren die Voraussetzungen und das war genau sein Ding. Schmerzen. Der ganze Körper musste sich anfühlen, wie durch den Fleischwolf gedreht. Lahme Muskeln und abends so müde zu sein, dass man kaum mehr in der Lage war, ins Bett zu kriechen. Nur dann hatte das Gehirn nicht mehr genug Strom, um selbstständig denken zu können, weil es ihn sonst immer wieder in Abgründe manövrierte, in die er dann hilflos hineinstürzte.

Er packte seine Sachen zusammen und nachdem er bezahlt hatte, gab er die Adresse der Ölfirma in sein Navigationssystem ein. In ein paar Stunden würde er seinen nächsten Vertrag unterschreiben. Mit ein wenig Optimismus könnte es diesmal ein Job sein, in dem er länger bleiben würde, denn meist war schon während der Probezeit Schluss. Wenn die Kollegen vertraulicher wurden und von privaten Problemen mit Frau und Kindern erzählten. Wenn er zu Grillpartys und Geburtstagen eingeladen wurde. Wenn man Telefonnummern austauschen und sich zum Bowling treffen wollte, dann war für ihn der Zeitpunkt, an dem er sein Bündel schnürte und schnell das Weite suchte. Er konnte diese Annäherungen nur schlecht ertragen, denn das bedeutete, dass sie auch von ihm alles wissen wollten. Es war überhaupt verwunderlich, warum Männer ständig diese Verbrüderung suchten. Am besten noch, wenn sie sich zuerst spinnefeind waren, um dann, durch welche Umstände auch immer, mit kräftigen Schulterklopfern und überschwappenden Bierkrügen in die brüderlichen Arme fielen. Man fand dieses Phänomen in allen Schichten. Wo immer sie geballt aufeinandertrafen, dürsteten sie nach wahren Männerfreundschaften.

Ihn nervte dieses Verhalten. Er hatte keinerlei Interesse an diesen gesellschaftlichen Spielchen. Als er in der Army diente, waren die anderen Soldaten regelrecht süchtig nach tiefen Freundschaften und dieser ständige Gruppenzwang. Einer für alle, alle für einen. Semper Fi – Ewig treu! Am besten noch tätowiert auf den Unterarm. Als er die Army verließ, war das für ihn die größte Befreiung. Leon erinnerte sich dabei an seinen Ausflug in die Welt der Cowboys und musste leise lachen. Einsam am Lagerfeuer zu hocken, war eine Illusion. Auch dort starrten sie nicht wortkarg in die Flammen, sondern sangen christliche Lieder und hielten dabei voller Inbrunst ihre Hüte vor die Brust. Lobet den Herrn für gute Ernte, Regen, Sonne oder ansehnlichen Rinderschiss. Als wenn es einen lieben Gott interessieren würde. Als Leon von dem neu angesetzten Datum der Hinrichtung in den Nachrichten gehört hatte und Jaspers Kontaktversuchen nachgab, die er bis dahin stets ignoriert hatte, machte er sich auf der Ranch sprichwörtlich aus dem Staub. Unterwegs hatte er durch Zufall die Stellenanzeige des Ölkonzerns gelesen und dort angerufen. Da sie dringend Leute brauchten, war ein neuer Job kein Problem, zumal er durch sein Studium sowieso qualifiziert war.

Da war er nun und näherte sich Bakersfield und weil das, was sich nach der Kurve plötzlich seinen Augen bot, so unglaublich war, hielt er an und stieg aus. Er befand sich auf der Straße einer grün bewaldeten Hochebene und der Blick hinunter ins Tal war … gruselig. Das war das einzige Wort, das ihm dazu einfiel. Verbrannte, blasse Erde, soweit das Auge durch den Smog blicken konnte. Eine Armee von Aberhunderten Pumpen. Eine neben der anderen. Wie eine Hautkrankheit verteilten sie sich über die farblose Ebene, in der weder Busch, noch Baum wuchs. Stählerne schwarze Pferdeköpfe, die ständig auf und ab nickten und ihre Stacheln tief und tiefer in den Boden trieben. Hier und da qualmte es, wahrscheinlich handelte es sich um Versickerungsteiche, in denen das Abwasser in der prallen Sonne verdunstete. Der Anblick erinnerte an ein Endzeit Szenario. Der Geruch nach Öl und faulen Eiern, definitiv Schwefel, der in der Brühe suppte, drang in seine Nase. Ein netter, einladender Arbeitsplatz in freundlicher Umgebung sah anders aus.

Leon stieg zurück in den Wagen, in den Twister schnell hineingesprungen war und ihn aus dem Fußraum vorwurfsvoll anblickte.

„Ja ich weiß, es gibt schönere Orte.“

Tillamook kam ihm wieder in den Sinn. Leon wischte den Gedanken beiseite, trat aufs Gaspedal und schon wenig später erreichte er die Adresse, die man ihm gegeben hatte. Ein typischer Industrie Flachbau, nicht besonders groß, vor dem einige Autos geparkt waren. Auf der gläsernen Eingangstür stand in goldenen Buchstaben:

Wellshare Industries

Oil Company

Kran Field Eastern Valley

Leon ließ Twister im Wagen und betrat das Gebäude. Hinter der Theke eines kleinen Eingangsbereichs telefonierte eine junge Frau und als sie ihn erblickte, winkte sie ihn zu sich. Sie deutete auf einen der Stahlrohrstühle und Leon folgte der Aufforderung, bis sie kurze Zeit später das Telefonat beendete. Er stellte sich vor und nannte den Grund seines Besuchs.

„Mister Marshall, natürlich, Sie werden bereits erwartet.“ Sie kam hinter dem Tresen hervor und er folgte ihr in einen schmalen Gang. An den Wänden hingen Bilder von Pferdekopfpumpen. Was auch sonst? Selbst hier roch es leicht nach Öl. Sie klopfte an eine Tür und nachdem sie ihn angekündigt hatte, durfte er eintreten.

„Mister Marshall“, empfing ihn der Mann hinter dem Schreibtisch. „Wir hatten telefoniert. Ich bin Luiz Hernandez.“ Sie reichten sich die Hände und Leon nahm vor dem Schreibtisch Platz. „Wie Sie bereits wissen, suchen wir dringend Leute. Ihre Aufgabe wäre die Instandhaltung der Pumpen. Dazu gehört das Säubern, Befreien von Dreck, Rost oder Tierkadavern. Sie werden eingearbeitet, müssen jedoch vorab einen Sicherheitskurs absolvieren, der Erste Hilfe Maßnahmen und Brandvorkehrungen beinhaltet. Er dauert nur zwei Tage und wird ohne Prüfung absolviert. Soweit klar?“

„Ja, Sir.“

Hernandez sah ihn einen Moment an, schob seine Kappe mit der Aufschrift der Ölgesellschaft nach oben und wischte mit den Fingerspitzen die Schweißtropfen von der Stirn.

„Sie sehen durchtrainiert aus, hätten Sie Interesse an einem Job auf einer Bohrinsel?“ Er griff nach einem Informationsblatt und ließ es über die Tischplatte zu Leon hinübergleiten. „Offshore können Sie viel Geld verdienen. Zu dem normalen Kurs käme ein Schwimmkurs hinzu, selbstverständlich werden die Kosten von uns getragen. Man frischt dort Ihre Paddelkünste auf, falls Sie von der Bohrinsel fallen.“ Er lachte. „Wie wär’s?“

„Nun …“

„Sagen Sie mir einfach Bescheid“, unterbrach er ihn und winkte mit der Hand ab. Ein weiteres Info-Blatt schwebte in Leons Richtung. „Das sind unsere Vorschriften. Gut durchlesen! Drogen-, Alkohol- und Zigarettenverbot auf dem gesamten Gelände, das sollte klar sein. Noch Fragen?“

Er griff einen weiteren Stapel zusammengehefteter Blätter und schob auch die in seine Richtung. Ohne abzuwarten, ob Leon eventuell tatsächlich Fragen hatte, sprach er weiter. „Das ist Ihr Vertrag. Ich habe ihn bereits unterzeichnet. Ich brauche ihn bis morgen Mittag zurück. Überlegen Sie sich das Angebot mit der Bohrinsel. Sie liegt vor Alaska. Ein harter Job, härter als hier in dieser Hitze, und die frisst einen bereits auf. Es gibt keinen einzigen schattigen Platz hier, während Sie die Pumpen warten oder reparieren. Kein Baum, kein Strauch, kein Grashalm. Nur Sand, der Ihnen bei Wind bis in die Arschritze dringt.“ Er lachte. „Beim Gehen fühlt es sich irgendwann an, als hätten Sie Schmirgelpapier zwischen den Arschbacken.“ Er lachte noch mehr und Leon tat ihm den Gefallen, die Lippen zu einem Grinsen zu verziehen. „Alles klar soweit?“

Er stand auf, um ihn zu verabschieden, doch Leon blieb sitzen.

„Haben Sie Unterkünfte?“

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25 mayıs 2021
Hacim:
280 s. 18 illüstrasyon
ISBN:
9783982180403
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