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Von der Schweiz ins Rottal

Adi Fischers Weg hatte mittlerweile in eine ganz andere Richtung geführt, ins niederbayerische Rottal. Eine Gruppe von Sängern der Liedertafel Massing war von der Vorstellung der Operette „Die Gold‘ne Meisterin“ in Salzburg so angetan, dass sie im Anschluss den Regisseur am Bühnentürl erwarteten und mit einem Sängerspruch empfingen. Weil die Massinger selbst in absehbarer Zeit eine Aufführung der „Gold‘nen Meisterin“ planten, baten sie Adi Fischer um Unterstützung. Er sagte sofort begeistert zu. „Für solche Projekte war er immer zu haben“, sagt Helga Hemala-Fischer rückblickend. Dirigent und Kapellmeister der Liedertafel Massing war damals Otto Hofmeister – zugleich Architekt des sich bereits im Rohbau befindlichen, ersten landkreiseigenen Theaters Deutschlands: das Theater an der Rott. Der damalige Landrat Ludwig Ostermeier erwies sich nicht nur federführend bei der Etablierung dieser Kulturstätte, er war es auch, der Adi Fischer die Intendanz anbot. Anfangs nur für zwei Spielzeiten – es sollten 33 weitere folgen.

Von der ersten Minute an war Luzern für Helga Hemala eine neue Heimat. Berge, Seen, Sonne und Begegnungen, die sie ein Leben lang prägen sollten. So zum Beispiel ihre erste Unterkunft bei einer älteren Dame, die wie eine Mutter für sie war. Es dauerte eine Weile, bis Helga das Schicksal von Frau Mühlemann erfuhr: Deren Tochter – auch sie wäre zu diesem Zeitpunkt 22 Jahre alt gewesen – lebte nicht mehr. Sie war gestorben, nachdem sie den Kampf gegen die Leukämie verloren hatte. Als Frau Mühlemann Helga eines Tages mit dem Namen der verstorbenen Tochter ansprach, offenbarte sich die ganze Geschichte. Das Schicksal dieser Mutter hat Helga Hemala-Fischer nie losgelassen. Seit langer Zeit unterstützt sie nun schon die José Carreras Leukämiestiftung, zugunsten derer sie seit ein paar Jahren auch Benefizauftritte mit ihren Ballettschülerinnen veranstaltet.

Adi Fischer, mittlerweile geschieden, hatte inzwischen längst erkannt, dass er nicht ohne Helga leben wollte und machte ihr einen Heiratsantrag. Die Hochzeit fand am 22. Dezember 1962 statt. Tags zuvor hatte Adi in Eggenfelden noch einen Auftritt der Wiener Sängerknaben zu betreuen und Helga spielte in Luzern im Stück „Einen Jux will er sich machen“ von Johann Nestroy passenderweise bereits die Rolle der „Frau von Fischer“. Ihr Liebster kam wegen des üppigen Schnees erst kurz vor der Trauung an, zudem waren die Eheringe nicht rechtzeitig geliefert worden, sodass die beiden kurzerhand ein paar Messingringe im nächstbesten Kaufhof erstanden. Die Hochzeit fand am Vormittag statt, mittags gab es ein feines Essen und bereits am Nachmittag stand Helga wieder auf der Bühne. Als „Aschenbrödel“, beseelt von dem Gedanken, ihren Prinzen im wahren Leben nun für immer an ihrer Seite zu wissen. Abends sang sie den Liebesgott Amor in der Premiere der Operette „Orpheus in der Unterwelt“ von Jaques Offenbach.

Künftig lebte das Paar eine Fernbeziehung über 500 Kilometer. Es zeichnete sich ab, dass eine Entscheidung im Raum stand. Helga wollte nicht, dass ihr Mann die Intendanz in Eggenfelden aufgab und beschloss, Luzern zu verlassen. Ihr Rückzug löste eine Welle des Bedauerns beim Publikum aus. Eine Gruppe Theaterbesucher kündigte gar an, man habe Beziehungen zur Polizei und wolle dafür sorgen, dass die beliebte Schauspielerin und Soubrette die Stadt nicht verlassen dürfe.

Jeder Abschied ist ein bisschen wie Sterben. Dass ihr Fortgang aus Luzern eine schwierige Entscheidung war, ist Helga Hemala-Fischer heute noch anzumerken. Dass sie das niemals aussprechen würde, ist klar für sie. Schließlich beinhaltete dieser Abschied auch einen Neubeginn. Sie war bei ihrem Adi. Nichtsdestotrotz fuhr sie zumindest einmal im Jahr auf Gastspiele in Luzern, Innsbruck oder Bern oder auf Tournee.

Das Ende ihrer Spielzeit in Luzern war überschattet von einem traurigen Ereignis. Am 16. Mai 1965 starb Eduard Hemala. „Helgele, eines Tages werd‘ ich dich auf der Bühne sehen“, hat ihr der Vater stets gesagt. Es kam nie dazu. Helga Hemala-Fischer stand trotz Todesnachricht an diesem Sonntagabend auf der Bühne. „Ist das nicht eine Ironie des Schicksals?“, hat sie damals in ihr Tagebuch geschrieben, angesichts der Tatsache, dass ausgerechnet die Operette „Das Land des Lächelns“ mit dem bezeichnenden Liedtext „… lächeln trotz Weh und tausend Schmerzen…“ aufgeführt wurde.

Familie und Kinder

Am 29. Oktober 1969, an ihrem 29. Geburtstag, erfuhr Helga Hemala-Fischer, dass sie Mutter werden sollte. Die Worte ihres Mannes klingen ihr noch heute in den Ohren: „Was wird aus My fair Lady?“ Es war das erste Mal, dass Adi Fischer ein Musical in das Programm des Theaters an der Rott aufgenommen hatte – und seine Frau sollte die Hauptrolle der Eliza Doolittle spielen. Mittlerweile war sie, wie damals in Luzern, fester Bestandteil der Aufführungen in Eggenfelden. Das Publikum verehrte sie. Also hat sie die Eliza gespielt, bis zum sechsten Monat ihrer Schwangerschaft. Bei der Premiere war sie so schwer erkältet, dass sie kaum das Orchester hören konnte. „Ich habe dennoch gespielt“, sagt sie. „Danach saß ich stundenlang auf der Bettkante und habe geweint.“ Das Kind zu bekommen, stellte sie niemals in Frage, hatte sie doch immer von sechs Kindern geträumt. Am 12. Juni 1970 kam ihre Tochter Claudia Christine Fischer zur Welt.


Adi Fischer als Bühnenpartner: Diese Rollen waren für Helga Hemala-Fischer immer mit besonderer Emotion verbunden.

1972 bekam die Familie erneut Zuwachs. Alexander Otto Fischer wurde am 29. März geboren. Bis zum Ende des siebten Monats ihrer Schwangerschaft stand Helga Hemala-Fischer auf der Bühne. Eine ihrer letzten Aufführungen war die Titelrolle im Schneewittchen. Während sie im gläsernen Sarg lag, die Hände auf dem Bauch gefaltet und bemüht, den Bauch beim Atmen kaum sichtbar zu heben oder zu senken, machte sich Alexander in ihrem Inneren gerne bemerkbar. „Der achte Zwerg“, sagt sie mit einem Lachen.

Als sie 1980 noch einmal schwanger wurde, behielt Helga Hemala-Fischer es vorerst für sich. Einzig die mittlerweile zehnjährige Tochter Claudia machte sie zu ihrer Vertrauten. Ließ sie den Kopf an ihren Bauch legen und das Baby spüren. Helga wollte die Schwangerschaft und das aufkeimende Muttergefühl einfach nur genießen, ohne stets an ihre Bühnenverpflichtungen, die sie sowieso wahrnahm, erinnert zu werden. Sie wartete lange. Erst als sie während einer Aufführung einen Kostümwechsel verneinte, in dem Bewusstsein, dass ihr das erforderliche Kleid nicht mehr passen würde, waren alle im Bilde. Am 11. August 1980 wurde Barbara Lucia Fischer geboren.

Helga Hemala-Fischer hat auf ihren Mann zählen können. „Wenn ich im Ballettsaal zu unterrichten oder zu choreographieren hatte, hat Adi in dieser Zeit die Kinder versorgt.“ Hatten beide Aufführungen, wurden die Kleinen einfach ins Theater mitgenommen, wo sie in der Kostümschachtel hinter der Bühne schliefen. Helga und Adi hatten immer versucht, den Spagat zwischen Bühne und Elternrolle zu meistern.

Anfangs in Eggenfelden zu Hause, zog die Familie schließlich nach Hebertsfelden, wo Helga Hemala-Fischer heute noch wohnt. Ihre drei Kinder leben in Wien und in München und sind mittlerweile alle in künstlerischen Berufen tätig. Claudia ist Sängerin und Regisseurin, Alexander arbeitet als Musik- und Tanzpädagoge sowie als Zauberer und Barbara hat sich der Kunst des Malens verschrieben.

Ein Ort, um die Sorgen hinter sich zu lassen

1965 begann für Helga Hemala-Fischer beruflich ein zusätzliches Kapitel. Es war die Geburtsstunde ihrer Ballettschule, in der sie heute noch jeden Werktag zugegen ist, unterrichtet und Aufführungen organisiert.

Auf dem Spielplan des Theaters an der Rott stand im September 1965 die Operette „Rose von Stambul“ von Leo Fall. Für die Choreographie brauchte Helga Hemala-Fischer junge Balletttänzerinnen. Woher nehmen? Helga sah sich in den örtlichen Gymnastikgruppen des Turnsportvereins um, wählte die Begabtesten aus und studierte mit ihnen die Tänze ein. Es war der Beginn eines Triumphzugs. Durch Helga Hemala-Fischer entstand ein Ensemble, das in den folgenden Jahren in Opern, Operetten, Musicals, Märchen und Ballettabenden eingesetzt werden konnte.


Helga Hemala-Fischer inmitten des Ensembles für die Operette „Rose von Stambul“, die für September 1965 auf dem Spielplan des Theaters stand. Für die Choreographie brauchte Helga Hemala-Fischer junge Balletttänzerinnen – der Beginn ihrer Ballettschule.

Gegenüber dem Theatergebäude wurde in einem ehemaligen Sitzungssaal des Landratsamtes ein großer Ballettsaal mit Spiegel errichtet. Hier begann Helga Hemala-Fischer, Unterricht zu geben. Es war der Grundstein dafür, dass Eggenfelden eine Anlaufstelle für Ballettbegeisterte wurde. Manche Schüler nahmen Fahrten von bis zu 50 Kilometern auf sich, um nach Eggenfelden ins Training zu kommen. „Ich kann vieles vermitteln, weil ich das Glück hatte, selber so viel lernen zu dürfen“, sagt Helga Hemala-Fischer. Das Besondere an ihrer Schule ist die Tatsache, dass Bühnenauftritte stets fester Bestandteil des Programms waren. Ob Groß oder Klein, alle wurden in Märchenaufführungen, Operetten und Ballettabenden eingesetzt. Klassisches und Modernes standen auf dem Spielplan. Ein „Nussknacker“ von Tschaikowsky ebenso wie Prokofjews „Peter und der Wolf“ oder Mozarts „Kleine Nachtmusik“. „Wir führten Werke wie ‚Die Puppenfee‘, ‚Coppélia‘ oder ‚Ein Amerikaner in Paris‘ auf“, erzählt Helga Hemala-Fischer. „All unsere Ballettabende – und das war das Außergewöhnliche – wurden von den Münchner Symphonikern in großer Orchesterbesetzung begleitet.“

Das Theater an der Rott und die Ballettschule profitierten wechselseitig voneinander. Zwischen Fotobüchern und alten Programmheften zieht Helga Hemala-Fischer ein besticktes Tuch heraus. Wer von Ballett nichts versteht, sieht eine kurios anmutende Anordnung von weißen Strichen und Kreuzchen auf blauem Untergrund. Es ist die Choreographie eines Tanzes, welche die Schüler der Lehrerin als Dankeschön auf eine Decke gestickt haben. Helga Hemala-Fischer hat immer Handlung in Tanz verwandelt. „Musik ist für mich Bewegung.“ Diese Gabe hat ihr viele Einsätze auch außerhalb von Eggenfelden beschert. Choreographieren zählt heute noch zu ihrer großen Leidenschaft. „Von da drin muss es kommen“, bekräftigt sie und legt ihre Hand auf die Brust. „Das Herz ist das Wichtigste.“

Ein Ort, an dem man einfach sein darf, und die Sorgen vor der Tür lässt – so sieht Helga Hemala-Fischer ihre Ballettschule. „Kommst du, weil du möchtest, oder weil du geschickt wirst?“ Diese Frage ist die erste, die sie Neuzugängen stellt. Dennoch sind in ihrem Spiegelsaal alle von Herzen willkommen. Sie würde kein Kind wegschicken. Helgas Gabe besteht darin, die Stärken des Einzelnen zu erkennen und entsprechend zu fördern.

Was Helga Hemala-Fischer zu vermitteln vermag, umfasst weit mehr als nur klassisches Ballett. Jazztanz, Modern Dance, Steppen, Charakter- und Nationaltänze, Formation. In allen Sparten ist sie zuhause. So wurde Helga Hemala-Fischer beispielsweise von der Rock’n’Roll-Formation „Dancing Baloos“ 2010 um Hilfe gebeten. Während dieser gemeinsamen Zeit stand die Gruppe ganze zehn Mal auf dem Treppchen. Die Erfolge dokumentierten die Tänzer in einem Album, das sie Helga Fischer zum Andenken überreichten.

Einige von Helga Hemala-Fischers Mädchen haben den Tanz zu ihrem Beruf gemacht. Ob sie nun regelmäßig auf der Bühne stehen oder selbst Schulen eröffnet haben – Helgas Arbeit als Pädagogin trägt Früchte. Das macht sie stolz. Als Tanzlehrer seine Kenntnisse weiterzugeben, hält sie noch immer für eine sehr schöne Art, sich professionell dem Tanz zu widmen. Von einer reinen Bühnenkarriere würde sie heutzutage abraten. „Es ist ein knallhartes Geschäft geworden. Menschen werden zu Maschinen gemacht, die Technik ist wichtiger als alles andere.“ Dabei komme es nicht immer auf Perfektion an. Herz und Seele müssten dabei sein.

Der große Wert der Freundschaften

Manchmal bedauert es Helga Hemala-Fischer, die zwar via Facebook und Instagram Kontakt mit ehemaligen Schülern in aller Welt hält, dass sich Kommunikation so sehr verändert hat. Handgeschriebene Briefe zählen zu ihren größten Schätzen. Es bedeutet ihr ungemein viel, mit alten Weggefährten auf diese Art im Austausch zu stehen. Ihre Freundschaften pflegt sie über Jahrzehnte hinweg: „61 Jahre Freundschaft, ja, das gibt es wirklich!“, erzählt sie.

Viele von ihr hochgeschätzte Kollegen leben mittlerweile nicht mehr. Etwa der Wiener Dirigent und Musikwissenschaftler Professor Kurt Pahlen. Mit ihm hat sie 16 Jahre beim österreichischen Musik- und Kulturfestival Carinthischer Sommer und sechs Jahre bei den Lenker Festwochen in der Schweiz zusammengearbeitet. Pahlen würdigt Helga Hemala-Fischer in seinen handgeschriebenen Widmungen als große Künstlerin. Sein Lexikon über die Opern der Welt und viele weitere seiner gut 60 Bücher bewahrt Helga auf. „Menschen hinterlassen Spuren in deinem Herzen.“

Über die Grenzen hinaus

Seit die Ballettschule gegründet wurde, ist Helga Hemala-Fischer nahezu täglich dort im Einsatz. Dass sie am 10. September 1991 das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen bekommen hat, schreibt sie besonders ihrem Engagement für die Jugend zu. Der damalige Kultusminister Hans Zehetmair lobte Helga Hemala-Fischers Verdienste an Kunst und Kultur sowie ihr ausgeprägtes pädagogisches Geschick und ihre mitreißende Begeisterung.

„Wir haben den Namen Eggenfelden mit dem Ballett über die Grenzen Niederbayerns hinausgetragen“, ist Helga Hemala-Fischer überzeugt. Beispielsweise in das südfranzösische Carcassonne, mit dem Eggenfelden seit Jahrzehnten eine Städtepartnerschaft hat. 40 Tanzeinlagen hatte die Ballettschule seit 1973 für die gemeinsamen Festlichkeiten bereits erarbeitet.

Auch im polnischen Breslau hat man getanzt. Es war der Ballettabend „Aschenbrödel“, der mit einem über 50-köpfigen Ensemble dargeboten wurde. Die Begeisterung des Publikums zeigte sich von nicht enden wollendem Applaus bis hin zu stehenden Ovationen.

Im Theater an der Rott sind die legendären Märchenvorstellungen hervorzuheben, die nahezu immer ausverkauft waren, und das bei keineswegs wenigen Vorstellungen. 30 Mal wurde „Pippi Langstrumpf“ aufgeführt, ebenso häufig das „Dschungelbuch“. Die Inszenierungen waren auf die Bühne gebrachte Kinderträume. Unzählige Tänze, detailverliebte Kulissen, aufwendige Kostüme, die Handlungen zauberhaft. „Diese einfachen Dinge, die so zu Herzen gehen wie ein Märchen, können den Menschen, ob groß oder klein, immer noch Freude bereiten“, ist Helga Hemala-Fischer überzeugt. 2015 hatte sie mit „Dornröschen“ das 38. Märchen seit 1965 auf die Bühne gebracht und damit das letzte am Theater an der Rott.

Inzwischen organisiert Helga Hemala-Fischer mit ihrer Ballettschule eigene Veranstaltungen. Seit einigen Jahren finden beispielsweise Aufführungen im großen Kursaal von Bad Füssing sowie im Artrium im nahegelegenen Bad Birnbach statt. Doch ist es über die Jahre nicht einfacher geworden, mit Kindern und Jugendlichen solche Produktionen zu erarbeiten. Die Freizeitmöglichkeiten sind auch auf dem Land zahlreicher geworden, die schulischen Verpflichtungen intensiver. Um choreographieren zu können, braucht Helga ihre Schüler mehrmals die Woche für Proben. Ohne die gesamte Gruppe vor sich zu haben, wird es schwierig, etwas auf die Beine zu stellen. „Es ist, als würde man einen Kuchen backen. Alle Zutaten müssen vorhanden sein, sonst kommt nichts Ordentliches dabei heraus.“

Als ihr Mann noch lebte, war das Haus der Fischers stets für jeden offen. So manches Ensemblemitglied verbrachte beispielsweise Weihnachten bei der Familie. Die Generalprobe für die Operette hatte immer am 22. Dezember stattgefunden, am 24. Dezember wurde dann nachmittags noch ein Märchen gespielt. Da blieb für auswärtige Kollegen keine Zeit mehr, abends nach Hause zu fahren. Jeder, der alleine war, wurde herzlich aufgenommen. „Da war richtig Leben hier“, erinnert sich Helga Hemala-Fischer.

Heute sind die Begegnungen im Ballettsaal ihr Lebensmittelpunkt. Das Zuhause ist ein Rückzugsort geworden. Die Zimmerbrunnen plätschern leise. Helga Hemala-Fischer besitzt viele Bücher, sammelt leidenschaftlich Mineralien, Steine und Steinfiguren und genießt das Vogelgezwitscher, die Blumen und den Seerosenteich in ihrem Garten.

Das Lampenfieber spielte immer mit

Der kleine Teddybär sitzt auf dem Schminktisch, Chalcedon und Rhodonit, die Steine der Redner, stecken in einer Tasche ihres Kostüms. Dennoch: Frei von Lampenfieber und Selbstzweifeln war Helga Hemala-Fischer auch nach über tausend Vorstellungen nicht. Einen größeren Kritiker als sich selbst vermochte sie kaum zu finden – allenfalls ihren Mann. „Er hat in all den Jahren nur ganz selten gesagt, dass ich etwas gut mache. Aber er hat dennoch nie einen Zweifel daran gelassen, dass er mir jede Rolle, die ich annahm, zutraute. Dass er auf seine Familie stolz war, haben wir eher über andere erfahren, es direkt zu sagen, fiel ihm immer schwer.“ So ist Helga Hemala-Fischer auf der Bühne gewachsen und gereift, hat den Wandel von der Rolle des süßen Mädchens hin zur Charakterdarstellerin geschafft, spielte in Stücken wie Carl Zuckmayers „Katharina Knie“ oder Ephraim Kishons „Es war die Lerche“ die Hauptrollen. Mit derart großen Charakterdarstellungen wie beispielsweise der Claire Zachanassian in Friedrich Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ befasste sie sich monatelang, bevor das Stück auf die Bühne kam. In Bezug auf die „Alte Dame“ meint sie: „Ich wollte das nicht einfach nur spielen. Ich wollte diese alte Dame sein.“

2013 stand Helga Hemala-Fischer als Maria Callas in Terrence McNallys „Meisterklasse“ auf der Bühne. Es war eine ihrer großen Produktionen am Theater an der Rott. Die Rolle der „Grande Dame“, wie Helga Hemala-Fischer in den Kritiken immer wieder genannt wurde, war ihr auf den Leib geschrieben. Die Handlung dieses Stücks hat der Autor dem Leben der berühmten Maria Callas nachempfunden, die nach dem Ende der eigenen Karriere an einer Eliteschule Gesangsunterricht gab. In den Textpassagen werden dabei sämtliche Höhen und Tiefen eines Berufs beschrieben, der wunderschön und schmerzhaft zugleich sein kann. Für Helga Hemala-Fischer eine Traumrolle.

„Niemand kann mir nehmen, was ich getanzt habe“

Mit zu den einschneidenden Momenten ihres Lebens zählt der 20. Februar 2014. An diesem Tag starb ihr Mann. Ein Jahr zuvor waren die beiden noch gemeinsam, bei einem Gastspiel in der Schweiz, im Märchen „König Drosselbart“ auf der Bühne gestanden. König und Königin waren Helga und Adi Fischer. Das Foto, welches damals entstand, zeigt das „gütige Herrscherpaar“ würdevoll nebeneinander sitzend. Anlässlich der traurigen Nachricht vom 20. Februar erschien es in der Zeitung, zum Abschied an den „Rottaler Theaterkönig“, wie das Feuilleton damals schrieb.

Zwei Monate nach dem Tod ihres Mannes ging es Helga Hemala-Fischer zunehmend schlechter. Beide Herzklappen waren in Mitleidenschaft gezogen. Sie musste in die Klinik nach München und wurde am 22. April 2014 operiert. Der von Komplikationen begleitete Eingriff dauerte viele Stunden, war aber letztlich erfolgreich. Trotz des guten Ausgangs hat Helga Hemala-Fischer noch im Krankenhaus begonnen, alles in Frage zu stellen. Sie wollte aufgeben, sah keinen Sinn mehr in ihrem Leben. Da wurde ihr ein kleines, hölzernes Kästchen gebracht. Auf dem Deckel der Truhe waren die Worte eingraviert „Niemand kann mir nehmen, was ich getanzt habe“. Im Inneren befanden sich Briefe ihrer Schüler. Auch von Ehemaligen. Jeder Brief beinhaltete ein ganz persönliches Erlebnis. Ein Erlebnis aus dem Ballettsaal. Als Helga Hemala-Fischer die Briefe las, hatte sie Tränen in den Augen. In diesem Augenblick wusste sie wieder, wofür sie lebte.

Helga Hemala-Fischer steht immer noch in ihrem Ballettsaal und blickt zugleich zurück auf ein erfülltes, buntes Leben, mit all seinen Höhen und Tiefen. Und sie ist dankbar: „Es war ein herrliches Leben. Ein Leben voller Begegnungen, voller wertvoller Freundschaften. Ein Leben für die Bühne und den Tanz und ein Leben für meine Familie. Ein Mädchentraum, der wahr wurde.“

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292 s. 54 illüstrasyon
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9783947171378
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