Kitabı oku: «Der Aufstand Der Drachen », sayfa 2

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KAPITEL ZWEI

Kyra ging in den düsteren Dornenwald westlich der Festungsanlage, einem Wald, der so dicht war, dass man kaum etwas sehen konnte. Während sie langsam mit Leo weiterging, und Schnee und Eis unter ihren Füssen knirschten, blickte sie auf. Im Vergleich mit den riesigen Dornenbäumen kam sie sich winzig vor. Es waren uralte schwarze Bäume mit knorrigen Ästen, die Dornen ähnelten und fleischigen, schwarzen Blättern. Sie spürte, dass dieser Ort verflucht war; nichts Gutes kam jemals von hier. Die Männer ihres Vaters kehrten oft verletzt von der Jagd zurück und mehr als nur einmal war ein Troll durch die Flammen gebrochen, hatte hier Zuflucht gesucht und den Wald als Lager benutzt, um das Dorf anzugreifen.

In dem Augenblick, in dem sie ihn betrat, spürte sie sofort einen Schauer. Es war dunkler hier, kälter, und die Luft war feuchter; der Geruch der Dornenbäume lag schwer in der Luft – wie verrottende Erde – und die riesigen Bäume sperrten das letzte verbliebene Licht des Tages aus. Kyra war wütend auf ihre älteren Brüder. Es war gefährlich ohne die Begleitung von mehreren Kriegern hierher zu kommen – besonders in der Abenddämmerung. Jedes Geräusch ließ sie aufschrecken. Aus der Ferne hörte sie den Schrei eines Tieres und sah sich suchend danach um. Doch sie konnte es im dichten Wald nicht finden.

Leo jedoch knurrte neben ihr und stürmte plötzliche los.

„Leo!“, rief sie.

Doch er war schon verschwunden.

Sie seufzte verärgert; so war er immer, wenn sie einem Tier begegneten. Sie wusste, dass er irgendwann zurückkommen würde.

Kyra ging nun allein weiter; der Wald wurde immer dunkler, und es fiel ihr schwer, den Spuren ihrer Brüder zu folgen – bis sie fernes Gelächter hörte. Sie straffte sich und folgte dem Lachen durch die dicken Bäume, bis sie vor sich ihre Brüder sah,

Kyra hielt Abstand, denn sie wollte nicht, dass sie sie sahen. Sie wusste, dass Aidan sich schämen und sie wegschicken würde, wenn er sie sah. Sie würde sie aus der Deckung beobachten, nur um sicherzugehen, dass sie keinen Ärger bekamen. Es war besser für Aidan, sich wie ein Mann zu fühlen, als sich zu schämen.

Ein Zweig brach unter ihrem Stiefel und Kyra duckte sich, besorgt, dass das Geräusch sie verraten könnte – doch ihre betrunkenen Brüder bemerkten nichts. Sie waren etwa 30 Meter vor ihr und übertönten jedes Geräusch mit ihrem Lachen. An Aidans Körperhaltung konnte sie sehen, wie angespannt er war. Er sah aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. Er hielt seinen Speer fest, um sich als Mann zu beweisen, doch er hielt die viel zu große Waffe unsicher und schwankte unter ihrem Gewicht.

„Komm hier hoch!“, rief Braxton Aidan zu, der ein paar Meter hinter ihnen lief.

„Wovor hast du solche Angst?“, fragte Brandon ihn.

„Ich habe keine Angst…“, beharrte Aidan.

„Ruhe!“, sagte Brandon plötzlich, blieb stehen und hielt Aidan zurück. Zum ersten Mal seit sie losgegangen waren, war seine Miene ernst. Auch Braxton blieb angespannt stehen.

Kyra versteckte sich hinter einem Baum und beobachtete ihre Brüder. Sie standen am Rand einer Lichtung und sahen geradeaus, als hätten sie etwas gesehen.

Vorsichtig kroch sie auf sie zu, um besser sehen zu können, und als sie zwischen zwei Bäumen hindurchsah, blieb sie verblüfft stehen, als sie entdeckte, was ihre Brüder sahen.

Mitten auf der Lichtung stand ein Eber und grub Eicheln aus. Doch es war kein normaler Eber; es war ein riesiger, schwarz gehörnter Eber – der größte, den sie je gesehen hatte, mit langen gebogenen weißen Hauern und drei langen scharfen Hörnern, wovon eines aus seiner Nase und zwei aus dem Kopf hervorragten. Beinahe so groß wie ein Bär, war es ein seltenes Tier, bekannt für seine Bösartigkeit und seine Schnelligkeit. Es war ein weithin gefürchtetes Tier, eines, dem kein Jäger je begegnen wollte.

Es bedeutete Ärger.

Kyra, die eine Gänsehaut bekam, wünschte sich, dass Leo hier wäre – doch in gewisser Weise war sie dankbar, dass er nicht hier war, denn sie wusste, er hätte sich sofort auf das Tier gestürzt und war sich nicht sicher, ob er die Konfrontation überleben konnte.

Kyra nahm langsam ihren Bogen von der Schulter während sie instinktiv nach einem Pfeil griff. Sie betrachtete genau, wie weit der Eber von den Jungen entfernt war – und sah, dass er viel zu nah war. Außerdem waren viel zu viele Bäume im Weg, als dass sie einen sauberen Treffer landen konnte, und bei einem Tier dieser Größe war kein Raum für Fehler. Sie bezweifelte, dass ein Pfeil ausreichen würde, es zu töten.

Kyra sah die Angst in den Gesichtern ihrer Brüder – doch der Blick wich bei Braxton und Brandon schnell einem Ausdruck von Draufgängertum – wahrscheinlich der Mut der Betrunkenen. Beide hoben ihre Speere und gingen einige Schritte auf den Eber zu. Als Braxton Aidan wie angewurzelt stehen bleiben sah, packte er den kleinen Jungen an der Schulter und zog ihn mit sich.

„Das ist deine Chance, ein Mann zu werden“, sagte Braxton. „Töte den Eber und sie werden noch in Generationen über dich singen.“

„Ja, bring seinen Kopf zurück und du wirst berühmt werden“, sagte Brandon.

„Ich… hab Angst“, sagte Aidan.

Brandon und Braxton schnaubten, dann lachten sie ihn aus.

„Angst?“, sagte Brandon. „Was würde Vater sagen, wenn er das hören könnte?“

Der Eber hob aufmerksam den Kopf und starrte sie aus leuchtend gelben Augen an. Seine Schnauze verzog sich zu einem wütenden Brummen. Er öffnete das Maul und zeigte sabbernd seine Hauer, während er ein böses Knurren ausstieß. Selbst Kyra, die ein ganzes Stück weit entfernt war, spürte einen Anflug von Angst – sie konnte sich nur zu gut vorstellen, was Aidan empfinden musste.

Kyra schrieb jegliche Vorsicht in den Wind und tastete sich schnell voran, entschlossen, zu ihnen aufzuholen, bevor es zu spät war. Als sie nur noch ein paar Meter hinter ihren Brüdern war, rief sie, „Lasst es bleiben!“

Ihre strenge Stimme zerriss die Stille, und ihre Brüder fuhren, offensichtlich erschrocken, herum.

„Ihr hattet euren Spaß“, sagte sie. „Lasst es bleiben!“

Während Aidan erleichtert war, sahen Brandon und Braxton sie wütend an.

„Was weißt du schon?“, gab Brandon zurück. „Hör auf, dich in Männerangelegenheiten einzumischen.“

Der Eber knurrte lauter während er auf sie zu kroch, und Kyra, wütend und ängstlich zur gleichen Zeit, trat vor.

„Wenn ihr dumm genug seid, euch mit dem Vieh anzulegen, dann nur los“, sagte sie. „Doch ich nehme Aiden mit zurück.“

Brandon schnitt eine Grimasse.

„Aidan passiert hier schon nichts“, gab Brandon zurück. „Er ist im Begriff zu lernen, wie man kämpft. Nicht wahr, Aidan?“

Aidan stand schweigend da, starr vor Angst.

Kyra wollte gerade Aidan am Arm packen, als sie ein Rascheln von der Lichtung hörte. Sie sah wie der Eber langsam Schritt für Schritt bedrohlich näher kam.

„Er greift nicht an, wenn ihr ihn nicht provoziert“, flehte Kyra ihre Brüder an. „Lasst es gut sein.“

Doch ihre Brüder ignorierten sie, wandten ihr den Rücken zu, und hoben ihre Speere. Sie betraten die Lichtung, als ob sie ihr beweisen wollten, wie mutig sie waren.

„Ich ziele auf seinen Kopf“, sagte Brandon.

„Und ich auf seinen Hals“, stimmte Braxton zu.

Der Eber knurrte lauter, öffnete sein Maul weiter, sabberte, und ging weiter auf sie zu.

„Kommt zurück!“, schrie Kyra verzweifelt.

Doch Brandon und Braxton gingen weiter, hoben ihre Speere und warfen sie plötzlich.

Kyra beobachtete gebannt, wie die Speere durch die Luft segelten, und bereitete sich auf das Schlimmste vor. Zu ihre Entsetzen sah sie, wie Brandons Speer das Tier nur am Ohr kratzte – gerade genug, um es zu provozieren – während Braxtons Speer einen guten Meter am Kopf des Ebers vorbei segelte.

Plötzlich sahen Brandon und Braxton nicht mehr so mutig aus. Sie standen mit offenen Mündern und einem dummen Ausdruck im Gesicht da, und ihr betrunkener Mut wich nackter Angst.

Der Eber senkte wütend seinen Kopf, stieß ein schreckliches Grunzen aus und stürmte los.

Kyra sah mit Schrecken zu, wie er auf ihre Brüder zu stürmte. Für seine Größe war das Tier unglaublich schnell.

Als es näher kam, drehten sich Braxton und Brandon um und rannten in entgegengesetzte Richtungen davon.

Damit stand Aidan allein wie von der Furcht angewurzelt da. Sein Mund stand offen und er ließ den Speer fallen.

Kyra wusste, dass es keinen Unterschied machte: Aidan hätte sich ohnehin nicht gegen das Tier wehren können. Nicht einmal ein ausgewachsener Mann wäre dazu in der Lage gewesen. Und als ob er es spürte, stürmte der Eber direkt auf Aidan zu.

Mit pochendem Herzen stürzte sie zwischen den Bäumen hervor. Sie wusste, dass sie nur eine Chance hatte: ihr Schuss musste sitzen. Selbst wenn sie nicht vor Panik zittern würde war der Schuss auf den rasenden Eber kein leichter – doch wenn sie wollte, dass Aidan überlebte, musste sie treffen.

„AIDAN, RUNTER!“, rief sie.

Zuerst bewegte er sich nicht. Aidan stand ihr im Weg, störte ihre Schussbahn. Wenn er sich nicht rührte, konnte sie nicht schießen. Sie hob ihren Bogen und rannte los. Während sie durch den Wald stolperte und auf dem Schnee und Eis rutschte, fürchtete sie einen Augenblick lang, dass alles verloren war.

„AIDAN!“, rief sie verzweifelt.

Wundersamer Weise hörte er sie diesmal, und warf sich im letzten Augenblick zur Seite, sodass Kyra einen Schuss abgeben konnte.

Während der Eber auf Aidan zustürmte, lief die Zeit für Kyra plötzlich langsamer ab. Sie spürte, dass sich etwas öffnete, etwas in ihr aufstieg, das sie noch nie zuvor gespürt hatte, und nicht verstand. Die Welt um sie herum verschwand und alles was sie hörte war ihr eigener Herzschlag und ihr Atem, das Rascheln der Blätter und das Krächzen einer Krähe über ihr. Sie fühlte sich eins mit der Natur, als ob sie ein Reich betreten hätte, in dem sie eins mit dem Universum war.

Kyras Hände wurden warm und prickelten, als ob etwas Fremdes die Kontrolle über ihren Körper übernahm. Es war als ob sie, für einen winzigen Moment nur, über sich hinauswuchs und jemand weitaus Mächtigeres wurde.

Kyra hörte auf zu denken und ließ sich von ihrem Instinkt und der neuen Energie, die durch ihren Körper pulsierte leiten. Sie blieb stehen, hob den Bogen, legte den Pfeil an, spannte und schoss.

Sie wusste in dem Augenblick, in dem sie den Pfeil losgelassen hatte, dass es ein ganz besonderer Schuss war. Sie musste den Pfeil nicht beobachten um zu wissen, dass er genau dort traf, wo sie ihn haben wollte: ins rechte Auge des Tiers.

Das Tier stieß einen Schrei aus als seine Beine unter ihm nachgaben und stürzte mit der Schnauze voran in den Schnee. Es rutschte weiter über den glatten Boden, sich windend, bis es Aidan erreichte. Weniger als einen halben Meter vor Aidan blieb es schließlich liegen.

Es zuckte, und Kyra legte einen weiteren Pfeil an und schoss dem Tier von hinten durch den Schädel. Endlich rührte es sich nicht mehr.

Kyra stand mit pochendem Herzen auf der Lichtung und das Prickeln in ihren Händen ließ langsam nach, die Energie schwand und sie fragte sich, was gerade geschehen war. Hatte sie wirklich den Eber erlegt?

Sofort dachte sie an Aidan, fuhr herum und zog ihn zu sich heran. Er blickte zu ihr auf wie er seine Mutter angesehen hätte, die Augen voller Angst, doch unverletzte. Sie war grenzenlos erleichtert, als sie sah, dass ihm nichts geschehen war.

Dann drehte sie sich um und sah ihre älteren Brüder, die immer noch auf der Lichtung kauerten, und sie geschockt und staunend ansahen. Doch da lag noch etwas anderes in ihrem Blick, das sie nervös machte: Argwohn. Als ob sie anders war als sie. Eine Außenseiterin. Es war ein Blick, den Kyra schon zuvor gesehen hatte. Selten zwar, doch oft genug, dass sie selbst darüber nachdachte. Sie drehte sich um und betrachtete das tote Tier, riesig und blutend zu ihren Füssen, und sie fragte sich, wie sie, ein fünfzehnjähriges Mädchen, das vollbringen konnte. Sie wusste, dass es selbst ihre Fähigkeiten überstieg. Das war mehr als ein Glückstreffer.

Da war immer etwas an ihr gewesen, das anders war, als die anderen. Sie stand da, betäubt, und wollte sich bewegen, doch es gelang ihr nicht. Denn das was sie heute erschüttert hatte war nicht das Tier, das wusste sie, sondern der Blick ihrer Brüder. Und sie stellte sich zum wiederholten Mal die Frage, vor der sie sich schon ihr ganzes Leben gefürchtet hatte“

Wer war sie?

KAPITEL DREI

Kyra ging hinter ihren Brüdern her, als sie über die Landstraße zurück zum Fort gingen, und beobachtete sie dabei, wie sie sich mit dem Gewicht des Ebers abmühten. Aidan ging neben ihr her, und Leo, der zurückgekommen war, folgte ihnen.

Brandon und Braxton mussten sich abmühen, das Tier zu tragen. Sie hatten es an ihre Speere gebunden, die sie nun über den Schultern trugen. Die grimmige Laune hatte sich dramatisch geändert, seit dem sie aus dem Wald gekommen und wieder unter freiem Himmel waren, besonders jetzt, wo die Festung des Vaters in Sichtweite war. Mit jedem Schritt gewannen Brandon und Braxton ihr Selbstbewusstsein zurück, und waren beinahe wieder so aufgeblasen wie zuvor, lachten und scherzten über ihren Fang.

„Es war mein Speer, der ihn gestreift hat“, sagte Brandon zu Braxton.

„Doch es war mein Speer, der ihn dazu gebracht hat, in Kyras Pfeil zu laufen.“

Kyra lauschte, und ihr Gesicht rötete sich vor Wut über die Lügen der beiden; ihre verbohrten Brüder hatten sich selbst eine überzeugende Geschichte eingeredet, und schienen sie zwischenzeitlich ernsthaft zu glauben. Sie konnte sich ihre Prahlerei in der Festung schon ausmahlen – wie sie jedem von ihrem Jagderfolg erzählten.

Es machte sie wütend. Doch es war unter ihrer Würde, sie zu korrigieren. Sie glaubte fest an die Mühlen der Gerechtigkeit, und sie wusste, dass irgendwann die Wahrheit ans Licht kommen würde.

„Ihr seid Lügner!“, knurrte Aidan, der neben ihr herlief, immer noch erschüttert von dem, was er erlebt hatte. „Ihr wisst, dass Kyra allein den Eber getötet hat.“

Brandon warf ihm über die Schulter einen höhnischen Blick zu.

„Was weißt du schon?“, fragte er. „Du warst doch viel zu sehr damit beschäftigt, dir in die Hosen zu pinkeln.“

Beide lachten, als ob ihre kleine Geschichte für sie mit jedem Schritt wahrer wurde.

„Und ihr seid nicht wie die Hasen davongerannt?“, fragte Kyra, denn sie konnte nicht einen Moment länger ertragen, wie sie mit Aidan umgingen.

Damit verstummten sie. Kyra hätte ihnen wirklich Saures geben können – doch sie musste nicht einmal ihre Stimme heben. Sie ging zufrieden weiter und fühlte sich wirklich gut, wissend, dass sie das Leben ihres Bruders gerettet hatte; mehr brauchte sie nicht.

Lyra spürte eine kleine Hand auf ihrer Schulter und sah Aidans tröstenden Blick, der offensichtlich dankbar war am Leben und unverletzt zu sein. Kyra fragte sich, ob ihre älteren Brüder auch zu schätzen wussten, was sie für sie getan hatte; schließlich wären sie alle gestoben, wenn sie nicht gewesen wäre.

Kyra sah zu, wie der Eber bei jedem ihrer Schritte hin und her schwang, und schnitt eine Grimasse; sie wünschte, dass ihre Brüder ihn auf der Lichtung gelassen hätten, wo er hingehörte. Es war ein verfluchtes Tier, das nicht aus Volis stammte, und es gehörte hier auch nicht hin. Es war ein schlechtes Omen, besonders, da es aus dem Dornenwald kam, und viel mehr noch am Vorabend des Wintermondes. Sie erinnerte sich an einen alten Spruch, den sie gelesen hatte: rühme dich nicht, nachdem du vom Tod verschont worden bist.

Sie hatte das Gefühl, dass ihre Brüder das Schicksal herausforderten und die Finsternis mit sich in ihr Heim brachten. Sie konnte das Gefühl nicht loswerden, dass es Vorbote schlimmer Dinge war.

Sie erklommen einen Hügel und unter ihnen tat sich ein atemberaubender Blick auf die Festungsanlage und die Landschaft drum herum auf. Trotz dem Wind und dem immer heftiger werdenden Schnee, war Kyra erleichtert, zu Hause zu sein. Rauch stieg aus den Schornsteinen auf und die Feuer des Forts strahlten ein warmes Leuchten aus. Sie schritten schneller aus und gingen eilige auf die Brücke zu. So nah an der Festung war die Straße voller Menschen, die sich trotz dem Wetter und der hereinbrechenden Nacht auf das Fest freuten.

Kyra war kaum überrascht. Das Fest des Wintermondes war eines der wichtigsten Feste des Jahres, und alle waren mit Vorbereitungen beschäftigt. Zahllose Menschen drängten über die Zugbrücke in die Festung, während mindestens genauso viele hinausdrängten, auf dem Weg nach Hause, um mit ihren Familien zu feiern. Ochsen zogen Wägen und trugen Ware in beide Richtungen, während Maurer an einer weiteren Mauer um das Fort herum arbeiteten. Kyra fragte sich, wie sie in diesem Wetter arbeiten konnten, ohne dass ihre Hände taub wurden.

Als sie die Brücke betraten und sich unter die Menge mischten, schnürte sich Kyras Magen zusammen, als sie einige Männer des Lords in der Nähe des Tors stehen sah, Krieger des örtlichen Lord Regenten, der von Pandesia ernannt worden war, in ihren unverkennbaren roten Kettenpanzern.

Die Gegenwart der Männer des Lords war zu jeder Zeit erdrückend – doch ganz besonders zur Zeit des Wintermondes, wenn sie nur dazu hier sein konnten, die Nachernte von den Leuten einzufordern. Sie hielt sie für Plünderer. Plünderer und Grobiane für die verabscheuenswürdigen Adligen, die seit der pandesischen Invasion die Macht ergriffen hatten.

Die Schwäche ihres ehemaligen Königs, der kapituliert hatte, war daran schuld – doch das half ihnen auch nicht weiter. Jetzt, zu ihrer Schande, mussten sie sich diesen Männern unterwerfen. Es füllte Kyra mit grenzenlosem Zorn. Es machte ihren Vater und seine großen Krieger – und alle ihre Leute – zu nicht mehr, als besseren Leibeigenen; sie wünschte sich so sehr, dass sie sich auflehnten, um für ihre Freiheit zu kämpfen, um in den Krieg zu ziehen, für den ihr alter König zu feige gewesen war. Doch sie wusste auch, dass sie, wenn sie sich jetzt erhoben, den Zorn der pandesischen Armee zu spüren bekommen würden. Vielleicht hätten sie sie aufhalten können, wenn sie sie nie eingelassen hätten; doch jetzt, wo sie sich erst einmal breit gemacht hatten, waren ihre Möglichkeiten beschränkt.

Sie erreichten die Brücke und mischten sich unter die Leute, die sie anstarrten und auf den Eber deuteten, als sie vorbeigingen. Kyra zog eine gewisse Befriedigung daraus zu sehen, dass ihre Brüder unter der Last des Tiers schwitzten und keuchten. Die Leute wandten ihre Köpfe und gafften, Bürger genauso wie Krieger, alle beeindruckt von dem riesigen Tier. Sie sah auch ein paar abergläubische und fragende Blicke. Auch andere Leute schienen es für ein böses Omen zu halten.

Doch alle sahen ihre Brüder stolz an.

„Ein guter Fang für das Fest“, rief einer der Bauern aus, der einen Ochsen an ihnen vorbei führte.

Braxton und Brandon strahlten stolz.

„Das wird den halben Hof eures Vaters satt machen!“, rief ein Schlachter.

„Wie habt ihr das geschafft?“, fragte ein Sattler.

Die beiden Brüder tauschten Blicke aus und Brandon grinste schließlich den Mann an.

„Mit einem feinen Wurf und ohne Furcht“, antwortete er dreist.

„Wenn man nicht in den Wald geht“, fügte Braxton hinzu, „weiß man nicht, was man verpasst!“

Ein paar Männer jubelten und klopften ihnen auf den Rücken. Kyra schwieg. Sie brauchte das Wohlwollen dieser Leute nicht; sie wusste, was sie getan hatte.

„Sie haben den Eber nicht getötet!“, rief Aidan empört.

„Halt deinen Mund“, zischte Brandon. „Noch ein Wort und ich erzähle allen, dass du dir in die Hosen gepinkelt hast, als er angegriffen hat.“

„Aber das habe ich nicht!“, protestierte Aidan.

„Und das werden sie dir glauben?“, fügte Braxton hinzu.

Brandon und Braxton lachten, und Aidan warf Kyra einen Blick zu, als wollte er fragen, was er tun sollte.

Sie schüttelte den Kopf.

„Verschwende nicht deine Energie“, sagte sie. „Die Wahrheit setzt sich immer durch.“

Die Menschenmassen wurden dichter, als sie die Brücke überquerten, und bald waren sie im dichten Gedränge über dem Burggraben. Kyra spürte die Aufregung in der Luft, als es dunkel wurde; Fackeln erleuchteten die Brücke und der Schnee fiel ununterbrochen weiter. Als sie das Tor vor sich sah, das von einem Dutzend der Männer ihres Vaters bewacht wurde, schlug ihr Herz schneller. Aus dem Bogen ragten die Spitzen eines eisernen Fallgitters hervor, dessen Gitterstäbe stark genug waren, jeden Feind abzuhalten, bereit beim Klang eines Horns geschlossen zu werden. Das Tor war 10 Meter hoch, und darüber befand sich eine breite Plattform, die sich um das ganze Fort erstreckte, mit breiten steinernen Zinnen, die mit Wächtern bemannt waren, die immer ein wachsames Auge auf die Landschaft hatten. Volis war eine feine Festung, davon war Kyra immer überzeugt gewesen, und war stolz darauf. Doch was sie noch stolzer machte, waren die Männer im Inneren, die Männer ihres Vaters, die besten Krieger von Escalon, die sich langsam in Volis sammelten, nachdem sie nach der Kapitulation des Königs in alle Winde verstreut waren. Ihr Vater zog sie wie ein Magnet an. Mehr als einmal hatte sie ihren Vater gedrängt, sich zum neuen König auszurufen – doch er hatte immer nur den Kopf geschüttelt und gesagt, dass das nicht seine Art war.

Als sie sich dem Tor näherten, kamen ein Dutzend der Männer ihres Vaters zu Pferde hindurch, und die Menschen machten ihnen Platz. Sie ritten zum Trainingsgelände außerhalb des Forts, ihrem liebsten Ort in der ganzen Umgebung.

Sie ging dorthin und sah ihnen stundenlang beim Training zu, studierte jede einzelne ihrer Bewegungen, wie sie ihre Pferde ritten, und wie sie ihre Schwerter zogen, die Speere warfen und die Flegel schwangen.

Diese Männer ritten trotz des Wetters und der bevorstehenden Festlichkeiten hinaus um zu trainieren, weil sie es wollten. Sie wollte lieber draußen auf einem Schlachtfeld sein als drinnen eingesperrt zu sein – genau wie sie. Sie spürte, dass sie in Wirklichkeit eine von ihnen war.

Eine weitere Gruppe von Männern ihres Vaters kam durchs Tor, diesmal zu Fuß und als Kyra sich ihnen näherte, traten sie beiseite, um Brandon und Braxton mit dem Eber durchzulassen. Sie pfiffen bewundernd und sammelten sich um sie herum, große, muskelbepackte Männer, die mindestens eine Elle größer waren als ihre nicht gerade kleinen Brüder. Die meisten von ihnen hatten von Grau durchzogene Bärte, alles hartgesottene Krieger zwischen 30 und 40, die zu viele Schlachten gesehen hatten und dem König gedient hatten, als sie die Schmach seiner Kapitulation hinnehmen mussten. Diese Männer hätten nie aus eigenem Antrieb kapituliert. Diese Männer hatten alles gesehen und waren nicht so leicht zu beeindrucken – doch der Eber schien es ihnen angetan zu haben.

„Den habt ihr ganz alleine getötet?“, fragte einer von ihnen Brandon, als er das Tier betrachtete.

Die Menge war so dicht, dass Brandon und Braxton stehen bleiben mussten. Sie badeten sich im Lob und der Bewunderung dieser großen Männer, und versuchten nicht zu zeigen, wie schwer ihnen die Last des Tiers war.

„Das haben wir“, rief Braxton stolz.

„Ein schwarz gehörnter Eber!“, rief ein anderer Krieger, der mit seiner Hand über das Fell des Tiers strich. „Hab keinen mehr gesehen seit ich ein Junge war. Hab einmal selbst dabei geholfen, einen zu töten, doch das war eine ganze Gruppe von Männern gewesen, und einige von ihnen haben dabei ein paar Finger verloren.“

„Wir haben nichts verloren“, rief Braxton prahlerisch. „Nur eine Speerspitze.“

Kyra brannte innerlich, als die Männer lachten. Sie bewunderten den Jagderfolg, während ein anderer Krieger, Anvin, ihr Anführer, vortrat und das Tier genauer untersuchte. Die Männer machten ihm respektvoll Platz.

Anvin, den Kommandanten der Männer ihres Vaters, mochte Kyra von allen am meisten; er war immer wie ein zweiter Vater für sie gewesen, und sie kannte ihn schon solange sie denken konnte. Er liebte sie innig, das wusste sie, und er passte auf sie auf. Doch was noch viel wichtiger war – er nahm sich immer Zeit für sie, zeigte ihr Kampftechniken und den Gebrauch der Waffen, wenn andere abwinkten. Er hatte sie sogar schon öfter mit den Männern trainieren lassen und sie hatte jede dieser Gelegenheiten genossen. Er war der Härteste von allen, doch er hatte auch das sanfteste Herz – denen gegenüber, die er mochte. Doch die, die er nicht mochte, mussten sich vor ihm fürchten.

Anvin tolerierte keine Lügen; er war ein Mann, der den Dingen immer auf den Grund gehen musste, egal wie schmutzig die Antwort war. Er hatte einen unbestechlichen Blick, und als er den Eber untersuchte, sah Kyra, wie er die beiden Pfeilwunden betrachtete. Er hatte ein Auge für Details und wenn irgendjemand die Wahrheit sehen konnte, dann er.

Anvin untersuchte die beiden Wunden, und musterte die kleinen Pfeilspitzen, die noch immer in den Löchern steckten, zusammen mit den Holzsplittern ihrer Pfeile, die die Brüder abgebrochen hatten. Sie hatten sie dicht an der Spitze abgebrochen, damit niemand sehen konnte, wer das Tier wirklich getötet hatte. Doch Anvin war nicht irgendwer.

Kyra sah wie Anvin die Wunden studierte, wie er die Augen zusammenkniff und sie wusste, dass er die Wahrheit erkannt hatte. Er zog einen Handschuh aus und zog die Pfeilspitze heraus. Er hielt das bluttriefende Metall hoch, dann wandte er sich den Brüdern mit skeptischem Blick zu.

„Eine Speerspitze sagt ihr?“, fragte er mit missbilligendem Ton.

Eine angespannte Stille breitete sich über die Gruppe aus, und Brandon und Braxton sahen plötzlich nervös aus und traten von einem Fuß auf den anderen.

Anvin wandte sich Kyra zu.

„Oder war es eine Pfeilspitze?“, fügte er hinzu und Kyra konnte sehen, wie er nachdachte, sehen, dass er seine eigenen Schlüsse zog.

Anvin ging zu Kyra hinüber, zog einen Pfeil aus ihrem Köcher und hielt ihn neben die Pfeilspitze. Sie glichen sich wie ein Haar dem anderen, und alle konnten es sehen. Er warf Kyra einen stolzen, bedeutungsvollen Blick zu, und Kyra spürte, wie alle Blicke zu ihr wanderten.

„Du hast es erlegt, nicht wahr?“, fragte er. Es war eher eine Feststellung als eine Frage.

Sie nickte.

„Ja“, antwortete sie schlicht, und liebte Anvin dafür, dass er ihr die Anerkennung gab, die sie verdiente.

„Ein meisterlicher Schuss, der das Tier zu Fall gebracht hat“, schloss er. Auch das war eine Feststellung und keine Frage. Seine Worte waren hart und endgültig, während er den Eber betrachtete.

„Außer den beiden Pfeilwunden sehe ich keine anderen“, fügte er hinzu, und strich mit der Hand über das Fell des Tiers. Als er am Ohr innehielt, untersuchte er es. Dann wandte er sich Brandon und Braxton zu, und sah sie verachtungsvoll an. „Es sei denn, man bezeichnet diese Schramme von einem Speer hier als Wunde.“

Er hielt das Ohr de Ebers hoch und Brandon und Braxton erröteten, als die Krieger lachten.

Ein anderer bekannter Krieger ihres Vaters trat vor – Vidar, ein enger Freund Anvins, ein dünner, kleiner Mann Mitte 30, mit hagerem Gesicht und einer Narbe über der Nase. So zierlich wie er war, sah er nicht wie ein Krieger aus, doch Kyra wusste es besser: Vidar war hart wie Stein, und bekannt für seine Nahkampf-Fähigkeiten. Er war einer der tapfersten Männer, denen Kyra je begegnet war und er konnte Männer überwältigen die doppelt so groß waren wie er. Zu viele Männer machten den Fehler, ihn zu provozieren, denn sie unterschätzten ihn – nur um auf schmerzliche Art eines Besseren belehrt zu werden. Auch er hatte Kyra unter seine Fittiche genommen und passte auf sie auf.

„Sieht aus, als hätten unsere beiden Helden hier das Ziel verfehlt“, schlussfolgerte Vidar, „und das Mädchen musste sie retten. Wer hat euch beiden das Werfen beigebracht?“

Brandon und Braxton sahen zunehmend nervös aus. Offensichtlich hatte man ihre Lüge durchschaut, und keiner von beiden wagte, etwas zu sagen.

„Es ist eine schwerwiegende Angelegenheit, über einen Jagderfolg zu lügen“, sagte Anvin finster an die Brüder gewandt. „Heraus damit. Euer Vater würde wollen, dass ihr die Wahrheit sagt.“

Brandon und Braxton standen da und stiegen unbehaglich von einem Bein aufs andere, und sahen einander an, als überlegten sie, was sie antworten sollten. Zum ersten Mal seit sie denken konnte, erlebte Kyra sie sprachlos.

Gerade als sie etwas sagen wollten, schrillte eine fremde Stimme durch die Menge.

„Es ist egal wer es getötet hat“, sagte die Stimme. „Es gehört jetzt uns.“

Kyra und die anderen fuhren herum, erschrocken über die unbekannte, grobe Stimme – und ihr Magen zog sich zusammen, als sie die Gruppe der Männer des Lords in ihren roten Rüstungen sah, die gierig den Eber beäugten. Kyra konnte sehen, dass sie diese Trophäe nicht wollten, weil sie sie brauchten, sondern weil es ihre Art war, die Leute zu erniedrigen, ihnen ihren Stolz zu nehmen. Leo knurrte neben ihr, und sie legte ihm beruhigend die Hand auf den Nacken und hielt ihn zurück.

„Im Namen des Lord Regenten“, sage einer der Männer des Lords, ein untersetzter Krieger mit niedriger Stirn, dicken Brauen, fettem Bauch und einem dümmlichen Gesicht, „beanspruchen wir diesen Eber. Er dankt euch für euer großzügiges Geschenk zum Fest.“

Er winkte seinen Männern und ging auf den Eber zu, als ob er ihn packen wollte.

Doch als er es tat, traten Anvin und Vidar plötzlich vorm und stellten sich ihm in den Weg.

Eine überraschte Stille legte sich über die Menge – niemand hatte es je gewagt, sich den Männern des Lords in den Weg zu stellen; es war ein ungeschriebenes Gesetz. Niemand wollte den Zorn Pandesias auf sich ziehen.

Yaş sınırı:
16+
Litres'teki yayın tarihi:
10 ekim 2019
Hacim:
292 s. 5 illüstrasyon
ISBN:
9781632912299
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