Kitabı oku: «Regentschaft Des Stahls », sayfa 3

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KAPITEL FÜNF

Thorgrin stand Andronicus alleine auf dem Schlachtfeld gegenüber. Um sie herum lagen überall gefallene Krieger. Er hob sein Schwert hoch und ließ es in Richtung von Andronicus‘ Brust heruntersausen. Als er es tat, ließ Andronicus seine Waffen fallen, lächelte breit und streckte Thor seine Arme entgegen, um ihn zu umarmen.

Mein Sohn.

Thor wollte den Schwerthieb aufhalten, doch es war zu spät. Das Schwert rauschte durch seinen Vater hindurch, und Thor wurde von Trauer zerfressen.

Er blinzelte und fand sich in einem endlos langen Gang wieder und hielt Gwendolyns Hand. Er erkannte, dass das ihr Hochzeitszug war. Sie gingen auf eine blutrote Sonne zu, und als Thor sich umsah, sah er, dass die Sitze auf beiden Seiten leer waren. Er wandte sich zu Gwendolyn um. Schockiert musste er mitansehen, wie ihre Haut verdorrte und sie zu einem Skelett wurde, bis sie schließlich als Sandhäufchen zu Boden fiel.

Im nächsten Augenblick stand Thor vor dem Schloss seiner Mutter. Irgendwie hatte er die Brücke überquert, und stand vor gigantischen Doppeltüren aus Gold. Sie glänzten gleißend in der Sonne und waren dreimal so hoch wie er. Es gab keinen Knauf, darum hämmerte er mit seinen Händen gegen die Türen, bis sie zu bluten anfingen. Der Klang hallte durch die Welt, doch niemand öffnete.

Thor legte den Kopf in den Nacken.

„Mutter!“, schrie er.

Er sank auf die Knie, und plötzlich wurde der Boden zu Schlamm. Thor rutschte von einer Klippe und fiel um sich schlagend durch die Luft, hunderte von Metern, in die tosenden Wellen des Ozeans. Er streckte seine Hände gen Himmel während er das Schloss seiner Mutter aus dem Blick verlor. Er schrie.

Thor riss die atemlos die Augen auf, der Wind wehte ihm über das Gesicht während er sich verwirrt umsah, und versuchte sich zu erinnern, wo er war. Er blickte nach unten und sah, wie der Ozean unter ihm mit schwindelerregender Geschwindigkeit vorbeirauschte. Er hielt sich an etwas rauem fest, hörte das schlagen von riesigen Flügeln und sah, dass er sich an Mycoples Schuppen festhielt. Seine Hände waren kalt von der Luft der Nacht, sein Gesicht taub vom Wind. Thor realisierte, dass er eingeschlafen sein musste. Sie waren schon seit Tagen unterwegs. Mycoples glitt schnell durch den nächtlichen Himmel, der nur von den rot glitzernden Sternen erleuchtet wurde.

Thor seufzte und wischte sich mit der Hand über die Stirn, auf der kalter Schweiß stand. Er hatte sich geschworen, wach zu bleiben, doch sie waren schon so lange ununterbrochen auf der Suche nach dem Land der Druiden, dass Thor müde war.

Glücklicherweise hatte Mycoples offensichtlich bemerkt, dass er schlief und war umsichtig genug geflogen, um ihn nicht versehentlich abzuwerfen. Sie waren nun schon so lange gemeinsam unterwegs, dass sie eine Einheit geworden waren. So sehr Thor auch den Ring vermisste, er freute sich, alleine mit seiner alten Freundin die Welt zu bereisen; er wusste, dass auch sie glücklich war, denn sie schnurrte zufrieden. Er wusste, dass Mycoples niemals zulassen würde, dass ihm etwas zustieß – und er fühlte genauso für sie.

Thor blickte nach unten und betrachtete die schäumenden, leuchtenden Wasser des Meeres; es war ein seltsamer und exotischer Ozean, den er noch nie zuvor gesehen hatte, jedoch nur einer von vielen, den sie auf ihrer Suche überflogen hatten. Sie flogen immer weiter nach Norden, wobei sie dem Pfeil auf dem Relikt folgten, das er in seinem Dorf gefunden hatte. Thor wusste, dass sie sich seiner Mutter näherten. Ihr und dem Land der Druiden. Er konnte es spüren.

Thor hoffte, dass der Pfeil in die richtige Richtung wies. Doch tief im Inneren wusste er, dass dem so war. Er konnte mit jeder Faser seines Seins spüren, dass das Relikt ihn zu seiner Mutter, zu seinem Schicksal führte.

Thor rieb sich die Augen, fest entschlossen, wach zu bleiben. Er hatte gehofft, dass sie das Land der Druiden bereits erreicht hatten, zumal es sich anfühlte, als wären sie bereits um die halbe Welt gereist. Einen Augenblick lang machte er sich Sorgen: War alles nur eine Fantasie? Was, wenn seine Mutter gar nicht existierte? Was, wenn das Land der Druiden nicht existierte. Was, wenn er dazu verdammt war, sie nie zu finden?

Er versucht, die Gedanken abzuschütteln während Mycoples unermüdlich weiterflog.

Schneller, dachte Thor.

Mycoples schnurrte und schlug fester mit ihren Flügeln; dann senkte sie den Kopf und sie tauchten durch den Nebel, auf einen Ort hinter dem Horizont zu, von dem sich Thor nicht einmal sicher war, ob er überhaupt existierte.

Ein Tag brach an, wie Thor ihn noch nicht gesehen hatte. Nicht zwei, sondern drei Sonnen kletterten am Himmel empor, eine rot, eine grün und eine purpurn.

Sie flogen über die Wolken hinweg, so dicht, dass Thor die dichte Decke, die in bunte Farben getaucht war, fast berühren konnte. Thor genoss den schönsten Sonnenaufgang, den er je gesehen hatte. Die Sonnenstrahlen brachen durch die Wolken und streichelten seine Haut und tanzten in bunten Farben über Mycoples schillernde Schuppen. Er hatte das Gefühl, der Geburt der Welt entgegen zu fliegen.

Er lenkte Mycoples in einen Sinkflug, und es fühlte sich feucht an, als sie durch die Wolkendecke flogen. Sofort nach dem Eintauchen schwirrte ihre Welt vor bunten Farben und er war wie geblendet vom Licht. Als sie die Wolken verließen, rechnete Thor damit, einen weiteren Ozean unter sich zu finden, eine weitere endlose Leere.

Doch diesmal begrüßte ihn etwas anderes:

Sein Herz machte einen Sprung als er unter sich das sah, was lange Zeit seine Träume beherrscht hatte. Dort, weit unter ihm, kam Land in Sicht. Es war eine Insel, eingehüllt in Nebel, mitten in diesem unglaublichen Ozean. Das Relikt vibrierte in seiner Hand, und als er es ansah, sah er dass der Pfeil blinkte und steil nach unten zeigte. Doch er hätte es nicht einmal sehen müssen – er wusste es auch so. Er spürte es mit jeder Faser seines Seins. Sie war hier. Seine Mutter. Das magische Land der Druiden existierte, und er hatte es gefunden.

Nach unten, liebe Freundin, dachte er.

Mycoples begab sich in den Sinkflug, und als sie näher kamen, konnte Thor immer weitere Details der Insel ausmachen. Er sah endlose blühende Felder, den Feldern in King’s Court ausgesprochen ähnlich. Er konnte es nicht fassen. Die Insel kam ihm so bekannt vor, beinahe so, als ob er nach langer Zeit nach Hause zurückgekehrt war. Er hatte eine exotischere Landschaft erwartet. Es war ihm schon fast unheimlich, wie bekannt ihm alles vorkam. Wie konnte das sein?

Die Insel wurde zu allen Seiten von einem breiten rot glitzernden Sandstrand begrenzt an dem sich die Wellen rauschend brachen. Als sie näher kamen, sah Thor etwas, das ihn überraschte. Zwei riesige Säulen erhoben sich wie ein Tor gen Himmel und verschwanden in den Wolken. Es waren die größten Säulen, die er je gesehen hatte. Eine Mauer, vielleicht sieben Meter hoch, umgab die gesamte Insel, und der einzige Fußweg hinein schien durch diese Säulen zu führen.

Da er jedoch auf Mycoples ritt, entschied Thor, dass er nicht durch die Säulen gehen musste. Er würde einfach über die Mauer hinwegfliegen und landen, wo es ihm gerade gefiel.

Thor lenkte Mycoples in Richtung der Mauer. Doch als sie sich ihr näherten, überraschte ihre Reaktion ihn. Sie schrie auf und wandte sich scharf ab, riss ihre Krallen in die Luft, bis sie fast senkrecht flogen. Es war, als wäre sie gegen einen unsichtbaren Schild geflogen, und Thor musste sich mit aller Kraft festhalten, um nicht abzustürzen. Er wollte, dass sie weiterflog, doch sie weigerte sich.

In diesem Augenblick erkannte Thor: Die Insel war umgeben von einer Art von Energieschild. Einem Schild, der so mächtig war, dass selbst Mycoples ihn nicht durchdringen konnte. Man konnte nicht über die Mauer hinwegfliegen. Er lenkte Mycoples zu den Säulen und wollte sie dazu bewegen, hindurchzufliegen, doch wieder wehrte sie sich und riss ihre Krallen hoch.

Ich kann nicht hinein.

Thor spürte Mycoples Gedanken. Er sah sie an¸ sah, wie sie mit ihre großen glitzernden Augen blinzelte, und verstand.

Sie wollte ihm begreiflich machen, dass er ohne sie ins Land der Druiden gehen musste. Thor sprang in den roten Sand und betrachtete die Säulen.

„Ich kann dich nicht einfach so hier lassen, liebe Freundin“, sagte Thor. „Es ist zu gefährlich für dich. Wenn ich alleine gehen muss, dann muss ich es tun. Doch du kehre nach Hause zurück, wo du sicher bist und warte dort auf mich.“

Mycoples schüttelte den Kopf und ließ sich nieder.

Ich werde auf dich bis ans Ende dieser Welt warten.

Thor lehnte sich vor, strich über Mycoples Kopf und küsste sie. Sie schnurrte und lehnte ihren Kopf an seine Brust.

„Ich komme wieder, liebe Freundin“, sagte Thor.

Er drehte sich um und betrachtete die Säulen. Sie waren aus Gold und glänzten in der Sonne. Er fühlte sich auf eine Weise lebendig, wie er es noch nie zuvor erlebt hatte als er durch das Tor ging und endlich das Land der Druiden betrat.

KAPITEL SECHS

Gwendolyn saß in der Kutsche, die über die ländlichen Straßen ruckelte, an der Spitze der Karawane ihres Volkes, die sich langsam in Richtung Westen, fort von King’s Court bewegte. Gwendolyn war zufrieden mit der Evakuierung, die bisher geordnet verlaufen war, und zufrieden mit dem Fortschritt, den ihr Volk gemacht hatte. Sie hasste den Gedanken, ihre Stadt zu verlassen, doch sie war sich sicher, dass sie genug Abstand gewonnen hatten, sodass die Leute in Sicherheit waren.

Sicher auf dem Weg zur Westlichen Querung des Canyons, um an der Küste des Tartuvianischen Meeres an Bord der wartenden Flotte zu gehen über das Meer zu den Oberen Inseln zu segeln. Sie wusste, dass das der einzige Weg war, die Sicherheit ihres Volkes zu gewährleisten.

Die Geräusche von tausenden von Menschen in Kutschen und mindestens genauso vielen zu Fuß, von knarzenden Rädern und Hufgetrappel, erfüllten Gwendolyns Ohren. Die Klänge wirkten ermüdend auf Gwendolyn und Guwayne, der an ihrer Brust schlief, während sie ihn sanft schaukelte. Neben ihr saßen Steffen und Illepra in der Kutsche.

Gwendolyn ließ den Blick über die Straße und die Landschaft vor sich schweifen, und versuchte sich vorzustellen, an einem anderen Ort zu sein – egal wo, nur nicht hier.

Sie hatte so hart gearbeitet, das Königreich wiederaufzubauen, und nun war sie auf der Flucht. Die Invasion durch die McClouds hatte sie dazu gezwungen, ihren Plan von der Massen-Evakuierung in die Tat umzusetzen – doch in erster Linie hatten sie neben den alten Prophezeiungen und Argons Hinweisen ihre Alpträume und Vorahnungen dazu bewogen. Doch was, wenn sie sich irrte? Was, wenn es wirklich nur Träume gewesen sind? Was, wenn sich alles schnell wieder beruhigen würde? War die Evakuierung eine Überreaktion, vielleicht sogar unnötig? Sie könnte ihre Leute schließlich auch in eine andere Stadt evakuieren, nach Silesia vielleicht. Sie musste sie nicht über das Meer schicken.

Das war nur dann nötig, wenn die vollständige Zerstörung des Rings bevorstand. Und nach allem, was sie gelesen, gehört, und gespürt hatte, stand die Zerstörung unmittelbar bevor. Sie versuchte sich einzureden, dass die Evakuierung der einzige Weg war.

Während Gwendolyn den Horizont betrachtete, wünschte sie sich Thor an ihrer Seite. Sie blickte gen Himmel, und fragte sich, wo er jetzt war. Hatte er das Land der Druiden gefunden? Hatte er seine Mutter gefunden? Würde er zu ihr zurückkehren?

Und würden sie jemals heiraten?

Gwendolyn blickte in Guwaynes Augen und es war, als würde sie in Thors graue Augen blicken. Sie drückte ihn an sich. Sie versuchte nicht an das Opfer, das sie im Reich der Toten hatte bringen müssen, zu denken. Würde es geschehen? Konnte das Schicksal wirklich so grausam sein?

„Mylady?“

Gwendolyn zuckte zusammen; sie fuhr herum und sah Steffen, der gen Himmel deutete. Sie bemerkte, dass die Leute um sie herum stehen blieben und auch ihre Kutsche kam plötzlich zum Stillstand. Sie war irritiert, dass der Kutscher ohne ihren Befehl anhielt.

Mit dem Blick folgte sie Steffens Finger, und sah überrascht, dass drei brennende Pfeilen gen Himmel geschossen wurden, aufstiegen und dann wie Sternschnuppen zu Boden fielen. Sie konnte es kaum fassen. Die drei brennenden Pfeile konnten nur eines bedeuten: Ein Zeichen der MacGils. Die Klauen des Falken, ein Siegeszeichen, so alt wie die Zeit. Ihr Vater, sein Vater vor ihm und dessen Vorväter hatten es schon verwenden. Ein Signal der MacGils nur für MacGils. Es gab keine Zweifel: Sie mussten gesiegt haben. Sie mussten King’s Court zurückerobert haben.

Doch wie war das möglich? fragte sie sich. Als sie geflohen waren, bestand keine Hoffnung für die Stadt, geschweige denn für einen Sieg – ihre geliebte Stadt war von den McClouds überrannt worden, und nur wenige waren zurückgeblieben, um für sie und die Bürger Zeit zu gewinnen.

Gwendolyn sah, wie sich am fernen Horizont ein Banner immer höher und höher im Wind erhob. Sie blinzelte, und es bestand kein Zweifel. Es war ihr eigenes Banner. Das konnte nichts anderes bedeuten, als dass King’s Court wieder in den Händen der MacGils war.

Einerseits war Gwendolyn überglücklich, und wollte sofort zurückkehren. Doch andererseits, musste sie an Argons Prophezeiungen denken, an die Schriften, die sie gelesen hatte und an ihre eigenen, dunklen Vorahnungen, wenn sie die Straße betrachtete, auf der sie reisten. Tief im Inneren hatte sie das immer noch das Gefühl, dass sie ihre Leute von hier fort bringen musste. Vielleicht hatten sie King’s Court zurückerobert, doch das hieß noch lange nicht, dass der Ring sicher war. Gwendolyn war sich sicher, dass etwas noch viel Schlimmeres auf sie zukam, und dass sie ihr Volk in Sicherheit bringen musste.

„Scheint, dass wir gesiegt haben!“, sagte Steffen.

„Ein Grund zu feiern, mein Kind!“, rief Aberthol, der sich ihrer Kutsche näherte.

„King’s Court ist unser!“, riefen die Bürger unter lautem Jubel.

„Wir müssen sofort zurückkehren!“

Die Bürger jubelten erleichtert, doch Gwendolyn schüttelte entschlossen den Kopf.  Sie stand auf und wandte sich ihrem Volk zu. Alle Augen lagen auf ihr.

„Meine lieben Bürger! Wir werden nicht umkehren!“, rief sie. „Wir haben die Evakuierung begonnen, und wir müssen dem Plan weiter folgen. Ich spüre, dass dem Ring große Gefahr droht, und ich muss euch alle in Sicherheit bringen, bevor es zu spät ist.“

Die Leute murrten unzufrieden, während einige Bürger vortraten und gen Horizont wiesen.

„Ich weiß nicht, wie der Rest von euch darüber denkt“, bellte einer, „doch King’s Court ist meine Heimat! Es ist mein Ein und Alles! Ich werde ganz sicher nicht das Meer überqueren um auf eine mir fremde Insel zu fliehen, wissend, dass die Stadt fest in unseren Händen ist! Ich gehe zurück!“

Die Leute jubelten ihm zu als an Gwendolyns Kutsche vorbei zurück in Richtung King’s Court ging. Hunderte von Bürgern folgten ihm zu Fuß oder in ihren Kutschen und machten sich auf den Weg zurück nach King’s Court.

„Mylady, soll ich sie aufhalten?“, fragte Steffen irritiert. Loyal wie er war, wäre ihm das nie eingefallen.

„Du hörst die Stimme des Volkes, mein Kind“, sagte Aberthol. „Es wäre dumm, es ihnen zu verweigern. Du kannst, es ihnen nicht verweigern. Es ist ihre Heimat, alles was sie kennen. Streite nicht mit deinen eigenen Leuten. Führe sie nicht ohne guten Grund von hier fort.“

„Aber ich habe einen guten Grund“, sagte sie. „Ich weiß, dass die Zerstörung bevorsteht!“

Aberthol schüttelte seinen Kopf. „Doch sie wissen es nicht“, antwortete er. „Ich zweifle nicht an dir. Herrscher blicken voraus, während die Massen lediglich ihren Instinkten folgen. Und Herrscher sind nur so mächtig, wie das Volk es ihnen zu sein erlaubt.“

Gwendolyn stand mit geballten Fäusten in der Kutsche. Die Frustration brannte tief in ihr, während sie mitansehen musste, wie sich ihr Volk ihrem Befehl widersetze und nach King’s Court zurückkehrte. Es war das erste Mal, dass sie sich ihr offen widersetzten und ihr gefiel das Gefühl ganz und gar nicht. War das ein Ausblick auf das, was noch kommen würde? Waren ihre Tage als Herrscherin gezählt?

„Mylady, soll ich den Kriegern befehlen, sie aufzuhalten?“, fragte Steffen.

Sie hatte das Gefühl, dass er der einzige war, der ihr noch treu ergeben war. Nur zu gerne hätte sie ja gesagt.

Doch als sie immer mehr Menschen in Richtung King’s Court aufbrechen sah, wusste sie, dass es vergeben wäre.

„Nein“, sagte sie leise mit gebrochener Stimme. Sie fühlte sich im Stich gelassen. Doch was ihr am meisten wehtat, war dass sie wusste, dass die Rückkehr ihres Volkes ihnen nur schaden würde, und dass es nichts gab, was sie tun konnte, um diesen Prozess aufzuhalten. „Ich kann nicht aufhalten, was das Schicksal für sie vorgesehen hat.“

*

Niedergeschlagen folgte Gwendolyn ihrem Volk zurück nach King’s Court. Als ihre Kutsche durch die Tore von King’s Court fuhr konnte sie schon die Jubelschreie und Feierlichkeiten auf der anderen Seite hören. Ihre Bürger waren glücklich, tanzten und warfen ihre Heute in die Luft als sie wieder in der Stadt ankamen. Ihr geliebtes King’s Court – ihre Heimat. Alle strömten zu den siegreichen Kriegern um Kendrick und die Silver, um ihnen zu gratulieren.

Doch Gwendolyn war hin und hergerissen. Einerseits war sie froh, wieder hier zu sein, zufrieden, dass sie die McClouds besiegt hatten, und glücklich, Kendrick und die anderen in Sicherheit zu wissen. Sie war stolz darauf, die toten McClouds überall in der Stadt zu sehen, und überglücklich dass ihr Bruder Godfrey überlebt hatte. Er saß am Rande des Geschehens und ließ seine Verletzungen versorgen.

Doch andererseits, konnte Gwendolyn das ungute Gefühl nicht loswerden, dass ihnen allen schreckliches Unheil bevorstand, und dass es für ihr Volk das beste gewesen wäre, es zu evakuieren, bevor es zu spät war.

Doch die Leute hatten sich vom Sieg hinreißen lassen. Sie würden nicht auf die Stimme der Vernunft hören.

Als sie sich umsah, bemerkte sie erleichtert, dass die McClouds schnell besiegt worden waren, bevor sie die Gelegenheit gehabt hatten, allzu großen Schaden anzurichten.

„Gwendolyn!“

Gwendolyn drehte sich um. Kendrick sprang vom Pferd, stürmte zu ihr herüber, und umarmte sie. Sie fiel ihm um den Hals, nachdem sie Guwayne Illepra in die Arme gelegt hatte. Seine Rüstung fühlte sich hart und kalt an.

„Mein Bruder“, sagte sie und sah ihn an. Seine Augen glänzten im Siegestaumel. „Ich bin stolz auf dich. Du hast so viel mehr getan, als nur die Stadt zu halten – du hast die MacGils ausgelöscht. Du und deine Silver. Ihr verkörpert alles, was Tapferkeit und Ehre bedeutet. Vater wäre stolz!“

Kendrick lächelte und deutete eine Verneigung an.

„Danke für deine Worte, liebe Schwester. Ich konnte nicht zulassen, dass unsere Stadt, die Stadt unseres Vaters, von diesen Heiden zerstört wird. Doch ich war nicht allein; du hättest sehen sollen, wie Godfrey den ersten Widerstand geleistet hat. Er und eine Handvoll anderer, und selbst die Rekruten der Legion – sie alle haben geholfen, die Angreifer aufzuhalten.“

Gwendolyn wandte sich zu Godfrey um, der mit einem gequälten Lächeln auf den Lippen zu ihnen hinüber getrottet kam. Er hielt sich den Kopf; an seiner Schläfe klebte getrocknetes Blut.

„Du bist heute zum Mann geworden, mein Bruder“, sagte sie ernst zu ihm, während sie ihm den Arm um die Schulter legte. „Vater wäre stolz auf dich.“

Godfrey lächelte sie scheu an.

„Ich wollte dich nur warnen“, sagte er.

„Du hast so viel mehr als das getan.“

Elden, O’Connor, Conven, und dutzende von jungen Rekruten gesellten sich ebenfalls zu ihnen.

„Mylady“, sagte Elden. „Unsere Männer haben heute tapfer gekämpft. Doch wir haben leider viele von ihnen verloren.“

Gwendolyn sah an ihm vorbei zu den Toten, die überall verstreut lagen. Neben einer Menge McClouds sah sie dutzende von Rekruten der Legion und sogar eine Handvoll toter Silver. Der Anblick weckte schmerzliche Erinnerungen an die letzte Invasion ihrer Stadt. Gwen musste den Blick abwenden.

Sie drehte sich um und sah ein Dutzend McClouds, die überlebt hatte, mit gefesselten Händen und gesenkten Blicken.

„Wer sind die da?“

„Die Generäle der McClouds“, antwortete Kendrick. „Wir haben sie am Leben gelassen. Sie sind alles, was von ihrer Armee noch übrig ist. Was sollen wir mit ihnen tun?“

Gwendolyn sah sie an. Doch trotz ihrer Niederlage starrten sie trotzig und stolz zurück. Sie waren grobschlächtige Männer, typische McClouds, die nie auch nur einen Anflug von Reue zeigten.

Gwendolyn seufzte. Es hatte eine Zeit gegeben, in der sie gedacht hatte, dass Frieden die Antwort auf alle Fragen war, dass sie, wenn sie nur freundlich und gütig genug zu ihren Nachbarn war, wenn sie nur genug guten Willen zeigen würde, dass auch sie ihr und ihrem Volk gegenüber freundlich gesinnt wären. Doch je länger sie regierte, desto mehr erkannte sie, dass andere ihre Friedensangebote als Zeichen von Schwäche ansahen, als etwas, das sie ausnutzen konnten. All ihre Friedensbemühungen waren auf eines hinausgelaufen: Einen Überraschungsangriff am heiligsten Tag des Jahres – dem Tag der Pilgerfahrt.

Gwendolyn spürte, wie ihr Herz hart wurde. Sie war nicht mehr so naiv, hatte nicht mehr denselben Glauben in die Menschen, den sie einmal besessen hatte. Sie fasste mehr und mehr Vertrauen in ihre Armee: die Herrschaft des Stahls war angebrochen.

Gwendolyn sagte: „Tötet sie alle!“, und Kendrick und die anderen sahen sie überrascht an. Das hatten sie von ihrer Königin, die immer so sehr um den Frieden bemüht war, nicht erwartet.

„Habe ich dich richtig verstanden?“, fragte Kendrick mit Überraschung in der Stimme.

Gwendolyn nickte.

„Das hast du“, antwortete sie. „Und wenn du fertig bis, lass ihre Leichen einsammeln und sie aus der Stadt schaffen.“

Gwendolyn wandte sich um und ging durch den Hof von King’s Court. Hinter sich hörte sie die Schreie der McClouds. Trotz der Tatsache, dass es ihr eigener Befehl gewesen war, zuckte sie zusammen.

Gwendolyn ging durch eine groteske Szene: Die Straßen waren voller Toter McClouds und voller jubelnder Bürger, die sich freuten und tanzten und in ihre Häuser zurückkehrten, als wäre niemals etwas gewesen. Während sie ihnen dabei zusah, füllte sich ihr Herz mit Furcht.

„Die Stadt gehört wieder uns“, sagte Kendrick mit einem Lächeln, als er sie einholte.

Sie schüttelte den Kopf.

„Doch nicht für lange.“

Er sah sie verwirrt an.

„Was meinst du damit?“

Sie blieb stehen und sah ihn an.

„Ich habe die Prophezeiungen gelesen“, sagte sie. „Die alten Schriften. Ich habe mit Argon gesprochen. Ich habe Träume. Wir werden angegriffen werden. Es war ein Fehler hierher zurückzukehren. Wir müssen sofort wieder von hier weg.“

Kendrick sah sie an. Sein Gesicht war aschfahl, und Gwendolyn seufzte, während sie die Bürger beobachtete.

„Doch mein Volk will nicht hören.“

Kendrick schüttelte den Kopf.

„Was ist, wenn du dich irrst?“, sagte er. „Was, wenn du zu viel in die Prophezeiungen hineininterpretierst? Wir haben die beste Armee der Welt. Nichts kann unsere Tore erreichen. Die McClouds sind tot, und im Ring ist uns sonst niemand feindlich gesinnt. Der Schild schützt uns vor Gefahren von außen. Zudem haben wir Ralibar, wo immer er auch sein mag. Du hast nichts zu befürchten. Wir haben nichts zu befürchten.“

Gwendolyn schüttelte den Kopf.

„Das ist genau der Augenblick, in dem wir am meisten zu fürchten haben“, antwortete sie.

Kendrick seufzte und griff ihre Hand.

„Gwendolyn, Schwester, das war ein dreister Überfall“, sagte er. „Sie haben uns am Tag der Pilgerfahrt überrascht. Wir werden King’s Court nie wieder unbewacht lassen. Die Stadt ist eine Festung. Sie hat tausende von Jahren überdauert. Und nun ist niemand mehr da, der uns Böses will.“

„Du irrst ich“, sagte sie.

„Nun, selbst wenn ich mich irre, du weißt, dass die Leute nicht gehen werden. Schwester“, sagte Kendrick mit sanfter Stimme. „Ich liebe dich. Doch ich spreche als Oberbefehlshaber der Silver. Wenn du versucht, deine Leute zur Evakuierung zu zwingen, werden sie sich gegen dich auflehnen. Sie sehen die Gefahr nicht, die du siehst. Und um ehrlich zu sein, ich kann sie auch nicht sehen.“

Gwendolyn sah die Bürger an, und wusste, dass Kendrick Recht hatte. Sie würden nicht auf sie hören. Nicht einmal ihr eigener Bruder glaubte ihr.

Das brach ihr das Herz.

*

Gwendolyn stand alleine auf den Zinnen des Schlosses und hielt Guwayne fest an sich gedrückt. Gedankenversunken betrachtete sie den Sonnenuntergang. Unter sich hörte sie den gedämpften Jubel ihrer Untertanen, die sich auf eine Nacht des Feierns vorbereiteten. Sie ließ den Blick über die Felder schweifen, die King’s Court umgaben. Ein Königreich am Scheitelpunkt. Die Felder waren schwanger mit der Ernte des Sommers, endlose saftig grüne Wiesen mit Obstbäumen, die voller Früchte hingen. Das Land war zufrieden, wiederaufgebaut nach all den schrecklichen Tragödien, und vor ihr lag eine friedliche Welt.

Gwendolyn runzelte die Stirn und fragte sich, wie jemals irgendetwas Böses über diesen Ort hereinbrechen sollte. Vielleicht war die Dunkelheit, die sie gesehen hatte, die McClouds gewesen. Vielleicht hatten sie die Krise dank Kendrick und den anderen bereits überwunden. Vielleicht hatte Kendrick ja Recht. Vielleicht war sie übervorsichtig geworden, seitdem sie den Thron bestiegen, und so viel Schreckliches gesehen hatte. Vielleicht interpretierte sie ja wirklich zu viel in die Schriften hinein.

Schließlich wäre es eine drastische Maßnahme, die Bürger aus ihren Häusern zu evakuieren, sie über den Canyon zu führen, auf Schiffe zu verladen und mit ihnen zu den Oberen Inseln zu segeln, die alles andere als politisch stabil waren. Diese Maßnahme sollte für eine Zeit größter Not vorbehalten sein. Was wenn sie die Bürger zwang, und es nie zur befürchteten Tragödie kam. Sie würde als Königin in die Geschichtsbücher eingehen, die ohne drohende Gefahr in Panik verfallen ist.

Gwendolyn seufzte und drückte den unruhigen Guwayne an sich. Sie fragte sich, ob sie dabei war, den Verstand zu verlieren. Sie blickte zum Himmel und suchte die Wolken nach einem Anzeichen von Thor ab, hoffte und betete. Sie hoffte wenigstens auf ein Zeichen von Ralibar, doch auch er blieb verschwunden.

Wieder einmal wurden ihre Hoffnungen enttäuscht. Wieder einmal musste sie sich auf sich selbst verlassen. Selbst ihr Volk, das sie immer unterstützt hatte, das sie wie eine Göttin angesehen hatte, schien ihr nun nicht mehr zu vertrauen. Darauf hatte ihr Vater sie nicht vorbereitet. Was für eine Königin war sie ohne die Unterstützung des Volkes? Sie war machtlos.

Gwendolyn sehnte sich verzweifelt nach Trost und Antworten. Doch Thor war fort; ihre Mutter war tot; scheinbar war sie von allen, die sie liebte, verlassen worden. Sie spürte, dass sie an einem Scheideweg angekommen war. Nie zuvor war sie so verwirrt gewesen.

Sie schloss die Augen und bat Gott um Hilfe. Sie rief ihn mit all ihrer Willenskraft an. Sie war nie jemand gewesen, der viel betete, doch ihr Glaube war stark, und sie war sich sicher, dass er existierte.

Bitte Gott, ich bin verwirrt. Zeig mir, wie ich mein Volk am besten beschützen kann. Zeig mir, wie ich Guwayne am besten beschützen kann. Zeig mir, wie ich eine gute Königin sein kann.

„Gebete sind ein mächtiges Werkzeug“, hörte sie eine Stimme.

Gwendolyn fuhr herum, erleichtert die Stimme zu hören. Nur wenige Meter von ihr entfernt stand Argon in seiner weißen Robe mit der Kapuze und dem Stab, den Blick gen Horizont gerichtet.

„Argon. Ich brauche Antworten. Bitte hilf mir.“

„Wir sehnen uns immer nach Antworten“, sagte er. „Doch nicht immer werden sie uns gegeben. Unsere Leben sind dazu da, gelebt zu werden. Die Zukunft darf uns daher nicht vorausgesagt werden.“

„Doch man kann Hinweise darauf bekommen“, sagte Gwendolyn. „All die Prophezeiungen, die ich gelesen habe, all die Schriften, die Geschichte des Rings – weisen darauf hin, dass die Finsternis wie ein Damoklesschwert über uns hängt. Du musst es mir sagen. Wird sie über uns hineinbrechen?“

Argon wandte sich ihr zu und sah sie an. Seine Augen voller Feuer, dunkler und furchteinflößender als sie sie je zuvor gesehen hatte.

„Ja“, antwortete er.

Die Schlichtheit seiner Antwort jagte ihr mehr Angst ein als alles andere. Er, Argon, der sonst immer in Rätseln sprach.

Gwendolyn bebte innerlich.

„Wird sie über King’s Court hereinbrechen?“

„Ja“, antwortete er.

Gwendolyns Gefühl der Angst wurde stärker. Sie war sich sicher, dass sie die ganze Zeit über mit ihren Gefühlen richtig gelegen war.

„Wird der Ring zerstört werden?“

Argon sah sie an und nickte langsam.

„Doch es gibt noch ein paar Dinge, die ich dir sagen kann“, erklärte er. „Wenn du es wünschst, kann ich dir davon erzählen.“

Gwendolyn dachte nach. Sie wusste, dass Argons Weisheit kostbar war. Doch das war etwas, das sie wirklich wissen musste.

„Erzähl mir davon“, sagte sie.

Argon holte tief Luft, wandte sich ab und betrachtete den Horizont. Gwendolyn kam es vor, als ob eine halbe Ewigkeit vergangen war, als er endlich zu sprechen begann.

„Der Ring wird zerstört werden. Alles was du kennst und liebst wird ausgelöscht. Von dem Ort an dem du jetzt stehst, wird nicht mehr als verlöschende Glut und Asche übrig bleiben. Der gesamte Ring wird zu Asche zerfallen. Dein Reich wird zerstört. Dunkelheit zieht auf. Eine Dunkelheit schwärzer als alles, was es bisher in unserer Geschichte gegeben hat.“

Die Essenz seiner Worte hallte in Gwendolyn wider. Seine Stimme drang bis zum Kern ihrer Existenz vor. Sie wusste, dass jedes Wort, das er sprach, wahr war.

„Doch mein Volk kann es nicht sehen“, sagte sie mit zitternder Stimme.

Argon zuckte mit den Schultern.

„Du bist ihre Königin. Manchmal ist Gewalt nötig. Nicht nur gegen deine Feinde. Manchmal sogar gegen dein eigenes Volk. Handle nach dem, was du weißt. Erwarte nicht immer die Zustimmung deines Volkes. Zustimmung ist eine trügerische Sache. Manchmal, ist es ein Zeichen dafür, dass du das Beste für sie tust, wenn dein Volk dich am meisten hasst. Dein Vater war gesegnet mit einer Herrschaft des Friedens. Du jedoch, Gwendolyn, du wirst einer weitaus schwereren Prüfung unterzogen: Deine Herrschaft ist eine Herrschaft des Stahls.“

Als Argon sich zum Gehen wandte, folgte Gwendolyn ihm.

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