Kitabı oku: «Sieger, Besiegter, Sohn », sayfa 2

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KAPITEL DREI

Auf ihrem Weg zur Knochenküste Felldusts litt Jeva unter den seltsamsten Gefühlsanwandlungen ihres Lebens: sie sorgte sich um ihr Leben.

Das war ein neues Gefühl für sie. Es war etwas, das ihr Volk normalerweise nicht empfand. Es war mit Sicherheit nichts, was sie gewollt hatte. Letztlich würde es wohl zu einer Art Irrlehre führen. Sie würde umherirren, die Möglichkeit sich zu den wartenden Toten zu gesellen greifbar und sich gleichzeitig um ihr Ableben sorgen. Ihresgleichen begrüßten den Tod, denn er bedeutete, dass sie eins wurden mit ihren Urahnen. Über die Gefahren machten sie sich dabei keine Sorgen.

Doch genau das war es, was Jeva jetzt empfand, während sich Felldusts Küstenlinie am Horizont abzuzeichnen begann. Sie hatte Angst, dass man sie für das, was sie ihnen mitzuteilen hatte, töten würde. Sie fürchtete, dass sie sie zu ihren Vorfahren schicken würden anstatt Haylon unter die Arme zu greifen. Sie fragte sich, was sie so verändert hatte.

Doch die Antwort darauf war nicht schwer: Thanos.

Jeva musste an ihn denken, während sie in Richtung ihrer Heimat segelte. Sie beobachtete die Seevögel, die in Scharen und auf die nächste Beute wartend über ihr kreisten. Bevor sie ihn getroffen hatte, war sie... nun, vielleicht nicht so wie alle gewesen, denn kaum jemand verspürte den Drang, den ganzen Weg nach Port Leeward und noch weiter zu spazieren. Dennoch hatte sie sich als eine von ihnen begriffen, war eine von ihnen gewesen. Sie hatte mit Sicherheit keine Angst empfunden.

Sie hatte nicht unbedingt Angst um sich selbst, auch wenn sie sehr genau wusste, dass ihr eigenes Leben hier auf dem Spiel stand. Sie machte sich größere Sorgen um diejenigen, die sie auf Haylon zurückgelassen hatte, wenn sie es nicht zurückschaffte; zu Thanos.

Das war ein weiterer Irrglaube. Die Lebenden hatten keinerlei Bedeutung, außer sie erfüllten die Wünsche der Toten. Wenn eine ganze Insel unter einer Besatzungsmacht ausgelöscht wurde, dann war dies eine ruhmvolle Ehre und nicht als ein bevorstehendes Desaster anzusehen. Das Leben war dazu da, die Wünsche der Toten zu erfüllen und selbst ein Ende zu finden, das in angemessener Weise ruhmvoll war. Die Sprecher der Toten hatten das sehr deutlich gemacht. Jeva hatte sogar selbst das Flüstern der Toten gehört, damals als der Rauch aus den Feuerstätten gequollen war.

Sie segelte weiter, drängte diese Gedanken beiseite und spürte, wie die Wellen an dem Ruderbock rissen, mit dem sie das kleine Boot auf Heimatkurs hielt. Jetzt hörte sie andere Stimmen. Stimmen, die um Mitgefühl baten, darum Haylon zu retten und Thanos zu helfen.

Sie hatte gesehen, wie er sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um selbstlos anderen zu helfen. Als sie selbst wie eine Galionsfigur auf einem Felldustschiff festgebunden darauf gewartet hatte, ausgepeitscht zu werden, war er gekommen, um sie zu retten. Als sie Seite an Seite gekämpft hatten, war sein Schild auf eine Weise, die ihr in ihrem Volk noch nie untergekommen war, auch das ihre gewesen.

Sie hatte in Thanos etwas gesehen, das sie bewundern konnte. Vielleicht mehr als nur bewundern. Sie hatte in ihm jemanden gesehen, der in dieser Welt sein Bestes gab und nicht nur um eines ruhmvollen Todes willen. Die neuen Stimmen, die Jeva vernahm, sagten ihr, dass auch sie so Leben sollte und dass Haylon zu helfen, Teil davon sein würde.

Das Problem war, dass Jeva wusste, dass diese Stimmen aus ihr selbst kamen. Sie hätte nicht so sehr auf sie hören sollen. Ihr Volk hätte das mit Sicherheit nicht getan.

„Das, was von ihm übrig ist“, sagte Jeva und der Wind trug ihre Worte davon.

Das Dorf ihres Stammes gab es nicht mehr. Jetzt würde sie zu einem anderen Versammlungsort fahren, um einen anderen Teil ihres Volkes um ihre Leben zu bitten. Jeva hob den Blick und beobachtete, wie der Wind das kleine Segel des Boots aufblähte, dann blickte sie auf das Spiel des Schaums auf dem Meereswasser; sie versuchte sich abzulenken und nicht an das zu denken, was es sie kosten würde, um das zu erreichen, was sie erreichen wollte. Dennoch tauchten die Worte in ihrem Kopf auf als wären sie unausweichlich wie das Ende des Lebens.

Sie würde behaupten müssen, im Namen der Toten zu sprechen.

Es hatte der Worte der Toten bedurft, um sie nach Delos zu holen, auch wenn Jeva und Thanos nicht behauptet hatten, in ihrem Namen zu sprechen. Doch Jeva durfte es in diesem Fall nicht den Sprechern überlassen. Die Chance, dass sie nein sagen würden, war zu groß und dann, was würde dann geschehen?

Ihr Freund würde sterben. Das durfte sie nicht zulassen. Auch wenn es bedeutete, etwas Undenkbares zu tun.

Jeva steuerte ihr Boot an Felsen und an den an ihnen zerschellten Wracks vorbei gen Ufer. Das war nicht der Strand in der Nähe ihrer alten Heimat, sondern ein anderer großer Versammlungsort weiter die Küste hinauf. Sie hatten sie Schiffswracks sorgfältig geplündert. Jeva grinste. Das machte sie ein klein wenig stolz.

Boote kamen über das Wasser auf sie zu. Die meisten waren einfache Gefährte, Kanoes mit Auslegern, die gebaut worden waren, um diejenigen Schiffe abzufangen, die augenscheinlich nicht zur Flotte des Knochenvolks gehörten. Wenn Jeva nicht offensichtlich eine von ihnen gewesen wäre, dann hätte sie um ihr Leben bangen müssen. So scharrten sie sich um sie und lachten und scherzten auf eine Weise, die sie nicht an den Tag gelegt hätten, wenn sie eine Fremde gewesen wäre.

„Ein schönes Boot, Schwester. Wie viele Männer musstest du dafür töten?“

„Töten?“ fragte ein anderer. „Bei ihrem Anblick sind sie wahrscheinlich aus Angst freiwillig abgetreten!“

„So hässlich wie du bist, würden sie auch sofort abtreten“, schoss Jeva zurück und der Mann stimmte in ihr Lachen mit ein. So wurden die Dinge hier nun einmal getan.

Wie die Dinge getan wurden, war äußerst wichtig. Außenseitern mochte ihr Volk seltsam vorkommen, doch hatten sie ihre eigenen Regeln, ihren eigenen Verhaltenskodex. Jetzt war Jeva auf dem Weg zu ihnen, und wenn sie gleich behaupten würde, im Namen der Toten zu sprechen, dann würde sie eine der fundamentalsten dieser Regeln brechen. Sie riskierte damit aus der Gemeinschaft der Toten ausgeschlossen zu werden, getötet zu werden, ohne dass ihre Asche in die Feuerstätte gekippt wurde, um so aufgenommen zu werden.

Sie steuerte ihr Boot ans Ufer, sprang heraus und zog es an den Strand. Dort warteten weitere Mitglieder ihres Volks. Ein Mädchen rannte mit einer Urne in der Hand auf sie zu und bot ihr eine Prise der Asche des Dorfes an. Jeva nahm davon und probierte. Symbolisch wurde sie so in die Dorfgemeinschaft, in die Gemeinschaft ihrer Ahnen aufgenommen.

„Willkommen Priesterin“, sagte einer der Männer am Strand. Er war ein alter Mann mit papierdünner Haut und er begegnete Jeva wegen ihrer Male, die davon zeugten, dass sie den Ritus vollzogen hatte, mit Ehrerbietung. „Was führt eine Sprecherin der Toten an unsere Ufer?“

Jeva stand da und dachte nach. Es schien so leicht, zu behaupten, dass sie im Namen jener sprach, die nicht mehr waren. Sie hatte ihren Teil der Visionen gesehen; als sie noch ein Mädchen gewesen war, hatte es jene gegeben, die ihr eine große Zukunft als Sprecherin der Toten vorausgesagt hatten. Einer der älteren Sprecher hatte verkündet, dass sie Worte sagen würde, die ihr gesamtes Volk bewegen würde.

Wenn sie behauptete, dass die Toten sie hierher gerufen hatten, um ihnen mitzuteilen, auf Haylon zu kämpfen, dann würden sie es ohne zu zögern glauben. Sie würden sich ihrer geliehenen Autorität unterordnen, wo sie sich doch sonst so selten unterordneten.

Wenn sie es tat, dann würde sie Haylon vielleicht tatsächlich retten können. Vielleicht würden sie so eine Chance haben, den Angriff der Felldustflotte abzuwehren. Vielleicht würden sie den Verteidigern der Insel zumindest etwas Zeit verschaffen. Vorausgesetzt sie log.

Doch das konnte Jeva nicht. Es ging dabei nicht nur um die eigentliche Lüge, auch wenn sie diese als überaus furchtbar empfand. Es war auch nicht die Tatsache, dass sie gegen all das verstieß, was ihrem Volk in dieser Welt etwas bedeutete. Nein, es war die Tatsache, dass Thanos nicht gewollt hätte, dass sie so weit ging. Er hätte nicht gewollt, dass andere Menschen in ihren Tod gelockt oder dazu gezwungen wurden, sich Felldust entgegenzustellen, ohne über die wahren Beweggründe Bescheid zu wissen.

„Priesterin?“ fragte der alte Mann. „Bist du gekommen, um im Namen der Toten zu sprechen?“

Was hätte er sonst getan? Jeva kannte bereits die Antwort auf diese Frage, denn sie hatte gesehen, was er getan hatte als er das letzte Mal im Land ihres Volkes gewesen war. Und all das, was er seitdem getan hatte.

„Nein“, sagte sie. „Ich bin nicht gekommen, um im Namen der Toten zu sprechen. Ich bin Jeva, und heute will ich im Namen der Lebenden sprechen.“

KAPITEL VIER

Irrien lief an den Leichen gefallener Krieger vorbei. Er blickte über das Blutbad, das seine Armeen angerichtet hatten, ohne die Zufriedenheit zu spüren, die er für gewöhnlich dabei empfand. Um ihn lagen die Männer des Nordens tot oder im Sterben, besiegt durch seine Armeen und hingerichtet durch seine Henker. Für Irrien hätte dies ein Moment des Triumphs sein sollen. Er hätte in gleichem Maße Freude empfinden sollen oder seine Macht, angesichts der abgeschlachteten Feinde, bestätigt sehen sollen.

Doch er fühlte sich vielmehr um seinen Sieg betrogen.

Ein Mann in der schimmernden Rüstung seiner Feinde stöhnte neben ihm im Matsch. Er klammerte sich trotz der ihm zugefügten Wunden an sein Leben. Irrien zog den Speer aus einer anderen Leiche in seiner Nähe und rammte ihn in den Mann. Selbst einen Schwächling wie ihn zu töten, trug nichts zur Verbesserung seiner Stimmung bei.

In Wahrheit war es schlicht zu einfach gewesen. Es waren zu wenige Feinde gewesen, als dass dieser Kampf es wert gewesen wäre. Sie waren über den Norden hergefallen, waren mordend durch die Dörfer und kleinen Schlösser gezogen und hatten Lord Wests ehemalige Festung zerstört. Überall waren sie auf leere Häuser und noch leerere Schlösser gestoßen. Die Menschen hatten ihr Heim rechtzeitig verlassen, um den nahenden Horden zu entkommen.

Das war nicht nur deshalb ernüchternd, weil es ihm wichtige Siege gekostet hatte, mit denen er gerechnet hatte. Es war vor allem ernüchternd, weil seine Feinde noch immer dort draußen waren. Irrien wusste auch wo, weil der Feigling, der in Lord Wests Schloss zurückgeblieben war, es ihm gesagt hatte: sie waren auf Haylon und befestigten die Insel, die er nur mit einem Teil seiner Truppen hatte erobern wollen.

Das führte dazu, dass jeder Moment, den Irrien hier verbrachte, sich wie ein Kratzen an der Oberfläche anfühlte. Doch auch hier gab es noch Dinge, die erledigt werden mussten. Er blickte sich nach seinen Männern um, die neben den frisch gemachten Sklaven eines der Schlösser niederrissen, die hier wie Pilze nach einem Regenfall aus dem Boden zu sprießen schienen. Irrien würde solche Dinge nicht unerledigt zurücklassen, denn das hätte seinen Feinden die Möglichkeit gelassen, sich hier erneut zu versammeln.

Außerdem schienen seine Männer mit dem leichten Sieg mehr als zufrieden zu sein. Irrien sah, wie einige, die nicht zur Arbeit eingeteilt worden waren, in der Sonne faulenzten, um geraubte Münzen spielten oder Gefangene, die sie sich zu ihrer Unterhaltung geholt hatten, quälten.

Natürlich gab es die typischen Mitläufer. Irgendjemand hatte ein Sklavenlager aufgemacht, das wie ein Schatten am Rand des Armeecamps lag. Seine Wägen und Käfige füllten sich flink. In der Mitte gab es einen klar umgrenzten Platz, auf dem die Sklavenhalter um die besten und schönsten Sklaven feilschten, auch wenn sie in Wahrheit nahmen, was die Soldaten bereit waren, ihnen zu zahlen. Diese Männer waren Plünderer, keine eigentlichen Krieger.

Dann gab es da noch die Todespriester. Sie hatten ihre Altäre in der Mitte des Schlachtfeldes aufgebaut, so wie sie es oft taten. Soldaten schleppten verwundete Feinde zu ihnen, damit man ihnen dort den Hals durchschnitt oder das Herz herausstach. Ihr Blut floss, und Irrien stellte sich vor, wie sehr das den Göttern der Priester gefallen musste. Die Priester schienen zumindest davon überzeugt zu sein und ermahnten die Gläubigen, sich ganz dem Tode zu weihen, so als wäre es der einzige Weg, ihre Gunst zu erlangen.

Einer der Männer schien sie tatsächlich ernst zu nehmen. Er war in der Schlacht offenbar verwundet worden und zwar so ernsthaft, dass er die Hilfe seiner Gefährten benötigte, um zu der Totenbank zu gelangen. Irrien beobachtete, wie er hinauf kletterte und seine Brust entblößte, sodass die Priester ihn mit einem Messer aus dunklem Obsidian erstechen konnten.

Irrien pfiff auf einen Mann, der nicht willens war, sich seinen Weg zurück ins Leben zu erkämpfen. Schließlich ließ auch Irrien sich nicht von seinen alten Wunden aufhalten, oder? Seine Schulter schmerzte bei jeder Bewegung, doch er bot sich nicht als Opfergabe an, um den Tod von anderen abzuwenden. Seiner Erfahrung nach wandte man den Tod am besten dadurch ab, indem man der stärkere von zwei Kriegern war. Stärke bedeutete, dass man sich nehmen konnte, was man wollte, sei es das Land eines anderen, dessen Leben oder Frau.

Irrien überlegte kurz, was die Todesgötter der Priester darüber denken würden. Er betete sie nicht an außer zu dem Zweck, seine Männer zusammenzubringen. Er war sich nicht einmal sicher, ob sie überhaupt existierten außer als Kontrollinstrument der Priester, die nicht genug eigene körperliche Stärke besaßen.

Er vermutete, dass diese Zweifel den Göttern nicht sonderlich gefielen, doch hatte Irrien nicht mehr Männer, Frauen und Kinder ins Grab geschickt als jeder andere? Hatte nicht er ihnen genügend Opfer gebracht, ihre Priesterschaft gefördert und die Welt in einen Ort verwandelt, der ihnen gefallen würde? Irrien hatte es vielleicht nicht für sie getan, aber er hatte es dennoch getan.

Er stand noch eine Weile da und lauschte den Worten des Priesters.

„Brüder! Schwestern! Heute haben wir einen großen Sieg errungen. Heute haben wir viele durch die schwarze Tür in das Jenseits gesandt. Heute haben wir den Göttern gefallen, sodass sie uns nicht schon morgen zu sich rufen werden. Der heutige Sieg – “

„Es war kein Sieg“, sagte Irrien und seine Stimme trug mühelos über die des Priesters hinweg. „Für einen Sieg muss es einen Kampf geben, der es wert ist, so genannt zu werden. Kann man es einen Sieg nennen, wenn man leerstehende Häuser einnimmt? Wenn man die Idioten abschlachtetet, die zurückgeblieben sind, während andere genug Hirn hatten wegzulaufen?“ Irrien blickte sich um. „Wir haben heute getötet, und das ist gut, aber es gibt noch sehr viel mehr zu tun. Heute werden wir die Sache hier zu einem Ende bringen. Wir werden ihre Schlösser einreißen und ihre Familien den Sklavenhaltern übergeben. Doch schon morgen werden wir zu einem Ort aufbrechen, an dem es einen Sieg zu erringen gibt. Zu einem Ort, an den ihre Krieger uns vorausgeeilt sind. Wir werden nach Haylon fahren!“

Er hörte, wie seine Männer zu jubeln begannen, ihre Lust zu kämpfen war durch das Töten heute wieder entfacht worden. Er wandte sich an den dort stehenden Priester.

„Was sagst du? Ist es nicht der Wille der Götter?“

Der Priester zögerte nicht. Er nahm sein Messer und schlitzte die Leiche auf dem Altar auf. Er zog seine Eingeweide heraus und begann darin zu lesen.

„So ist es, Lord Irrien. Ihr Wille folgt in diesem Fall dem Euren! Irrien! Ir-ri-en!“

„Ir-ri-en!“ skandierten die Soldaten.

Der Mann wusste also, wo er hingehörte. Irrien grinste und mischte sich unter die Menge. Es überraschte ihn nicht besonders, als eine bemäntelte Gestalt hinter ihm auftauchte und ihm im Gleichschritt folgte. Irrien zog einen Dolch, ohne zu wissen, ob er von ihm würde Gebrauch machen müssen.

„Du hast nichts von dir hören lassen, seitdem wir uns das letzte Mal gesehen haben, N’cho“, sagte Irrien. „Ich warte nicht gerne.“

Der Mörder verneigte sich. „Ich habe Nachforschungen über das, worum Ihr mich gebeten hattet, angestellt, Erster Stein. Ich habe andere Priester gefragt, verbotene Schriftrollen gelesen und jene gefoltert, die nicht reden wollten.“

Irrien war sich sicher, dass der Anführer der Zwölf Tode viel Spaß gehabt hatte. N’cho war schließlich der Einzige gewesen, der den Angriff auf Irrien überlebt hatte. Irrien begann sich zu fragen, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte.

„Du hast gehört, was ich den Männern gesagt habe“, sagte Irrien. „Wir fahren nach Haylon. Das heißt, dass wir es mit dem Kind der Uralten zu tun bekommen werden. Hast du eine Antwort für mich gefunden oder muss ich dich als nächste Opfergabe dort hoch schleppen?“

Er sah, wie der andere Mann mit dem Kopf schüttelte. „Leider sind die Götter nicht sonderlich erpicht darauf, mich kennenzulernen, Erster Stein.“

Irriens Augen verengten sich. „Das heißt?“

N’cho trat zurück. „Ich glaube, dass ich gefunden habe, wonach Ihr gesucht habt.“

Irrien machte dem anderen Mann ein Zeichen, ihm zurück zu seinem Zelt zu folgen. Ein Blick genügte und die Wachen und Sklaven, die dort standen, eilten eilig davon, sodass die beiden ungestört sein würden.

„Was hast du gefunden?“ fragte Irrien.

„Es gab... Kreaturen, die im Krieg gegen die Uralten eingesetzt wurden“, sagte N’cho.

„Die wären längst alle tot“, wandte Irrien ein.

N’cho schüttelte den Kopf. „Sie können noch immer erweckt werden, und ich glaube eine Stelle gefunden zu haben, wo das möglich ist. Doch es wird viele Leben kosten.“

Irrien lachte. Das war ein Nichts, wenn das der Preis für Ceres’ Leben war.

„Der Tod“, sagte er, „lässt sich stets ohne große Mühe arrangieren.“

KAPITEL FÜNF

Stephania beobachtete Kapitän Kang mit einem Blick, der einen Ekel verriet, der ihr bis in die Seele drang. Der massige Körper bebte, während er schnarchte, und Stephania musste zurückweichen, als er im Schlaf versuchte, sie zu fassen zu bekommen. Schon im Wachzustand hatte er das viel zu häufig getan.

Stephania hatte ihre Liebhaber immer mühelos dazu gebracht, nach ihrer Pfeife zu tanzen. Genau das hatte sie schließlich auch mit dem Zweiten Stein vor. Doch Kang war alles andere als ein sanfter Mann gewesen, und er schien Gefallen daran gefunden zu haben, Stephania immer wieder neuen Demütigungen auszusetzen. Er behandelte sie wie die Sklavin, die sie kurzzeitig unter Irrien gewesen war. Dabei hatte Stephania sich selbst geschworen, genau das nie wieder zu sein.

Dann hatte sie das Geflüster der Mannschaft vernommen: dass sie vielleicht gar nicht sicher ankommen würden. Dass der Kapitän alles behalten würde, was sie ihm gegeben hatte und sie sie letztlich doch als Sklavin verkaufen würden. Dass er doch zumindest so freigiebig sein sollte, sie mit ihnen zu teilen.

Das würde Stephania nicht zulassen. Sie würde lieber sterben, doch es würde leichter sein anstatt sich selbst zu töten.

Sie schlüpfte leise aus dem Bett und blickte durch eines der kleinen Fenster der Kapitänskajüte. Port Leeway war zum Greifen nah. Selbst in der Morgendämmerung konnte sie erkennen, wie Staub von den Felsen auf die Stadt fiel. Die Stadt war hässlich, zerfallen und übervölkert. Selbst von hier konnte Stephania erkennen, wie gefährlich dieser Ort war. Kang hatte gesagt, dass er nicht wagte, nachts dort anzulegen.

Stephania hatte vermutet, dass dies nur eine Ausrede gewesen war, um sie ein letztes Mal zu benutzen, aber vielleicht steckte auch mehr dahinter. Der Sklavenmarkt würde nachts schließlich nicht offen sein.

Sie traf eine Entscheidung und kleidete sich leise an. Sie hüllte sich in ihren Umhang und griff in eine der Taschen. Eine kleine Flasche und ein wenig Gran kamen zum Vorschein, und sie handhabte sie mit der Geschicklichkeit einer Person, die genau wusste, was sie dort tat. Wenn sie jetzt einen Fehler machte, würde er ihren Tod bedeuten entweder durch Vergiftung oder durch den wach werdenden Kang.

Stephania positionierte sich über dem Bett und ließ den Faden so präzise wie möglich über Kangs Mund baumeln. Er warf sich im Schlaf hin und her, und Stephania folgte ihm in seinen Bewegungen stets darauf bedacht, ihn nicht zu berühren. Wenn er jetzt aufwachte, dann würde sie in seiner Reichweite stehen.

Sie ließ das Gift tröpfchenweise den Faden hinab rinnen und versuchte sich zu konzentrieren, während Kang etwas in seinem Schlaf murmelte. Ein Tropfen rann über seine Lippen, dann ein zweiter. Stephania machte sich auf den Augenblick gefasst, in dem das Gift wirken und er nach Luft schnappend den letzten Atemzug aushauchen würde.

Doch dann öffnete er seine Augen und starrte Stephania für einen Moment erst verwirrt, dann wütend an.

„Schlampe! Sklavin! Dafür wirst du mit dem Leben bezahlen.“

Eine Sekunde später hatte er Stephania unter sich begraben und drückte sie auf das Bett. Er schlug sie, dann spürte sie seine Hände um ihren Hals, die sich wie eine Schlinge zuzogen. Nach Atem ringend begann Stephania um sich zu schlagen, um ihn von sich zu stoßen.

Doch Kang erdrückte sie mit dem Gewicht seines Körpers und nagelte Stephania so unter sich fest. Sie schlug um sich, doch er lachte nur und würgte sie weiter. Er lachte noch immer als Stephania ein Messer aus ihrem Umhang zog und nach ihm zu stechen begann.

Er keuchte mit dem ersten Hieb, doch hatte Stephania nicht das Gefühl, dass der Druck auf ihren Hals nachließ. Langsam wurde ihr schwarz vor Augen, doch sie stach weiter wie mechanisch zu. Sie agierte blind, denn sie schien jetzt von einem undurchdringbaren Schleier umgeben zu sein.

Dann lockerte sich der Griff um ihren Hals, und Stephania spürte, wie Kangs Körper auf ihr erschlaffte.

Es dauerte viel zu lange, unter seinem Körper hervorzukriechen. Sie rang nach Atem und versuchte wieder voll zu Bewusstsein zu kommen. Sie fiel förmlich aus dem Bett. Doch dann stand sie auf und blickte angeekelt auf die Überreste von Kangs leblosem Körper.

Sie musste praktisch denken. Sie hatte getan, was sie hatte tun wollen, wie schwierig es auch gewesen war. Jetzt würde sie sich noch um den Rest kümmern.

Sie drapierte die Laken so, dass es auf den ersten Blick so aussah, als würde er nur schlafen. Sie durchquerte seine Kabine schnellen Schrittes und griff nach dem kleinen Kästchen, in dem Kang sein Gold aufbewahrte. Stephania schlüpfte auf das Deck und lief mit aufgesetzter Kapuze auf das kleine Landungsboot am Heck des Schiffes zu.

Stephania stieg hinein und begann es ins Wasser zu lassen. Die Seile ächzten wie ein verrostetes Tor, und irgendwo über ihr hörte sie die Rufe von Matrosen, die wissen wollten, woher die Geräusche kamen. Stephania zögerte nicht. Sie zog ein Messer und begann an den Seilen, die das Boot hielten, zu sägen. Schnell waren sie durchtrennt und ihr Boot plumpste den kurzen Weg hinab in die Wellen.

Sie griff nach den Rudern und setzte ihr Boot in Bewegung. Sie steuerte bereits den Hafen an, als die Matrosen hinter ihr realisierten, dass sie keine Möglichkeit mehr hatten, ihr nachzufolgen. Stephania ruderte, bis sie gegen das Holz der Anlegestelle stieß. Sie kletterte hinaus und machte sich nicht einmal die Mühe es festzubinden. Sie würde nicht auf diesem Wege zurückfahren.

Felldusts Hauptstadt erfüllte, was sie vom Wasser aus versprochen hatte. Staub fiel in Wellen auf die Stadt nieder, während Gestalten mit ominösen Absichten an ihr vorbeihuschten. Eine kam auf sie zu und Stephania zückte ein Messer, bis die Gestalt zurückwich.

Sie lief tiefer in die Stadt hinein. Stephania wusste, dass Lucious hier gewesen war, und sie fragte sich, wie er sich dabei gefühlt haben musste. Wahrscheinlich hilflos, denn Lucious wusste nicht, wie man sich Freunde machte. Er glaubte, dass er auf die Menschen zustürmen und sie durch Drohungen und Einschüchterungen dazu bringen konnte, das zu tun, was er wollte. Er war ein Idiot gewesen.

Stephania würde nicht so dumm sein. Sie blickte sich um, bis sie diejenigen ausgemacht hatte, die die wichtigen Informationen haben würden: die Bettler und Prostituierten. Sie ging mit ihrem gestohlenen Gold zu ihnen und fragte ein ums andere Mal die gleiche Frage.

„Erzählt mir etwas über Ulren.“

Sie fragte in den Gassen und sie fragte in den Spielhöllen, wo die Einsätze genauso oft mit Blut wie mit barer Münze beglichen wurden. Sie fragte in Geschäften, die Schals gegen den Staub verkauften und sie fragte dort, wo Diebe sich im Dunkeln trafen.

Sie wählte eine Gaststube und ließ sich nieder. Dann verbreitete sie in der Stadt die Kunde, dass es für diejenigen, die bereit waren, zu reden, bei ihr Gold zu holen gab. Sie kamen und erzählten ihr eine Mischung aus kleinen Anekdoten und Gerüchten, Klatsch und Tratsch und Geheimnissen, die Stephania nur allzu gut einzuordnen wusste.

Es überraschte sie nicht, als zwei Männer und eine Frau an sie herantraten. Sie trugen Gewänder, die sie vor dem Staub schützen sollten. Auf ihnen prangte das Emblem des Zweiten Steins. Sie sahen aus, als wären sie den Anblick von Gewalt gewohnt, auch wenn das auf beinahe jeden hier in Felldust zutraf.

„Du stellst jede Menge Fragen“, sagte die Frau und lehnte sich über den Tisch. Sie war Stephania jetzt so nah, dass sie ihr mühelos ein Messer in den Leib hätte rammen können. So nah, dass man sie auf einem höfischen Ball für lästernde Vertraute hätte halten können.

Stephania grinste. „Das tue ich.“

„Dachtest du, dass dieses Fragenstellen keine Aufmerksamkeit wecken würde? Dass der Erste Stein keine Spione hat, die in den Schatten lauern?“

Daraufhin musste Stephania laut lachen. Glaubten sie, dass sie die Möglichkeit, dass Spione sie beobachteten, nicht in Erwägung gezogen hatte? Sie hatte mehr als nur das getan; sie hatte darauf gesetzt. Sie hatte in der Stadt nach Antworten gesucht, doch in Wahrheit hatte sie nichts mehr gesucht als Aufmerksamkeit. Jeder Trottel konnte zu einem Tor laufen und dort abgewiesen werden. Eine kluge Frau brachte diejenigen, die drinnen saßen dazu, zu ihr zu kommen.

Noch mehr amüsierte Stephania der Gedanke, dass sich niemals nur die Frau in einer romantischen Beziehung auf die Jagd machen sollte.

„Was ist bitte so lustig?“ fragte die Frau. „Bist du verrückt oder einfach nur dumm? Wer bist du überhaupt?“

Stephania zog ihre Kapuze zurück, sodass die andere Frau ihr Gesicht erkennen konnte.

„Ich bin Stephania“, sagte sie. „Einst die Braut des Thronerben des Reichs, des ehemaligen Herrschers des Reichs. Ich habe den Fall von Delos überlebt und Irriens Versuche, mich zu töten. Ich denke, euer Herr wird sicherlich mit mir sprechen wollen, oder?“

Sie stand auf, während die anderen sich anblickten und offenbar zu entscheiden versuchten, was sie nun am besten tun sollten. Dann traf die Frau die Entscheidung.

„Wir bringen sie hin.“

Sie nahmen Stephania zwischen sich, doch sie lief einen Schritt vor ihnen, sodass es eher so aussah, als eskortierten sie eine Adlige und nicht, als würden sie sie gefangen nehmen wollen. Sie streckte sogar ihre Hand aus, um sie sanft auf den Arm der Frau zu legen, so als würde sie mit einer Gefährtin durch einen Garten spazieren.

Sie führten sie durch die Stadt, und da der Staubsturm gerade einmal nicht über die Kliffen blies, setzte Stephania erst gar nicht ihre Kapuze wieder auf. Die Menschen sollten sie sehen, denn sie wusste, dass sie so die Gerüchte über ihre Identität und das, was sie hier vorhatte, in Gang setzen konnte.

Natürlich war es noch immer kein wirklich angenehmer Gang, auch wenn sie es anders aussehen ließ. Sie wurde noch immer von Mördern eskortiert, die sie ohne mit der Wimper zu zucken, ermorden würden, wenn Stephania ihnen Grund dazu gab. Als sie sich einem großen Gebäude im Herzen der Stadt näherten, spürte Stephania einen Knoten im Hals, den sie nur herunterschlucken konnte, indem sie sich entschlossen vergegenwärtigte, warum sie nach Felldust gekommen war. Sie würde sich an Irrien rächen. Sie würde dem Zauberer ihren Sohn wieder entreißen.

Sie führten sie durch ein Gebäude, vorbei an Arbeitssklaven und trainierenden Kriegern, an Statuen, die den jugendlichen Ulren über den Leichen abgeschlachteter Feinde stehend abbildeten. Stephania hatte keinen Zweifel, dass er ein gefährlicher Mann war. Gleich an zweiter Stelle nach Irrien zu stehen, bedeutete, dass er sich seinen Weg an die Spitze eines der gefährlichsten Orte überhaupt erkämpft hatte.

Hier zu verlieren bedeutete zu sterben oder Schlimmeres, doch Stephania hatte nicht vor, zu verlieren. Sie hatte während der Besatzung und auch durch den misslungenen Versuch, Irrien zu kontrollieren, ihre Lektion gelernt. Dieses Mal hatte sie ihm etwas anzubieten. Ulren wollte das gleiche wie sie: Macht und den Tod des Ersten Steins.

Stephania hatte schon von Leuten gehört, die ihre Ehen aus schlimmeren Gründen eingingen.