Kitabı oku: «Über uns die Sterne, zwischen uns die Liebe»
Deutsche Erstausgabe (ePub) August 2020
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2018 by N.R. Walker
Titel der Originalausgabe:
»Galaxies and Oceans«
Published by Arrangement with N.R. Walker
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 2020 by Cursed Verlag
Inh. Julia Schwenk
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,
des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung
durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit
Genehmigung des Verlages.
Bildrechte Umschlagillustration
vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock
Satz & Layout: Cursed Verlag
Covergestaltung: Hannelore Nistor
Druckerei: CPI Deutschland
Lektorat: Jannika Waitl
ISBN-13: 978-3-95823-835-0
Besuchen Sie uns im Internet:
www.cursed-verlag.de
Aus dem Englischen von Susanne Ahrens
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vielen Dank, dass ihr dieses eBook gekauft habt! Damit unterstützt ihr vor allem die Autorin des Buches und zeigt eure Wertschätzung gegenüber ihrer Arbeit. Außerdem schafft ihr dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der Autorin und aus unserem Verlag, mit denen wir euch auch in Zukunft erfreuen möchten.
Vielen Dank!
Euer Cursed-Team
Klappentext:
Ein Buschfeuer ist für Ethan Hosking die einmalige Gelegenheit, seinem gewalttätigen Partner zu entkommen und sein altes Leben hinter sich zu lassen. Als Aubrey Hobbs und nur mit dem Teleskop seines Großvaters im Gepäck verlässt er den verbrannten Wald und flieht in eine kleine Stadt in der entlegensten Ecke von Australien. Dort lernt er den Leuchtturmwärter Patrick Carney kennen, der ein einsames Leben führt und dem nur seine Katze Gesellschaft leistet. Zwischen Aubrey, der die Sterne liebt, und Patrick, der vom Ozean fasziniert ist, entwickelt sich eine ganz besondere Beziehung, denn die beiden Männer verbindet eine schmerzhafte Vergangenheit, die sie niemals ganz losgelassen hat. Doch sind ihre Gefühle füreinander stark genug, um zu überdauern, wenn Aubreys Geheimnis ans Licht kommt?
Mögen uns die Sterne für immer leiten
und möge dieser Leuchtturm uns heimführen.
Kapitel Eins
Ich stand in der Mitte der Hütte, unfähig, etwas zu sagen. Die vergangene Nacht war die bisher schlimmste gewesen und ich fühlte mich orientierungslos, wertlos. Anton stellte eine Tasche voller Einkäufe auf dem Küchentresen ab und vergewisserte sich, dass der Kühlschrank an war, dann kam er zu mir und stellte sich vor mich. Er hob eine Hand an mein Gesicht und ich fuhr instinktiv zusammen, doch dann zwang ich mich zum Stillhalten.
Er strich mir betont eine lange Strähne meines Haars aus dem Gesicht. »Warum ziehst du dich nicht aus und legst dich ins Bett? Ich hole dir ein paar Aspirin.«
Ich tat, wie mir geheißen, und verbiss mir ein Aufstöhnen, als das T-Shirt mein Gesicht streifte.
»Es ist warm hier.« Anton schaltete den Deckenventilator ein, bevor er sich neben mich aufs Bett setzte, die Tabletten und ein Glas Wasser in der Hand. »Hier. Setz dich auf«, sagte er. »Nimm die.«
Ich tat es und er lächelte. Mein Magen verkrampfte sich. »Siehst du? Ich kümmere mich um dich«, murmelte er auf jene widerliche Weise, derer er sich immer bediente, wenn er vorgab, dass es ihm leidtat.
Ich legte mich wieder hin und zog die Decke hoch, obwohl Sommeranfang war. Ich hätte nicht frieren sollen…
»Am Wochenende komme ich zurück, um dich zu holen. Ruh dich aus.«
Ich schwöre, dass ich nicht atmete, bis ich hörte, wie sein Wagen losfuhr. Ich setzte mich auf, machte mit meinem Handy Bilder und speicherte sie wie jedes Mal in meiner Cloud. Inzwischen war es ein mechanischer Vorgang. Ungeachtet des Schmerzes fühlte ich mich taub. Ich schaltete mein Handy aus und warf es ans Bettende, bevor ich mich wieder hinlegte und die Augen schloss.
Ich war wieder allein und war dafür im gleichen Maße dankbar, wie es mich verbitterte.
Ich zog mir die Decken über den Kopf. Erst dann erlaubte ich mir zu weinen.
***
Ich war seit zwei Tagen in der Hütte, als das Feuer ausbrach. Ich wusste nichts davon, weil ich weder den Fernseher noch mein Handy eingeschaltet hatte. Mit meinem linken Auge konnte ich sowieso nichts sehen und das Pulsieren in meinem Kiefer unterhalb meines rechten Ohrs war Grund genug, um mit zugezogenen Vorhängen in Dunkelheit und Stille zu verharren, versteckt vor dem Rest der Welt.
Ich hatte nichts gegessen. Einmal war ich aufgestanden, um mich zu übergeben, nur um wieder unter die Decke zu kriechen und mir ein anderes Leben zu wünschen. Ein anderes Ich. Dann wartete ich darauf, dass der Schlaf mich betäubte.
Ich hatte die Hubschrauber gehört, mir jedoch nicht viel dabei gedacht. Ich dachte überhaupt nicht großartig über irgendetwas nach. Aber am dritten Tag roch ich den Rauch und ging endlich hinaus auf die vordere Veranda, um das Brindabella Mountain Valley zu überblicken. Da sah ich, dass im Nordosten eine Wand aus schwarzem Rauch den Horizont verhüllte.
Oh mein Gott. Der ganze Brindabella National Park muss in Flammen stehen…
Ich rannte wieder hinein und schaltete den Fernseher an. Es war auf jedem Sender.
»Ein gewaltiger Buschbrand vernichtet die Nationalparks westlich von Canberra, zahllose Häuser wurden zerstört, bereits fünf Todesfälle. Experten gehen davon aus, dass uns das Schlimmste noch bevorsteht.«
Heilige Scheiße.
Das Geräusch eines sich nähernden Wagens unten auf der Straße jagte mir einen Schauder über die Haut, denn ich dachte, es wäre Anton, der mich holen wollte. Aus dem Fenster sah ich jedoch einen Streifenwagen der New South Wales Feuerwehr.
Die Sirene heulte und durch einen Lautsprecher wurde verkündet: »Zwangsevakuierung. Brechen Sie sofort auf. Wenden Sie sich nach Süden Richtung Brindabella Valley Road und Snowy Mountains Highway. Nehmen Sie sämtliche Haustiere mit und so viel Wasser, wie Sie tragen können. Ihnen bleibt eine halbe Stunde, bevor Sie sich in der roten Zone befinden. Zwangsevakuierung. Brechen Sie sofort auf. Wenden Sie sich nach Süden…«
Heilige Scheiße. Rote Zone. Eine halbe Stunde.
Angst überfiel mich, lähmte mich. Ich war in Panik und verängstigt; Gefühle, die mir inzwischen zur zweiten Natur geworden waren. Man würde meinen, dass ich mich daran gewöhnt hätte, mich meinem Schicksal ergeben hätte, doch dazu war es nie gekommen. Die Todesangst überfiel mich jedes Mal von Neuem. Aber nun kam eine Wand aus schwarzem Rauch und Feuer direkt auf mich zu. Und ein paar Minuten lang stand ich einfach nur da.
Eine schlichte Erkenntnis überkam mich.
Wenn ich hierblieb, würde alles vorbei sein. Ich könnte auf der Couch sitzen, den Rotwein öffnen, den ich nie anrühren durfte, mein Glas heben und auf das Ende meiner Tage trinken, während das Feuer kam, um mich zu holen.
Es wäre keine allzu schreckliche Art zu sterben. Nicht wirklich. Nein, mein Leben so zu führen, wie ich es tat, war eine schreckliche Art zu sterben. Wenn ich genug Wein trank, würde ich vielleicht das Bewusstsein verlieren, bevor die Flammen mich erreichten. Vielleicht würde mir auch erst der Rauch den Rest geben.
Es war schließlich nicht so, als würde mich irgendjemand ernstlich vermissen. Anton würde mehr um seinen verlorenen Weinkeller mit französischen und gealterten Barossa-Weinen trauern als um mich. Er würde seine Rolle als trauernder Liebhaber und Politiker spielen, der mich für eine Woche der Ruhe und Kreativität auf seinen Ruhesitz in den Bergen gebracht hatte, wie er es so oft tat. Niemand kannte den wahren Grund, warum er mich herbrachte. Niemand kam unangekündigt hier vorbei, um mich grün und blau geschlagen vorzufinden… Oh ja, er würde seine Rolle als trauernder Politiker bestens spielen. Er würde Mitleid einheimsen, natürlich auch die Versicherung für sein Haus, und seine politische Karriere würde durch die Decke gehen. Die Wähler liebten dramatische Geschichten…
Dann brach etwas in meinem Kopf. Es war, als würde eine Eisdecke endlich schmelzen, sich ausdehnen, sich bewegen. Die Angst zerfiel zu etwas anderem. Eine gespenstische, kalte Ruhe überkam mich. Es gab da etwas, von dem mir mein Großvater einmal erzählt hatte…
Zwangsevakuierungen bedeuteten, dass das Feuer nicht unter Kontrolle war. Und in diesen Wäldern hieß das, dass es alles in Grund und Boden brennen würde. Das wiederum bedeutete, dass man angesichts der enormen Hitze wahrscheinlich nicht in der Lage sein würde, etwaige Leichen zu identifizieren.
Ich wusste das noch von den heftigen Buschbränden meiner Kindheit, die ich erschüttert gemeinsam mit meinem Großvater verfolgt hatte. Manchmal konnten sie die menschlichen Überreste überhaupt nicht mehr erkennen. Selbst zahnärztliche Aufzeichnungen waren keine große Hilfe gegen die Macht eines tobenden Buschbrands.
Von daher konnte Anton nur annehmen, dass ich es nicht rausgeschafft hatte.
Ich hatte kein Auto. Ich war allein hier. Ich hatte keine Chance zu entkommen, so viel stimmte. Die Polizei würde es für unwahrscheinlich halten, dass ich fliehen konnte. Es wäre alles sehr tragisch…
Für den Bruchteil einer Sekunde flackerte Hoffnung in meiner Brust auf und zum ersten Mal seit Jahren fühlte ich mich lebendig. Ich band meine Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen, stopfte ein paar Klamotten in einen Rucksack und in die Tasche voller Lebensmittel, die nach wie vor unberührt auf dem Küchentresen stand. Ich packte so viele Flaschen Wasser wie möglich dazu und zog mir ungeachtet der sommerlichen Hitze Jeans und ein langärmeliges T-Shirt an. Ich holte meine Wanderstiefel aus der hintersten Ecke des Schranks und nahm mein Handy vom Nachttisch. Der Akku war beinahe leer. Es wurden weder verpasste Anrufe noch Nachrichten angezeigt. Bestimmt wusste Anton von dem Feuer. Ganz sicher.
Dann überkam mich ein eisiger Gedanke. Was, wenn Anton in wenigen Sekunden draußen vorfahren würde, um mich abzuholen?
Oh Gott. Mir lief wirklich die Zeit davon. Der Gedanke, dass er auftauchen könnte, war schlimmer als das sich nähernde Feuer.
Bemüht, nicht in Panik zu geraten, wählte ich seine Nummer. Er meldete sich nach dem vierten Klingeln. »Ethan«, sagte er glatt. Es klang, als wäre er in seinem Büro.
Erleichterung überfiel mich. »Hier brennt es«, sagte ich flach. »Zwangsevakuierung. Ich muss aufbrechen.«
Er hatte mir einmal gedroht, dass er mich finden würde, sollte ich je versuchen zu verschwinden. Dass es mir leidtun würde…
»Ethan, ich hatte Meetings«, begann er mit einer seiner zahlreichen Entschuldigungen. »Ich habe gerade erst die Nachrichten gesehen. Das Feuer hat die Richtung gewechselt. Du solltest gehen. Bring dich in Sicherheit. Ich werde dich abholen. Wenn du…«
»Ich hasse dich. Ich hasse dich.« Ich klang kalt und ruhig und war überrascht, dass meine Stimme nicht zitterte. Ich wollte ihm das schon seit Jahren sagen. »Ich hasse dich für alles, was du mir angetan hast. Für das, wozu du mich gemacht hast. Ich war stark, bevor ich dich getroffen habe.« Ich konnte nicht einmal weinen, ich hatte keine Tränen übrig. »Und das Schlimmste von allem ist, dass ich es hasse, dass ich dich gelassen habe.«
Schweigen.
Ich holte tief Luft. »Ich werde dem Feuer direkt in die Arme laufen, weil du mich hier allein zurückgelassen hast. Mein Blut klebt an deinen Händen.«
Ich legte auf und überraschte mich selbst, indem ich lächelte, obwohl ich schreien und nach etwas schlagen wollte.
Ich kann es schaffen.
Ich holte so tief Luft, wie meine Lungen es zuließen, und schüttelte jeden verbliebenen Zweifel ab. Ich konnte es schaffen. Ich nahm meinen Rucksack, doch etwas neben dem Herd fiel mir ins Auge. Ein Hydrant und eine Löschdecke.
Ich schnappte mir die folierte Decke und gerade, als ich die Tür erreicht hatte, sah ich es. Mein Teleskop. Es handelte sich um ein altes Broadhurst and Clarkson-Teleskop im Lederkoffer, das meinem Großvater gehört hatte. Ich konnte es unmöglich zurücklassen. Es war das Einzige, was ich noch von dem Mann hatte, der mich großgezogen hatte, und das Einzige in meinem Leben, das irgendeinen Wert besaß. Ich scherte mich um nichts von dem, was ich zurücklassen musste, aber das Teleskop würde ich mitnehmen. Falls ich es raus schaffte.
Mit einem letzten Blick in die Runde verabschiedete ich mich von dem Leben, das ich kannte, und rannte aus der Tür.
Die Wand aus schwarzem Rauch im Osten war riesig, wogte und war näher als noch vor fünf Minuten. Ich folgte der Zufahrt, die sich abgeschieden südlich der Feuerschneise entlangzog und von hohen Eukalyptusbäumen gesäumt wurde. Das ganze Gebiet war dicht bewaldet. Dieser Teil der Welt war für den Film Snowy River berühmt, aber auch dafür, dass erfahrene Wanderer sich verliefen und ums Leben kamen, selbst wenn sie Ausrüstung bei sich gehabt hatten.
Mit diesem Gedanken im Hinterkopf verließ ich die Straße und stolperte ins Unterholz.
Nachdem ich weit genug vorgedrungen war, nahm ich sämtliches Bargeld aus meiner Brieftasche, ließ meinen Führerschein und meine Kreditkarten zurück und stopfte mir die wenigen Fünfzig-Dollar-Scheine in die Tasche. Ich warf die Brieftasche und mein Handy zu Boden und wickelte sie in die Feuerdecke. Wenn alles gut ging, würden sie beim Durchkämmen des verkohlten Landes darauf stoßen und annehmen, dass ich tot war. Obendrein nahm ich meine Armbanduhr ab – ein Geschenk von Anton, nachdem er einmal mehr die Beherrschung verloren hatte – und warf sie neben die Decke.
Und das war's.
Das war alles, was ich tun konnte. Wenn ich hier lebend rauskam, würde ich nicht länger ich sein. Unabhängig davon, ob ich überlebte oder nicht, würde Ethan Hosking hier heute sterben. So Gott wollte, würde ich ein neues Leben erhalten.
Ich hatte keine Zeit zu verschwenden. Schweigend verabschiedete ich mich von allem, was ich je gekannt hatte, und statt zur Straße zurückzulaufen, wandte ich mich nach Südwesten, fort vom Feuer, aber tiefer in den Wald hinein. Ich sorgte dafür, dass ich die Feuerschneise zu meiner Linken immer im Blick hatte. Ein paar Allradfahrzeuge und Feuerwehrzüge rauschten vorbei, doch ich blieb außer Sicht. Wenn das hier funktionieren sollte, musste ich mich unsichtbar machen.
Ich zog immer weiter nach Süden. Ich blieb nie stehen. Das Unterholz war trocken und tot. Der letzte Regen war viel zu lange her und es stellte reinen Zündstoff für das kommende Feuer dar. Selbst für den Frühsommer war das kein gutes Zeichen. Und mit dem Feuer, das sich mir schnell von hinten näherte, setzte endlich die Panik ein.
Ich wollte nicht sterben.
Also rannte ich. Durch die glühende Hitze, mit einem Wall aus Feuer in meinem Rücken, zwischen Büschen und Bäumen. Selbst als es dunkel wurde, lief ich weiter. Ich hatte keine Zeit herumzujammern, weil ich mir an den Bäumen Kratzer zuzog oder wegen meines blauen Auges oder weil mein Kiefer immer noch schmerzte. Ich angelte ein paar Reiscracker und eine Flasche aus meinem Rucksack, aber ich setzte mich kein einziges Mal hin. Ich konnte es mir nicht leisten.
Dies war meine einzige Chance.
Ich kletterte über Felsen, rutschte Uferdämme hinunter, in Büsche hinein und um Bäume herum. Ich zerkratzte und verschrammte mich von Kopf bis Fuß.
Ich wusste nicht, wie weit ich gekommen war oder wie lange ich noch gehen musste. Ich war noch nie südlich der Trail Road unterwegs gewesen. Wenn Anton mich gefahren hatte, hatten wir uns der Hütte immer von Norden genähert. Ich hatte keine Ahnung, wo ich hinlief, aber ich entfernte mich vom Feuer – und von Anton – und das war alles, worauf es ankam.
Mein Wasser war aufgebraucht, auch wenn ich noch etwas Essen hatte, und ich war dankbar für den Vollmond. Ich konnte mir nicht einmal vorstellen, wo ich ohne den Mond gelandet wäre. Verloren und orientierungslos legte ich eine kurze Pause ein.
Was habe ich nur getan? In den Wald zu laufen, war eine dumme, dumme Idee.
So sehr ich mir auch gewünscht hatte, dass dieses Leben endete, wollte ich nicht wirklich sterben. Ich wollte nur, dass mein altes Leben starb. Ich wollte, dass mein Leben mit Anton zu Ende ging. Aber ich wollte leben und etwas jenseits von Panik zerquetschte meine Lungen, als mir bewusst wurde, dass ich in diesem Wald wirklich sterben könnte.
Ich wollte weinen. Ich wollte auf dem Boden zusammenbrechen und in Tränen ausbrechen. Ich zog in Erwägung, aufzugeben. Der Wall orangefarbenen Feuers näherte sich, der Gestank des Rauchs war ätzend und trocken.
Ich versuchte mir vorzustellen, was Opa tun würde. Er würde sich eine Sekunde Zeit nehmen, um sich zu sammeln und Atem zu schöpfen, das würde er tun. Er würde seine Gedanken sortieren und sich einen Plan zurechtlegen. Also tat ich dasselbe.
Der Wald war dunkel und gespenstisch still, als ob die Tiere vom nahenden Feuer gewusst hätten und geflohen wären. Ich sah hinauf zum Himmel und da sah ich es. Wie ein Zeichen meines Großvaters. Er hatte mir die Sterne gezeigt.
Ich erinnerte mich an das, was er mich über ihre Konstellationen gelehrt hatte, und seine Worte kamen mir in den Sinn. »Wenn du dich je verlaufen solltest, such nach dem Kreuz des Südens. Sein Schweif zeigt immer nach Süden.«
Natürlich!
»Danke, Großvater«, flüsterte ich mit frischer Entschlossenheit.
Mit dem Sternbild als Kompass ging ich nach Süden und irgendwann später – ich wusste nicht, wie viel später – stieß ich auf eine Staubstraße. So, wie sie aussah, handelte es sich um eine Feuerschneise, und danach kam ich leichter voran.
Ich hielt mich am Straßenrand und nach einem halben Kilometer entdeckte ich einen kleinen Viehtransporter. Er stand nach Süden gerichtet auf einer alten Zufahrt. Der Motor lief und die Scheinwerfer waren an. Ein Mann – schon älter, mit grauem Haar – stieg aus. Er schloss rasch das Tor, das er eben passiert hatte, und warf einen letzten Blick auf die Schafe in seinem Transporter.
»Einen Moment, Mädels. Ich brauche nur einen schnellen Boxenstopp, dann schaffen wir euch alle in Sicherheit«, sagte er, während er den Lastwagen umrundete, zur gegenüberliegenden Baumreihe schritt und pinkelte.
Ich erkannte meine einzige Chance auf eine Mitfahrgelegenheit aus dem Wald heraus. Ich schlich mich so leise wie möglich an den Wagen heran und kletterte auf die Ladefläche. Die Schafe blökten und der Mann antwortete mit: »Schon gut, schon gut, ich bin fertig.«
Ich glitt zwischen die Herde, duckte mich und hielt den Atem an, gerade rechtzeitig, bevor der Mann wieder in die Fahrerkabine stieg. Der alte Motor erwachte hustend zum Leben und ich lachte beinahe auf, als wir losfuhren. Ich lag in Schafscheiße, wurde getreten, geschubst und angeblökt, aber ich war in Sicherheit.
Der Ausblick nach hinten zeigte glühenden Bernstein in der Dunkelheit und erst da begriff ich, wie nah das Feuer war. Ich drückte meinen Rucksack an meine Brust, ignorierte den Gestank und die Schubserei der Schafe und konnte kaum glauben, dass ich es geschafft hatte. Eine frische Woge der Tränen überfiel mich, dieses Mal vor Erleichterung.
Ich war frei.
***
Ich versuchte, mir mein Zeitgefühl zu bewahren, aber ich hatte Schwierigkeiten, die Augen offen zu halten. Der laute Motor und das Wanken des Wagens wiegten mich in den Schlaf, doch jedes Mal, wenn ich einnickte, schreckte mich ein Schlagloch wieder auf, und dafür war ich dankbar. Ich konnte es mir nicht leisten, einzuschlafen und entdeckt zu werden. Irgendwann bogen wir auf den Snowy Highway ein und anhand der Verkehrsschilder, die wir passierten, schloss ich, dass wir uns Cooma näherten.
Gut. Kleinstädte kamen mir entgegen.
Sobald wir die Stadt erreichten, steuerte der Transporter die erste Tankstelle an. Es handelte sich um eine kleine Tankstelle mit nur zwei Zapfsäulen, und sobald der Fahrer drinnen verschwunden war, kletterte ich raus, nahm mir meinen Rucksack und ging den Bürgersteig entlang. Zum Glück kamen keine Autos an mir vorbei und Straßenlaternen gab es nur an jeder zweiten Ecke.
Ich fand einen kleinen Kiosk und kaufte frisches Wasser und eine Schere. Der Mann hinter dem Tresen war zu sehr damit beschäftigt, einem Jugendlichen zuzuschreien, wie man die Regale richtig auffüllte, sodass er nicht auf meinen Zustand achtete. Mein nächster Halt waren die öffentlichen Toiletten im Park, wo ich mich an dem kleinen Waschbecken und im mageren Deckenlicht so gut wie möglich zurechtmachte. Ich wusch mir wegen meines Auges vorsichtig das Gesicht. Meine Hände brannten und erst jetzt bemerkte ich die Kratzer und die Schnitte.
Doch ich musste Ethan richtig verschwinden lassen. Also öffnete ich meinen Pferdeschwanz und verpasste mir selbst einen Haarschnitt. Ich hatte es in Filmen immer für albern gehalten, wenn sich jemand die Haare abschnitt, um nicht erkannt zu werden, aber ich war für meine langen Haare bekannt. Auf allen öffentlichen Fotos mit Anton war mein langes, lockiges Haar das Erste, was den Leuten ins Auge fiel. Also setzte ich die Schere an und säbelte es kaum einen Zentimeter über der Kopfhaut ab. Es war absurd und surreal, gleich alles abzuschneiden, und ich erkannte mich im Spiegel kaum wieder.
Natürlich konnte ich meinen Hinterkopf nicht sehen und musste mich auf mein Gefühl verlassen. Es war bestenfalls ein ziemliches Gehäcksel, aber letztendlich war mir das egal.
Ich wickelte meine abgeschnittenen Haare in eine Plastiktüte und entsorgte sie in einem öffentlichen Mülleimer, versteckt unter Fastfood-Verpackungen, dann betrat ich das kleinste und elendste Motel, das ich finden konnte. Alles, was ich wollte, war, zu duschen und zu schlafen. Der Empfang war abgesehen von einem kleinen Fernseher an der Wand leer und natürlich liefen die Nachrichten.
»Der Buschbrand westlich von Canberra, bestehend aus einer Feuerwalze von fünfzig Kilometern Breite und mit einer Höhe von sechzig Metern, hat sich durch den Brindabella Nationalpark gefressen und nichts als Zerstörung zurückgelassen. Laut offiziellen Zahlen gibt es bisher siebzehn Tote, aber da noch Dutzende Personen vermisst werden, gehen Experten davon aus, dass die Opferzahlen noch steigen werden. Ein kürzlich erfolgter Windwechsel hat den Snowy Mountains National Park verschont und der für morgen vorhergesagte Regen wird einiges an Erleichterung bringen. Erst dann werden die Rettungskräfte in der Lage sein, das Gebiet zu betreten, und mit der grausigen Aufgabe beginnen können, die Opfer zu bergen.«
Wenn das Feuer bis zum Snowy Mountains National Park gelangt war, war Antons Hütte mit großer Sicherheit Geschichte. Ich erwartete meinen Namen, Ethan Hosking, unter den Vermissten zu hören, gefolgt von einem aufgebracht tuenden Anton, Canberras einzigem offen schwulen Politiker, der den Verlust seines langjährigen Freundes beklagte… Aber glücklicherweise kam es nicht dazu.
Eine Dame mit hartem, tief gefurchtem Gesicht erschien in der Mitarbeitertür. Sie warf keinen zweiten Blick auf mein blaues Auge. »Was kann ich für dich tun?«
»Ich brauche ein Zimmer.«
»Klar. Das macht vierzig Dollar, egal, ob du eine Stunde oder über Nacht bleibst. Karte oder bar?«
»Ehm. Bar.« Ich zog die gefalteten Scheine aus meiner Tasche und reichte ihr einen Fünfziger.
»Wie ist dein Name, Süßer?«
Mein Name.
Himmel. Wie lautete mein Name? Ethan Hosking lag mir auf der Zunge, aber er war im Grunde genommen tot. Ich beäugte den Fernseher, auf dem die Zahl der Toten auf dem Banner unter dem prasselnden Feuern angezeigt wurde.
Mein nächster Gedanke galt dem einzigen Menschen, für den ich getötet hätte, damit er weiterhin Teil meines Lebens blieb. Mein Großvater. Und irgendwie erschien es mir passend.
»Mein Name ist Aubrey Hobbs.«