Kitabı oku: «Sprache und Partizipation im Schulfeld (E-Book)», sayfa 4

Yazı tipi:

«Im normalen Leben funktioniert das auch nicht» – Rekonstruktionen des kollektiven Verständnisses von Schülerinnen- und Schülerpartizipation

Julia Häbig/Enikö Zala-Mezö/Daniela Müller-Kuhn/Nina-Cathrin Strauss

1Einleitung

Schülerinnen und Schüler sollen über das Schul- und Unterrichtsgeschehen mitbestimmen können. Dieses Postulat nach Partizipation gründet auf verschiedenen Hintergründen: Seit der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention ist Partizipation von Schülerinnen und Schülern in vielen Schulgesetzen verankert, um grundlegende Rechte von Kindern und Jugendlichen zu stärken. Im Zürcher Volksschulgesetz beispielsweise ist formuliert, dass sie an «sie betreffenden Entscheiden beteiligt [werden]» (Kantonsrat des Kantons Zürich 2005; §50, Absatz 3 Volksschulgesetz). Befunde aus der Lehr-Lernforschung zu Partizipation zeigen, dass es sich förderlich auf die Motivation der Lernenden auswirken kann, wenn ihnen Mitbestimmungsmöglichkeiten eingeräumt werden (Deci/Ryan 1993; Thurn 2014). Partizipation kann dabei insbesondere dazu beitragen, dass sich die Lernenden stärker für ihr Lernen verantwortlich fühlen und sie kann sich positiv auf ihr Engagement auswirken (Howley/Tannehill 2014). Es werden auch positive Zusammenhänge zwischen dem Ausmaß an Partizipation und dem Wohlbefinden hergestellt (Anderson et al. 2016). Werden die Lernenden ernst genommen und erleben sich als wirksam, stärkt dies ihr Wohlbefinden. Ein weiteres Resultat partizipativen Arbeitens in Schulen kann ein verbessertes Verhältnis zwischen Lernenden und Lehrpersonen sein (Helsper/Böhm-Kasper/Sandring 2006). Und nicht zuletzt wird Partizipation in der Schule innerhalb demokratischer Ordnungen als wichtiges Merkmal in der Erziehung zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern gesehen (DeCesare 2014; Kessel 2015; Hawley/Hostetler/Mooney 2016). Es gibt folglich viele Argumente, Partizipation in der Schule umzusetzen. Die Forderung nach Partizipation stellt Schulen zugleich vor große Herausforderungen, da mit ihr der Ruf nach einer neuen Machtverteilung innerhalb der Schule laut wird, was an bewährten Strukturen und alten Grundpfeilern schulischer Kultur rüttelt.

Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt «Partizipation stärken – Schule entwickeln (PasSe)» machen deutlich, dass Lehrpersonen Partizipation von Schülerinnen und Schülern für sich äußerst unterschiedlich auslegen (Strauss et al. 2017; Zala-Mezö/Strauss/Häbig 2018; Müller-Kuhn/Häbig/Strauss 2016). Die jeweiligen Verständnisse sind Grundlage für das Handeln der Lehrenden und können sich einschränkend oder fördernd auf die Umsetzung von Partizipation auswirken.

Im vorliegenden Beitrag werden Gruppendiskussionen von Lehrpersonen aus dem PasSe-Projekt analysiert, wobei die Individualebene einzelner Lehrpersonen verlassen und stattdessen die in Schulen vorherrschenden kollektiven Orientierungen untersucht werden. In Form von Gruppendiskussionen wurde ein Austausch über das Thema Schülerinnen- und Schülerpartizipation angeregt. Die Auswertungen der Diskussionen geben Aufschluss darüber, wie sich bestimmte Orientierungsrahmen in einer Gruppe durchsetzen und was dies über das kollektive Verständnis bezüglich Partizipation aussagt. Die Anwendung der dokumentarischen Methode gewährt dabei Einsicht in konjunktive Erfahrungsräume, die jenseits des zunächst offensichtlichen Wortsinnes liegen. Bevor die Ergebnisse dieser Auswertungen vorgestellt werden, wird zunächst der Begriff Partizipation vertieft und es wird genauer erläutert, wie methodisch vorgegangen wurde, um die Handlungspraxis an Schulen bezüglich der Schülerinnen- und Schülerpartizipation zu beleuchten.

2Partizipation – was kann darunter verstanden werden und wie lässt sie sich erforschen?

Partizipation ist ein vielverwendeter Begriff, der nicht zuletzt aufgrund seiner vielen Synonyme wie Teilhabe, Teilnahme, Mitsprache usw. einerseits sehr anschaulich ist, andererseits eine Bandbreite an Ausprägungen erfahren hat. Um ihn für analytische Zwecke einzugrenzen, bieten sich drei Fragen an: 1. Partizipation welcher Personen(gruppen)? 2. Partizipation in welchem Kontext? und 3. Partizipation in welcher Form? Im vorgestellten Projekt bezieht sich Partizipation auf die Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Dabei geht es im vorliegenden Fall um den schulischen Kontext (weitere denkbare und häufig mit dem Begriff assoziierte Kontexte sind: Politik und Gesellschaft). Die dritte Frage hingegen lässt sich allerdings nicht mehr ganz so einfach beantworten, sondern ist vielmehr Forschungsfrage an sich: In welcher Form findet Partizipation statt? Denkbar sind hier Kategorien wie formale Partizipation (beispielsweise über den Klassenrat) versus eher informelle Partizipation (indem spontan Anliegen im Unterricht berücksichtigt werden). Unabhängig von der Form kommt es im Einzelnen auch auf den Grad der Partizipation an. Bevor näher darauf eingegangen wird, wie Partizipation in ihren verschiedenen Ausprägungsformen zum Gegenstand der Analyse gemacht wird, soll kurz auf den Begriff und seine Hintergründe eingegangen werden.

2.1 Zum Begriff Partizipation

Es gibt keine einheitliche Definition von Partizipation, sondern zahlreiche Auffassungen und Modelle. Zu den bekanntesten zählen die Ansätze von Biedermann und Oser sowie auch von Hart, die Partizipation in verschiedene Abstufungen unterteilen (von «Pseudopartizipation» bis zur «vollkommenen Partizipation»; Oser/Biedermann 2006, 27 ff.; beziehungsweise von «manipulation» zu «child initiated decisions» in der Hart’schen Leiter; Hart 1992, 8; und verbildlicht als Weg bei Shier 2001). Einige zentrale Merkmale lassen sich in praktisch allen Ansätzen finden. So wird Partizipation als ein Kontinuum oder Spektrum dargestellt und nicht als binäre Kategorie: Partizipation kann in geringem Maß oder sehr ausgeprägt vorhanden sein oder sich auch dazwischen verorten. Weiter geht es um eine Reduktion von Machtunterschieden zwischen zunächst ungleich positionierten Beteiligten. Dies findet sich beispielsweise in der Definition von Biedermann wieder, in der eine «klar definierte – möglichst ausgeglichene – Machtverteilung auf alle» (Biedermann 2006, 116) als Merkmal von Partizipation genannt wird. Gerade im schulischen Kontext ist es eine Herausforderung, eine solche Verteilung der Macht zu gewährleisten, denn es herrscht hier per se eine Ungleichheit zwischen Lehrenden und Lernenden, was Helsper als Machtantinomie bezeichnet (Helsper 2004). Eine Möglichkeit, mit dieser Herausforderung umzugehen, ist, die Machtdynamik zwischen Lernenden und Lehrenden sichtbar und bewusst zu machen (Cook-Sather 2018).

Ein weiterer Aspekt von Partizipation besteht darin, dass es um Aushandlungsprozesse zwischen verschiedenen Beteiligten geht. Lehrpersonen sowie Schülerinnen und Schüler vertreten unterschiedliche Interessen und haben unterschiedliche Wünsche und Bedürfnisse, die im Fall eines partizipativen Arbeitens berücksichtigt werden müssen. Der Partizipation wohnt folglich die Idee von Gegenseitigkeit inne, es geht darum, andere zu berücksichtigen und dafür braucht es Aktivitäten von allen Seiten. Dies lässt sich gut veranschaulichen, wenn man den Begriff Partizipation auf seine lateinische Wurzel zurückführt (pars = Teil; capere = ergreifen, (er)fassen, nehmen). Die Möglichkeit, an etwas Teil haben zu können, setzt voraus, dass jemand etwas abgibt, und zugleich bedarf es einer aktiven Handlung des ‹Teil-Nehmens›. Zieht man dieses Bild der wortwörtlichen Teil-Nahme heran, liegt auf der Hand, dass Partizipation mehrere Beteiligte betrifft und folglich auch viel mit Beziehungen untereinander zu tun hat.

Für den Bereich der Schule, in dem sich Partizipation seit der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention (Unicef 1989) oft als direkte Forderung in den Schulgesetzen niedergeschlagen hat, formuliert Lundy (2007) einen hilfreichen Ansatz. Sie differenziert die vier Bereiche «space», «voice», «audience» und «influence» und hebt damit hervor, dass die Kinder und Jugendlichen Unterstützung benötigen, um Partizipation leben zu können: Schülerinnen und Schüler sollen Raum bekommen, ihre Meinung mitzuteilen (space). Sie müssen dabei unterstützt werden, ihre Meinung zu bilden und zu äußern (voice). Ihre Meinung muss angehört (audience) und schließlich auch berücksichtigt werden (influence).

In den Qualitätsstandards für Beteiligung des deutschen Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wird dieses Verständnis von Partizipation, dort als «Beteiligung» bezeichnet, folgendermaßen auf den Punkt gebracht: «Beteiligung zielt darauf ab, Entscheidungsräume für junge Menschen zu öffnen und damit vonseiten der Erwachsenen Macht abzugeben. Eine Verschiebung von Entscheidungsmacht zugunsten der Kinder und Jugendlichen ist ein wesentlicher Bestandteil von ernst gemeinter Partizipation» (Banneyer et al. 2015, 7).

2.2 Das Forschungsprojekt PasSe

Im Forschungsprojekt «Partizipation stärken – Schule entwickeln (PasSe)»5 werden in einem Zeitraum von drei Jahren insgesamt fünf Schulen – von der Primarstufe bis zur Sekundarstufe eins – im Kanton Zürich untersucht, um herauszufinden, wie sie Partizipation von Schülerinnen und Schülern umsetzen. Drei Forschungsfragen stehen im Zentrum: 1. Welche Formen von Partizipation lassen sich an Schulen finden? 2. Welches Verständnis von Partizipation lässt sich rekonstruieren? 3. Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Schulentwicklung und der Arbeit an der Umsetzung von Partizipation?

Um diese Fragen zu beantworten, kommt ein komplexes Mixed-Methods-Design zum Einsatz, bei dem in zwei Erhebungszeiträumen unterschiedliches Datenmaterial qualitativer und quantitativer Art erhoben wird. Unter anderem werden Gruppendiskussionen mit Lehrpersonen und weitere mit Schülerinnen und Schülern zum Thema Partizipation von Schülerinnen und Schülern durchgeführt.

Ausgewählte Ausschnitte der Gruppendiskussionen bilden die Grundlage, um der Frage nachzugehen, welches Verständnis von Schülerinnen- und Schülerpartizipation sich bei den Lehrpersonen zeigt – oder, um mit den Begriffen der dokumentarischen Methode zu sprechen: Welche kollektiven Orientierungen zu Partizipation von Schülerinnen und Schülern lassen sich aus Gruppendiskussionen mit Lehrpersonenteams rekonstruieren? Damit wird untersucht, wie sich mithilfe der mündlichen Kommunikation ein gemeinsames Verständnis von Partizipation in Interaktionsprozessen herausbildet, das auch leitend für die schulische Handlungspraxis ist.

3Methodik

Das hier vorgestellte Datenmaterial stammt aus Gruppendiskussionen mit Lehrpersonen, die im Rahmen des PasSe-Projekts im ersten Erhebungszeitraum 2016 durchgeführt wurden. Da es in PasSe vor allem auch darum geht, das am jeweiligen Schulstandort herrschende Verständnis und die jeweilige Handlungspraxis abzubilden, rückt die Einzelschule in den Fokus der Analyse, denn so lassen sich nicht zuletzt auch Aussagen bezüglich der Schulentwicklungskapazität treffen.

Gemäß des sozial-konstruktionistischen Forschungsansatzes (Cunliffe 2008) wird davon ausgegangen, dass die Art und Weise, wie über bestimmte Themen oder Phänomene gesprochen wird, prägend für Handlungspraktiken innerhalb von Organisationen ist. Mit den Worten Cunliffes ist es das Ziel zu verstehen, «how our assumptions and use of words impact organizational practices and therefore the social realities and identities of others» (Cunliffe 2008, 136). Anhand von Gruppendiskussionen lässt sich dies gut nachvollziehen, wobei die dokumentarische Methode mit ihrem sequenzanalytischen Vorgehen das passende Auswertungsinstrument darstellt, wie im Folgenden erläutert wird.

3.1 Gruppendiskussionen – kollektive Orientierungen sichtbar machen

Das qualitative Verfahren der Gruppendiskussion eignet sich, um sogenannte «kollektive Orientierungen beziehungsweise kollektives Wissen» einer Gruppe offenzulegen (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014, 92). Die Idee der Kollektivität geht auf Mannheim zurück, der den Begriff des «konjunktiven Erfahrungsraums» prägt (Mannheim 1980). Darunter wird ein Erfahrungsraum verstanden, der «diejenigen [verbindet], die an den in ihm gegebenen Wissens- und Bedeutungsstrukturen teilhaben» (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014, 91), also beispielsweise Lehrpersonen einer Schule. In Gruppendiskussionen kommen «kollektive Wissensbestände und kollektive Strukturen – die sich auf der Basis von existenziellen, erlebnismäßigen Gemeinsamkeiten in konjunktiven Erfahrungsräumen bereits gebildet haben – zur Artikulation» (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014, 92). Im vorliegenden Fall wird anhand der Gruppendiskussionen das Sprechen über Partizipation untersucht. Es wird davon ausgegangen, dass die Aushandlung einer gemeinsamen Position Rückschlüsse auf die Handlungspraxis zulässt und wesentliche Voraussetzung für die Partizipationskultur einer Schule ist.

Die Diskussionen sind dabei so zu gestalten, dass den teilnehmenden Personen genügend Raum gegeben wird, sich im gemeinsamen Gespräch zu selbst gewählten Subthemen auszutauschen. Eine moderierende Person ist zwar anwesend, sollte sich aber möglichst zurückhalten, da es um die Eigendynamik geht, die sich im Gespräch entwickelt: «Kollektive Orientierungen beziehungsweise kollektives Wissen lassen sich nur auf der Basis der wechselseitigen Bezugnahmen der Teilnehmerinnen analysieren. Dazu muss eine gewisse Selbstläufigkeit der Diskussion gegeben sein; die Teilnehmerinnen müssen zumindest phasenweise ohne Eingriffe der Forscher miteinander sprechen können» (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014, 92). Zur Selbstläufigkeit gehört auch, dass die moderierende Person nicht alle Teilnehmenden nach ihrer Meinung fragt, deshalb kann es vorkommen, dass Unregelmäßigkeiten bei den Anteilen am Gespräch entstehen. Das Schweigen von Teilnehmenden kann unterschiedlich gedeutet werden: entweder teilt die Person die in der Gruppe hervorgehobene Orientierung und ihre Beiträge erübrigen sich, oder sie vertritt einen ganz anderen Orientierungsrahmen, wodurch sie keinen Anknüpfungspunkt zur Gruppe findet (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014). Solche Auffälligkeiten können erklärt werden und in die Interpretation einfließen.

Um das Gespräch anzustoßen, wird ein Gesprächsstimulus vorgegeben, der sich im vorliegenden Fall auf Partizipation von Schülerinnen und Schülern bezog:

«Partizipation von Schülerinnen und Schülern, Teilnahme, Teilhabe, Mitbestimmung, Mitentscheidung von Schülerinnen und Schülern, das sind Begriffe, die wir heutzutage sehr häufig hören und nutzen. Mich interessiert, wie Sie mit diesen Themen, mit diesen Begriffen in Ihrer Schule umgehen. Bitte denken Sie daran, ich kenne Ihre Schule kaum. Ihre Beschreibungen, Beispiele und Meinungen sind für mich sehr wichtig. Sie sind Expertinnen und Experten, sie sind ja fast jeden Tag an der Schule tätig. Wie funktioniert Partizipation in Ihrer Schule? Was bedeutet Schülerinnen- und Schülerpartizipation?»

Im Projekt PasSe wurden an den Schulen gesondert Gruppendiskussionen mit Lehrpersonen und mit Schülerinnen und Schülern durchgeführt. Für diesen Beitrag werden ausgewählte Gruppendiskussionen mit Lehrpersonen zum ersten Erhebungszeitraum herangezogen. An den Diskussionen nahmen jeweils zwischen vier und neun Lehrpersonen teil, darunter auch solche, die im Zusammenhang mit der Organisation von Partizipation an der Schule eine besondere Rolle innehaben, beispielsweise in einer Projektgruppe. Jeweils ein Mitglied des Forschungsteams moderierte die Diskussion, wobei der Gesprächsstimulus immer der gleiche war und die Moderatorin nur eingriff, wenn die Diskussion ins Stocken geriet.

3.2 Dokumentarische Methode – der Blick hinter den immanenten Wortsinn

Für die Auswertung wird die dokumentarische Methode verwendet, die sich besonders zur Analyse von Gruppendiskussionen eignet (Bohnsack 1989). Sie dient «der Rekonstruktion der praktischen Erfahrungen von Einzelpersonen und Gruppen, in Milieus und Organisationen, gibt Aufschluss über die Handlungsorientierungen, die sich in der jeweiligen Praxis dokumentieren, und eröffnet somit einen Zugang zur Handlungspraxis» (Nohl 2009, 8).

Die dokumentarische Methode gehört zu den sequenzanalytischen Verfahren. Die Dynamik, die sich im Laufe einer Gruppendiskussion entwickelt, die weitgehend ohne Eingriffe von außen stattfindet, ist von großer Aussagekraft. Przyborski und Wohlrab-Sahr betonen die Bedeutung der «Dramaturgie des Diskurses», denn die Teilnehmenden müssten «quasi erst herausfinden, ob und wo gemeinsame Erfahrungen gegeben sind» (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014, 92).

Bei der Analyse der aufeinanderfolgenden Äußerungen ist es wichtig, wie sich die sogenannten «Diskursbewegungen» zueinander verhalten. So kann ein aufgeworfener Inhalt, eine Proposition, von weiteren Gesprächsteilnehmenden beispielsweise elaboriert, mit einer Antithese widerlegt oder in einer Konklusion zum gemeinsamen Abschluss des Gedankens gebracht werden. Die dokumentarische Methode fragt dabei, im Gegensatz zu kategorisierenden Auswertungsverfahren, nicht nach dem «Was», sondern nach dem «Wie» (Bohnsack/Nentwig-Gesemann/ Nohl 2013, 13). Ziel der Methode ist es, Orientierungsrahmen, das heißt diejenigen Rahmen herauszuarbeiten, in denen sich das konjunktive Wissen der Teilnehmenden abbildet. Bohnsack, Nentwig-Gesemann und Nohl (2013) unterscheiden zwischen kommunikativem und konjunktivem Wissen (in Anlehnung an den Begriff des konjunktiven Erfahrungsraums bei Mannheim). Als kommunikatives Wissen werden die gesellschaftlich allgemeingültigen Wissensbestände bezeichnet, es bezieht sich auf den wörtlichen Sinngehalt. Unter konjunktivem Wissen wird das vorreflexive Erfahrungswissen verstanden, das milieuspezifisch und metaphorisch ist. Es erschließt sich «nur dann, wenn wir uns (auf dem Wege von Erzählungen und Beschreibungen oder auch der direkten Beobachtung) mit der Handlungspraxis vertraut gemacht haben» (Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2013, 15). Hierfür eignet sich die dokumentarische Methode besonders.

Von erheblicher Bedeutung für die Auswertung mit der dokumentarischen Methode sind Eingangssequenzen in Gruppendiskussionen sowie Sequenzen, die – interaktiv und/oder metaphorisch – sehr ‹dicht› gestaltet sind, das heißt viele Sprecher- und Sprecherinnenwechsel und/oder starke Metaphern enthalten. Die hier gewählten Auszüge stammen mitten aus den Diskussionen und fallen durch ihre Dichte auf sowie durch die Tatsache, dass sie die Orientierungsrahmen (die Rahmen, in denen ein Thema bearbeitet und eingebettet wird), die bereits in der Eingangssequenz entworfen wurden, bestätigen.

4Ergebnisse: äußere Strukturen einerseits, Merkmale der Schülerinnen und Schüler andererseits als Hindernisse für Partizipation

Es werden nun zwei Beispiele vorgestellt, die illustrieren, wie in zwei unterschiedlichen Lehrpersonenteams über Partizipation gesprochen wird und welche kollektiven Orientierungen daraus ersichtlich werden. Die Beispiele haben gemein, dass Partizipation als schwer umsetzbar angesehen wird, was allerdings nicht repräsentativ für alle untersuchten Schulen im Projekt ist. Die Beispiele unterscheiden sich darin, wie dies begründet wird: Im ersten Fall werden äußere Strukturen, die für die Schule – aber auch darüber hinaus – gelten, als Hindernisse aufgeführt. Im zweiten Fall wird mit den Merkmalen der Schülerinnen und Schüler argumentiert, die in den Augen des Lehrpersonenteams Partizipation erschweren.

4.1 «Aufzeigen […], dass das im normalen Leben auch nicht funktioniert»

Das erste Beispiel ist ein Ausschnitt aus einer Gruppendiskussion mit acht Lehrpersonen. Es wurde ausgewählt, weil durch den Vergleich von einer Lehrperson mit einem Piloten eine starke Metapher verwendet wird.

Peter: Ich glaube, das ist ja (2) ich sträube mich dagegen, auch (.) das zu hören, ob, die Schüler dürfen nicht äh mitbestimmen, aber wir [Lehrpersonen] sind, wir sind auf anderen Ebenen. Wir haben einen anderen Auftrag zu erfüllen. Und genauso der Schüler, oder. Ich kann auch nicht, wenn ich irgend, nach Nairobi fliege, sage «jetzt möcht i gern im Cockpit sitze und au ä chli mitspräche, oder», sondern ich fühl mich schon als Pilot und sage (eigentlich) so: In diese Richtung fliegen wir, oder. Also du kannst nicht (.) alle Rechte (.) haben, die du dir wünschst. Und die Schüler haben andere Bedürfnisse, oder. Eben es ist in einem (.) gesunden Maß, wie es möglich ist aus der Sicht von unserem Berufsauftrag, oder, den wir zu erfüllen haben.

Peter betont, dass er grundsätzlich nicht findet, Schülerinnen und Schüler sollten nicht mitbestimmen dürfen, bringt aber in Sachen Partizipation dennoch eine klare Ambivalenz zum Ausdruck. Er hebt hervor, an die Sinnhaftigkeit von Partizipationsmöglichkeiten zu glauben, aber mit Einschränkungen. Schülerinnen und Schüler und Lehrpersonen sieht er auf verschiedenen Ebenen, dabei gibt es eine klare Ordnung, in der jeder seinen «Auftrag» zu erfüllen hat. Die Flugzeug-Metapher illustriert diese Ordnung und die unterschiedlichen Aufträge. Der Vergleich wird doppelt genutzt: Als abgrenzendes Negativbeispiel, wie es nicht sein kann, und zugleich als Definition der eigenen Rolle: Die Lehrperson ist in der Schule der Pilot, der die Richtung vorgibt. Die Schülerinnen und Schüler sind die Passagiere, die mitgenommen werden, aber kein Recht haben, in bestimmten Bereichen mitzureden. Mit dieser Rollenzuteilung wird eine Ungleichheit zwischen Piloten und Passagieren beziehungsweise Lehrperson und Schülerinnen und Schülern hergestellt. Zur Verdeutlichung seines Standpunktes versetzt sich Peter auch in die Position eines Passagiers, um daran deutlich zu machen, dass Schülerinnen und Schüler – vergleichbar mit Flugpassagieren – keine Mitsprache beanspruchen können. Mithilfe der Metapher wird eine Gesetzmäßigkeit behauptet: Auch wenn er wollte, kann beziehungsweise darf Peter die Schülerinnen und Schüler nicht mitentscheiden lassen. Die Assoziation, dass ein Unglück eintritt, wenn ein Pilot die Passagiere mitbestimmen lässt, liegt nahe. Übertragen auf den Schulkontext heißt das, den Schülerinnen und Schülern Mitentscheidungsrechte einzuräumen, kann gefährliche Konsequenzen haben. Der Wunsch mitzuentscheiden wird dadurch ins Lächerliche gezogen, Peter bezieht ihn dennoch in seine Überlegungen mit ein.

Mitsprache sollte nur «in einem gesunden Maß» zugelassen werden. Dies ist Peters Meinung nach dann gewährleistet, wenn die Lehrperson ihren Berufsauftrag erfüllen kann, indem die Schülerschaft die Rolle des Passagiers übernimmt, die sich die Fähigkeit, mitreden zu können, nicht anmaßt. Peter argumentiert mit den zugeteilten Rollen und Funktionen, die gesetzmäßig bestimmt und nicht veränderbar sind. Das starke Bild, das er wählt, scheint es den Teilnehmenden schwer zu machen, ihm zu widersprechen. Darauf reagiert eine weitere Person und führt die Argumentation fort.

Silvan: Also, ich find das dann immer schon spannend, dass man das irgendwie auch aufzeigen kann, dass das im normalen Leben auch nicht funktioniert. Dass wir auch an Gesetze gebunden sind. Ich kann zwar eine Initiative starten. Ich darf jetzt (.) die Ampel ab-(.)schaffen, ich fahr über Rot. Wenn die Mehrheit entscheidet, nein, nein, muss ich mich fügen. Geht nicht, oder. Ich kann auch nicht alles ändern. Ich kann jetzt auch nicht sagen, ich möcht jetzt hier, irgendwie, weiß auch nicht, Sozialismus einführen. Also (2) ja können wir mal pr-, äh ja, aber es gibt ja dann auch so Grenzen, oder. Aber angehört werden, aber ich kann ja auch nicht zum Beispiel als Normalbürger jetzt (.) im Nationalrat ein- und auslaufen und meine Meinung kundtun. Das geht nicht, oder. Also da sind ja auch Grenzen gesetzt. […] Also ich bin der Pilot und ich muss, ich habe auch die Verantwortung. Ich glaub das ist der wichtige Punkt. Wir haben ja auch die Verantwortung für diese Klasse. Also wenn wir da alle mitbestimmen lassen würden, dann


Silvan gelangt zu der Schlussfolgerung, dass sich im «normalen Leben» auch nicht jeder Wunsch erfüllen lässt. Damit setzt er indirekt Partizipation mit Wunscherfüllung gleich und macht zugleich deutlich, dass Schule für ihn nicht das normale Leben darstellt. Mit dem «wir» meint er die Erwachsenen, die sich an vorgegebene Strukturen halten müssen. In basisdemokratischen Strukturen, wie im Beispiel, muss man sich der Mehrheit fügen und nicht alle Anliegen sind realistisch.

Silvans Formulierungen sind negativ und absolut («geht nicht», «ich kann auch nicht alles ändern», «Grenzen») und er wählt extreme Beispiele («Ampel abschaffen», «Sozialismus einführen»). Er greift die Flugzeug-Metapher von Peter auf und äußert sich somit auch über die Schule, in der er der Pilot ist und Verantwortung besitzt. Den letzten Satz schließt er nicht ab, aber es ist zu vermuten, dass er negative Konsequenzen fürchtet, wenn er von der bestehenden Ordnung abweicht und die Schülerinnen und Schüler «alle mitbestimmen lassen würde». Seine Formulierung ist wieder absolut («es geht nicht»).

André unterbricht ihn und widerspricht: Für ihn ist Partizipation kein Wunschkonzert. Dieser Einwand bedeutet, dass er es so aus den Ausführungen Silvans zuvor herausgehört hat. Wäre Partizipation gleichbedeutend mit einem Wunschkonzert, würde sie nicht funktionieren, aber durch sein weiteres Verständnis von Partizipation ergibt sich Handlungsspielraum. Die Formulierung «dann würde es nicht funktionieren» kann als Hinweis dafür verstanden werden, dass in seinem Verständnis Partizipation an der Schule durchaus realisierbar ist, ohne dass man im Detail erfährt wie.

Im Folgenden konstruieren André und Silvan die Sätze gemeinsam, obwohl sie unterschiedliche Positionen vertreten. André lässt zu, dass Silvan dominiert, möglicherweise sogar Andrés Aussagen umdreht. André widerspricht Silvan nicht, was ein Hinweis auf die Gesprächskultur in der Gruppe ist. Es bleibt offen, ob sich André nicht mehr beteiligt, weil er sich von Silvan überzeugen lässt, oder einfach nicht mehr in das Gespräch eingreifen möchte und resigniert. Silvan bekräftigt seine Position, dass die Lehrperson aufgrund des Berufsauftrags gewisse Dinge entscheiden muss. Seine Argumentation ruft keinen Widerspruch in der Gruppe hervor und somit schließt er die Sequenz mit einer Konklusion ab. Er zieht die Parallele zwischen Schülerinnen und Schülern und den Lehrpersonen, die beide nicht «machen können, was sie wollen» und deutet darauf hin, dass auch er selbst in vorgegebene Strukturen eingebunden ist.

Als Orientierungsrahmen lässt sich aus dieser Sequenz Folgendes herausarbeiten: Die Rolle der Schülerinnen und Schüler besteht darin, dass sie sich ins System einfügen sollen. Das starke Bild, in dem Lehrpersonen mit Piloten und Lernende mit Passagieren verglichen werden, suggeriert eine klare Aufgaben- und Wissensteilung. Partizipationswünsche von Schülerinnen und Schülern werden als verständlich, aber unangebracht erachtet. Vielmehr beanspruchen die Lehrpersonen zu wissen und zu entscheiden, welche Wünsche angebracht sind. Diese eingeschränkte Freiheit wird als überall geltende Regel in der Gesellschaft dargestellt, die auch von den Lehrpersonen akzeptiert werden muss. Damit begründen die Lehrpersonen ihre restriktive Haltung gegenüber Partizipation.

4.2 «Die Kinder [müssen] eigentlich Lernlust haben»

Um vergleichend einen weiteren Orientierungsrahmen aufzuführen, der im Team einer anderen Schule dominiert, wird ein zweites Beispiel gezeigt. An dieser Gruppendiskussion nahmen ebenfalls acht Lehrpersonen teil. Die Sequenz schließt an einen Austausch über die Bedeutung und Voraussetzungen von Partizipation an, eröffnet aber ein neues Thema.

Julia: Ich finde noch einen dritten Aspekt sehr wichtig, dass die Kinder (.) eigentlich Lernlust haben müssen. Egal was. Also, dass, wenn man die Wahl hat, was interessiert mich, was möchte ich, was möchte ich tun. Und das ist manchmal wahnsinnig klein und eng. Also sie haben nicht viele große (.) Interessen, sondern einfach eben vor allem mit wem oder und ja und dann sehr eingeschränkt, was, was würde ich wollen. Also ich weiß nicht, ich hab mir schon mal überlegt (.) wie lange es wohl gehen würde, bis ein (.) eben so ein Kind (.) auf einen Pu-, zu einem Punkt kommt, wo es sagt, jetzt möchte ich etwas wissen, es interessiert mich jetzt. Es sind ja eben (wie wir sagen) noch kleinere Kinder, da ist sowieso, muss man das ein bisschen auch wecken, die Interessen, aber auch da merkt man (.) oft ist es: _oh es isch langwilig. Aber (.) was anderes ist nicht da, es ist eine Konsumhaltung. Und ich finde das wirklich auch ein Ziel, dass die Kinder sich immer wieder (.) _ähm fragen können, was würde ich jetzt machen wollen.

Julia spricht hier über Voraussetzungen aufseiten der Schülerinnen und Schüler, die für Partizipation gegeben sein müssen: Kinder müssen Lernlust haben. Sie erwartet offenbar mehr Interesse bei den Kindern, als sie erlebt. Eindeutig ist, dass sie Interessen von Kindern zwar wahrnimmt, diese aber als «klein und eng» einstuft. Was «große Interessen» sein könnten, darauf geht sie nicht weiter ein, sie scheint es aber zu wissen. Damit setzt sie eine Erwartung, eine Norm – große Interessen haben –, der die Kinder nicht entsprechen. Julia versteht Partizipation nicht nur als Recht, sondern auch als eine Pflicht, etwas beizutragen.

Die Formulierung «Lernlust haben müssen» überrascht, da Lust im alltäglichen Gebrauch etwas Ungezwungenes ist, was spontan entsteht. Dass Julia sich fragt, wie lange es dauern würde, bis ein Unterstufenkind an einen Punkt kommt, wo es Interesse an etwas zeigt, impliziert, dass sie das noch nie erlebt hat. Das «Interessiert-Sein» spricht sie den Kindern als einen natürlichen Zustand ab und nimmt eine passive Haltung («Konsumhaltung») wahr, woraus sich ihre Aufgabe als Lehrperson ableitet. Sie muss das Interesse der Kinder wecken. Die Rollen im Klassenzimmer sind für sie klar aufgeteilt: Die Lehrperson steht als zentrale Akteurin den passiven Kindern gegenüber.

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
324 s. 41 illüstrasyon
ISBN:
9783035512366
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок