Kitabı oku: «Natascha», sayfa 4

Yazı tipi:

Du bist ein verdammter Feigling, schreie ich mich in Gedanken an, du hast Angst vor einem Mädchen.

»Natascha«, beginne ich erneut, diesmal etwas leiser, damit ich kein Echo erzeuge.

»Du bist böse geworden, das Blut in dir hat dich zu einem … einem Miststück werden lassen. Das war nicht der Sinn des Ganzen.«

»Der Sinn? Was für ein Sinn?«

»Das war vielleicht nicht das richtige Wort«, versuche ich einzulenken.

»Ich meine den Plan, den Plan des Lebens. Natascha du …«

»Du meinst es gibt einen Plan?«, kreischt sie so laut, dass die Häuser neben uns zu schwanken scheinen.

»Sicher.« Ich bin mehr als erstaunt, dass sie davon nichts wissen will.

»Der Plan des Lebens kann mich mal. Ich habe meine eigenen Pläne.«

Ich gehe einen Schritt auf sie zu.

»Das ist es ja gerade, meine süße, kleine mellila.« Ich sehe deutlich, wie sie zurückzuckt. Das Kosewort hat sie erschreckt. Es ist etwas von früher, aus einer Erinnerung, die sie wahrscheinlich lieber verdrängen möchte.

»Süße.« Ein weiterer Schritt von mir, ich höre sie in meinem Kopf kreischen: Bleib bloß von mir weg, komm nicht näher.

»Deine Pläne sind nicht gut«, noch ein Schritt, ihre Augen zucken hin und her.

»Sie verletzen die Ordnung der Welt, Natascha. Sie schmecken sogar dem Teufel nicht.«

»Auch der Teufel kann mich mal …«

Jetzt bin ich es, der ein überhebliches Lächeln auf dem Gesicht trägt.

»Der Teufel … meine Süße, kann dich höchstens in die ewige Verdammnis schicken. Aber selbst er hat eigene Pläne.«

»Und die wären?«

Nataschas gesamte Erscheinung drückt Furcht und Unsicherheit aus. Niemals hätte ich gedacht, dass ein paar simple Worte sie in Angst und Schrecken versetzen können.

»Eh, … lass es mich so ausdrücken«, ich tippe mir mit dem Finger gegen die Nase, blicke an ihr vorbei. Ich bin nicht in der Verfassung, ihr noch mehr Geringschätzung vorzuspielen.

»Du bist in den Tod gegangen, aber deine Zeit war noch nicht reif. Der Teufel hat die Chance ergriffen und dich … Hmm, nenne wir es mal: etwas anders … ja? Also, er schickte dich etwas anders auf die Erde zurück, nur so. Nur um zu sehen, was du daraus machst.«

Bedeutungsvoll sehe ich ihr in die toten Augen. Sie weicht meinem Blick aus.

»Ja und?«, fragt sie und zuckt mit den Schultern.

»Du hast es versaut, meine kleine mellila. Du hast es nicht geschafft auch nur einen verdammten Tag zu überleben. Deine Jungs haben sich bereits nach ein paar Stunden gegen dich gerichtet. Sie haben dich sogar erschossen und dann vom Hof gejagt«, ich lache trocken, »wie einen räudigen Hund.«

»Sie haben keine Ahnung«, kreischt sie und sieht jetzt wirklich wie eine Höllenhexe aus.

»All das Blut dieser Stadt, der Hohe Rat, alle Menschen. Ich wollte ihnen dies zum Geschenk machen und sie…? Sie treten meine Gaben mit Füßen und verachten mich. Sogar Nicki …«

Sie presst die Lippen zusammen, starrt mich hasserfüllt an, ganz so, als wäre alles meine Schuld.

»Sogar er war gegen mich, Ansgar.«

Natascha kommt einen Schritt auf mich zu, eine Hand auf ihr Herz gepresst.

»Kannst du dir das vorstellen? Er liebte mich«, ihr Blick ist voller Traurigkeit, verletzt.

»Dein Bruder liebt mich. Aber zum Schluss empfand er nur noch Hass. Wie alle anderen auch.«

Ihre Stimme geht in ein leises Gemurmel über.

»Wie all die anderen …«

Uns trennen höchstens noch drei Schritte voneinander. Ein Leichtes für mich, auf sie zuzustürmen, um ihr entweder mit einer raschen Bewegung das Genick zu brechen, oder sie in den Arm zu nehmen und so lange zu küssen, bis ihr Schmerz vergeht.

Ich kann mich nicht entscheiden, meine Seele und mein Herz kommen zu keiner Einigung. In meinem ganzen Dasein waren meine Empfindungen noch niemals so zwiespältig, so verworren.

»Ich liebe dich«, hauche ich, ohne darüber nachzudenken.

Ihr Kopf ruckt hoch, die Augen zusammengekniffen sieht sie mich prüfend an.

»Ist das ein … Scherz?«

»Nein, mit so etwas treibt man keine Scherze. Es ist die Wahrheit.«

Sie bewegt zögernd den Kopf hin und her.

»Du kannst mich nicht lieben, Ansgar«, knurrt sie gefährlich leise.

»An mir … in mir ist nichts mehr, das liebenswert ist. Alles um mich herum hat sich geändert. Nichts ist mehr so, wie es einst war. Selbst die Leute, die du kanntest sind, nicht mehr dieselben.«

»Sicher, sie sind tot.«

Erneut sehe ich die Vampirin zurückzucken.

»W-Woher …«, stammelt sie.

»Was denkst du eigentlich, was ich hier mache?«

Natascha zuckt mit den Schultern.

»Weißt du nicht mehr, dass ich gestorben bin?«

»Doch, ich weiß es noch.«

»Du bist mir hinterher …«, fragend sehe ich sie an, sie nickt mit dem Kopf.

»Aber vorher gabst du mir dein Wort.«

Sie runzelt die Brauen.

»Ich formuliere es anders. Du hobst einst die Finger und sprachst einen Schwur.«

Ich hebe die Hand in die Luft und lege die andere auf mein totes Herz. In meiner Stimme schwingt ein feierlicher Klang, als ich leise sage:

»In perpetuum, für immer, für ewig, bis über den Tod hinaus.«

Langsam lasse ich meine Hände sinken, starre sie erwartungsvoll an.

»Kannst du dich jetzt erinnern?«

Sie weiß genau, wovon ich spreche, ich kann es in ihrem Gesicht lesen, als stünde es dort mit Blut geschrieben.

Natascha aber presst die Lippen zusammen und schüttelt ihren hübschen Kopf.

»Nein, das war ich nicht. Du … du musst mich mit einer deiner früheren Liebschaften verwechseln.«

Ich konzentriere mich, damit ich einen Gedanken aus ihrem Kopf aufschnappe. Aber ich höre nur einen langen Seufzer und etwas, das wie ein Wimmern klingt.

»Ich wünschte, es wäre so«, knurre ich und stürme auf sie zu.

Die Vampirin hat mit meiner Reaktion nicht gerechnet, vielleicht ist sie auch so in Gedanken versunken, dass sie nicht mehr reagieren kann.

Die kurze Distanz zu überbrücken, ihren Kopf packen und ihn rasch herumreißen, ist nur eine einzige, fließende Bewegung. Ich war schon immer sehr schnell, aber diesmal habe ich mich selbst übertroffen.

Das leise Echo meines ersten Schrittes ist noch nicht verklungen, da mischt sich das hohle Knacken ihres Genicks bereits darunter.

Augenblicklich fällt sie in sich zusammen, schlaff liegt sie in meinen Armen. Die Augen geöffnet, ihr Blick auf mich gerichtet, anklagend und feindselig.

Ich weiß, dass sie mich hören und sehen kann, sie ist nur zu keiner Bewegung mehr fähig.

Nun liegt es an mir, wie immer ich mich auch entscheide, es wird hier und jetzt zu einem Ende kommen, so oder so.

Ich drücke Natascha an mich, umarme sie. Meine Nase vergraben in ihren Haaren, dicht an ihrem Ohr.

Trotz allem, was aus ihr geworden ist, habe ich erwartet, dass sie immer noch so gut wie früher riecht. Ich schrecke zurück, als dieser moderige, dunkle und überaus böse Geruch zu mir aufsteigt. Dieser Duft hat keinerlei Ähnlichkeit mit ihrem damaligen.

Aber das ist vielleicht auch gut so, denn so fällt es mir leichter, das zu vollenden, wozu ich hergeschickt wurde.

Vorsichtig lasse ich meine ehemalige Gefährtin auf den Boden gleiten, knie mich neben sie.

Eine Haarsträhne ist in ihr Gesicht gerutscht, sachte streiche ich sie zur Seite. Ihre Augen zucken flüchtig, sie regeneriert sich schneller, als ich dachte, ich muss mich beeilen, sonst war alles umsonst.

»Ich weiß, dass du mich hören kannst«, flüstere ich und fixiere ihr Gesicht. Ich will jede noch so kleine Bewegung von ihr sehen, um darauf zu reagieren.

»Ich wurde zurückgeschickt, damit ich dich töte. Deine Taten waren nicht … nun … gut.«

Nicht gut? Überlege ich bei mir, das ist ein viel zu schwaches Wort. Sie waren der reinste Horror, dunkel und böse, wogegen eigentlich niemand etwas hat. Aber Nataschas Plan ist nicht aufgegangen, was sie auch vorhatte, es war selbst für den Teufel zu viel.

Ich streichele ihre Stirn, die Wange hinunter, erneut zuckt ihr Auge unter meiner Berührung, diesmal schon stärker. Ich muss mich beeilen.

»Ich habe einen Pakt mit dem Herrscher über das Fegefeuer geschlossen, meine Süße. Ich bringe dich um, dafür gibt er dir noch eine Chance.«

Ihre Augen ziehen sich düster zusammen. Wie aus weiter Entfernung und so leise, dass selbst ich es kaum verstehen kann, höre ich ihre Stimme in meinem Kopf:

Was für eine Chance?

»Du hast die Wahl, Kleines. Du musst dich für eine Seite entscheiden. Ist es die Schlechte, die du bereits betreten hast, oder die Gute, deren Weg du noch nicht kennst? Es liegt nun an dir, meine süße, kleine mellila.«

Ihre Lippen zittern, es dauert nicht mehr lange und sie kann sich wieder bewegen. Es wird Zeit.

Ich krame aus meiner Jackentasche ein Feuerzeug hervor, halte es mir vor das Gesicht.

»Feuer«, krächze ich heiser, »hat eine reinigende Wirkung, wusstet du das?« Mit einem hämischen Grinsen blicke ich auf sie herab.

Schneller, als ich es registrieren könnte, packt sie mich am Hals, die kleinen Finger drücken zu. Aber ihre Kraft ist noch nicht wieder da, es ist so, als würge mich ein kleines Kind.

Dabei bleibt ihr Gesicht, ihre Augen völlig ausdruckslos.

Mit dem Daumen öffne ich die Schutzkappe, drehe das Reibrad des Zippos. Funken spritzen umher, dann zuckt die Flamme vor meinem Gesicht auf und ab.

Ich hasse dich … höre ich sie in meinem Kopf flüstern.

Ich beuge mich näher zu ihr herab, lächle leicht.

»Und ich liebe dich. In perpetuum, bis über den Tod hinaus. Meine süße, kleine mellila.«

Dann lasse ich das Zippo fallen.

Es ertönt ein hohles Geräusch, als es auf den Boden aufschlägt. Sofort steht alles um uns herum in Flammen.

Ich habe Benzin ausgekippt, jede Menge von dem Zeug. Woher ich allerdings wusste, dass sie genau diese bestimmte Gasse nehmen wird, weiß ich nicht, ich ahnte es vielleicht nur.

Die Flammen fressen sich durch ihre Kleidung, verbrennen sie.

Natascha reißt den Mund auf, ich kann die spitzen Zähne sehen. Eine Feuersäule schießt aus ihrem Inneren. Sie brennt viel schneller, als ein Mensch. Gut so, denke ich bei mir und betrachte ihre bereits verkohlte Haut, so geht es rascher.

Aber auch ich werde ein Fest für die Flammen, sie züngeln an meinem Körper empor, fressen sich durch mich hindurch, verschlingen mich mit Haut und Haaren.

Die Schmerzen, die zuerst nur ein weit entferntes Pochen sind, werden immer schlimmer, ich darf mich nicht wehren, sonst spüre ich das alles noch stärker. Ich muss mich dem hingeben.

Erschöpft lasse ich mich auf ihre Schulter sinken, die Flammen schlagen über mir zusammen, Funken und Glut spritzen nur so umher. Es wird gleich vorbei sein, denke ich, hab keine Angst, bald sind wir erlöst.

Die Dunkelheit wird stärker, ich versuche die Augen zu öffnen. Ich möchte so gerne noch einmal in ihr hübsches Gesicht blicken, aber es ist nichts mehr da, womit ich sehen könnte.

Ich liebe dich, meine süße Kleine … denke ich noch.

Mit einem Mal höre ich zart und leise, ihre Stimme, sie flüstert: Ich liebe dich, mein Geliebter. Für immer, für ewig, auch über den Tod hinaus, das schwöre ich dir.

Ich lächele und gebe mich endgültig der Dunkelheit hin, was immer mich auch erwartet … ich bin bereit.

*

Natascha:

Dunkelheit und Schwärze sind um mich herum. Dieses unerträgliche Gefühl zu fallen, ein grausamer Sog, der mich scheinbar in eine unendliche Tiefe reißt.

Geräusche dringen plötzlich zu mir durch, langsam wird es heller. Ich kneife die Augen zu, ganz fest.

»Ansgar, wo bist du nur?«, schreie ich.

Stille.

Plötzlich eine Stimme, sie klingt erstaunt und kommt mir sehr bekannt vor, so vertraut.

»Das glaube ich ja nicht.«

Erschrocken reiße ich meine Augen auf, blicke mich um.

»Ich auch nicht …«, murmele ich und bin vollkommen fassungslos.

Ich sehe Josh vor mir, seine Haut ist schwarz, wie verkohlt sieht er aus.

Ein Lächeln überzieht sein Gesicht, er drückt mich an sich, atmet tief ein, ich kann es hören und spüren. Ein weiteres Paar Arme schlingen sich um uns herum.

»Es ist schön, dass du wieder da bist«, höre ich jemanden flüstern. Nur ganz langsam wird mir bewusst, dass ich diese Stimme kenne, es ist Nicki.

Ich taste umher, will ihn spüren. Ich brauche eine Bestätigung, dass ich nicht träume. Ich ertaste eine Hand, drücke sie fest.

»Wer hat mich zurückgeholt?«, frage ich und höre, dass meine Stimme klingt, als käme sie aus den Tiefen der Hölle.

Ganz plötzlich höre ich jemanden rufen, es scheint aus meinem Kopf zu kommen. Laut und kraftvoll brüllt er, schreit mich an:

Du musst dich entscheiden. Welche Seite wirst du wählen? Die Gute? Die Böse? Bedenke, von deiner Entscheidung hängt dein Leben ab.

Ich schnappe nach Luft, es fühlt sich an, als stehe ich kurz vor einem Erstickungstod.

»Josh«, haucht in diesem Moment Nicki dicht neben mir.

»Er hat dich aus dem Feuer geholt und dir sein Blut gegeben. Er hat dich gerettet.«

Ich seufze auf, schmiege mich eng an meinen alten Freund.

Die Stimme kreischt mich an: Deine Entscheidung, denk daran.

»Danke schön, Josh«, hauche ich, »du hast mir das Leben gerettet.«

Ich höre jemanden in meinem Kopf seufzen, er klingt zufrieden und irgendwie … erleichtert.

Dann kehrt Stille ein.

Josh küsst mich aufs Haar.

»Ich liebe dich, meine Süße«, wispert er in mein Ohr. Ich streichele über seinen Arm, fühle das verbrannte Fleisch unter meinen Fingern.

»Danke schön.«

Abrupt hebe ich meinen Kopf.

»Was ist eigentlich geschehen?«, frage ich und bin insgeheim froh, das Thema wechseln zu können.

Nicki erhebt sich stöhnend, zieht Josh und mich mit hoch.

»Das, meine Kleine, ist eine echt lange Geschichte. Die erzählen wir dir erst nach einer ausgiebigen Dusche.«

Ich blicke an mir und auch an meinen beiden Freunden hinunter, kichere hinter vorgehaltener Hand.

»Du hast recht, Nicki, eine Dusche wäre toll.«

Beide legen die Arme um meine Schultern, gemeinsam gehen wir in Richtung Joshs Hexenladen.

Die Aussicht auf eine kochend heiße Dusche, die den ganzen Dreck und auch meine mehr als merkwürdigen Gedanken von mir spült, treibt mich vorwärts.

Ich sehe immer wieder seltsame Bilder vor meinen Augen auftauchen, gemein und blutig. In rascher Folge ziehen sie an mir vorbei. Sie sind so schnell, dass ich der Handlung, falls das Ganze einen Sinn ergeben soll, kaum folgen kann.

Immer wieder sehe ich Nicki, mich, einige andere und sogar Josh. Blut ist um uns herum, es spritzt förmlich vor meinen Augen, wie aus einer Vene, die aufgeschlitzt wurde.

Auf einigen Bildern, die wie eingefroren wirken, entdecke ich Vampire und wie sie sich an jungen Mädchen vergehen. Sogar Nicki, bemerke ich mit Entsetzen, nimmt sich mit Gewalt eines der blonden Dinger.

Die Bilder verlassen mich nicht, selbst dann noch nicht, als ich bei Josh unter dem heißen Wasser stehe und es über meinen geschundenen Körper fließen lasse.

Auch ein paar Tage später begleiten die grausamen Eindrücke mich weiterhin. So geht das einige Wochen, Monate … Jahre.

Aber mit der Zeit verblassen auch die schrecklichsten Erinnerungen.

Was bleibt ist die Wirklichkeit und die sieht mehr als grausam aus, wenn nicht sogar bestialisch und unmenschlich.

Irgendwann sind drei lange Jahre über das Land gezogen seit meiner Rückkehr aus dem Reich der Toten.

Meinen geliebten Ansgar musste ich in der Hölle zurücklassen. Und nicht nur ihn, ebenso meine Unsterblichkeit, mein Herz und meine Seele. Seit dieser Zeit irren sie ziellos im Fegefeuer des Grauens umher.

Das Gleichgewicht der Welt

Es beginnt:

Es ist furchtbar kalt, die Temperaturen sind um zehn Uhr nachts auf minus fünfzehn Grad gefallen. Jetzt, drei Stunden später, ist es sogar noch kälter. Die Stadt liegt unter einer dicken Schneedecke, die scheinbar das gesamte Leben unter ihr ersticken will. Kein menschliches Wesen wagt es, um diese Uhrzeit die verschneiten Straßen zu betreten. Die Menschen, und auch einige andere Geschöpfe, ziehen es vor im Warmen auf bessere Zeiten zu warten.

So sieht niemand die drei Gestalten, die rasch über eine zugeschneite Wiese laufen. Kein Atem bildet sich vor ihren Gesichtern, kein Keuchen dringt aus ihren Körpern. Sie schwitzen nicht, sie frieren nicht, ihnen kann keine Temperatur etwas anhaben.

An ihnen ist nichts menschlich, lediglich ihr Aussehen, aber das täuscht nur kurze Zeit über die Tatsache hinweg, dass sie Dämonen sind.

Nachtgestalten, Wesen aus den dunklen Tiefen der Hölle.

Die drei Kerle sind Vampire.

Und sie sind auf der Jagd.

Aber es dürstet sie nicht nach Blut, sie wissen, um diese Uhrzeit und bei dieser Witterung werden sie keine Beute schlagen können.

Sie verlangen nach etwas anderem.

Nach Macht, Rache, nach Veränderungen und nach Blut. Aber nicht das der Menschen, sondern das ihrer eigenen Art.

Geschickt umgehen die Vampire die Straßenlaternen, die ihr Licht auf den Schnee werfen und so unter ihr ein Meer aus funkelnden Edelsteinen entstehen lassen.

»Los, ein bisschen schneller«, knurrt einer von ihnen.

Ein muskulöser Kerl, mit braunem, längerem Haar und raubtierähnlichen Augen. Sein Blick ist trotz alledem offen und wirkt sogar ehrlich. Sein Freund, ein Faden von einem Kerl, so dürr, als zerbreche er beim nächsten Windstoß, antwortet heiser:

»Da vorne ist es schon, also halt die Klappe.«

»Wo habt ihr die Flaschen?«, der Dritte der geheimnisvollen Dämonen blickt seine Kumpels an.

Der Muskulöse meint mit einem schiefen Grinsen:

»Ich hab sie dem Spatzenhirn gegeben …«

Der als Spatzenhirn bezeichnete sieht plötzlich erschrocken aus, er deutet auf sich selbst und zischt:

»Nichts hast du, du Idiot. Ich hab die Flaschen nicht, du wolltest sie mitnehmen.«

Das Lachen des Vampirs klingt kraftvoll und kehlig.

»Schon gut … ich hab die Dinger ja. Reg dich nicht so auf, Junge.«

Die Vampire atmen auf, der Dürre verdreht genervt die Augen und knurrt leise zu seinem blonden Kumpel:

»Dieser Bastard, ich wünschte, er …«

Sein Freund wird niemals erfahren, was der Junge sich wünschen wollte, denn genau in diesem Augenblick stoppt der Dunkelhaarige und herrscht sie an:

»Schnauze halten!«, etwas ruhiger setzt er hinzu: »Wir sind da.«

Er holt aus den Manteltaschen drei große Flaschen. Als Verschluss ist ein Sprühknopf angebracht und eine Sicherung, die es erlaubt, dass ohne ihr Zutun die gesamte Flasche entleert wird und ihren Inhalt in die Umgebung versprühen kann.

Er wirft sie dem Spatzenhirn zu, der sie geschickt auffängt.

»Das ist deine Sache, Junge. Platzier sie so weit oben, wie du kannst.«

Der dünne Kerl grinst frech und rennt los. Die rauen Mauern hochzuklettern bereitet ihm keinerlei Schwierigkeiten, auch der beste Platz für die Flaschen, ist schnell gefunden.

Er steht hoch auf dem Gebäude, sieht hinunter, seine Freunde wirken klein und bedeutungslos.

Unscheinbar und nichtssagend, denkt er bei sich, als er vorsichtig die Flaschen auf der alten Mauer abstellt. Das werden wir die längste Zeit gewesen sein, wir werden aufsteigen, zu machtvoll und alles beherrschend. Wenn das hier erledigt ist, dann sind wir Wer …, und zwar die obersten der Vampire, die Größten, wie Götter. Nein, nicht nur wie, wir sind Götter, alle müssen vor uns niederknien, sich verneigen.

Ich kann jede haben, egal, ob Mensch oder Vampir, jedes Mädchen wird die Meine sein. Na ja, fast jede, wer will schon alle Weiber dieser Erde haben. Wenn die Sache erledigt ist, dann sind wir die Herren der Welt, wir…

»Hey, bist du da oben gestorben?«, zischt einer seiner Freunde leise. Das reißt den Jungen aus seinen übermächtigen Gedanken.

»Nein, wo denkst du hin«, ruft er zurück.

»Soll ich jetzt loslegen?«, er stützt sich am alten Gemäuer ab und blickt erneut in die Tiefe.

»Nö, wir warten besser, bis es hell wird. Dann sind die Chancen größer, dass uns einer sieht«, antwortet der dunkelhaarige Vampir sarkastisch, bevor er gefährlich leise knurrt:

»Mach jetzt, du Idiot oder ich reiß dir den Kopf ab.«

Die Stirn des Jungen zieht sich düster zusammen.

»Ja, ja. Immer hübsch langsam, mit den jungen Pferden«, brummt er vor sich hin, als er an allen drei Flaschen die Sicherungen durchdrückt.

Es knackt kurz, dann ist ein leises Zischen zu hören, fast so, als entweiche Luft aus einem Ballon.

Der dünne Kerl starrt fasziniert auf das Gas, wie es sich in der Umgebung verteilt. Es ist rötlich, wenn es aus der Flasche schießt, verdünnt sich in der Luft, wird immer heller, bis nichts mehr zu erkennen ist.

»Komm runter, du brauchst keine extragroße Portion davon.« Das weckt den Jungen wieder auf, er dreht sich um und springt leichtfüßig von dem hohen Gebäude. Lächelnd gesellt er sich zu seinen Freunden, die ebenso gefesselt und atemlos auf das Schauspiel starren.

Von unten her kann man die rote Wolke gut ausmachen, sie hebt sich gegen den dunklen Nachthimmel deutlich ab.

Nach einer Weile, in der jeder seinen eigenen Gedanken nachhing, sagt der muskulöse Vampir:

»Kommt, wir gehen Leute. Unsere Arbeit ist getan, der Rest ist … Warten. Alles andere steht in den Sternen.«

Langsam verlassen die Blutsauger den grausigen Schauplatz. Die Hände in den Jackentaschen vergraben, gehen die drei in Richtung ihres Zuhauses.

*

Das Gas verteilt sich, dank der Windstille, zielstrebig über die ganze Stadt. Die Vampire haben sich eine gute Stelle ausgesucht, von hier aus dringt es in alle Richtungen vor.

Als die Sonne aufgeht und neuer Schneefall einsetzt, hat das Gift bereits den Stadtrand erreicht. Es ist zwar verdünnt und nicht mehr sichtbar, aber dennoch so wirksam, wie an der Austrittsstelle, mitten in der City.

Um zehn Uhr vormittags ist es bereits über die Grenzen der Stadt hinaus gezogen und es breitet sich immer weiter aus, im ganzen Land.

Als die Dunkelheit sich an diesem verhängnisvollen Tag über das Land legt, ist mit dem Sterben der Sonne auch das Schicksal der Vampire besiegelt.

Wenn die Menschheit das geahnt hätte: ein schlauer Plan, ein mörderisches Gift, keine Skrupel, und die seit Jahrhunderten herrschende Bedrohung durch die Blutsauger, ist ein für alle Mal beseitigt.

Aber das Gift stammt nicht aus dieser Welt, wie es hier wirkt, weiß niemand. Vielleicht zerstört es die Erde und löscht alles Leben aus, das auf ihr existiert.

*

Zwei Tage später, die Sonne geht auf und wirft ihre verschwenderischen Winterstrahlen über den frisch gefallenen Schnee. Alles funkelt, blitzt und glitzert, als ihr Licht sich in den Schneekristallen bricht.

Die Menschen bewegen sich bedächtig, eine hauchdünne Eisschicht liegt auf den Gehwegen, es wird noch etwas dauern, bis die Wärme der Sonnenstrahlen es zum Schmelzen gebracht hat.

Ein älterer Mann, die braune abgegriffene Aktentasche eng an seine Brust gepresst, schreitet zielstrebig eine der Nebenstraßen entlang. Er ist auf dem Weg zur Arbeit und dank der miserablen Busverbindung schon spät dran heute.

Ein scharfer Wind kommt auf, der Mann drückt seinen Hut fester auf den spärlich behaarten Schädel.

Auf seinem Gesicht liegt ein grimmiger Ausdruck. Der viele Schnee, nun auch noch vereiste Gehsteige, der verspätete Bus und auf der Arbeit läuft auch nicht alles so, wie es soll. Schlimmer kann dieser Tag nun nicht mehr werden, denkt Eugen bei sich und geht noch einen Schritt schneller. Nur noch zwei Minuten Zeit, dann sollte er bereits die Stechuhr gedrückt haben, das schafft er nie, niemals, nicht heute.

Nur noch um die Hausecke, dann ein Stück die Hauptstraße entlang und er hat es geschafft.

Die T-Kreuzung kommt in Sicht, die erlösende Hausecke ist nun nicht mehr fern. Nur noch ein paar Meter, genau sind es noch fünf, mit Zahlen kennt der Mann sich schließlich aus. Nur noch zwei Meter, vielleicht schafft er es ja doch noch.

Nur noch einen Meter, noch einen Schritt …

Plötzlich prallt Eugen mit jemandem zusammen und taumelt zurück. Ein anderer Mann hatte in derselben Sekunde, den gleichen Gedanken, schnellen Schrittes um die Häuserecke zu gelangen.

»Ah, verdammt …« ruft der ältere Herr ärgerlich und presst seine Aktentasche noch enger an den Körper.

»Passen Sie gefäll …«, alles weitere bleibt ihm im Halse stecken, es findet niemals seinen Weg hinaus in diese Welt.

Der Mann, mit dem Eugen zusammengestoßen ist, packt ihn an den Schultern, schüttelt ihn durch, sodass seine Zähne aufeinander schlagen. Der Hut fällt ihm endgültig vom Kopf und rollt, dank seiner steifen Krempe, den Weg wieder zurück, den sein Träger gerade erst gekommen ist.

»Was ist nur mit mir los?«, krächzt der Jüngere, Eugen sieht ihn ängstlich an.

Die Aktentasche rutscht aus seiner Umklammerung, mit einem dumpfen Geräusch prallt sie auf den Boden. Er merkt es nicht einmal. Er, der sich eben noch Sorgen um seine Pünktlichkeit machte, kann nun nur noch in das Gesicht seines Gegenübers starren, vergessen sind alle Ärgernisse, wegen des Wetters oder seinem Bus. Er kann bloß eines denken:

Der ist ja schon tot…

Und tatsächlich sieht der Jüngere aus, als wäre er vor ein paar Stunden gestorben, einen grausamen und schmerzhaften Tod.

Sein Gesicht, zu einer Maske des Grauens verzerrt, das braune Haar, dünn und verfilzt, steht wirr vom Kopf ab, den die weiße Haut umspannt. Jeder Knochen ist darunter sichtbar und zeichnet sich unter der pergamentartigen Haut deutlich ab.

Die spinnendünnen Finger, die jetzt die Kragenaufschläge des Wollmantels umfassen, sind ebenso weiß, wie sein Gesicht und voller brandiger Geschwüre.

»Was geschieht mit mir?«, ruft der Fremde erneut und seine Stimme klingt bereits so, als liege er in einem tiefen, dunklen Grab.

»I-Ich weiß nicht …«, stottert Eugen und versucht die Hände von seinem Mantel abzustreifen. Er berührt dessen Haut, ein Gefühl, als greife er in Eis, raues, altes Eis.

»Lassen Sie mich los!«, langsam weicht seine Furcht, dieser junge Kerl braucht eindeutig Hilfe, die wird er auch bekommen, aber nicht von ihm. Er muss zur Arbeit, schon jetzt wird er es nicht mehr rechtzeitig schaffen. Hilflos dreht Eugen seinen Kopf, auf der Suche nach anderen Passanten, welche, die vielleicht in Erster Hilfe ausgebildet sind.

»Ahhh«, schreit der junge Mann und sinkt auf die Knie. Seine Kräfte reichen noch aus, um den Alten mit auf den Boden zu zerren.

»Au lassen Sie mich los«, fordert er und versucht erneut, die eisigen Hände von seinen Mantelaufschlägen zu lösen.

»H-Hilf mir … bitte. Ich verbrenne …«

Und wirklich dringt in diesem Moment, schwarzer Rauch, aus dem Mund des Jüngeren. So, als hätte dieser eine Zigarette verschluckt, die in seinem Magen einfach weiter glimmt. Verwundert starrt sein vermeintlicher Helfer auf die dünne Rauchfahne. Als der Kranke hustet, stößt er eine wahre Rauchwolke aus seinem Mund. Sogar ein perfekter Kreis, ein Rauchkringel, bildet sich und verzieht sich in der kalten Luft.

»Ich … muss … trinken«, meint er abgehakt zwischen den Qualmstößen.

»Wissen Sie was?«, ruft der Alte und versucht sich ein weiteres Mal zu erheben.

»Ich rufe jetzt einen Krankenwagen, der bringt Sie ins Krankenhaus zu ein paar Ärzten. Die können Ihnen helfen.«

»Bitte … trinken«, stammelt der Kerl wieder.

»Ja, ja. Dort bekommen Sie auch bestimmt etwas zu trinken.«

Eugen wühlt in den Manteltaschen nach seinem Handy.

Dass ich auch nicht früher daran gedacht habe, denkt er zusammenhanglos. Er kramt in seiner Erinnerung nach der Notrufnummer. Viel zu selten braucht man die und wenn doch, kann man sich ihrer nicht mehr erinnern. Dieser Tag bekommt jetzt schon eine Eins mit Sternchen in meiner Liste der miesesten Tage, überlegt er noch böse und wählt bereits die ersten zwei Ziffern der Notfallnummer.

Ganz plötzlich scheint wieder Leben in den Todkranken zu kommen. Er packt das Revers des Mantels fester, ein leises Knurren dringt aus seinem Körper. Wenn sein Retter nicht so vertieft in die Wahl der Telefonnummer wäre, dann könnte er die Veränderung seiner Augen sehen. Sie mutieren zu Raubtieraugen, gelb mit einer länglichen, schwarzen Pupille. Eckzähne, lang und spitz ragen über seine Unterlippe. Ein scharfer Ruck, an dem Wollmantel, das Handy fliegt Eugen aus der Hand, rutscht über den vereisten Boden.

»Was …« ruft der Alte noch. Dann wird er unbarmherzig nach unten gezerrt, auf die Zähne zu.

»Ahh«, ihm wird die Situation schlagartig klar.

Eugens Körper wird vom Schmerz überflutet, als ihm der Mann in den Hals beißt.

Der Biss wird fester, die Zähne werden mit einer unglaublichen Gewalt durch die Haut, die Muskeln, tief in das darunterliegende Gewebe getrieben. Bis der Vampir endlich die Ader erwischt. Erneut ein kräftiges Zubeißen, schon fließt herrlich, warmes Blut in seinen ausgedörrten Mund und seine heiße Kehle hinab. Diese Wohltat ist mit nichts zu vergleichen, überlegt der Dämon noch, da spürt er, wie das Blut in ihm zu kochen beginnt, wie es brodelt und beinahe Blasen wirft. Es beruhigt seinen ausgemergelten Körper nicht. Es hilft nicht, ihn am Leben zu halten, es scheint eher so, als verbrenne es ihn innerlich.

Mit einem Aufschrei lässt er von seinem Opfer ab, hält ihn aber weiterhin am Mantel fest.

Noch bevor einer der beiden etwas sagen kann, kocht das Blut im Körper des Vampirs einfach über. Er wirft den Kopf in den Nacken, ein Feuerstrahl schießt aus seinem geöffneten Mund. Blut rinnt aus beiden Nasenlöchern, selbst aus den Ohren findet es seinen Weg nach draußen. Die Augen quellen ihm über, der rote Lebenssaft fließt, blutigen Tränen gleich, seine Wangen hinab.

Es trocknet fast augenblicklich zu einer dicken Masse.

Der Sonnenstrahl, der sich während des Kampfes an der Hauswand langsam nach unten vorgetastet hat, trifft die beiden nun mit voller Wucht.

Ein Glühen, Brennen, fast wie die Funken einer Wunderkerze. Mit einem fauchenden Geräusch fängt der Vampir Feuer.

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