Kitabı oku: «Lumine», sayfa 3

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Es erschien ihr als äußerst eigenartig. Seltsam. Ungewöhnlich. Zumal sie sonst nahezu täglich ihr Zimmer betreten hatte, um sie zu beschimpfen.

Ob Genevieve ihres Amtes enthoben wurde?

Lautes Gepolter veranlasste Luna, sich hastig aufzusetzen und aufzuhorchen. Was war das? Wurde jemand verletzt? Mit einem mulmigen Gefühl erhob das Mädchen sich aus ihrem Bett und schritt zur Tür. Zum Glück war diese nicht verschlossen.

Darauf bedacht, keinen auffälligen Krach zu veranstalten, folgte sie den beunruhigenden Geräuschen, die immer lauter wurden. Die Stimme Earl Edwins und ein leises Wimmern waren zu vernehmen. Durch einen kleinen Spalt fiel Licht aus dem Büro und erhellte teilweise den finsteren Flur. Neugierig beobachtete Luna die folgenden Szenarien.

Erschrocken zuckte sie kurz zusammen aufgrund des Bildes, das sich ihr bot.

Earl Edwin De Mencium stand inmitten des Raumes, dabei auf das Zimmermädchen Genevieve kalt und gefühllos herabblickend, als wäre die Frau bloß ein widerliches Insekt. Ein Parasit, den man so schnell wie möglich loswerden musste. Seine Augen durchbohrten ihren vor Furcht zitternden Körper. Hilflos und ergeben kniete sie wimmernd vor ihm und murmelte immer wieder eine Entschuldigung.

„Du unfähiges Stück, aus welchem Loch du auch immer gekrochen bist, du hast nichts in meinem Hause herumzuschnüffeln!“ Er hob seine Faust. Luna schloss die Augen und hielt sich vor Schreck ihren Mund zu. Bitte nicht. Nein. Nein. Ihr Vater würde niemals …

„Bitte verzeiht mir. Ich verspreche Euch, mir wird nie wieder solch ein fataler Fehler widerfahren, und ich werde still schweigen bis zuletzt. Aber bitte verschont mich. Ich flehe Euch an!“

Ihr Gesicht spiegelte blanke Angst und pure Verzweiflung wider. Sie verhielt sich dem Mann gegenüber, als wäre er eine Bestie, die dazu bereit gewesen wäre, sie jeden Moment zu zerfleischen. So hatte die Adelstochter Genevieve noch nie erlebt.

Was für einen Fehler hatte sie denn begangen? Lag es wohl an ihr, weil sie nicht gehorsam war? Luna wurde übel. War sie der Grund, weshalb Genevieve so bestraft wurde?

Am liebsten hätte sie sich auf der Stelle entschuldigt. Aber sie hatte nicht den Mut, ihrem Vater unter diesen Umständen gegenüberzutreten.

Ein verachtendes Zischen seitens des Earls. Kurze schneidende Stille herrschte. Er fletschte seine Zähne und äußerte sich beherrscht: „Wo denkst du hin. Natürlich verzeihe ich dir, und ich weiß auch, wie du deinen Fehler entschädigen kannst!“, kicherte er und strich ihr ein paar Strähnen aus dem Gesicht.

Welch eine Erleichterung. Alles ist wieder gut, dachte Luna glücklich. Natürlich. Wie konnte sie auch nur einen einzigen Gedanken daran verschwenden, ihr Vater würde Genevieve mit Gewalt zurechtweisen. Nicht doch. Earl Edwin mochte vielleicht nicht viel Emotionen zeigen, jedoch besaß er trotzdem ein Herz.

Oder?

Lumine – Kapitel 3

Die Sonne schenkte Lumine Wärme und ließ die Federn der Taube neben ihr leuchten. Sie war nicht mehr allein, und noch dazu kam sie sich nicht mehr so anders vor, da sie beide Weiß trugen. Sie lächelte zufrieden. An einem Fluss entlang entdeckten sie eine Feuerstelle, die kurz zuvor noch gebrannt haben musste. Neugierig näherte das Mädchen sich dem verbrannten Haufen. Ihr Gleichgewicht verlor sie, doch kurz bevor sie in die Glut fallen konnte, zog Kuro sie an den Haaren rückwärts in Sicherheit. „Danke, Kuro!“, bedankte die Kleine sich mit großen Augen. Fußspuren führten in den Wald vor ihnen. Der einzige Weg, dem sie folgen konnten. Einen anderen gab es nicht. Wie tief der Wald war, wusste sie nicht. Doch einen Grund, Angst zu haben, hatte sie nicht. Solange sie die Taube bei sich hatte, der sie vertraute, so konnte ihr nichts passieren. Ihr bester und einziger Freund auf ewig.

Kapitel 3 – Satan in Menschengestalt

Umgeben von Finsternis. Nichts als Schwärze. Von einer natürlichen Mauer mit Blättern gefangen. Die Orientierung konnte man in solch einer Nacht wie dieser leicht verlieren, würde man nicht zielstrebig dem breiten Pfad folgen, der endlos zu sein schien. Diese Wut, die bereits seit Jahren in ihm brodelte, wollte kein Ende nehmen. Zumindest nicht, bevor er sein Ziel erreicht hatte. Sie zerfraß ihn regelrecht. Sein Rachedurst war nahezu nicht mehr auszuhalten. Das Verlangen nach Vergeltung stieg ins Unermessliche und drohte wie ein Tornado alles erbarmungslos mit sich zu reißen, dabei alles und jeden zerstörend. Jeder, der es wagen würde, sich ihm in den Weg zu stellen, würde dafür büßen müssen. Wer kümmerte sich denn um Außenstehende? Die waren bloß jämmerliche kleine Bauern auf dem Schachbrett, die zu nichts zu gebrauchen waren und die man mit Leichtigkeit aus dem Weg räumen konnte. Zum Falle zu bringen war der König. Der widerliche schwarze König, der ihm hämisch von der anderen Seite aus, sich hinter seiner schwachen Armee versteckend, zulächelte, dessen Grimasse nur so von Spott und Hohn triefte. Exakt. Er würde ihn genießerisch schach- und mattsetzen. Er wollte ihn leiden sehen. Seine Stimmbänder sollten brennen während des Klanges seiner qualvollen Schreie, die das Feuer der Hölle fordern. Dies würde auch seine letzte Gelegenheit sein, gehört zu werden. Er wollte es sehen. Einmal noch. Nur noch ein letztes Mal. Sehen, wie der letzte Hauch seines erbärmlichen Lebens verschwand und seine Seele sich von seinem Körper trennte, um sich danach in Luft aufzulösen. Seine Hände ballte der dunkel Gekleidete zu Fäusten. Nun war er am Zug. Kurz hielt der Mann inne und reckte sein Haupt gen Vollmond wie ein heulender Wolf.

Tief einatmend schloss er seine stechenden Augen. „Monster“, flüsterte der große Mantelträger kaum hörbar und verzog seine Lippen zu einem teuflischen Lächeln. So hatten sie ihn früher gerne genannt. Jedoch aus welchen Beweggründen, war ihm ein Rätsel. Weshalb auch? Ab wann erklärte man jemanden zu einem Monster? Wie definierte man ein Monster? Waren denn nicht alle Menschen Monster? Blutrünstige Bestien, die hinterhältig sein konnten. Wie amüsant. Sein erheitertes Gemüt wandelte sich in ein Lachen. Wahrlich amüsant. Das Leben jedes einzelnen war ein Spiel. Sahen die anderen das denn nicht? Bedauerlich. Es kam bloß darauf an, welche Entscheidungen man traf. Und Gregwood hatte offenkundig die falsche Wahl getroffen. Einen entscheidenden Faktor hatte er außer Acht gelassen. Dieser Faktor war seine Wenigkeit. Der Herr wird noch so vieles bereuen. Darauf gab er sein Wort. Wieder verstummt, setzte der Hutträger seinen Weg fort und trat hin und wieder achtlos auf kleine Äste, die unter seinen Schuhen knackten und in einem schuhförmigen Abdruck auf dem feuchten Waldboden hinter sich gelassen wurden. Einige Büsche waren zertreten und wiesen somit eine offensichtliche Spur auf. Er war demnach nicht der Einzige, der sich hier herumtrieb. Wie viele es wohl waren? Nur eine Person oder eine Gruppe? Vor Neugier fletschte die dunkle Gestalt die Zähne und folgte den beschädigten Pflanzen. Vielleicht ergab sich eine Möglichkeit, für einen kurzen Moment die guten Manieren zur Seite legen zu können. Ein kleines, flackerndes Licht war nach einigen Minuten in der Ferne zu erkennen. Nur noch wenige Meter. Stimmen waren zu vernehmen. Gelächter. Die heitere Stimmung würde bald wie das kleine Lagerfeuer ersticken, und eine erdrückende Plane der Stille würde sich über das Lager legen.

Verschmolzen mit der Dunkelheit versteckte der Handschuhträger sich hinter einem Baum, dessen Äste dicker waren als seine beiden Arme zusammen. Das Lager der Gruppe war nicht besonders groß. Lediglich vier kleine Zelte, aus alten Laken gefertigt, dessen Löcher mit alten Lumpen gestopft wurden, haben sie aufgestellt. Daneben an einem Baum angebunden befand sich ein Esel mit Zügel. Waren diese Maden etwa Händler oder Zigeuner? Wie auch immer. Beides wertlose Gesellen. Um das Feuer herum saßen fünf Männer. Der Auffälligste von allen: ein wesentlich älterer und rundlicher Herr mit ergrautem Haarwuchs. Der Rest war noch ziemlich jung. Ein Blondschopf mit Locken, zwei mit einer braunen, kurz geschnittenen Mähne, und der Letzte besaß rabenschwarzes Haar.

Anerkennend klopfte der Blondschopf seinem schwarzhaarigen Freund auf die Schulter. Ein Feuer mit durchnässtem Holz zu entfachen war bei Weitem nicht einfach. Dank ihm konnte sich ihre Zigeunergruppe aufwärmen und ebenfalls den freundlichen Händler vor der Kälte entziehen. „Ich möchte mich aufrichtig bei euch dafür bedanken, dass ihr mir kurzzeitig Obdach bietet und mir geholfen habt, meinen Wagen aus dem Schlamm zu ziehen!“, sagte der Bärtige, nachdem er sich erhoben und seine Mütze vom Kopf gezogen hatte. Das plötzliche Unwetter ließ den Pfad dermaßen erweichen, dass die Räder nicht weiter vom Fleck kamen, sondern stattdessen leicht einsanken und tiefe Spuren hinterließen. Die Räder mussten ersetzt werden. Sie waren mittlerweile zu morsch und brüchig. Lange würden sie nicht mehr standhalten können. Zum Leidwesen des Händlers. Die Güter werden verspätet ankommen und der Zaster spärlich ausfallen. „Kein Problem!“, lächelte der junge Mann mit schwarzen Haaren verschmitzt und wollte dem Älteren eine Flasche alkoholischer Flüssigkeit reichen. Allerdings lehnte er dankend ab und meinte: „Ich muss bei Sonnenaufgang wieder bei vollständigen Kräften sein. Und außerdem habe ich euch schon genug zu verdanken!“ Daraufhin setzte er sich wieder auf einen der Baumstämme. Erneut widmete sich die Gruppe einem heiteren Gespräch, das so vielfältige Themen beinhaltete, wie der Regenbogen Farben hatte. Aber schon bald tauchten unheimliche, dicke, fast schwarze Wolken auf, die den Regenbogen verschwinden ließen. Plötzlich kehrte Stille ein. Sie war bedrückend und schnürte jedem die Luft ab. Keiner wusste ein Wort zu wechseln.

Nur eine Sache ließ dem alten Mann keine Ruhe. Seine Frage brannte ihm förmlich auf der Zunge und war nicht mehr auszuhalten. Er konnte sich nicht erklären, weshalb so junge Leute sich ziellos durch das Land bewegten. Unangenehme und zwielichtige Gestalten schienen sie nicht zu sein. Waren sie etwa Waisenkinder? Oder hatten sie tatsächlich etwas verbrochen und waren nun auf der Flucht? Er musste es wissen. Ein gutes Mittel, um das Eis zu brechen, dachte er sich. Leider war denken nicht immer seine Stärke gewesen.

„Ohne die Absicht, euch zu nahe treten zu wollen, möchte ich eine Frage stellen. Und zwar: Was genau veranlasst euch dazu, ziellos durch das Land zu reisen ohne ein festes Zuhause?“ Seine Stimme klang voller Neugier und leichter Faszination. Es war ungewöhnlich. Mutig oder einfach nur dumm? Die Stimmung war nun noch betretener als zuvor. Die jungen Herrschaften schienen sich zu versteifen, und ihre Mimik wirkte betrübt. Definitiv. Es war mehr als nur unangebracht gewesen. Offenbar hat er eine alte Wunde erneut aufgerissen, die zuvor schon viele Male geeitert und sich entzündet hatte. Vermutlich drohte diese Verletzung sie sogar mit in den hoffentlich erlösenden Tod zu reißen. „Verzeiht mir. Ich wollte auf keinen Fall mit der Tür ins Haus fallen. Bitte entschuldigt!“, äußerte sich der Händler beschämt mit schlechtem Gewissen. Der Blondschopf winkte grinsend ab: „Nicht der Rede wert!“ Was für ein ungehobelter und taktloser Trottel er doch war. Für so was hätte er sich selber am liebsten eine Backpfeife verpasst. Seit 59 Jahren existent und kein Stück schlauer. Der Braunhaarige mit der schwarzen Weste zögerte noch, kurz bevor auch er sich zu Wort meldete: „Wir gehören nirgendwo hin. Wir sind sozusagen Gespenster. Als Seelen ohne Hüllen könnte man uns bezeichnen!“

„Wo wir uns doch schon über mysteriöse Gestalten unterhalten. Ist euch der Fluch der schneeweißen Hexe eigentlich bekannt?“, lenkte der Größte von ihnen ein. Verwundert zog der Grauhaarige seine Stirn kraus. Wie bitte? Ein Fluch? Das war doch lächerlich. Allerdings kam ihm die Bezeichnung bekannt vor, als hätte er davon schon einmal gehört. Von ihr. Die schneeweiße Hexe. Angeblich sollen in jeder Stadt und jedem Dorf mindestens eine bestialisch zugerichtete Leiche aufgefunden worden sein, in der sie zuvor gesichtet wurde. Die leblosen Körper waren nicht mehr identifizierbar, und an jedem Hals wurde ein Seil zu einer fest zu schnürenden Schleife gebunden. Die riesigen Pfützen aus rotem Lebenssaft tränkten die zerrissene Kleidung und färbten den Boden. Und mysteriöserweise fand man an jenen Tatorten schwarze Federn eines Raben.

„Was faselst du denn nun wieder für einen Nonsens?“, seufzte sein Gefährte neben ihm kopfschüttelnd und strich sich mit seiner von Narben gezeichneter Hand durch sein kurzes, dunkelbraunes Haar. „Es scheint was dran zu sein. Jedoch bezweifle ich, dass ein Fluch und eine Hexe dahinterstecken!“ Nachdenklich kratzte der Anführer mit schwarzen Haaren sich am stoppeligen Kinn. Ein kühler Luftzug spielte mit der lodernden Flamme und ließ sie sich winden. Die Büsche raschelten, und Blätter wischten dem Boden entlang. Zu solch schrecklichen und unmenschlichen Schandtaten konnte doch keine Frau fähig sein. Oder? Dafür war sie von viel zu zierlicher Statur, wenn man den Beschreibungen Glauben schenken konnte. Noch niemand stand ihr von Angesicht zu Angesicht persönlich gegenüber. Jedenfalls niemand, der lebend zurückkehrte. Außerdem wurde die schneeweiße Hexe angeblich nur nachts gesichtet. Ihre Haut sowie ihre Haare und ihr Kleid waren weiß wie Schnee, und ihre Augen hatten die Farbe Rot des Blutes aller Lebewesen. Die Augen des Teufels, so behaupteten viele. Man nahm an, dass die einst verstorbene Tochter der Familie De Menciums diejenige war, die wiederauferstand, um sich möglicherweise zu rächen. Es wurde gesagt, sie verstarb infolge einer Erkrankung an einer Lungenentzündung. Wie man auf den Verdacht kam? Vor wenigen Wochen brannte das komplette Anwesen ihrer Familie nieder. Unter dem Schutt und der Asche wurde gefunden, was von den Körpern noch übrig geblieben war. Eine irreparable Theorie. Nur ein Narr mochte dieser Erzählung einer Wiederauferstehung glauben. Ein rachsüchtiger Leichnam. Wie naiv. Vielleicht diente aber ihre Erscheinung als Omen, um die Menschen zu warnen. Oder aber es steckte ein psychopathischer Mörder dahinter, der sich diese Figur nur ausgedacht hatte.

„Vielleicht wurde Lady Luna einst weggesperrt aufgrund eines fatalen Fehlers, den sich ihresgleichen niemals hätte erlauben dürfen, und nun, nach ihrer Befreiung, zog der betörende Duft nach Rache sie in den Bann!“, sprach der Jungspund mit einem gespielt bedauernden Unterton. Sein blonder Freund lachte und fügte theatralisch gestikulierend hinzu: „Sie liebte wohl einen der Butler, und ihr dunkles Geheimnis kam irgendwann ans Tageslicht. Und als Bestrafung dafür, einen Unwürdigen geliebt zu haben.“ Abrupt verstummte er, da die Gruppe vor Schreck zusammenfuhr. Des Händlers Maultier gab plötzlich panische Laute von sich. Es zog wie wild am Seil, als wollte es fliehen. Aber vor was? Außer ihnen war doch niemand hier. Der alte Mann war der Erste, der sich aus seiner Starre löste, und er trat mit Bedacht und Vorsicht an das Tier heran, dabei versucht, es zu beruhigen. Alarmiert ließen die Zigeuner ihren suchenden Blick durch die Natur schweifen. „Sind wir etwa nicht allein?“, flüsterte der Blonde angespannt. „Ich könnte mir auf keine andere Weise erklären, weshalb sein tierischer Gefährte ansonsten in Panik verfallen würde“, sagte sein Gruppenführer und Freund und nickte in die Richtung des Tieres. Eine finstere Präsenz schien sich in unmittelbarer Nähe zu befinden.

Perfekt. Sie waren die Auserwählten, die er sich nehmen würde, um das Verlangen, seine lodernde Flamme der Wut zu entfachen, zu stillen. Vorerst.

Stets angetrieben von seinem Überlebensinstinkt, versuchte das Maultier, sich loszureißen. Die Zügel schnitten mittlerweile in die Haut und hinterließen leichte Einschnitte. Noch. Der Gesang der Angst und des Schmerzes nahm an Lautstärke zu. Es wollte weg. Weit weg. Egal wohin. Bloß weg. In Sicherheit sein vor dieser diabolischen Aura, die nur Leid und Tod im Sinne hatte.

„So beruhige dich doch!“ Der ältere Mann hob seine Hände. Was war nur in ihn gefahren?

Die Stimmung nahm an Spannung zu. Ein Kloß im Halse der Reisenden bildete sich. Eigenartig und äußerst furchteinflößend. So was hatten die jungen Leute noch nie zuvor verspürt. Sie fühlten sich aus einem unerklärlichen Grund wie gefangen in einer Falle.

Vollkommen berechtigt.

„Nun ist aber gut!“ Dem Größten der Gruppe riss allmählich der Geduldsfaden. In einem raschen Tempo näherte er sich der tierischen Sirene und wollte es endgültig zum Schweigen bringen. „Halt. Bleib lieber weg von ihm!“, riet der Schwarzhaarige hastig und wollte seinen Freund noch am Arm festhalten, verfehlte ihn jedoch. Plötzlich traf der Huf den Brünetten am Kopf. Die Wucht des Schlages warf seinen Körper so dermaßen stark zurück, dass sein Schädel ein zweites Mal ungehemmt abprallte. In diesem Falle auf den Boden. Eine Blutspur rann an seiner linken Schläfe hinab. Tja, wer nicht hören wollte, musste fühlen, falls er jemals wieder sein Bewusstsein erlangen würde. Dummer Bauer.

Die Gruppe behandelte den Verletzten, so gut es ging, und sie legten ihn in eines ihrer Zelte, das näher am Lagerfeuer aufgebaut war. Der Esel hatte sich wieder beruhigt. Welch ein Glück. Außerdem verflog die Anspannung, die zuvor noch in der Luft gelegen hatte.

Wie erfreulich.

Der Rest der Mannschaft, bis auf den Händler, begab sich letztendlich ins ersehnte Land der Träume. Gemütlich verschanzte man sich unter der löcherigen Decke, dabei die Beine angezogen und das Haupt auf den Armen oder Händen gebettet, um Insekten im Gehörgang zu vermeiden.

Etwas hielt den älteren Herrn davon ab, zu entspannen und veranlasste ihn dazu, sich die Beine zu vertreten, bevor auch er sich ausruhen würde. Sein Weg führte ihn ziellos gerade- aus zur Rechten des Rastplatzes. Der Baum, an dem der Bärtige sich kurzzeitig abstützte, fühlte sich noch sehr feucht an. Ein unangenehmes Kitzeln im Rachen ließ den Mann einen Moment lang herzhaft husten. Dann richtete sich intuitiv seine Aufmerksamkeit auf den Sternenhimmel, der noch nie schöner war.

Es war Ruhe im Lager eingekehrt, zumindest für diesen Moment. Denn bekanntlich hielt nichts für ewig. So naiv vermochte hoffentlich niemand zu sein.

Deren letztes Stündlein hatte geschlagen, und der Spielspaß war eröffnet.

Schließlich hatten diese Menschen es nicht besser verdient.

Der dunkle Baron der Nacht breitete seine Arme aus und knurrte vorfreudig:

„Laßt die Spiele beginnen!“

Wie bedauerlich. Dabei war seine Person früher doch so tierlieb gewesen, zumindest als er noch ein Mensch war. Aber den vierbeinigen Hahn nicht umzulegen, da kam er nicht drum herum. War überraschenderweise ziemlich anstrengend, die Klinge zieltreffend hineinzu- rammen. Zu seinen Gunsten war das Vieh nicht mehr dazu in der Lage, allzu hörbare Geräusche von sich zu geben. Nun lag es tot, immer noch angebunden, auf dem nassen Waldboden. In ein paar Tagen würden die Fliegen damit beginnen, ihre Larven in den Kadaver zu setzen. Langsam würden die Maden das Fleisch so dermaßen zerfressen, bis nicht mehr viel davon übrig bleiben würde. Eine große Blutlache tränkte das Gras, und die Flammen des klagenden Feuers schimmerten in der pechschwarzen Pfütze. Seine Waffe drehte er desinteressiert in seiner Hand und wischte die rote Flüssigkeit am Fell des Esels ab. Nun glänzte sie wieder schön. Seine Augen spiegelten sich im Metall wider. Vereinzelte Bluttropfen fanden ihren Platz auf seinem Gesicht. Mit seiner linken Hand machte er sich daran, diese langsam wegzuwischen, bevor er sich erhob.

Selbst wenn ein Lebewesen weniger nun präsent war, minderte dies sein Verlangen nicht. Es war nicht dasselbe, als wenn er einem Menschen den Gnadenstoß versetzte. Nicht so süß.

Er begann zu grinsen und näherte sich dem Zelt, in dem sich der vorzeitig Totgeweihte befand. Hoffentlich erlag er noch nicht seinen Verletzungen. Und falls er Schmerzen verspüren sollte, brauchte er sich nicht weiter zu sorgen. Bald würde er von seinem Leid erlöst werden.

Der amateurhaft bandagierte Kopf des Brünetten lag auf einem mit Gras gepolstertem Sack gebettet. Seine Haut hatte bereits an jeglicher gesunder Farbe verloren. Jedoch verstorben war er nicht. Sein Brustkorb hob und senkte sich noch.

Der Geruch von Blut stieg dem Mantelträger in die Nase. Kurz hielt er noch inne, um den betörenden Duft in Mischung mit dem Geruch des Waldes zu inhalieren.

Die Klinge schwebte nur wenige Zentimeter über die entblößte Kehle des jungen Mannes. Sicherheitshalber fand seine freie Hand auf dem Mund seines Opfers Platz, bevor sein Instrument waagerecht den Hals entlangstrich, wie der Bogen einer Geige, dessen erklungener Ton einem Röcheln entsprach.

Voller Vorfreude verlagerte der Hutträger sein ganzes Gewicht des Körpers auf seine Arme, um stärkeren Nachdruck zu erzeugen. Vorzugsweise hätte er ihn am liebsten enthauptet. Aber man konnte nicht immer alles haben.

Der Tod war mittlerweile zu einem ständigen Begleiter geworden. Beinah hätte der Schwarzgekleidete ihn als Freund bezeichnen können. Aus ihm noch unbekannten Gründen jedoch nur beinah. Dieser betörende Rausch, für einen kurzen Moment die nahezu zerfleischende Wut betäubt zu haben, war viel zu stark. Aber dagegen ankämpfen wollte der Mann nicht. Nein. Gewisse Menschen hatten wahrlich nichts Besseres verdient. Davon war er überzeugt.

Das Lagerfeuer, das für eine kurze Zeit erlosch, wurde von der ominösen Gestalt neu entfacht. Mittlerweile lagen drei seiner vier Spielzeuge mit durchgeschnittenen Kehlen leblos vor dem flackernden Licht. Es galt, den Letzten zu entsorgen. Einen Körper nach dem anderen warf er ins Feuer und ließ somit deren leeren Hüllen brennen. Seine rechte, behandschuhte Hand griff zu einem der fackelnden Stöcke und entzündete zunächst die Säcke voller Güter und die leeren, halb ineinanderfallenden Zelte. Es musste brennen. Diesen kompletten Schandfleck galt es zu verbrennen. Deren Raststätte wurde von gelb-orangem Licht erhellt, und der Geruch des Verbranntem verteilte sich in der Luft. Gemütlich näherte er sich dem letzten Häuschen, das aus nichts anderem als einer zerfetzten Stoffplane bestand.

Die ganze Zeit über hatte sich der schwarzhaarige junge Mann unruhig im Schlaf gewälzt. Ihn ließ ein gewisses Gefühl nicht los, dem er mit Sicherheit mehr Beachtung hätte schenken sollen. Zu spät. Die Bilder seines Traumes wurden verzerrt und verschwammen letztendlich im einem grellen, orangenen Licht. Schweißperlen liefen an seiner Stirn hinab. Sein Körper nahm eine unfassbare Wärme wahr. Verschlafen öffneten sich seine Augen, nur um dann vor Schreck weit aufgerissen zu werden. Sein Zelt brannte. Sofort raus hier, dachte er sich instinktiv und sprang heraus, dessen ungeachtet, dass die Öffnung seines Unterschlupfs ein buchstäblicher Feuerring war. Seine veraltete Jacke fing Feuer, und der überaus heiße Schmerz ließ ihn schreien. Ohne seine Umgebung richtig wahrzunehmen, schmiss er sich zu Boden und wälzte sich im Dreck wie ein Schwein, um den Brand zu löschen. War es etwa schon wieder Morgen? Es war so hell. Oder befand er sich in der Hölle?

Ihm wurde schwindlig und schlecht zugleich. Seine Kameraden. Er musste sie warnen. Sein Puls beschleunigte sich, sowie seine Atemzufuhr. Angespannt rief er ihre Namen, seine Augen schweiften angespannt zwischen den anderen Zelten hin und her. Waren sie etwa schon verstorben? Alles brannte lichterloh. Egal wo er hinsah, der ganze Platz war betroffen. Und nicht nur deren Wertgegenstände. Fassungslos fasste der Zigeuner sich an den Kopf und sank auf die Knie, als er den mit Abstand schrecklichsten Fund seines Lebens machte.

Dumpf erklangen die Worte einer tiefen Stimme in seinen Ohren. Im Augenwinkel erkannte er eine dunkle Gestalt, die sich vor ihn positionierte und demonstrierend die Arme breit ausstreckte. Offensichtlich war dieser Herr für das Chaos verantwortlich, vermutete der Jüngere zumindest. Seine Worte konnten seine schalldichte Aura nicht durchdringen. Zu betäubt war er, und es scherte es ihn auch einen Dreck, was dieses Biest zu faseln hatte.

Missbilligend starrte dieses kleine wertlose Schwein, das ohnehin in wenigen Minuten geschlachtet sein würde, dem mit einer Klinge bewaffneten Hutträger in die Augen. Gelassenheit traf auf Hass. Unendlicher Hass. Interessant.

„Nun sind wir schon zwei, Herr Zigeuner!“

Stille.

„Ihnen hat es wohl die Sprache verschlagen, wie mir scheint!“, kicherte der Mörder, und seine Linke umklammerte den Griff der Waffe ein Stück intensiver.

„Sie …“, hauchte der Zigeuner atemlos. Seine Hände verkrampften sich schmerzhaft zu Fäusten.

„Ich bedaure, ich verstehe Sie schlecht!“ Seine Stimme klang monoton. Langsam wurde es ihm zu langweilig. Wie enttäuschend. Dabei hatte er sich erhofft, solch eine Szenerie würde unterhaltender werden. Möglich. Allerdings nicht mit jemandem, der die Ausstattung eines miserablen Rückgrats besaß.

„Sie haben meine Freunde ermordet, Sie widerliches Monster!“, schrie der Zigeuner aus vollem Halse, sodass sein Rachen zu brennen begann.

„Offensichtlich. Wollen Sie mir noch was mitteilen, was ich möglicherweise nicht weiß, wie beispielsweise, dass es hier brennt?“, zischte sein Gegenüber. Von hoher Intelligenz gepriesen schien er nicht zu sein. Da waren selbst Kakerlaken bei Weitem höher gebildet.

„Wie konnten Sie nur?“

„Nicht doch, wie konnte ich nicht!“ Ein Seufzen seinerseits.

„Wie kann ein Mensch nur zu so was in der Lage sein?“, knurrte der junge Mann und erhob sich langsam. Seine Glieder zitterten vor Adrenalin, welches geradezu danach schrie, entladen zu werden. Verachtend verengten sich seine Augen zu Schlitzen.

Für Trauer fand sich momentan kein Platz.

„Ihrer Spezies gehöre ich seit bereits langer Zeit nicht mehr an. Seien Sie doch froh. Oder würden Sie es bevorzugen, ich würde mich dazuzählen, ein sogenannter Mensch zu sein?“

Irritation zeichnete sich im Gesicht des Jüngeren wieder. Wovon sprach dieser Mann?

„Genug der Worte!“ In einem erstaunlich schnellen Tempo schoss der Hutträger auf den Zigeuner zu, der nur knapp ausweichen konnte. Der Jüngere stolperte zu Boden, fing sich zu seinem Glück schnell wieder und versuchte, Abstand zwischen sich und ihm zu gewinnen. Außer Frage stand: Er war absolut im Nachteil. Alle waren fort. Für immer. Warum? Warum musste ihre Gruppe so ein Schicksal ereilen? Er besaß nichts. Er war ein Nichts. Ein Hieb nach dem anderen folgte. Jeder hatte sein Ziel bisher verfehlt, jedoch nicht ohne Grund. Ihm wurde von einer Wand, bestehend aus Flammen, der Weg abgeschnitten. Die Möglichkeit, nach einem anderen Ausweg zu suchen, wurde ihm verwehrt, da ihn der letzte und kraftvollste Hieb fast durchbohrte. Er spürte, wie die messerscharfe Klinge in das Fleisch seines Bauches eindrang und seine lebenswichtigen Organe beschädigte. Blut quoll aus seinem Mund. Hechelnd sackte er in sich zusammen, dabei seine Hände nutzlos auf die Wunde pressend, in der Hoffnung, die Blutung stoppen zu können. Dieser metallene Geschmack im Mund widerte ihn an. Hilflos wie eine Schildkröte lag der Schwarzhaarige auf dem Rücken, in das lächelnde Gesicht des Wahnsinnigen blickend. Die Sicht um ihn herum begann zu verschwimmen. Das war’s. Er war ihm ausgeliefert, umgeben von einem Meer aus Flammen. Die blutverschmierte Waffe schwebte wenige Zentimeter über der Nase des Sterbenden.

Und noch bevor die dunkle Gestalt auch diesem minderwertigen Geschöpf die Stimmbänder mitsamt der Kehle zerschnitt, röchelte es folgende letzte Worte: „Sie sind kein Mensch. Sie sind Satan in Menschengestalt!“

Vor Schock gelähmt, beobachtete der Händler die Szenerie, als er von seinem kurzen Spaziergang zurückkehrte. Die Schreie des jungen Mannes und das helle Licht, gepaart mit emporsteigendem Rauch, veranlassten ihn dazu, kehrtzumachen. Allerdings zu spät. Heilige Mutter Gottes. Was war bloß geschehen? Hinter einem Busch hielt der Ältere sich versteckt. Er musste fliehen. Zu seinem Bedauern ohne sein Maultier, da dieses ebenfalls nicht mehr atmete. Wie konnte man nur eine schreckliche Tat wie diese vollbringen? Etwa aus Zeitvertreib? Widerwärtig und außerordentlich beängstigend zugleich. Wenn nicht sogar herausragend verstörend. Sein Leib zitterte, und der Mund wurde trocken. Regungslos stand der Mann für einige Minuten am Tatort, bevor er dann wieder in den Wald lief und mit der Dunkelheit verschmolz. Dem alten Herrn wurde mulmig zumute. So schnell wie es ihm möglich war, setzte er seinen vorgesehenen Weg fort. Dabei murmelte er leise immer wieder: „Um Gottes willen. Um Gottes willen!“ Diese schrecklichen Bilder. Die ohrenbetäubenden Geräusche. Die ekelhaften Gerüche. Alles würde sein Leben lang in seinem Gedächtnis verankert bleiben. Innerlich dankte er dem Himmel, dass es ihn verschont hatte. Welch ein Glück. Seine Geschwindigkeit nahm, aufgrund seiner schweren Stiefel, die bei jedem Schritt in den nassen Matsch leicht einsanken, etwas ab. Als er sich kurzzeitig auf seinen Beinen abstützte, um zu verschnaufen, erblickte er weiter vorne eine Kutsche, die abseits des breiten Waldweges stand. Was für eine glückliche Fügung. Vielleicht besaßen die Besitzer die Güte, ihn für eine kurze Strecke mitzunehmen. Dies würde ihm die Reise erleichtern und ihn schnell und so weit wie möglich von diesem Wald wegbringen.

Erleichtert erhob er seine Faust und wollte auf sich aufmerksam machen, indem er an das Fenster klopfte. Aber als er ins Innere des Fahrzeuges blickte, erstarrte er zu Eis. Aus seinem Gesicht wich jede Farbe, und er fiel rückwärts auf seinen Hintern. Rücklings krabbelte er zurück, bevor er wieder aufstand, um ein zweites Mal zu fliehen. Nein. Das durfte nicht wahr sein. Das konnte doch nicht wahr sein. Sie war es. Die Hexe. Sie hatte die Zigeuner verflucht und dazu verdammt, in deren Verderben zu stürzen. „Gott verschone mich“, flüsterte der Bärtige verzweifelt und außer Atem. Seine Füße und Beine brannten. Die Müdigkeit setzte ein. Aber nein. Er musste weg. Weg. Weg. Weit weg. Er wollte nicht verflucht werden. Die schneeweiße Hexe und ihr Monster durften ihn nicht kriegen. Bitte nicht. Er hätte alles dafür getan.

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