Kitabı oku: «Der Duft der indischen Nelke», sayfa 6

Yazı tipi:

Lara gibt mir Köpfchen in die Taille. Sie weiß, dass da noch etwas in der silbernen Schale auf sie wartet. Ich gebe ihr noch den großen letzten Brocken Hammelrippchen. Ihre Lieblingsspeise. Leo beobachtet das mit einem eher unsicheren Gesichtsausdruck. Doch seine Aufmerksamkeit wandert wieder zurück zur tanzenden Liane. „Ihr habt es hier wirklich super. Diese Aussicht! Ich meine natürlich auch gerade vor dem Fenster.“ Die Weise, wie Leo Liane betrachtet, rutscht ins Lüsterne.

„Das war wirklich total nett, mich Höhlenforscher so spontan zum Happen Pappen zu bitten.“ Wie es bei alkoholisierten Menschen oft zu bemerken ist, lachen sie gerne über sich selbst. Und Leo findet gerade sein Happen Pappen äußerst lustig.

„Monsieur! Ihre Töpfschen Bier, voilà.“ Paul nimmt die leeren Schälchen Crème brulée mit. Ich habe nur ungefähr aufgepasst, aber das muss Leos achtes oder neuntes Bier sein.

„Merci! Wohl bekomms! Auf alle Mütter meiner ungeborenen Kinder!“, prostet er sich selbst zu.

„Ich glaube, es wird besser sein, wenn du die Nacht hier verbringst. Jedenfalls sehe ich dich nicht mit ruhigem Gewissen im Dunkeln mit deinem Bulli die engen Serpentinen langfahren.“

„Quatsch! Bin schon im Jeep in Afrika am Fuße des Kilimandscharo die Savanne langgerauscht. Vorher hatten wir ein Gelange? Nee, ein Gelage sacht ma wohl. Egal, im Nachbarzelt wohnte Mick Jagger. Habe nicht schlecht geschaut, als der morgens vor seinem Eingang paar Freiübungen machte. Auf jeden Fall floss das keniatische, ich meine das kenische Bier, eine furchtbare Brühe, in Strömen!“ Bei Leo floss gerade der aktuelle Inhalt seines Glases halb über sein Kinn und dann über sein Hemd und die andere Hälfte folgte eher dem herkömmlichen Weg eines Bieres nach Verlassen des Seidels.

„Ich glaub‘, das Leolein sich hat ´n bisschen nass gemacht. Liiaane, wo issn des Klo? Oh, oh. Hier schaukelt ja allet!“

Leo wollte aufstehen, merkt aber sogleich, dass mit seinem Gleichgewichtssinn nicht alles zum Besten ist.

Aus den Lautsprechern ertönt Ramblin Man von der Allman Brothers Band und Leo grölt nicht unbedingt ton- und rhythmussicher: „Gamblin man, gamblin man, hey, hey!“

„Komm, Leo, ich bring‘ dich jetzt mal für große Jungs!“ Ich stelle mich auffordernd vor ihn. Er erhebt sich, kippt fast vorne über, legt mir den Arm um die Schulter und ab geht’s in Richtung Toilette.

„Liiaane!“, imitiere ich ihn, „mach schon mal alles im Studio klar. Ich zeige unserem Verfahrensdoktor sein Schlafgemach.“

„Cool, ich sehe es dir an, du hast noch was Geiles ausgebrütet!“ Sie swingt ihre schwarzen Rockschöße zu Ramblin Man.

Als ich wenig später ins Studio A komme, sind alle Strahler an, die Lämpchen an den Geräten blitzen und Liane sieht auf einem Barhocker so aufgeräumt aus, als habe sie sich vor dem großen Spiegel neben den Orange Boxen einen multiplen Orgasmus bereitet. Ihre Frisur gleicht der Janis Joplins nach einem inbrünstig vorgetragenen Summertime.

Das macht mich zwar tierisch an, sie so zu sehen und am liebsten ginge ich unter ihrem Rock und auf ihrem Dekolleté auf Erkundungstour, aber ich weiß, dass diese erotische Spannung zwischen uns, wenn sie spontan unerfüllt bleibt, der kreativen Umsetzung musikalischer Ideen sehr förderlich ist.

„Komm, meine Süße, du meine allerliebste of all the Bitches, lass uns uns unserer erhabenen, dekadenten Version von Choppis Nocturnes No. 3 in BH-Dur en Si Op. 9/3 widmen.“ Es macht mir Vergnügen, den ganzen Titel süffisant herzubeten! Für die Interpretation dieses classic Klassikers habe ich mir eine Spezialanfertigung einer Wersi-Orgel mit einem einmaligen Lautsprecher-Kabinett geordert. Das ist eine hölzerne Boxenkonstruktion mit darin rotierenden Leslie-Lautsprechern für den gleichnamigen Effekt. Ich nehme auf der Bank mit dem weinroten Samtbezug Platz, der an das Cover der Doppel-LP Odessa von den Bee Gees erinnert. Zuerst mal lasse ich die Lautsprecher im Kabinett rotieren und schalte ein wenig Hall ein. Die Noten hat mir Liane schon aufgestellt. Ein wenig Vibrato kann nicht schaden. Liane hat ihre Noten und den relevanten Text auf einem Notenständer vor sich. Sie rauft sich die Mähne und schnüffelt sich unter den Achseln. Dann greift sie sich ihre Geige. Ich beginne mit den ersten neun Tönen von Tin Soldier von den Small Faces.


Übergangslos geht es dann in die Melodie von Chopin. Nach zwanzig Sekunden steigt Liane ein und wiederholt die Melodie mit ihren Saiten und dem Rosshaar des Bogens. Unmittelbar danach kommt die Stelle, wo wir die Klänge das erste Mal schweben lassen. Liane ist mit dem Text dran: „Schmieg dich an meine Haut, bis die Sonne wieder scheint. Davor spielen wir das Spiel, von dem Robert Plant uns singt. Quetsche ich dich und knete ich dich, bis der Saft dir die Beine lang rinnt!“ Das bringt sie mit einer derart lasziven Betonung unter einer nahezu schmutzigen, betörenden Hervorhebung der Wortendungen, dass mir heiß und kalt wird. Aber dafür ist keine Zeit. Ich muss mich auf die Noten konzentrieren und sie auf ihren nächsten Geigeneinsatz. Wenn alles zur Zufriedenheit aufgenommen sein wird, werde ich unseren Percussionisten Pablo Rodriguez bitten, mit seinen Bongos und Congas etwas hinzuzuzaubern.

„Ich bin bettreif, Chéri! Sei mir nicht böse, wenn ich schon mal in die Federn springe. Mach‘ hier noch so lange, wie du brauchst, um alles ultramäßig abzuschließen.“ Lara, die lang ausgestreckt auf dem alten braunen Leder Chaiselongue von Lianes Oma vor sich hingeschnarcht hatte, schließt sich ihrem Frauchen an. Die beiden sind unzertrennlich.

Nach viermaligem Anhören, Zurückspulen und noch ein fünftes Mal, bin ich fast am Ende des Stückes angelangt. Wieder und wieder überlege ich, ob ich Nocturnes No. 3 so enden lasse, wie wir es begonnen haben. Ich füge dem Ende mit leichter Überblendung die neun Töne von Tin Soldier an. Da poltert mit entsetztem Gesichtsausdruck Paul ins Studio. „Hubèrt! Kommen rapide! Es sich passiert etwas. Schnell zu Liane, Hubèrt.“ Er eilt voran und ich hinterher. Auf dem lila Sitzsack vor unserem Schlafzimmer kauert blutüberströmt Leo. Über die rechte Gesichtshälfte führen die Spuren beeindruckender Krallen. Ich weiß natürlich, wer das war. Aber ich weiß nicht, warum sie das gemacht hat.

„Was ist hier los?“ Leo antwortet nicht, sondern wimmert nur etwas debil.

Im Schlafzimmer sitzt Liane im roten Kimono auf der Bettkante. Lara thront neben ihr und sieht mir mit stolzem Blick entgegen.

„Chéri, dieser Leo ist wohl nicht ganz dicht. Auf dem Weg von der Toilette hierher muss er mir nachgeschlichen sein. Jedenfalls stand er plötzlich hinter mir, als ich mein Kleid ausgezogen hatte. Ich war nur im BH und bei ihm rutschte die Hose und er zeigte mir seine Erektion. Ich sagte, dass er unsere Gastfreundschaft in diese Richtung wohl missverstanden hätte. Daraufhin meinte er, dass seine Leistung trotz vieler Töpfchen Bier doch erstaunlich genug sei und es zudem schade sei, diesen Zustand ungenutzt zu lassen. Daraufhin bat ich ihn, das Zimmer zu verlassen und gab ihm noch den Rat, seine Hände zu gebrauchen. Er könnte ja dann an mich denken. Das fiele ihm nicht im Traume ein und wie ein Wiesel schubste er mich und warf mich rücklings aufs Bett. Lara sprang neben mich und knurrte und fauchte unüberhörbar. Doch in seinem Suff schien er das nicht zu hören, sondern wälzte sich auf mich. Da baute sich unsere Lara vor ihm auf und ratsch, batsch fing er sich eine mächtige Tatze in die verschwitzte Visage!“

Ich nehme sie in die Arme. Sie zittert. Lara gibt mir Köpfchen und draußen zischt eine lallende Stimme: „Mistvieh, das büßt du mir!“

Nach einer Weile klopft es an der Tür und Paul entschuldigt sich. „Pardon, dass ich störe, Monsieur Léo, er ist gegangen und gefahren los mit seiner Bulli!“

„Merci Paul, geh‘ man nun auch schlafen.“ Ich schlüpfe zu Liane unter die Decke. Lara sitzt aufrecht am Fußende, so als müsse sie über uns wachen.

Die Nachmittagsvorstellung von Catwalk im großen Kino von Pau ist nur spärlich besucht. Liane hatte schon ein paar Tage lang darauf gedrängt, diesen Film unbedingt sehen zu müssen. Irgendwie hat mich die Idee auch angebockt, da die Models einer Kollektion wohl nach den Greatful Dead liefen. Eine ganz und gar absurde Vorstellung. Glanz und Glamour der Modezaren von Paris nach dem morbiden Westcoast-Charme der

Ultra-Hippies.

Und so staksen die ersten Ladys gerade nach Baker Street in Outfits von Dior, als wir uns gemütlich und mutterseelen lonesome eine Veuve Clicquot öffnen. Nach einem Glas beginnt sich meine liebe Begleiterin für meinen Schoß zu interessieren. Jedenfalls spüre ich die Wärme ihrer linken Hand auf mir. Ihr ist heute so nach bravem Schulmädchen, denn zwei Rattenschwänzchen schaukeln rechts und links ihres auf Unschuld geschminkten Gesichtchens. Eine Bluse, die, wenn sie nicht so blütenweiß wäre, von ihrer Großmutter stammen könnte. Der rot-schwarz karierte Rock dürfte keinen Millimeter kürzer sein, da man ihn sonst eher als ziemlich breiten Gürtel bezeichnen müsste. Die weißen Kniestrümpfe, die aus den ebenso weißen Tennisschuhen herausragen, sind vielleicht das bravste, was sie heute zu dieser Cinema-Show trägt.

Von der Leinwand kommt jetzt ein anderer Sound, eine andere Kollektion. Tatsächlich! Da ist er laut und deutlich zu hören:

der Candyman von Jerry Garcia und Robert Hunter, eine Liveversion der Dead. Und sagenhaft geile Outfits getragen von

auf Geisha geschminkten Asiatinnen. Alles fließende Chiffonstoffe, unter denen die Models nichts tragen.

Jetzt kommt eine große Blonde und sie ist keine Asiatin, aber ihre Augen sind definitiv so geschminkt. Eher wie eine Katze schleicht sie über den Laufsteg. Just für sie spielen die Dead auch live Little Red Rooster. Das eng anliegende Top lässt ihre beiden birnenförmigen Brüste bis in alle Einzelheiten erkennen. Die Trompetenärmel wehen im exakten Rhythmusgefühl ihrer Trägerin. Liane ist ohne jede Scham, hat meine Hose geöffnet und beginnt, an mir zu kosten.

„Du schmeckst aber heute nach reifen Kastanien!“, flüstert sie mir von unten zu.

„Kein Wunder, du Biest!“, zische ich ihr ins Ohr. „Du weißt doch, dass ich auch feucht werde, wenn du mich noch dazu in der Öffentlichkeit so anmachst.“

Die blonde Asiatin führt nun zum zweiten Mal ihren schwarzen, wadenlangen Stufenrock entlang der bewundernden Blicke eines vornehmlich weiblichen und ausnahmslos ultragestylten Publikums. Jetzt kommt die Stelle, wo der künstliche Wind besonders aufreizend die Rockschöße wirbelt. Sie passt nicht gut auf. Ich möchte meinen, sie legt es sogar darauf an, denn unmerklich verlangsamt sie ihren Walk und wie bei Marilyn auf dem U-Bahnschacht bildet der Rock ein schirmartiges Outfit.

„Die ist ja rasiert!“, tuschele ich nach unten. Liane lässt kurz von mir ab und kann gerade noch miterleben, wie sich der schwarze Chiffon nach dem Ausnutzen der Bö wieder nach unten fallen lässt und die Blondine mit pobetontem Gang den Steg verlässt.

Jetzt ist wieder eine, vermutlich echte Japanerin auf dem Weg. Ein schwarzweißes Kimonokleid mit tiefem Ausschnitt gleitet ihr um den grazilen Körper. Bei mir gleitet etwas sehr Stolzes, weil sanft Umhegtes, in sündigen Bewegungen zwischen Lianes Lippen. Jetzt trifft auch das Kimonokleid auf den gesteuerten Wind. Auch sie passt nicht auf, so wie ich nicht aufpasse und loslasse, was ich noch lange zurückhalten wollte. Ich fühle, wie meine Haut elektrisiert, mein Rücken vibriert und es flutet aus mir, als sei ein Staudamm gebrochen. Liane funkelt mich strahlend an. Sprechen kann sie gerade nicht, doch von der Leinwand singen die Dead Friend Of the Devil but me I’m the Friend of an Angel!

Voices In the Sky kommt aus dem Kassettenrecorder und Liane kniet vor mir und lächelt mich zweideutig an.

„Hubert, du bist ein echtes Phänomen!“

Sie schlüpft in ihr Kleid und ich in meine Hosen. Dessen ungeachtet nimmt sie auf meinem Schoß Platz. Sie fährt mir durchs Haar.

„Man könnte meinen, dass du eine mittelprächtige Wanderung absolviert hättest.“

„Mittelprächtig war hier rein gar nichts, sondern über alle Maßen prachtvoll! Und absolviert habe ich eine kleine Einsicht, in was es bedeuten kann, Glücklichsein zu sein.“ Ich gebe ihr einen Kuss auf die Wange.

„Sag mal, was machst du eigentlich in der Zeit, wenn du armen Kerlen nicht den Kopf verdrehst?“

„Magst du raten?“ Postwendend bekomme ich meinen Kuss zurück.

„Nun, schließen wir erst mal aus: Du bist keine Bäckerfachverkäuferin, keine Anwaltskanzleigehilfin, keine technische Zeichnerin und auch keine Angestellte in einer Expressreinigung.“ Ich warte, ob ich irgendwo danebenliege.

„Schlau, schlau, lieber Hubert! Nun aber mal ein paar realistische Vorschläge, was ich wohl mache.“ Sie geht zum Recorder und dreht die Cassette. Cymbaline von Pink Floyd schmiegt sich in unsere Ohren.

„Erzieherin in einem Kinderheim für schwer erziehbare Gören?“

„Nee!“ Sie kriegt fast einen Lachkrampf.

„Krankenschwester in einer Psychiatrie vielleicht?“ Ich zwicke sie in ihre ausgeprägte Taille. Tapfer kämpft sie gegen eine Kitzelreaktion.

„Auch nicht! Hubert, ich bin weit entfernt von Mutter Theresa.“

„Bist du noch in einer Ausbildung?“ Plötzlich kommt mir dieser Gedanke, denn sie ist wahrlich noch nicht alt.

„Ja, ist schon viel wärmer.“

„Studierst du?“ Sie nickt ein bisschen.

„Psychologie?“

„Falsch!“

„Biologie?“

„Genau, du hast es. Und deshalb nutze ich diese Gelegenheit, dir zu sagen … “

„… dass das hier zu deinen biologischen Studien gehört!“

„Nein, mein Lieber! Humanbiologie ist sicher eine sehr interessante Fachrichtung, aber nicht die Meine. Meine Gebiete sind Echsen und Reptilien. Was ich dir sagen wollte, ist, dass das heute für ein halbes Jahr unser letztes Treffen war. Ab nächster Woche gehe ich auf große Exkursion nach Madagaskar. Mit meinen Rendezvous hier finanziere ich mir die Reise.“ Sie sieht mich an und merkt natürlich meine Enttäuschung.

„Da hast du ein halbes Jahr Zeit, dich auf mich zu freuen!“

„Wenn es mal nur ein halbes Jahr wäre. Ich muss in drei Monaten für sechs Monate nach Frankfurt. Also können wir uns eine Schwangerschaft lang nicht sehen.“

„Was musst du denn so lange bei den Hesseköpp machen?“ Sie drückt mich liebevoll an sich.

„Ich schmeiße mein Tiermedizinstudium und heure bei Hoechst an. Mache ´ne Ausbildung zum geprüften Pharmareferenten.“

„Ist doch vielleicht gar nicht schlecht. Da lernst du dann viele Ärzte kennen. Mein Mann ist auch Arzt.“

Cirrus Minor auch von der Filmmusikplatte More der Floyd schafft sehnsüchtige Stimmung.

Liane greift nach ihrer Handtasche, die heute ein wesentlich größeres Format als die Kulturtasche vom letzten Mal hat. Sie zieht eine Art Papiertüte heraus, so eine, mit der man gewöhnlich die Schrippen vom Bäcker holt.

„Hier, das wird dir die Zeit etwas verkürzen.“ Schelmisch grinst sie mich an.

Die Tüte enthält keine Brötchen. So viel steht fest. Da ist etwas Hartes, Rundes drin. Ich hole es ans Funzellicht unseres Séparées. Eine Filmrolle mit Film!

„Was ist da drauf? Hoffentlich nicht Love Story!“

„Wo denkst du hin. Kannst du es dir nicht denken?“ Ich erhalte einen Kuss auf meinen Mund.

„Sag bloß? Der Film von vorhin? Dein Porno? Der Massagesalon?“

„Ja!“, sagt sie einfach so.

Ich bin perplex. Wie finde ich das? Na geil natürlich.

„Ich bin sprachlos! Danke!“ Ich drücke sie ganz fest an mich.

„Was ich dir noch sagen wollte. Eine Empfehlung, falls du es ohne entsprechendes weibliches Wesen nicht aushalten solltest. Miriam ist eine sehr zärtliche, tolle Frau. Mit ihr könntest du viel Spaß haben. Und auch Tooky, die macht immer auf unschuldiges Mädchen, hat es aber faustdick hinter ihren Öhrchen. Letztlich Gaby. Zwei von meinen Gästen wechseln mich gerne mit ihr ab, wenn man das so bezeichnen kann. Solltest du sie also mal besuchen, kannst du sie gerne von mir grüßen.“

„Liane! Nach unseren zwei Rendezvous glaube ich kaum, dass mir nach einer Anderen zumute sein wird.“ Ich schaue ihr traurig in ihr schönes Augenpaar.

„Abschiede sind etwas Furchtbares. Wie ein kleiner Tod, hat irgendwer mal gesagt. Komm, sei tapfer. Wir stehen jetzt beide auf.“

Wir schmiegen uns eng aneinander. Spüren jeder vom anderen so viel Körper wie nur möglich, küssen uns bis The Nile Song endet.

„Bis nächstes Jahr“, sage ich, als sie schon fast durch die Tür ist. „Ja, bis nächstes Jahr, aber noch in diesem Leben“, flüstert sie zurück.

4 Eine Nelke kommt im hohen Bogen

Das Wetter ist klar, der Blick über die Unendlichkeit des Meeres durch nichts getrübt. Beeindruckende Schaumkämme rundum. So weit das Auge reicht. Kein Schiff, kein Vogel und auch kein Wal in Sicht. Wie komme ich darauf, hier vom Turm aus Wale sehen zu wollen? Habe ich von Walen geträumt? Vielleicht von Pinocchio, der in einem solchen Riesen Unterschlupf fand. So wie ich in diesem Turm. Wann werde ich hier ausgespien?

Da fällt mir auf, dass leise, aber immerhin gut hörbar ein Lied gespielt wird, das nur ganz wenigen Menschen bekannt sein dürfte.

I was born to be a simple man. Just to sing a simple song. But somebody came and cursed my life. I didn’t know, what I’d done wrong.

Simple Man heißt dieser Song und ist von einer Formation, die sich in den 70er-Jahren Cuby+Blizzards nannte. Unten auf dem Plattencover gab es ein Zitat von Jean-Jacques Rousseau: »Je ne suis pas l’homme que tu crois.«

Da hier sehr vieles auf mich reflektiert, ist es sicher auch dieser leise musikalische Verweis.

Ich gehe ein wenig im Rund. Wo er wohl ist? Wie bin ich wieder hierher gekommen? Ich war doch in diesem seltsamen Raum mit der Chaiselongue.

Ich schaue nach unten. Was ist das denn? Da treibt ein gigantisches Containerschiff. Eigentlich sieht es aus wie eine riesige Lagerhalle aus Holz. Und daneben? Ich habe meine

Brille …? Wo habe ich meine Brille gelassen? Oben in der Kajüte vermutlich.

Vera aus dem Album The Wall begleitet meinen Blick neben das schwimmende Haus.

Eine tote Giraffe! Jetzt erkenne ich es.

Weiter hinten in Schwimmrichtung ragt etwas aus der aufgewühlten See. Ich will es nicht glauben. Die obere Hälfte des Funkturms.

Doch Vera hat eine seltsame magische Wirkung. Ich setze mich auf einen Hocker, der neben dem verwaisten Barbereich an der Wand steht. Ich lehne mich zurück. Oder ist das noch die Wirkung von dem Zeug, was er mir gespritzt hat?

Mir fallen die Augen zu.

Ich stehe in einem Fahrstuhl. Die Werbetafel unterhalb der Speisekarte empfiehlt: Ramada Frankfurt exklusiv! Ein intimer Abend mit Roger Whitaker. Ein Kaminkonzert nur für unsere Gäste.

Der Lift hält. Fünfter Stock. Zimmer 535 hat sie gesagt.

Links 501 bis 530 und der rechte Pfeil 531 bis 550.

Also ab und rechts lang. Ich stehe vor der 535, die in goldenen Zahlen auf die grau-gelbliche Tür gebannt ist.

Ich klopfe dreimal kurz wie verabredet.

Sie öffnet mir sofort. Das geht so schnell, als habe sie hinter der Tür gewartet. Ihre normalerweise kinnlangen, braunen Haare hat sie mit einer Spange ziemlich wuselig nach oben gesteckt. Das legt ihren formschönen Nacken frei. Das lange, oben herum eng ansitzende, dunkelblaue Baumwollkleid wird bis zu den Knien ziemlich weit und würde sie sicherlich beim Tanzen zum Wedeln des Stoffes einladen. Sie ist eine kleine und sehr schlanke Person. Das weit bis zwischen die beiden fulminanten Brüste aufgeknöpfte Kleid zieht sicher kalkulierte Aufmerksamkeit auf sich, zumal darunter ein gleichfarbiger BH aus transparentem Stoff heftig um Beachtung bittet.

„Komm rein. Schön, dass du pünktlich bist.“ Ich weiß nicht, ob ihr Augenaufschlag das unterstützen will oder auf etwas ganz anderes hinwirken mag.

Ihr Zimmer ist identisch mit meinem, nur zwei Stockwerke höher: ein geräumiges Bett, rechts und links zwei Sessel mit einem kleinen Schreibtisch, geradezu ein Balkon, von dem man auf den Wald von Frankfurt-Nied schauen kann.

Auf Monikas Bett sind Arbeitspapiere und der große, dicke Ordner Anatomie des Menschen relativ ungeordnet verteilt.

Während des Unterrichts im Fortbildungszentrum der Firma Hoechst sitzen Monika und ich hintereinander. Sie sitzt vor mir und in den letzten, vergangenen Unterrichtsstunden kam es immer häufiger vor, dass sie sich umdrehte, um mich etwas zu fragen. Sodann gab ihr das die Gelegenheit, um mir einen dankbaren Blick zu schenken.

Wir setzen uns nebeneinander aufs Bett. Ich nehme das Papier, das das Skelett des Brustbereichs mit den entsprechenden Bezeichnungen der Knochen auf Deutsch beschreibt. Darunter, wie in einem Vokabelheft, stehen die Begriffe links in Deutsch und rechts in Latein.

„Schlüsselbein?“, frage ich sie.

„Clavicula“, antwortet sie brav und rückt so nah an mich heran, dass ich die Wärme ihrer Oberschenkel spüre.

„Brustbein?“ Sie legt mir seitlich den Kopf an die Schulter.

„Sternum! Habe ich nicht gut gelernt?“ Ihre rechte Hand fährt mir durchs Haar. „Du könntest die Haare ruhig ein wenig länger tragen.“

„Schulterblatt?“ So leicht will ich mich doch nicht ablenken lassen.

„Scapula“, entgegnet sie trocken. „Was hast du denn heute noch vor?“ Ihr Blick richtet sich auf meinen Reißverschluss.

So was Peinliches! Der steht sperrangelweit auf.

„Tut mit leid! Ich wollte dich nicht …“

„… Na hör mal!“, fällt sie mir ins Wort. „Ich bin doch keine Nonne!“

„Schambein?“, will ich unvermittelt wissen.

„Os, Os? Nichts da! Das gehört doch gar nicht zum Brustkorb. Das ist doch viel weiter unten.“

„Richtig“, pflichte ich ihr bei. „Und Os war nicht verkehrt. Os pubis wäre die Lösung gewesen.“

„Ich mach‘ uns mal ´n bisschen Musik.“ Sie schaltet ihr kleines Kofferradio ein.

Zum Abschluss noch ein Blick nach Frankreich: Staatspräsident Válery Giscard d’Estaing wird beschuldigt, vom zentralafrikanischen Kaiser Bokassa I. Geschenke erhalten zu haben. So weit die Nachrichten von Hessen Drei. Es ist 19.35 Uhr.

Eine Musik im Westernstyle ertönt. Don’t you worry, don’t you worry, and it’s too late anyhow, singen zwei männliche Stimmen.

Die Begleitung erinnert mich irgendwie an Cinderella Rockefeller von Esther und Abi Ofarim.

Monika wippt im Takt, wobei ihr Kleid ein wenig das Bein

hochwandert.

„Wie findest du eigentlich die Murschall?“

Frau Dr. Murschall ist die Graue Eminenz der Hoechster Pharmareferentenschulung. Ein Standardwerk über diese Schulungen hat sie schon vor Jahren publiziert. Schließlich sind die Kursteilnehmer nicht ausschließlich für den Hoechstkonzern vorgesehen, sondern viele andere Pharmaunternehmen schicken ihre künftigen Mitarbeiter auch nach Frankfurt-Höchst.

„Vielleicht ist sie nicht die beste Pädagogin, aber sie verfügt über ein unglaubliches Wissen. Wir können sehr viel bei ihr lernen, das steht fest.“ Ich lasse mich auf das große Kissen am Kopfbereich des Bettes fallen.

Das war ein richtiger Oldie aus dem Jahre 1972. „Don’t You Worry” von Abi Ofarim und Tom Winter. Doch jetzt mal einen aktuellen Hit. Der junge Mann ist in Italien schon ein Star und schickt sich an, mit seinem Nummer-Eins-Hit aus seiner Heimat auch diesseits der Alpen einen großen Erfolg zu landen. Ich habe mir sagen lassen, dass speziell unsere Zuhörerinnen total auf diesen Song abfahren. Hier ist er also, Alan Sorrenti mit „Tu sei l’unica donna per me“!

„Hubert, ich liebe dieses Lied! Würdest du es mit mir tanzen?“

Sie springt auf und steht mit strahlendem und bettelndem Blick vor mir.

„Klar, mir gefällt es auch sehr gut. Ich verstehe zwar nicht viel Italienisch, aber ich glaube, der Titel passt sehr gut zu dir!“ Was war das denn, habe ich ihr da eben ein dickes Kompliment gemacht?

Die Reaktion kommt tanzwendend, als sie mir bei den süßen Tönen Sorrentis in den Armen liegt. Sie lässt mich viel Schönes von sich spüren, inklusive ihrer Wange an meiner.

Sie löst ihr Tête-à-Tête mit mir und schaut mich innig an.

Da klopft es zweimal heftig an der Tür.

Unwirsch verlässt sie mich gen Eingang.

„Wer ist da?“ Ihre Stimme klingt wenig einladend.

„Isch bin dat, de Peter.“ Unser Kollege aus Düren möchte Monika einen Besuch abstatten.

„Peter, lass et juut sin!“, empört sie sich. „Isch hän Migrän. Jode Ovend!“ Sie kommt zurück zu mir. Hinter der Tür sind gemurmelte Worte zu vernehmen. Sehr fröhlich klingen die nicht.

Sofort schließt sie sich mir wieder in die Arme und knüpft an den genüsslichen Blick von gerade an. Wer soll dem widerstehen? Muss ich auch nicht.

Langsam, ganz langsam nähern sich unsere Lippen. Sie schließt ihre blauen Augen und ich tue es ihr nach. Der erste Kuss beschränkt sich nur auf die betreffenden Sinne und ist geeignet, den klaren Verstand zu verlieren. Jedenfalls geht es mir so. Als ich wieder zu Sinnen komme, liege ich halb auf ihr und halb auf ihrem von den Lernunterlagen befreiten Bett. Sie ist mir behilflich, auch mich selbst zu befreien, und zwar von meinen Klamotten. Da wären zuerst der hell- und dunkelblau gestreifte Nickipulli und dann natürlich die Jeans. Bei ihr ist es etwas einfacher. Das Kleid hat rücklings einen langen Reißverschluss, der ihr bis zum Po reicht. Der blaue BH spendiert mir den Verschluss vorne und ihr Seidenslip im gleichen Farbton mit einem kleinen Spitzenrand macht nach dem Abstreifen einen Bogenflug auf einen der beiden Sessel.

Wir liegen Gesicht an Gesicht, sie auf ihrer linken und ich auf meiner rechten Seite. Der Ganzkörperkontakt in Kombination mit endlosem Knutschen lässt mich wie selbstverständlich zu Weiterem bereit sein. Ich schiebe sie sanft auf ihren Rücken und gleite vorsichtig auf sie. Sie öffnet die Beine und sie küsst mich, ich gleite weiter, natürlich nun anteilig, aber sehr zielstrebig, bis ich komplett in ihr verschwunden bin. So verweile ich, verweilen wir, den besonderen Augenblick in vollen Zügen auskostend.

„Das ist so schön, so schön, ich wünschte, wir könnten den Moment für immer festhalten“, flüstert sie und beginnt lustvoll zu stöhnen, leise, nur für mich. Beileibe nicht so laut und aggressiv wie Monica Seles auf dem Tennisplatz.

We don’t talk anymore singt Cliff Richard aus Monikas kleinem Radio und mich verleiten ihre Lustlaute auch nicht zum Gespräch, sondern verhelfen mir zu sehr viel Kraft, die ich in weiche und zielführende Bewegungen umsetze.

Sie unterbricht mein rhythmisches Tun, indem sie ein wenig nach oben rutscht. Das fühlt sich an mir kühl und unerfüllt an.

Sie küsst mich und dreht sich geschmeidig auf den Bauch.

„Gefällt dir mein Hinterteil?“

„Sehr“, stöhne ich.

„Sehr gut, sehr gut. Dann lass es uns doch hinten weitermachen.“ Sie streichelt sich eine Pobacke mit einer Hand und spreizt die Beine. „Komm, spendier uns ein wenig Speichel dorthin. Du wirst sehen, das ist fast noch schöner als vorne.“

„Du meinst, ich soll dich …“

„Ich meine, Sie sollen überhaupt nicht ohne mich rückerleben!“

Mit stechendem Blick und zornigem Gesichtsausdruck steht er vor mir. Ich sitze immer noch auf dem Barhocker. Draußen auf dem Meer ist finstere Nacht. Kein Mond und kein Stern in Sicht.

Von irgendwoher kommt Howard Carpendales Stimme, die säuselt, als wenn nächtens, wenn alles schliefe, eine Sie bei ihm sein sollte, doch diese Sie sei ja doch nur bei einem gewissen Ihm.

Einerlei, mir wird anheim gestellt, mich wieder in das Flauschkabuff zu begeben.

„Wenn sie hier ungebeten zurückfantasieren und ihre Pausenzeit vergeuden, kann ich auch nicht helfen!“

Der Weg ins Kabuff kommt mir viel weiter vor.

Dort riecht es nach Mäusen und Meerschweinchen. Ich lege mich ergeben auf die Chaiselongue, schließe die Augen und erhalte meinen Stoff.

„So, das Zauberwort ist wieder Liane.“

Ich sitze am Steuer eines weinroten VW Passat. Aus den Lautsprechern kommt Pink Floyds Comfortably Numb. Die Kantstraße ist wie so oft in Höhe des Savignyplatzes verstopft. Ich ergattere einen Parkplatz gegenüber dem Delphi Kino. Als ich in den Lusttempel hineinkomme, schlägt mir die bekannte muffige Luft entgegen. Wir haben Mittwoch. Eigentlich müsste sie hier sein. Es ist aber so viel Zeit vergangen, ganze zehn Monate! Vielleicht haben sich ihre Gewohnheiten geändert? Hat sie die Madagaskar-Reise heil überstanden? Lässt ihr ihr Studium überhaupt noch Zeit für die Peepshow?

In der Martin-Luther-Straße ist sie heute nicht. Da war ich schon. Mein Puls beginnt sich aufzuregen, jedenfalls spüre ich ihn. Hier ist ein wenig umgebaut worden. Die Kabinen haben nun Vorhänge und keine verschließbaren Türen mehr. Die Showtafel hängt auf der anderen Seite, ist peppiger und mit bunten Sternchen und Glitzer versehen.

Eine große Enttäuschung macht sich breit. Vier Mädels und keine Liane. Ich kenne nur eine dem Namen nach, die blonde Miriam, die, die mir Liane empfohlen hatte. Bei ihr blinkt ein Lämpchen.

Ich gehe in eine Kabine und spendiere dem Zeitautomaten

eine Mark. Der dunkle Vorhang hebt sich. Sie steht auf der Drehscheibe und lässt einen weichen, rosa Pareo abwärts rutschen. Miriam hat einen durchtrainierten Körper mit einem schönen Busen, einer eindrucksvollen Taille, langen, schlanken Beinen und eigentlich das Wichtigste, einem süßen Gesicht. Strahlende, graublaue Augen blicken ins Rund und haben mich entdeckt. Ich bekomme ein schüchternes Lächeln. Ihr Mund ist mit vollen Lippen beschenkt, die sie hellrosa geschminkt hat. Die üppigen, brustlangen Haare sind in einem seitlich angelegten Pferdeschwanz eingefangen. Ihren Venushügel ziert ein kleines haariges Dreieck.

Wie auf der Flucht stürze ich nach dem Ende der Eine-Mark-Zeit nach draußen. Als ich im Auto sitze, fällt mir ein, dass in der Uhlandstraße kurz hinter dem Gebäude des Maison de France noch eine Peepshow aufgemacht hat. Vielleicht …?

Zum Abschluss der Nachrichten noch eine traurige Meldung: Wie erst heute bekannt wurde, ist gestern in Los Angeles der britische Produzent und Filmregisseur Alfred Hitchcock gestorben. Hitchcock zählte zu den bedeutendsten Vertretern des Thriller-Genres.

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