Kitabı oku: «Interkulturelle Philosophie»
Niels Weidtmann
Interkulturelle Philosophie
Aufgaben - Dimensionen - Wege
A. Francke Verlag Tübingen
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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen
ePub-ISBN 978-3-8463-3666-3
Inhalt
Einleitung Aufgaben Dimensionen Wege
1 Philosophische Begriffsklärung1.1 MultikulturalitätZusammenfassung1.2 TranskulturalitätZusammenfassung1.3 Interkulturalität1.3.1 Ein spielerisches Verständnis von KulturZusammenfassung
2 Ansätze und Methoden interkultureller Philosophie2.1 Einheitstheoretische Ansätze2.1.1 Universalismus2.1.2 Komparative Philosophie2.1.3 Polylog2.2 Differenztheoretische Ansätze2.2.1 Heimwelt und Fremdwelt2.2.2 Interkulturelle Hermeneutik2.2.3 Dialogphilosophie2.2.4 Differenzdenken2.3 Philosophie der ErfahrungDie Situationsgebundenheit von ErfahrungDie Mehrdimensionalität von ErfahrungDer Weltcharakter der Erfahrung
3 Interkulturalität als Stand gegenwärtiger Philosophie 3.1 Die europäischen Anfänge der Philosophie: Einheit und Vielheit 3.2 Philosophie als Selbstklärung von Mensch und Welt (Neuzeit) 3.3 Das Phänomen des Fremden (20. Jahrhundert) 3.4 Interkulturalität als Dimension (Gegenwart)
4 Aspekte interkultureller Philosophie4.1 Das kulturelle Wesen des Menschen4.2 Das Zwischen4.3 Dimensionalität4.4 Grundphilosophien4.5 Welt und Welten4.6 Kritik und Kritikfähigkeit4.7 Menschlichkeit und Menschenrechte
5 Philosophische Begegnung der Kulturen 5.1 Ostasien 5.2 Arabisch-Islamische Welt 5.3 Sub-Sahara Afrika
Literatur
Sachregister
Einleitung
Dieses Buch möchte an die Fragestellungen interkultureller Philosophie heranführen. Es versteht sich nicht als eine klassische Einführung, weil die interkulturelle Philosophie kein klar umrissenes Themenfeld darstellt, in das man einführen könnte. Die interkulturelle Philosophie ist kein Teilgebiet der Philosophie, das sich gegen andere Teilgebiete, etwa die Ontologie, die Metaphysik oder die Ethik, abgrenzen ließe. So wie wir aus der Geschichte der Philosophie verschiedene ontologische, metaphysische und ethische Entwürfe kennen, so begegnen wir auch in anderen Kulturen eigenen ›Ontologien‹, ›Metaphysiken‹ und ›Ethiken‹. Die interkulturelle Philosophie handelt darum von der Philosophie im Ganzen. Das heißt nun aber, wie wir sehen werden, gerade nicht, dass sie die verschiedenen Teilgebiete der Philosophie nur um interkulturelle Positionen erweitern würde, etwa indem sie den aus der europäischen Tradition bekannten Metaphysiken die ›Lichtmetaphysik‹ eines as-Suhrawardīas-Suhrawardī oder andere ›Metaphysiken‹ aus anderen Traditionen zur Seite stellt. Das tut sie zwar auch, aber darin geht sie nicht auf. Ja, die eigentliche Problemhöhe interkultureller Philosophie ist damit noch gar nicht erreicht, sind die philosophischen Überlegungen und Entwürfe aus anderen Kulturen doch dann, wenn sie in einem bestimmten Teilgebiet der Philosophie berücksichtigt werden, immer schon durch den Rahmen kategorisiert, der das jeweilige Teilgebiet absteckt. Damit werden diese Überlegungen und Entwürfe aber schon durch das europäisch-westliche Denken vereinnahmt, bevor sie überhaupt selbst zu Wort gekommen sind. Darüber hinaus unterliegt jeder Rahmen, der ein Teilgebiet der Philosophie begrenzt, schon in der Geschichte der europäisch-westlichen Philosophie einem epochalen Bedeutungswandel und darf darum nicht ohne weiteres einfach vorausgesetzt werden. So bedeutet Metaphysik in der Antike etwas anderes als in der Neuzeit, weil sich die philosophische Blickrichtung bei der Begründung des Seienden nun nicht mehr auf das höchste Seiende richtet, sondern stattdessen auf das dem Seienden zugrunde liegende Subjekt. Nur deswegen lässt sich die neuzeitliche Philosophie als eine Kritik der antiken Metaphysik lesen. Antike und neuzeitliche Metaphysik lassen sich zwar durchaus ineinander übersetzen, aber sie gehören nicht gemeinsam in ein klar umrissenes Teilgebiet der Philosophie. ›Metaphysik‹ bedeutet jeweils etwas anderes. Das gilt umso mehr für Philosophien anderer Traditionen. Darum kann ›Metaphysik‹ auch keine sinnvolle Kategorie interkultureller Philosophie darstellen.
Selbst die Philosophie im Ganzen steckt das Bedeutungsfeld, innerhalb dessen philosophisches Fragen möglich und sinnvoll ist, nicht einmal für alle Zeiten ab, um es fortan nur noch zu bearbeiten. Stattdessen steht die Bedeutung von Philosophie im Prozess des Philosophierens immer selbst mit zur Debatte und unterliegt dementsprechend geschichtlichem Wandel. Philosophie bedeutet im Deutschen Idealismus etwas anderes als bei Thomas von Aquin. Darum können Fragen, die für Thomas drängend sind, im Deutschen Idealismus nachrangig erscheinen – und umgekehrt. Nur weil das so ist, weil die Bedeutung von Philosophie im Philosophieren immer wieder von neuem begründet wird, kann es in der Philosophie auch solch grundlegende Differenzen zwischen einzelnen Denkschulen geben, wie wir sie aus nahezu allen Zeiten kennen. Das heißt nun freilich nicht, dass die Bedeutung von Philosophie ins Belieben des Einzelnen gestellt wäre. Mitnichten. Stattdessen hängt sie am jeweiligen Gedanken, an dem, was ein Gedanke zu zeigen vermag, von welchen Prämissen er ausgeht – und immer auch daran, wie ein Gedanke die Problemhöhe früherer Philosophie aufzunehmen vermag.
Trotz des epochalen Bedeutungswandels und der zahlreichen Differenzen zwischen den verschiedenen Denkschulen und -traditionen lässt sich deshalb dennoch mit gutem Recht von einer zusammenhängenden Geschichte der Philosophie von ihren Anfängen bei den Vorsokratikern um 600 v. Chr. bis zur Gegenwart sprechen. So wie sich die Bedeutung von Metaphysik, Ontologie, Ethik und allen anderen Bereichen der Philosophie im Laufe der Geschichte zwar wandelt, dabei aber immer die alten Bedeutungen aufgenommen und im Lichte neuer Einsichten anders und besser zu begründen versucht werden, so bezieht sich auch die Philosophie gerade dadurch, dass sie sich im Ganzen wandelt und erneuert, immer wieder auf ihre eigenen Anfänge und versucht, alle bisherige Philosophie noch zu unterfangen und in den neuen Ansatz in veränderter Form mit aufzunehmen. Das heißt nun freilich nicht, dass die Philosophie das antike Denken nur noch entfaltet und nicht aus der eigenen Tradition ausbrechen kann. Sie kann und tut das beständig. Aber nicht so, dass sie das bisher Gedachte einfach ignoriert und einen Ansatz entwickelt, der völlig zusammenhanglos und ohne jeden Bezug zu aller früheren Philosophie ist. Stattdessen beweist das Denken seine eigene Freiheit gerade darin, früher Gedachtes zu kritisieren und tiefer zu gründen – und das immer auch im Austausch mit dem Denken anderer kultureller Traditionen.
Allerdings ist es von entscheidender Bedeutung zu sehen, dass der Blick auf die Zusammengehörigkeit der Philosophie seit der griechischen Antike nicht scharf genug ist, um den verschiedenen geschichtlichen und sachlich differenten Ansätzen der Philosophie im Einzelnen gerecht zu werden. Es kommt deshalb sehr darauf an, die jeweilige Betrachtungs- und Fragedimension zu wahren. Die Bedeutung des Deutschen Idealismus ist in der Dimension eines geschichtlichen Zusammenblicks der Philosophie nicht in der ihr eigenen Höhe darstellbar. Umgekehrt lässt sich dieser Zusammenblick in der Dimension einzelner Denkansätze nur dann leisten, wenn diese Ansätze die Zusammengehörigkeit des philosophischen Denkens eigens bedenken.
Die Unterscheidung der Dimensionen ist für die interkulturelle Philosophie wichtig. Einen Austausch zwischen den Kulturen gibt es auf allen möglichen Ebenen. Gerade die Philosophie des Deutschen Idealismus ist von Denkern zahlreicher Kulturen aufgegriffen und bearbeitet worden. Ähnlich wie für die ›Lichtmetaphysik‹ as-Suhrawardīas-Suhrawardīs bereits angedeutet, ist auf dieser Ebene selbstverständlich ein philosophisches Gespräch zwischen den Kulturen möglich. Damit es zu einem interkulturellen Gespräch wird, müssen in ihm aber auch die kulturellen Dimensionen mit zur Sprache kommen, d.h. es darf nicht nur um verschiedene Auslegungen des Deutschen Idealismus gehen, sondern es muss zugleich um die Verschiedenheit der zugrunde liegenden Denkerfahrungen und Philosophietraditionen gehen, die in den verschiedenen Auslegungen anklingen. Die Philosophie wird darum erst dort interkulturell, wo sie sich im Ganzen durch das Gespräch mit anderen Kulturen betreffen lässt und nicht darauf beharrt, den Bedeutungsrahmen eines philosophischen Gesprächs immer schon voraussetzen zu können.
Aufgaben
Zugespitzt formuliert ließe sich behaupten, dass mit dem 21. Jahrhundert ein interkulturelles Zeitalter begonnen hat. War das 20. Jahrhundert noch ganz vom Ende des Weltmachtanspruchs europäischer Staaten und dem Erstarken der USA auf der einen und der Sowjetunion auf der anderen Seite geprägt, so ist diese Zweiteilung seit den 1990er Jahren einer zunehmend multipolar werdenden Welt gewichen. Die weltweite politische Situation ist heute durch die gegenläufigen, aber miteinander zusammenhängenden Entwicklungen einer fortschreitenden Globalisierung auf der einen und zunehmender Regionalisierung auf der anderen Seite geprägt. Zum einen werden jegliche bestehenden Grenzen sowohl durch die immer globaler agierende Wirtschaft als auch durch die modernen Kommunikationsmedien und die dadurch beförderte rasante Internationalisierung nahezu aller Lebensbereiche überschritten. Zum anderen hat der Wegfall der beiden großen Machtblöcke aber auch dazu geführt, dass viele Staaten und Gesellschaften, die bislang an einen der Blöcke gebunden waren, nun ihr Recht auf freie Gestaltung ihrer eigenen Politik und auf Berücksichtigung ihrer eigenen Erfahrungstraditionen eingefordert haben. Besonders deutlich ist das mit Blick auf die Staaten des früheren Ostblocks, aber der Wegfall des Ost-West-Antagonismus hat auch zu einer deutlicheren Wahrnehmung der aufstrebenden asiatischen Mächte, allen voran China und Indien, geführt. Auch die afrikanischen Staaten, von denen die meisten zwar bereits um 1960 die Unabhängigkeit erlangt hatten, haben in den 1990er Jahren eine Renaissance erlebt. Die Globalisierung führt also keinesfalls geradewegs in einen einheitlichen Weltstaat. Vielmehr scheint es fast so zu sein, dass die Aufweichung der bisherigen machtpolitischen Grenzen die Vielfalt gefördert hat. Jedenfalls scheinen die Globalisierung von Wirtschaft und Kommunikation sowie der größer werdende Druck, sich auch im politischen Bereich international zu verständigen, nicht zur Nivellierung von Differenzen zu führen, sondern umgekehrt gerade die Besinnung auf eigene Traditionen, auf eigene Erfahrungen und auf eigene Weltverständnisse von neuem zu ermöglichen (und zu erfordern).
In der Philosophie gilt etwas Ähnliches. Die modernen Kommunikationstechniken haben es zweifellos einfacher gemacht, sich von überall auf der Welt am internationalen Diskurs der Philosophie zu beteiligen und Kenntnisse und Ideen untereinander auszutauschen. Das hat aber nicht einseitig dazu geführt, dass nun überall auf der Welt an den gleichen Konzepten gearbeitet und über die gleichen philosophischen Probleme nachgedacht wird. Vielmehr melden sich zunehmend viele eigenständige Stimmen zu Wort, die sich auf nicht-europäische und nicht-westliche Erfahrungstraditionen berufen und Philosophien entwerfen, die sich nicht in den Bedeutungsrahmen der europäisch-westlichen Philosophietradition einfügen. Will man diese Stimmen nicht einfach ignorieren und sich auf eine Position zurückziehen, die sagt, dass alles, was sich nicht in den Rahmen der europäisch-westlichen Philosophie (einschließlich ihres fortlaufenden, die eigene Tradition darin aber fortsetzenden Wandels) einfügt, eben keine Philosophie sei, dann muss die Philosophie selbst interkulturell werden.
Freilich melden sich hier entschiedene, und das heißt in diesem Zusammenhang philosophische Bedenken. Philosophie ist nicht einfach mit einer bestimmten Tradition des Denkens gleichzusetzen. Dann wäre die Existenz weiterer Philosophien selbstverständlich und ihre Wahrnehmung vergleichsweise unproblematisch. Was wir heute Philosophie nennen, meint aber nicht einfach die intellektuelle Tradition des Abendlandes, sondern die immer wieder neue Erfahrung und Ausarbeitung dessen, was HeraklitHeraklit als einer der Ersten als die Zusammengehörigkeit des Verschiedenen bezeichnet hat. Die Philosophie hebt im antiken Griechenland um 600 v. Chr. mit der Entdeckung an, dass die Vielfalt dessen, was uns in der Welt begegnet, auf seine Zusammengehörigkeit hin befragt werden kann und dass die Menschen lernen können, diese Zusammengehörigkeit zu sehen. Heraklit ist es auch, der diese Zusammengehörigkeit erstmals als ›Kosmos‹ in dem uns heute so geläufigen Sinn von ›Welt‹ bezeichnet. HeldHeld, Klaus, der diesen Zusammenhang herausgestellt hat, spricht darum im Anschluss an HusserlHusserl, Edmund von einer »Europäisierung der Menschheit«,1 die nicht darin liegt, dass die ›eine Welt‹ mit Europa gleichgesetzt wird, sondern darin, dass die Griechen die Welt als Einheit von Vielheit erkannt haben. Die von den Griechen entdeckte Welt ist gerade keine spezifisch griechische Welt, sondern meint das Zusammengehören all der verschiedenen kulturellen Lebenswelten, denen die Griechen damals begegnet sind. Die ›eine Welt‹ kann darum, griechisch gesehen, auch nur eine Idee sein. Die Philosophie übersteigt also gerade die bestehenden kulturellen Differenzen und zielt auf eine Zusammengehörigkeit, die die Differenzen nicht nivelliert und den verschiedenen kulturellen Lebenswelten ihr jeweiliges Recht belässt. Wenn die Philosophie den Schritt von den konkreten geschichtlichen Lebenswelten, in denen uns die verschiedenen Kulturen begegnen, zur einen universalen Welt geht, die nicht selber wieder geschichtlich konkret und damit auch nicht selber wieder kulturelle Lebenswelt ist, dann scheint es keinen Sinn zu machen, von einer interkulturellen Vielfalt von Philosophien zu sprechen. Diese Überlegungen müssen ernst genommen werden und dürfen keinesfalls vom Tisch gewischt werden, nur weil es aus anderen, zumeist politisch motivierten Gründen opportun erscheinen mag, jeder Kultur ihre eigene Philosophie zuzuerkennen. Die Philosophie macht ja gerade den Schritt über das Eigene hinaus zum Universalen oder schlicht zum ›Einen‹. Interkulturell wird die Philosophie deshalb nur – und muss es nur werden, wenn sie den Universalitätsanspruch der ursprünglich griechischen und seither europäisch-westlichen Philosophie aufrechterhalten und dennoch die Pluralität von ›Philosophien‹ zeigen kann, die ganz andere Erfahrungen thematisieren, aber ebenso Universalität und Weltcharakter beanspruchen können.
Die entscheidende Aufgabe interkultureller Philosophie lässt sich deshalb mit WaldenfelsWaldenfels, Bernhard als das Paradox einer »Universalisierung im Plural« bezeichnen.2
Wenn es gelingt, für die interkulturelle Dimension so etwas wie eine »Universalisierung im Plural« zu zeigen, dann gibt es in dieser Dimension gar keine Vielfalt mehr, die in einer Einheit zusammengehören könnte. Die Universalisierung lässt sich nicht nochmals auf eine weitere Universalisierung hin transzendieren. Interkulturell kann es dann also auch nicht um das Zusammenspiel von Einheit und Vielheit gehen. Das kann nur der europäisch-westliche Beitrag zum interkulturellen Gespräch sein. Stattdessen geht es in der interkulturellen Dimension um ein Gespräch zwischen verschiedenen ›Universalisierungen‹ oder, in der griechischen Tradition gesprochen, um ein Gespräch zwischen ›Welten‹. Es kann also nur dann gelingen, eine »Universalisierung im Plural« zu zeigen, wenn es gelingt, ›Welt‹ im Plural zu denken. Oder anders betont: Eine interkulturelle Philosophie brauchen wir nur dann, wenn ›Welt‹ grundsätzlich plural gedacht werden muss. Dann freilich muss die Philosophie um ihrer selbst willen interkulturell werden.
Wir werden das Phänomen der Welt, das die Griechen entdeckt haben, also neu bedenken müssen. Tatsächlich meint die griechische Entdeckung, die eigentlich selbst mehr eine Erfahrung denn eine Entdeckung ist (deshalb sprechen PlatonPlaton und AristotelesAristoteles vom ›Staunen‹ als dem Anfang aller Philosophie), zunächst schlicht die Entdeckung der Zusammengehörigkeit des Vielen. Diese Zusammengehörigkeit können wir als Welt bezeichnen, wenn wir nicht den Fehler machen, darunter etwas zu verstehen, in dem das Viele zusammengehört. Welt ist die Zusammengehörigkeit selbst; nichts davon Getrenntes. Gerade weil die Welt nicht ein umfassendes Seiendes ist, das alles andere in sich aufnimmt, sondern die tatsächliche Zusammengehörigkeit des konkret vorfindbaren Vielen, gerade deshalb ist sie ja universalisierbar. Immer gibt es ein Zusammengehören. Darin liegt noch nicht, dass dieses Zusammengehören immer dasselbe ist. Die Griechen entdecken gerade nicht ein spezifisches Zusammengehören (dann läge es in der Logik der griechischen Entdeckung, dass andere Kulturen andere Formen solchen Zusammengehörens entdecken und eigene Philosophien entwickeln), sondern sie entdecken, dass sich immer ein Zusammengehören finden lässt. Das Zusammengehören ist ein universales Prinzip, kein umfassendes Seiendes.
In diesem Sinne hat RombachRombach, Heinrich gezeigt, dass unsere Erfahrung von Welt davon abhängt, in welcher Zusammengehörigkeit uns die Dinge und Umstände begegnen, mit denen wir zu tun haben und die uns betreffen. Die Welt, die in der Erfahrung aufgeht, ist grundsätzlich situationsabhängig.3 Das aber nicht deswegen, weil die konkrete Situation eine bestimmte Perspektive auf die Welt bedingen würde, sondern weil Welt nichts von der Erfahrung der Zusammengehörigkeit Unterschiedenes ist. Sie geht an dieser Erfahrung und als diese Erfahrung auf. StengerStenger, Georg hat diese Überlegungen für die interkulturelle Philosophie fruchtbar gemacht. Wenn das Aufgehen von Welt davon abhängt, in welcher Zusammengehörigkeit wir die Dinge und Umstände erfahren, mit denen wir zu tun haben und die uns betreffen, dann heißt das, dass diese Erfahrung Welt konstituiert. Stenger spricht deshalb vom »Weltcharakter der Erfahrung«.4 Nun geht die griechische Erfahrung aber gerade nicht darin auf, eine bestimmte Form von Zusammengehörigkeit, die eine entsprechende Erfahrungswelt konstituiert, erfahren zu haben. Vielmehr liegt die griechische Erfahrung in der prinzipiellen Erfahrung, dass qua Zusammengehörigkeit Welt erfahren werden kann. Dadurch überschreitet diese Erfahrung ja die verschiedenen Erfahrungswelten auf die ›eine Welt‹ hin. Es handelt sich also eigentlich um eine Erfahrung von Erfahrung. Eine solche Erfahrung von Erfahrung ist keine Meta-Erfahrung, sie bezieht sich nicht reflexiv auf die Erfahrung; stattdessen gründet sie diese. Stenger spricht deshalb im Anschluss an Rombach von einer »Grunderfahrung«. In der Grunderfahrung geht die Idee der ›einen Welt‹ auf. Sie belässt den verschiedenen Lebenswelten ihr Recht, weil diese in einer anderen Erfahrungsdimension aufgehen. Von der Dimension der Grunderfahrung her gesehen, handelt es sich aber eben nur um Partikularwelten. In der Grunderfahrung wird die Zusammengehörigkeit der Partikularwelten erfahren und damit Welt als universale Idee jenseits aller konkreten Partikularwelten konstituiert. Darin liegt, wenn man so will, der Schritt zur ›Hoch-Kultur‹, die sich über die verschiedenen kulturellen Lebenswelten erhebt.
Freilich bleibt auch die Hochkultur eine Kultur. Auch für die Grunderfahrung gilt, dass das Aufgehen der Welt als Idee an der Erfahrung hängt, die Grunderfahrung selbst also Weltcharakter besitzt. Für die Entwicklung der griechischen Kultur zu der Gestalt, in der sie bis heute für das europäisch-westliche Selbstverständnis von Bedeutung ist, war zweifellos die Entdeckung, dass Vieles grundsätzlich in seiner Zusammengehörigkeit gesehen werden kann, ein entscheidender Schritt. Sie hat das Weltverständnis der Griechen geprägt. Die Grunderfahrung von der prinzipiellen Zusammengehörigkeit des Vielen hat also tatsächlich selber Weltcharakter. Folglich gilt sie auch für alle anderen Kulturen. Diese sind aber ebenso Hochkulturen und gründen deshalb auf eigenen Grunderfahrungen. Die griechische Erfahrung von der ›einen Welt‹ ist in ihnen nicht kulturstiftend geworden. Umgekehrt gelten die Grunderfahrungen anderer Kulturen zwar ihrerseits für die europäisch-westliche Welt, haben ihren Weg aber nicht maßgeblich mitbestimmt. Der »Weltcharakter der (Grund-)Erfahrung«und mit ihm der Weltcharakter jeder einzelnen Kultur hängen nicht an der Erfahrung der ›einen Welt‹. Die Erfahrung der ›einen Welt‹ ist selber nur eine von vielen möglichen Grunderfahrungen, die jede für sich Weltcharakter haben. In dieser Einsicht liegt der Schritt von der griechisch verstandenen Philosophie zur interkulturellen Philosophie.
Philosophie, so die grundlegende These interkultureller Philosophie, ist kein kulturenunabhängiges Unterfangen, bei dem jenseits aller sprachlichen und kulturellen »Weltansichten«5 die Welt »an sich« erforscht wird. Vielmehr ist die Idee einer Welt »an sich« selbst eine »Weltansicht«, die ihre volle Berechtigung erst dadurch erhält, dass sie andere »Weltansichten« nicht als nachrangig, sondern als Übersetzungen und Verwirklichungen ihrer selbst erfährt.