Kitabı oku: «Das Lachen der Yanomami», sayfa 5
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Drei Stunden später standen wir in dem kleinen Buchladen, in dem in fünfundvierzig Minuten eine Lesung von George Preston beginnen sollte. Zwei Mitarbeiterinnen waren damit beschäftigt, die Stühle für die Leser bereitzustellen und das Mikrofon in Position zu bringen. Ich zählte in Gedanken die Reihen. Es waren wirklich zehn Reihen mit jeweils sechs Stühlen. Als alle Stühle aufgebaut waren, war es in dem Laden sehr eng. Mein Blick glitt über die vielen Bücherregale, in denen sich Tausende Geschichten befanden, die Leser auf der ganzen Welt begeisterten. Ich liebte Bücher. Ich liebte sie nicht nur, ich begehrte sie. Ohne Buch in meiner Tasche fühlte ich mich nackt. Das klingt absurd, aber es ist so.
Mir fiel ein, dass ich gar nicht wusste, wie George Preston mittlerweile aussah. Ich nahm ein Buch von dem kleinen, extra für diesen Anlass aufgebauten Tisch und schlug es auf. Die meisten Bücher waren mit Autorenfotos versehen, doch von George Preston fand ich keins.
Während ich stocksteif im Raum stand, umrundete Christopher gerade die Regale. Er zog ein Buch heraus, las den Klappentext und stellte es wieder zurück. Seit der Autosituation hatten wir nur noch Smalltalk betrieben.
»Hallo, alle zusammen«, sagte eine kräftige, weibliche Stimme.
Alle Augen blickten zu dem kleinen Pult mit den zwei Stühlen.
»Ich möchte Sie bitten, ihre Plätze einzunehmen, so dass wir in wenigen Minuten anfangen können.«
Die ersten beiden Reihen füllten sich schnell. Ich versuchte, einen Außenplatz in der dritten Reihe zu bekommen, was mir auch gut gelang.
»Hey, bist du aufgeregt?«, fragte Christopher und verschränkte seine Hände ineinander.
»Mm«, murmelte ich. Mehr brachte ich nicht mehr hervor.
Eine Frau setzte sich auf einen der Stühle hinter dem Pult. Ihr folgte ein Mann. Alle klatschten und wir stimmten mit ein. Warum habe ich ihn nicht gegoogelt? Ich habe doch die letzten Tage sowieso in meinem Hotelzimmer verbracht. Ich zuckte mit den Achseln.
»Guten Tag, Ladys und Gentlemen«, sagte die Frau hinter dem Pult, ebenfalls mit kräftiger Stimme. »Wir danken Ihnen, dass Sie so zahlreich erschienen sind und wir bedanken uns natürlich auch für die Einladung.« Die Frau hinter dem Pult klatschte und deutete mit dem Kinn auf die Frau, die uns auf die Plätze gebeten hatte. »Ich bin Rita Stiles, George Prestons Lektorin. Ich lektoriere nicht nur seine Bücher, sondern begleite ihn auch auf seiner Lesereise. Wir werden uns in den nächsten Stunden mit seinem neuesten Roman ›Auf der Yacht nach Toronto‹ beschäftigen, darüber reden und natürlich wird Mr. Preston auch Fragen beantworten. Er wird uns etwas vorlesen und uns sicher auch kleine Geheimnisse über sich und seinen nächsten Roman verraten, der ebenfalls in dem Verlag erscheinen wird, den ich heute vertrete. Zwischendurch werden wir eine kleine Pause machen und am Ende wird George Preston auch gerne Ihre Bücher signieren.« Danach setzte Rita sich. Sie setzte ihre Brille auf, die an einem Band um ihren Hals hing und schob sie auf dem Nasenrücken zurecht. Ihre leichte Haarwelle sah frisch aus. Sie musste erst kürzlich frisiert worden sein.
Und dann blickte ich zu ihm, zu meinem Vater, zu Clark Owen, besser bekannt als der Buchautor George Preston. Er hatte lockiges kurzes Haar. Seine Koteletten, sowie seine Augenbrauen passten farblich zu seinem Haar – rotblondes Haar.
Elegant öffnete er sein Buch und schlug mit seinen langen Fingern einige Seiten um.
Gebannt wartete ich. Ich wollte seine Stimme hören.
»Guten Tag.«
Seine Stimme klang wundervoll. Wie er die einzelnen Buchstaben betonte. Den Rest der Vorstellung bekam ich gar nicht mehr mit, denn in meinem Kopf gab es nur noch die beiden Worte »Guten Tag«.
Vor mir saß mein Vater und stellte seinen neuesten Roman vor.
Rita stellte George die Standardfragen. Wie war er zum Schreiben gekommen? Woher nahm er die Ideen zu seinen Büchern? Worum wird es in seinem nächsten Roman gehen?
Danach begann George, einige ausgewählte Kapitel aus seinem Buch zu lesen. Dabei beobachtete ich die anderen Gäste. Die meisten hatten die Köpfe in ihren Büchern vergraben und lasen leise mit. Andere wiederum blickten konzentriert an die Decke oder auf den Boden.
Wahrscheinlich war ich die einzige, die sich gerade wünschte, wieder ein Kind zu sein. Dann dürfte ich Sachen machen, bei denen man als Erwachsener nur tadelnde Blicke auf sich zieht. Am liebsten hätte ich den Finger in die Höhe schnellen lassen und tausend Fragen auf einmal gestellt. Die Lesung war toll und George konnte lesen wie ein junger Gott. Seine Stimme war perfekt für die Öffentlichkeit. Vielleicht hatte er als Kind eine Schauspielschule besucht – oder gab es auch so etwas wie eine Sprecherausbildung für Autoren?
Ich war mir nicht sicher. Nervös verschränkte ich meine Finger und rollte die Daumen.
Auch wenn ich schon die Hälfte meines Lebens hinter mir hatte, war ich nervös wie ein Kind bei der Einschulung.
»Vielen Dank, George«, sagte Rita und klatschte euphorisch in die Hände.
George legte das Lesezeichen zwischen die Seiten und schloss das Buch.
»War das nicht wunderbar?«, schwärmte Rita wie ein verliebter Teenager.
Wir alle fielen in ihren Applaus ein. George nickte dankend. Dann begann er, das Publikum zu mustern. Dabei rieb er sich das Kinn. Mir war, als würde er nach jemandem suchen. Bei diesem Gedanken kribbelte es in mir. Vielleicht wusste er von mir und suchte mich.
Ich schüttelte den Kopf. »Solche Gedanken muss ich mir aus dem Kopf schlagen«, sagte ich mir.
»Nun, bevor Mr. Preston ein weiteres Kapitel aus seinem Roman vorliest, dürfen Sie gerne Fragen über das Buch an ihn stellen. Am besten melden Sie sich«, schlug Rita vor.
Es war, als hätte ein Puppenspieler die Macht über all die Hände übernommen, die er nun an seinen Fäden in die Höhe gleiten ließ.
Geduldig beantwortete Mr. Preston jede Frage über den neuen Roman, bis Rita zur Pause läutete.
»Du, Christopher«, sagte ich, ohne den Blick von meinen Schuhen abzuwenden. »Ich wollte mich noch bei dir bedanken.«
»Wieso?«, antwortete er etwas zu schroff.
»Na ja«, zögernd nahm ich den Faden wieder auf. »Ohne dich wäre ich nie so weit gekommen. Vielleicht hätte ich noch gar nichts.« Ich zuckte mit den Achseln.
»Weißt du, wenn man Geld hat, dann stehen einem viele Türen offen.« Er stemmte die Hände auf seinem Knie ab und lehnte sich etwas nach vorne.
»Woher hast du denn so viel Geld?«, fragte ich. Dabei biss ich mir auf die Unterlippe, denn eigentlich hatte ich diese Frage nicht so direkt stellen wollen.
»Ich hatte das Glück, zu erben.« Er lächelte mich an.
»Oh, das ist ja schön.« Ich atmete tief durch und wandte mich dem Pult zu, denn Rita und Mr. Preston setzten sich wieder. Lächelnd warteten sie, bis sich auch die Zuhörer gesetzt hatten und das Gemurmel verstummte.
»So, schön.« Rita strich sich die Bluse glatt. »Jetzt wird Mr. Preston uns mit einem weiteren Kapitel verzaubern und wir werden neue Figuren kennenlernen, über die wir danach sprechen können.« Sie schlug ihr Buch auf, um stumm mitzulesen.
Erneut waren alle Blicke auf George Preston gerichtet. Man spürte, dass er das Rampenlicht liebte.
Als auch diese Lesung beendet war, sprang Rita nach dem letzten Satz völlig entzückt von ihrem Stuhl auf und klatschte heftigen Beifall. Für meinen Geschmack war sie etwas zu euphorisch.
»Vielen Dank.« Sie lächelte über das ganze Gesicht und setzte sich wieder. »Das war wieder ein Gedicht für unsere Ohren.«
»Ja, danke.« George Preston strich sich mit dem Zeigefinger über den Nasenrücken.
Rita stellte weitere Fragen über die neuen Figuren im Buch und versuchte, Mr. Preston geheime Informationen zu seinem noch nicht vollständigen Roman zu entlocken.
Kurz vor Schluss bedankte Rita Stiles sich bei den vielen Gästen und versprach, dass George Preston alle Bücher signieren würde. Damit beendete sie die Lesung und suchte in ihrer Tasche nach einem passenden Kugelschreiber.
Ich beobachtete das Treiben. Am liebsten wäre ich sofort aufgesprungen, aber ich zügelte mich. Ich wollte ich den anderen Besuchern nicht den Abend verderben, denn ich wusste ja nicht, wie George Preston auf mich reagieren würde. Vielleicht würde er sich freuen. Oder aufstehen und den Raum verlassen.
Mein Herz klopfte bis zum Hals. Ich hatte vor Nervosität schwitzende Hände und mir wurde ganz flau im Magen.
»Na, schon aufgeregt?«
Wie konnte er jetzt so eine Frage stellen, dachte ich. Aus dem Augenwinkel erkannte ich ein Lächeln auf seinem Gesicht.
Die Schlange wurde langsam kürzer und ich stand mit zittrigen Knien auf. Ich hielt meine Tasche fest am Körper und wühlte darin nach dem Buch. Gleichzeitig zog ich den Brief heraus, den ich ganz vorne ins Buch steckte.
Jetzt waren nur noch drei Besucher vor mir an der Reihe. Zwei Frauen und ein Mann. Während die Frauen fröhlich plapperten, tippte der Mann mit seinem Fuß auf den harten Teppichboden. Damit wollte er demonstrieren, dass er nicht mehr warten wollte. Dann endlich räusperte er sich, so dass die beiden Freundinnen mit vorgehaltener Hand kichernd davonschlichen.
»So sind die Frauen«, sagte George und lächelte den Mann an. »Für wen darf ich das Buch signieren?«
»Für Zachary.« Der Mann vor mir fuhr sich über den Vollbart. »Eine schöne Lesung.«
»Vielen Dank.« George signierte Zacharys Buch und gab es ihm zurück.
Meine Knie wurden weicher und ich drohte fast zusammenzubrechen.
»Guten Abend, schöne Frau.«
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Amazonien, 1993
Jayden blickte dem unbekannten Mädchen hinterher. Warum war sie plötzlich so abweisend zu ihm?
Was hatte er verbrochen? Mit juckendem Hinterkopf blieb er zurück.
Er blickte an seinem Bein hinab. Dank der Hilfe des Schamanen und des kleinen Jungen war es schon gut verheilt. Jayden ließ den Blick über den Dorfplatz schweifen. Die Menschen hier wirkten so fröhlich, als wüssten sie nicht, was um sie herum geschah. Schon die ganze Zeit wollte er dem Schamanen erzählen, was er gesehen hatte, doch er wusste nicht, wie er sich ausdrücken sollte.
Am Abend hatte ihm eine ältere Frau mit schmalen Wangenknochen eine Schale mit Mehlbananen gereicht.
Kurz zuvor hatte er beobachtet, wie die Frauen die Bananen über das Feuer hielten, so dass diese wie gekochte Kartoffeln schmeckten. Mehlbananen waren eines der Hauptnahrungsmittel im Dschungel.
Zu einem späteren Zeitpunkt sollte Jayden noch weitere Dinge über die Ureinwohner erfahren, doch für die nächsten Wochen war sein Bedarf schon reichlich gedeckt.
In dieser Nacht dachte er oft an Tomas. Was er wohl gerade tat oder wo sich die Goldsucher wohl aufhielten. Er drehte sich auf die Seite und blickte ins lodernde Feuer. Einige Schlafplätze weiter unterhielten sich einige Männer. Deren Frauen hängten die feuchtigkeitsempfindlichen Waffen über die Feuer. Bei den Ureinwohnern blieben in der Nacht immer die Feuerstellen an.
Wenn der schöne helle Tag sich dem Abend neigte, die Sonne sich verabschiedete und der Mond aus seinem Versteck kam, wurde der Wind stärker und die Geräusche des Dschungels gefährlicher. Jayden kuschelte sich in seine Hängematte. Das Feuer wärmte ihn und er dankte Gott dafür, dass er ein Teil der Gemeinschaft sein durfte.
Jeden Morgen kam der Schamane zu Jayden und schaute sich seine Wunde an. Er war zufrieden, denn die Genesung verlief so gut, dass Jayden schon wenige Tage später ohne Schmerzen gehen konnte. Ein wenig zog er das Bein zwar noch nach, aber davon abgesehen fühlte er sich besser denn je.
So kam es, dass ihn einer der Krieger eines Morgens auf die Schulter klopfte und ihm bedeutete, mit ihm zu kommen. Jayden blickte sich um, bevor er aufstand und dem Mann, dessen Rücken mit Narben übersät war, folgte. Doch während die Krieger mit Jayden im Schlepptau im Dschungel verschwinden wollten, machten sich einige der erfahrenen Frauen auf zum Fischen. Wie die Frauen aus dem Dschungelbuch trugen sie ihre Körbe auf dem Kopf zum Wasser. Bevor sie gingen, versuchte Jayden dem Häuptling und Schamanen mit Händen und Füßen zu erklären, dass es gefährlich für die Frauen war. Schließlich lenkte dieser ein und schickte einen Krieger mit.
Daraufhin folgte Jayden dem narbigen Mann. Jayden erhielt immer wieder einen bösen Blick, wenn er laut war. Manchmal war Jayden stolz auf seine Fähigkeit, sich lautlos zu bewegen, doch für die Ureinwohner atmete er schon zu schwerfällig.
Jegliche Nahrung war für die Menschen aus dem Urwald wichtig. Wenn es keinen Fang und keine Ernte gab, mussten die Männer und Frauen aus dem Dorf hungern.
Und dann blieben die Krieger vor Jayden plötzlich in gebückter Haltung stehen. Sie hatten einige Affen ins Visier genommen. Ihr Verhalten erinnerte Jayden an Hauskatzen, wenn sie im hohen Gras die Wühlmäuse beobachteten. Doch hier war die Situation eine ganz andere.
Blitzschnell flogen die Pfeile.
Nicht alle Affen wurden getroffen, doch die meisten von ihnen hatten jetzt einen Pfeil in der Brust. Während sie ihren letzten Atemzug taten, holte Jayden tief Luft. Er war kein Vegetarier, aber er hatte noch nie gesehen, wie die Schlachter daheim in England Tiere töteten und ausweideten.
Die Krieger freuten sich. Ihre Augen leuchteten und sie präsentierten stolz ihren Fang.
Die Jagdzüge dauerten manchmal mehrere Tage, so dass am Abend alle Krieger zusammen am Feuer saßen und der Älteste von ihnen Geschichten erzählte. Jayden verstand kaum etwas, aber er lauschte gerne den Stimmen. Er schmunzelte, wenn sie anfingen, die Geschichten mit Gestik und Mimik auszuschmücken. Es war unterhaltsam!
Eines Tages befanden sie sich auf dem Rückweg und die Gruppe hatte fast das Dorf erreicht, als Jayden plötzlich aufschrie. Ihm war klar, in welche Gefahr er sich und die anderen Krieger damit brachte, aber in diesem Moment konnte er nicht anders. Halb von Blättern verdeckt lag vor ihm auf dem Boden eine Hand. Der Wind musste einiges Laub fortgetragen haben, denn ansonsten war der Körper der Frau darunter gut versteckt.
Als der narbige Krieger die Frau erkannte, beugte er sich zu ihr und strich ihr lieblich über die Stirn. Danach schrie er aus voller Kehle. Er legte seine erbeuteten Wollaffen auf den Boden und hob die Frau hoch. Jayden entfernte die letzten Blätter und erschrak, als er die Frau erkannte. Es war das junge Mädchen, das die Goldsucher aus der Gruppe mitgenommen und vergewaltigt hatten. Sie musste qualvoll ermordet worden sein. Ihr Körper war von Kratzern, Gebissabdrücken und Messerstichen übersät.
Sie mussten die Frau gebissen haben. Erschrocken legte Jayden seine Hand vor den Mund.
Der Narbenmann führte die Gruppe zurück zum Dorf.
Dort legte er die Frau in Jaydens Hängematte. Jetzt wusste Jayden, wem dieser Schlafplatz gehört hatte. Ihm wurde ganz anders. Er fühlte sich schuldig. Sie hatte ihr Leben gelassen, damit Jayden ein neues beginnen konnte. Seine Augen füllten sich mit Tränen.
Der Schamane kam und die Traube von Ureinwohnern, die sich um die Hängematte gestellt hatten, machte ihm Platz. Er fühlte über ihre Stirn und schloss dabei ihre Augen.
Am Nachmittag begannen die Männer und Frauen Hölzer in die Mitte des Dorfplatzes zu stapeln. Jayden wusste nicht, was er tun sollte. Am liebsten wäre er weit weg gewesen. Diese Situation war mehr als unangenehm. Gerade als er sich abwenden wollte, hielt ihn das Mädchen, das ihn vor Kurzem abgewiesen hatte, am Arm fest. Sie lächelte ihn an. Heute trug sie ebenfalls den Schmuck, den die meisten Frauen aus dem Dorf trugen. Die drei Stäbe in der Unterlippe. Sie reichte ihm eine Tabakrolle. Danach führte sie ihn zurück zum Dorfplatz.
Die namenlose tote Frau wurde von dem narbigen Krieger auf die Hölzer gelegt. Er küsste sie auf die Stirn und entzündete das Feuer.
Das Mädchen neben Jayden gestikulierte mit den Händen. Sie wollte ihm etwas mitteilen, aber Jayden verstand sie nicht. Trotzdem nickte und lächelte er. Die Tabakrolle hatte er zwischen Oberlippe und Zahnfleisch gesteckt.
Es fand eine rituelle Bestattung statt. Die Tote wurde verbrannt, danach sammelten die Ureinwohner die verkohlten Knochen auf. Jayden traute seinen Augen nicht, denn sie wurden zu Pulver zerstampft und in eine Kalebasse gefüllt.
Das Mädchen brachte Jayden zum Flussufer, in dem die Trauergemeinde ein Bad nahm. Sie reinigten sich vom Rauch, der die Totenseele ins Jenseits beförderte.
Einen Monat später beobachtete Jayden, wie der narbige Mann das Knochenpulver seiner Frau mit Bananensuppe mischte. Die Verwandten der Verstorbenen aßen so lange davon, bis die Kalebasse leer war. Nachher erfuhr Jayden auch warum. Durch den Endokannibalismus nahmen die Hinterbliebenen die positiven Seelenanteile der Verstorbenen in sich auf. Um die Rückkehr der übelnehmenden Totengeister zu verhindern, zerstörten der narbige Krieger und seine Familie alles, was seiner Frau gehört hatte. Er zerstörte die Hängematte, in der Jayden schlief, ihre Ketten und den Schmuck.
Eine ältere Frau zeigte Jayden, wie er aus Stricken, Schnüren und Fäden eine neue Hängematte machen konnte. Als der letzte Faden befestigt war, klopfte sie ihm auf die Schulter und lächelte. Das junge Mädchen dagegen versorgte Jayden mit Tabak und half ihm beim Aufhängen der Hängematte. Ihr Lächeln war makellos und zum ersten Mal sah er in ihr nicht mehr das ältere Mädchen, sondern eine junge Frau. Ihr rabenschwarzes Haar, das ihr bis auf die Schulter fiel, die kastanienbraune Haut, die in der Sonne gelblich schimmerte und ihr kleiner Busen, der perfekt zu ihrem Körper passte.
Jayden fühlte sich stärker denn je. War er zu einem Krieger neugeboren worden? Er beschloss, zurück zum Lager der Goldsucher zu gehen und sie zur Rede stellen. Eine Frau war gequält und getötet worden.
Als er am Flussufer stand, kamen Erinnerungen in ihm hoch. Als er den Fluss das letzte Mal überquert hatte, hatte er fast sein Bein verloren. Wie also sollte er ans andere Ufer kommen, ohne von den Fischen geschnappt zu werden? Plötzlich fühlte er eine Hand auf seinem nackten Oberkörper. Der kleine Junge stand mit großen Augen neben ihm. Jayden lief seit Tagen nur noch in Unterhose herum. Wenn er dazugehören wollte, musste er sich anpassen. »Kleidung bringt nur Krankheit«, machten ihm die Ureinwohner unmissverständlich klar.
Die Yanomami brauchten keine Worte um sich mit Jayden zu verständigen. Sie zeigten ihm alles und waren stolz, ihn bei sich zu haben.
Jayden zeigte auf das andere Flussufer und dann auf sich. Der Junge lächelte und nickte. Er trat dicht ans Ufer und winkte Jayden zu sich, danach schwamm er, ohne sich viel zu bewegen, aber doch so schnell, dass er flink wie beim letzten Mal ans andere Ufer gelangte. Jayden tat es ihm gleich und kam diesmal ohne weitere Vorkommnisse auf der anderen Seite an. Freudig hob er eine Hand und wollte mit dem Jungen abklatschen, doch dieser duckte sich und schaute sein Gegenüber befremdet an.
»Oh, entschuldige. Ich wollte dich nicht…«, sagte Jayden und hob ergeben seine Hände.
Der kleine Junge trat zu Jayden und kratzte sich am Kopf.
»Du solltest jetzt wieder zurückgehen. Es ist gefährlich hier und ich möchte nicht, dass dir etwas passiert.« Jayden zeigte zur anderen Seite. Danach drehte er sich um, ohne zu wissen, dass er nicht allein war.
Leise schlich Jayden die Wege entlang, immer auf der Hut, bloß kein Geräusch zu machen.
Schon von Weitem hörte er die lauten Motoren und der vertraute Geruch von Benzin, den er eigentlich aus seinem Leben hatte verbannen wollen, hing in der Luft. Nur noch ein Busch trennte ihn von dem alten Lagerplatz. Da ließ ein Geräusch ihn erzittern. Hinter ihm raschelte etwas.
»Wer ist da?«, flüsterte er.
Der kleine Junge kam aus seinem Versteck und lächelte Jayden fröhlich an.
Jayden stemmte seine Hände in die Hüften und nickte mit dem Kinn in die Richtung, aus der die beiden gekommen waren. »Du solltest doch umdrehen«, sagte er.
Doch alles Reden war vergebens, denn der Junge drehte sich im Kreis und freute sich.
Jayden drehte sich um und schob einige Blätter zur Seite. Was er sah, machte ihn traurig.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.