Kitabı oku: «Dornröschen und der Mettsommernachts-Traum»
Dornröschen und der Mettsommernachtstraum
Nina MacKay
Copyright © 2020 by
Drachenmond Verlag GmbH
Auf der Weide 6
50354 Hürth
http: www.drachenmond.de
E-Mail: info@drachenmond.de
Lektorat: Isabell Schmitt-Egner
Korrektorat: Michaela Retetzki
Layout: Michelle N. Weber
Illustrationen: Andrea Grautstück
Umschlagdesign: Marie Graßhoff
Bildmaterial: Shutterstock
ISBN 978-3-95991-988-3
Alle Rechte vorbehalten
Für alle,
die noch auf ihr
Happy End warten
Es steht bereits in den Startlöchern!
Und bis dahin:
Genießt jeden Tag, als sei es der letzte
vor einem hundertjährigen Schlaf.
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Danksagung
Kapitel 1
Ich sitze am Rand von Snows Swimmingpool und betrachte meine menschlichen Hände. Vor mir zieht Jaz seine Bahnen. Seine Morgenrunde, wie er es nennt.
Wasser spritzt, als er direkt vor mir eine Wende einlegt, sich abstößt, um dann zum gegenüberliegenden Rand zu kraulen.
Ich blinzle. Zwei Tage sind es noch bis Vollmond. Mir läuft die Zeit davon. Kurz denke ich zurück an den Moment vor etwas über einer Woche, als Ever mich aus Versehen gekratzt hat. Als er und Jaz sich geprügelt haben. Meine Nasenflügel blähen sich, als ich mit einem Daumennagel über die Falte am Knöchel meines Mittelfingers kratze. An diesem Tag muss es geschehen sein. Nach der Prügelei. Wie gebannt starre ich auf meinen Unterarm und die dort verheilenden drei roten Striemen. Der Schorf der Wunde bröckelt bereits. Ein Werwolf? Ich? Irgendwie fühlt sich dieser Gedanke fremd an. Unmöglich geradezu. Ich winkle auch mein zweites Knie an und lege meine Wange darauf ab. Und Ever, mein Ever liegt immer noch tot in Snows Glassarg. Auch ihm läuft die Zeit davon. Wenn wir es nicht bald schaffen, seine Seele aus der Hölle zurückzuholen, werden wir es nie mehr tun.
Hinter mir geht die Tür auf. An den Schritten und daran, dass sich mehrere Personen gegenseitig mit Handtüchern eins überziehen, während sie sich übereinander lustig machen, kann ich ohne mich umzudrehen erkennen, dass es die Ehemänner von Snow, Rose und Rapunzel sein müssen.
»Oh, wir stören wohl.« Prinz Cedrics Stimme. Jemand verpasst ihm einen Schlag mit einem Handtuchende.
»Sorry, Red«, sagt Prinz Philip. »Wir brauchten mal eine Auszeit von den Mädels und ihrer strategischen Kriegsführung.«
Nachvollziehbar. Ich streiche mir die Haare aus der Stirn. »Schon gut. Ihr habt auch eine Pause verdient.« So wie Jaz und ich. Weil die Prinzen sich nicht bewegen und nur dumm rumstehen, seufze ich und frage: »Wie viele Stunden sind es noch bis zum Ultimatum von Charming?«
Prinz Adrian geht neben mir in die Hocke. Er riecht nach Bier und Buttercremetörtchen. »Noch dreieinhalb Stunden etwa.«
Eigentlich sind es drei Stunden und dreizehn Minuten, aber ich korrigiere ihn nicht. Immerhin stehen sie nun nicht mehr so steif hinter mir. Drei Stunden und dreizehn Minuten. Wie könnte ich das vergessen? Drei Tage ist es her, dass Cinder ihren Ex, Prinz Charming, dazu überreden konnte, uns einen Aufschub zu gewähren. Bevor er und die Dreizehnte Fee meine Großmutter töten. Charming hat zugestimmt. Unter der Bedingung, dass Cinder nach drei Tagen spätestens um zwölf Uhr mittags zu ihm zurückkehrt. Ansonsten wird er meine Großmutter ertränken. Genau wie wir es mit der Dreizehnten Fee getan haben. Noch drei Stunden und zwölf Minuten. Und wir haben immer noch keine zufriedenstellende Alternative. Entweder Cinder geht zu Charming zurück oder meine Großmutter stirbt. Uns läuft die Zeit davon.
Jaz taucht direkt vor uns aus dem Wasser auf, was Prinz Adrian zusammenschrecken lässt.
Wie in einem Werbespot stemmt er sich am Rand aus dem Becken, schüttelt seine dunklen Haare. Das Wasser läuft ihm in Strömen über den durchtrainierten Oberkörper, während ihn von hinten die Sonne anstrahlt, sodass die Wassertröpfchen in seinen Haaren wie Diamanten glitzern. Sein ganzer Körper scheint zu leuchten. Auf einmal kann ich nachvollziehen, dass den Meermädchen in Neverland der Speichel aus den Mundwinkeln läuft, sobald sie ihn ins Wasser springen sehen.
Zu spät bemerke ich, dass ich ihn anstarre, weswegen ich hastig den Kopf senke.
Irgendwo höre ich Spieglein nach Luft schnappen, was mich kein bisschen wundert. Snows Spiegel stalkt Jaz praktisch in jeder freien Minute und aus jeder sich spiegelnden Oberfläche heraus.
Jaz, wunderbarer Jaz. Schon fast ein wenig zu perfekt. Ich beiße mir auf die Unterlippe. Aber er ist nicht Ever.
Natürlich verschlucke ich mich trotzdem bei seinem Anblick. Weil ich nicht lange genug wegschauen kann. Und kurz darauf schüttelt mich ein Hickser. Schluckauf. Auch das noch.
Mit einem breiten Lächeln im Gesicht gleitet Jaz neben mich auf die Fliesen. Er mustert mich, klopft mir dann auf den Rücken, während ich erstickt huste.
»Vielleicht nicht gerade jetzt sterben, Red. Eben ist mir eine Idee gekommen.« Mit seinem Knie stößt er mich sanft an. »Es war gut, mal den Kopf frei zu bekommen.«
Obwohl es mir unter all dem Druck schwerfällt, lächle ich zurück und reiche ihm sein Handtuch. »Was für eine Idee?«
Er rubbelt sich zunächst die Haare trocken, dann die Arme und danach den Oberkörper.
Als er bei seinem Bauchnabel angekommen ist, springen drei Prinzen rechts von uns ins Wasser.
»Arschbombe!«, kreischt Prinz Philip.
Schneller, als ich selbst eine Hand heben kann, um mich vor der Flut an Wasserspritzern zu schützen, beugt sich Jaz vor mich, das Handtuch so ausgebreitet, dass es wie ein Vorhang vor meinem Gesicht hängt.
Ich starre ihn an.
Er starrt mich an.
Wir schweigen, ermahnen nicht mal die nichtsnutzigen Prinzen, die vor uns kreischen wie Mädchen. Mein Herz klopft schneller. Wie nah er mir ist. So nah, dass ich seinen Atem auf meiner Wange spüren kann. Etwas blitzt in seinen Augen, während er mich ansieht, als wäre ich sein Happy End.
Meine Fingernägel krallen sich in die Fugen der Fliesen. Jaz ist perfekt. Ein Traum von einem Mann. Und doch ist er nicht Ever.
~Rose~
Neben ihr sprüht Rapunzel ihren Mettigel mit Kühlspray ein. Mettigel Herbert sitzt in seiner Tupperdose und schaut genauso traurig drein wie seine Besitzerin. Die Olivenaugen hängen ein wenig.
Nicht weit entfernt hinter der großen Tafel, an der Wand mit dem Geheimfach, übt Gretel mit den Hexen Rexia und Pain Bogenschießen. Die Herzkönigin ist ebenfalls mit von der Partie, misst mit ihren Minibeinchen den Abstand zwischen Zielscheibe vorbei an einem Bild von Snow bis zu Gretels Position. Die beiden grinsen sich an, dann fährt sich Gretel mit der Hand über die kurzen Haare, was Rose an eins ihrer Meerschweinchen erinnert.
Gerade ist Rexia am Zug, streicht sich die rotbraunen Locken über die Schulter und nimmt den Bogen von Gretel entgegen, die sie mit zusammengekniffenen Augen beäugt. Noch hat die Hexe nicht den Moment der kompletten Vergebung gegenüber ihrer ehemaligen Erzfeindin erreicht. Zugegeben, Gretels Tage in der Lebkuchenhütte müssen überaus einprägsam gewesen sein.
»Cinder, beruhige dich. Wir lassen das nicht zu«, sagt Pan zum gefühlt hundertsten Mal.
Doch Cinder schluchzt weiter. Sie hat ihre Arme auf der Ebenholztischplatte verschränkt und ihren Kopf zwischen ihnen vergraben. »Ich mache es, das schwöre ich. Damit dieser Albtraum aufhört. Wir finden ja keine andere Lösung.«
»Nur über meine Leiche.« Pan tätschelt ihr den Hinterkopf.
»O doch! Zumindest vorübergehend gehe ich zu Charming zurück.«
Das übliche Hin und Her seit vorgestern.
Rose tippt auf die Landkarte vor ihr. »Wie lange brauchen die Tinker, bis sie mit ihrer Golem-Armee bei uns sein können?«
»Das ist nicht sicher. Tinkerneat sagte, sie haben einige Probleme mit der Golem-Herstellung. Der Feenstaub geht zur Neige.« Pan wirft ihr einen bedauernden Blick zu.
Hinter ihm spielt Snow mit ihrem neuen Wurfmesser. Es blitzt im Licht der Morgensonne. Wahrscheinlich hat Charming sie inspiriert, als er sein Schwert nach Jasemin geworfen hat. Jasemin, die nun mausetot ist.
Rose schluckt, zieht dann den Haargummi aus ihrem Zopf, um ihre Haare zu einem festen Dutt zu drehen. Sie muss nachdenken. In den letzten Tagen ist einfach so verdammt viel passiert. Und sie ist verdammt müde. Aber gerade ist keine Zeit zum Schlafen. Nicht, wenn Aladin geschworen hat, sich an ihnen zu rächen. Genau wie die Dreizehnte Fee, die Reds Großmutter gekidnappt hat. Dieses Neon tragende Miststück.
Snow dreht das Messer schneller und schneller zwischen ihren Fingern.
»Wir sollten den Kerker werwolfsicher machen. Verstärkte Gitter, doppelt dicke Hand- und Fußfesseln … So etwas. Besser für zwei Werwölfe als nur für einen. Reine Vorsichtsmaßnahme. Falls wir bei Vollmond sowohl Ever als auch Red dort unterbringen müssen«, sagt Snow sachlich. »Könnte doch sein, dass Red sich so dumm anstellt und Ever rettet, aber nicht an ihr eigenes Schicksal denkt.«
Daraufhin kassiert sie von Rapunzel einen scharfen Blick. »Dein Herz ist wirklich aus Eis, oder nicht?«
Snow betrachtet sie, dann Herbert, der liebevoll von Rapunzel gestreichelt wird und heute bereits zwei Auftritte auf Instagram hatte. Einmal auf einem Salatblatt und einmal beim Stricken. Seine Followeranzahl steigt in letzter Zeit schneller als Snows Blutdruck.
»Wenigstens schlägt mein Herz nicht für einen lausigen Mettigel. Bei allen Hexen des Märchenwalds. Das ist kein Haustier, Rappienz.«
Rapunzel wirft den Kopf in den Nacken, tut dann so, als würde sie Herbert die Ohren zuhalten. »Wenn du deine Freunde, die Sieben Zwerge, fragst, werden sie das Gegenteil behaupten.«
Rexia und Pain nicken zustimmend.
Nur Snow äfft ihre letzten drei Worte lautlos nach, wobei sie ihren Kopf übertrieben hin und her dreht.
Rose nippt seufzend an ihrem Wasserglas.
»Zu allem Überfluss hat die Dreizehnte Fee ihren Feenzauberstab wieder. Ansonsten hätten wir das Insekt einfach zerquetschen können«, sagt Snow und zieht dann ihren eigenen Zauberstab aus ihrer Frisur, der streng genommen bis vor drei Wochen noch ihrer Stiefmutter, der Hexe Bane, gehört hat. Damit kann man immerhin drei Wünsche pro Tag erfüllen, aber auch nicht alles herzaubern, was man will. Nicht das Ende des Krieges. Lediglich kleine Veränderungen, wie mehr Schrumpfkuchen hexen.
Die Tür wird aufgerissen.
»Flippt jetzt nicht aus!« Fear kommt in Begleitung von ihrem Sohn Asher in den Saal gestürmt. Natürlich flippen sowohl Rapunzel als auch Cinder komplett aus. Zumindest, als sie die Drohne bemerken, die hinter Fear hereingeschossen kommt.
~Red~
Auf einmal fällt mir ein, wie der Teufel bei unserer dritten Youtube-Challenge vor drei Tagen behauptet hat, ich würde sie beide lieben. Jaz und Ever. Tief in mir weiß ich, dass es stimmt. Mit dem Unterschied, dass Ever mein Seelenverwandter ist und Jaz eben nicht. Meine Haut beginnt zu prickeln. Vielleicht kann man zwei Männer lieben, aber niemals beide gleich … Ich kann ihn nicht ansehen, obwohl sein Blick auf mir lastet wie die Heizdecke meiner Großmutter, die einem ab und zu auch mal einen elektrischen Schlag verpasst. Jaz’ Präsenz ist fast zu viel für mich. Eine Welle umspült meine nackten Füße, verursacht von drei raufenden Prinzen, die sich benehmen, als hätten wir keine anderen Sorgen. Immerhin bleibt mein Rock trocken.
Seufzend sehe ich auf, direkt in Jaz’ Augen. Tiefdunkel mit geweiteten Pupillen. Selbst jetzt nach dem Schwimmen umhüllt ihn noch sein unverwechselbarer Geruch nach Süßholz und Mango. Und er, Jaz, ist unbestreitbar etwas ganz Besonderes. Denn er ist das Verlorene Kind. Bestimmt dazu, das Schicksal unserer Welten in die richtigen Bahnen zu lenken.
Als hätte er meine Gedanken erraten, berührt er mich sanft am Ellenbogen. »Keine Sorge, wir schaffen das. Wir bekommen das Hexenblut für Ever, und deine Großmutter holen wir in drei Stunden ab. Ganz sicher.«
Genau, wenn wir mit den zwei durchgeknallten Terroristen verhandeln.
Er stockt. »Ich weiß, du machst dir Sorgen wegen der Vollmondnacht. Aber es gibt Schlimmeres, als ein Werwolf zu sein.« Er nimmt meine Hand in seine. »Ever hat es bisher auch überlebt.«
»Mhm«, sage ich, »dann wäre da aber noch Aladin, der unseren Märchenwald für sich haben und uns am liebsten tot sehen will. Er wird kommen. Bald. Sehr bald. Vielleicht wird er noch grausamer zuschlagen als Jasemin. Er und sein Dschinn.«
»Wunschmagie.« Jaz seufzt. »In der Tat sehr unberechenbar, aber auch damit kommen wir klar.«
Seinen Optimismus kann ich nicht so recht teilen. »Wir wissen es nicht«, sage ich schließlich und zucke mit den Schultern. »Du wolltest mir von einer Idee erzählen?«
»Richtig.« Während Jaz sich ein wenig aufrechter hinsetzt, strecke ich meine Füße ins Wasser und lasse sie vor- und zurückgleiten. Im Wasser lärmen die Prinzen, versuchen sich gegenseitig unterzutauchen. Bitte, bitte, es muss einfach eine gute Idee sein.
»Ich denke, es gibt eine Möglichkeit, wie wir Aladin ablenken und uns mehr Zeit verschaffen können, bis es zum unvermeidbaren Angriff von ihm kommt.«
Oh. Ich stocke kurz und meine Gedanken wandern zurück zu den Menschen aus Morgenland. Wie ich sie von meinen Besuchen dort kenne. In ihren zerfetzten Kleidern, ohne genug zu essen. Ein Grund, warum Jasemin, ihr Vater und nun auch Aladin unbedingt den Märchenwald mit all unseren Feldern und Obstbäumen erobern möchten. Bloß ist das keine Idee, die mir bezüglich meiner Großmutter oder Ever hilft. Mit meiner Fingerspitze fahre ich über die raue Fuge zwischen den Fliesen. Aber immerhin. Gut, meine Großmutter ist tough. Kann sich wehren. Vor allem nach den Selbstverteidigungskursen bei den Jägern. Charming und die Dreizehnte Fee werden es nicht leicht mit ihr haben. Dennoch. Ich kann nicht verhindern, dass meine Schultern ein Stück nach vorn sinken. Was, wenn sie ihr etwas antun?
Jaz wirkt auf einmal, als könnte er es nicht erwarten, mir von seiner Idee zu erzählen. Seine Brust hebt und senkt sich in schnellem Tempo.
»Wenn wir Aladin davon erzählen, wie du beinahe Ever von den Toten zurückgeholt hast, wird er das Gleiche auch für Jasemin tun wollen. Gerade jetzt, wo er keine Konkurrenz mehr von mir zu befürchten hat.«
Der Kampf um die drei goldenen Haare des Teufels?
Kurz denke ich daran, wie Jaz in den letzten zwei Wochen Jasemin bezirzt und sich sogar mit ihr verlobt hatte. Und das alles nur, um uns, um mir zu helfen. Plötzlich ist er wieder da, der Knoten in meinem Magen, den ich überhaupt nicht vermisst habe. »Du meinst, er wird für sie in die Hölle gehen und erst mal beschäftigt sein? Mit einer Youtube-Challenge?«
»Exakt. Der üblichen Es-geht-um-Leben-und-Tod-Challenge.« Er schenkt mir sein hoffnungsvollstes Lächeln und ich kann nicht anders, als mit ihm zu strahlen. Doch dann wird mein Herz wieder schwer, als ich zu meinem üblichen Gedankenmuster der letzten Tage zurückkehre. Ich habe versagt. Weil ich die Challenge gegen den Teufel verloren habe, liegt Ever immer noch tot in Snows Glassarg.
~Rose~
Was bei allen fliegenden Untertassen?«, kreischt die Herzkönigin. Ein Pfeil schießt durch die Luft und bleibt in ihrem Dutt stecken.
»Upsi«, sagt Rexia.
Mit zuckenden Ohrspitzen kommt die Grinsekatze herbeigehuscht und springt auf Rose’ Schoß.
»Ein unidentifiziertes, morgenländlisches Flugobjekt auf zwölf Uhr! Kurz UMFO. Betrieben mit Wunschmagie. Geht in Deckung«, berichtet die Katze militärisch korrekt.
Obwohl sie selbst nicht ganz versteht, was vor sich geht, streichelt Rose die Grinsekatze und wispert ihr beruhigende Worte zu. Dabei lässt sie die graue Drohne nicht aus den Augen, die kurz hinter der Tür auf der Stelle surrt. Ein wenig erinnert sie Rose an die Dreizehnte Fee.
In der Zwischenzeit hat Snow einen Stuhl an der Lehne gepackt und beginnt damit nach der Drohne zu schlagen. Nicht weit entfernt von ihr zielt Rexia mit einem Pfeil auf das uneingeladene Flugobjekt, bis Gretel ihr die Waffe abnimmt und selbst das Ziel anvisiert, abdrückt und flucht, denn die Drohne weicht geschickt aus. Auch beim nächsten Schuss.
»Eilmeldung«, trötet sie jetzt in abgehackter Maschinensprache. »Eilmeldung! Der ehrwürdige König des Morgenlands gibt bekannt: Leistet keinen Widerstand. Dann wird euch nichts geschehen. Seine Majestät Aladin, Alleinherrscher über Morgenland, beansprucht den Märchenwald als neues Hoheitsgebiet. Erkennt ihn als neuen, rechtmäßigen Herrscher an und niemand wird ver… ver… ver… letzt.«
Die Drohne eiert etwas, da Snow sie nun doch mit einem Stuhlbein erwischt hat. »Nimm das, fettes, stinkendes Diktiergerät!«
»Aladüüüün …« Aber was Aladin noch zu sagen hat, erfahren sie nicht mehr, denn die Drohne gerät vollends ins Taumeln und stürzt ab, zerschellt auf Snows dunklem Fliesenboden. Rose folgt ihr mit den Augen, die Stirn in Falten gelegt, während sie an einem Ohr der Katze zupft.
Wie ein roter Blitz kommt die Herzkönigin angeflitzt, hebt ihre Röcke und tritt auf das Flugobjekt. Oder was davon übrig geblieben ist. »Hah!« Ihre roten Locken wippen.
Die Hexen und Gretel jubeln ihr zu.
»Und was sagst du jetzt?« Lächelnd streichelt Rose der Grinsekatze über den Kopf. »Ein identifiziertes, morgenländisches, nicht mehr flugfähiges Objekt? IMNFO?«
Die Katze kratzt sich selbst am Kinn, zeigt dann das wohl breiteste Lächeln, das ihr je ins Gesicht gekommen ist.
»Ein abgestürztes Wrack aus dem Morgenland ohne Flugfähigkeiten. AWMOF. Oder hatten wir für Jasemin schon denselben Spitznamen?«
»Ähm, Leute«, meldet sich Gretel von der Fensterfront her. »Da draußen fliegen noch mehr von diesen Dingern rum. Sie werden die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzen.«
»So wie damals, als Snow ungeschminkt ihre Neujahrsansprache gehalten hat?«, fragt Rapunzel gut gelaunt.
»Ich glaube, die Lage ist wirklich ernst.« Rose erhebt sich mit der Katze auf dem Arm, um sich zu Gretel zu gesellen. Auf einmal ist es ganz still um sie herum geworden. »Wenn die Märchenfiguren in diesem Wald schon wieder eine Krise durchleben müssen …« Sie wirft Snow einen Blick zu.
»Ach, die haben das mit Pandoras Büchse doch erstaunlich gut verkraftet.« Mit ihrem Wurfmesser deutet Snow auf die vor ihr ausgebreitete Zeitung. Das Tapfere Schreiberlein. Auf der Titelseite strahlen ihnen eine große Menge Zivilisten entgegen, die Grimassen schneiden. Selbst Hans im Glück und Sterntaler in ihrer Tarnuniform sind darunter. Und natürlich Hase, der gewissermaßen Photobombing betreibt und vor die Linse gehüpft ist. Die darüber lesbare Schlagzeile lautet:
Nicht echt – und stolz darauf!
»Verrückte, überall Verrückte«, murmelt die Grinsekatze und rollt sich um Rose’ Hals zu einem Schal zusammen. »Können wir jetzt zum Pinguin-Flipperautomaten gehen? Ich muss meinen Highscore gegenüber der Goldenen Gans verteidigen.«
Während Rose den Katzenkopf liebkost, schiebt sich Snow einen glutenfreien Keks in den Rachen. Dabei lungert sie wie ein Pirat auf dem Stuhl herum, die Stiefel auf den Esstisch gelegt. Zu allem Überfluss beginnt sie auch noch, ihre Fingernägel mit ihrem Wurfmesser zu reinigen.
Rapunzel stößt ein Würgegeräusch aus.
»Wir müssen Aladin stoppen«, sagt die Herzkönigin jetzt. »Oder der Märchenwald wird nicht mehr derselbe sein.«
»Musst du gerade sagen«, brummt Snow. »Was willst du eigentlich noch hier?«
Nach einem Schnauben dreht sich Quinn, die Herzkönigin, zu ihr um. »Meinst du, ich bin damals freiwillig nach Wonderland ausgewandert? Mir hat es im Bergwerk gefallen, wenn du es genau wissen willst. Die anderen Zwerge wollten mich loswerden. So war das. Das Pack hat mich vertrieben.« Sie ballt ihre Winz-Fäuste.
Eigentlich ist diese Geschichte inzwischen bekannt, doch bevor Snow darauf etwas erwidern kann, vibriert ihr Smartphone. »Facetime-Anruf von Charming und der Dreizehnten Fee.« Sie hält den Bildschirm hoch und alle starren auf das Bild der beiden, auf dem sie sich im Arm halten und Neonstirnbänder tragen. Wie in den Achtzigern. Nur schrecklicher. »Sollen wir annehmen?« Eigentlich eine rhetorische Frage.
»Bäh, da möchte mein Frühstück gleich noch mal Hallo sagen.« Gretel verzieht das Gesicht.
»Könnte eklig werden.« Während Rose nickt, hebt Cinder endlich ihren Kopf vom Tisch.
Rose macht einen Schritt auf das Smartphone zu, um besser sehen zu können. »Ja, Snow, vielleicht hörst du besser auf zu essen.«
Snow zuckt mit den Schultern und beißt von einem weiteren Keks ab. »Ich lasse es drauf ankommen.«
»Geht ihr jetzt ran, oder nicht?«, fragt Pain aus dem Hintergrund. Sie hat exakt wie Rapunzel beide Hände in die Hüften gestemmt.
Da Snow selbst keinerlei Anstalten macht, schnappt sich Rose das Handy, doch die Grinsekatze stibitzt es ihr blitzschnell aus der Hand. »Selbsthilfegruppe Angstfreies Stricken, was kann ich für Sie tun?«
Langsam scheint das Koffein zu wirken. Sowohl bei Grin als auch bei Rose.
»Schön, dass ihr das lustig findet«, sagt die Dreizehnte Fee. Ihre Wangen sind rot angelaufen, passend zu ihrer neonpinken Haarschleife an ihrem grünen Stirnband. »Bedeutet das, die alte Schachtel kann entsorgt werden?«
»Also wirst du dich selbst auf den Komposthaufen werfen?«, fragt die Grinsekatze mit schief gelegtem Kopf zurück.
Sanft pflückt sich Rose die Katze von den Schultern, lehnt dann das Handy gegen die große Thermoskanne, damit alle etwas von der Videoübertragung mitbekommen.
»Bitte hör nicht auf Grin, er hatte zu viel Kaffee.« Rose ist bewusst, dass sie das Leben von Reds Großmutter nicht gefährden dürfen. Keinesfalls darf dieses Gespräch in die falsche Richtung abdriften. Wenn sich alle nur dieses eine Mal ernsthaft zusammenreißen können …
Die Dreizehnte Fee nickt wissend. In der Zwischenzeit schiebt sich Prinz Charming ins Bild, was Cinder mit einem scharfen Einatmen quittiert.
»Hallo, Cinder, bist du schon zur Vernunft gekommen?«
Im Hintergrund hebt die Dreizehnte Fee beide Augenbrauen.
Ja, wie hat er sich das vorgestellt? Charming, Cinder und das Insekt? Eine Dreiecksbeziehung? Rose neigt den Kopf, bis sie mit ihrer Schläfe das Fell der Katze berührt. Will er gemeinsam mit den beiden in Charmings Schloss ziehen, oder wie?
Prinz Charmings Mundwinkel heben sich zu einem sanften Lächeln. »Die ganze Warterei und das Bewachen der Geisel machen keinen Spaß mehr. Langsam bekomme ich Verstopfung.«
»Das sind tolle Neuigkeiten«, sagt Snow. »Für uns und unser Justizsystem.«
Daraufhin presst Charming beide Lippen aufeinander.
»Mit dir reden wir nicht, Hexe!«, quakt die Dreizehnte Fee. »Du solltest dich demütig zeigen und Prinz Charming die Füße küssen, weil er dafür verantwortlich ist, dass dein Ehemann sowie seine Freunde aus meiner Geiselhaft entlassen wurden. Nur weil Charm mir den Feenzauberstab verschafft hat, habe ich sie im Austausch freigelassen.«
Charm? Also geben sich die beiden schon Spitznamen? Welchen hat Charming für die Fee? Dreizehni?
»Den Feenzauberstab hast du doch der sterbenden Königin des Morgenlandes abgenommen«, sagt Pan kalt, bevor Snow losbrechen kann. Das Wurfmesser in ihrer Hand zittert bereits. Das letzte Mal, als jemand sie als Hexe betitelt hat, musste derjenige danach ziemlich schnell rennen, um nicht von ihren neuen Waffenspielzeugen getroffen zu werden.
»Wenn ich mal zu Wort kommen dürfte«, wirft Rose ein. »Wir sind immer noch im Gespräch mit Cinder und Red, um eine Lösung für euren Erpressungsversuch zu finden. Reds Großmutter geht es doch gut, richtig?«
»Ja, noch.« Die Dreizehnte Fee reckt das Kinn.
»Sitzt in deinem Gästezimmer und sieht Scripted Reality Shows am laufenden Band? Wie die Prinzen?«, hakt Rose nach. So viel hatte sie bereits aus ihrem Ehemann über seinen eigenen Aufenthalt bei der Dreizehnten Fee herausbekommen.
Die Fee nickt. »Noch, wie gesagt. Bis heute Mittag.« Sie bleckt die Zähne.
»Euch muss echt langweilig sein. Hast du nichts Besseres zu tun?«, fragt die Herzkönigin. »Keine anderen Feen und unschuldige Geschöpfe zu terrorisieren?« Mit einem zustimmenden Krächzen springt ihr eins der beiden Krallenäffchen, die sie aus Morgenland mitgenommen hat, auf die Schulter. Kurz tätschelt die Herzkönigin sein Köpfchen. Das zweite Äffchen schwingt am Kronleuchter. Vor und zurück, vor und zurück.
Die anderen Feen! Rose lässt Grin zu Boden gleiten. Ihr wird ein bisschen schwindelig. Warum ist sie da nicht früher drauf gekommen?
»Bla, bla, bla, am Ende bleibt euch ja doch nur eine Möglichkeit«, sagt die Dreizehnte Fee. »Oder die Oma landet im nächsten Fluss. Mit Schuhen aus Beton. Also her mit Prinzessin Kichererbse.«
Aha. Und gleich so einfallsreich.
»Vielleicht überrascht Cinder dich ja.« Rose schenkt ihr ein Lächeln, das die Fee kurz innehalten lässt.
»Ich mag keine Überraschungen«, gibt Prinz Charming zu bedenken.
»Wissen wir«, sagen Snow, Rapunzel und Rose im Chor.
Und damit beugt sich Rose nach vorn und drückt die Stopp-Taste, um das Gespräch zu beenden. Eins der Krallenäffchen applaudiert.
»Warum, Rose? Ich wollte Charming gerade einen Deal anbieten«, sagt Cinder mit weinerlicher Stimme. Halbherzig breitet sie die Hände aus, bevor sie sie wieder auf die Tischplatte sinken lässt. Gefolgt von ihrem Kopf.
»Bitte reiß dich endlich zusammen. Du fällst in alte Muster zurück«, sagt Rapunzel.
»Du gehst nicht da hin«, bestimmt Rose. Mit den Fingerkuppen streicht sie über die Tischplatte, bevor sie sich auf einen der Ebenholzstühle setzt. »Ich werde euch sagen, was wir jetzt machen.«
~Red~
Weil ich so dringend mit den anderen über die Idee sprechen muss, kann ich Jaz keine Zeit geben, sich umzuziehen. Daher hinterlassen wir eine Spur aus Wassertropfen, die aus seiner Badeshorts auf den Boden rieseln. Sogar trotz des grauen Handtuchs, das er sich um die Hüften geschlungen hat. Sollte uns eine Hexe verfolgen, jetzt hätte sie leichtes Spiel. Fast besser als Brotkrumen.
»Wir haben die Lösung für das Aladin-Problem«, platzt es aus mir heraus, noch ehe die Tür zu Snows Frühstückssaal gegen die Wand gedonnert ist. Ich keuche ein wenig und mich durchspülen etwa hundertfünf Emotionen, manche kalt, manche warm. Das könnte unser Durchbruch sein.
Fingerspitzen tasten nach meinen. Jaz’ Hand.
Ungefähr zehn Köpfe schnellen zu uns herum. Zwei davon kreischen und springen dann in Richtung Kronleuchter. Die neuen Freunde der Herzkönigin.
»Interessant.« Snow tut so, als würde sie an ihrem Wurfmesser wie an einer Zigarre ziehen, bläst dann imaginäre Rauchkringel in die Luft. »Und da denkt man, das Großmutter-Fee-Problem sei das, das dich am meisten beschäftigt.«
»Das auch«, sage ich, baue mich dann am Ende des Tisches vor meinen Freunden auf. »Trotzdem möchte ich euch den Geistesblitz von Jaz nicht vorenthalten. Also wenn du erlaubst, Snow?«
Sie nickt großmütig.
Ich verkneife mir jedoch jeglichen Kommentar zu ihrem Benehmen und erkläre stattdessen allen Anwesenden Jaz’ und meinen Plan.
»Was? Ihr seid doch total bescheuert«, kann sich Quinn offensichtlich nicht verkneifen zu sagen, als ich geendet habe. »Erst kommt Rose mit ihrer blödsinnigen Fee und jetzt du mit dem Teufel? Als ob wir nicht auch ohne weitere Verbündete unsere Probleme lösen könnten.«
Ich halte kurz inne und denke über ihren Einwand nach. Ob sie recht hat? Aber braucht man nicht manchmal einfach Verbündete? So wie Freunde?
»Was für eine Fee?«, frage ich daher nur.
»Die Zwölfte.« Rose hält ihr Handy hoch und fügt hinzu: »Hab sie schon angerufen. Mit ihrer Hilfe schlagen wir Charming und die Dreizehnte Fee.«
Feen also. Wenn es nicht die Dreizehnte ist, von mir aus. Rose ist hier die Fee-Expertin. »Du meinst, mit ihrer Hilfe können wir meine Großmutter retten?«
Nachdem meine beste Freundin in einer selbstbewussten Geste einen Mundwinkel hebt, hält sie meinem Blick stand. »Sie ist unsere beste Chance und ich glaube an unseren Erfolg.«
Feenmagie gegen eine Fee einzusetzen erscheint mir tatsächlich als ziemlich clevere Idee. Für einen Moment drücke ich Rose’ Unterarm. Sie ist die Beste. Aber was ist mit dem Ablenkungsmanöver, das Jaz und ich planen? Ich schaue in die Runde. Auch der Rest unserer anwesenden Widerstandsgruppe scheint nicht überzeugt von unserem Plan zu sein. Zweifelnde Gesichter überall.
Doch da ergreift Jaz meine Hand. »Ich gehe mit Red und Aladin in die Hölle. Das ist die Lösung, um den Krieg zu verhindern, oder zumindest den Beginn nach hinten zu verschieben. Ihr könnt euch um Charming und die Dreizehnte Fee kümmern.«
Moment. Sofort wollte ich nicht gehen und schon gar nicht, ohne meine Großmutter in Sicherheit zu wissen.
Offensichtlich errät Rose meine Gedanken, denn als sich unsere Blicke treffen, sagt sie: »Wenn ihr jetzt loswollt, dann tut es. Vertrau mir, ich werde nicht zulassen, dass deiner Großmutter etwas passiert. Der Plan mit der Zwölften Fee ist absolut wasserdicht.«
Ich hoffe es. Gern möchte ich ihr in dieser Sache vertrauen. Meine Großmutter hat schon so viel durchgemacht. Ein Wunder, dass sie nie eine anhaltende Wolfsphobie hatte so wie ich. Der Gedanke lässt mich schlucken. Weil ich sofort wieder Ever vor Augen habe.
»In Ordnung.« Notfalls schicke ich die Jäger, sobald die Deadline sich nähert. Noch zwei Stunden und achtundfünfzig Minuten. Dennoch nagt in mir das unbestimmte Gefühl, dass so vieles schiefgehen kann. Dass sich die Dreizehnte Fee an meiner Großmutter vergreift. Dass Charming ausrastet. Schnell wische ich mir eine einzelne Träne aus dem Augenwinkel und hoffe, dass sie keiner außer mir bemerkt hat. Ich muss an das große Ganze denken. An den Märchenwald. An meine Heimat.