Kitabı oku: «Wir reden, noch», sayfa 6

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Dabeisein ist tatsächlich fast alles

Wie wichtig es ist, dabei zu sein, spürt man erst, wenn man einmal nicht mehr dazugehört. Dabeisein ist alles, das ist weit mehr als ein olympischer Gedanke: Das ist die Grundlage des sozialen Lebens. Roy Baumeister und Mark Leary meinen, den Antrieb dafür geortet zu haben, in der menschlichen Psyche: Sie nennen ihn „The Need to belong“50. Eines der stärksten menschlichen Bedürfnisse soll es ihrer Meinung nach sein. Ähnlich ausgeprägt wie jenes nach Nahrung und Schutz. Positive Interaktionen mit Menschen seien essentiell, meinen Baumeister und Leary. Und am besten sei es überhaupt, wenn sie innerhalb der Königsklasse passieren: entlang einer dauerhaften, stabilen Beziehung. Auch der amerikanische Psychologe Abraham Maslow hat diesem einen Platz im Ranking eingeräumt, in seiner berühmten Bedürfnispyramide. Gleich nach Nahrung, Sicherheit und anderen basalen Bedürfnissen. Aber noch vor Selbstbewusstsein und Selbstverwirklichung. Gutes Mittelfeld könnte man sagen. Bleibt das Bedürfnis unbefriedigt, erzeugt es Angst und Schmerz. Gefühle, auf die man Kinder während Geburtstagspartys manchmal schon vorbereitet, in abgeschwächter Form. Wenn beim Partyspiel „Reise nach Jerusalem“, auch genannt „Sesseltanz“, immer ein Kind übrig bleibt, weil ein Sessel zu wenig ist. Da können sich die Kleinen schon daran gewöhnen, was auch Großen ständig widerfährt: soziale Exklusion. Dass alle in die Disco dürfen, nur man selber nicht. Und den Ball bekommt man auch nicht zugeworfen. Ausgestoßen zu sein – das fühlt sich schrecklich an.

Die Ablehnung durch die Gruppe – kaum eine Emotion sei schlimmer, darüber scheinen sich Soziobiologen und Psychologen einig zu sein. In früheren, vordigitalen unzivilisierteren Tagen war Dazugehören schließlich eine Frage von Leben und Tod. Verbannung die schlimmste aller Strafen. Auch vom Tisch verwiesen zu werden, gleichsam von der Kerngruppe, die die Nahrung miteinander teilt, ist auch heute trotz Lieferservice eine der unangenehmsten menschlichen Erfahrungen. „Du darfst nicht mit uns essen“ war deshalb lange Zeit in vielen Familien auch eine der wirkungsvollsten Strafen, die man Kindern gegenüber aussprach. Und darauf, dass es wehtut, hat es das Gehirn im Laufe der Evolution ja extra angelegt. Denn der Mensch soll ja möglichst alles unternehmen, um das System zu reparieren, um bald wieder dazuzugehören. Dafür setzt er auch alle kommunikativen Mittel ein. Und zur Sicherheit hat die Digitalisierung dem Menschen gleich noch ein paar effiziente Möglichkeiten nachgereicht. Waren die Wiederherstellungsmaßnahmen erfolgreich, belohnt das Gehirn den unermüdlichen Einsatz: mit einem guten Gefühl. Und gerade das lässt sich der Mensch nicht so gerne nehmen. Deswegen hält er eines auch gar nicht gut aus: zu durchtrennen, was er so fleißig und so fein geknotet und geknüpft hat. Binden – gerne. Loslassen – das lieber nicht. Abschiede schmerzen. Trennungen sowieso. Brüche verkraftet das Bindungswesen Mensch ganz schlecht. Vor allem wenn der Kitt aus dem kommunikativen Erste-Hilfe-Kasten auch nicht mehr hilft. Sozialer Schmerz wirke fast wie physischer, meint die Psychologin Giorgia Silani von der Universität Wien. Denn beide haben für die lebenserhaltenden Systeme des Menschen ungefähr dieselbe Funktion. Sie signalisieren so deutlich wie möglich: Hier gehört etwas repariert. Die Wunde auf dem Knie. Oder der Bruch in der Beziehung. Beides war in frühen Tagen zutiefst lebensbedrohend. „Das Beziehungs- und Bindungssystem des Menschen ist wie das körperliche System als Schutzmechanismus unabdingbar für das Überleben“, sagt Silani. Und wenn die kommunikativen Strategien ins Leere fahren, Ansagen wie „Ich werde mich ändern“, „Gib mir noch eine Chance“ ungehört verklingen, dann hat der Mensch noch immer nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Denn da gibt es noch Wut und Trauer. „Die negativen Emotionen erlauben es einem, sich schließlich auf eine neue Beziehungssituation einzulassen, wenn man selbst verletzt wird“, erzählt Silani. Gleichsam wie einmal seelische Wunden auswachsen. Mit den emotionalen Hilfsmitteln Wut und Trauer. Als Nitroverdünnung, die die letzten Beziehungsrückstände endgültig beseitigt. Der Schmerz repariert das System. Dann ist man wieder bereit für Tinder und Konsorten.

Social Media: Ach, wir sind es ja selbst

Alles, was am Tag sozial zu erledigen ist, das setzt nicht nur die Jugendlichen heute unter Druck. Auch die Primaten spürten das schon. In Form von Selektionsdruck. Noch lange vor Gesangsverein, Co-Working-Space, Junggesellenabend, Taufgespräch und WhatsApp-Gruppe. Das Gehirn musste sich anpassen, das soziale Signalsystem optimieren. Allein zu sein konnte tödlich enden. Aber zusammenzuleben dafür – im Chaos. Vor lauter sozialen Agenden hatte das Gehirn bald Hochbetrieb. Heute übernimmt die sozialen Aufgaben wie Beziehungspflege größtenteils das Smartphone. Früher musste es ausschließlich das Gehirn tun. Der Social-Media-Manager war man selbst. Mehr als einen Kanal, den nonverbalen nämlich, hatte man dabei ursprünglich aber nicht zu betreuen. Erst viel, viel später kam die Sprache dazu. Und allein für diese Managementaufgabe musste das Gehirn gehörig expandieren. Insgesamt verdreifacht hatte es sich in seiner Größe. Weil es gleichsam mit seinen sozialen Aufgaben gewachsen war: zum „sozialen Organ“. Oder zum „Social Brain“, wie es Robin Dunbar innerhalb seiner gleichnamigen Theorie beschrieben hat.51 Mit dieser wollte er eine Frage klären, vor der so viele Anthropologen so lange ratlos gestanden waren: Warum die Gehirne so ungewöhnlich groß geraten sind bei Primaten, vor allem in Relation zu ihrer Körpergröße. Und noch mehr bei jenen Primaten, die auf der Karriereleiter des Lebens alle anderen abgehängt haben, den Menschen. Doch so ein großes Hirn, das muss man sich erst einmal leisten können. Schließlich ist das Gehirn ein Energiefresser. Die Betriebskosten sind enorm. Das muss sich schon gelohnt haben, nämlich so zu leben wie der Homo erectus, in kleinen, familiär organisierten Gruppen. Doch die Speichererweiterung im Kopf war kein Selbstläufer. Ohne Input von außen hätte sie es nicht geschafft: Zumindest ein paar Extraportionen Protein dürften ihr zuträglich gewesen sein. Zum Glück wusste man schon, wie man Fleisch über dem Feuer brät. Und Hand in Hand mit einer kulturellen Evolution ging die Gehirnexpansion natürlich auch. Das eine hat das andere sogar beschleunigt. Denn: Neue Errungenschaften und Erkenntnisse mit anderen zu teilen, das schien auch für das Kollektiv erfolgversprechend zu sein. Irgendwann konnte sogar eine Generation der nächsten vermitteln, wie etwas funktioniert. So wie heute die ältere der jüngeren bald erklären kann, was eine Telefonzelle war, ein Handkuss oder ein gemeinsames Mittagessen am Sonntag. Aber dafür vermitteln ja die Jüngeren den Älteren, wie das denn so läuft mit Tinder, Snapchat und TikTok.

Auch ohne Smartphone hat es das Gehirn ganz gut hinbekommen: sich um alles zu kümmern. Und es gab viel zu tun für so ein soziales Wesen wie den Menschen. Nähe aufbauen, den anderen auf Distanz halten, Allianzen schließen, auch mal etwas vortäuschen, sich Freunde warmhalten, Kooperationen eingehen – das erforderte ganz schön viel Rechenleistung im Hirn. Und all das noch lange vor Beziehungskonzepten wie Patchwork-Family und Polyamorie. Ein ständiger sozialer Datenaustausch beschäftigte die Primaten, zum Glück ganz unbewusst. Mit wem man sich einlassen konnte, rein freundschaftlich zur gefälligen Fellpflege oder rein sexuell zur Fortpflanzung. Wem man besser aus dem Weg ging in Konfliktsituationen. Und je mehr Tools Gehirn und Körper entwickelten, desto heißer lief der Prozessor. Kein Wunder, dass sich die Wissenschaftler, die sich mit ihm auseinandersetzen, auch gerne tief vor dem Organ selbst verbeugen: „Das Gehirn ist eine kulturelle Meisterleistung und erfolgreiches Teamwork von zehntausenden Generationen“, schrieb etwa die deutsche Neurowissenschaftlerin Franca Parianen.52

Gemeinschaft braucht ein großes Gehirn. Und seitdem vor allem ein Teil der Großhirnrinde, der Neocortex, dermaßen expandiert hat, können wir es endlich: in WGs zusammenleben, gemeinsam U-Bahn fahren, Futter fair verteilen und uns sogar bei Bedarf ein wenig altruistisch verhalten. Manche Anthropologen behaupten, man könne an der Größe des Gehirns auch etwas ablesen: Wie groß die Gruppe ist, in der die Primaten leben. Je größer die Gruppe, desto größer auch das Gehirn. Alles verarbeiten kann das Gehirn trotzdem nicht. Seine Größe beschränkt gleichzeitig seine Leistungsfähigkeit. Und limitiert das soziale Netzwerk, mit dem sich der Mensch umgeben kann. Nach der Theorie von Robin Dunbar wäre die Zahl ungefähr mit 150 Mitgliedern begrenzt. Mehr soziale Beziehungen verkraftet das Gehirn nicht. Nur wenn es selbst einen Social-Media-Manager einstellen würde. Oder die Agenden outsourcen, an das Gehirn in der Hand, das Smartphone. Kaum war die Zahl „150“ als Richtwert ausgesprochen, wurde sie mystifiziert zur „Dunbar-Zahl“.53 Praktisch um mit ihr allerlei Logik und Zusammenhänge hinter verschiedenen sozialen Geflechten der Menschen zu erkennen. Die meisten Unternehmen der Welt hätten ungefähr so viele Mitarbeiter. Und auch eine durchschnittliche Kontaktliste auf einem Handy habe zwischen 100 und 200 Einträge. Also ungefähr die Gruppengröße, über die unser Gehirn gerade noch den Überblick behalten kann.

Das kommunikative Survival-Kit des Menschen

Den Kreis der Facebook-Freunde selbst analog zu betreuen, das würde das durchschnittliche soziale Hirn überfordern. Die angeborenen Werkzeuge, später die erlernten wie die Sprache, die genügen dem Menschen heute so und so nicht mehr. Heute kauft er sich neue Tools zu, die jede Woche nach Updates lechzen, im Handyshop um die Ecke. Aber zunächst hat der Mensch selbst ein kommunikatives Add-on nach dem anderen in seinem System installiert. Um einfach dieses süße Gefühl zu spüren: Ich bin wir. Ich bin einer von euch. Geholfen hat eine Fähigkeit, von der wir vorher schon gehört haben: eine „Theory of Mind“ zu bilden, sich in die Lage und die Perspektive des anderen hineinzuversetzen. Und auch die Gefühle zu empfinden, die der andere gerade spürt, mit Hilfe von Empathie. Nur zwei Werkzeuge von vielen, die zum Basis-Survival-Kit des Menschen gehören. Tools, die unterschiedlichste Aufgaben übernehmen, Beziehungen aufbauen, flicken oder auch reseten, wenn gar nichts mehr hilft. Auch eine Extraportion sozialer Klebstoff liegt einsatzbereit. Auf der einen Tube steht Humor. Auf der anderen Höflichkeit. Eine Revolution nach der anderen hat den Werkzeugkasten bestückt: die meisten aber in den letzten hundert Jahren, oder vor allem in den letzten 20 Jahren. Schon der Sprung zur Sprache katapultierte den Menschen auf einen ganz anderen Level der Kommunikation. Dann kam die Schrift, und dass man mal gemeinsam mit anderen Primaten vor sich hergrunzte, war fast schon vergessen. Irgendwann hatte man es sprichwörtlich schwarz auf weiß: Niemand kann so gut predigen, jammern, indoktrinieren, philosophieren, die Welt erkennen, Kriege erklären und Heiratsanträge machen wie der Mensch. Dank Schrift jetzt auch in Briefform und als Bibel. Danach hantelte sich der Mensch noch entlang kleinerer Meilensteine wie Morsealphabet oder Brailleschrift in die Jetztzeit. Doch nichts half dem sozialen Zusammenhalt so sehr wie das Schwafeln, Tratschen, Palavern, Plaudern. Mit anderen Worten: das Gespräch. Und für alles, was sozial zuvor geschah, brauchte die Vergemeinschaftung nicht einmal Worte.

Sozial zu sein braucht nicht immer Worte

Die aktuellen digitalen Social-Media-Kanäle bedienen im Grunde dasselbe Bedürfnis wie tausende Jahre ausschließlich ein Kanal: der nonverbale. Auf ihm hat der Mensch sein Sozialleben geregelt. Ohne Worte, doch trotzdem gerne nachdrücklich, nämlich multimodal, manchmal eben akustisch und visuell gleichzeitig. Das Basis-Survivalpaket der Kommunikation war längst geschnürt damit. Damit konnte der Mensch ohnehin schon einiges ausformulieren, jemandem zeigen, wer der Boss ist, oder unterwürfig sein schönstes Lächeln. Bevor es also viel, viel später besonders inhaltsschwer, spannend, peinlich, lustig oder philosophisch wurde in der Kommunikation, musste es erst einmal richtig zwischenmenschlich werden. Die beiden Protagonisten dabei: Der Körper des einen. Und der Körper des anderen. Vor allem gefordert: Die jeweils besonders informationsdichten Quadratzentimeter davon – das Gesicht, das „Facial Display“. Allein dieses hat schon einiges zu vermelden. Vor allem auch soziale Motive und Absichten. Für andere kann überlebenswichtig sein, sie lesen und deuten zu können. Und deshalb könnte sich in der Evolution der nonverbale Kanal überhaupt entwickelt haben. Und auch dass das Ganze automatisch abläuft, könnte sich im Laufe der Evolution als Vorteil erwiesen haben.

Der Nonstop-Statusreport des Gesichts hilft, soziale Bindungen zu etablieren und etwaige tödliche Konflikte wegzulächeln. Auch dass man im Moment sehr glücklich ist, sollte man nicht für sich behalten, allein weil eine positive Erfahrung, die man teilt, auch verbindend wirken kann. Und traurige Gesichter vermelden nicht nur die Traurigkeit. Sondern auch den Wunsch, dass jemand kommt und sagt, dass alles nicht so schlimm ist. Am Gesicht kann der Nachbar ablesen, ob es gestern Nacht doch zu laut und zu lange geworden ist. Oder ob man seinen Witz doch in den falschen Hals bekommen hat. Das Gesicht ist auch das Display des aktuellen Beziehungsstatus – kaum tritt man aus dem Badezimmer in der Früh hinaus ins Leben, dort wo auch andere sein könnten als man selbst. Der Körper übernimmt gleichsam die Backoffice-Aufgaben der Kommunikation: arrangieren, organisieren, administrieren. Und dabei vor allem: Verbindungen managen. Und was sozial gesehen tatsächlich fast wie Klebstoff wirkt, ist vor allem ein Verhalten: sich so zu verhalten wie der andere. Also: den anderen zu imitieren, sich anzugleichen, sich anzupassen. Ein Prozess, den man ständig ausverhandelt, entlang der unterschiedlichsten semiotischen Systeme. Seitdem es Jacken gibt, kann man auch dieselben Jacken anziehen, Fahnen mit denselben Mustern schwingen, jubeln, wenn die anderen jubeln, gemeinsam auf die anderen schimpfen, auch wenn man nicht ganz genau weiß, warum. Und da ohne Belohnung kaum etwas funktioniert, wird auch hier etwas großzügig ausgeschüttet: Ein Gefühl der Verbundenheit. Das Kleinkind ist lange damit beschäftigt, sich aufzuteilen in sich selbst und die anderen. Und wenn es groß ist, bemüht es sich erst recht wieder, aus zwei verschiedenen Wesen eines zu machen. Indem es tut, was der andere tut. Auch ganz unbewusst.

Lange bevor man Weltanschauungen und Lieblingsfußballverein abgleicht, schwingt sich etwas anderes ein: die Körperhaltung, die Bewegungen, die Stimmen der Interaktionspartner. Das schmiert die sozialen Interaktionen. Und die Business-Coaches dozieren gern gegen viel Geld, dass genau das erfolgreicher und beliebter machen soll. Wahrscheinlich haben sie Recht. Sprachmuster, Akzente, Dialekte, Sprechrhythmus, Gesten. Alles wird kopiert. Überhaupt gerne: Gesichtsausdrücke. Wir verziehen das Gesicht beim Anblick einer Wunde, als wäre es unsere eigene. Wir ducken uns, wenn sich andere ducken. Die Evolution hat uns eingebläut: Lieber einmal zu viel angepasst. Und Wissenschaftler meinen, dass dieses Anpassungsverhalten eine wichtige Rolle gespielt haben könnte im Laufe der menschlichen Evolution. Vor allem auch, um harmonische Beziehungen mit anderen Gruppenmitgliedern zu etablieren: Beinahe als „Social Glue“, also „sozialer Klebstoff“, würde es wirken, sich selbst wie ein Chamäleon zu verhalten.54

Wie sehr sich Menschen während der Kommunikation angleichen, verrät den Beobachtern auch eines: Wie viel sozialer Klebstoff in den Interaktionen zuvor schon appliziert wurde. Und dadurch, wie hoch die Gruppenkohäsion ist. Wo die Verbindungen schon solide eingerichtet sind, ahmt man gegenseitig die Körperhaltungen erst recht nach. Es reicht aber auch schon, dass das Ziel ein gemeinsames ist, dass man das Gemeinsame schon im Verhalten vorwegnimmt: Etwa wenn in Experimenten Versuchsleiter Personen für gemeinsame Aufgaben zusammenspannen – der Anfang von Kooperation scheint Imitation zu sein. Auch wenn man unbedingt zu einer Gruppe gehören will, ahmt man stärker jene nach, die bereits Teil der Gruppe sind. Dabei balancieren Menschen natürlich grundsätzlich auf einer dünnen Linie: Diese trennt gerade noch das Bedürfnis, sich anzupassen, vom Verlangen, sich von anderen zu unterscheiden. Vor lauter Dazugehören darf man ja nicht vergessen, man selbst zu sein. In der Psychologie hat die „Distinctiveness Theory“ das Problem benannt: Menschen sind ihr Leben lang auf einer komplizierten Mission, sie wollen so sein wie alle anderen, und gleichzeitig wie keiner sonst.55

Einen Kontakt herzustellen war lange Zeit zunächst einmal ein körperlicher Vorgang. Das macht den Verbindungsaufbau über digitale Medien manchmal schon schwieriger. Körper und Körper, sie sind die ersten, die etwas verbindet. Und sie waren zunächst auch die Medien, mit denen man die Beziehungen schließlich gepflegt hat. Unter Primaten vor allem, indem man das Fell des anderen gepflegt hat. Eine Zeit lang war dieses Sozialverhalten fast so effektiv wie das, was Menschen Jahrtausende danach in elaborierter verbaler Form zu pflegen begannen: die Konversation. Noch später, als man das Internet als Raum des sozialen Austausches kultivierte, kam die digitale Fellpflege dazu, die Social-Media-Kanäle, wie wir sie heute kennen. Aber davor hieß es lange Zeit: kraulen und sich gegenseitig lausen. Allein damit hatte man schon einiges geklärt. Wie etwa: Wir gehören zusammen. Aber man konnte auch detaillierter ausverhandeln, wie man zueinander steht. Fellpflege ist wichtig für den Aufbau und die Aufrechterhaltung von Bündnissen, für die Paarbindung, um hierarchische Strukturen zu etablieren, für die Verteilung von Ressourcen und die Unterstützung bei Konflikten. Noch dazu wird dabei Oxytocin, das Hormon des Vertrauens und der Bindung, ausgeschüttet. Das hilft, Beziehungen mit vielen Individuen über längere Zeit aufzubauen.

Der kommunikative Joker des Menschen: Die Sprache

Allein der Gemeinschaft wegen müssen wir reden. Und einmal hineingeboren, ist auch das Herauswinden aus dem Geflecht keine Option mehr, zumindest nicht das elegante. Der erste Schrei, das war schon ein ziemlich wirkungsvoller Anfang. Noch effektiver ist es allerdings, wenn man weiß, was man so schreit. Also wenn man die Laute, die man aneinanderreiht, auch abfüllt mit Inhalt. Mit der Sprache konnte der Mensch plötzlich viel elaborierter verlauten, wie es ihm so geht. Und das war ja auch für die Gruppe von Belang. Da können so viele Schwänze wedeln, wie sie wollen. Und Vögel zwitschern noch so schön – mit der Sprache war der Mensch sofort in einer ganz anderen Liga. Und in dieser kommt er sich kommunikativ ziemlich überlegen vor gegenüber all den anderen Tieren. Und das zurecht. Bienen tanzen den Weg zur nächsten Nahrungsquelle. Menschen können das nicht. Dafür können sie mit symbolischen Zeichen darauf verweisen, was sie letztes Jahr zu Weihnachten gegessen haben, worauf sie gerade Appetit haben, und sie können auch ganz höflich danach fragen. Oder beim Lieferservice anrufen. Aber sich Nahrung zu organisieren, dürfte nicht der Grund gewesen sein, dass sich die Sprache evolutionär entwickelt hat. Eher das: Sprache ist ideal, um die sozialen Agenden zu managen. Vor allem sind Worte ein immens effizientes Mittel. Man kann sprachlich so viele gleichzeitig betreuen und noch dazu kann man nebenbei noch andere Dinge machen wie etwa im Wald spazieren zu gehen. Man kann so vielen auf einmal schmeicheln, man muss nicht jedem Einzelnen zeigen, dass man ihn liebt, man kann es kollektiv beim Stadionkonzert von der Bühne schreien. Es wundert nicht, dass sich das Merkmal Sprache in der Evolution durchgesetzt hat. Es war einfach zu praktisch. In der sozialen Gruppe vor allem. Aber auch sonst im Alltag. Wie ein Leben ohne Sprache aussehen würde, das hat einmal Jonathan Swift in seiner Satire „Gullivers Reisen“ angedeutet: eine Parabel, die gern in Linguistik-Einsteigerbüchern herangezogen wird. In Swifts Roman ist auf den Laputa-Inseln eine Reform geplant: Die Anzahl der Wörter soll reduziert werden, um die Lungen zu schonen. Danach konnten die Inselbewohner nur mehr über Dinge sprechen, die sie gerade dabei hatten. Und so musste man alles, worauf man verweisen wollte, in riesigen Rucksäcken mitschleppen. Die Sprache jedenfalls, wie wir sie heute verwenden, abseits der fiktiven Laputa-Inseln, verweist bei allem, worauf sie deutet, immer auch auf die soziale Ebene. Ihre soziale Funktion, sie blitzt fast immer durch. Auch wenn sich die Worte gerade mit anderen primären Aufgaben aufhalten, die ihr auch die Linguisten zugeschrieben haben. Den Appell etwa, also mithilfe der Sprache den anderen zu beeinflussen, etwas zu tun. Aber auch den Ausdruck von Emotionen, neben dem reichhaltigen Vokabular des Gesichtes natürlich, kann die Sprache übernehmen. Oder die Darstellungsfunktion, was laut Linguisten so viel bedeutet wie: die inneren und äußeren Wirklichkeiten zu repräsentieren. Noch ganz andere Aufgabenfelder kommen hinzu, auch ganz spezielle, wie etwa die poetische Funktion, aber das ist schon etwas für Liebhaber. Und durch fast alle Funktionen jedenfalls unterscheidet sich die Sprache von der Tierkommunikation. Nur die soziale Agenda, die übernehmen beide. Aber der Mensch kombiniert die Zeichen, die er sendet, auch gerne. Die evolutionär älteren aus Tagen, als er selbst noch hauptsächlich Tier war, mit jenen, die ihn schlussendlich vom Tier unterscheidet. Aus dem Mix wird so etwas, was Wissenschaftler „multimodale Kommunikation“ nennen. Dabei wird das, was akustisch übermittelt wird, auch visuell untermauert. Und was olfaktorisch angedeutet wird, haptisch mit Nachdruck versehen. Einfach damit der Informationsübertragung auch möglichst wenig im Weg steht. Der eine Kanal könnte ja zufällig auch mal verstopft sein. Dann kommt das Signal eben auf einem anderen an, Hauptsache, der soziale Zweck ist erfüllt. Dafür mischt man gerne auch Zusatzinfos, nonverbal vermittelt, in die Bedeutungsebene. Etwa, ob das Signal überhaupt wichtig ist für das, was da jetzt kommt. Oder ob der Sender auch verlässlich ist.

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