Kitabı oku: «Elduria - Die Entscheidung», sayfa 3
Erneute Planänderung
Runa hatte Danrya von der Befreiung Atropaias aus dem Kerker in Grimgard berichtet. Da sie die Elfe auch darüber informierte, dass Dragon versuchen will, die Drachen auf der Insel zu überzeugen, mit ihm nach Elduria zu kommen, änderte diese erneut ihren Plan. Ihr Vorhaben, die Kreaturen der Dracheninsel aufzusuchen, ist unter diesen Bedingungen nicht mehr erforderlich.
Sie versucht, Aidan zu überreden, sie zu den Nordelfen zu begleiten. Danrya weiß nicht, dass manche der dort lebenden Elfen ihren Verwandten aus den anderen Landesteilen viele ihrer eigenen, positiven Eigenschaften absprechen. Sie behaupten, sie könnten zwar zaubern, hätten sich jedoch in den vergangenen Jahrhunderten zu oft mit Menschen verbunden. Dadurch sind manche ihrer Nachkommen nicht mehr reinblütig. Und gerade das wird von diesen verbohrten Nordelfen als Makel angesehen. Sie betrachten die zu ihnen geflüchteten, letzten Westelfen als nicht ebenbürtig und verspotten sie bei vielen Gelegenheiten.
Dabei wollen sie lediglich davon ablenken, dass sie selbst kaum noch Magie beherrschen. Das ist auch der Grund, warum diese Elfen seit Jahren versuchen, sich aus Auseinandersetzungen mit Merion herauszuhalten. Die Verwandten der obersten Nordelfe und einige aus den Seitenlinien der Familie besitzen heutzutage die gleichen Zauberkräfte wie die wenigen Westelfen. Früher war das anders, doch als sie vor Jahren den Drachen magische Kräfte übertrugen, führte das nicht nur zu einer Wesensänderung mancher dieser Kreaturen. Gleichzeitig damit verloren viele der Nordelfen ihre Magie, die sie unbewusst an die Wesen der Lüfte weitergaben. Das Vermögen der betroffenen Elfen und ihrer Nachkommen, sich schneller als Menschen bewegen zu können, blieb davon unberührt. Deshalb sind diese ihnen gegenüber im Einzelkampf im Vorteil.
All das ist Danrya nicht bekannt. Sie weiß, dass es äußerst wichtig ist, die Elfen des Nordens auf ihre Seite zu ziehen. Das gelingt nur, wenn sie deren Anführerin Rubinia von der Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorgehens gegen Drakonia zu überzeugen vermag. Ihr war in Ochsenham zu Ohren gekommen, dass sich die Elfen der nördlichen Lande zuversichtlich zeigten, keinen Angriff Drakonias auf ihr Gebiet befürchten zu müssen. Die Auseinandersetzungen mit den Truppen Merions lagen schließlich etliche Jahre zurück. Die Nordelfen meinten, einen stillschweigenden Waffenstillstand geschlossen zu haben, obwohl die Delegation der Elfen ohne eine entsprechende, unterzeichnete Vereinbarung heimkehrte. Rubinia war damals noch eine junge Elfenprinzessin und führte die Unterhändler nach Merion. Dabei hat sie die Hinterlist von Drakonias Großmutter fast mit dem Leben bezahlen müssen. Trotzdem meint sie, die seitdem vergangenen Zeiten, in denen die Herrscher Merions nicht in den Norden drängten, scheint die Bestätigung für deren Friedenswunsch zu sein.
Um der Elfenführerin vor Augen zu führen, wie unnachgiebig und skrupellos Drakonia vorgeht, wenn sie in ihrem Machthunger Ziele erreichen will, wären die Aussagen von Aidan de Elduria wichtig. Seine Familie hat besonders hart unter der Fremdherrschaft gelitten. Er ist inzwischen der unumstrittene Führer der in dem Landesteil aufbegehrenden Menschen und würde Danryas Anliegen ein größeres Gewicht verleihen. Doch der junge Mann und mögliche Erbe der Königswürde ist überzeugt, dass er die Aufständischen sich noch nicht selbst überlassen darf. Aus vergangenen Umsturzversuchen ist ihm bewusst, dass er mit einem Einschreiten der Soldaten aus Merion rechnen muss. Er hat Spione dorthin geschickt und die besorgniserregende Nachricht bekommen, dass es erste Truppenbewegungen in der ehemaligen Grenzregion gibt.
»Gerade das ist ein wichtiger Grund, dass wir die Nordelfen auf unsere Seite ziehen. In der Vergangenheit scheiterten die Aufstände gegen Drakonia, wenn nicht durch Verrat, dann daran, dass die Menschen aus Elduria auf sich allein gestellt waren. Sie waren einfach zu wenige und ihr Vorhaben dadurch zum Scheitern verurteilt. Die Menge der uns auch dieses Mal feindlich gegenüberstehenden Soldaten übertrifft die Anzahl unserer Kämpfer um ein Vielfaches!«
»Dann solltest du zu den Elfen im Norden eilen und sie überzeugen, dass jetzt der vermutlich einzige Zeitpunkt ist, zu dem das Joch dieser bösen Königin ein für alle Mal von uns abgeworfen werden kann. Aber ich muss bei meinen Männern bleiben. Sie mögen mutig sein und nicht vor einem ersten Angriff zurückweichen, doch ohne Führer werden sie dem Druck der feindlichen Kämpfer auf Dauer erliegen.«
Danrya nickt langsam. Was Aidan sagt, stimmt. Deshalb lenkt sie schließlich ein.
»Na gut. Ich wünsche dir viel Erfolg bei dieser schweren Aufgabe. Möglicherweise bekommst du schon bald Drachenunterstützung.« Sie berichtet von Dragons Vorhaben. »Doch es ist nicht gesagt, dass sich die Kreaturen der Luft schnell überzeugen lassen. Wir meinen, dass die Zeit gekommen ist, in der sie ihr Versprechen einlösen. Wir sollten dabei aber nicht vergessen, dass Drachen nach anderen Maßstäben leben und handeln. Sie werden erheblich älter als wir Elfen, da sind unerwartete Ergebnisse durchaus denkbar. – Nun denn. Wenn Dragon es nicht schafft, könnte ich sie erst recht nicht überzeugen! – Ich mache mich auf dem Weg in den Norden. Wäre da ein kurzer Abstecher bei Atropaia sinnvoll, da ihr Heim sozusagen auf dem Weg liegt? – Nein, besser nicht. Es ist größte Eile geboten, und die alte Freundin kann ich auch später noch sehen. Vielleicht sogar an meiner Seite, vereint im Kampf gegen das Böse. So wie vor vielen Jahren!«
Sie umarmt Aidan und ist sofort darauf verschwunden.
Eine der in den Norden geflüchteten Westelfen heißt Snow. Wegen ihrer hellen Haare wird sie manchmal Snow-white gerufen. Sie lebt inzwischen seit zwei Jahrzehnten im nördlichen Elfenwald, wo sie im Schloss der Elfenkönigin als Küchenhilfe arbeitet. Da sie wie alle Elfen zaubern kann, ist das nicht mit körperlicher Arbeit verbunden. Es ist viel wichtiger, die Zaubersprüche richtig anzuwenden.
Gerade heute ist ihr wieder ein Zauber misslungen. Sie steht mit gerunzelter Stirn vor den angebrannten Schmorkartoffeln und geht noch einmal die genutzten Sprüche durch. Herbeizaubern und schälen der Kartoffeln waren einfach, genauso wie das in dünne Scheiben schneiden und abtrocknen. In die riesige, eiserne Pfanne hatte sie großzügig Schmalz gegeben und unzählige Schinkenwürfel auf der Feuerstelle angebraten. Sobald die Kartoffelscheiben mit lautem Zischen in der Bratpfanne lagen, hatte sie mehrere in kleine Würfel geteilte Zwiebeln daruntergemischt, noch Pfeffer und Salz dazugegeben und auch einen Deckel darübergestülpt. Sie hatte das Feuer etwas reduziert, etwa auf halbe Stärke. Das war doch alles in Ordnung und sollte zu dem gewünschten Ergebnis führen!
Voller Vorfreude auf ihr erstes, eigenständig erstelltes Gericht, hatte sie dem zunehmenden Brutzeln gelauscht. Sie freute sich bereits auf ein Lob der vielen Elfen, da das Essen die gesamten Bewohner der Elfenfestung sättigen sollte. Als sie die Abdeckung von der über zwei Meter im Radius messenden, großen Pfanne nimmt, um die Scheiben zu wenden, riecht es nicht wie erwartet. Die Schmorkartoffeln wirken auf der Oberseite immer noch weißlich gelb. Woher kommt dann der verbrannte Geruch? Snow wendet die Kartoffeln und blickt erstaunt auf die verkohlten Unterseiten. Wie ist das möglich?
»Du hättest die Kartoffelscheiben in kurzen Abständen mehrfach wenden und auch hin und wieder etwas Schmalz hinzugeben müssen!«, klärt die gutmütig lächelnde Köchin sie auf.
»Aber, das wollte ich doch. Alle dreißig Minuten schien mir dafür angebracht. Die Zeitangabe hatte ich einmal von dir aufgeschnappt.« Snow schaut die Meisterin der Kochkunst verdattert an.
»Das ist die Gesamtdauer fürs Schmoren. Das zwischendurch notwendige Wenden der Kartoffeln muss in kürzeren Zeitabständen erfolgen!«
Mit einer Handbewegung und leise gemurmelten Worten korrigiert die Köchin, was der jungen Elfe misslungen ist. Sofort riecht es nicht mehr angebrannt, sondern würzig nach Schmorkartoffeln. Die ältere und rundliche Person nimmt mit einem Holzlöffel eine Probe. Sie nickt zufrieden in Richtung ihrer Helferin.
»Geschmacklich ist das Essen gelungen. Die erforderlichen Zutaten sind dir demnach bestens bekannt. Wenn du mich das nächste Mal vor der Zubereitung einer Speise nach den notwendigen Zeiten fragst, wirst du mir bald ebenbürtig sein.«
Snow nickt und nimmt sich genau das vor. Jetzt widmet sie sich der Beilage, die aus einem bunten Salat besteht. Dann gibt sie in eine zweite Pfanne Schmalz. Innerhalb weniger Momente ist es geschmolzen und erreicht schnell die notwendige Temperatur. Sie legt vorsichtig in Ei und Mehl gewälzte Fischfilets hinein. Sie achtet diesmal darauf, dass sie nicht anbrennen. Sie wendet sie, sobald ihrer Meinung nach der richtige Zeitpunkt gekommen ist, und lässt die andere Seite braun braten. Sie ist zuversichtlich, jetzt nicht versagt zu haben. Sie stellt die Pfanne zum Warmhalten neben die erste und blickt die Küchenmeisterin an.
»War das gut so?«
»Das hast du auf den Punkt getroffen. Es wird nicht mehr lange dauern, dann kannst du mich vertreten.«
Snow strahlt über das erhaltene Lob. Sie gibt das Signal, dass das Essen bereitsteht. Kurz darauf strömen alle Bewohner in den Speisesaal, wo Köchin und Küchenhilfe die Speisen gemeinsam verteilen. Die zufriedenen Mienen bilden unausgesprochen das von der Elfe erhoffte Lob. Einige preisen sogar mit Worten das zwar einfache, aber äußerst leckere Gericht.
Abends sinkt Snow völlig erschöpft ins Bett. Sie überlegt, warum ihr immer wieder Fehler, wie die verkohlten Schmorkartoffeln, passieren. Wurde sie irgendwann mit einem Fluch belegt? Sie erinnert sich szenenhaft an unerklärliche Ereignisse, sollten die die Ursache sein? Sie lebte in einem Gebiet im mittleren Elduria, das abgelegen von größeren Städten liegt. Deshalb wunderte sie sich, als die Truppen der Königin Drakonia auch in ihren kleinen Ort einfielen, als die Schlacht gegen den König längst gewonnen war. Wetterham ist der Name der Ansiedlung, die nordwestlich des Elfenwaldes, etwa auf halbem Weg vom Waldrand bis zur Westküste liegt. Früher wohnten hier Elfen und Menschen friedlich zusammen.
Das änderte sich, sobald brandschatzende und plündernde Kämpfer der Königin Merions auftauchten. Sollten Zauberer die Bewaffneten begleitet haben, hätten sie dann dunkle Flüche auf die dort lebenden Westelfen geschleudert? Das wäre durchaus erforderlich gewesen, da sich die Elfen den Männern entgegenstellten. Dabei konnte sie einen fehlgeleiteten Zauberspruch zumindest teilweise abbekommen haben, ist Snow überzeugt.
Drakonia rechnete zudem offenbar mit Problemen, die sie mit den magisch begabten Wesen bekommen könnte. Was diese dann auch durch ihre Gegenaktionen ungewollt bestätigten. Dabei versuchten sie lediglich, sich und die Menschen ihrer Nachbarschaft vor Schaden zu schützen. Trotzdem war es aus Sicht der Herrscherin logisch, dass sie diese Wesen durch ihre Zauberer ausschalten ließ.
Snow, die damals keine zehn Jahre alt war, bewegte sich auf Anraten anderer Elfen möglichst so langsam wie Menschen, um nicht aufzufallen. Obwohl sie noch sehr jung und in Magie wenig erfahren war, versuchte sie manches Mal, denen zu helfen, die von den wie losgelassene Teufel wütenden Soldaten gepeinigt wurden. Sie wollte mit magischen Sprüchen diesem Rauben und Morden Einhalt gebieten, wurde jedoch von zwei älteren Elfen daran gehindert. Die führten die Jüngere in die Freiheit zu den Nordelfen. Mit viel Glück gelang es ihnen, sich durch die Reihen der Gegner zu stehlen. Doch seitdem schämt sich Snow, dass sie sich ihren Rettern nicht widersetzt hatte. Sie hätte Widerstand leisten und den Bewohnern Wetterhams, zumindest aber ihren näheren Nachbarn, zu helfen versuchen müssen.
»Dann wärst du längst tot!«, hatten die älteren Elfen ihr ein ums andere Mal auf die Selbstvorwürfe geantwortet.
Trotzdem nagt der Zweifel in manchen Nächten an ihr, ob das damals klug oder nur feige gewesen war. Seit den ersten Tagen in der Geborgenheit und Sicherheit des nördlichen Elfenwaldes, hat sie sich vorgenommen, sich nicht erneut vor einer Gefahr zu verbergen. Bei der nächsten Auseinandersetzung, die gegen die Soldaten Drakonias geführt wird, will sie nicht nochmals fliehen, sondern mit allen Mitteln dem Bösen die Stirn bieten.
Eine Wiederholung?
Runa forscht nach der Ursache, warum ihre Amme immer noch so schnell ermattet. Sie hat bereits mehrfach Lebensenergie übertragen und auch die neu erlernten Sprüche gegen dunkle Zauber anzuwenden versucht. Doch alles scheint erfolglos zu bleiben. Das Mädchen vermutet deshalb schon, seine Zauberkräfte verloren zu haben. Vielleicht als Spätfolge des magischen Sprungs? Wie sollte sie es sonst erklären, in dieser wichtigen Angelegenheit so wenig erfolgreich zu sein?
Zur Probe nutzt Runa kleinere Sprüche. Sie entzündet das Feuer im Kamin und bereitet das Frühstück mit Magie. Das klappt jedoch genauso ohne Probleme, wie die Änderung ihrer Gestalt. Deshalb muss etwas anderes die Ursache sein, aber was?
Voller Verzweiflung nimmt Runa an einem Nachmittag Kontakt zu Danrya auf. Atropaia ist in dem Sessel eingeschlafen, den ihre Freundin aus dem Haus in Ochsenham hierhergeholt hatte. Er ist inzwischen zu ihrem Lieblingsplatz geworden, auf dem sie sich immer öfter in eine dicke Decke einmummelt und meistens schnell einschlummert. Das Mädchen hofft, von der Westelfe einen Rat zu bekommen. Doch ihre erste Antwort lautet, dass sie aus der Ferne weder den Zustand, noch die möglichen Gegenmaßnahmen beurteilen kann. Sie hat jedoch eine Idee.
»Bist du sicher, dass Atropaia keinen Silberschmuck trägt, möglicherweise eine Halskette, Ringe oder Spangen? Für derart vergesslich halte ich sie zwar nicht, aber nach der langen Gefangenschaft könnte sie alten Familienschmuck angelegt haben. Der würde deinen Zauber zumindest abschwächen. Also nicht. Hm. Darauf hätte ich jetzt getippt. – Wie schlimm ist ihr Zustand? Hast du das Gefühl, dass ich nach ihr sehen sollte?«
»Du bist doch in Elduria, um den Aufstand gegen Drakonia zu organisieren. Wäre das eine große Störung? – Mir ist es ehrlich gesagt lieber, du könntest hierherkommen. Wenn ich Paia morgens Lebensenergie spende, ist die oft schon am Mittag aufgebraucht. Den Nachmittag verschläft sie und mag kaum den Sessel verlassen, um nach oben ins Bett zu gehen. Allmählich fühle ich mich von den ständigen Übertragungen völlig ausgelaugt.«
»Das ist als Folge durchaus möglich, meine Liebe. Ich bin zwar inzwischen auf dem Weg zu den Nordelfen, werde die Reise jedoch unterbrechen. Der Versuch, die Elfen auf die Seite der Aufständischen in Elduria zu ziehen, kann eine Verzögerung vertragen. Die Hilfe für Atropaia aber nicht, so scheint mir. Hm. Ich kann trotzdem erst in einigen Stunden bei euch sein. Einverstanden?«
»Danke! Ich weiß mir keinen Rat mehr und bin dir unendlich dankbar.«
»Dann bis später!«
Runa atmet erleichtert auf. Sie wirft einen prüfenden Blick auf ihre Amme. Woran mag es nur liegen, dass die Zauber lediglich kurz wirken? Sie hatte bereits in Grimgards Kerker Lebensenergie an Atropaia übertragen. Dass die Westelfe dabei noch silberne Spangen um Hand- und Fußgelenke trug, war die Erklärung, weshalb nur wenig der Energie wirken konnte. Dass das überhaupt gelang, lag daran, dass Runa ihr gleichzeitig die Hände auf den Kopf legte. Das vermutet sie jedenfalls. Doch die Klammern sind längst entfernt worden, noch bevor sie in das Haus im Elfenwald heimkehrten.
Ob sie einen Versuch machen sollte, in Atropaias Gedanken nach einem dort lauernden Schatten zu suchen? Obwohl sie mit Dragon diese Möglichkeit in Betracht gezogen hatte, achtete sie bei der vergangenen Gedankenverbindung zur Amme nicht auf entsprechende Hinweise. Sie wurde dabei zu sehr von ihrem Wunsch abgelenkt, die Sequenzen mit ihren Eltern, vor allem aber die mit Raika, sehen zu wollen. Da die Bilder mit den letzten Lebensminuten ihrer Mutter endeten, war sie anschließend derart traurig gewesen, dass sie nicht mehr an die Suche nach versteckten dunklen Flüchen gedacht hatte. Doch jetzt drängt der Gedanke daran immer mächtiger in ihr Bewusstsein.
Sie schaut grübelnd zu ihrer Amme hinüber. Die Hände Atropaias liegen auf ihrem Schoß. Ein Blick auf eines der Handgelenke offenbart eine dunkle Spur, die darum herum verläuft. Sofort wandern ihre Augen zum anderen hinüber. Auch dort bemerkt sie diesen Schatten. Sie befinden sich an den Stellen, wo die silbernen Klammern saßen. Das wirkt auf das Mädchen so, als ob diese Bereiche im Nachhinein auf die lange Zeit der Gefangenschaft hinweisen wollten.
Ein plötzlicher Gedanke lässt Runa hochschrecken. Was ist, wenn das keine Sinnestäuschung, sondern ein feiner Abrieb von Silber ist. Könnte der womöglich in die Haut eingedrungen sein? Ist das nach so langen Jahren im Kerker auszuschließen? Es könnten andererseits auch Blutergüsse sein, da die Klammern recht eng um die Gelenke befestigt waren, oder auch schlecht verheilte Schürfwunden. Aber was davon ist wahrscheinlich?
Atropaia hatte seit ihrer Rückkehr mehr als einmal ein Bad genommen, ganz zu schweigen vom üblichen Händewaschen. Würden sich Silberpartikel derart fest auf der Haut halten? Das würde dann für eine der letzteren Möglichkeiten sprechen, obwohl das Mädchen diese Begründungen nicht akzeptieren will. Es schüttelt den Kopf, tritt zur Amme und betrachtet die leicht geschwärzten Stellen genauer. Sie wirken fast so, als ob sich dort Tätowierungen befinden würden. Es scheinen eher die oberen Hautschichten als die tieferen betroffen zu sein. Das spricht für die Theorie über Silberabrieb.
Runa nimmt sofort Kontakt zu Danrya auf und fragt, ob das möglich sein könnte.
»Ich weiß, dass Silber oxidiert und dabei schwarz wird«, antwortet diese. »Schwefel aus der Luft verbindet sich mit dem Metall. Der direkte Hautkontakt kann das Anlaufen sogar noch intensivieren. Ein Abrieb der dunklen Verfärbungen kann in den Poren der Haut festgehalten werden und die Stellen jeweils dunkel verändern. Da Atropaia die silbernen Klammern über Jahre tragen musste, ist das die logische Erklärung für die noch sichtbaren Schatten.«
»Dann sind sie auch die Ursache, weshalb die Übertragung meiner Lebensenergie nicht gut funktioniert?«
»Das wäre möglich. Wenn Silber magische Kräfte unterbindet, könnte Silberoxid das in abgeschwächter Form ebenso.«
»In den Gängen unter der Festung roch es, verursacht durch den Feueratem Befires, stark schwefelig. Sollte das für das Anlaufen der Klammern verantwortlich sein?«
»Zum Teil kann das stimmen, obwohl auch die reine Luft während sieben Jahren vermutlich ausreichen würde.«
»Was kann ich machen, um die Partikel zu entfernen. Wasser und Seife genügen offensichtlich nicht. Ich denke, Paia wird das bereits durch kräftiges Reiben mit einer Bürste versucht haben. Kennst du einen geeigneten Zauberspruch?«
Doch die Frage bleibt unbeantwortet. Muss die Elfe erst nachdenken? Als sie nach mehreren Minuten immer noch nicht antwortet, macht sich Runa Sorgen um die Westelfe.
»Danrya, geht es dir gut? Befindest du dich womöglich in Gefahr?« Aber sie reagiert nicht. Das Mädchen springt auf und läuft unruhig aus dem Haus. Sie weiß, dass sie hier genauso wenig ausrichten kann, sollte Danrya in Schwierigkeiten stecken. Trotzdem verspürt sie den Drang, sich zu bewegen. Die Elfe sagte doch, in einigen Stunden hier zu sein. Wie lange ist das her? Warum hatte sie nicht direkt zum Haus kommen können? Mit Hilfe des magischen Sprungs sind Ortswechsel über größere Distanzen ausführbar. Ist das von Elduria aus nicht möglich?
»Aber sie ist doch inzwischen nicht mehr dort«, korrigiert sich Runa. »Hm. Sie wollte zu den Nordelfen, sollte es bei ihnen ähnlich geschützte Gebiete wie die Triqueta in Merion geben? Das wäre durchaus sinnvoll, da die Elfen mit Angriffen gegnerischer Zauberer rechnen müssen. Und bis direkt in diesen Elfenwald kann sie mittels Magie auch nicht kommen. Deshalb musste ich Dragon hineinziehen und die Rückreise mit Atropaia am Waldrand unterbrechen. Nach wenigen Schritten hinein, ging es dann aber mit dem magischen Sprung direkt bis zur Lichtung mit dem Haus.«
Völlig unerwartet schießt ein fürchterlicher Gedanke durch ihren Kopf.
»Was ist, wenn Danrya Creulon begegnet? Er ist sicher auf der Suche nach uns. Kann sie in eine von ihm gestellte Falle gelaufen sein?«
»So leicht bin ich nicht zu übertölpeln«, meldet sich die Elfe wieder. »Du hast mit deiner Überlegung nicht so unrecht. Dieser dunkle Magier hat zusätzlich zu unserem Schutz seinen eigenen Zauberring um den Elfenwald gezogen. Der stoppte mich an dessen Rand. Ich wurde sogar um viele Meter zurückgeschleudert. Letzteres war eine Folge von meinen Schutzzaubern, die zusammen mit Creulons Ring bewirkten, dass ich durch die Luft katapultiert wurde. Das war auch der Grund, warum ich deine Frage nicht beantwortete. Ich fing den Sturz ab und versteckte mich als Rotkehlchen in einem Gebüsch. Die Situation erforderte einige Zeit lang meine volle Konzentration, da der Aufprall einen weithin hörbaren Alarm verursachte. Kurz nach der Gestaltänderung tauchte dieser böse Zauberer zusammen mit einer Handvoll finster aussehender Bewaffneter auf. Sie suchten die Umgebung ab, konnten mich jedoch nicht finden. – Es sieht so aus, dass mein Eindringen in den Wald derzeit unmöglich ist.«
»Creulon vermutet offenbar, dass Atropaia und ich noch nicht hier sind. Er will unsere Rückkehr auf magische Weise verhindern. Ob er trotzdem auch Reiter zur Durchsuchung in den Wald …«
Runa unterbricht unwillkürlich ihre Gedanken. Sie ist inzwischen wieder in der Wohnstube und blickt hinüber zu ihrer Amme, die schlafend in ihrem Sessel sitzt. Doch jetzt verwischen sich die Bilder. Sie steht direkt vor Atropaia, wobei sie offenbar einen Zauberspruch murmelnd auf deren Handgelenke deutet. »Renovo!« Gleich darauf bückt sie sich und nutzt erneut diesen Spruch und zeigt dabei auf die Fußgelenke. Während sie sich noch aufrichtet, dringt näherkommender Hufschlag ins Innere. Da der Waldboden derartige Geräusche dämpft, müssen die Reiter bereits dicht bei dem Häuschen sein. Die Tür birst sofort darauf mit einem blendend hellen Blitz und lautem Getöse. Grimmig blickende Männer drängen in die Wohnstube, dann verwischen die Bilder.
Runa schüttelt sich. War das eine Erinnerung an den Tag, als die Amme von Owain verschleppt worden ist? Aber wodurch wurde sie ausgelöst? Damals saß sie anders als jetzt auf dem Sofa. Deshalb weiß sie, dass das kein Rückblick, sondern ein kurzer Blick in die Zukunft gewesen sein muss.
Dann sieht sie doch noch einen kleinen Moment die Bilder von vor sieben Jahren. Sie bemerkt die langen Messer und die gespannten Bogen in den Händen der Eindringlinge, bevor auch diese Sequenz verwischt. Die Umgebung ist jetzt so, wie sie wirklich ist.
»Was bedeutet das?«, dringt Danryas Stimme in ihr Bewusstsein. Sie hat offenbar zum Teil mitbekommen, was Runa durchlebt hat.
Die berichtet hastig, dass erneut jemand hier ins Haus eindringen wird, um dieses Mal nicht nur Atropaia, sondern auch sie zu entführen. Sie könnten jedoch genauso gut getötet werden, wird ihr bewusst. Trotzdem richten sich ihre Gedanken auf das Problem, weshalb sie Kontakt zu Danrya aufgenommen hatte.
»Wird der Renovo-Spruch den Abrieb der schwarz angelaufenen Silberklammern entfernen?«
»Offenbar versuchst du das gleich. Obwohl ich dir vorschlagen wollte, die Partikel mit dem Evoco-Zauber herauszuholen.«
»Dann hältst du die Anwendung des Spruchs in diesem Fall nicht für komplett idiotisch? Ich hätte eher gemeint, dass sich der Zauberspruch hauptsächlich auf Dinge, also auf Sachen bezieht. – Soll ich das probieren oder besser die Zeit nutzen, um mit Paia von hier zu verschwinden?«
»Du hast offenbar noch wenige Augenblicke, wenn das soeben ein Blick in die Zukunft gewesen ist. Trotzdem solltest du dich beeilen.«
»Kann ich überhaupt mittels magischem Sprung von hier flüchten? Du sagtest doch, Creulon habe eine Art Ring um den Wald gewoben.«
»Nutze den Spruch, um an den inneren Waldrand zu kommen. Nimm am besten die Stelle, an der du zusammen mit Dragon eingedrungen bist. Dadurch läufst du nicht Gefahr, wie ich zurückgeworfen zu werden. Du bewegst dich dann mit Atropaia um einige Schritte nach außerhalb und nutzt erst danach den magischen Sprung, um in mein Haus in Ochsenham zu fliehen. Ich erwarte euch dort.«
»Einverstanden!«
Runa meint bereits, fernen Hufschlag hören zu können. Sie hastet mit der Schnelligkeit einer Elfe zu Atropaia und spricht den Renovo-Zauber, um die geschwärzten Stellen an Hand- und Fußgelenken zu entfernen. Sie staunt, weil das tatsächlich gelingt. Offenbar hat der Spruch die Haut erneuert.
Das Trommeln vieler Hufe auf dem Waldboden dringt ins Innere. Das Mädchen webt schnell einen magischen Schutz aus Protego und Sgiath um sich und ihre Amme. Die Tür birst unterdessen mit einem blendend hellen Blitz und lautem Getöse. Das Eindringen grimmig blickender Männer in die Wohnstube bekommt sie schon nicht mehr mit. Sie befindet sich im gleichen Augenblick an der Stelle innerhalb des Elfenwaldes, wo Dragon und sie, vor dem Nebel fliehend, mit Mühe hineingelangten. Außerhalb des Waldes zucken Blitze wild über den Himmel und dicke Regentropfen scheinen waagerecht auf die Flüchtenden zuzustürmen. Sie fallen jedoch am Waldrand zu Boden und bilden dort kleine Bachläufe. Sollte das Unwetter durch einen weiteren Zauber Creulons verursacht werden?
Atropaia, die ihre Augen kaum offenzuhalten vermag, will sich ermattet auf den Waldboden setzen. Sie versteht nicht, warum Runa das zu verhindern sucht. Die überlegt, ihr noch einmal Lebensenergie zu übertragen, doch das unterlässt sie vorsichtshalber. Sie befürchtet, ihre ganze Kraft zu benötigen, um Danryas Haus zu erreichen. Sie bückt sich und legt sich die Arme Atropaias um den Hals, wobei sie deren Körper auf ihrem Rücken balanciert. Sie beginnt, sich mit Mühe aufzurichten. Sobald beide stehen, beißt Runa die Zähne zusammen und versucht, sich dem nur einen Schritt entfernten Waldrand zu nähern. Das gelingt nur äußerst langsam, da die Amme wie ein schweres Gewicht auf ihren Schultern liegt.
Sobald sie sich genau auf der Grenze nach draußen befinden, hallt ein schriller Schrei durch die Luft. Der dichte Regen trifft sie und wirkt wie ein Wasserfall, nur dass er nicht von oben herabfällt. Die Elfe und das Mädchen sind sofort klatschnass. Atropaia reißt erschrocken die Augen auf und schnappt unwillkürlich nach Luft. Sie weiß nicht, was geschieht und klammert sich zitternd an Runa. Die zuckt fast gleichzeitig zurück, weil bernsteinfarbene Augen sie aus dem feuchten Nass heraus anstarren. Sie stützt die Amme immer noch und zieht sie weiter. Das kalt blickende Augenpaar kommt näher. Es blickt so wütend, wie der Sturm inzwischen tobt. Der starke Wind versucht, sie zurückzudrängen.
»Das kann nicht Dragon sein«, durchfährt das Mädchen ein warnender Gedanke. »Seine Pupillen lassen ein dahinterliegendes Feuer erahnen. Das hier ist …«
»Das ist die Spiegelung eines grauen Wolfes!«, warnt Danrya über Gedankenverbindung. »Creulon setzt sie gerne als Späher ein. Er will euch daran hindern, den Ring um den Elfenwald zu durchbrechen. Gleiches soll der entfesselte Wind bewirken. Der dunkle Magier steht in Verbindung mit dem Tier und nutzt hin und wieder dessen Augen. Sobald er dich sieht, wird er herbeieilen! Du musst aus dem Bereich des Zauberrings herauskommen, erst dann gelingt der Ortswechsel mit Zauberkraft.«
Das ist leichter gesagt, als getan. Der Untergrund außerhalb des Waldes ist von den Wassermassen derart aufgeweicht, dass er rutschig wie Schneematsch ist. Einen Fuß vor und einen halben zurück, ist mehr, als das Mädchen mit jedem Versuch an Abstand zum Waldrand gewinnt. Soll Runa jetzt den magischen Sprung nutzen? Sie atmet heftig und ihr Herz klopft zum Zerspringen.
»Portaro«, versucht sie, doch der Regen klatscht weiter in ihr Gesicht. Von hinten, also aus der Tiefe des Waldes, dringen näherkommende Huftritte. Werden dort die Bewaffneten erscheinen, die soeben die Tür aus ihren Angeln gesprengt haben? Runa rutscht aus, fällt erst auf beide Knie und dann flach auf den Bauch. Das Gewicht ihrer Amme drückt sie unbarmherzig nieder. Werden die Häscher sie jetzt doch bekommen? Das Trommeln der Pferdehufe ist bereits nahe und ein echter Wolf, nein, ein kleines Rudel, steht drohend nur wenige Schritte vor ihr im Dauerregen. Im Fallen lässt sie unbewusst die Arme Atropaias los. Die gleitet vom Rücken des Mädchens und auf die grauen Räuber zu. Die weichen etwas zurück und ducken sich, bevor sie ihre Mäuler öffnen. Das wirkt so, als würden sie lachen. Ihr Hecheln ist trotz des strömenden Regens zu hören. Runa meint sogar, ihren Atem als feinen Nebel vor den Schnauzen zu erkennen. Sie rollt sich entschlossen auf die Raubtiere zu. Der Leitwolf legt die Ohren an, hebt die Lefzen und knurrt drohend. Sie überlegt im Rollen, einen Zauber auf die Tiere zu schleudern. Der vorderste Wolf duckt sich und setzt zum Sprung an. Da stößt die bereits erhobene Hand des Mädchens gegen den Körper der Amme. Es greift nach dem Arm der Elfe und ruft fordernd: »PORTARO!«