Kitabı oku: «Festspiel Kurier #14»

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EDITORIAL

Liebe Leser,

das Heft, das Sie in der Hand halten, ist eine Premiere: Zum ersten Mal bringt der „Nordbayerische Kurier“ ein eigenes Magazin zu den Bayreuther Festspielen heraus. Die Legende, dass über keinen anderen Komponisten so viel publiziert wird wie über Richard Wagner, stimmt zwar nach wie vor – zumal nach der Bücherflut des Wagner-Jahrs 2013. Ein unabhängiges Magazin über die Bayreuther Festspiele aber, das inhaltlich fundierte Aufsätze und Analysen und Interviews bündelt mit opulenten, exklusiven Bilderstrecken: Das gab’s in dieser Form noch nie.

Und wir finden: Dieser Moment ist dafür genau der richtige. In einem Jahr, in dem es auf der Bühne des Festspielhauses sieben Premieren, aber keine Neuproduktion gibt. In einem Jahr, in dem Festspielleiterin Katharina Wagner ihre Intendanz bis 2020 verlängern wird, mit Christian Thielemann als Berater.

Im zweiten Jahr des Castorf-„Rings“, ein Jahr vor Katharina Wagners Inszenierung von „Tristan und Isolde“ mit Thielemann am Pult. Zwei Jahre vor Jonathan Meeses „Parsifal“-Deutung, dirigiert von Andris Nelsons. Es ist der richtige Moment, um ein paar grundsätzlichen Fragen Platz einzuräumen. Als Bayreuther Tageszeitung haben wir im vergangenen Jahr ausführlich über die Hintergründe der Festspiele berichtet (und dafür, worauf wir durchaus ein bisschen stolz sind, den Deutschen Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung bekommen). Sie können unter www.nordbayerischer-kurier.de/bayreuther-festspiele all diese Beiträge nachlesen.

Jetzt ist es Zeit für eine inhaltliche Debatte. Für Grundsatzfragen, die über den Tag hinaus wichtig sind, und für die es keine schnellen Antworten geben kann. Zum Beispiel die Frage nach der Zukunft des Grünen Hügels. Sicher haben Sie sich das auch schon gefragt: Was ist das Besondere an den Bayreuther Festspielen? In der Redaktion diskutieren wir immer wieder darüber. Ist es die Art und Weise, wie das Festspielhaus Sänger und Orchester klingen lässt? Der Umstand, dass in diesem unter Richard Wagners Regie gebauten Theater auch 131 Jahre nach dessen Tod immer noch seine Werke aufgeführt werden, ein Kanon aus zehn Opern, während fünf Wochen im Sommer? Liegt es daran, dass hier so viele bedeutende Sänger, Regisseure und Dirigenten gearbeitet haben? Oder liegt es daran, dass auch heute noch ein geborener Wagner (aktuell sind es sogar zwei) das Festival leitet? Oder daran, dass alle Vorstellungen – immer noch – ausverkauft sind?

Das alles gehört dazu, zweifellos. Aber entscheidend ist etwas anderes. Die Bayreuther Festspiele leben von ihrer Geschichte. Und von den unzählbaren, Legende gewordenen Momenten: wie sich Frank Castorf nach der „Götterdämmerung“ 2013 zehn Minuten lang in den Trillerpfeifen-Sturm stellte, wie Christoph Schlingensief für seine Videoprojektionen im „Parsifal“ kämpfte, wie Patrice Chéreau 1976 als Siegfried für den gipsbeintragenden René Kollo einspringen musste. Noch viel mehr aber leben die Bayreuther Festspiele von ihrer Zukunft. Sobald das, was auf dem Grünen Hügel passiert, künstlerisch nicht mehr vielversprechend erscheint, sind sie substanziell bedroht, egal wie solide da noch musiziert und inszeniert wird. Bayreuth muss besonders sein, sonst verliert es alles, was es hat: seinen Namen, der für mehr steht als für die Stadt. (Wie groß diese Gefahr ist – darüber gehen die Meinungen auseinander. Manche sagen, das kann nicht passieren, andere finden, es ist längst zu spät.)

Wir fragen in diesem Magazin nach dieser Zukunft, im Grunde auf jeder Seite. Manchmal zwischen den Zeilen, manchmal schon in der Überschrift.

Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Lesen!

Ihr Florian Zinnecker


Florian Zinnecker ist Kulturchef

des „Nordbayerischen Kuriers“ in Bayreuth

Foto: Eric Waha

IMPRESSUM

Herausgeber: Nordbayerischer Kurier GmbH & Co. Zeitungsverlag KG, Theodor-Schmidt-Straße 17, 95448 Bayreuth V.i.S.d.P.: Joachim Braun

Konzeption & Produktion: Florian Zinnecker (Redaktion), Matthias Schäfer (Gestaltung)

Autoren: Monika Beer, Dr. Bernd Buchner, Anke Gröner, Dr. Eva Kröner, Marieluise Müller, Nora Niethammer, Dr. Frank Piontek, Dr. Jörg Riedlbauer, Elfi Vomberg

Mitarbeit: Andreas Dittmann, Dieter Schnabel, Dorothea Wagner Illustrationen: Susanne Seilkopf

Titelfoto: Tobias Köpplinger

Verantwortlich für Anzeigen: Alexander Süß

ISBN: 978-3-7375-0352-5


Foto: Tobias Köpplinger

FESTSPIELKURIER #14


Mein Fahrrad heißt Grane

„So was habe ich noch nie gehört, und ich frage mich, warum zum Teufel nicht?“ Richard Wagner gehört zu den bedeutendsten Opernkomponisten überhaupt – aber was passiert, wenn man heute seinen Werken begegnet und beschließt, sie nicht mehr gehen zu lassen? Über ein Leben mit Wagner

Sie reisen nicht, sie pilgern

Das Festspielhaus, die Weihestätte. Wagner, der Meister. Solche Stereotype tauchen häufig auf, wenn es um die Anhänger von Wagners Werken – die sogenannten Wagnerianer – geht. Aber was ist eigentlich ein Wagnerianer? Eine Studie geht dieser Frage jetzt nach – und klärt dabei, warum die meisten Wagnerianer sich selbst nie so nennen würden

Geistige Granaten

Als der Erste Weltkrieg begann, hieß es auf dem Grünen Hügel zunächst: „Wir spielen weiter.“ Einer der wichtigsten Kriegs-Propagandisten war der Ideologe Houston Stewart Chamberlain – ein Wagnerianer, der bald von Bayreuth aus agierte. Über Chamberlain und den Beitrag des Hauses Wahnfried zum Ersten Weltkrieg

„Als in Bayreuth ein Theaterwunder passierte“

Marieluise Müller beobachtete die Festspiele 28 Jahre lang als Redakteurin der „Festspielnachrichten“, Monika Beer als Opernkritikerin. Jetzt sprechen sie erstmals nicht mit Interviewpartnern, sondern miteinander über Bayreuth. Ein Rückblick auf zwei (Berufs-)Leben

„Ich kenne keinen Regisseur, der zukunftsweisend wäre“

Das Zeitgemäße ist das, was am schnellsten veraltet, sagt der Wagnerforscher Dieter Borchmeyer. Den Aktualisierungsdrang vieler Opernregisseure hält er für einen Fehler mit fatalen Folgen: „Das Musiktheater steckt in einer chaotischen Verwirrung der ästhetischen Maßstäbe.“

Heimlich, still und leise

Der spannendste Tag auf dem Grünen Hügel ist nicht der Premierentag am 25. Juli. Sondern der Tag, an dem schon alles vorbereitet und zugleich noch alles möglich ist; wenn alles parat liegt, aber noch keiner da ist: der Tag vor Probenbeginn. Eine Fotoreportage

Zurück in die Zukunft

Wie kann der Grüne Hügel zukunftsfest werden? Wie steht es um den Festspielgedanken? Schon vor ihrer Premiere im Jahr 1876 waren die Bayreuther Festspiele fortwährendem Wandel unterworfen – umso schwieriger ist es heute, ihnen den Weg in die Zukunft zu weisen

Gegen den Kulturzynismus

Was ist uns die Musik noch wert? Klassische Musik ist nur noch in Nischen zu finden, sie gilt als nicht mehrheitsfähig, sagt der Kulturjournalist Alexander Dick – und plädiert dafür, dem Sog des Mainstreams zu widerstehen

„Wenn alles so bleiben soll, wie es ist, muss sich alles ändern“

Richard-Wagner-Verbände bieten die Chance, sich intensiv mit Wagners Werk und Widersprüchlichkeiten auseinanderzusetzen, sich zu streiten und sich zu begeistern. Doch diese Chance will genutzt sein – mit der Beschwörung einer fernen, guten Vergangenheit ist es nicht getan. Ein Essay

Der Blick von außen

Immer sind es die gleichen, die über die Bayreuther Festspiele reden. Hier kommen darum mit Absicht einmal andere zu Wort: Künstler, Schriftsteller und Musiker, die mit Richard Wagner und Bayreuth auf den ersten Blick nicht viel zu tun haben. Sie können etwas bieten, das selten und kostbar ist: den unvoreingenommenen Blick von außen

Überforderung als Prinzip

Frank Castorf, Regisseur des aktuellen Bayreuther „Rings“, nutzt in seinen Arbeiten exzessiv das Medium Video. Übersichtlichkeit ist niederschmetternd, findet Castorf – aber warum tut er das? Eine Annäherung

„Es soll nicht aussehen, als wäre Wahnfried nie zerstört worden“

Im Sommer 2015 soll das neu gestaltete Richard-Wagner-Museum eröffnen. Museumsdirektor Sven Friedrich über Neu-Wahnfried, das richtige Wagner-Alter und die Herausforderung, Sponsoren für ein Museum über einen „schwierigen“ Komponisten zu finden

Vollendet das ewige Werk

Die Werke Richard Wagners enden – mit Ausnahme der „Meistersinger“ – alle in einem eigenartigen Leuchten aus Tragik und Zuversicht. Und dann? Dann ist’s geschafft – aber die Stimmung leuchtet meist länger als der letzte Ton. Ein Blick hinter den Schlussvorhang

Dichtung und Wahrheit in stürmischen Zeiten

Während sich Richard Wagner mit dem Nibelungen-Mythos beschäftigt, scheitert auf den Straßen eine Revolution. Das hatte Folgen – auch für das Ende von Wagners „Ring des Nibelungen“

Die Moderne wohnt in Nibelheim

Mit seiner Kompositionstechnik war Richard Wagner seiner Zeit weit voraus – im „Ring des Nibelungen“ „Tristan“ und „Parsifal“ verabschiedet er sich von den Regeln der Harmonielehre und löst musikalische Konturen auf. Eine Analyse


Herzstück: Im neuen Richard-Wagner-Museum hilft eine interaktive Partitur, Wagners Werke zu begreifen Kunststück: Unsere Fotografen dürfen exklusiv einen Blick hinter den Schlussvorhang werfen. Die besten Bilder

FESTSPIEL-KRITIKEN 2014

Tannhäuser:

Gehofft, gekämpft und doch verloren

Die Bayreuther Festspiele eröffneten ihre 103. Spielzeit mit „Tannhäuser“. Die Premiere wird in die Geschichte eingehen, weil sie wegen einer Technik-Panne unterbrochen werden musste. Andere Gründe, sich an sie zu erinnern, gibt es nicht. Mit einer kleinen Ausnahme.

Der fliegende Holländer:

Schöner wird es nicht mehr

Erst mit der zweiten Premiere haben die Bayreuther Festspiele ihre Reiseflughöhe erreicht. „Der Fliegende Holländer“ wird in seiner dritten Spielzeit zum Triumph für Sänger, Regie und Orchester – mit der guten Lösung aus der vorigen Saison wollte sich keiner zufriedengeben.

Rheingold:

Starkes Stück

Ach, es ist so einfach, dieses „Rheingold“ nicht zu mögen. Weil Frank Castorf und Kirill Petrenko ungefähr alles in Frage stellen, was man von dieser Oper bisher hörte, sah und dachte. Am Ende bleibt als Gegenargument aber nicht viel mehr als die eigene Gewohnheit. Und was ist das schon.

Walküre:

Er war ja doch schon fertig

Mit allem war nach Frank Castorfs „Rheingold“ zu rechnen – aber nicht mit dieser „WALKÜRE“, in der sich der Regisseur beinahe an alle Regeln konventioneller Opernregie hält. Das bringt die Produktion eher an ihre Grenzen, als er es mit dem klassischen Castorf-Repertoire könnte. Zum Glück nutzen Kirill Petrenko und die Sänger diese Chance.

Siegfried:

Da habt ihr euren Siegfried

Das Krokodil, das Krokodil, das hat immer recht: In „SIEGFRIED“ lässt Frank Castorf bereitwillige Sänger großes Bedeutungstheater spielen – und stellt dabei ein paar richtig gute Fragen. Warum nur macht das so unzufrieden? Eine Spurensuche.

Lohengrin:

Der Lohengrin der Herzen

Jubel für Edith Haller als Elsa, Musiker und Chor und – nach langer Zeit wieder – einzelne Buhs für die Regie: Mit der Wiederaufnahme von „Lohengrin“ beginnt Andris Nelsons letzter Sommer am Pult der beliebten Produktion.

Götterdämmerung:

Da ist die Wende

So brutal, wie es ist: Im letzten Teil seiner „Ring“-Inszenierung findet Frank Castorf endlich wieder eine ideale Temperatur für seine Geschichte – und wird dafür am Ende aus vollen Hälsen gehasst und geliebt. Ungebrochen ist der Triumph für Catherine Foster, Lance Ryan verspottet das Publikum.

EIN BILD VON EINEM MANN

In dieser Ausgabe zeigen wir ausgewählte Arbeiten der Designerin Susanne Seilkopf. Die gebürtige Leipzigerin wuchs in Bayreuth auf und ist schon aufgrund dieses Lebenswegs prädestiniert, sich mit Richard Wagner zu befassen. Bis 30. August sind ihre Arbeiten in der Bayreuther Eysserhaus-Passage (Kanalstraße 5) ausgestellt.


WAGNER UND ICH

Mein Fahrrad heißt Grane

„So was habe ich noch nie gehört, und ich frage mich, warum zum Teufel nicht?“ Richard Wagner gehört zu den bedeutendsten Opernkomponisten überhaupt – aber was passiert, wenn man heute seinen Werken begegnet und beschließt, sie nicht mehr gehen zu lassen? Über ein Leben mit Wagner

Von Anke Gröner

Meine Eltern nahmen mich zum ersten Mal mit in die Oper, als ich ungefähr zehn Jahre alt war. Meine Schwester war acht und gelangweilt, mein Vater saß pflichtschuldig daneben, meine Mutter machte wie immer in der Oper gerne die Augen zu und genoss nur die Musik, aber ich sah fasziniert nach vorne, wo ein großer, blonder Mann nur für mich sang. Er stand vor einem durchsichtigen Vorhang, auf den gelbgrünes Flimmern projiziert wurde, und ich verstand erst viel später, dass das ein Wald sein sollte. Wie der Mann hieß, wusste ich – Siegfried –, denn die ganze Oper hieß so. Von da an war ich überzeugt, dass alle Siegfrieds groß und blond seien. Der Irrtum klärte sich schon in der zweiten „Siegfried“-Aufführung meines Lebens auf, wo ich einen kleinen, knubbeligen Siegfried vor mir hatte, was mich etwas enttäuschte. Aber etwas anderes enttäuschte mich nie: die Musik von Richard Wagner.

Wenn ich gefragt werde, was meine Lieblingsoper von Wagner ist, sage ich meistens: Die, aus der ich gerade rauskomme. Ich höre seit über 30 Jahren seine Musik und ich merke, dass sie sich immer wieder ändert, immer wieder neu für mich ist und ich mich immer wieder neu in sie verlieben kann. Als Jugendliche mochte ich den „Fliegenden Holländer“ am liebsten mit seiner offensiven Suche nach Liebe und Zugehörigkeit. In meinen 20ern, die ich im Nachhinein als ein Rumstochern im Nebel nach einer Richtung in meinem Leben empfinde, war es die „Götterdämmerung“, die mir Halt versprach: Alles zerfällt, aber alles kommt wieder. In meinen 30ern, in denen ich endlich erwachsen wurde – oder das, was man dafür hält: fester Job, feste Beziehung, jetzt läufts irgendwie –, war es der „Tannhäuser“, der passte, weil er so strebsam und ordentlich war. Und jetzt, in meinen 40ern, in denen ich wieder angefangen habe zu studieren, in zwei Städten wohne und mich noch mal neu orientiere, spricht „Die Walküre“ am meisten zu mir mit ihrer ganzen Herzensverwirrung, ihrem Feuer und ihrer Leidenschaft. Mal sehen, wann ich alt genug bin, um „Tristan und Isolde“ meine Lieblingsoper zu nennen, denn die schüchtert mich in ihrer Kompromisslosigkeit seit Jahrzehnten ein.

Über Wagner-Inszenierungen kann man wahrscheinlich regalweise Dissertationen schreiben. Ich muss zugeben, dass ich eher selten in andere Opern gehe, deswegen weiß ich nicht, ob man sich da auch so irrwitzig Mühe gibt, dauernd etwas Neues in die Handlung zu interpretieren, um eben dieses Neue bebildern zu können.

Manchmal geht das fürchterlich daneben – ich erinnere mich an eine Berliner Aufführung des „Holländers“, wo wir zum Schluss Nutten und Koks auf dem Fußboden eines Trading Floors hatten –, manchmal klinke ich mich irgendwann aus, weil ich keine Ahnung mehr habe, was ich gerade sehe – ich denke vor allem an Schlingensiefs „Parsifal“ in Bayreuth –, aber manchmal erwischt mich eine Aufführung so sehr, dass ich ein paar Minuten brauche, bis ich klatschen kann. Wieder der „Parsifal“ in Bayreuth, dieses Mal von Stefan Herheim, 2011. Ich habe noch nie vorher und leider auch seitdem nie wieder eine Aufführung gesehen, die mich so atemlos, so fassungslos und so verzaubert zurückgelassen hat. Bei der Ouvertüre jeder Oper verdrücke ich still ein paar Tränen, weil es mich jedes Mal anrührt, in einem Opernhaus zu sitzen und diese einzigartige Kunst genießen zu dürfen. Bei diesem „Parsifal“ weinte ich auch zum Schluss. Und diese Aufführung hallt immer noch in mir nach.

In meinen 20ern wurde ich von einem Freund gefragt, was mir an Wagner so gefalle. Ich wedelte begeistert mit den Armen, sprach von großen Weltentwürfen in Verbindung mit kleinen, intimen Szenen voller Menschlichkeit, schwärmte von der unendlichen Melodie und wie Wagner die Opernwelt revolutioniert habe, kurz, gab das totale Fangirl – und das anscheinend so überzeugend, dass der junge Mann, der mich gefragt hatte, mich gerne einmal begleiten wollen würde, wenn das alles so toll sei. Ich freute mich über eine Begleitung – Wagner war in meinem Freundeskreis eher weniger en vogue, weswegen ich meist alleine oder mit meinem Mütterchen in der Oper saß – und sagte zu, ihm Bescheid zu geben, wenn ich das nächste Mal zu Herrn Wagner wollte.

Das war bereits wenige Wochen später, als die Niedersächsische Staatsoper in Hannover den kompletten „Ring“ aufführte. Ich erwähnte, dass „Das Rheingold“ nicht unbedingt ein guter Reinkommer für einen Novizen sei, vor allem, wenn man weder ein Werk Wagners noch jemals irgendeine andere Oper gesehen hatte. Der junge Mann ließ sich aber nicht davon abbringen, mich begleiten zu wollen; ich kaufte also zwei Karten und beschwor ihn, sich wenigstens vorher den Inhalt durchzulesen. Damals gab es noch keine Übertitel und selbst heute, wo so ziemlich jedes Opernhaus sie hat, behaupte ich, dass sie einen nicht viel weiterbringen, wenn man überhaupt nicht weiß, worum es geht. Aber auch hier hatte der junge Mann eine eigene Meinung: Er wolle alles, O-Ton, unvoreingenommen auf sich wirken lassen. Ich wedelte wieder mit den Armen, dieses Mal weniger begeistert, sondern verzweifelt, denn ich wollte so gern, dass es dem Herrn gefiel, was bei „Rheingold“ schon schwierig genug ist und wenn man dann nicht weiß, was passiert, noch schwieriger. Mein letzter Versuch, ihn vom Besuch abzubringen, war der Hinweis, dass die Oper keine Pause hätte, woraufhin er leichtsinnig meinte, ach, zweieinhalb Stunden, das ginge ja.

Man ahnt, wie der Abend verlaufen ist. Der Herr begann nach gefühlt 20 Minuten unbehaglich im Sitz hin- und herzurutschen, wagte es aber immerhin nicht, mich zwischendurch nach Plotpoints auszufragen (was ich mir auch böse verbeten hätte), nach ungefähr 40 Minuten war er gebrochen und saß nur noch ergeben neben mir und wartete darauf, dass alles da vorne zu Ende ging. Nach der Vorstellung brachte er den Satz, der ihn mir sehr unsympathisch machte: „Ich fühle mich wie vergewaltigt“, und wir haben heute keinen Kontakt mehr. Ich glaube auch nicht, dass er Wagner noch eine zweite Chance gegeben hat. Ein weiterer Versuch mit einem anderen Freund verlief ähnlich – der Herr war zwar nicht ganz so erschlagen, wollte aber nach der „Walküre“ auch nichts mehr mit Wagner zu tun haben. (Aber immerhin mit mir, wir sind heute noch befreundet.)

Ganz anders erging es mir vor wenigen Jahren mit einer Freundin, die ich immerhin davon überzeugen konnte, es vielleicht erst einmal mit ein bisschen konzertantem Wagner zu versuchen. Wir hörten in der Hamburger Laeizhalle zunächst Strawinsky und dann das Finale der „Götterdämmerung“ mit der großen Arie der Brünnhilde. Und wo ich ängstlich auf eine herumrutschende und ungeduldige Freundin vorbereitet war, bekam ich: eine Freundin, die sich langsam vorbeugte, um ja nichts zu verpassen und die beim Schlussapplaus diesen ganz besonderen Gesichtsausdruck hatte, dieses „So was habe ich noch nie gehört und ich frage mich gerade, warum zum Teufel nicht?“ Sie war zunächst stiller als sonst, hatte leuchtende Augen, musste sich erst einmal sortieren, aber dann schwappte sie über mit Fragen zur „Götterdämmerung“, zur Sängerin, die wir gerade gesehen hatten (Deborah Voigt) und wann ich bitte Zeit hätte, mit ihr mal eine ganze Oper zu sehen. Das taten wir wenige Wochen später mit der kompletten „Götterdämmerung“ in Hamburg, wo nicht mal die olle Sozialtristesse-Inszenierung uns den Abend verderben konnte, und seitdem ist sie meine treue Begleiterin.

Mein Fahrrad heißt Grane. Jedenfalls das, das in München steht. Ich wohne zurzeit sowohl in der bayerischen Landeshauptstadt als auch in Hamburg, wo ich ein weiteres Fahrrad besitze, das noch keinen Namen hat. Ich hätte allerdings eben jenes Grane taufen sollen, denn das Fahrradfahren in beiden Städten fühlt sich sehr unterschiedlich an. In München fahren alle brav, wie sie sollen, in Hamburg fahren alle, wie sie gerade Lust haben. Weswegen ich in München deutlich entspannter unterwegs bin, weil ich nicht damit rechnen muss, Geisterfahrer in meiner Spur zu haben oder Fußgänger oder irgendwen anders, der das Konzept „Radweg“ nicht verstanden hat. Ich höre beim Radeln keine Musik, aber in München habe ich meist das freundlich-gemütliche „Sommer in der Stadt“ von der Spider Murphy Gang im Kopf, wenn ich locker-flauschig dahinradele, ohne mir über irgend-etwas Sorgen zu machen.

In Hamburg läuft stattdessen der Walkürenritt.

Die Autorin:

Anke Gröner, 45, ist freie Autorin, mehrfach ausgezeichnete Werbetexterin und lebt in Hamburg. Wenn sie nicht gerade über die Lust am Genuss schreibt („Nudeldicke Deern“, rororo, 240 Seiten, 8,99 Euro), bloggt (www.ankegroener.de) oder für Autos Reklame macht, studiert sie begeistert Kunstgeschichte und Geschichte in München.