Verschwundene Reiche

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Und dann schlug auch noch der Schwarze Tod zu wie die Hand Gottes, während der König damit beschäftigt war, nach dem Adelsaufstand der Unión die Ordnung wiederherzustellen:

Die große Seuche begann in der Stadt Valencia im Monat Mai im Jahre Unseres Herrn 1348 … Mitte Juni starben jeden Tag mehr als 300 Menschen. Wir beschlossen, die Stadt zu verlassen und nach Aragón zu gehen …

Sobald Wir in Teruel ankamen, hörten Wir, dass der Fürst En Ferrando mit vielen [anderen] in Zaragoza war und dort die Angelegenheiten der Union besprach … Alles, was dort besprochen wurde, war zu Unserer großen Schande. Doch [nach] einigen Tagen in Teruel, brach die große Seuche [auch] dort aus, und Wir mussten fort. Und Wir gingen über Tarazona, wo der edle En Lop de Luna mit einer aragonesischen bewaffneten Kompanie stand und auf Soldaten wartete, [die] der König von Kastilien zu Unserer Unterstützung senden sollte, nach Zaragoza …

Dann richteten Wir Unsere Schritte zu Unserer Aljaferia … Wir verurteilten dreizehn Personen zum Tode, mit Konfiszierung ihres Besitzes, da sie das Verbrechen der Majestätsbeleidigung begangen hatten. Die Verurteilten wurden gehängt, manche am Toledo-Tor und manche an anderen Orten …

Die jurats [Amtsträger] der Stadt baten Uns [dann], dass Wir gnädigst den Zustand des Reiches besprechen sollten. Nachdem Wir mit Unserem Rat geredet hatten, willigten Wir sofort ein, Cortes generals in der Stadt abzuhalten … Zuallererst sorgten Wir dafür, dass alle Entscheidungen der Union gerichtlich verurteilt wurden; und im Hauptgebäude des Predigerklosters, wo die Cortes abgehalten wurden, wurden alle von der Union verfassten Dokumente und Prozessakten verbrannt … sodass nichts von ihren Rechtshandlungen übrigblieb …

Wir gingen zur Kirche San Salvador und sprachen von der Kanzel herab … zum Volk. Unsere Aussage war, kurz gesagt, dass Wir Uns von der Union vorverurteilt und verletzt fühlten, doch dass Wir sie, im Gedenken an die Gnade, [die] die früheren Könige von Aragón gewöhnlich ihren Untertanen gegenüber zeigten, begnadigten … Dies geschah im Monat August.

Während der [weitergeführten] Gespräche begann die große Seuche [wieder] … und griff täglich weiter um sich … In Übereinstimmung mit den Cortes vertagten Wir sie [in] die Stadt Teruel … und dann gewährten die Cortes Uns gnädig eine morabati oder monedatge [Steuer], die Wir in allen Teilen des Königreichs einsammeln ließen.

Wir verließen die Stadt Zaragoza mit der Königin, Unserer Gemahlin, die krank war. Viele Tage waren vergangen, seit die Krankheit ausgebrochen war, aber es ging ihr besser … [So] kamen Wir nach Exérica. Und die Krankheit der Königin verschlimmerte sich so sehr, dass sie innerhalb weniger Tage in Exérica aus diesem Leben schied. Sobald sie begraben war und wir gegessen hatten, saßen wir auf und gingen nach Segorbe, wo die Seuche sich schon wieder gelegt hatte.85

Der König war offenbar zu beschäftigt, um länger zu bleiben oder zu trauern. Bemerkenswert ist, dass die Cortes bis zum Ende der Zusammenkunft warteten, bevor sie dem König »gnädig« seine Steuern bewilligten, die alle sieben Jahre zu zahlen waren. (In Kastilien forderte der König wie in England seine Steuern, bevor er einwilligte, Stellungnahmen anzuhören.) Nach Meinung eines führenden Historikers erklärt diese Praxis, warum das Königtum in einem so reichen Land finanziell so schlecht ausgestattet war.86

In der zweiten Hälfte seiner Regierung hatte Peter IV. nicht nur mit finanziellen, sondern auch mit religiösen Problemen zu kämpfen; er stürzte sich in eine langwierige Fehde mit dem Generalinquisitor und Oberhaupt des Dominikanerordens in Aragón: Nicolau Eymerich (1320–1399) hatte das Directorium Inquisitorum (1376) geschrieben, ein maßgebliches Handbuch zur Erkennung und Bekämpfung der Hexerei, die als eine Form von Häresie galt.87 Der Inquisitor war ein Eiferer, der die Anwendung der Folter verfeinerte und die Juden Aragóns ebenso verfolgte wie die Anhänger von Ramon Llull. Zweimal wurde er nach Avignon verbannt, zweimal kehrte er zurück.

Ein Jahrhundert nach ihrer Entstehung war die aragonesische Kriegsflotte die drittgrößte im westlichen Mittelmeer – nur Genua und die maurischen Emirate Nordafrikas konnten noch mehr Schiffe aufbieten. Die Galeeren Aragóns waren nur noch halb so groß wie im 13. Jahrhundert und trugen im Schnitt eine Besatzung von 223 Ruderern und Seeleuten; die Werften in Barcelona, Valencia und Palma, die sich aus den Eichenwäldern des Montseny versorgten, waren praktisch autark und mussten nur die Ruder zukaufen. Die wachsenden Kapazitäten ermöglichten es der Flotte, die normale viermonatige Inspektionstour im Sommer auch auf zwölf oder sogar achtzehn Monate auszudehnen. Eine Flotte von achtundzwanzig Galeeren stach zum Beispiel 1341 unter Admiral Pere de Moncada (einem Enkel Ruggieros di Lauria) in See, überwinterte unterwegs und kehrte erst im nächsten Jahr nach Barcelona zurück.

Die größte Bedrohung stellten damals die nordafrikanischen Mauren dar. Die christlichen Flotten schlossen sich unter dem Kommando von Admiral Boccanegra aus Genua zusammen, um das muslimische Granada von der Merinidendynastie in Marokko zu isolieren und die Straße von Gibraltar offen zu halten. Vor allem die Kastilier hatten in diesen Auseinandersetzungen hohe Verluste zu beklagen und sahen sich gezwungen, fünfzehn Ersatzgaleeren aus Genua zum Preis von 800 Goldflorin pro Monat zu mieten. Aus logistischen Gründen waren die Aragonesen nicht in der Lage, lange ohne Verbündete zu kämpfen, war doch ihr Plan gescheitert, eine Flotte aus vierzig schweren und zwanzig leichten Galeeren zusammenzustellen. Deshalb war die gar nicht so abwegige Vorstellung, dass sich Genua mit den Mauren verbünden könnte, beunruhigend, wozu es allerdings nicht kam. Aragón blieb eine wichtige Seemacht, bis die Galeeren nach der Einführung des Schießpulvers im späten 15. Jahrhundert ihren überragenden Nutzen verloren.

Aragóns Territorien im Mittelmeer litten nicht nur unter dem Schwarzen Tod, sondern auch unter den gesellschaftlichen Missständen, die im Kernland schon für so große Probleme gesorgt hatten. Der angesehenste Historiker Siziliens hat zum Beispiel vom Entstehen eines »neuen Feudalismus« geschrieben.88 Die Barone konnten straflos wüten; die Leibeigenen schufteten pausenlos; dazu verkümmerten die Städte – und die Monarchie schaute hilflos zu. Im Jahr 1377 fiel Peter IV. von Aragón in Sizilien ein, um es unter seine direkte Kontrolle zu bringen.

Auf Sardinien, wo Aragón drei Kriege gegen Arborea führte, war die Situation nicht besser. Arborea wurde von Genua unterstützt, allerdings nicht intensiv genug, um einen klaren Sieg herbeizuführen. Bemerkenswerterweise konnte eine der klügsten Frauen des Mittelalters, Eleonora d’Arborea (1347–1404), trotz der Bedrohung in der Regierung wie in der Wissenschaft reüssieren.89 Als Ehefrau eines Genuesen und Mutter nacheinander herrschender sardinischer Richter verteidigte sie ihr Geburtsrecht mit Elan gegen Aragón wie auch gegen einheimische Republikaner. Sie war eine Pionierin der Ornithologie und des Vogelschutzes – der falco eleonorae trägt seinen Namen ihr zu Ehren – und bleibt als die Autorin eines berühmten Gesetzbuches, der Carta de Lógu, die von 1395 bis 1861 in Kraft war, in Erinnerung.90

Der Tod Peters IV. im Jahr 1387 markierte den Höhepunkt einer hundertjährigen Entwicklung in den Institutionen der Krone Aragón. Die Monarchie, die Verwaltung und die politische Kultur des Staates sahen sich gezwungen, auf das wachsende »Reich« zu reagieren, und wurden nun systematisch umgebaut. Der »arago-katalanische Hof«, wie eine Historikerin ihn nennt, lieferte den Schlüssel zum »Aufstieg des verwaltenden Königtums«.91 Die königliche Kanzlei, das »Gedächtnis des Königs«, bewahrte Abschriften aller Gesetze und Briefe und hinterließ uns einen gewaltigen dokumentarischen Schatz in Barcelonas Arxiu de la Corona d’Arago.92 Ihre Anfänge können bis auf die Übernahme der ersten europäischen, von Muslimen geführten Papierfabrik in Xàtiva in der Provinz Valencia durch Jakob den Eroberer zurückgeführt werden.93 Die königliche Schatzkammer, die »Geldbörse des Königs« führte detaillierte taggenaue Aufzeichnungen aller finanziellen Transaktionen. Und der königliche Haushalt, der »Leib des Königs«, umfasste »eine unauffällige Gruppe« königlicher Verwandter, spezialisierter Beamter und sehr gut ausgebildeter Bediensteter, die den Staat leiteten. Die Schlussfolgerung einer Historikerin, die den letztendlichen Untergang dieses Staatswesens zu bedauern scheint, wirkt übertrieben pessimistisch:

Man könnte fragen, … ob eine Untersuchung der Veränderungen innerhalb des Verwaltungssystems [der Krone Aragón] womöglich vergebliche Liebesmüh ist. Schließlich hinterließ [dieses System] sehr wenige bleibende Spuren … Doch seine letztendliche Erfolglosigkeit beeinträchtigt seinen Wert nicht … Wir haben gesehen, dass Modernisierung, so visionär sie auch sein mag, allein noch nicht ausreicht, um ein Überleben des Staates zu garantieren.94

Schon in den 50er-Jahren des 14. Jahrhunderts hatte sich Peter IV. im sogenannten »Krieg der beiden Peter«, dessen Gründe schon lange in Vergessenheit geraten sind, gegen Kastilien gestellt. Jetzt, gegen Ende des 14. Jahrhunderts, bewegte sich die Iberische Halbinsel auf eine Reihe von dynastischen Katastrophen zu, die sich gleichzeitig zuspitzen sollten. Die Herrscherhäuser Trastámara in Kastilien und Barcelona in der Krone Aragón waren zwar durch Heirat miteinander verbunden, doch zur Jahrhundertwende belauerte jeder die unsicheren Aussichten des anderen, während ein noch minderjähriger Herrscher in Kastilien zusammen mit einem lähmenden Interregnum in Aragón zu fast unüberwindlichen Problemen führte. Die daraus folgenden Erschütterungen zogen sich über Jahrzehnte hin, bis die beiden Häuser sich schließlich endgültig in der epochalen Hochzeit des Jahres 1469 zusammenschlossen.

 

In Kastilien begann die Krise 1406 mit dem frühen Tod von König Heinrich III. »dem Kränklichen«, dessen Sohn und Erbe gerade einmal ein Jahr alt war. Die sich anschließende Regentschaft teilten sich Heinrichs Witwe Katharina von Lancaster und sein jüngerer Bruder Ferdinand d’Antequera, der sich diesen Beinamen durch seinen Sieg über die Mauren bei der andalusischen Stadt dieses Namens verdient hatte. Das Arrangement bezog auch Aragón mit ein, weil Ferdinand und sein verstorbener Bruder Söhne der Eleonore von Aragón, der Tochter Peters IV., waren.

In Aragón verschärfte sich zur selben Zeit eine Krise durch den Tod des Thronfolgers, der in Sizilien regiert hatte. Der König selbst, Martin I. El Humano, »der Menschliche« – der letzte königliche Nachfahre Graf Wilfrieds des Haarigen – lebte zwar noch vier Jahre, doch dem Herrscherhaus fehlte der männliche Nachwuchs. Als der König seinem Sohn 1410 in sein frühes Grab folgte, gab es keinen direkten Thronfolger, und so rangelten nicht weniger als sechs Kandidaten um die Krone. Sie legten ihre Ansprüche vor den versammelten Repräsentanten Aragóns, Barcelonas und Valencias dar, aber es kam zu keiner Entscheidung. Dann versuchte eine Kommission aus neun Honorationen eine Lösung zu finden, und letztendlich ging aus dem sogenannten Kompromiss von Caspe ein Sieger hervor: Die Wahl der Kommission war denkwürdig, um nicht zu sagen abenteuerlich, denn sie fiel auf niemand anderen als Ferdinand d’Antequera, Infant und Regent von Kastilien – einen Mann, der kein Katalanisch sprach und dessen persönliche Besitzungen in Südspanien lagen. Doch der Sieger zeigte, was in ihm steckte, schlug seinen hartnäckigsten Rivalen, den Graf von Urgell, in der Schlacht von Montearagon nahe Huesca, und stellte schnell wieder stabile Verhältnisse her. Kurzzeitig lenkte jetzt ein und dieselbe Person die Geschicke beider Königreiche.

Ferdinand, König von Aragón (reg. 1412–1416), in Barcelona als »Ferran d’Antequera« bekannt, war ein kluger Verwalter und energischer Politiker. Vor allem drängte er erfolgreich auf die Absetzung des aragonesischen Gegenpapstes Benedikt XIII. und trug damit zum Ende des Großen Abendländischen Schismas bei.95 Außerdem war er mit einem reichen Vorrat an Söhnen gesegnet. Die beiden ältesten, Alfons und Johann, sollten ihm nacheinander auf dem Thron folgen. Seine volle Königstitulatur lautete einem Dokument aus dem Jahr 1413 zufolge: »Ferdinandus, Dei Gratia Rex Aragonum, Sicilie, Valencie, Maioricarum, Sardiniae et Corsice, Comes Barchinone, Dux Athenarum et Neopatriae, ac etiam Comes Rossilonis et Ceritaniae« (»Ferdinand, durch Gottes Gnade König von Aragón, Sizilien, Valencia, Mallorca, Sardinien und Korsika, Graf von Barcelona, Herzog von Athen und Neopatras und auch Graf des Roussillon und der Cerdagne«).96 Kein Wunder, dass er nicht immer alle Titel führte.

An diesem Punkt braucht man einen klaren Kopf, um die vielen Hauptpersonen gleichen Namens auseinanderzuhalten. Ferdinands Neffe, der Kindkönig von Kastilien, und Ferdinands zweiter Sohn hatten den gleichen Vornamen, und beide sollten ihre jeweiligen Reiche lange Zeit unter demselben Thronnamen Johann II. regieren. Johann II. von Kastilien (reg. 1406–1454) gilt allgemein als schwachsinnig. Sein Cousin Johann II. von Aragón indessen (reg. 1458–1479) trat immer sehr unbeherrscht auf. Zu allem Überfluss wurde, um die engen Beziehungen der Höfe von Toledo und Barcelona weiterzuführen, die Schwester von Johann II. von Kastilien mit Alfons von Aragón verheiratet, während die Schwester von Johann II. von Aragón die Ehe mit Johann II. von Kastilien einging. Beide Bräute hießen Maria; sie waren Cousinen ersten Grades und heirateten beide einen Cousin ersten Grades. Nach ihrer Eheschließung wurde Prinzessin Maria von Kastilien Königin Maria von Aragón, und Maria von Aragón wurde Maria von Kastilien. Der Ausdruck »es bleibt alles in der Familie« bekommt hier eine ganz neue Bedeutung.


Die Krone Aragón entkam diesem wirren Netz der engen Blutsverwandtschaft durch eine Übereinkunft zwischen den beiden Söhnen Ferdinands I. Kurz nachdem ihr Vater im Jahr 1416 gestorben war, beschloss sein Nachfolger Alfons, loszusegeln und sich auf die Territorien Aragóns im Mittelmeer zu konzentrieren. Bald sollte er seine Aufmerksamkeit Neapel zuwenden. Der jüngere Bruder Johann dagegen blieb als Stellvertreter und eigentlicher Herrscher des Reiches zu Hause. Wenn man die siebenunddreißig Jahre, die Johann als Regent fungierte, zu den einundzwanzig Jahren eigener Herrschaft hinzuzählt, regierte er letztendlich länger als jeder andere aragonesische Monarch.

Allerdings war die lange Regierung Johanns II. nicht besonders glücklich. Er verwickelte seine Untertanen in eine endlose, erschöpfende Abfolge von Streitigkeiten, Kriegen und Fehden, sodass man sich über seinen Beinamen »der Große« nur wundern kann. Nach seiner Ehe mit einer Prinzessin von Navarra regierte er fünfzig Jahre als eigentlicher Herrscher iure uxoris das Königreich Navarra, wobei er aber seine sonstigen Pflichten vernachlässigte. In den 50er-Jahren des 15. Jahrhunderts war er völlig von einem Bürgerkrieg in Navarra absorbiert und führte eine grausame Blutfehde gegen seinen ältesten Sohn, den er zuvor in Barcelona als Vizekönig eingesetzt hatte. In den 60er-Jahren war er mit einer langwierigen katalanischen Revolte konfrontiert, und in den 70er-Jahren führte er einen unklugen Krieg gegen Louis XI. von Frankreich.

Der einzige positive Aspekt seiner Regierung waren die fortbestehenden engen Verbindungen zwischen Aragón und Kastilien. Die beiden Zweige des Trastámara-Clans arbeiteten klug zusammen, um das Familienvermögen liquide zu halten, und zusammen bedrängten sie die schwindende Macht der Mauren in Granada. Seinen Höhepunkt erreichte ihr Zusammenwirken am 19. Oktober 1469 in Valladolid, wo Ferdinand, der jüngere Sohn Johanns II. von Aragón, die Ehe mit Isabella, der einzigen Tochter Johanns II. von Kastilien, einging. Der Nachwelt sind sie bekannt als »Ferdinand und Isabella, die katholischen Könige« (siehe unten). Die beiden wichtigsten Reiche der Iberischen Halbinsel näherten sich immer weiter an.

In den langen, konfliktreichen Dekaden des 15. Jahrhunderts wurden die maroden Herrschaftsstrukturen der Krone Aragón zweifellos weiter geschwächt; so verlor das Kernland immer mehr die Kontrolle über seine abhängigen Territorien im Mittelmeerraum. Alfons V. (reg. 1416–1458), König von Sizilien durch Erbrecht und seit 1421 designierter Erbe des Königreichs Neapel, war einer der prächtigsten Fürsten der Frühen Renaissance. Inmitten einer einzigartigen gemischten Gesellschaft aus Künstlern, Glücksrittern, Literaten, Architekten und ehrgeizigen aragonesischen Höflingen verbrachte er seine Zeit mit Kämpfen, Fehden, Feiern und mit der Arbeit an seinem Ruf als »der Großmütige«. Unter seiner Ägide wurde Korsika eingenommen und Neapel erobert.97

Theoretisch war Korsika schon seit den Tagen von Papst Bonifaz VIII. Teil des aragonesischen Königreiches Sardinien. Praktisch aber hatte die Insel, ermutigt durch Genua, den Avancen Aragóns mehr als ein Jahrhundert lang widerstanden. Alfons V. führte daher persönlich den Feldzug an, mit dem er Korsika schließlich 1420 eroberte. Nachdem er die Festung Bonifacio durch Belagerung bezwungen hatte, setzte er kurzzeitig ein Regime unter einem einheimischen Vizekönig ein. Im Jahr 1453 allerdings, nachdem sich gezeigt hatte, dass er seine Neuerwerbung nicht verteidigen konnte, gab Alfons die Insel gegen einen Kredit vom Banco di San Georgio den Genuesen zurück. Überraschenderweise reichte die kurze aragonesische Präsenz aus, um das Symbol des »Mohrenkopfes« einzuführen, der später zum Nationalemblem Korsikas wurde.98

Das Königreich Neapel – also der Teil des früheren Königreiches Sizilien, der nach 1282 in angevinischer Hand geblieben war – war der größte und bevölkerungsreichste Staat des mittelalterlichen Italien und besetzte die gesamte südliche Hälfte der Halbinsel von den Grenzen der Romagna bis zum Hacken des »Stiefels«. Das Territorium bestand aus den sechs heutigen Verwaltungsregionen – Abruzzi, Molise, Campania, Puglia, Basilicata und Calabria – und entsprach ziemlich genau dem, was Römer und Norditaliener heute il Mezzogiorno nennen, den »Midi« oder »das Land der Mittagssonne«. Weil die Angeviner päpstliche Klienten waren, blieb Neapel zudem traditionell ein Protektorat der Päpste.

Nach dem Krieg um Sizilien hatten die Herrscher der Anjou 150 Jahre lang an ihrer neapolitanischen Erbschaft festgehalten. Ihre Bereitschaft, ihre eigenen angevinischen Verwandten zu befehden, wurde allerdings nur noch von ihrer Entschlossenheit übertroffen, ihre aragonesischen Rivalen herauszuhalten. In zwei akuten Krisenphasen regierten Königinnen ohne Erben – Johanna I. (reg. 1343–1382) und Johanna II. (reg. 1414–1435) – und in beiden spielte Aragón eine besondere Rolle.

Johanna I. holte vier Ehemänner ins Land, darunter Jakob IV., Anwärter auf den Thron von Mallorca, doch keiner von ihnen brachte die erwünschte Stabilität. Johanna II. regierte über ein von Gewalt und Skandalen zerrissenes Reich. Ihr erster Ehemann, ein Habsburger, verließ sie, auch der zweite floh bald, weil er um sein Leben fürchtete. Die Königin ließ sich daraufhin zur Alleinherrscherin ausrufen und regierte zusammen mit einer ganzen Reihe von Geliebten. Am längsten blieb Giovanni Caracciolo, auch als »Sergianni« bekannt. Er war ihr reichster Untertan und ein unverbesserlicher Intrigant. Bis zu seiner Ermordung herrschte er praktisch als Diktator.

Wie ihrer älteren Namensvetterin mangelte es Johanna II. allerdings nicht einfach an Nachkommen und Skrupel, sondern auch an der Fähigkeit, bei einer Entscheidung zu bleiben. Sie bestimmte nacheinander nicht weniger als vier Männer zu ihren offiziellen Erben. Als der Papst 1420 einen Angeviner als ihren Nachfolger in Neapel unterstützte, änderte die Königin prompt ihre Meinung und erwählte Alfons V. von Aragón zum Gegenerben. Alfons marschierte in Neapel ein, nahm Sergianni gefangen und belagerte den Königspalast Castel Capuano – da besann sich die Königin noch einmal anders, erkannte ihn nicht an und kehrte zum ursprünglichen Kandidaten des Papstes zurück. La regin’ è mobile. Später bestimmte Johanna einen anderen Angeviner, René d’Anjou, Graf der Provence, dazu, seinen Platz einzunehmen.

In den beiden anschließenden Kriegen um die neapolitanische Erbfolge, 1420–1424 und 1435–1443, wurde nicht nur im Königreich gekämpft. Im Jahr 1424 rief man Alfons kurz vor einem sicheren Sieg in Neapel nach Barcelona zurück, um eine Krise mit Kastilien beizulegen. Auf dem Heimweg machte er einen kleinen Schlenker und plünderte ganz nebenbei Marseille. Im zweiten Krieg wurde Alfons zur See von den Genuesen geschlagen, geriet in Gefangenschaft, wurde den Visconti in Mailand übergeben und schließlich freigekauft. In der mittleren Phase, als René d’Anjou in Neapel regierte, baute Alfons eine starke Marinebasis in Gaeta auf, wurde aber wiederholt an Land zurückgeschlagen. In der Endphase sammelte er erfolgreich alle Randgebiete des Königtums ein, versöhnte sich mit dem Papst und umzingelte langsam, aber sicher seine Beute, wobei sich vor allem seine furchteinflößende Artillerie bezahlt machte. Im Juni 1442 floh René, und Alfons hielt schließlich mit allem Pomp Einzug in Neapel. Dieses liebte er mehr als alle anderen seiner Besitzungen einschließlich Siziliens. Die Personalunion indessen war eine frühe Emanation des Regnum utriusque Siciliae, des »Königreichs beider Sizilien«. Sechzig Jahre lang hatten Alfons V. und seine Söhne Neapel fest im Griff.

 

Neapel war in seiner aragonesischen Zeit eine große und reiche europäische Hafenstadt. Die Geschichte des Ortes geht auf griechische Zeit zurück, Neapel bildete den Mittelpunkt einer Region, in der griechisch sprechende Gemeinden bis in die moderne Zeit überlebt haben. Im Hinterland liegt die fruchtbare kampanische Ebene; und der Anblick vom Meer, mit dem Kegel des Vesuv im Hintergrund, ist spektakulär. Den Satz »Neapel sehen und sterben« hat Goethe geprägt, er beschreibt aber auch haargenau die Gefühle Alfons’ des Großmütigen. Viele städtische Monumente konnten auf eine lange Geschichte zurückblicken, doch das hinderte die aragonesischen Neuankömmlinge nicht daran, sie umzubauen oder zu verschönern. Die von den Griechen errichtete Burg Castel dell’Ovo zum Beispiel, die den alten Hafen sicherte, war von den Normannen stark befestigt worden. Die Aragonesen rissen die hohen normannischen Türme nieder. Die nach dem Stadtpatron benannte Kathedrale San Gennaro steht an der Stätte eines Apollo-Tempels; die Aragonesen schmückten einige ihrer Kapellen üppig aus. Und auf dem kiefernbestandenen Hügel Pizzofalcone (von dem aus man einen atemberaubenden Panoramablick über die Bucht auf den Vesuv hat) standen seit fast 2000 Jahren die Villen der Reichen und Mächtigen. Die Aragonesen führten diese Tradition mit ihren Neubauten fort.

Viele besonders berühmte Gebäude stammten aus angevinischer Zeit. Die Universität etwa, begründet bereits von Friedrich II., entstand in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts. Das Castel Sant’Elmo, der Belforte, wachte von einem vorgelagerten Bergzug aus seit 1343 über der Stadt. Das Kloster San Domenico Maggiore mit der Zelle des Thomas von Aquin wurde 1445 von Grund auf renoviert. Das beeindruckende, im Krieg um Sizilien errichtete Castel Nuovo schützte den Hafen. Neu war hier der ziemlich unpassende Triumphbogen aus weißem Marmor, den die Aragonesen zwischen die beiden Rundtürme der Fassade stellten und Alfons dem Großmütigen widmeten.

Die große Bedeutung der Stadt im späten 15. Jahrhundert verdankte sich vor allem der letzten Phase des Wirtschaftswachstums vor einer langen Rezession durch die osmanische Expansion. Neapel bildete mit Palermo, Malta, Valencia, Barcelona, Palma, Korsika und Sardinien ein Seehandelsnetz, das das westliche Mittelmeer beherrschte.

Alfons‘ V. Wappen und Titulatur illustrieren sehr gut seine komplizierte Position. Eine Inschrift auf seinem Triumphbogen lautet: »ALFONSO REX HISPANUS SICULUS ITALICUS PIUS CLEMENS INVICTUS«. Er verstieg sich also zu der überspannten Behauptung, »König von Spanien, Sizilien und Italien« zu sein. Zu sehen ist auch das schlichte Wappen von Aragón, gekrönt von einer Kanone und zwei Greifen. Meist jedoch zeigt sein Wappenschild die Farben Aragóns, geviertelt mit denen Neapels, wobei das neapolitanische Element in Anspielung auf die Geschichte der Stadt die Embleme von Ungarn, Anjou und Jerusalem enthält. In einem der letzten Dokumente seiner Regierung aus dem März 1458 geht Alfons‘ volle Königstitulatur sogar noch über die seines Vaters hinaus: »Nos Alfonsus D.G. Rex Aragonum, Siciliae Citra et Ultra Farum, Valentiae, Hierusalem, Hungariae, Maioricarum, Sardiniae et Corsicae, Comes Barchinone. Dux Athenarum et Neopatriae ac etiam Comes Rossilionis et Ceritaniae« (»Wir, Alfons, von Gottes Gnaden König von Aragón, von Sizilien sowohl diesseits wie jenseits des Leuchtturms, von Valencia, Jerusalem, Ungarn, Mallorca, Sardinien und Korsika, Graf von Barcelona, Herzog von Athen und Neopatras, und auch Graf des Roussillon und der Cerdagne«).99

Alfons’ Rolle als Patron der Künste wird ganz unterschiedlich bewertet. »Kein Zeitgenosse«, schrieb ein späterer britischer Konsul in Barcelona, »verfügte in größerem Maße über jene Eigenschaft, die die Italiener ›virtù‹ nennen.« Er gab seinen Höflingen ein Beispiel, indem er die Werke von Livius und Caesar mit auf seine Feldzüge nahm und seiner Armee aus Respekt für Vergils Geburtsstadt Einhalt gebot. Er soll von einer Krankheit genesen sein, indem er lateinischer Dichtung lauschte, und die Schmeichler verglichen ihn mit Seneca oder Trajan (die beide von der Iberischen Halbinsel stammten). Sofort nach seinem feierlichen Einzug machte er sich daran, Neapel in eine würdige Rivalin von Florenz oder Venedig zu verwandeln. Seine Porträtbüste, die dem Mino da Fiesole zugeschrieben wird, steht im Louvre. Insgesamt allerdings waren die künstlerischen Leistungen des neapolitanischen Quattrocentro Aragónese, vor allem unter Alfons’ Nachfolgern, recht bescheiden. Laut Giorgio Vasari »schätzen die Neapolitaner ein Pferd höher als einen Maler«.100

Als politischer Strippenzieher dagegen war Alfons V. ganz zweifellos ein Schwergewicht. Schon zwei Jahrhunderte lang hatte sich Aragón als internationale Größe behauptet, doch in Alfons‘ Zeit stieg es in die Spitzengruppe der Großmächte auf. Es war nicht nur ein gleichberechtigter Partner im Gemenge der iberischen Nationen, sondern kontrollierte auch einen großen Teil des italienischen Stiefels und übte starken Einfluss auf das Papsttum aus. Weil das Königreich alle wichtigen Inseln im westlichen und zentralen Mittelmeer besaß, konnte es Handel und Schifffahrt unangefochten kontrollieren. Und nachdem Konstantinopel 1453 an die Türken gefallen war, sah sich Neapel gezwungen, die Führung im Kampf gegen die Osmanen zu übernehmen. Alfons V. war der wichtigste Patron Skanderbegs, des albanischen Kriegsherrn, der auf dem Balkan gegen die Türken kämpfte, und er streckte die Fühler sogar bis ins ferne koptische Äthiopien aus, um eine Allianz gegen die Muslime zu schmieden.101

Nach Meinung des führenden britischen Historikers zum Mittelmeerraum im Mittelalter war Alfons ein Mann mit einer »imperialen Vision«, dessen Herrschaft »den Höhepunkt des aragonesischen Einflusses innerhalb von Spanien wie auch im Mittelmeerraum markiert«.102 Tatsächlich waren einige der Pläne, die er letztlich nicht umsetzen konnte, mindestens so bedeutsam wie seine geglückten Unternehmungen. So nahm er 1448 zum Beispiel den Kleinstaat Piombino ein, zu dem auch die Insel Elba gehörte. Damit wollte er größere Kontrolle über die Genueser Schifffahrtswege gewinnen – und gleichzeitig verschaffte er sich so ein Sprungbrett zur Eroberung der nahen Toskana. Wenn es Alfons gelungen wäre, die Medici in Florenz zur Blütezeit der Renaissance zu verdrängen, würde man seinen Namen heute in jedem Geschichtsbuch finden. Doch alle anderen Mächte Italiens verbündeten sich gegen ihn, und er sah sich gezwungen, die Unternehmung abzublasen. Seine ehrgeizigen Ziele jedoch treten deutlich zutage. Nur selten wird gesehen, wie sehr er seinen Neffen Ferdinand El Católico beeinflusste, dem im Allgemeinen allein das Verdienst zugeschrieben wird, Aragóns Horizont erweitert zu haben.

Bei Alfons‘ Tod im Jahr 1458 ging Neapel nicht wie Sizilien und der Rest der Krone Aragón auf seinen Bruder Johann II. über. Zunächst erbte Alfons’ unehelicher Sohn Ferdinand I., bekannt als Don Ferrante (reg. 1458–1494), das Königtum. Dann folgten nacheinander Don Ferrantes Sohn Alfons II. und Enkel Ferdinand II., dann Don Ferrantes zweiter Sohn Frederico. Nach einem kurzen französischen Zwischenspiel fiel es schließlich 1504 mit den anderen Ländern der Krone an die »Katholischen Könige«.

Die bei weitem längste Regierungszeit kann der oft unterschätzte Don Ferrante für sich verbuchen, der fast vierzig Jahre an der Spitze des Königreiches stand. Wie sein Vater verfügte er über eine einzigartige Mischung aus Mut, künstlerischem Talent und machiavellistischer Rücksichtslosigkeit. Und er hatte eine Ehefrau, Isabella von Tarent, zu deren Mitgift eine ganze Schatztruhe voller feudaler Ansprüche und Titel gehörte. Und so nannte er sich nicht nur König von Neapel, sondern auch »König von Jerusalem«, und beanspruchte die Herrschaft über wutschnaubende Angeviner, aufständische Barone und türkische Eindringlinge. Don Ferrante hatte Niederlagen und Rückschläge zu verzeichnen, nicht zuletzt den Verlust von Otranto an die Türken im Jahr 1480, und doch bewies sein Überleben in den internationalen Kriegen Ende des 15. Jahrhunderts eine bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit.

Nichts illustriert die internationale Bedeutung von Aragón in dieser Zeit besser als der ungewöhnliche Aufstieg einer zunächst ganz durchschnittlichen aragonesischen Familie. Borja ist eine Kleinstadt in der Provinz Zaragoza, und es geht hier um eine von dort stammende Kaufmannsfamilie, die sich aber schon lange in Valencia niedergelassen hatte. Alonso de Borja, ein Rechtsprofessor der Universität Lleida (1378–1458), erwarb sich einen herausragenden Ruf im diplomatischen Dienst Aragóns und erhielt einen Kardinalshut, weil es ihm gelang, seinen Herrn auf dem Konzil von Basel (1431–1439) mit dem Papst zu versöhnen. In Rom wiederholte er denselben Aufstieg als Kardinal »di Borgia« innerhalb der Kirchenhierarchie und wurde schließlich als Calixtus III. 1455 zum Papst gewählt. Angeblich exkommunizierte er den Himmelskörper, der 1456 leuchtend über den Himmel zog und später den Namen »Halleyscher Komet« bekam. Er hob das Urteil gegen Jeanne d’Arc auf, und er füllte Rom mit aragonesischen Beamten: Als er im Jahr 1458, im selben Monat wie Alfons V., starb, erhob sich ein Aufstand gegen die verhassten »Katalanen«.103

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