Verschwundene Reiche

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Die Römer hatten meist ursprünglich keltische Bezeichnungen britischer Stämme latinisiert, und moderne englische Wissenschaftler übersetzen die Stammesnamen selten. Aber man kann es versuchen. Die Caledonii waren vielleicht die »harten Menschen«, die Selgovae waren die »Jäger« und die Novantae die »tapferen Menschen«. Die Votadini (bei Ptolemäus fälschlich Otadini geschrieben) waren die »Untertanen oder Anhänger Fothads«. Die Damnonii waren irgendwie mit dem keltischen Wort für »tief« verbunden; »Menschen des Meeres« lautet die wahrscheinlichste Übersetzung. Sie passt auch gut zu ihrem Siedlungsgebiet und erklärt, warum andere Küstenstämme in Britannien und Irland, wie etwa die Dumnonii im späteren Devon, ähnliche Namen trugen. Jedenfalls war Damnonia der früheste bekannte Kleinstaat auf oder nahe dem Dumbarton Rock. Und es ist kaum zu bezweifeln, dass es auch ein Seefahrerstaat war: Eine spätere irische Quelle erwähnt ein nicht identifiziertes Schlachtfeld in Irland, auf dem ein gewisser Beinnie Britt den Art, Sohn des Conn, tötete. Beinnie war ein »Brite« von jenseits des Wassers. Die Damnonier konnten offenbar Krieger über das Meer transportieren.

Dumbarton Rock lag nur ein paar Kilometer entfernt vom Westende des Antoninuswalles am Fluss Clota, wo die römische Flotte stationiert war, um die Piraten aus dem Norden zu kontrollieren und den Transfer gallischer Hilfstruppen zu erleichtern, die am Antoninuswall mitarbeiteten. Deren Anwesenheit ist durch eine Inschrift auf einem Altar bezeugt, der in einem Fort am Wall nur ein paar Kilometer von Brittanodunum (Dunglass) aufgestellt war: »CAMPESTRIBUS ET BRITANNI QP SETIUS lUSTUS PREF. COH IIII GAL VS LLM« (Den Gottheiten der Felder und Britanniens hat Quintus Pisentius Justus, Präfekt der 4. Kohorte der gallischen Hilfstruppen, gern, bereitwillig und zu Recht sein Gelübde eingelöst.) Datiert war die Inschrift auf das Jahr 142 n. Chr. nach heutiger Zählung. Doch nach nur wenigen Jahrzehnten zogen sich die Legionen schon wieder zurück, und ihre Rückkehrpläne wurden nie in die Tat umgesetzt. Immerhin richtete Kaiser Caracalla (reg. 209–217) ein System von vorgeschobenen Reiterpatrouillen (sogenannten areani) nördlich des Hadrianswalls ein, und es ist denkbar, dass die Clota der weströmischen Flotte weiterhin als Landemöglichkeit diente.16


Mitte des 4. Jahrhunderts wurden die Verteidigungsanlagen im Norden der Provinz Britannia von einer großen confoederatio barbarica, wie die Römer sie nannten, überrannt. Wir wissen nicht, ob Damnonia daran beteiligt war. Fest steht, dass die Ordnung der Provinz zwei Jahre lang, von 367 bis 369, völlig in sich zusammenbrach. Marodeure und Fahnenflüchtige verwüsteten das Land, nahmen den höchsten Offizier gefangen und töteten den Kommandanten der befestigten »sächsischen Küste«, der Ost- und Südküste der Provinz. Ein erfahrener Soldat, der römische General Theodosius, stellte die Ordnung wieder her. Er sicherte den Hadrianswall und richtete eine Reihe abhängiger Pufferstaaten im Westen und im Norden ein. Im späten 4. Jahrhundert schuf sich der spanische General Magnus Maximus im Westen eine Machtbasis und wurde schließlich als »Macsen Wledig« zum sagenhaften Gründer mehrerer walisischer Dynastien. Gleichzeitig trat ein gewisser Paternus oder Padarn Pesrut (Paternus vom roten Mantel) als Herrscher der Votadini auf. Sein roter Mantel verwies auf einen hohen römischen Rang; in seiner mutmaßlichen Hauptstadt Marchidun (dem heutigen Roxburgh Castle) wurden große Mengen römischer Münzen aus der Zeit zwischen 369 und 410 gefunden. Für das Jahr 405 erwähnt ein Eintrag in einem irischen Annalenwerk eine Schlacht im strath Cluatha, »die Schlacht im Clydetal«. Dies ist höchstwahrscheinlich der Moment, in dem die schattenhaften nachrömischen Staaten des Nordens ins Licht der Geschichte treten. Die Lehensstaaten, die Theodosius als Puffer eingesetzt hatte, wurden jetzt zu richtigen einheimischen »Königreichen«.17

Natürlich ist der Begriff »König«, wie ihn Quellen und Historiker gleichermaßen verwenden, ein ziemlich hoch gegriffener Titel. Diese Herrscher waren keine gekrönten Monarchen, sondern Anführer von Kriegerscharen, die ihren Willen mit Gewalt durchsetzten und Tribute forderten. Ihr schwankendes Vermögen beruhte auf der Zahl der Siedlungen, von denen sie Tribute eintreiben konnten.

Nachdem sich die römischen Truppen aus Britannien zurückgezogen hatten, also 410 oder vielleicht ein bisschen später, beherbergte das Intervallum fünf, vielleicht auch sechs oder sieben einheimische Königreiche. Manche sind besser belegt als andere. »Galwyddel« (Galloway) nahm die Länder der Novantae in Besitz. »Rheged« mit dem Zentrum Caer Ligualid (dem früheren Luguvalium und heutigen Carlisle), dehnte sich auf beiden Seiten des Hadrianswalls aus. Es verfügte über eine ganz und gar römische Hauptstadt inklusive Stadtmauer, Bischof, Aquädukt und Stadtbrunnen, der noch 250 Jahre später in Betrieb war. Irgendwann im 5. Jahrhundert wurde es von Coel Hen, dem eigentlichen »Old King Cole«, regiert, der viel Zeit auf Feldzügen in Aeron – dem späteren Ayrshire – verbrachte und dessen Name am Anfang der walisischen genealogischen Liste steht, die unter dem Namen »Die Abstammung der Männer des Nordens« (Bonedd Gwyr y Gogledd) bekannt ist.18 An der Ostküste beherrschten »Manau« (Clackmannan) und »Lleddiniawn« (Lothian) die einander gegenüberliegenden Küsten des Firth of Forth. Es ist unklar, ob es sich hier um zwei Reiche handelt, zusammen jedenfalls gelten sie als die Heimat der »Guotadin«, wie die Votadini auf Keltisch eigentlich heißen. Dieses »Land der Gododdin« (um eine modernere Form des Namens zu verwenden) könnte durchaus ebenfalls unter der Herrschaft von Coel Hen gestanden haben, bevor es sich lossagte. Wie Rheged wurde es schon früh vom Christentum beeinflusst. Auf dem Friedhof seiner Hauptstadt Dun Eidyn fanden sich zahlreiche christliche Gräber. Das benachbarte »Bryneich« umfasste die Küsten südlich von Gododdin und auf beiden Seiten des Hadrianswall. Im Vergleich zu diesen Reichen verharrte Alt Clud noch eine Zeit lang im Schatten der Geschichte.19

Im 5. Jahrhundert rückten die Ereignisse im Intervallum durch die Aktivitäten dreier Männer, die Aufmerksamkeit auch von außen auf sich zogen, zumindest ein wenig ins Licht: Cunedda, Patrick und Ninian. Cunedda ap Edern, der »Gute Führer«, war ein Krieger aus Gododdin, der um 425 einen Feldzug ins ferne Gwynedd in Nordwales führte, um eine nicht willkommene Kolonie irischer Siedler zu vertreiben. Nachdem er diese Mission erfolgreich beendet hatte, zog er als einer der frühen walisischen Helden und Urvater des Herrscherhauses von Gwynedd in die Geschichte ein. Seine Expedition, wie sie sich in der Historia Brittonum darstellt, einem späteren historischen Werk, das am Hofe eines Nachfolgers entstand, könnte von einem Solidaritätsgefühl unter den Cymry angeregt worden sein.20

Cuneddas Geschichte zeigt, dass die schlechte Quellenlage mehr Fragen aufwirft, als beantwortet. Die Interpretation der Königslisten ist noch immer ebenso schwierig wie rätselhaft. Die frühesten Kompilationen dieser Epochen finden sich in den Harleian Genealogies, einer Handschriftensammlung der British Library aus einer Zeit lange nach der Regierung der dort genannten Könige. Die Texte stammen vor allem aus Wales, nicht aus Nordbritannien, und dürften ein Versuch der mittelalterlichen Waliser sein, die Erinnerung an ihre untergegangenen nördlichen Verwandten zu bewahren. Sie enthalten nur wenige verlässliche Daten und sind voller sich wiederholender Namen und außergewöhnlicher Schreibungen, die man kaum bestimmten Individuen zuordnen kann.

Die Wissenschaftler, die sich mit diesen Listen beschäftigen, müssen auf eine Zählung der Generationen, auf gründliche Quellenvergleiche und endlose Vermutungen zurückgreifen. Überdies haben sie die Praxis der sogenannten tanistry anstelle der Primogenitur zu berücksichtigen, also die Ernennung eines geeigneten Nachfolgers, der nicht notwendigerweise der Sohn des Herrschers ist. Man fühlt sich an die Situation früher Ägyptologen erinnert, die die Regierungszeiten und Dynastien der Pharaonen zusammenstellten.

Patrick ist die am besten dokumentierte und am intensivsten erforschte historische Gestalt dieser Epoche. Er war ganz sicher ein Brite aus dem Norden, der als Junge von irischen Piraten entführt und in die Sklaverei verkauft wurde. Er flüchtete, bekam in Gallien eine geistliche Ausbildung und kehrte dann als Leiter einer Mission zur Bekehrung Irlands dorthin zurück. Leider sind die Daten und Orte jenes Abschnitts seiner Biografie, in dem es um Britannien geht, sehr umstritten. Sein Geburtsort, in seinen Schriften als villula oder »kleines Landgut« nahe eines vicus Bannevem Taberniae beschrieben, ist »überzeugend« einem Dorf etwa zwanzig Kilometer landeinwärts von Caer Ligualid (Carlisle) zugeordnet worden.21 Eine alternative Lokalisierung, ein Dorf, das Patricks Namen trägt, nur einen Steinwurf von Dumbarton Rock entfernt, wird häufig außer Acht gelassen,22 ebenso wie eine Lokalsage über den Jungen »Succat«, der von Piraten mitgenommen wurde, als er an der Clota fischte. Fakt bleibt aber, dass einer der beiden erhaltenen Briefe aus Patricks Feder an die milites Corotici adressiert ist, die er dafür tadelt, dass sie sich mit den Pikten verbündet haben und auf eine Art und Weise Krieg führen und plündern, die Römern und Christen nicht geziemt:

 

Ich, Patrick, ein Sünder, sehr schlecht ausgebildet, erkläre, dass ich ein Bischof in Irland bin … Ich lebe unter barbarischen Stämmen als Exilant und Flüchtling um der Liebe Gottes willen … Ich habe mit eigener Hand diese Worte geschrieben und festgehalten, die feierlich den Soldaten des Coroticus gegeben, zugetragen und gesandt werden sollen. Ich sage nicht: »An meine Mitbürger« … sondern: »An die Mitbürger des Teufels« wegen ihres üblen Verhaltens.

An dem Tag, nachdem die Neugetauften, noch das Chrisam tragend, noch in ihrem weißen Gewand … gnadenlos massakriert und hingeschlachtet worden waren, sandte ich durch einen heiligen Presbyter gemeinsam mit anderen Geistlichen einen Brief. Sie wurden ausgelacht.

Hier wurden Deine Schafe zerfleischt … durch Verbrecher auf Geheiß des Coroticus. Jemand, der Christen verräterisch in die Hände von Skoten und Pikten gibt, ist der Liebe Gottes entfremdet. Gierige Wölfe haben die Herde des Herrn in Irland aufgefressen, die durch harte Arbeit so schön gewachsen war …

Es ist der Brauch der römischen Gallier, die Christen sind, den Franken Botschaften zu senden … und Getaufte, die in Gefangenschaft geraten sind, freizukaufen. Du dagegen ermordest sie und verkaufst sie an fremde Menschen, die Gott nicht kennen. Du lieferst praktisch die Glieder Christi einem Bordell aus …

Deshalb trauere ich um dich, mein Liebster … Andererseits aber freue ich mich für jene getauften Gläubigen, die diese Welt für das Paradies verlassen haben … Die Guten werden feiern in der Gemeinschaft mit Christus. Sie werden über Völker richten und über gottlose Könige herrschen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.23

Übereinstimmend wird dieser Coroticus mit Ceredig Gueldig bzw. Ceretic Guletic gleichgesetzt mit dem frühesten bekannten Herrscher von Dumbarton Rock. Was wäre also für Patrick natürlicher gewesen, als den Fürsten seines Heimatlandes anzusprechen, nachdem er Bischof geworden war? Die Soldaten des Coroticus hätte er als »meine Mitbürger« angesprochen, wenn sie nicht so viele Schandtaten begangen hätten. Die Anrede civis, »Bürger«, war die höchste Achtungsbezeigung unter den damals römischen Briten. Auf jeden Fall war, so viel ist ganz sicher festzuhalten, der hl. Patrick wie auch der hl. David ein Waliser.

Gleiches gilt für den hl. Ninian, der laut Beda von Carlisle ausgesandt wurde, um die südlichen Pikten zu missionieren. Leider gibt es keinen Hinweis auf ein Datum (allerdings spricht man sich allgemein für das 5. Jahrhundert aus) und keine genauere Spezifizierung der »südlichen Pikten«. Falls der Ausdruck sich auf die Novantae und Selgovae bezieht, könnte die Gründung der christlichen Gemeinschaft in Candida Casa (heute Whithorn) in Galloway auf Ninian zurückgehen. Der dort gefundene »Stein des Latinus«, ein christlicher Grabstein, stammt aus der Zeit um 450 n. Chr. Wenn die Caledonier von Fortriu gemeint waren, hätte er das Gebiet des Königreichs Strathclyde durchqueren müssen, um dorthin zu kommen.24

Die Geografie wie die Chronologie der beiden nachgewiesenen nördlichen Könige des 5. Jahrhunderts, Coel Hen und Ceredig Gueldig (Coroticus), ist unsicher. Es ist möglich, dass Coel Hen anfangs über ein Territorium vom Clyde bis nach Eboracum (York) herrschte. Doch nachdem Coel Hen um 420 in einem Sumpf bei Tarbolton in Aeron ertränkt worden war, kann man durchaus damit rechnen, dass sich Alt Clud von Rheged lossagte, etwa so, wie es Gododdin wohl getan hatte. In diesem Szenario wird Ceredig zu einem Nachfolger und möglicherweise zu einem Nachkommen von Coel Hen und zum Gründer der Dynastie von Dumbarton Rock. Ceredigs vermutete Nachfolger – Erbin, Cinuit, Gereint, Tutagual und Caw – sind nichts als Namen.

Die Historizität von Ceredig Gueldig basiert auf entsprechenden Hinweisen in den Harleian Genealogies und wird durch eine weitere Erwähnung in den Annalen von Ulster gestärkt, wo er im Zusammenhang mit Patricks Abenteuern als Coirtech rex Aloo auftaucht.25 »Aloo«, das mehrfach genannt wird, ist offenbar eine Kurzform von Alauna. Die frühmittelalterlichen Annales Cambriae (Annalen von Wales), die in St David’s zusammengestellt wurden, nennen ihn »Ceretig Guletic map Cynlop« (Ceredig der Reiche, Sohn des Cynloyp).26 Er bleibt zwar schattenhaft, ist aber klarer zu identifizieren als sein weitaus berühmterer Zeitgenosse König Arthur.

Bis zu diesem Punkt kann man die Geschichte von Alt Clud ganz und gar im Zusammenhang der nachrömischen britischen Stämme erzählen. Im 6. Jahrhundert jedoch verändert sich die Situation radikal. Zunächst einmal fassten die germanischen Angeln, ein weit vorausziehender Teil jener Angelsachsen, die sich anschickten, Südbritannien zu übernehmen, an der Küste von Gododdin und Bryneich Fuß. Dann gründeten die gälischen Skoten aus Dalriada in Ulster einen ähnlichen Außenposten an der nordwestlichen Küste in der Nähe, aber etwas oberhalb von Dumbarton Rock. Seitdem hing die Zukunft des Intervallum vom Ergebnis der Auseinandersetzungen zwischen vier Völkern ab: den ansässigen Briten und Pikten und den neu angekommenen Angeln und Skoten. Dreihundert Jahre später traten als fünfte Partei in der Endphase dieses Gerangels die Wikinger als wichtiger Katalysator auf.

Laut Beda »trat Ida seine Herrschaft im Jahr 547 an«. Nach Auskunft des walisischen Mönches, der nach Beda lebte und im fernen Gwynedd die Historia Brittonum zusammenstellte, »vergrößerte Ida Berneich um Din Guauroy«.27 Ida Flamdwyn (der Flammenträger) war ein Angelsachse aus dem Süden. Berneich oder Bryneich war der ursprüngliche britisch/keltische Name des Reiches, das er und seine Nachkommen regierten und anglisierten und das allgemein unter seiner lateinischen Bezeichnung Bernicia bekannt ist. Din Guauroy war der britische Name der beeindruckenden und praktisch uneinnehmbaren Burg in Bamburgh.

Zunächst gründeten Idas Angeln einen kleinen, isolierten Vorposten. Anders als andere Angelsachsen vermischten sie sich schnell mit den einheimischen Briten – »die einzige erkennbar germano-keltische kulturelle und politische Verschmelzung in Britannien«.28 Langfristig verfolgten sie, ausgehend von ihrer günstigen Position an der Küste, die Strategie, Verbindungen zu ihren Verwandten im Königreich Deur oder Deira im Süden zu knüpfen und ein vereinigtes Reich der Angeln in Northumbria (also »nördlich des Humber«) zu schaffen. Gleichzeitig eroberten sie weiterhin kleine Gebiete auf Kosten der umgebenden britischen Reiche Rheged und Gododdin.

Die gälischen Skoten an der Westküste gingen ähnlich vor. Die Theorie, dass sie in einer einzigen Massenbewegung von Irland her eingewandert seien, ist heute widerlegt: Es ist durchaus möglich, dass es schon sehr viel früher »skotische« (also irische) Siedlungen auf beiden Seiten des North Channel gab. Politisch wichtig jedoch war die Ausweitung des gälischen Königreichs Dalriada von Ulster auf die britische Küste, ein Territorium, das in der Folge »Argyll« oder »Küste der Gälen« genannt wurde und in dem Aedan macGabrain 574 die Regierung antrat. Die groben Umrisse dieser Herrschaft kennen wir, weil der hl. Columban (um 521–597) kurz zuvor eine christliche Gemeinschaft auf der Insel Jona gegründet hatte und dessen Biograf Adamnan eine gut informierte und ausführliche Quelle ist.29 Die strategischen Anliegen der Gälen von Argyll sind nicht schwer zu erraten: Einerseits zielten sie sicher darauf, die Verbindung zwischen Argyll und Ulster zu stärken, insbesondere indem sie ihre Seemacht entwickelten. Andererseits versuchten sie, ihr Territorium auf Kosten der benachbarten Reiche – vor allem der Pikten im Binnenland und der Briten von Alt Clud – auszudehnen, wurden aber immer wieder in ihre Schranken gewiesen.

Das ist der Kontext eines der vielen Handlungsfäden im großen Rätsel um König Arthur. Wir können es sicher nicht auf diesen wenigen Seiten lösen. Die Literatur zum Thema ist gewaltig, und die dort gezogenen Schlüsse widersprechen einander manchmal vollkommen. So mag es genügen festzustellen, dass es zwei Könige dieses Namens gab, eine schwer greifbare, aber historische Gestalt aus dem 6. Jahrhundert und einen sagenhaften mittelalterlichen Helden, dessen Taten von Barden und Märchenerzählern einer viel späteren Zeit ausgeschmückt wurden. Insgesamt gibt es eine deutliche Tendenz von Arthur-Fans aus England, davon auszugehen, dass er in England lebte und kämpfte, und von Arthur-Fans aus den Grenzregionen, zu beweisen, dass er aus Marchidun alias Roxburgh stammte. Arthur-Fans aus Glasgow lokalisieren ihn entschlossen in Drumchapel, und Arthur-Fans aus dem Clan MacArthur prahlen so sehr, dass es des verstorbenen Generals Douglas MacArthur würdig ist.30 Allerdings schweigen Beda und Gildas zu dem Thema, während die Historia Brittonum dreizehn Schlachtfelder eines »berühmten dux bellorum« nennt, die man noch nicht identifizieren konnte. Der historische Arthur war sicher Brite, da er sich durch den Widerstand gegen die Feinde der Briten einen Namen machte. Alles Weitere ist die Suche nach ähnlich klingenden Ortsnamen in einem Wust halbhistorischer Überlieferungen. Dennoch kann man vom jüngsten Lobbying zugunsten der Ansicht, dass Arthur ein Held des Nordens – im Gegensatz zu Südbritannien – sei, nur beeindruckt sein. Die Verwirrung rund um Damnonia und Dumnonia oder die falsche Zuschreibung walisischer Legenden aus dem »Alten Norden« durch Geoffrey von Monmouth im 12. Jahrhundert kann jeder nachvollziehen. Darüber hinaus kann man nur sagen, dass der Felsen von Dumbarton kaum weniger plausibel ist als Tintagel. Alt Clud war Antiquaren als Castrum Arturi bekannt, und in der Nähe findet man heute noch einen Arthur’s Stone und einen King’s Ridge.31

Lokalhistoriker waren da weniger zurückhaltend.32 In seinem Buch Glasgow and Strathclyde schreibt James Knight überaus anschaulich:

Sorgfältige Forschung scheint zu zeigen, dass wir, wenn wir die Arthur-Legenden zu ihren Ursprüngen zurückverfolgen, bei einer realen historischen Person landen … dem Anführer eines britischen Bündnisses in Strathclyde im Jahrhundert nach Ninian. Seine Feinde waren die heidnischen Skoten im Westen, die Pikten im Norden und die Angeln im Osten … Als Folge eines Sieges am Bowden Hill (West Lothian) im Jahr 516 teilte er die eroberten Territorien unter drei Brüdern auf, Urien [von Rheged], Arawn … und I lew oder Loth, König der Pikten … Loth war der Vater von Thenaw … der Mutter von Kentigern oder Mungo, dem eigentlichen Gründer von Glasgow und Schutzheiligen der Stadt … Im Jahr 537 bildete sich ein neuer heidnischer Bund unter Modred, Arthurs Neffen, und bei Camelon nahe Falkirk wurde eine große Schlacht ausgefochten, in der beide Anführer fielen und in deren Folge das Christentum in Schottland eine ganze Generation lang unterdrückt wurde.33

Was auch immer wir davon halten, jedenfalls kommt hier der hl. Mungo ins Spiel, auch Kentigern, der »Oberste Herr«, genannt. Als einer der beliebtesten Heiligen des mittelalterlichen Britannien lebte er im 6. Jahrhundert und starb als »sehr alter Mann« um 613. Wenn die Catholic Encyclopedia mit dem dort angegebenen Geburtsjahr 518 recht hat, könnte er fünfundneunzig Jahre alt geworden sein. Festeren Boden unter den Füßen hätten die Historiker, wenn seine Vita, im 12. Jahrhundert von einem Mönch verfasst, nicht einfach eine konventionelle Heiligengeschichte wäre – eine bunte Mischung aus Fakten, unglaubwürdigen Geschichten und zweifelhaften Berichten von Wundertaten.34

 

Angeblich wurde der Heilige am Strand von Culross in Fife geboren. Seine Mutter Tenew, Königin von Lleddiniawn, war in einem kleinen Ruderboot ausgesetzt worden – so wollte ihr Ehemann sie für einen Ehebruch strafen. Sie wurde irgendwie vom hl. Servanus gerettet, der zwar eigentlich ein Jahrhundert später lebte, aber dennoch das Kind sah und es auf Altwalisisch Mwn gu, »Mein Lieber« nannte. Nach seiner Ausbildung durch die Mönche in Culross kam Mungo entweder nach Rheged oder nach Dumbarton Rock. Einem Bericht zufolge soll er zu Fuß zum Clyde gewandert sein, um den Leichnam eines alten Mannes auf einem von zwei wilden Stieren gezogenen Karren zum christlichen Friedhof am Bach Molendinar am Fuße des Felsens in Dumbarton zu bringen, wo er den unbekannten Titel eines »Bischofs von Nordbritannien« annahm.

Seine wichtigsten Jahre verbrachte Mungo in Gwynedd, wohin er auf Einladung des hl. Dewi oder David kam, des Schutzpatrons von Wales und Begründers des walisischen Klosterwesens. Mit Davids Hilfe gründete er eine Kirche in Llanelwy, in der der hl. Asaph als Diakon diente; Llanelwy ist das heutige St. Asaph in Flintshire. Um 580 wurde Mungo von Roderick oder Rhydderch Hael, einem König von Alt Clud in der 5. oder 6. Generation nach Ceredig, nach Clydeside zurückgerufen. Auf Rhydderchs Bitte hin gründete er eine Kirche in Glas-gau, der »blau-grünen Wiese«, starb in einem gesegneten Alter und wurde in der Krypta beigesetzt. Sein Grab wurde – wie nicht anders zu erwarten – zur Pilgerstätte.

Mungos Wunder, die in der Überlieferung der folgenden Jahrhunderte ihre endgültige Form bekamen, kann man sich am besten mit Hilfe eines Reims merken: »Hier ist der Vogel, der nie flog, hier ist der Baum, der sich nie bog. Hier ist die Glocke, die nie klang, hier ist der Fisch, der niemals schwamm.«35 Die vier Symbole Vogel, Baum, Glocke und Fisch finden sich im modernen Stadtwappen von Glasgow wieder. Der Vogel steht für den zahmen Spatzen des hl. Servanus, den Mungo wieder zum Leben erweckte. Der Baum repräsentiert einen toten Ast, dem Mungo die Fähigkeit verlieh, in Flammen aufzugehen. Die Glocke brachte Mungo angeblich von seiner Reise nach Rom mit, und der Fisch ist ein Lachs, unsterblich geworden in der Sage »Vom Lachs und dem Ring«:

Vor langer, langer Zeit nahm sich König Rhydderchs Königin Languoreth einen heimlichen Geliebten, einen jungen Soldaten. Als Unterpfand ihrer Liebe gab sie dem Soldaten dummerweise einen Ring, den ihr Ehemann ihr zuvor geschenkt hatte. Als der König den Ring am Finger des Soldaten sah, gab er ihm Wein und entwaffnete ihn. Er nahm den Ring an sich und warf ihn in die Fluten des Clyde. Dann verurteilte er den Soldaten zum Tode und warf die Königin in ein Verlies.

In ihrer Verzweifelung wandte sich die Königin an den hl. Mungo um Rat. Der Heilige schickte sofort einen Diener los, der den ersten Fisch, den er im Fluss fangen würde, zu ihm bringen sollte. Er kam mit einem Lachs zurück, in dem man, als man ihn aufschnitt, den fehlenden Ring fand. Der Zorn des Königs war besänftigt. Er begnadigte den Soldaten und vergab der Königin.36

In manchen Berichten tragen Rhydderch und Languoreth die Bezeichnung »Herren von Cadzow«, einer Ortschaft südlich von Glasgow, in der später eine königliche Burg stand und die in moderner Zeit der Sitz der Herzöge von Hamilton war. Mungo taucht auch in manchen Geschichten der Arthur-Sage auf; man hat bei Textanalysen Ähnlichkeiten zwischen der Sage »Vom Lachs und dem Ring« und der Liebesgeschichte von Lancelot und Guinevere gefunden.

Es steht allerdings außer Frage, dass Urien, der König von Rheged, zu Mungos Zeit der mächstigste Herrscher war. Uriens lateinischer Name lautete Urbigenus oder »Stadtgeborener«, was auf einen gewissen Grad an Romanitas hindeutet. Er herrschte über ein Reich, das sich von den südlichen Rändern Glas-gaus bis zur Umgebung von Mancunium erstreckt, wo ein Vorposten namens Reged-ham (das heutige Rochdale) seine Macht bezeugte. Der Königssitz befand sich in Dun Rheged (Dunragit) in Galloway; die wichtigste Stadt war Caer Ligualid (Carlisle), die wichtigste Kommunikationsader der Solway, der aufs offene Meer und nach Irland führte. Urien verdiente sich den altwalisischen Beinamen Y Eochydd, »Herr der Kabbelung«, was vermuten lässt, dass Rheged ebenso wie Alt Clud und Dalriada eine bedeutende Seemacht war.

Im späten 6. Jahrhundert erkannten die Briten des Nordens die von den Angeln ausgehende Gefahr, und Urien schmiedete eine große Koalition gegen die Eindringlinge. Zu seinen Verbündeten gehörten Rhydderch Hael von Alt Clud, Guallauc aus Lennox, Morgant von Süd-Gododdin, Aedan macGabrain von Argyll und König Fiachna von Ulster. Im Jahr 590 machten sie sich auf, Bernicia von der Landkarte zu tilgen. Die Iren erstürmten irgendwie die Höhen von Bamburgh, und die verbliebenen Reste der Garnison fanden Zuflucht auf Medcaut, der »Insel der Gezeiten«, wie die Angeln Lindisfarne nannten. Urien begann eine Belagerung der Insel. Er stand kurz vor einem völligen Sieg, als er einem Hinterhalt des eifersüchtigen Morgant zum Opfer fiel. Die Einheit der Briten löste sich auf, und die Ambitionen des Königreichs Rheged endeten.

Auch die Königslisten für das 6. Jahrhundert, etwa Bonedd Gwyr y Gogledd, »Die Abstammung der Männer des Nordens«, enthalten für Alt Clud nur einen einzigen eindeutig zuzuordnenden Namen und eine Handvoll zweifelhafter. Genau wie die Historizität des Ceredig (Coroticus) durch Verbindungen zum hl. Patrick belegt ist, wird die Existenz Rhydderch Haels durch seine Bande zum hl. Columban bestätigt. Adamnan berichtet, der hl. Columban habe den Königshof von Dumbarton Rock besucht, und er macht Rhydderch zum Gegenstand einer Prophezeiung des Heiligen:

Eines Tages schickte der König, ein Freund des heiligen Mannes, Lugbe moccu Min zu diesem mit einer Art Gelieimbotschaft … da er wissen wollte, ob er von seinen Feinden niedergemacht würde oder nicht. Als Lugbe vom Heiligen über den König und seine Herrschaft und sein Volk befragt wurde … sprach der Heilige: »Niemals wird er den Händen seiner Feinde ausgeliefert werden, vielmehr wird er zu Hause auf seinem eigenen Federbett sterben.« Diese Vorhersage über König Roderc wurde voll erfüllt. Denn gemäß dem Wort des Heiligen starb er in seinem eigenen Bett einen friedvollen Tod.37

Rhydderch Hael kommt in Bonedd Gwyr y Gogledd vor, und seine Regierungszeit wird üblicherweise mit um 580 bis 618 angegeben, damit sie mit den Lebensdaten des hl. Columban in Einklang steht. Adamnan beschreibt ihn als filius Tothail und gibt damit für Rhydderchs Vater Tutagual eine Regierungszeit irgendwo zwischen 560 und 580 vor. Alle weiteren Identifizierungen jedoch sind hoffnungslos. Und auch bei Rhydderchs Nachfolgern stochern die Historiker weitgehend im Nebel. Dumnagual Hen, Clinoch und Cinbellin sind Namen ohne Daten und Gesichter. Es werden nicht weniger als fünf Fürsten namens Dumnagual aufgeführt. Einer von ihnen, der offenbar drei Söhne hatte, könnte möglicherweise der Vater des Chronisten Gildas gewesen sein.38

Im 7. Jahrhundert wurde der Alte Norden durch religiöse Dispute wie auch durch schwere Kämpfe erschüttert. Die Deutungen gehen zwangsläufig auseinander, aber alle Kommentatoren stimmen darin überein, dass die Schlachten von Catraeth, Whitby und Nechtansmere wichtige Meilensteine der Geschichte der Region waren.

Die Schlacht von Catraeth um das Jahr 600 war ein Nebenprodukt der fortgesetzten Feindschaft zwischen Briten und Angeln. Verschärft wurde der Konflikt noch durch die Befürchtungen der keltischen Kirche, die sicher von der römischen Mission des hl. Augustinus von Canterbury in Südbritannien erfahren hatte.39 Die Krise spitzte sich nur zehn Jahre nach Uriens Ermordung wieder zu. Diesmal war es Yrfai, Sohn des Wulfsten, Herr von Nordgododdin, der das Bündnis zusammenrief. Er lud dreihundert Krieger nach Dun Eidyn, bewirtete sie monatelang festlich und zog dann mit ihnen in die Schlacht. Fürsten aus Piktland und Gwynedd schlossen sich ihm an. Gleiches tat auch Cynon, Sohn von Clydno Eidyn, Herr von Alt Clud, dessen Name eine Verwandtschaft mit Yrfai vermuten lässt. Das Bündnis schickte eine berittene Elitetruppe weit nach Süden, über Bernicia und über den Hadrianswall hinaus in die östlichen Länder Rhegeds. Sie nannten sich selbst Y Bedydd – »die Getauften« – und nahmen für sich in Anspruch, den alten Glauben gegen die anglischen Gynt oder »Heiden« zu verteidigen. Ihre Heldentaten sind im größten aller frühen altwalisischen Epen aufgezeichnet. Der Anfangssatz in der einzigen erhaltenen Handschrift, dem sogenannten Buch Aneirins, gibt den Namen des Gedichts und seines Autors an:

Hwn yw e gododdin, aneirin ae cant. 40

(Dies ist das Gododdin, Aneirin sang es.)

Es folgt eine lange Sammlung von Elogien auf die gefallenen Krieger. Einer von ihnen wurde Madauc oder Madawg genannt:

Ni forthïnt ueiri molüt nïuet,