Kitabı oku: «Der ewige Spießer», sayfa 2
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Kobler rasierte sich gerade, und die Perzl brachte ihm das neue Handtuch. »Ende gut, alles gut«, triumphierte sie. »Ich bin Ihnen direkt dankbar, daß Sie diesen Grafen endlich energisch hinauskomplimentiert habn! Ich freu mich wirklich sehr, daß ich den Strizzi nimmer zu sehn brauch!«
Halt 's Maul, Perzl! dachte Kobler und setzte ihr spitz auseinander, daß sie den Grafen total verkenne, man müsse es ihm nur manchmal sagen, daß er ein unmöglicher Mensch sei, sonst würd er sich ja mit sich selber nicht mehr auskennen. Im Moment sei er freilich gekränkt, aber hernach danke er einem dafür. – »So, und jetzt bringens mir etwas heißes Wasser!« sagte er und schien keinen Widerspruch zu dulden.
Sie brachte es ihm, setzte sich dann auf den kleinsten Stuhl und sah ihm aufmerksam zu. Sich rasierenden Männern hatte sie schon immer vieles verzeihen müssen. Das lag so in ihrem Naturell. Er hingegen beachtete sie kaum, da er es schon gar nicht mochte, daß sie mit ihrem Rüssel in seinem Privatleben herumwühlte.
»Also einen Großonkel hab ich nie gehabt«, ließ sie sich schüchtern wieder vernehmen, »aber wie mein Stiefbruder gestorben ist ...«
Kobler unterbrach sie ungeduldig: »Also das mit dem sterbenden Großonkel war doch nur Stimmungsmache, damit ich ihm leichter was leih! Der Graf ist nämlich sehr raffiniert. Er ist aber auch sehr vergeßlich; bedenken Sie, daß er im Krieg verschüttet war. Er ist doch nicht mehr der Jüngste. Heutzutag muß man über Leichen gehen, wenn man was erreichen will. Ich geh aber nicht über Leichen, weil ich nicht kann. So, und jetzt bringens mir etwas kaltes Wasser!«
Sie brachte ihm auch das kalte Wasser und betrachtete treuherzig seinen Rücken. »Darf man ein offenes Wort sagen, Herr Kobler?« – Kobler stutzte und fixierte sich selbst im Spiegel. Offen? überlegte er. Offen? Aber dann kündig ich zum ersten Oktober! Langsam wandte er sich ihr zu. »Bitte!« sagte er offiziell.
»Sie wissen's ja jetzt, wie hoch ich den Herrn Grafen einschätz, aber trotzdem hat er vorhin in einem Punkt recht gehabt, nämlich was das Reisen betrifft. Wenn ich jetzt Ihr Geld hätt, ließ ich sofort alles liegen, wie's grad liegt, nur naus in die Welt!« Also das ist der ihr offenes Wort, dachte Kobler beruhigt und wurde auffallend überlegen: »Sagen Sie, Frau Perzl, warum horchen Sie denn immer, wenn ich Besuch empfange?« »Ich hab doch nicht gehorcht!« protestierte die Perzl und gestikulierte sehr. »Ich war doch grad am Radio, aber ich hab schon kein Ton gehört von dem klassischen Quartett, so laut haben sich die beiden Herren die Meinung gesagt! Könnens mir glauben, ich hätt mich lieber an der Musik erbaut, als Ihr urdanäres Gschimpf mit angehört!« »Schon gut, Frau Perzl, so war es ja nicht gemeint«, trat Kobler den Rückzug an, während sie sich als verfolgte Unschuld sehr gefiel. »Wenn ich an all die fremden Länder denk«, sagte sie, »so hebt's mich direkt von der Erden weg, so sehr sehn ich mich nach Abbazia.«
Kobler ging auf und ab.
»Was Sie da über die weite Welt reden«, sagte er, »interessiert mich schon sehr. Nämlich ich hab mir schon oft gedacht, daß man das Ausland kennenlernen soll, um seinen Horizont zu erweitern. Besonders für mich als jungen Kaufmann wär's schon sehr arg, wenn ich hier nicht rauskommen tät, denn man muß sich mit den Verkaufsmethoden des Auslands vertraut machen. Also wie zum Beispiel ein Kabriolett mit Notsitz in Polen und wie das gleiche in Griechenland verkauft wird. Das werden zwar oft nur Nuancen sein, aber auf solche Nuancen kommt's halt oft an. Es wird ja immer schwerer mit dem Dienst am Kunden. Die Leut werden immer anspruchsvoller und –« Er stockte, denn plötzlich durchzuckte es ihn schaurig: Wer garantiert mir, daß ich noch einen Portschinger find?
Niemand garantiert dir, Alfons Kobler, kein Gott und kein Schwein, so ging es in ihm zu. Er starrte bekümmert vor sich hin. »Nichts ist der Kundschaft gut und billig genug«, meinte er traurig und lächelte resigniert.
»Sie werden im Ausland sicher viel lernen, was Sie dann opulent verwerten können«, tröstete ihn die Perzl. »Was Sie nur allein an Kunstschätzen sehn werden! In Paris den Louvre, und im Dogenpalast hängt das Porträt eines alten Dogen, der schaut einen immer an, wo man auch grad steht. Aber besonders Florenz! Und das Forum Romanum in Rom! Überhaupt die Antike!« Doch Kobler wehrte ab: »Also für die Kunst hab ich schon gar nichts übrig! Haltens mich denn für weltfremd? Dafür interessieren sich doch nur die Weiber von den reichen Juden, wie die Frau Autobär, die von der Gotik ganz weg war und sich von einem Belletristen hat bearbeiten lassen!« Die Perzl nickte deprimiert. »Früher war das anders«, sagte sie.
»Bei mir muß alles einen Sinn haben«, konstatierte Kobler. »Habens das ghört, was der Graf über die Ägypterin mit den Pyramiden gewußt hat? Sehens, das hätt einen Sinn!«
Die Perzl wurde immer deprimierter. »Ihnen tät ich's von Herzen gönnen, lieber Herr!« rief sie verzweifelt. »Hätt doch nur auch mein armer Sohn einen Sinn ghabt und hätt sich so eine reiche Ägypterin rausgsucht statt das Mistvieh von einer Tippmamsell, Gott verzeih ihr die Sünd!«
Sie schluchzte.
»Kennen Sie Zoppot?« fragte Kobler.
»Ich kenn ja nur alles von vor dem Krieg! Mein Mann selig ist viel mit mir rumgefahren. Sogar auf den Vesuv hat er mich nauf. Oh, wie möcht ich mal wieder nauf!«
Sie weinte.
»Beruhigen Sie sich«, sagte Kobler. »Was nicht geht, geht nicht!«
»Damit tröst ich mich auch«, wimmerte die Perzl. Dann nahm sie sich zusammen.
»Pardon, daß ich Sie molestiert hab«, lächelte sie geschmerzt. »Aber wenn ich Sie wär, würd ich morgen direkt nach Barcelona fahren, dort ist doch jetzt grad eine Weltausstellung. Da müssens in gar kein Luxushotel, da könnens solche Ägypterinnen leicht in den Pavillonen kennenlernen, das ist immer so in Weltausstellungen. In der Pariser Weltausstellung hab ich mal meinen Seligen verloren, und schon spricht mich ein eleganter Herr an, und wie ich ihn anschau, macht er seinen Ulster auf und hat nichts darunter an, ich erwähn das nur nebenbei.«
6
Kobler betrat ein amtliches Reisebüro, denn er wußte, daß einem dort umsonst geantwortet wird. Er wollte sich über Barcelona erkundigen und wie man es am einfachsten erreichen tät. Zoppot hatte er nämlich fallenlassen, da er von der Perzl überzeugt worden war, daß an einem Orte, wo die ganze Welt ausstellt, wahrscheinlich eine bedeutend größere Auswahl Ägypterinnen anzutreffen wäre als in dem luxuriösesten Luxushotel. Außerdem würde er dabei auch die ganzen Luxushotelkosten sparen, und wenn es nichts werden sollte mit den Ägypterinnen (was er zwar nicht befürchtete, aber er rechnete mit jeder Eventualität), so könnte er seine Kenntnisse im Automobilpavillon vervollständigen und das Automobilverkaufswesen der ganzen Welt auf einmal überblicken. Ich werd das Geschäftliche mit dem Nützlichen verbinden, sagte er sich.
In dem amtlichen Reisebüro hingen viele Plakate mit Palmen und Eisbergen, und man hatte das Gefühl, als wär man schon nicht mehr in der Schellingstraße.
Fast jeder Beamte schien mehrere Sprachen zu sprechen, und Kobler horchte andächtig. Er stand an dem Schalter »Ausland«.
Vor ihm standen bereits zwei vornehme Damen und ein alter Herr mit einem gepflegten Bart. Die Damen sprachen russisch, sie waren Emigrantinnen. Auch der Beamte war ein Emigrant. Die Damen nahmen ihn sehr in Anspruch; er mußte ihnen sagen, wo gegenwärtig die Sonne scheint, am Lido, in Cannes oder in Deauville. Sie würden zwar auch nach Dalmatien fahren, meinten die Damen, auf die Preise käm's ja nicht an, auch wenn es in Dalmatien billiger wäre.
Der alte Herr mit dem gepflegten Bart war ein ungarischer Abgeordneter. Er nannte sich Demokrat und las gerade in seiner ungarischen Zeitung, daß die Demokratie Schiffbruch erleide, und nickte beifällig.
Die eine Dame streifte Kobler mit dem Blick. Sie streifte ihn sehr schön, und Kobler ärgerte sich, daß er kein Emigrant sei, während sich der bärtige Demokrat über MacDonald ärgerte. Man sollte jeden Demokraten ausrotten, dachte er.
Endlich gingen die beiden Damen. Der Beamte schien sie sehr gut zu kennen, denn er küßte der einen die Hand. Sie kamen ja auch jede Woche und erkundigten sich nach allerhand Routen. Gefahren sind sie aber noch nirgends hin, denn sie kamen mit ihrem Geld grad nur aus. Sie holten sich also jede Woche bloß die Prospekte, und das genügte ihnen. Mit der, deren Hand der Beamte küßte, paddelte er manchmal am Wochenend.
»Ich möchte endlich nach Hajdúszoboszló mit Schlafwagen«, sagte der mit dem Bart ungeduldig und sah den Kobler kriegerisch an. Was hat er nur? dachte Kobler. – Ob das auch ein Demokrat ist? dachte der Demokrat.
»Nach Hajdúszoboszló kann ich Ihnen leider keine Karte geben«, sagte der Beamte. »Ich hab sie nur bis Budapest hier.«
»Skandal«, entrüstete sich der Bart. »Ich werde mich bei meinem guten Freunde, dem königlich ungarischen Handelsminister, beschweren!«
»Ich bin Beamter«, sagte der Beamte. »Ich tu meine Pflicht und kann nichts dafür. Welche Klasse wollen Sie?«
Der mit dem Bart sah ihn unsagbar wehmütig und gekränkt an. »Erster natürlich«, nickte er traurig. »Armes Ungarn!« fiel es ihm ohne jeden Zusammenhang ein. Da trat ihm Kobler zufällig auf das Hühnerauge. »Was machen Sie da?!« brüllte der Bart. »Verzeihung«, sagte Kobler. »Also das ist sicher ein Demokrat!« zischte der Demokrat auf ungarisch.
»Bitte, gedulden Sie sich einige Augenblicke, ich muß erst nachfragen lassen, ob es noch Budapester Schlafwagenplätze gibt«, sagte der Beamte und wandte sich dann an Kobler: »Wohin?« »Nach Barcelona«, antwortete dieser, als wär das in der Nachbarschaft. Der Bart horchte auf. Barcelona, überlegte er, war vor Primo de Rivera eine Zentrale der anarchistischen Bewegung. Er ist mir auf das Hühnerauge getreten, und dritter Klasse fährt er auch!
»Barcelona ist weit«, sagte der Beamte, und Kobler nickte; auch der Bart nickte unwillkürlich und ärgerte sich darüber. »Barcelona ist sehr weit«, sagte der Beamte. »Wie wollen Sie denn fahren? Über die Schweiz oder Italien? Sie fahren zur Weltausstellung? Dann passen Sie auf: Fahren Sie hin durch Italien und retour durch die Schweiz. Preis und Entfernung sind egal, ja. Sie fahren hin und her dreiundneunzig Stunden, D-Zug natürlich. Sie brauchen das Visum nach Frankreich und Spanien. Wird besorgt! Nach Österreich, Italien und Schweiz brauchen Sie kein Visum, wird besorgt! Wenn Sie hier abfahren, sind Sie an der deutschen Grenze um 10.32 und in Innsbruck um 13.05. Ich schreib's Ihnen auf. Ab Innsbruck 13.28. An Brennero 15.23. Ab Brennero 15.30. An Verona 20.50. Ab Verona 21.44. An Milano 0.13. Ab Milano 3.29. Ab Genova 7.04. An Ventimiglia 11.27. An Marseille 18.40. An spanische Grenze Portbou 5.16. An Barcelona 10.00. Ab Barcelona 11.00.«
Und so schrieb ihm der Beamte auch noch alle Ankunfts- und Abfahrtszeiten der Rückfahrt auf: Cerbéres, Tarascon, Lyon, Genf, Bern, Basel, und zwar hatte er diese Zahlen alle im Kopf. Also das ist ein Gedächtniskünstler, dachte Kobler. Ein Zirkus!
»Und das kostet dritter Klasse hin und her nur einhundertsiebenundzwanzig Mark vierundfünfzig Pfennig«, sagte der Zirkus.
Hin und her?! Kobler war begeistert.
»Nur? Nicht möglich!« staunte er.
»Doch«, beruhigte ihn rasch der Beamte. »Deutschland ist bekanntlich mit das teuerste europäische Land, weil es den Krieg verloren hat. Frankreich und Italien sind bedeutend billiger, weil sie eine Inflation haben. Nur Spanien und die Schweiz sind noch teurer als Deutschland.«
»Sie vergessen Rumpfungarn«, mischte sich der Bart plötzlich ins Gespräch. »Rumpfungarn ist auch billiger als Deutschland, obwohl es alles im Kriege verloren hat. Es ist zerstückelt worden, meine Herren! Serbien und Kroatien sind dagegen noch billiger als Rumpfungarn, weil Amerika den Krieg gewonnen hat, obwohl militärisch wir den Krieg gewonnen haben!«
»Am Ende ist es anscheinend ganz wurscht, wer so einen Krieg gewinnt«, sagte Kobler. Der Bart blitzte ihn empört an. Ha, das ist ein Bolschewik! dachte er.
»Die Neutralen sind am besten dran, das sind heute die teuersten Länder«, schloß der Beamte die Debatte.
Kobler tat es aufrichtig leid, daß nicht auch Spanien und die Schweiz in den Weltkrieg verwickelt worden waren.
7
Am Abend bevor Kobler zur Weltausstellung fuhr, betrat er nochmals sein Stammlokal in der Schellingstraße, das war ein Café-Restaurant und nannte sich »Schellingsalon«. Er betrat es, um zu imponieren, und bestellte sich einen Schweinsbraten mit gemischtem Salat. »Sonst noch was?« fragte die Kellnerin. »Ich fahr nach Barcelona«, sagte er. »Geh, wer werd denn so blöd sein!« meinte sie und ließ ihn sitzen.
Da ging der Herr Kastner an seinem Tisch vorbei. »Ich fahr nach Barcelona!« rief ihm der Kobler zu, aber der Herr Kastner war schon längst vorbei.
Auch der Herr Dünzl ging an ihm vorbei. »Sie fahren nach Barcelona?« fragte der Dünzl bissig. »In diesen ernsten Zeiten, junger Mann ...«
»Kusch!« unterbrach ihn Kobler verstimmt.
Auch der Graf Blanquez ging vorbei. »Ich fahr nach Barcelona«, sagte Kobler. »Seit wann denn?« erkundigte sich der Graf.
»Seit heute.«
»Also dann steigst mir noch heut auf den Hut!« sagte der Graf.
Und auch der Herr Schaal ging vorbei. »Ich fahr nach Barcelona«, meinte Kobler. »Glückliche Reise!« sagte der brave Herr Schaal und setzte sich an einen andern Tisch.
Kobler war erschüttert, denn er wollte ja imponieren, und es ging unter keinen Umständen. Geduckt schlich er ins Klosett.
»Zu zehn oder fünfzehn?« fragte ihn die zuvorkommende alte Rosa. »Ich fahr nach Barcelona«, murmelte er. »Was fehlt Ihnen?!« entsetzte sich die gute Alte, aber Kobler schwieg beharrlich, und die Alte machte sich so ihre Gedanken. Als er dann wieder draußen war, schielte sie sorgenvoll durch den Türspalt, ob er sich auch ein Bier bestellt hätte. Ja, er hatte sich sogar bereits das zweite Glas Bier bestellt, so hastig hatte er das erste heruntergeschüttet, weil er niemandem imponieren konnte. Es ist schon alles wie verhext! sagte er sich.
Da kam sie, das Fräulein Anna Pollinger.
»Ich fahr nach Barcelona«, begrüßte er sie. »Wieso?« fragte sie und sah ihn erschrocken an. Er sonnte sich in ihrem Blick. »Dort ist doch jetzt eine internationale Weltausstellung«, lächelte er gemein, und das tat ihm sogar wohl, obzwar er sonst immer anständig zu ihr gewesen ist.
Er half ihr überaus aufmerksam aus dem Mantel und legte ihn ordentlich über einen Stuhl, dabei hatte er jedoch einen sehr höhnischen Gesichtsausdruck. Sie nahm neben ihm Platz und beschäftigte sich mit einem wackelnden Knöpfchen auf ihrem Ärmel. Das Knöpfchen war nur zur Zierde da. Sie riß es ab.
Dann erst sah sich Anna in dem Lokal um und nickte ganz in Gedanken dem Herrn Schaal zu, der sie gar nicht kannte. »Nach Barcelona«, sagte sie, »da tät ich schon auch gern hinfahren.« »Und warum fährst du nicht?« protzte Kobler. »Frag doch nicht so dumm«, sagte sie. –
Kennt ihr das Märchen von Fräulein Pollinger? Vielleicht ist noch einer unter euch, der es nicht kennt, und dann zahlt sich's ja schon aus, daß ihr's alle noch mal hört. Also:
Es war einmal ein Fräulein, das fiel bei den besseren Herren nirgends besonders auf, denn es verdiente monatlich nur hundertzehn Mark und hatte nur eine Durchschnittsfigur und ein Durchschnittsgesicht, nicht unangenehm, aber auch nicht hübsch, nur nett. Sie arbeitete im Kontor einer Kraftwagenvermietung, doch konnte sie sich höchstens ein Fahrrad auf Abzahlung leisten. Hingegen durfte sie ab und zu auf einem Motorrad hinten mitfahren, aber dafür erwartete man auch meistens was von ihr. Sie war auch trotz allem sehr gutmütig und verschloß sich den Herren nicht. Sie ließ aber immer nur einen drüber, das hatte ihr das Leben bereits beigebracht. Oft liebte sie zwar gerade diesen einen nicht, aber es ruhte sie aus, wenn sie neben einem Herren sitzen konnte, im Schellingsalon oder anderswo. Sie wollte sich nicht sehnen, und wenn sie dies trotzdem tat, wurde ihr alles fad. Sie sprach sehr selten, sie hörte immer nur zu, was die Herren untereinander sprachen. Dann machte sie sich heimlich lustig, denn die Herren hatten ja auch nichts zu sagen. Mit ihr sprachen die Herren nur wenig, meistens nur dann, wenn sie gerade mal mußten. Oft wurde sie dann in den Anfangssätzen boshaft und tückisch, aber bald ließ sie sich wieder gehen. Es war ihr fast alles in ihrem Leben einerlei, denn das mußte es ja sein, sonst hätte sie's nicht ausgehalten. Nur wenn sie unpäßlich war, dachte sie intensiver an sich.
Einmal ging sie mit einem Herrn beinahe über ein Jahr, der hieß Fritz. Ende Oktober sagte sie: »Wenn ich ein Kind bekommen tät, das wär das größte Unglück.« Dann erschrak sie über ihre Worte. »Warum weinst du?« fragte Fritz. »Ich hab es nicht gern, wenn du weinst! Heuer fällt Allerheiligen auf einen Samstag, das gibt einen Doppelfeiertag, und wir machen eine Bergtour.« Und er setzte ihr auseinander, daß bekanntlich die Erschütterungen beim Abwärts steigen sehr gut dafür wären, daß sie kein Kind kriegt. Sie stieg dann mit Fritz auf die westliche Wasserkarspitze, zweitausendsiebenunddreißig Meter hoch über dem fernen Meer. Als sie auf dem Gipfel standen, war es schon ganz Nacht, aber droben hingen die Sterne. Unten im Tal lag der Nebel und stieß langsam zu ihnen empor. Es war sehr still auf der Welt, und Anna sagte: »Der Nebel schaut aus, als würden da drinnen die ungeborenen Seelen herumfliegen.« Aber Fritz ging auf diese Tonart nicht ein. Seit dieser Bergtour hatte sie oft eine kränkliche Farbe. Sie wurde auch nie wieder ganz gesund, und ab und zu tat ihr's im Unterleib schon ganz verrückt weh. Aber sie trug das keinem Herrn nach, sie war eben eine starke Natur. Es gibt so Leut, die man nicht umbringen kann. Wenn sie nicht gestorben ist, so lebt sie heute noch. –
Mitte September saß sie also neben Kobler im Schellingsalon und bestellte sich lediglich ein kleines dunkles Bier. Ihr Abendbrot, zwei Buttersemmeln, hatte sie bereits in der Kraftwagenvermietung zu sich genommen, denn sie hatte dort an diesem Tag ausnahmsweise bis abends neun Uhr zu tun. Sie mußte dies durchschnittlich viermal wöchentlich ausnahmsweise tun. Für diese Überstunden bekam sie natürlich nichts bezahlt, denn sie hatte ja das Recht, jeden Ersten zu kündigen, wenn sie arbeitslos werden wollte.
»Gib mir was von deinem Kartoffelsalat«, sagte sie plötzlich, denn plötzlich mußte sie noch etwas verzehren. »Bitte«, meinte Kobler, und es war ihm unvermittelt, als müßte er sich eigentlich schämen, daß er nach Barcelona fährt.
»Es wird sehr anstrengend werden«, sagte er.
»Dann wird es also heut nacht nichts«, sagte sie. »Nein«, sagte er.
8
Der D-Zug, der den Kobler bis über die deutsche Grenze bringen sollte, fuhr pünktlich ab, denn der Herr mit der roten Dienstmütze hob pünktlich den Befehlsstab. »Das ist die deutsche Pünktlichkeit!« hörte er jemanden sagen mit hannoverschem Akzent.
Da stand auf dem Bahnsteig unter anderen eine junge Kaufmannsgattin und winkte begeistert ihrem Gatten im vorderen Wagen nach, der in die Fremde fuhr, um dort einen anderen Kaufmann zu übervorteilen.
Kobler drängte sich dazwischen. Er beugte sich aus dem Fenster und nickte der jungen Frau gnädig zu. Die verzog aber das Gesicht und machte eine wegwerfende Handbewegung. Jetzt ärgert sie sich, freute sich Kobler und mußte an das Fräulein Pollinger denken. Auch Anna wird sich jetzt ärgern, dachte er weiter, es ist nämlich grad acht, und da beginnt ihr Büro. Ich würd mich auch ärgern, wenn jetzt mein Büro beginnen tät, es geht doch nichts über die Selbständigkeit. Was war das für ein Unglück, wenn alle Leut Angestellte wären, wie sich das der Marxismus ausmalt – als Angestellter hätte ich mich doch niemals so angestrengt, den Portschinger zu betrügen. Wenn das Kabriolett Staatseigentum gewesen wär, hätt ich's halt einfach einschmelzen lassen, wie sich's eigentlich gehört hätt. Aber durch diese drohende Sozialisierung würden halt viele Werte brachliegen, die sich noch verwerten ließen. Das wär nicht anders, weil halt die persönliche Initiative zerstört wär. Er setzte sich schadenfroh auf seinen Fensterplatz und fuhr stolz durch die tristen Vorortbahnhöfe, an den Vorortreisenden vorbei, die ohne jede Bewegung auf die Vorortzüge warteten. Dann hörte die Stadt allmählich auf. Die Landschaft wurde immer langweiliger, und Kobler betrachtete gelangweilt sein Gegenüber, einen Herrn mit einem energischen Zug, der sehr in seine Zeitung vertieft war. In der Zeitung stand unter der Überschrift »Nun erst recht!«, daß ein Deutscher, der sagt, er sei stolz, daß er ein Deutscher sei, denn wenn er nicht stolz wäre, würde er ja trotzdem auch nur ein Deutscher sein, also sei er natürlich stolz, daß er ein Deutscher wäre – »Ein solcher Deutscher«, stand in der Zeitung, »ist kein Deutscher, sondern ein Asphaltdeutscher.«
Auch Kobler hatte sich mit Reiselektüre versorgt, nämlich mit einem Magazin. Da schulterten im Schatten fotomontierter Wolkenkratzer ein Dutzend Mädchen ihre Beine, als wären's Gewehre, und darunter stand: Der Zauber des Militarismus, und daß es eigentlich also gespenstisch wirke, daß Girls auch Köpfe hätten. Und dann sah Kobler auch noch ein ganzes Rudel weiblicher Schönheiten – die eine stand auf einer dressierten Riesenschildkröte und lächelte sinnlich. Sonst hatte er keine Lektüre bei sich.
Nur noch einige Wörterbücher, ganz winzig bedruckte mit je zwölftausend Wörtern. Deutsch-Italienisch, Français-Allemand, Deutsch-Französisch, Español-Aleman usw. Auch eine Broschüre hatte er sich zugelegt mit Redensarten für den Reisegebrauch in Spanien (mit genauer Angabe der Aussprache), herausgegeben von einem Studienrat in Erfurt, dessen Tochter immer noch hoffte, von einem reichen Deutschargentinier geheiratet zu werden, der ihr dies in der Inflation mal versprochen hatte. Nun beklagte der Studienrat in der Einleitung, es sei tief betrüblich, daß man in deutschen Landen so wenig Spanisch lerne, wo doch die spanische Welt arm an Industrie sei, während sie uns Deutschen die mannigfachsten Naturprodukte liefere. Diese Tatsachen würden von der jungen Handelswelt noch lange nicht genügend gewürdigt. Und dann zählte der Studienrat die Länder auf, in denen Spanisch gesprochen wird: zum Beispiel in Spanien und in Lateinamerika, ohne Brasilien.
Kobler las: Ich bin hungrig, durstig. Tengo hambre, sed. Aussprache: tengo ambrre, ßed. Wie heißt das auf spanisch? Cómo se llama eso en castellano? Aussprache: komo ße ljama ehßo en kasteljano? Wollen Sie freundlichst langsamer sprechen? Tenga ustéh la bondád de ablárr máss despászio? Wiederholen Sie bitte das Wort. Sie müssen etwas lauter sprechen. Er führt eine stolze Sprache, aber er drückt sich gut aus. Kofferträger, besorgen Sie mir mein Gepäck. Ich habe einen großen Koffer, einen Handkoffer, ein Plaid und ein Bund Stöcke und Regenschirme. Ist das dort der richtige Zug nach Figueras? Geben Sie mir trockene Bettwäsche. Bitte Zwiebeln. Jetzt ist sie richtig. Seit längerer Zeit entbehren wir Ihre Aufträge. Was bin ich schuldig? Sehr wohl, mein Herr, ich bleibe alles schuldig. Was haben Sie? Nichts. Wollen Sie zahlen? Nein. Sie wollen nicht zahlen? Nein. Es scheint, daß Sie mich verstanden haben. Auf Wiedersehen also! Grüßen Sie Ihre Frau Gemahlin (Ihren Herrn Gemahl)! Tausend Dank! Glückliche Reise! Gott schütze Sie!
»Was lesens denn da?« hörte er plötzlich seinen Nachbar fragen, der dem Herrn Portschinger ähnlich sah. Er hatte bereits seit einiger Zeit mißtrauisch in das Werk des Erfurter Studienrats geschielt. Er hieß Thimoteus Bschorr. »Ich fahr nach Barcelona«, erwiderte Kobler lakonisch und wartete gespannt auf den Erfolg dieser Worte. Sein Gegenüber mit dem energischen Zug hob ruckartig den Kopf, starrte ihn haßerfüllt an und las dann zum zwanzigstenmal die Definition des Asphaltdeutschen. In der Ecke saß noch ein dritter Herr, aber auf den schienen Koblers Reisepläne gar keinen Eindruck zu machen. Er lächelte nur müde, als wäre er bereits einigemal um die Erde gefahren. Der Kragen war ihm zu weit.
»Alsdann fahrens nach Italien«, konstatierte der Herr Bschorr phlegmatisch.
»Barcelona liegt bekanntlich in Spanien«, meinte Kobler überlegen.
»Des is gar net so bekanntlich!« ereiferte sich der Bschorr. »Bekanntlich hätt i gschworn, daß des Barcelona bekanntlich in Italien liegt!«
»Ich fahr durch Italien nur lediglich durch«, sagte Kobler und strengte sich an, genau nach der Schrift zu sprechen, um den Thimoteus Bschorr zu reizen. Aber der ließ sich nicht. »Da werdens lang brauchen nach Barcelona hinter«, meinte er stumpf. »Sehr lang. Da beneid ich Sie scho gar net. Überhaupts muß Spanien recht drecket sein. Und eine heiße Zone. Was machens denn in Madrid?«
»Madrid werde ich links liegenlassen«, erklärte Kobler. »Ich möcht nur mal lediglich das Ausland sehen.«
Bei diesen Worten zuckte sein Gegenüber wieder furchtbar zusammen und mischte sich ins Gespräch, klar, kurz und bündig: »Ein Deutscher sollte sein ehrlich erworbenes Geld in diesen wirtschaftlich depressiven Zeiten unter keinen Umständen ins Ausland tragen!« Dabei fixierte er Kobler strafend, denn er hatte ein Hotel in Partenkirchen, das immer leer stand, weil es wegen seiner verrückt hohen Preise allgemein gemieden wurde.
»Aber Spanien war ja im Krieg neutral«, kam der dritte Herr in der Ecke Kobler zu Hilfe. Er lächelte noch immer.
»Egal!« schnarrte der Hotelier.
»Spanien ist uns sogar sehr freundlich gesinnt«, ließ der in der Ecke nicht locker.
»Uns is überhaupt niemand freundlich gesinnt!« entgegnete ihm erregt der Thimoteus. »Es wär ja ein Wunder, wenn uns jemand freundlich gesinnt wäre!! Oder war's ka Wunder, Leutl?!«
Der Hotelier nickte: »Ich wiederhole: Ein Deutscher soll sein ehrlich erworbenes Geld in der Heimat lassen!« Kobler wurde allmählich wütend. Was geht dich dem Portschinger sein Kabriolett an, du Hund! dachte er und wies den Hotelier in seine Schranken zurück: »Sie irren sich! Wir jungen deutschen Handelsleute müßten noch bedeutend innigere Beziehungen mit dem uns wohlgesinnten Ausland anknüpfen. Zu guter Letzt müssen wir dabei natürlich die nationale Ehre hochhalten.«
»Das mit dem Hochhalten der Ehre sind Redensarten!« unterbrach ihn der Hotelier unwirsch. »Wir Deutsche sind eben einfach nicht fähig, kommerzielle Beziehungen zum Ausland ehrenvoll anzuknüpfen!«
»Aber die Völker!« meinte der dritte und lächelte plötzlich nicht mehr. »Die Völker sind doch aufeinander angewiesen, genau wie Preußen auf Bayern und Bayern auf Preußen.«
»Sie, wanns mir Bayern schlechtmachen!« brüllte der Thimoteus. »Wer is angwiesen? Was is angwiesen? Die Schnapspreißn solln halt nach der Schweiz fahren! Zu was brauchn denn mir an Fremdenverkehr, bei mir kauft ka Fremder was, i hab a Ziegelei und war früher Metzger!«
»Oho!« fuhr der Hotelier auf. »Oho, Herr! Ohne Fremdenverkehr dürfte die bayerische Eigenstaatlichkeit beim Teufel sein! Wir brauchen die norddeutschen Kurgäste, wir bräuchten auch die ausländischen Kurgäste, besonders die angelsächsischen Kurgäste, aber bei uns fehlt es leider noch häufig an der entgegenkommenden Behandlung des ausländischen Fremdenstromes, wir müßten uns noch viel stärker der ausländischen Psyche anpassen. Jedoch natürlich, wenn der Herr Reichsfinanzminister erklärt ...«
Nun aber tobte der Thimoteus.
»Des san do kane Minister, des san do lauter Preißen!« tobte er. »Lauter Lumpn sans! Wer geht denn z'grund? Der Mittelstand! Und wer kriegt des ganz Geld vom Mittelstand? Der Arbater! Der Arbater raucht schon Sechspfennigzigaretten ... Meine Herren! I sag bloß allweil: Berlin!«
»Bravo!« sagte der Hotelier und memorierte den Satz vom Asphaltdeutschen.
Der Herr in der Ecke erhob sich und verließ rasch das Abteil. Er stellte sich an das Fenster und sah traurig hinauf auf das schöne bayerische Land. Es tat ihm aufrichtig leid um dieses Land.
»Der is draußn, den hab i nausbissn«, stellte der Thimoteus befriedigt fest. »Ich verfolge mit Aufmerksamkeit die Heimstättenbewegung«, antwortete der Hotelier. Ihr Quadratidioten! dachte Kobler und wandte sich seinem Fenster zu.
Auf den Feldern wurde gearbeitet, auf den Weiden stand das Vieh, am Waldrand das Reh, und nur die apostolischen Doppelkreuze der Überlandleitungen erinnerten an das zwanzigste Jahrhundert. Der Himmel war blau, die Wolken weiß und bayerisch barock.
So näherte sich der D-Zug der südlichen Grenze der deutschen Republik. Zuerst ist er an großen Seen vorbeigerollt, da sind die Berge am Horizont noch klein gewesen. Aber jetzt wurden die Berge immer größer, die Seen immer kleiner und der Horizont immer enger. Und dann hörten die Seen ganz auf, und ringsherum gab's nur mehr Berge. Das war das Werdenfelser Land.
In Partenkirchen stieg der Hotelier aus und würdigte Kobler keines Blickes. Auch der Herr Bschorr stieg aus und stolperte dabei über ein vierjähriges Kind. »Eha!« meinte er, und das Kind brüllte fürchterlich, denn der Herr Bschorr hätt es fast zertreten.
Dann fuhr der D-Zug wieder weiter.
Richtung Mittenwald.
Der Herr, der in der Ecke gesessen hatte, betrat nun wieder das Abteil, weil Kobler allein war. Er setzte sich ihm gegenüber und sagte: »Dort sehen Sie die Zugspitze!«
Bekanntlich ist die Zugspitze Deutschlands höchster Berg, aber ein Drittel der Zugspitze gehört halt leider zu Österreich. Also bauten die Österreicher vor einigen Jahren eine Schwebebahn auf die Zugspitze, obwohl dies die Bayern schon seit zwanzig Jahren tun wollten. Natürlich ärgerte das die Bayern sehr, und infolgedessen brachten sie es endlich fertig, eine zweite Zugspitzbahn zu bauen, und zwar eine rein bayerische, keine luftige Schwebebahn, sondern eine solide Zahnradbahn. Beide Zugspitzbahnen sind unstreitbar grandiose Spitzenleistungen moderner Bergbahnbautechnik, und es sind dabei bis Mitte September 1929 schon rund vier Dutzend Arbeiter tödlich verunglückt. Jedoch bis zur Inbetriebnahme der bayerischen Zugspitzbahn werden natürlich leider noch zahlreiche Arbeiter daran glauben müssen, versicherte die Betriebsleitung.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.