Kitabı oku: «Faro»

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Ole R. Börgdahl

Faro

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Das Buch

1 Kriegsweihnachten

2 Feindfahrt

3 Gestrandet

4 Deutsche Hörer!

5 Heimat in der Fremde

6 Siebers Grab

7 Faro

8 Andere Zeiten

9 Argentinien

10 Rattenlinie

11 Epilog

12 Quellenangaben

Leseprobe

Impressum neobooks

Das Buch

1943, Weltkrieg, Francos Spanien ist neutral. Michael ist der einzige Überlebende von U-810. Paulus versteckt ihn vor der Guardia Civil. Am „Faro“, dem Leuchtturm von Maspalomas, verliebt sich Michael in Serina. Sie öffnet ihm die Augen für die Lügen des Nazi-Regimes. Er beginnt ein neues Leben fernab von Krieg und Hass. Dann holt ihn die Vergangenheit ein. Ohne es zu wissen, hat er ein Geheimnis mit auf die Insel gebracht. Sie spüren ihn auf, seine Verfolger sind gnadenlos, bis Serina ihm das Leben rettet. Aber es ist noch nicht zu Ende. Jahre später führt ein neues Abenteuer Serina und Michael auf der „Rattenlinie“ nach Argentinien. Erst jetzt kann Michael mit allem abschließen.

Weitere Romane von Ole R. Börgdahl:

Fälschung (2007) - 978-3-8476-2037-2

Ströme meines Ozeans (2008) - 978-3-8476-2105-8

Zwischen meinen Inseln (2010) - 978-3-8476-2104-1

Tod & Schatten (2016) - 978-3-7380-9059-8

Die Tillman-Halls-Reihe:

Ein neues Hamburger Ermittler-Duo betritt die Bühne. Kriminaloberkommissar Kurt Bruckner hat für seinen aktuellen Fall eigentlich nur einen Berater gesucht. In der Expertendatenbank des BKA stößt er dann auf einen Mann, der sofort sein Interesse weckt und seine Fantasie beflügelt.

Der Amerikaner Tillman Halls lebt mit seiner Familie seit drei Jahren in Hamburg und arbeitet als Immobilienmakler.

Doch was macht ihn für Bruckner interessant? Das ist ganz einfach: Tillman Halls ist ein ehemaliger US-Profiler!

Bruckner muss ihn zur Mitarbeit überreden, denn Tillman Halls ist längst Immobilienprofi und hat Spaß an seinem neuen Beruf. Bruckner schafft es schließlich, die kriminalistische Flamme in Tillman Halls wieder zu entfachen.

Alles in Blut - Halls erster Fall (2011) - 978-3-8476-3400-3

Morgentod - Halls zweiter Fall (2012) - 978-3-8476-3727-1

Pyjamamord - Halls dritter Fall (2013) - 978-3-8476-3816-2

Die Schlangentrommel - Halls vierter Fall (2014) - 978-3-8476-1371-8

Leiche an Bord - Halls fünfter Fall (2015) – 978-3-7380-4434-8

1 Kriegsweihnachten

Es gab einen leichten Ruck, als der Zug wieder anfuhr. Michael öffnete träge die Augen. Auf dem Platz vor ihm saß jetzt ein junger Leutnant. Der Mann nickte nur kurz. Michael verstand sofort, obwohl er jederzeit bereit gewesen wäre, vorschriftsmäßig zu grüßen. Wenigstens richtete er sich jetzt in seinem Platz etwas auf, zog die Uniformjacke glatt und sah hinaus auf den Bahnsteig, dessen letzte Meter gerade vorüberzogen. Selbst hier standen noch Reisende.

»Dortmund!«, sagte Michael leise vor sich hin und schaute dem vorbeifliegenden Stationsschild nach.

Der Leutnant sah noch immer zu ihm. »Torpedomixer, was?«

Michael blickte ihn an. »Bitte, Herr Leutnant?«

»Sie sind ein U-Boot-Mann, Torpedomechaniker«, wiederholte der Leutnant und zeigte auf Michaels Uniformabzeichen. »Und Sie sind schon länger dabei, Sie tragen ja bereits das Kriegsabzeichen, mindestens zwei Fahrten, stimmt’s?«

Michael nickte.

Der Leutnant lächelte. »Ich kenne mich ein wenig aus, mein Bruder ist nämlich auch bei der Kriegsmarine.«

»Darf ich fragen, ob ihr Herr Bruder ebenfalls bei den U-Booten dient, Herr Leutnant?«

Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein, nein, ich glaube das wäre nichts für ihn, also für meinen Bruder. Die See schon, aber nicht unter Wasser.« Er zögerte. »Mein Bruder sitzt jetzt in Kiel, am Schreibtisch, kriegsversehrt.«

Michael nickte bedächtig. »Das tut mir leid, Herr Leutnant.«

»Ja, ja, es ist nicht so schön, er hat ein Auge und drei Finger verloren, oben in Norwegen, auf seinem Schiff, gleich zu Anfang.« Der Leutnant räusperte sich. »Meine Mutter beruhigt es allerdings, dass er nicht mehr raus muss.«

Es trat ein kurzes Schweigen ein, bis der Leutnant weitersprach.

»Und Sie machen die Torpedos klar, damit es bei den Tommies ein ordentliches Feuerwerk gibt, was?«

»Ohne mich müsste sich der Kaleun sein Ritterkreuz mit der Bordkanone holen«, erwiderte Michael lachend.

Der Leutnant nickte heftig. »Das ist gut, das finde ich gut. Und, hat ihr Kaleun schon das Ritterkreuz?«

Michael antwortete nicht, er sah den Leutnant nur an, der nicht gleich verstand.

»Und wo sind Sie stationiert, welche Flottille?«, fragte er weiter.

»Entschuldigen Sie vielmals, Herr Leutnant«, antwortete Michael zögernd.

Der Leutnant sah ihn erstaunt an, dann hatte er endlich begriffen. »Schon in Ordnung, Herr Unteroffizier, ist schon richtig.« Dann überlegte er. »Und jetzt geht es zu Muttern, zum Weihnachtsbraten, was?«

»Jawohl, Herr Leutnant, zum Weihnachtsbraten.«

*

Als es draußen dunkel wurde, hatte sich Michael seinen Mantel übergezogen und war wieder eingenickt. Erst kurz vor Hamburg erwachte er. Die Stadt war nur spärlich beleuchtet, die meisten Häuser waren verdunkelt und die Straßenlaternen nicht eingeschaltet. Der Zug wurde langsamer, fuhr aber noch etliche Zeit durch Vorstädte, bis die Gleisanlagen endlich das nahe Bahnhofsgelände ankündigten. Es war schon nach neun, als die Wagons mit einem letzten Ruck zum Stehen kamen. Der Bahnsteig belebte sich sofort, es war wieder ein Heer von Uniformen. Michael nahm seinen Seesack aus dem Gepäcknetz und ließ sich aus dem Wagon schieben. Zunächst erfrischte ihn die kalte Luft, dann wurde es schnell unangenehm. Die Feuchtigkeit drang in seine Kleidung. Er sah sich nach seinem Vater um, noch war die Menge überschaubar. Dann entdeckte er ihn, ganz hinten an einem Wartehäuschen. Der Vater kam ihm entgegen, eine kurze Umarmung im Gedränge, dann schulterte er Michaels Seesack.

»Ich habe Bentins Opel, wir müssen aber noch ein Stück laufen.«

Sie verließen den Bahnsteig über eine der breiten Treppen. Die Menge löste sich langsam auf. Die Uniformen vermischten sich mit Zivilkleidung. Mütter und Väter, Ehefrauen und Freundinnen, Kinder, die jetzt die Wehrmachtsurlauber begleiteten. Der Vater hatte in einer Seitenstraße geparkt. Bentins Opel stand im Dunkeln einer Häuserwand. Sie blieben vor dem Wagen stehen und der Vater drückte den Sohn nochmals an sich.

»Bist du gesund?«

»Natürlich Papa, sonst hätte ich es euch doch geschrieben.«

»Deine Mutter macht sich immer Sorgen, immer, und dabei weiß doch niemand, wie lange der Krieg noch dauert.« Er schüttelte langsam den Kopf. »Dann steig erst mal ein. Nimm dir eine Decke, es liegen welche auf der Rückbank.«

Als sie im Wagen saßen, öffnete der Vater das Handschuhfach und deutete auf das Päckchen darin.

»Deine Mutter hat dir ein paar Brote geschmiert. Du hast doch Hunger?«

Michael nahm das Päckchen, befühlte den Inhalt.

»Mettwurst«, sagte der Vater, »und da muss auch noch eine Flasche Bier sein.«

Michael fand das Bier, löste den Bügelverschluss und nahm einen großen Schluck. Der Vater sah ihm dabei zu. Dann erst startete er den Motor. Sie verließen die kleinen Straßen des St.-Georgs-Viertels, folgten der Uferpromenade der Außenalster und befanden sich nach kurzer Zeit auf der Landstraße Richtung Marienfelde. Michael hatte die Brote ausgepackt und bekam mit den ersten Bissen noch größeren Appetit. Seine letzte Mahlzeit bestand aus einer Bockwurst, die er vor Stunden in einem Bahnsteigimbiss gekauft hatte.

»Mutter hat sich so gefreut, ich meine, dass du nun doch an Weihnachten zu Hause bist.«

Michael nickte. »Zufall, Glück, aber eigentlich ein Unglücksfall, eine Havarie im Hafen.«

»In Lorient?«

»Ja, vor zwei Tagen. Wir sind zur Probefahrt rausgefahren. Wir haben es aber nicht weit geschafft, uns ist ein Minenräumer in die Quere gekommen, hätte schlimm ausgehen können.«

»Warst du auch auf deinem Boot?«

»Natürlich, Papa, alle Kameraden waren an Bord.« Michael überlegte. »Wir waren auf dem Weg nach draußen, dann kam dieser Minenräumer. Der ist falsch gefahren, so ein Idiot. Wir sind mit dem Bug hineingerauscht. Es hat uns ganz schön von den Beinen geholt. Ein paar Kameraden haben sich verletzt, aber am Schlimmsten hat es das Boot erwischt. Nachdem die Werft sich den Schaden angesehen hat, musste der Kaleun die Ausfahrt absagen. Die Werft braucht bestimmt zwei Wochen, um das Schanzkleid zu erneuern. Zum Glück hat es die Rohre nicht zerlegt, dann müssten sie den ganzen Druckkörper auf Schäden untersuchen und das dauert.«

»Und wenn es diese Havarie nicht gegeben hätte, dann wärst du jetzt schon wieder auf See.«

Michael schüttelte den Kopf und nahm noch einen Schluck Bier, bevor er antwortete. »Wir sollten morgen auslaufen, wenn der neue I WO bis dahin aufgetaucht wäre.« Michael zögerte. »Ich bin ja eigentlich froh, dass Oberleutnant Rath weg ist, aber man weiß ja nicht, wer dann kommt.«

»Was ist denn mit diesem Oberleutnant?«

»Nichts, eigentlich nichts, ich mochte ihn nur nicht. Es passt irgendwie, dass der jetzt beim B.d.U. in Paris ist. Ich habe auch gehört, dass der Admiral seine Hand im Spiel hatte. Es wird ja immer viel geredet, aber bei dem I WO kann ich es mir gut vorstellen, der hat sich auch vor dem Kaleun immer so benommen, als wenn er über ihm stehen würde. Das macht man doch nur, wenn man die Herren ganz oben kennt. Der Kaleun hat immer so getan, als wenn er es nicht merkt.«

Der Vater hatte schweigend zugehört. Sie hatten die Vorstädte schon hinter sich gelassen. Es wurde ländlicher. Einzelne Gehöfte tauchten auf und verschwanden wieder. Bis Papendorf waren es jetzt nur noch zehn Kilometer, als auf dem Feld rechts von der Landstraße plötzlich ein Gitterzaun aufschoss. Michael sah hinaus und konnte hinter dem ersten, hohen Zaun einen Zweiten erkennen, der von Wachtürmen flankiert war. Noch weiter hinten auf dem schwachbeleuchteten Gelände zeichneten sich Baracken ab. Michael versuchte mehr von der Anlage zu sehen, konnte aber in der Dunkelheit nicht erkennen, ob die Wachtürme besetzt waren oder ob hinter den Zäunen Männer patrouillierten.

»Das haben sie Anfang des Jahres gebaut«, erklärte der Vater. »Die ersten Gefangenen sind dann kurz vor Ostern gekommen.«

»Gefangene?« Michael sah seinen Vater an.

»Ja, Kriegsgefangene. Es sollen Franzosen und Engländer sein. In den anderen Lagern im Osten brauchten sie Platz wegen der vielen Russen. Das hat zumindest Bentin behauptet. Bentins haben das Holz für die Baracken geliefert.«

Michael sah wieder in die Nacht hinaus. Der Zaun endete so schnell, wie er aufgetaucht war. Alles verschwand in der Dunkelheit. Er sah sich noch einmal um, konnte aber nichts weiter erkennen.

*

Er hatte geträumt, aber er konnte sich nicht mehr an den Traum erinnern. Er strengte sich an, einige Bilder zogen vorbei. Er hatte die Augen geöffnet und starrte gegen die Dachschräge über seinem Bett. Es war kurz vor acht. Die Mutter hatte schon eine Kanne Wasser gebracht und auf dem Waschtisch abgestellt. Eigentlich hasste er den Heiligen Abend, weil diesem fröhlichen Tag immer ein Tag der Trauer folgte. Es war schon so, seit Michael denken konnte. Er war nicht das einzige Kind seiner Eltern. Er hatte einen jüngeren Bruder. Gerhard war im Säuglingsalter gestorben, am Tag nach Heiligabend. Es war jetzt neunzehn Jahre her, doch der erste Weihnachtstag gehörte für Michaels Eltern nach wie vor der Trauer um diesen Sohn. Michael sah auf ein Astloch in der Holzvertäfelung. Der Punkt begann vor seinen Augen zu verschwimmen. Er dachte an seine Kindheit, an den Geruch von Leder und Fett, der immer über der Werkstatt seines Vaters lag und er dachte an die feinen Herrschaften, die sich die teuren Reitsättel anfertigen ließen. Es waren oft Leute aus Berlin oder Dresden. Michael erinnerte sich an einen dicken Bayern, einem Stadtrat aus München, der sich Sattel und Zaumzeug persönlich abholte. Der Mann hatte bei ihnen in der Stube gesessen, wurde mit Weizenkorn und Gebäck bedient. Der Vater hatte eigentlich immer gut zu tun. In den letzten Jahren flickte er zunehmend auch Autositze, polsterte Sitzbänke und verwendete nur die teuersten Leder. Michael war mit den Gerüchen aus der Werkstatt aufgewachsen, aber das Handwerk hatte er nie lieben gelernt. Er mochte die Stanzmaschine und den Biegeautomaten, mit dem die Beschläge in Form gebracht wurden. Er mochte die Mechanik, die Getriebe und die Hebel und Schalter. Der Vater hatte ihm seinen Willen gelassen, ihn auf die Werft gegeben. Michael dachte an die Zeit auf der Werft. Er fragte sich plötzlich, was nach dem Krieg werden würde? Diese Gedanken waren nicht gut, der Krieg war noch nicht vorüber. Michael schluckte, er richtete sich auf, sah sich im Zimmer um. Auf dem Nachttisch lagen die beiden Bücher, die er von seiner Großmutter geschenkt bekommen hatte. Er nahm einen Band, schlug eine Seite auf und las ein paar Zeilen. Dann klappte er das Buch wieder zu, betrachtete sich den Buchdeckel. Die Großmutter hatte den Roman selbst schon gelesen, beide Romane. Die Geschichte einer Gutsherrenfamilie in Ostpreußen. Er würde die Bände mit nach Lorient nehmen. Er war für Lesestoff immer dankbar.

*

Zwei Tage nach Weihnachten. Michael hatte sich in den kleinen Schuppen zurückgezogen. Er saß auf einem Hocker. Vor ihm stand sein altes Motorrad, eine BMW R32, Baujahr 1923. Der längs eingebaute Boxermotor mit den quer stehenden Zylindern hob sich mattsilbern von dem schwarzlackierten Rahmen ab. Das Emblem auf dem langgezogenen, dreieckigen Tank leuchtete blauweiß. Wenigstens war die Maschine geputzt, auch wenn sie noch nicht wieder lief. Michael genoss einfach nur die Schönheit. Maschinen waren für ihn schön. Er wusste nicht, was er jetzt machen sollte, ob es sich überhaupt lohnte, mit etwas zu beginnen. Seit drei Jahren lagen die Ersatzteile für die Kardanwelle und das Dreiganggetriebe in einem Karton bereit. Seit drei Jahren hatte er sich sein Motorrad immer nur angeschaut, genau, wie er es jetzt tat. Die Schuppentür knarrte. Michaels Vetter Rudolf war eingetreten und blieb einige Sekunden schweigend an der Tür stehen.

»Warum gibst du sie nicht in die Werkstatt?« Wenn du das nächste Mal zu Hause bist, ist sie fertig und du kannst eine Runde drehen.«

Michael wandte sich zu Rudolf um und lächelte. »Ich könnte sie nicht fahren, wenn ich sie nicht selbst repariert hätte.«

»Versteh ich nicht.« Rudolf war an Michaels Seite getreten. »Wenn ich könnte, würde ich fahren, aber ich kann ja nicht, ich kann ja gar nichts.« Rudolf hielt seinen Armstumpf vorgestreckt. Wie immer hatte er den linken Ärmel seiner Jacke aufgerollt.

Michael sah zu ihm auf. »Was ist los, was willst du?«

»Ach, gar nichts, ich dachte nur, wenn die Maschine wieder läuft, könntest du mich mitnehmen, auf dem Sozius.«

»Na bitte, so hört sich das doch schon besser an. Mensch, Alter, grüß dich.« Michael war aufgestanden und umarmte Rudolf.«

»Und was gibt’s Neues aus Frankreich, hast du endlich mal eine kleine Französin aufgetan?«

Michael antwortete nicht. Bei der Frage musste er plötzlich an Renate denken. Rudolf schien es zu ahnen.

»Was hört ihr beim Militär eigentlich so aus Russland?«

»Nichts, nur das Offizielle.« Michael überlegte. »Die Wochenschau habe ich lange nicht mehr gesehen. Ich gehe in Lorient nicht so oft ins Kino, eigentlich gar nicht.«

»Ach, in der Wochenschau zeigen sie immer nur marschierende Verbände. Natürlich geht es stetig vorwärts, immer druf uf den Russen.« Rudolf schüttelte den Kopf. »Ich kann mir das nicht vorstellen, der Russe wird sich doch auch wehren.« Er überlegte. »Von Renates Banker haben wir auch nichts mehr gehört. Ich glaube, sie weiß selbst nicht, wo der jetzt genau steckt. Im Mai geheiratet und im Juni musste der schon mit auf den Feldzug. Na ja, der ist wenigstens Offizier.«

»Und was ist mit Renate, lebt sie noch hier im Dorf?«

»Nein, natürlich nicht«, antwortete Rudolf verächtlich. »Frau Renate Henschmann verkehrt doch jetzt in ganz anderen Kreisen, in Hamburg-Rotherbaum. Die ist der Partei jetzt ganz nahe. Da hat sie dieser Henschmann hingebracht. Der hat doch lauter so Leute in seiner Familie, Ortsgruppenleiter, Kreisleiter und ich glaube sogar einen Gauleiter, Bonzen eben.«

Michael dachte an die gemeinsame Zeit mit Renate. Er war davon überzeugt, dass sie schneller erwachsen geworden war als er. Irgendwann war es dann vorbei. Michael war schon bei der Marine, als Renate Walter Henschmann kennengelernt hatte. Die Heirat vor anderthalb Jahren hatte Michaels Mutter noch in einem Brief erwähnt, aber das war auch schon alles. Renate hatte bis jetzt kein Kind bekommen, das wusste Michael noch. Vielleicht war es ganz gut so, vielleicht aber auch nicht.

Rudolf kramte in seiner Jackentasche und zog ein Heft hervor. »Schau mal, das habe ich von Ennas Bruder, der hat es aus der Schule mitgebracht.«

Michael nahm das Heft, das in einen bunten Schutzumschlag steckte, und las den Titel laut vor.

»Aha! Was jeder vom deutschen U-Boot wissen sollte!«

Rudolf nickte. Er tippte auf den Umschlag. »Hier ist alles erklärt, also wie so ein U-Boot aufgebaut ist.« Er nahm Michael das Heft wieder aus der Hand, zog den Umschlag ab und klappte ihn auseinander. »Hier, jetzt sag mir doch mal, ob das alles so richtig ist.«

Auf dem Umschlag war der Querschnitt eines U-Bootes abgedruckt. Erklärungen dazu standen in einer Legende neben der Abbildung. Michael überprüfte einige der Beschreibungen und nickte dann.

»Im Großen und Ganzen ist das schon in Ordnung.«

»Wirklich?« Rudolf schaute Michael begeistert an. »Ich habe es mir auch durchgelesen. Ist schon ganz interessant.« Er überlegte. »Wie ist das mit den Wasserbomben, haben sie euch schon mal mit Wasserbomben beschossen? Bei diesem Bartsch klingt das alles so harmlos, als wenn die mit Knallerbsen auf so ein Boot losgehen.«

»Ja, das mit den Wasserbomben ist nicht so schön«, antwortete Michael verhalten. »Der Tommy ist ja ganz scharf darauf, so ein U-Boot zu knacken, besonders, wenn du ihm einen Frachter nach dem anderen wegballerst. Unser Kaleun hat das Boot aber bisher immer gut da raushalten können. Unter Wasser ist ein U-Boot schon recht sicher, aber man muss ja auch irgendwann mal wiederauftauchen und dann muss man sich vor den Fliegern in Acht nehmen. So einen Zerstörer mit seinen Wasserbomben, den kann man heranrauschen hören. Die Flieger kommen dagegen aus dem Nichts, da kannst du noch so gut den Himmel beobachten, irgendwann kommen die aus der Sonne oder aus den Wolken und dann wird es knapp mit dem Alarmtauchen.«

Rudolf nickte. »Von Fliegerangriffen schreibt Bartsch überhaupt nichts. Naja, es soll ja auch nicht abschrecken. Die suchen doch bestimmt immer Jungs, die zu den Unterseebooten wollen.«

»Schreibt Bartsch denn wenigstens, dass man mit einem U-Boot sogar bis nach Amerika kommt.«

»Warst du in Amerika?«, fragte Rudolf ungläubig.

»Also, vom Turm aus haben wir die amerikanische Küste gesehen, wir sind natürlich nicht an Land gegangen.« Michael dachte nach. »In diesem Jahr habe ich schon einiges hinter mir. Die erste Unternehmung, gleich im Januar, ging schon schlecht los. Nach zehn Stunden mussten wir zurück in den Stützpunkt. Der Kompass hat nicht mehr funktioniert und dann war auch noch die Drosselklappe der Dieselmaschine defekt. Wir haben noch mal drei Tage im Dock gelegen. Keiner durfte vom Boot runter. Etwas Langweiligeres gibt es nicht, man kommt nicht voran und es gibt auch nichts richtig zu tun.«

»Ja, aber dann ging es doch irgendwann los. Mensch, jetzt halt dich doch nicht mit dem Kram auf.«

Michael lachte. »Dann ging es tatsächlich los, stimmt, und zwar nach Mittelamerika, an die Mündungen der großen Flüsse. Ist ein gutes Jagdrevier. Anfang des Jahres hat der Ami noch nicht gewusst, was der Tommy längst weiß. Wir haben in zwei Wochen neun Pötte auf den Grund geschickt. Der Kaleun hat alles zusammen auf sechzigtausend Tonnen geschätzt. Es war auch ein dicker Fisch dabei, ein Tanker von bestimmt zehntausend Tonnen. Alle meine Torpedos haben gesessen und sind auch hochgegangen. Dafür bin ich schließlich verantwortlich, also, dass die Torpedos funktionieren. Mit Zerstörern gab es auf der ersten Fahrt keine Scherereien, wir konnten immer rechtzeitig tauchen und verschwinden. Es wurden zwar auch Wasserbomben geworfen, aber immer an den falschen Stellen. Die hatten es noch nicht so raus, die Amis, für die war der Krieg ja erst ein paar Wochen im Gange. Trotzdem waren wir natürlich froh, als der Kaleun dann die Rückfahrt befohlen hat. Mitten im Atlantik haben wir vom Feind nichts gesehen. Wir sind die ganze Zeit über Wasser gefahren, haben uns sogar ab und an auf Deck gesonnt. Nach Wochen konnten wir da endlich mal alles von uns strecken. Im Boot ist es natürlich schon sehr eng und stickig und auch immer recht feucht. Die Klamotten kriegst du da kaum trocken. Eigentlich ist es ein Scheißklima unten im Boot. Es gibt keine Heizung, nur im Maschinenraum ist es warm, zu warm und es stinkt nach Öl und Abgasen. Auf jeden Fall waren wir froh, dass wir mal für ein paar Stunden aus der engen Röhre raus konnten. Unangenehm wurde es erst wieder an der nordafrikanischen Küste. In der Biskaya wurde es dann sogar richtig brenzlich, da muss man nämlich wieder verdammt auf Flieger achtgeben. Es ist wirklich nicht einfach, sich diese Teufel mit der Flak auf Distanz zu halten.«

»Schießt du auch mit der Flak?«, fragte Rudolf.

»Natürlich könnte ich es, im Notfall, aber regulär machen es die Bordschützen. Die sind fixer und meinetwegen auch treffsicherer. Mit der Zehnfünfer musst du ein richtiger Artillerist sein. Mit der Flak kann eigentlich jeder schießen. Einfach draufhalten und abdrücken. Deine Leute müssen natürlich schnell mit dem Nachladen sein, damit es keine Unterbrechung gibt und der Flieger nicht entwischen kann.«

»Und das war dann deine erste Feindfahrt?«

»Unternehmung, wir nennen es Unternehmung«, betonte Michael. »Nach der ersten Unternehmung wurden wir beim Einlaufen noch mit Marschmusik begrüßt. Alle stehen an Deck und am Turm hängen die Wimpel, die Fähnchen mit der versenkten Tonnage. Man will schließlich zeigen, was man hat.«

»Na und dann, was macht ihr im Hafen nach so einer Unternehmung. Dann wird doch gefeiert, oder?«

»Erst einmal wird das Boot ausgeräumt, komplett ausgeräumt. Der ganze Müll muss raus. Wenn noch Torpedos da sind, dann bleiben die natürlich drin. Und dann, dann wird sich natürlich rasiert. So etwas kommt auf der Fahrt nämlich zu kurz. Wenn wir einlaufen, dann sehen wir aus wie die Räuber, alle, auch der Kaleun und die Offiziere. Ich habe es noch nie erlebt, dass sich jemand auf der Fahrt rasiert hat. Man muss ja schon froh sein, wenn man sich ab und zu mal waschen kann.«

»Ja, aber wenn das alles erledigt ist, dann wird doch gefeiert, oder?«

»Jeder hält es, wie er will. Natürlich spült man sich das Salzwasser aus den Kiemen, und zwar mit einem anständigen Bier. Zum Glück haben wir unser deutsches Bier in Frankreich. So mancher Kamerad ist allerdings auf den Geschmack von Champus gekommen, was sich ja auch anbietet. Ich bin nicht so für das Zeugs. Ich halte mich lieber ans Bier, wenn überhaupt. Während der Liegezeit gibt es immer etwas zu tun. Wir fahren weiter unsere Wachen, wie auf See, nur dass eben Reparaturdienst ansteht oder Bunkerwache.«

»Das klingt ja nicht sehr begeistert«, stellte Rudolf fest. »Wo bist du denn noch gefahren?«

Michael überlegte. »Die zweite und dritte Unternehmung ging auch nach Mittelamerika. Auf solch langen Fahrten wird das U-Boot natürlich von anderen Booten versorgt. Es gibt extra Versorgungsschiffe, das sind manchmal auch U-Boote, die vor allem Treiböl, aber auch Proviant übergeben. Torpedos haben wir nur einmal bekommen, weil es kaum Torpedofehler gab, also Torpedos, die nicht gezündet haben. Nur einmal mussten wir für einen Pott vier Dinger losmachen, weil zwei danebengegangen sind. Dafür haben wir aber zwei kleinere Frachter ausschließlich mit unserer Zehnfünfer versenkt. Was mir allerdings noch fehlt, ist eine richtige Äquatortaufe.«

»Bloß nicht, dann wirst du noch wie mein Vater«, höhnte Rudolf. »Du weißt ja selbst, dass er nur ein halbes Jahr zur See gefahren ist, aber eine Äquatortaufe hat er mitgemacht. Ich wette er erzählt gerade mal wieder jemandem, wie ihm der Dreck der nördlichen Halbkugel abgewaschen wurde und wie sie ihn abgefüllt haben und dass er als Einziger noch stehen konnte. Und das lassen die Offiziere auf einem U-Boot zu, dass da so gesoffen wird?«

»Mir hat man erzählt, es wäre eine Taufe wie in Friedenszeiten, und wenn ein Offizier noch nicht getauft ist, dann muss er auch dran glauben.«

»Wie sind denn die Offiziere so?«

»Die ganz großen Tiere fahren natürlich nicht auf einem U-Boot. Der Kommandant ist Kapitänleutnant, der erste Wachoffizier und der Leitende Ingenieur sind beides Oberleutnants und der zweite Wachoffizier ist bloß nur noch ein kleiner Leutnant.«

»Als Obermaat bist du aber doch auch schon eine Respektsperson«, stellte Rudolf fest.

»Ich zitiere aus der Dienstvorschrift:«, sagte Michael mit bewusst förmlicher Stimme. »Der Unteroffizier ist das Bindeglied zwischen Führung und Mannschaft.« Dann lachte er. »Jedenfalls sind mir die Lords oft näher als die ganzen Leutnants. Der Kaleun ist allerdings in Ordnung. Er hat die Niobe überlebt. Er gehört zu Crew 32 und das soll schon was heißen.«

Rudolf nickte anerkennend. »Jawohl, Herr Obermaat.«

Michael erhob sich von dem Hocker. »So jetzt ist Schluss. Hilf mir mal mit der Plane.«

Michael schob das Motorrad in eine Ecke des Schuppens. Rudolf hatte die Plane bereits hervorgezogen. Michael ergriff das andere Ende und gemeinsam deckten sie die Maschine wieder zu.

»Bis zum nächsten Mal. Wenn ich zwei Wochen am Stück hätte und keine Ablenkung, dann könnte ich sie fertigmachen.«

»Ich gebe sie nächste Woche in die Werkstatt und du wirst es hinnehmen müssen. Du willst doch auch, dass die Mühle wieder läuft. Im Frühjahr machen wir dann eine Spritztour nach Hamburg.«

Rudolf wirkte entschlossen und rechnete schon mit Michaels Einspruch. Dieser blieb allerdings aus. Michael war in Gedanken.

»Sag mal, vor ein paar Tagen, auf dem Weg von Hamburg hierher sind wir an einem Lager vorbeigefahren. Vater sagt, es sei ein Gefangenenlager, Kriegsgefangene, Franzosen und Engländer. Warum haben die das hier in die Gegend gebaut?«

Rudolf zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht, die haben das Lager erst vor ein paar Monaten errichtet, aber da sind bestimmt keine Kriegsgefangenen drin. Das ist doch ein Arbeitslager. Es soll doch sogar auch Frauenbaracken geben. Also können es nicht nur Kriegsgefangene sein.«

»Ein Arbeitslager?«, fragte Michael.

»Na klar, die schicken die Leute nach Hamburg in die Fabriken oder zu den Großbauern auf die Felder.«

»Glaub ich nicht, das müssen Kriegsgefangene sein. Ich habe doch Wachen auf den Türmen gesehen und sogar ein Maschinengewehrnest.«

Rudolf schüttelte den Kopf. »Das ist eben das Recht des Siegers, und damit die Leute nicht stiften gehen, sperrt man sie in Lager und bewacht sie. Das nennt sich Zwangsverpflichtung.«

»Ich weiß nicht, das können doch keine Zivilisten sein. Vielleicht sind es Verbrecher, Saboteure, Leute aus dem Widerstand.«

Rudolf lächelte. »Wir haben Krieg, das solltest du besser wissen als ich. Meinst du, wir laden uns da ein paar Franzosen oder Engländer oder Holländer ein, damit sie ihren Urlaub bei uns verbringen. Wenn deutsche Soldaten in Frankreich stehen und hier nicht in den Fabriken arbeiten können, dann muss eben Ersatz her. Und was wir hier haben, also diese Lager, die gibt es überall im schönen Großdeutschen Reich.«

»Sag mal, du weist wohl gut Bescheid. So was wird doch nicht im Heeresbericht erwähnt, oder.«

Rudolf sah kurz zur Schuppentür, trat dann einen Schritt näher an Michael heran. »Der Heeresbericht ist doch was für’n Kindergarten. Ich war die letzten Wochen oft in Dresden, hab da einen Kumpel. Was mit meinem linken Arm ist, hat er mit dem rechten Bein.« Rudolf zupfte sich am Ärmel seines Hemdes. »Er nennt es Kötzschenbroda, weißt du, was ich meine?«

Michael sah Rudolf an. »Kötzschenbroda?«, wiederholte er.

Rudolf trat noch ein Stück näher. »Mein Kumpel hat ein uraltes Radio, wohl aus den Zwanzigern oder so. Er hat immer einen Hammer zur Hand, wenn er Radio hört. Weißt du jetzt, was ich mit Kötzschenbroda meine?«

»Ne, wirklich nich’.« Michael schüttelte den Kopf. »Was soll das mit dem Hammer und diesem Kötzschenbroda?«

»Ja, wie soll ich es sagen.« Rudolf zögerte. »Also, mit dem Hammer würde er das Radio kaputt hauen. Dann kann niemand behaupten, dass das Ding noch funktioniert hat.«

Michael hatte endlich begriffen. »Du meinst, dein Kumpel hört ausländische Sender?«

»Ich würd’s noch lauter brüllen.« Rudolf sah wieder zur Schuppentür. »Also, dieses Kötzschenbroda ist schon sehr spannend. Ich habe ja auch erst gedacht, die Engländer bescheißen, aber wenn man die Nachrichten häufiger hört und auch sieht, was hier so vor sich geht. Du verstehst schon, was ich meine.«

»Ich weiß nicht, was soll das, warum machst du das? Und du bist jetzt überzeugt, dass der Feind die Wahrheit sagt. Warum sollten die Engländer das machen?«

Rudolf zuckte mit den Achseln. »Weil es für die Engländer besser steht, seitdem der Ami mitmischt. Mein Kumpel sagt das auch. Als die Amis 1917 in den Krieg eingetreten sind, da begann für den Kaiser die Kacke anzudampfen. So wird’s jetzt auch wieder sein.«

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