Kitabı oku: «Das Lager», sayfa 2

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III. Bad Godesberg, Montag, 4. August 2014
1

Laura Peters öffnete das verrostete Gartentor und trat feierlich in den Vorgarten des Jugendstil-Altbaus in bester Godesberger Lage. Heute nahm ihre Detektei den Betrieb auf, es war ihr erster Tag als selbstständige Detektivin.

Sie lächelte, als sie an die Bedenken ihrer Bekannten dachte. Die Idee, eine Agentur zu eröffnen, war mit deutlicher Skepsis aufgenommen worden. Das Herumschnüffeln in anderer Leute Privatangelegenheiten erschien ihnen zu indiskret, zu vulgär. Am heftigsten hatte ihre Freundin Barbara reagiert. Sie schien ernsthaft besorgt, Laura könnte in kriminelle Kreise abrutschen.

Wenn einmal das Böse seinen Blick auf dich richtet, gibt es kein Entkommen!'

Doch Laura hatte sich nicht beirren lassen. Sie brauchte einen Neuanfang. Scharf sog sie die Luft ein. Die Erinnerung an seinen Verrat und an die katastrophalen Folgen schmerzte. Es hatte lange gedauert, bis sie sich aus dem dunklen Tal herausgekämpft hatte. Ein Teil von ihr würde vielleicht für immer dort bleiben. Unbewusst straffte sie die Schultern. Das war Vergangenheit. Jetzt begann ein neuer Abschnitt. Es gab wieder eine Perspektive in ihrem Leben und das gefiel ihr außerordentlich gut.

Im Vorgarten ließen die vertrockneten Büsche ihre Wedel hängen. Laura merkte, dass Jeans und Leinenhemd die falsche Wahl gewesen waren für einen Tag, der die 30-Grad-Marke sicher wieder überschreiten würde. Sie betrat das kühle Treppenhaus, in dem es angenehm nach Putzmitteln roch. In den höheren Etagen hatten eine adelsbetitelte Anwältin und eine windige Immobilien-Firma ihren Sitz, Lauras Detektei nahm das gesamte Erdgeschoss ein. Sie öffnete die Wohnungstür und trat in den Vorraum, den sie mit einem Schreibtisch und drei kleinen Sesseln möbliert hatte. Irgendwann würde hier eine Assistentin sitzen und die Klienten empfangen, doch das war noch Zukunftsmusik. Zuerst musste sie den Laden ans Laufen bringen. Sie holte sich aus der Küche einen Kaffee, ging durch die hohe Flügeltür in ihr Büro und setzte sich in den bequemen Schreibtischsessel. Zufrieden nippte sie an ihrem Becher und schaute auf die kahlen Wände. Doch langsam kroch die Stille von allen Seiten auf sie zu.

Was nun?

Sie hatte in den letzten Tagen viele Anzeigen geschaltet, doch wie lange würde es dauern, bis sich der erste Kunde meldete? Vielleicht musste sie mehr tun, Firmen und Anwälte ansprechen und ihre Dienste anbieten?

Das Klingeln des Telefons durchfuhr sie wie ein freudiger Stromschlag.

„Detektei Peters, Laura Peters am Apparat.“

„Guten Morgen, können Sie mir Informationen zu einer bestimmten Person beschaffen? Und was kostet das?“ Die Frauenstimme am anderen Ende klang atemlos und gehetzt.

„Darf ich zuerst Ihren Namen erfahren?“

„Mein Name ist Jennifer Koscewskij. Ich möchte gerne mit dem Chef sprechen.“

„Am Apparat. Frau Koscewskij, was kann ich für Sie tun?“

„Hm, für eine Frau ist das vielleicht nicht der richtige Job ...“

„Frau Koscewskij“, unterbrach Laura hastig, diesen ersten Auftrag wollte sie sich auf keinen Fall entgehen lassen, „Frauen haben durchaus Vorteile bei der Ermittlungsarbeit. Wir wirken viel harmloser als unsere männlichen Kollegen. Und sollte es hart auf hart kommen, werden meine Mitarbeiter mit jeder Situation souverän fertig.“ Jetzt improvisierte sie ungeniert über die tatsächlichen Gegebenheiten hinaus. „Sagen Sie mir doch, worum es geht.“

Ihre Gesprächspartnerin zögerte einen Moment.

„Es geht um meinen Ex-Mann. Vor zwei Monaten hat er sich aus dem Staub gemacht, ist einfach untergetaucht. Für die Kinder und mich macht er keinen Cent locker, aber für seine Geliebte hat er Geld. Doch das könnte ihm so passen. Ich möchte wissen, wo er wohnt und für wen er arbeitet. Können Sie das für mich herausfinden?“

„Natürlich. Was halten Sie davon, wenn wir uns treffen? Sie können mir dann alle Einzelheiten erzählen.“

***

Jennifer Koscewskij klingelte überpünktlich. Kritisch schaute sie sich im Vorraum der Agentur um, dann musterte sie Laura vom Scheitel bis zur Sohle. Laura hatte währenddessen ebenfalls Gelegenheit, sich einen Eindruck zu verschaffen. Ihre Besucherin war einen halben Kopf kleiner als sie, um die dreißig, mit blondgesträhnten Haaren. Das Parfüm war aufdringlich, das Lächeln wirkte angestrengt und nervös. Laura bot ihr etwas zu trinken an, doch Jennifer Koscewskij lehnte ab. Sie hatte es eilig und wollte gleich zur Sache kommen. Drei Jahre war sie mit ihrem Ex glücklich verheiratet gewesen, der dreijährige Sohn war ein gemeinsames Kind, die zwölfjährige Tochter hatte sie mit in die Ehe gebracht. Doch dann hatte er sich plötzlich von ihnen getrennt, eine Begründung hatte er nicht gegeben.

„Das hört sich natürlich nicht schön an.“ Laura blickte von ihren Notizen auf und versuchte, mitfühlend auszusehen. „Was können wir jetzt für Sie tun?“

„Ich möchte diesen Arsch drankriegen und an die Wand klatschen! Bevor er uns verlassen hat, redete er ständig davon, dass er bald sehr reich sein würde. Richtig aufgeregt war er. Und jetzt behauptet er, er hätte kein Geld. Doch das glaube ich nicht. Sie müssen mir helfen. Finden Sie heraus, wer die Schlampe ist, mit der er rummacht. Wahrscheinlich überschüttet er sie mit teuren Geschenken und wir wissen nicht, wie wir über die Runden kommen sollen.“

„Sind Sie sicher, dass er eine andere Frau hat?“

„Allerdings. Letzten Samstag haben wir die beiden zufällig an der Rheinpromenade gesehen. Ein blutjunges Ding, keine zwanzig Jahre alt, kaum älter als meine Tochter. Er hatte den Arm um sie gelegt, dass er sich nicht schämt! Das lasse ich mir nicht bieten! Ich will wissen, womit er sein Geld verdient und wer seine Freundin ist. Übernehmen Sie das für mich?“

„Gern.“ Laura beugte sich geschäftig vor und legte ein frisch ausgedrucktes Auftragsformular auf den Tisch. „Auf eine Sache muss ich Sie allerdings hinweisen: Wir übernehmen keine Aufträge, die mit schweren Verbrechen im Zusammenhang stehen, also zum Beispiel mit Mord, Entführung oder Körperverletzung. Sollten Sie uns darüber im Vorfeld nicht aufgeklärt haben, haben wir das Recht, die Arbeit einzustellen und das Honorar zu behalten.“ Sie sah ihre Besucherin ernst an, um sicherzugehen, dass sie verstanden hatte.

Jennifer Koscewskij nickte ungeduldig, schnappte sich den Vertrag und unterschrieb ihn ungelesen. Dann kramte sie in ihrer Handtasche und warf ein Foto auf den Tisch.

„Damit Sie wissen, nach wem Sie suchen: Das ist er. Sein Name ist Józef Koscewskij. Sie können das Bild für den Auftrag behalten und danach wegwerfen. Ich habe keine Verwendung mehr dafür.“

Laura sah sich das Porträt an. Józef Koscewskij war ein bulliger Mann in mittleren Jahren mit schütterem Haar, der unbewegt in die Kamera blickte. Er hatte die Arme vor dem Körper verschränkt, an der Hand trug er einen klobigen Goldring. Keiner, der besonders sympathisch wirkte, aber auch keiner, der gefährlich aussah.

Die beiden Frauen vereinbarten, dass erste Ergebnisse bis Ende der Woche vorliegen sollten. Laura sah ihrer Besucherin aus dem Fenster hinterher, bis sie aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Der erste Auftrag.

Wunderbar!

Schwungvoll setzte sie sich an den Schreibtisch und gab den Namen der Zielperson in den Computer ein. Ein Józef Koscewskij veröffentliche Kinderbücher, ein anderer verkaufte Gebrauchtwagen in Norddeutschland. Alles keine brauchbaren Ergebnisse. Sie überlegte, was sie als Nächstes tun sollte und entschied sich, zu Jennifer Koscewskijs Adresse zu fahren.

Es konnte nicht schaden, mehr über ihre Auftraggeberin zu erfahren.

***

Laura fuhr zügig durch das Villenviertel von Bad Godesberg, durchquerte das beschauliche Rüngsdorf und erreichte den Ortseingang von Mehlem. Wegen der direkten Rheinlage und des wunderschönen Blicks auf den Drachenfels gehörte der frühere Luftkurort lange zu den bevorzugten Wohngegenden Bonns. Doch seit die Botschaften nach Berlin gezogen waren, hatte sich das Erscheinungsbild des Ortes verändert, die Nähe der großen Moschee und der König-Fahd-Akademie war unübersehbar. Prachtbauten aus Gründerzeit und Jugendstil waren in schlechtem Zustand und verbreiteten eine morbide Stimmung.

Vernachlässigung, Verfall und Gleichgültigkeit schienen sich immer weiter auszubreiten.

Das Navi lotste Laura in ein Wohngebiet mit schmucklosen 70er-Jahre-Häusern, in dem Jennifer Koscewskij mit ihren Kindern wohnte. Laura hatte Glück und fand einen Parkplatz gleich am gegenüberliegenden Straßenrand, von dem aus sie die Wohnung der Familie gut im Blick hatte.

In der Nähe des Eingangs belagerten lärmende Jugendliche einen Mülltonnenverschlag. Bier trinkend und rauchend riefen sie den Passanten Unflätigkeiten hinterher und lachten grölend, wenn diese ihre Schritte beschleunigten. Das vertrocknete Rasenstück vor dem Mietshaus war übersät mit Zigarettenkippen und Scherben. Graffitis in schwarz verlaufener Farbe schrien aggressive Sex- und Fäkal-Botschaften von der Hauswand und die meisten Namensschilder waren aus dem großen Klingelbrett herausgebrochen worden.

Die Haustür öffnete sich und ein untersetzter Mann verließ das Gebäude.

Hätte Laura noch Zweifel bezüglich seiner Identität gehabt, so wurden sie zerstreut, als direkt hinter ihm seine Ex-Frau aus dem Haus trat. Wie eine Furie schrie Jennifer Koscewskij auf ihn ein und gestikulierte wild mit den Händen. Der Mann beendete den Streit mit einer herrischen Handbewegung und lief mit langen Schritten in Richtung Straße. Dort stieg er in einen alten Mercedes, ließ den Motor an und brauste mit Kavaliersstart davon.

Laura folgte in vorsichtigem Abstand.

2

Eine Stunde später kehrte Laura in ihr Büro zurück. Koscewskij war ohne Umwege zu seinem Wohnort gefahren, es war ein Kinderspiel gewesen, seine Adresse herauszufinden. Zufrieden setzte sie sich mit einem Milchkaffee, ein paar Keksen und der Tageszeitung in die Kaffeeküche.

Die Schlagzeile über die Frauenleiche im Dornheckensee sprang ihr sofort ins Auge. Während sie an einem Löffelbiskuit knabberte, überflog sie den Artikel. Der Hund eines Spaziergängers hatte die Frau im See gefunden. Neben dem Text prangte das Foto eines Golden Retrievers, der treu in die Kamera blickte. Der Polizeichef wurde in gestelztem Beamtendeutsch zitiert, dass er ein Fremdverschulden, das zum Eintritt des Todes geführt habe, nicht ausschließen könnte. Um wen es sich bei der Toten handelte, war noch nicht bekannt, außerdem wurde auf das Badeverbot im See hingewiesen.

Laura starrte gedankenverloren aus dem Fenster. Sie kannte den Dornheckensee gut. Früher war sie oft mit Schulfreunden dorthin zum Baden gegangen. Sie hatten ihre Decken auf der großen Liegewiese ausgebreitet und die freien Nachmittage in der Sonne genossen. Das Publikum war bunt gemischt gewesen und die Stimmung entspannt und fröhlich.

Sie nahm sich ein Wasser und ging in ihr Büro, um im Internet weitere Informationen über den Leichenfund zu suchen. Die Boulevardzeitungen übten wenig Zurückhaltung und spekulierten wild ins Rotlichtmilieu und die Türsteher-Mafia hinein. Ihrer Meinung nach war die Tote eine Prostituierte, die bei Sexspielchen mit einem stürmischen Freier gestorben war. Andere Zeitungen vermuteten, dass eine kriminelle Bande aus Köln dahinterstecken könnte. Laura kam das abwegig vor. Warum sollten die so weit fahren, um eine Leiche zu entsorgen? In der Umgebung von Köln gab es genug Seen, die schneller zu erreichen waren. Doch die Schlussfolgerung, die sich daraus ergab, verursachte ihr Unbehagen:

Trieb ein Psychopath mitten in Bonn sein Unwesen?

Das Telefonklingeln riss sie aus ihren düsteren Gedanken.

Eine Männerstimme mit leichtem Akzent, den sie nicht direkt zuordnen konnte, erkundigte sich, ob die Position als Detektiv noch frei sei. Laura hatte in den letzten Wochen mehrere Anzeigen in Zeitungen und Internetportalen aufgegeben, um Verstärkung zu finden. Die Resonanz war ernüchternd gewesen. Es hatten sich nur übergewichtige Rentner gemeldet, die nachts, wenn sie nicht schlafen konnten, gemütlich am Empfangstresen einer Firma hocken, Chips essen und fernsehen wollten. Doch dieser Mann, der sich als Marek Liebermann vorstellte, hörte sich vielversprechend an.

Erfreut lud sie ihn ein, vorbeizukommen.

***

Marek Liebermann war groß, athletisch und als er in Lauras Büro trat, schien er den ganzen Raum auszufüllen. Sie bot ihm einen Platz an und musterte ihn verstohlen. Dunkle Haare, dunkle Augen, ein leicht amüsierter Gesichtsausdruck. An seinem Hals fiel ihr ein Lederband auf, das im Ausschnitt des weißen T-Shirts verschwand. Ob daran ein Anhänger befestigt war? Oder ein Ehering? An seinem Finger trug er jedenfalls keinen.

„Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“

Dankend akzeptierte er ein Wasser und versuchte, seine großen Füße unter dem Tischchen zu platzieren.

„Sie interessieren sich für die Mitarbeit in meiner Detektei, haben Sie Erfahrung in diesem Metier?“

Marek lächelte und lehnte sich entspannt zurück. „Ich bin seit zwanzig Jahren in der Branche. Früher hatte ich eine eigene Detektei in Warschau. Vor zehn Jahren bin ich nach Deutschland gekommen und habe bei verschiedenen Agenturen gearbeitet. Wachschutz, Ermittlungen, Beschattungen, das ganze Programm.“

Laura fragte ihn nach Einzelheiten zu seinen beruflichen Stationen und sprach schließlich den letzten, heiklen Punkt an, die finanziellen Konditionen. Ein fürstliches Gehalt, wie er es vermutlich gewohnt war, konnte sie ihm nicht bieten, doch zu ihrem Erstaunen wurden sie sich schnell einig.

„Dann freue ich mich, dich in der Detektei Peters herzlich willkommen zu heißen, Marek. Auf eine gute Zusammenarbeit. Ich hoffe, es ist in Ordnung, dass wir uns duzen?“ Laura erhob sich und schüttelte ihm die Hand.

„Natürlich. Ich freue mich auch.“ Marek grinste und sah sich in ihrem Büro um. Sein Blick blieb an ein paar Büchern hängen, die auf dem Schreibtisch zu einem Turm gestapelt waren. „Sherlock Holmes? Nur von den Besten lernen, hm?“

„Ich fand, es hätte eine gewisse Komik.“

Marek lachte. „Wenn man alles Unmögliche ausgeschlossen hat, muss die Wahrheit übrig bleiben, so unwahrscheinlich sie auch klingt. Das ist doch Sherlock Holmes, der das gesagt hat?“

Laura nickte.

„In der Theorie stimmt das natürlich.“ Er nahm eines der Bücher vom Schreibtisch und blätterte darin.

„In der Praxis nicht?“ Laura verschränkte die Arme und sah ihn amüsiert an.

„Doch, auch. Leider hat man nie alle Informationen vorliegen. Wenn nach dem Ausschlussverfahren eine unwahrscheinliche Lösung übrig bleibt, gibt es meiner Erfahrung nach meist eine Lösung, die man übersehen hat.“

„Alles eine Frage sorgfältiger Recherche.“

„Und Intuition und Einfühlungsvermögen. Die wahren Abgründe im Inneren eines Menschen lassen sich nicht recherchieren. Die musst du erspüren.“

„Du meinst Profiling? In den Kopf des Täters gehen, mit seinen Augen sehen, seine Gedanken fühlen?“

Marek nickte.

„Ich fürchte, dazu bin ich nur begrenzt in der Lage.“ Laura griff nach der Zeitung, die auf dem Tisch lag, und hielt den Artikel über den Mord am Dornheckensee hoch. „Was ging in dem Täter vor, als er das Mädchen ermordete? Es wird vermutet, dass er sie vor ihrem Tod gequält und missbraucht hat. Bestimmt kriegt er nur einen hoch, wenn er die Qualen seines Opfers sieht. Ich kann das nicht nachempfinden. Es stößt mich zu sehr ab.“

Marek lachte. „Das ehrt dich, aber Vorbehalte und Schwarz-Weiß-Denken stehen einem bei unserer Arbeit nur im Wege. Die Einteilung in Gut und Böse ist irrelevant für die Suche nach dem Täter. Genauso das Mitleid mit dem Opfer. Es trübt deinen Blick. Du musst deinen Geist freimachen von Moralvorstellungen und sexueller Verklemmtheit. Es gibt nur die Bewertung, ob mir etwas Vergnügen und Lust bereitet oder ob es mich langweilt.“

„Ob es mir Vergnügen bereitet?“

„Ja, mir, dem Täter. Wenn ich in seinem Kopf bin und so denke wie er, bin ich der Täter.“

„Wird man da nicht irgendwann selbst zum Psychopathen?“

Marek lächelte sardonisch.

„Das kann passieren. Manch einer hat den Weg aus der Dunkelheit nicht wieder zurückgefunden.“ Einen Augenblick starrte er abwesend auf die Zeitung, dann wechselte er abrupt das Thema. „Haben wir schon einen Fall?“

Laura nickte und erzählte ihm bereitwillig von der ersten Klientin.

„Koscewskijs Adresse hast du also schon. Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, wovon er lebt und mit wem?“

„Genau. Das sollte nicht mehr allzu schwer sein. Wir können ihn morgen früh beschatten, dann werden wir sehen, wo er arbeitet.“

„Sofern er tagsüber arbeitet“, wandte Marek ein. „Für den Fall, dass er Schichtarbeit macht oder Nachtwächter ist, sollten wir uns bereits heute Abend auf die Lauer legen.“

„Stimmt, guter Punkt. Kannst du das übernehmen? Als erste Amtshandlung sozusagen?“

„Kein Problem.“ Marek sprang auf. „Ich mache mich gleich auf den Weg. Je schneller wir die Informationen haben, desto besser. Wir sehen uns morgen.“

Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss, Laura blieb allein in ihrem Büro zurück. Sie dachte über das Gespräch nach und fragte sich, ob Marek wohl immer den Weg aus der Dunkelheit zurückgefunden hatte.

3

Marek war zufrieden damit, wie der Termin verlaufen war und dass er den Job bekommen hatte. Erstaunlich, wie wenig Laura Peters von ihm hatte wissen wollen. Er hatte ihr das eine oder andere aus seiner beruflichen Laufbahn erzählt, bei keiner Gelegenheit hatte sie nachgebohrt. Seine Bewerbungsmappe hatte er dagelassen, doch darin waren nur wenige Unterlagen. Immerhin würden sie jeder Überprüfung standhalten.

Jedenfalls fürs Erste.

Sofern sie sich überhaupt die Mühe machte, weitere Nachforschungen anzustellen. Er hatte nicht den Eindruck gehabt, dass es sie sonderlich interessierte. Anscheinend hatte sie sich auf ihr Bauchgefühl verlassen, als sie ihm den Job gegeben hatte. Da hatte er Glück gehabt. Die kleine Detektei war perfekt für ihn.

Komplizierte Fälle würde es nicht geben, dafür genügend Freiraum für eigene Projekte.

Er lenkte seinen alten Fiesta durch den dichten Feierabendverkehr und wechselte die Spur, um schneller voranzukommen. Die Adresse in Tannenbusch, die Laura ihm genannt hatte, lag in einem der seelenlosen Wohnblocks im Norden von Bonn. Die Hochhäuser waren in den 70er-Jahren gegen den Wohnungsmangel und ohne Rücksicht auf Ästhetik aus dem Boden gestampft worden. Alle Wohnungen sahen von außen identisch aus, selbst die Gardinen hinter den Fenstern waren gleich schmutzig und vergilbt. Marek fuhr um den Block, um die Gegend zu erkunden. Viel zu viele Menschen lebten hier auf viel zu engem Raum, die meisten von ihnen ohne Arbeit und Perspektive. In manchen Ecken waren Schlägereien und Überfälle an der Tagesordnung. Eine Sprachenschule hatte im Internet ihre ausländischen Studenten sogar gewarnt und den Stadtteil als No-go-Area bezeichnet, was bei der Stadtverwaltung natürlich nicht gut angekommen war.

Marek parkte sein Auto und ging zu dem Hochhaus, in dem Józef Koscewskij wohnte. Während er überlegte, ob er bei einem von Koscewskijs Nachbarn läuten oder mit den Handflächen auf gut Glück alle Klingeln betätigen sollte, öffnete sich die Haustür. Ein Junge im ausgeleierten Bart-Simpson-T-Shirt trat heraus. Marek machte einen großen Schritt an ihm vorbei, um die Tür am Zufallen zu hindern, und betrat das streng nach Urin riechende Treppenhaus.

Der Junge blieb stehen. „Zu wem wollen Sie?“

Marek drehte sich um und blickte in ein schmales, sommersprossiges Kindergesicht. „Kennst du nicht, ein Bekannter von mir. Er wohnt noch nicht lange hier.“

„Der Mann, der vor ein paar Wochen eingezogen ist. Er wohnt direkt neben uns.“ Stolz sah er zu Marek auf.

„Ach, wirklich? Woher willst du wissen, wen ich meine?“

„Ganz einfach. Die meisten wohnen hier schon lange. Neue Leute ziehen nur selten her.“

„Verstehe. Kennst du ihn gut?“

„Nein. Aber ich habe ihm beim Einzug zugesehen. Warum wollen Sie das überhaupt wissen? Wir reden hier nicht gern mit Fremden. Das sagt mein großer Bruder immer. Wir halten unser Viertel sauber.“ Der Junge sah misstrauisch auf Mareks Schuhe.

„Da hat dein Bruder recht. Du solltest wirklich nicht mit Fremden reden.“ Marek nahm die nächsten zwei Stufen, da hörte er den Kleinen wieder.

„Was wollen Sie von dem Koscewskij?“

Marek zuckte die Schultern.

„Ich kann ihn in seiner Wohnung hören.“

Marek setzte seinen Weg fort.

„Er weint.“

Die Worte hallten durch das Treppenhaus.

Marek blieb stehen. „Wann war das?“

„Letzte Nacht. Er hat lange geweint. Mein Bett steht direkt an der Wand neben seiner Wohnung.“

„Kommt das öfter vor?“

Der Junge schüttelte den Kopf. „Nein, nur letzte Nacht. Ansonsten ist er ruhig. Kein Fernsehen. Keine Musik. Vielleicht weint er diese Nacht wieder?“

Marek gewann den Eindruck, dass dem Kleinen jemand fehlte, der ihm zuhörte und sich für ihn interessierte. Er bettelte geradezu nach Aufmerksamkeit. „Junge, das kann schon mal vorkommen, dass jemand weint. Es ist nichts Besonderes. Mach dir keine Gedanken.“

„Sie weinen bestimmt nicht. Und mein Bruder weint auch nicht. Selbst wenn er vom Freund meiner Mutter Dresche kriegt. Keinen Mucks tut er.“

Marek fühlte sich angesichts so viel Offenheit unbehaglich. Er wollte nicht in die häuslichen Probleme des Jungen hineingezogen werden, dazu war jetzt keine Zeit. „Machs gut, Junge, ich habe zu tun.“

Er stieg endgültig die Stufen hinauf.

Koscewskijs Wohnung lag im siebten Stock, der Flur war leer. Hinter einigen Türen waren Geräusche zu hören, Geklapper von Geschirr, Fernsehlärm, allerdings keine Stimmen.

Redeten die Leute nicht miteinander?

Marek schlich zur Tür von Koscewskijs Wohnung und wollte sein Ohr dagegen pressen, als sich von drinnen schnelle Schritte näherten. Gerade noch konnte er zur Seite springen und sein Gesicht in den Schatten drehen, da wurde die Tür aufgerissen. Ein Mann kam eilig heraus, schloss, ohne ihn weiter zu beachten, hinter sich ab und verschwand in Richtung Treppenhaus. Marek folgte ihm in großem Abstand. Als er aus der Haustür trat, überquerte Koscewskij bereits in einiger Entfernung die Straße. Plötzlich stand der blonde Junge wie aus dem Boden gewachsen da.

„Verfolgen Sie den Koscewskij?“

„Geh aus dem Weg.“ Marek wollte sich an ihm vorbeidrängeln, dann sah er den verletzten Ausdruck in den Augen des Jungen. „Du solltest nicht hier draußen herumlungern“, fügte er etwas freundlicher hinzu.

Dann rannte er los, ohne sich noch einmal umzusehen.

Die Fahrt ging durch die Bonner Innenstadt, wo dichter Verkehr herrschte, dann bog Koscewskij auf die Südbrücke ab. Marek verringerte den Abstand, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Mittlerweile war es fast dunkel, die Silhouette des Siebengebirges auf der anderen Rheinseite war nur noch zu erahnen. Koscewskij nahm die Schnellstraße nach Königswinter und fuhr einige Minuten später in Bad Honnef ab. Im Vorbeifahren registrierte Marek die hochherrschaftlichen Häuser, imposanten Villen und großen Parks.

Hier wohnte die reichere Klientel des Städtchens.

Koscewskij hielt vor einem Grundstück, das von einer hohen Betonmauer umgeben war. Videokameras und Scheinwerfer waren in regelmäßigen Abständen angebracht, das Anwesen strahlte den Charme eines Hochsicherheitstraktes aus. Der Besitzer legte offensichtlich großen Wert auf seine Privatsphäre.

Um keine Aufmerksamkeit zu erregen, fuhr Marek mit unveränderter Geschwindigkeit an Koscewskijs parkendem Wagen vorbei. Hinter der nächsten Kurve bog er ab, stellte das Auto an den Straßenrand und lief zurück. Koscewskij hatte sein Fahrzeug verlassen und stand im grellen Lichtkegel zweier Scheinwerfer vor dem Eisentor. Er betätigte immer wieder die Klingel, doch niemand öffnete. Plötzlich geriet er in Rage und schlug die Fäuste mehrmals hart gegen das Portal. Dann taumelte er rückwärts, schaute direkt in die über ihm angebrachte Kamera und schrie:

„Du Dreckschwein! Mach endlich auf! Ich weiß, dass du da drin bist! Ich kriege dich! Du entkommst mir nicht!“

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