Kitabı oku: «Moloch Unsterblich», sayfa 6

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15 Tierarztpraxis

Laura hatte sich die Öffnungszeiten nicht angesehen und je länger sie mit Friedi unterwegs war, umso größer wurde ihre Befürchtung, dass der Tierarzt geschlossen hatte und sie den Weg umsonst machten und grundlos pitschnass wurden. Doch auf dem Schild der Praxis stand, dass montags auch am Nachmittag Sprechstunde war. Laura seufzte erleichtert auf. Jetzt musste sie nur noch einen Grund erfinden, warum sie mit Friedi vorbeikam. Vielleicht sollte sie sagen, dass er schwerhörig war, weil er nie kam, wenn sie ihn rief. Das war natürlich ein Scherz, dem Dackel fehlte nichts. Er fraß mit Appetit, war munter und unternehmungslustig und sein Fell glänzte. Außer seinem Hang zum extrem frühen Aufstehen gab es nichts zu beanstanden.

Sie musste improvisieren.

Entschlossen drückte sie auf die Klingel und schob, als der Türsummer ertönte, die Tür auf. Friedi schien sofort zu wissen, um welchen Ort es sich handelte. Und offensichtlich war er kein Freund von Tierärzten.

„Jetzt komm schon.“ Laura zerrte an der Leine. Doch der Dackel hatte sich auf den Boden gelegt und tat keinen Schritt. Laura stellte einen Fuß in die Tür, ging in die Grätsche, hob den Hund auf die Arme und drängte sich ins Wartezimmer. Als sie die Haare, die ihr ins Gesicht gefallen waren, wegblies, sah sie direkt in die amüsierten Augen einer kräftigen Arzthelferin.

„Geschafft“, japste Laura, lächelte und setzte den Dackel auf den Boden.

„Der Name?“

„Friedi. Und Laura Peters.“

„Sie waren noch nicht bei uns. Beide nicht“, stellte die Sprechstundenhilfe fest.

„Nein. Das ist auch nicht mein Dackel. Er gehört einer Nachbarin, ich passe nur auf ihn auf.“

„Was können wir denn für ihn tun?“

„Ähm, sein Schwanz wurde heute in der Tür eingeklemmt. Er scheint ganz in Ordnung zu sein. Aber ich wollte lieber noch eine Expertenmeinung einholen.“

Ihr Gegenüber warf einen kurzen Blick auf den Dackel, dann einen längeren auf sie. Vielleicht durchschaute sie das Manöver, aber das war jetzt egal.

Laura trat die Flucht nach vorn an. „Sie wurden mir empfohlen von einer Bekannten, Isabel Anton. Ihr Hund musste leider gestern bei Ihnen eingeschläfert werden. Schreckliche Sache.“

Der Blick der Tierarzthelferin wurde stechend, dann kniff sie die Augen zusammen. „Sie haben eben angerufen. Ich erkenne ihre Stimme. Dem Tier fehlt nichts, richtig?“

Laura schluckte. Dieser Frau konnte sie nichts vormachen. Jedenfalls nicht, wenn es um Hunde ging. „Sie haben recht. Das war ich. Und Friedi geht es gut. Ihm ist nichts passiert.“

„Das sehe ich.“

„Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen erklären soll ...“ Laura stockte, dann ergriff sie die Flucht nach vorn. „Der Hund der Familie Anton, warum mussten Sie ihn einschläfern?“

„Das geht Sie nichts an. Tierärzte haben Schweigepflicht. Und wir Sprechstundenhilfen auch. Sind Sie von der Zeitung?“

Laura schüttelte den Kopf. „Nein. Ich kenne nur jemanden, der bei dem, was dem Dackel geschehen ist, dabei war. Er war sich allerdings nicht sicher, ober er es sich vielleicht im Rausch eingebildet haben könnte. Nun macht er sich schreckliche Sorgen. Und Vorwürfe. Ich möchte ihm helfen und herausfinden, was passiert ist.“

„Er war bei dem Unfall dabei?“

„Der Hund hatte einen Unfall?“ Laura sah sie überrascht an. Doch irgendetwas an dem Tonfall erschien ihr merkwürdig.

„So hat uns das Frau Anton gesagt.“ Die stämmige Frau in Weiß verschränkte die Arme vor der üppigen Brust.

„Ok“, sagte Laura langsam, „und ansonsten ist Ihnen auch nichts an dem Hund ungewöhnlich vorgekommen?“

„Ich habe keine Ahnung, worauf Sie hinauswollen. Aber ich bin mir sicher, dass Sie jetzt gehen möchten.“ Der Ton war eisig wie das Wetter draußen.

Laura atmete tief durch, nickte ergeben und wandte sich zum Gehen. Doch Friedi war nicht einverstanden. Schwanzwedelnd ging er auf die imposante Arzthelferin zu und vollführte seine schaukelnden Hüpfer mit den Vorderpfoten.

Und deren Herz schmolz.

Die Dame mit dem harten Gesichtsausdruck lächelte, ging in die Hocke und streichelte den kleinen Kerl. „Sie haben recht. Der arme Hund hatte keinen Unfall. Er wurde so schlimm gequält, dass er nicht mehr zu retten war.“

Laura setzte sich auf einen der Stühle, die an der Wand standen. Sie hatte es gewusst. Warum traf sie die Bestätigung trotzdem so hart?

„Sie wissen, was man mit ihm gemacht hat?“

Laura nickte.

„Eine Schweinerei so was.“ Die Arzthelferin massierte Friedis Bauch, der sich auf den Rücken gelegt hatte und verzückt zur Decke sah.

„Das arme Tier.“ Fast wollte Laura die Stimme versagen, sie räusperte sich. „Hat das denn keine Folgen? Ich meine, müssten Sie nicht die Polizei einschalten? Es gibt doch Gesetze.“

Die Arzthelferin schnaubte und rappelte sich vom Boden hoch. „Einmal haben wir das gemacht. Das gab einen Ärger, fragen Sie nicht nach Sonnenschein. Üble Nachrede, Verleumdung und Stümperhaftigkeit bei der Behandlung war noch das Netteste, was uns vorgeworfen wurde. Wir hätten fast die Praxis dichtmachen müssen.“

In Lauras Kopf ratterten die Informationen durcheinander. „Augenblick. Es gab vorher schon mal so einen Fall? Ein Hund von derselben Familie?“

„Ja. Und nicht nur einen. Immer unterschiedliche Verletzungen, aber alle Tiere mussten eingeschläfert werden.“

„Warum behandeln Sie die Familie noch? Also die Hunde?“

„Pfff. Wir würden die liebend gern loswerden, aber wir können es nicht. Sie lassen uns keine Wahl. Sie drohen uns nicht direkt, aber es ist klar, was passiert, wenn wir sie ablehnen.“ Plötzlich kamen der Sprechstundenhilfe Bedenken. „Sie sind aber nicht mit denen befreundet?“

Laura schüttelte heftig den Kopf. „Ich kenne die Familie nicht. Und nach allem, was ich von ihnen gehört habe, soll das auch so bleiben. Trotzdem verstehe ich nicht, warum sie mit diesen Untaten davonkommen? Man kann doch sehen, was den Tieren passiert ist?“

„Leider ist es nicht so eindeutig. Der Mann geht auf die Jagd, da kann allerhand passieren. Dann haben sie scharfe Hunde, die das Gelände bewachen. Die können schon mal ungemütlich werden und zubeißen. Wir haben es aufgegeben. Deren Anwälte sind gewieft, dagegen kommen wir nicht an.“

„Dann muss ich etwas unternehmen. Das kann nicht so weitergehen.“

Laura war zu allem entschlossen.

16 Café bei der Kirche

Mara hatte sich verabschiedet und den Bus genommen, weil sie zu einer Vorlesung musste. Barbara, Gilda und Andrea, Barbaras frühere Kommilitonin, saßen im Café an einem Bistrotisch, studierten die Karte und schwiegen vor sich hin. Als die Kellnerin kam, bestellten sie alle nur Kaffee.

„Was für ein netter Zufall, dass wir uns nach so langer Zeit wiedergetroffen haben.“ Barbara lächelte und spielte mit einem Miniaturweihnachtsstern herum, der auf dem Tisch stand.

Gilda merkte ihr an, dass die Zurückhaltung ihrer Bekannten sie verunsicherte. Die Situation fühlte sich angespannt an. Warum war sie überhaupt mitgekommen? Eigentlich hatte sie gar keine Zeit, im Büro warteten Aufträge, die bearbeitet werden wollten. Sie hätte sich Mara anschließen sollen, statt hier herumzusitzen.

„Wohnen Sie auch in Bonn?“, fragte sie aufs Geratewohl, um das peinliche Schweigen zu brechen.

„Ja, ich bin für das Studium hierher gezogen. Und geblieben.“ Andrea presste die Lippen zusammen und schaute auf ihre Hände.

„Und wer ist eigentlich gestorben?“, platzte Gilda heraus. Wenn es keinen Small Talk gab, wollte sie wenigstens Informationen. Und mit der Frage hatte sie Andreas Interesse geweckt.

„Ihr wisst das nicht? Warum wart ihr dann da?“

„Ich bin Detektivin, wir haben eine Zielperson bis in die Kirche verfolgt.“

„Wie bitte? Bist du auch Detektivin, Barbara?“

„Nein.“ Barbara lachte. „Ich bin nach wie vor Pianistin. Ich war heute nur Begleitung. Wenn ich Zeit habe, mache ich das manchmal.“

„Ihr schnüffelt hinter Leuten her?“ Andrea schaute die beiden an, als wären sie zwei Küchenschaben, die sie im Salat entdeckt hatte.

„So würde ich das nicht ausdrücken“, begann Barbara, wurde jedoch von Gilda unterbrochen: „Ja, genau das ist unser Job. Und in den meisten Fällen aus gutem Grund.“

„Und was wollt ihr von mir? Wollt ihr mich aushorchen? Ich sage euch bestimmt nichts. Das sind alles ehrbare Leute und ich werd einen Teufel tun und vor euch schlecht über sie reden.“

Gilda hätte ihr am liebsten eine saftige Antwort gegeben, aber Barbara legt ihr unter dem Tisch beruhigend die Hand auf das Knie. Sie verstand den Wink und drehte stattdessen eine ihrer langen, braunen Haarsträhnen um den Finger und sah aus dem Fenster. Sollte Barbara ihr Glück bei diesem verhärmten Weißbrot versuchen.

Die Kellnerin stellte drei große Tassen mit Milchkaffee auf den Tisch und rettete damit die Situation.

„Herrlich“, schwärmte Barbara nach dem ersten Schluck und leckte sich den Milchschaum von der Oberlippe. „Andrea, wir wollen dich nicht aushorchen. Ich habe mich gefreut, dich wiederzusehen. Deshalb habe ich vorgeschlagen, dass wir ins Café gehen. Aber du könntest uns mit einigen Informationen weiterhelfen.“

„Das gefällt mir nicht.“

„Wir wollen doch nur von dir wissen, für wen die Trauermesse war. Aber wir können das auch im Pfarrzentrum erfahren. Kein Problem.“

Andrea schien sich zu beruhigen. „Sorry, ich bin ein bisschen angespannt in letzter Zeit. Die Messe war für Pfarrer Wiese. Ein Urgestein aus Bad Godesberg. Er ist Mittwoch verstorben. Ganz überraschend. Beim Abendessen. An einem Fleischstückchen erstickt. Es stand in der Zeitung.“

„Das habe ich gelesen. Und ich habe auch von ihm gehört“, schaltete sich Gilda in die Unterhaltung ein. „War er nicht Leiter von Allerseelen in Bad Godesberg? Dem Kinderheim? Er war früher sehr bekannt. Zwei Mitschüler von mir haben bei ihm im Heim gewohnt. Ist aber schon etwas her.“

„Ja, er war dort lange Zeit tätig, hat sich überhaupt vorbildlich in der Jugendarbeit engagiert. Aber jetzt hat ja Pfarrer Schmitz das Ruder übernommen.“ Andrea rührte durch ihren Kaffee, dann schien sie zu einem Entschluss gekommen zu sein und sah die beiden direkt an: „Was glaubt ihr, warum dieser alte Mann in der Kirche so herumgeschrien hat?“

„Vielleicht ist er verwirrt“, vermutete Barbara.

„Er schien mir nicht so. Ich hatte den Eindruck, er wusste genau, was er sagte.“

Barbara wollte etwas erwidern, als ein Mann zu ihnen an den Tisch trat. „Hallo Andrea. Schön, dass wir uns mal wieder treffen. Kommst du aus der Kirche? Ich dachte, ich hätte dich dort gesehen.“

„Ja, natürlich war ich da. Hallo, Sascha.“

Gilda sah sie zum ersten Mal lächeln und drehte den Kopf, um den Neuankömmling in Augenschein zu nehmen. Neben ihr stand Mr Perfect. Alles an ihm gefiel ihr. Die dunklen Augen mit dem warmen Zwinkern, der amüsierte Zug um den Mund, das schmal geschnittene Gesicht, die trainierte, schlanke Figur, die Klamotten, die Schuhe. Selbst das Rasierwasser rief bei ihr angenehme, geradezu prickelnde Assoziationen hervor.

Er musste ein Riesenarschloch sein.

Gilda merkte, dass Barbara sie beobachtete, und wurde rot. Schnell starrte sie in ihren Kaffee und ließ die langen Haare als schützenden Vorhang vors Gesicht fallen.

„Darf ich mich zu euch setzen?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, zog er sich einen Stuhl mit der Lehne nach vorne heran und nahm rittlings darauf Platz. „Hi, ich bin Sascha.“

Gilda sah auf und schüttelte seine Hand, die er ihr entgegengestreckt hatte.

„Gilda“, antwortete sie knapp.

„Und ich bin Barbara, freut mich, dich kennenzulernen. Du warst auch bei der Trauerfeier?“ Die Pianistin lächelte strahlend und versprühte ungezwungenen Charme.

„Ja, ich kannte Pfarrer Wiese sehr gut. Ich war sein Zögling, er hat mir in seinem Heim ein Zuhause gegeben. Ich bin dort aufgewachsen. Er war wie ein Vater zu mir.“

Gilda starrte ihn überrascht an. Offensichtlich war es ein Vorurteil zu glauben, man könnte erwachsenen Heimkindern die Vergangenheit ansehen.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, lachte er sie gutmütig an. „Ja, die Zeiten haben sich zum Glück geändert. Wir müssen nicht mehr in Lumpen herumlaufen und betteln wie Oliver Twist.“

„Entschuldigung, nein, das habe ich gar nicht gedacht. Ja doch, ein bisschen. Aber nicht im negativen Sinne ...“ Sie ärgerte sich, dass sie keinen klaren Satz herausbrachte.

„Nicht schlimm, das geht vielen so, die nichts mit Heimen zu tun haben. Die Schreckensbilder aus früheren Zeiten haben sich bei den meisten im Kopf festgesetzt. Ich verstehe das. Aber wir sind wie alle anderen auch. Roland Schmitz, der Pfarrer, der heute die Messe gehalten hat, gehört auch zu uns. Merkt man auch nicht.“ Ein Schatten schien über sein Gesicht zu fallen.

„Wir haben gerade über den Mann geredet, der die Trauerfeier gestört hat. Hast du vielleicht eine Ahnung, Sascha, wer das war und warum er das getan hat?“, schaltete sich Barbara ein.

„Nein, ich weiß nicht, warum er das gemacht hat. Aber ich kenne ihn, wenn auch nicht besonders gut. Manfred Herder heißt er. Er war der Dad von Benny Herder, meinem Freund, der mit mir im Heim war. Er wurde in Obhut gegeben, als die Mutter gestorben war. Sein Vater konnte sich nicht kümmern, weil er nur selten zu Hause war. Ich glaube, er hat auf einem Rheinschiff gearbeitet und war oft monatelang weg. Da es keine Verwandten gab, kam Benny zu uns ins Heim. Sein Dad hat ihn oft besucht und ich durfte manchmal zu einem Ausflug mitkommen.“

„Du sagtest, er ‚war‘ Bennys Vater?“, hakte Gilda nach.

„Ja, mein Freund ist tot. Drogen. Furchtbar. Doch dafür kann Pfarrer Wiese nichts, eher sein Erzeuger, der nie für ihn da war. Aber vielleicht will er die Schuld dem Pfarrer unterjubeln. Ist ja auch viel einfacher, andere für die eigenen Fehler verantwortlich zu machen.“

„Die beiden sind Detektivinnen.“ Andrea schien ihren Freund warnen zu wollen, dass er nichts Unüberlegtes sagte.

„Also ich nicht. Ich bin Pianistin.“

„Cool, ich liebe Musik. Auch klassische. Leider spiele ich kein Instrument, aber dafür singe ich im Chor.“ Sascha zwinkerte ihr zu, um sich dann Gilda zuzuwenden. „Detektivin. Das nenne ich mal einen außergewöhnlichen Beruf.“

„Deshalb waren sie in der Kirche“, warf Andrea erneut ein. „Sie haben eine ... wie sagtet ihr? ... Zielperson verfolgt.“

„Wirklich? Davon musst du mir bei nächster Gelegenheit mehr erzählen.“

Sascha sah Gilda tief in die Augen.

17 Beuel

Dienstag, 19 Uhr

Jo ist ein Arschloch, nimmt sich den Kleinen immer wieder vor / werde ihn nicht mehr reinlassen / der Junge isst nicht / 2 Baldrian in Kakao

Donnerstag, 18 Uhr

Prof hält uns hin, das weiß ich, das Arschloch hat bestimmt gar keine Kontakte, seilt sich einfach ab / wehe, ich kriege das Geld nicht, dann bringe ich ihn um / Junge isst nicht genug, schlechter Zustand, stinkt / lange halte ich das nicht mehr aus / 2 Baldrian in Kakao

Freitag, 10 Uhr

Junge wird nicht wach / Psycho hat sich um ihn gekümmert / Habe Prof eine gezimmert, als er mich wieder vertröstet hat, lasse mich nicht mehr verarschen

Swetlana hatte Stunden damit verbracht, bäuchlings auf dem Bett zu liegen, Rauchwolken zur Decke zu blasen und nachzudenken. Nur unterbrochen von gelegentlichen Gängen in die Küche, um sich mit Schokolade, Keksen oder Cola zu versorgen.

Die Notizen waren verstörend. Herzzerreißend. Was hatten die Bestien dem Jungen angetan? Hätte sie Skrupel bei ihrem Plan empfunden, nach der Lektüre des Grauens waren sie wie weggeblasen. Im Gegenteil, es fühlte sich gerecht an, diesen Monstern eins auszuwischen. Eigentlich war das Zahlen des Schweigegeldes zu wenig, am liebsten würde sie sie leiden lassen. Aber das konnte sie auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, zuerst wollte sie den Plan durchziehen.

Bei dem Vorhaben kam es auf die Details an. Alles musste gut durchdacht sein. Dies war ihre Chance und die durfte sie nicht vermasseln.

Wie viel Geld konnte sie wem abknöpfen? Sicher waren nicht alle gleich zahlungskräftig. Da bedurfte es Fingerspitzengefühl. Wenn sie zu viel verlangte und jemanden an den Abgrund drängte, konnte er sie mitreißen.

Sollte sie alle gleichzeitig kontaktieren? Oder einen nach dem anderen? Würden sie sich gegen sie verbünden? Oder war das Verbrechen unter ihnen ein Tabu?

Wie konnte sie anonym bleiben? Eine Mail mit einer Adresse, die sie extra dafür einrichtete, wäre praktisch. Doch jeder Nerd würde sie im Netz damit aufspüren können. Schade, dass sie niemanden kannte, der ihr helfen konnte, unsichtbar zu werden. Ein Junge aus ihrer Klasse war so ein Phänomen gewesen. Der hatte sich in den Computern anderer Leute ausgekannt wie in seiner Hosentasche. Allerdings war er auch ein Arschloch gewesen. Sie hatte gedacht, sie hätten Freunde sein können. Beide Außenseiter, gemobbt und voller Hass auf die Mitschüler. Doch er hatte sich über sie lustig gemacht, sie vor allen anderen verhöhnt.

Zisch ab, du fette Kuh. Ich kriege Augenkrebs, wenn ich dich ansehe.

Es hatte sie verletzt, wütend gemacht. Tagelang hatte sie überlegt, wie sie sich rächen konnte. Doch das Schicksal war ihr zuvorgekommen. Die Polizei hatte ihn erwischt und er hatte die Schule verlassen müssen. Sie verscheuchte den Gedanken an den Widerling und zündete sich eine Zigarette an. Das Risiko mit der Mail würde sie eingehen. Aber wie kam sie an das Geld? Es musste auf jeden Fall in bar sein. Nur Bares war Wahres.

Und irgendwo mussten die Männer das Geld deponieren. Nur wo?

Plötzlich hatte sie die Idee für den Übergabeort. Sie strahlte und klopfte sich innerlich auf die Schulter. Außer am 1. November war dort kaum etwas los, es gab viele Verstecke, sie würde den Überbringer von Weitem kommen sehen und es gab genügend Orte, an denen das Geld deponiert werden konnte.

Aber war das Tagebuch als Druckmittel ausreichend? Sie glaubte zwar nicht, dass der Verfasser sich alles aus den Fingern gesogen hatte, dazu passte es zu genau zu den Informationen, die sie im Internet gefunden hatte, doch die Männer würden es vielleicht behaupten. Zur Sicherheit würde sie Auszüge aus den Notizen beilegen. Fotos und Textpassagen.

Sie rollte sich auf den Rücken, verschränkte die Arme unter dem Kopf und starrte an die Decke. Langsam nahm der Plan Formen an.

Ihr Traum vom Leben im Paradies war zum Greifen nahe.

18 Bad Godesberg

Andrea Sattler dachte während des Rückwegs über das Gespräch im Café nach. Hatte Barbara sie wirklich nur eingeladen, weil sie sich gefreut hatte, sie wiederzusehen? Oder war es ein hinterhältiges Spiel gewesen, um an Informationen zu gelangen? Sicher war sie sich nicht.

Sie waren Kommilitoninnen gewesen. Privat hatten sie sich selten getroffen. Barbara spielte Klavier, sie Geige, ansonsten hatten sie nicht viel gemeinsam. Heute im Café war es ihr wieder aufgefallen. Ihre Lebenswege hatten sich zu unterschiedlich entwickelt: Barbara hatte sich als Konzertpianistin ihren Lebenstraum erfüllt, wohingegen sie den Brotjob als Angestellte im Jugendamt brauchte und nur nebenher unwilligen Kindern Musikunterricht gab.

Andrea hatte anfangs auch von einem Leben als Solistin geträumt. Doch ihr fehlten die Beziehungen und sie hatte keine Angebote bekommen. Anders als bei Barbara. Der die Professoren wie die läufigen Hunde mit heraushängender Zunge hinterhergedackelt waren. Und die mit ihrem exaltierten Gehabe und der Vorliebe für ausgefallene Kleidung Konzerte in eine Germany’s-Next-Top-Model-Posse verkehrte. Sie hatte Talent, doch die Art, nichts ernst zu nehmen und sich über alles lustig zu machen, war eine Herabwürdigung der Musik. Eine Respektlosigkeit gegenüber der Kunst. Aber ein Star war nicht aus ihr geworden. Sie war im Köln/Bonner Raum bekannt, aber berühmt war sie nicht. Bestimmt hatte sie sich mehr versprochen. Ob Barbara zufrieden war? Glücklich? Oder spielte sie Detektiv, um ein bisschen Abwechslung in ihr Leben zu bringen?

Andrea parkte das Auto am Straßenrand, suchte ihre Sachen zusammen und betrat das Fünfzehn-Parteien-Mietshaus, in dem ihre Wohnung lag.

Dass Sascha sich zu ihnen gesetzt hatte, hatte sie gefreut. Sie kannten sich lange, waren beide im Kirchenchor. Und sie mochte ihn. Fand ihn sympathisch. Sehr sogar. Schade, dass er nach dem Café nicht mit zu ihr hatte kommen wollen. Ob er ihr die Entgleisung im Sommer noch übel nahm? Die Einsamkeit war übermächtig gewesen und sie hatte ein Glas Wein zu viel gehabt, sonst wäre ihr das nie passiert. Der laue Sommerabend, der Sternenhimmel, sein nackter Arm neben ihrem, so nah, dass sich die Härchen auf ihrer Haut prickelnd aufgestellt hatten.

Sie hatte sich sofort entschuldigt. Ihn um Verzeihung gebeten für den plumpen Übergriff, den missratenen Kuss, der ihn quer über die Wange und den Hals gestreift hatte. Er war zurückgeschreckt wie von der Tarantel gestochen. Sie hatten den Vorfall nie wieder erwähnt. Er war ein Ehrenmann, verhielt sich, als ob nichts geschehen wäre. Aber besucht hatte er sie seitdem nicht mehr. Dabei hätte sie sich gerne mit ihm unterhalten. Nur geredet. Ganz zivilisiert und harmlos. Sie brauchte dringend jemanden, mit dem sie sprechen konnte. Über den Tod des Priesters und den Mann in der Kirche. Manfred Herder. Warum hatte der Alte randaliert? An geistige Verwirrung glaubte sie nicht, er schien genau gewusst zu haben, was er tat. Irgendetwas warf er Pfarrer Wiese vor. Etwas Gravierendes. Sie musste erfahren, was das war. Vielleicht wusste er auch von den Vorfällen, denen sie auf der Spur war? Sascha kannte ihn, konnte ihr bestimmt sagen, wo er wohnte. Doch sie traute sich nicht, ihn anzurufen, wollte ihm nicht auf die Nerven gehen. Natürlich könnte sie sich bei Barbara melden und fragen. Sie hatte von einer Zielperson gesprochen, vielleicht war es Herder.

Am besten beauftragte sie die Detektei, ihr bei dem Thema zu helfen, auf das sie gestoßen war. Doch Andrea verwarf den Gedanken wieder. Wenn herauskam, dass sie Externen persönliche Akten und Daten zugänglich machte, war sie geliefert. Man würde sie sofort feuern. Sollte die Sache allerdings bekanntwerden und sie hatte nichts unternommen, würde es ihr auch an den Kragen gehen. Wenn allerdings die Leute, die in den Horror verwickelt waren, spitz kriegten, dass sie ihnen auf den Fersen war, dann konnte sie ihr Testament machen. Ihre Gedanken kreisten. Es war unmöglich, heil aus dieser Sache herauszukommen.

Sie sah keinen Ausweg.

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