Kitabı oku: «Aus dem Reiche des Buddha», sayfa 2
Dann hat Suriyagoda um die Erlaubnis gebeten, die Upanishaden in der Ursprache lesen zu dürfen. Er war der beste Sanskrit-Kenner des ganzen Klosters.
Der Alte hatte nicht gleich geantwortet. Die weichen Hände ein wenig fester zusammenpressend hatte er in den Klostergarten hinausgeblickt, wie interessiert in die letzten Regentropfen, die von den Palmblattwedeln an der Halle zur Erde fielen. Dann hatte er ruhig gesagt: „Wenn du willst, so lies.“ Nach diesem hatte er dann jene Worte von Suriyagodas Liebe gesprochen, die der Mönch nicht verstanden hatte.
Noch am selben Abend hatte Suriyagoda seine Lektüre begonnen. Er las und las. Ihm war, als ob er ertrinken müßte in diesem Gedanken-Ozean. Was waren das für Menschen, diese Gott-Trunkenen, Yajñavalkya, der in Worten und Gedanken spricht, welche Himmel und Erde gleichsam mühelos in sich hineinsaugen; diese Maitreyi, die da sagt: „Gieb mir nicht, was man Weibern gibt — jenes große Wissen gib mir, das du hast.“ Sie meinte das Wissen von der Einheit zwischen Mensch und Gott. War es nicht etwas ungeheuerliches, mit einem einzigen Erkenntnisakt jenes Wissen zu erreichen, das Seligkeit gibt für immer! Denn kann der Mensch größere Seligkeit fühlen, als die Erkenntnis: „Ich und Gott, wir sind eines Wesens; ich Gottes, Gott meines Wesens und Täuschung, wahrlich, ist das, was mich von der All-Einheit trennt.“ Wie anders, wie erhaben war das alles in Vergleich zu diesem dürren, nüchternen, mühevollen, ja unerhört hartem Ringen mit jeder Tat, jedem Wort, ja jedem Gedanken, wie die Lehre des Buddha es verlangt. Diese schreckliche, fast aussichtslose Arbeit des Gedankenbändigens, das Stillstellen der ewig mahlenden Räder, die sich selber mahlen, wirft man kein Korn zwischen sie. Wie eine Art Wollust überkam es ihn, wenn er an die Geheimnisse jenes mystischen Lautes dachte, den der Gott-Ergriffene von der zitternden Lippe schweigt. Kurz: Er sehnte sich aus der harten Arbeit des ewig wachen Denkens in die mollige Ruhe des Gottfriedens, wie der Knecht nach den Fleischtöpfen des Herrn.
Alle diese Stimmungen und Gefühle fanden ihr ständiges Gegengewicht im Dasein seines Lehrers. Mit dessen Tode ging das Steuer seines Lebensschiffes verloren. Immer tiefer arbeitete er sich in diesen Zwiespalt zwischen Verstand und Gemüt, zwischen Belehrung und natürlicher Neigung. Immer wieder freilich sagte ihm der Verstand: „Die Wahrheit lehrt der Tathāgata. Nur hier, wo gezeigt wird, daß ich selber Frucht meiner Taten bin, nur da ist Gesetz; nur wo Gesetz ist, ist Gerechtigkeit; nur wo Gerechtigkeit ist, ist Befriedigung.“ Aber das Erdige an ihm, das von Vater und Mutter stammte, hing sich wie ein Gewicht an den Flug dieses reinen Erkennens. Immer wieder raunte es in ihm: „Wenn es doch ein Ewiges gäbe! Wenn es doch eine Seligkeit gäbe, jenseits! Wenn dieses „Neti, Neti“ der Upanishaden doch dereinst unerhörte Wirklichkeit werden könnte! Wenn die alten Rishis doch Lehrer wären und nicht Schwärmer!“
Eines Tages ging er, müde vom fruchtlosen Denken, gegen Abend zum Ort hinunter. Er fühlte das Bedürfnis, andere Menschen um sich zu sehen, auch wollte er sich am Ufer des Sees, der einem großen Lotusteich glich, ergehen.
An einem abgelegenen Winkel, von den überhängenden Zweigen eines wilden Mangobaumes halb verdeckt, sah er einen Mönch aus dem Nachbarkloster sitzen. Der saß, die Beine gekreuzt, die Hände ineinander gefaltet, hoch aufgerichtet, da, und wiederholte immer das eine Wort: „Wasserkranich, Wasserkranich!“
Erstaunt hörte Suriyagoda ihm eine Weile zu; dann, weil der Andere ihn gar nicht bemerkte, räusperte er sich, trat höflich näher und ließ sich zu seiner Rechten nieder. Dann begann er:
„Bruder, ist wohl eine Frage erlaubt?“
„Freilich, Bruder.“
„Weshalb sagtest du eben in einem fort das Wort ‚Wasserkranich, Wasserkranich‘?“
Der sah ihn verdutzt an, dann erwiderte er:
„Bruder, nicht ‚Wasserkranich, Wasserkranich,‘ sondern ‚Vergänglichkeit, Vergänglichkeit‘ habe ich gesagt.“
„Verzeih, Bruder. Du sagtest ‚Wasserkranich, Wasserkranich‘.“
Da schlug sich der andere vor die Stirn und rief:
„Schöne Geschichte! Der Abt hat mir als Aufgabe zum Meditieren ‚Vergänglichkeit, Vergänglichkeit‘ gegeben, nun sitze ich hier und sehe die Kraniche auf dem Wasser hin- und herziehen, und statt, ‚Vergänglichkeit, Vergänglichkeit‘ sage ich ‚Wasserkranich, Wasserkranich‘.“ (Beide Worte unterscheiden sich nämlich nur durch einen Laut, so daß sie leicht zu verwechseln sind.)
Dabei lachte er lustig und auch Suriyagoda lachte so kräftig, wie er seit Jahren nicht gelacht hatte. Denn stille Heiterkeit gehört sich wohl im Orden des Erhabenen, aber hörbares Lachen ist nicht schicklich.
Als er zurückkehrte, dachte er bei sich: „So ist das nun, und das wird daraus.“ Er meinte: So ist die Lehre beschaffen, daß sie in dieser geistlosen Weise verarbeitet werden kann. Er fühlte auch nicht einmal, daß er ungerecht urteilte; denn zu geistloser Verarbeitung bietet auch die Lehre der Upanishaden Anhalt zur Genüge.
Der Zufall wollte es, daß er auf dem gleichen Spaziergange in der Nähe der großen Eingangspforte, auf dem Wege, der zum Rajagiri-Lena führt, zwei Männer traf, die auf einer Stange einen Sack trugen. Als sie an Suriyagoda vorbeigingen, sagte der eine: „Bhante, verzeiht, daß wir heute nicht Ehrfurcht erweisen können. Es ist dieses wegen da.“ Dabei zeigte er auf den Sack.
„Was habt ihr denn in dem Sack?“ fragte Suriyagoda.
„Herr“, antwortete derselbe Mensch, der vorhin gesprochen hatte, „es ist eine Cobra, dick wie mein Arm. Wir sollen sie töten.“
„Seit wann tötet ihr denn Lebendiges?“ fragte Suriyagoda erstaunt.
Der Mensch schwieg.
„Herr,“ begann der andere, „wir sind arm; es ist des Lohnes wegen.“
Damit schien sich dem ersten die Zunge wieder zu lösen und er begann eilfertig:
„Herr, die Sache ist die: Der Alte, unten am See, der die Lotusblüten auf dem Brett feil hält, hat uns gedungen, sie zu töten. Er sagt, es ist eine schlechte Schlange. Vor vier Jahren ist sie zu ihm an den Feuerplatz gekommen, da hat er ihr gesagt: ‚Was willst du hier? Das ist nicht dein Haus. Du weißt, dein Haus ist das Djangel‘. Darauf wendet sich die Schlange schnurstracks und huscht zum Walde zurück. Sie war damals noch eine gute Schlange. Gestern Abend nun tritt der Alte auf seine Plattform. Was liegt da? — die Cobra! — aufgerollt und zischt. Sie ist dick wie mein Arm, Herr. Er nimmt ein Steinchen und wirft es ihr zu. Ist so erschrocken, daß er ihr nicht zureden kann. Sie geht weg. Heute ist sie wieder da, zischt wieder. So meint der Alte, wenn er mal im Dunkeln auf sie tritt, wird sie ihn töten. Deswegen bat er uns, sie zu fangen und im Sack auf die Straße zu legen, daß ein Elefant sie zertritt.“
„Weiß denn der Alte unten, daß es die nämliche ist, wie vor vier Jahren?“
„Sicherlich Herr!“
„War sie denn damals schon ebenso dick?“
„Nicht doch Herr; sie war damals klein.“
„Wie kennt er sie denn wieder?“
„Er weiß es eben, Herr.“
Und wie zur Bekräftigung fügte der andere hinzu:
„Es ist so, Herr.“
Suriyagoda ging weiter und die beiden gingen die Straße entlang. Er hatte nicht das Recht, diesen Menschen zu sagen: „Ihr dürft nicht töten! Laßt das Tier frei! Seid ihr ihm wirklich wohlgesinnt, so wird es nicht beißen.“ Aber wieder deutete er parteiisch. Er dachte bei sich: „Ein Brahmane würde das nicht tun. Er würde eher sterben.“
In der nächsten Nacht hatte Suriyagoda einen Traum. Er sah den verstorbenen Abt, seinen Lehrer, greifbar deutlich vor sich stehen. Der sagte zu ihm:
„Suriyagoda, gehst du früh zum Eßsaal, ohne vorher im Vihara gewesen zu sein?“
Der Mönch erwachte mit einem Schreck, den Traum noch lebendig vor sich. Fast verdrossen fragte er sich:
„Was soll das? Ich bin doch nie zum Eßsaal gegangen, ohne vorher im Vihara gewesen zu sein.“ Aber da sein Gewissen der Lehre wie dem Lehrer gegenüber nicht rein war, so begann er seine Betübungen zu verlängern. Er entzog sich Schlaf, woran er nicht gewohnt war, — denn die Jünger des Buddha sind wohl an ein strenges, aber nicht an ein asketisches Leben gewöhnt — und wurde matt und überreizt dabei.
Die Mönche badeten damals im Naga-Pokana, dem Schlangenbad, so benannt, weil an der Felswand der einen Seite eine mächtige, dreiköpfige Cobra ausgemeißelt war.
Eines Tages geschah es, daß er sein Bad außer der Zeit d. h. gegen Abend nahm und infolgedessen allein badete.
Als er, wie es bei den Mönchen Sitte ist, mit dem losen Untergewand bekleidet, langsam ins Wasser stieg, sah er aus der Tiefe eine weibliche Person sich entgegenschweben, schön wie eine der Asparasen. Als er aber hinblickte, da sah er, daß es sein eigenes Spiegelbild war. Zum ersten Mal fiel ihm auf, wie mager und großäugig er geworden war. Halb belustigt, halb verächtlich lachte er auf:
„Soweit hätte ich es also gebracht, daß ich am hellen Tage von Weibern phantasiere.“
Still setzte er sich auf einen Fels und blickte auf dieses unvergleichliche Landschaftsbild zu seinen Füßen. Die Sonne ging zur Rüste, glorreich wie ein Held, in einen schier überwältigenden Strahlenmantel gehüllt. Über der unendlichen Waldfläche lag ein duftig violetter Schimmer und scharf hoben sich zur Linken die Dagobas von Anuradhapura — das Dreigestirn Ruanweli, Abhayagiri und Jetawanarama — aus dem grünen Meer — die ganze Welt ein einziger, stiller Feiertag.
Er saß da, der Körper gespannt, das Auge rücksichtslos am glühenden Sonnenball hängend. „Was ist dieses Leben ohne ein Göttliches“ sagte er endlich leise, als ob er sich vor dem Schall der eigenen Stimme fürchte. „Eine Nacht in der Fremde.“
Er begann leise den Oberkörper hin und her zu wiegen. Plötzlich wurde er sich dieser seiner Bewegung bewußt. „Weshalb wiege ich denn hin und her wie ein Elefant im Stall?“ dachte er. Dabei fiel ihm jenes Weib ein, das neulich abends liebebettelnd auf seiner Schwelle gelegen hatte. Er sah das Wiegen des flechtenschweren Kopfes, das bis zu den Hüften herab ging. Er hatte alles wohl gemerkt, trotzdem er geradeaus gesehen hatte. Einen Moment wohl durchfuhr es ihn: „Sollte nicht auch das Glück der Umarmung gesucht werden?“ Aber das waren nicht die Bilder, an welchen Suriyagodas Phantasie haftete. Noch ehe ausgedacht, war der Gedanke schon verdrängt von diesem rastlosen Suchen, diesen Qualen seiner großen Liebe.
Als er ins Kloster zurückkehrte, fand er Leute beschäftigt, Ehrenbogen aus Bambus zu errichten. Da es nicht die Zeit des Voll- oder Neumondes war, so fragte er einen dabei stehenden Mönch nach der Ursache. Der sah ihn erstaunt an. „Weißt du nicht, Bruder, daß morgen der neue Abt einzieht?“
Suriyagoda wußte von nichts. Ganz in seinen Gedanken und Zweifeln ertrunken, hatte er diese ganze Zeit wie abwesend gelebt.
Am nächsten Morgen hielt der neue Abt seinen feierlichen Einzug auf dem heiligen Fels, von den Theras in Anuradhapura geleitet.
Fast mit Schrecken sah Suriyagoda, daß es jener Mönch war, mit dem er vor so vielen Jahren von seines Vaters Hause nach Mihintale gezogen war. Die Jahre hatten ihn wenig geändert.
Als er in dieses strenge und doch milde Mönchgesicht sah, fühlte er blitzartig: „Dieser wird Hilfe bringen.“
Einzeln knieten die Mihintale-Mönche vor dem neuen Oberhaupte nieder, mit vor der Stirn gefalteten Händen dreimal den Erdboden berührend. Danach versammelte sich alles in der großen Halle, wo für jeden in zwei gegenüberlaufenden Reihen ein Kissen bereit lag.
Nach dem Range, d. h. nach dem Alter in der Mönchschaft, ließ man sich nieder, so daß die Ältesten im Orden an einem Ende, die Jüngsten am andern Ende zu sitzen kamen.
Suriyagodas Sitz fiel etwa auf die Mitte. Zerstreut und befangen saß er da. Ihm war, als ob der Abt die Augen auf ihn geheftet hielte, er wagte aber nicht hinzusehen.
Plötzlich stand ein jüngerer Mönch vor ihm, der ihm leise sagte, daß der Abt ihn zu sich wünsche. Er blickte hastig auf, da sah er jenen sich zulächeln.
Als Suriyagoda vor ihm kniete, sprach jener nicht sofort. Suriyagoda fühlte, daß er ihn prüfe und wandte das Gesicht so tief zum Boden wie möglich.
Dann begann der andere in einer milden und liebreichen Stimme, die von der Strenge seines Gesichtes merkwürdig abstach, sich nach seinem Ergehen in all diesen Jahren zu erkundigen. Es waren nur wenige leise Worte auf beiden Seiten; dann wurde Suriyagoda mit demselben liebreichen Lächeln entlassen.
Von diesem Augenblick an wurde der junge Mönch nicht mehr von dem Gedanken verlassen: „Dieser kann Hilfe bringen.“ Daneben aber wurmte stets der gleiche Zweifel: „Wenn ich ihn frage und er auch keine Hilfe weiß — was dann?“ So geschwächt war sein Willenssystem, daß er das Bewußtsein einer möglichen Hilfe dem Versuch einer wirklichen Hilfe vorzog.
An den Voll- oder Neumondtagen nahm er sich wohl vor, zu beichten, aber kam es dann so weit, so zerschellten diese Versuche stets an der Frage: „Was soll ich denn nur beichten?“ Das, mit dem er rang, diese Urneigung zu einem Göttlichen, hatte sich für ihn noch gar nicht klar genug, begriffsmäßig formuliert, um es zum Gegenstand einer Beichte zu machen. Überdies beichten mußte man Fehler. Was man beichtet, erkennt man allein durch den Akt des Beichtens als Fehler an. Und dieses Ringen mit dem Göttlichen — war denn das überhaupt ein Fehl? Sagte nicht alles rings um ihn, sagte nicht sein eigenes Dasein immer nur das Eine: „Es muß ein Schöpfer, es muß ein Erhalter da sein!“
Also so geht es mit der Lehre des Buddha, wenn man sie nur mit dem Verstande begreifen will, ohne sie an sich selber zu verwirklichen. Man gleicht dem Toren, der vor der vollen Schüssel Reis sitzt und sagt: „Nicht eher will ich hiervon essen, bis ich verstehe, wie und warum diese Nahrung sättigen kann.“
Auf einem seiner einsamen Spaziergänge, als er, wie immer in grüblerische Zweifel versunken, wieder einmal sich selber verloren hatte, kam ihm plötzlich der Entschluß, den Orden ganz zu verlassen, ins Haus seines Vaters zurückzukehren und dort in der Weise seiner Vorfahren weiter zu leben.
So mächtig überwältigte ihn dieser Gedanke, daß er beschloß, ihn auszuführen so wie er ging und stand. Ohne erst ins Kloster zurückzukehren, wollte er sich sofort auf den Weg nach Anuradhapura machen. Prüfend sah er nach der Sonne. Sie neigte sich schon merklich, aber er konnte kurz nach Sonnenuntergang in seinem Vaterhause anlangen. Seit vielen Jahren hatte er nichts mehr von dort gehört, ja er wußte nicht einmal, ob sein Vater noch am Leben war. Für den Alten selber war dieser Sohn tot. Ein Sohn, der die Götter der Väter verlassen hatte, der die Opfer verachtete, konnte sein Kind nicht mehr sein. Ganz allmählich, ohne Haß, aber auch ohne Rücksicht, hatte er den Sohn abgestoßen, wie der Baum einen welken Zweig abstößt.
Halb willenlos bog Suriyagoda in den ersten Seitenpfad ein, der von der heiligen Höhe, wo Reinheit und Keuschheit herrschte, in die Ebene hinabführte, zu den Menschen mit ihren Sorgen und ihrem Schmutz.
Er ging hier durch dichten Urwald, über dem es schon wie Abendstimmung lag. Hier und dort ließ sich das hohle Brüllen eines Affen vernehmen. Jetzt hörte Suriyagoda ein schweres Geräusch dicht über sich in den Zweigen. Es waren zwei dieser häßlichen Tiere, die miteinander kosten.
Widerwillig blickte er vor sich auf den Weg. „Überall Liebe, überall Liebe!“ Eilig schritt er weiter. Dieses Dämmerlicht des Urwaldes war ihm trotz der langjährigen Gewohnheit immer noch unheimlich.
Wieder hörte er ein schweres Geräusch, aber diesmal weit abseits im Dickicht. Er fuhr zusammen. „Ein Elefant?“ Dann sich seiner Furcht schämend, blieb er trotzig stehen. Er wollte in klarem Bewußtsein diese Gefühle der Feigheit vorübergehen lassen.
Regungslos stand er da, den Blick fest auf den Boden geheftet. Ein Zug von Ameisen lag wie ein dunkler Strick vor ihm quer über den Weg hin, die eine Hälfte des Heeres in der einen Richtung, die andere ihr entgegen strebend, und jede in einer Hast, als gelte es, die letzte Stunde dieses Lebens auszunutzen.
„Es ist die blinde Liebe für ihr Heim, das sie treibt,“ dachte Suriyagoda, während er nachdenklich auf dieses Gewimmel blickte.
Plötzlich wieder dieses schwere Geräusch im Dickicht, aber näher. Das mußte ein Elefant sein. Er fühlte, wie ihm die Knie zitterten. Solche einzeln umherschweifenden Elefanten sind nicht wie Herden-Elefanten friedlich, man möchte fast sagen kultiviert, sondern sie sind das schlimmste und bösartigste Wild, das ein Mensch treffen kann.
Er wollte davon stürzen. Aber im nächsten Augenblick kam wieder diese Scham vor sich selber. „Ich will mich nicht fürchten,“ sagte er fast störrisch. Dabei stemmte er den Fuß in den Erdboden des Fußwegs wie ein Ringer, der einen Halt gegenüber dem Gegner sucht. „Ehe ich mich fürchte, will ich wissen, warum ich mich fürchte.“
Indem sah er etwas Weißes durch das Dickicht schimmern und ein Mensch arbeitete sich, halb kriechend an den Weg heran, auf dem Suriyagoda stand.
Es war Wogiswera, der Arzt und Schulmeister unten im Dorf.
Verwirrt sah der Mönch ihn an, als er herantrat und sich tief verneigte.
Ehe er das tat, legte er vorsichtig eine Art Grabstock und ein in weiße Baumwolle gehülltes Bündelchen beiseite. Nach der Begrüßung richtete er sich schnell auf und nahm Stock und Bündelchen wieder an sich. So schritten sie schweigend den Pfad abwärts weiter, Suriyagoda zu sehr mit der Scham über sich selber beschäftigt, um den anderen zu fragen, Wogiswera zu bescheiden, um den Mönch, dem man Ehrfurcht schuldet, anzureden.
Mit einer Art Ingrimm wiederholte Suriyagoda sich immer wieder: „Wovor habe ich mich denn nun gefürchtet! Ist in allem das Göttliche und alles im Göttlichen — woher dann die Furcht? Wie stehts wohl mit meinem Glauben! Schlecht stehts! Du Narr, du Narr nach beiden Seiten hin!“
Er lachte kurz auf.
Wogiswera warf ihm einen scheuen Seitenblick zu. Er war ein Mann, fast doppelt so alt als der Mönch. Früher selber Mönch gewesen, war er vor langen Jahren, kurz ehe Suriyagoda in Mihintale in den Orden trat, in die Fesseln der Liebe gefallen, hatte geheiratet und Kinder gezeugt und erwarb sich jetzt seinen Unterhalt mit Unterrichten der Kinder des Dorfes und mit dem Heilen von Krankheiten.
Von Natur redselig, fiel ihm nichts schwerer als das Schweigen. So benützte er den Augenblick, wo Suriyagoda auflachte und sagte:
„Es ist schwer, Herr, es ist schwer.“
Der Mönch sah auf. Sein Blick blieb auf dem weißen Bündelchen Wogisweras hängen.
Unvermittelt fragte er:
„Was hast du denn da in dem Bündelchen?“
Sofort begann Wogiswera:
„Seht hier, es sind Kräuter darin; Heilkräuter für meine Frau. Sie ist krank, schwer krank und fünf Kinderchen! Es ist schwer. Ein gutes Weib, Herr! Das beste Weib der Welt. Ich will euch erzählen, wie sie krank wurde. Sie war guter Hoffnung, müßt ihr wissen. Da bekommt sie neulich Verlangen auf Zucker, weißen Zucker. Schickt den Diener hin. Weil ihr der zu lange bleibt, tritt sie selber in die Gartenpforte, um nach ihm auszusehen. Da sieht sie ihn, am Zucker naschend. Um ihn nicht zu beschämen — bedenkt, Herr, um ihn nicht zu beschämen, bückt sie sich schnell zur Erde, als ob sie da was zu schaffen hätte. Und dabei ist das Unglück gekommen. Sie war immer schwach und zart. Jetzt diese Last! Fünf Kinderchen und kein Weib im Hause, nur Unruhe und Geschrei. Ach, Herr, wenn ihr wüßtet, wie oft ich an den Klosterfrieden zurückdenke.“
„Möchtest du wieder in den Orden zurücktreten?“
„Ach, wie gern Herr! Aber kann ich! Jetzt sind es tausend Fäden, damals war es einer, ein einziger. Ich hätte ihn zerreißen können — so!“ Damit nahm er einen dürren Grashalm und zerriß ihn zwischen den Fingern. „So leicht ist es im Anfang, der Lust zu widerstehen. Je später, je schwerer.“
In diesem Augenblick drang der Ton der Klosterglocke von oben her zu ihnen, tief dunkel, dröhnend, die letzte Tagesstunde anzeigend.
Unwillkürlich blieben beide stehen und lauschten. Beide zählten die Schläge, einen nach dem andern.
Nachdem der letzte Schlag verklungen war, begann Wogiswera wieder:
„Seht, Herr, es ist im Leben gerade wie hier. Ein Schlag ist wie der andere, — einfach ein Schlag. Zählt ihr aber mit, so bekommt eben ein Schlag Sinn und Wert aus dem andern. Was ist der letzte Schlag anderes wie der erste? Ein Schlag schlechthin. Habt ihr aber vom ersten Schlag ab mitgezählt, so ist es der höchste Schlag, den es schlägt. So ist es im Leben, Herr. Es ist eines wie das andere, ein Schlag schlechthin. Zählt man aber mit, so bekommt eines aus dem anderen Sinn und Bedeutung und je länger man mitzählt, um so höher wird der Wert. Man muß sich nun fügen. Es ist zu spät jetzt. Bin ich mehr als der Buddha! Er verließ ein Söhnchen, kann ich fünf verlassen?“
„Habt ihr fünf Söhne?“ fragte Suriyagoda zerstreut.
„Das nicht Herr. Ich meine nur so. Fünf Kinderchen.“
Er schwieg und Suriyagoda verfiel wieder in sein Grübeln.
Plötzlich begann er:
„Fürchtest du dich nicht im Djungel?“
Wogiswera schüttelte den Kopf. „Nein, Herr. Ich kenne den Schlangenzauber und ich kenne den Elefantenzauber, und der Elefantenzauber ist so stark, sagen sie, daß er für die Bären mit hilft.“
„Er glaubt,“ dachte Suriyagoda. „Darum fürchtet er sich nicht.“
Indem stießen sie auf den Hauptweg, der nach rechts hin zum Kloster hinauf, nach links hin zum Dorf hinabführte.
„Hier geht euer Weg, Herr,“ meinte Wogiswera, bergauf zeigend. „Ich muß mich eilen. Es ist schon fast dunkel.“
Dabei legte er Stock und Bündelchen abermals schnell beiseite, kniete nieder und verabschiedete sich von dem Mönch. Wie urplötzlich alles eigenen Willens beraubt, wandte der sich sofort zur rechten und stieg den bekannten Weg zum Kloster hinan, während der andere halb springend bergab eilte.
Im Kloster angelangt, begab Suriyagoda sich sofort, ehe er noch seine Zelle betreten hatte, zum Abt, jetzt fest entschlossen, alles rückhaltlos zu beichten. Seinen Plan, das Kloster und den Orden ohne vorherige Ankündigung zu verlassen, mußte er doch beichten.
Der Abt saß in seinem hohen, luftigen Gemach, das durch die spärliche Beleuchtung noch größer aussah, auf einem sehr niedrigen Stühlchen, das Suriyagoda sich nicht erinnerte, je bei ihm gesehen zu haben. Es war so niedrig, daß Suriyagoda, als er vor ihm niederkniete, fast in gleicher Höhe mit ihm sich befand.
Der Abt hatte ein Palmblatt-Manuskript vor sich und schien darin zu lesen oder doch darüber nachzudenken. Das Licht stand hinter ihm, so daß sein Gesicht im Dunkeln war, während auf Suriyagodas Gesicht voll der Schein der Flamme fiel.
Es war weder Neu- noch Vollmondtag. Trotzdem, als der Mönch seine Bitte aussprach, heute beichten zu dürfen, gab jener durch Schweigen seine Zustimmung.
In innerer Hast begann Suriyagoda, weit ausholend, aber Jahre zusammendrängend. Er erzählte vom Fakir, der ihm die große Liebe prophezeit habe, vom Palmblattfächer, vom alten Abt. Dann, wie ein vulkanischer Ausbruch, stoßweise, unzusammenhängend rang sich aus ihm das Bekenntnis seiner inneren Kämpfe, dieses schreckliche Ringen zwischen Verstand und Gemüt, das ihn zu entmannen drohe. An den heutigen Fluchtversuch dachte er gar nicht mehr; er wäre auch zu erschöpft gewesen, noch von ihm zu sprechen.
Der Abt saß regungslos. Man hätte ihn für einen Schlafenden halten können, wenn das Auge nicht voll, aber mit eigenartiger Starrheit auf einen Lichtreflex gerichtet gewesen wäre, den die hinter ihm stehende Flamme auf dem Metallbeschlag des kleinen Schreines, der die heiligen Schriften enthielt, spielen ließ. Es war wie ein mildes aber starkes Sprühen, ein Licht-Wogen. Wie ein mächtiges Auge leuchtete es aus der Tiefe des dunklen Zimmers heraus.
Als der Mönch geendet, herrschte langes Schweigen. Der Abt starrte unentwegt in den glänzenden Lichtknauf vor ihm. Endlich begann er leise und eintönig:
„Ich höre dieses und du, Bruder, höre auch. Es ist, als ob die Glocke die letzte Tagesstunde verkündet. Ein Schlag, noch einer — noch einer — zwölf Schläge. Jedes ein Schlag schlechthin. Zählt man aber mit, so erhält ein Schlag aus dem andern Wert und Sinn — ja so ist es: Wert und Sinn einer aus dem andern.“
Weit aufgerissenen Auges starrte Suriyagoda den Sprecher an. Dessen Augen hingen immer noch starr am Lichtknauf. Tiefer noch als sonst lagen die harten Furchen des mageren Gesichtes. Die Lippen bewegten sich lautlos, gleichsam mechanisch den letzten Worten nachschwingend.
Plötzlich ging es wie ein Erwachen durch seine Züge. Das Auge, bisher gleichsam auf eine Unendlichkeit eingestellt, nahm Leben an. Er seufzte leicht auf und alles schien vorüber. Mit seiner gewöhnlichen milden Freundlichkeit blickte er auf den zu seinen Füßen knieenden Mönch. Er nahm jetzt einen höheren Sitz und es lag fast wie ein schelmisches Lächeln auf seinen Zügen, als er sagte:
„Bruder, müssen wir nicht alle durch eine große Liebe gehen? Der eine nennt sie Weib, der andere Kind; der eine Geld, der andere Ehre, und noch ein anderer nennt sie Gott. Aber alles dieses, mag es heißen wie es will, es ist ja nichts als die Liebe zum eigenen Ich. Denn: ‚Nicht um der Gattin willen ist die Gattin lieb — um des Selbstes willen ist die Gattin lieb.‘“ Und an diese Worte aus den Upanishaden anschließend fuhr er fort:
„Nicht um des Göttlichen willen ist das Göttliche lieb — um des Selbstes willen ist das Göttliche lieb. Was aber ist das Selbst? Ist, Bruder, dir wohl ganz klar geworden, was das Selbst ist? Ist, Bruder, dir wohl das Verständnis aufgegangen, daß das Ich wesenlos ist, wie die Flamme sich selbst unterhaltend durch die Nahrung, die es in jedem Augenblick heranreißt. Ist aber, Bruder, dieses Verständnis dir nicht ganz klar aufgegangen, daß das Selbst wesenlos ist; geht es dir wie jenen, die am Tage vor dem Vollmond zweifelnd fragen: ‚Ist der Mond wohl heute schon voll? Ist der Mond wohl heute noch nicht voll?‘, nun so hast du eben um solche Einsicht, um solche Erkenntnis, um solches Wissen, um solche Weisheit unermüdlich zu ringen. Aber es ist ja so, Bruder! Weil man sich selber nicht kennt, deswegen liebt man sich selber. Und weil man sich selber liebt, deswegen liebt man Gott. Hat man aber sich selber erkannt, hat man begriffen: ‚Von Anfangslosigkeit her brenne ich, mich selber unterhaltend, durch die Kraft meines Wollens‘ — Bruder, was soll da noch der Gott? Es ist ja alles klar geworden!“ Bei den letzten Worten machte er eine leise Bewegung mit der Hand, die aber den Eindruck machte, als umschriebe er das ganze Weltall.
Suriyagoda hatte regungslos zugehört. Nach den letzten Worten erhob er sich schweigend. Vor der Tür seiner Zelle, da wo das Weib die Blumen hingelegt hatte, nahm er Platz. Die Nacht war mondlos aber sternklar und wie leises Seufzen kam es aus dem Dunkel des nahen Waldes, wenn der Nachtwind durch die Bäume ging.
So saß er, kreuzbeinig, den Körper gerade aufgerichtet, die Hände verschlungen, das Auge fest nach innen geschlagen, die ganze Nacht. Als er zum ersten Male aufblickte, glänzten die Dagobas von Anuradhapura bereits im ersten Schein des neuen Tages. Jetzt schoß hinter ihm der Sonnenball hoch und übergoß alles ringsum mit seinem Licht.
Suriyagoda erhob sich still, schüttelte einmal kräftig sein Gewand, ordnete es frisch und begab sich zum Abt. Wieder vor ihm niederknieend bat er um die Erlaubnis, von heute ab ohne Fächer lehren zu dürfen.
Der gab still lächelnd seine Zustimmung. Er wußte: „In dieser Nacht ist dieser Bruder durch seine große Liebe hindurchgegangen, ist im Licht aufgetaucht, wird im Lichte bleiben.“
So war es mit Suriyagodas Erwachen.
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