Kitabı oku: «Das letzte Märchen», sayfa 2
Im Eichhörnchennest
Nein, der Wirt schlief nicht. Der würdige Herr saß einige Schritt von der Tür seines Hauses entfernt, dicht in seinen hellen Winterpelz gehüllt. Meinen Begleiter empfing er mit großem Respekt, indem er sich in einer Riesenverneigung von dem obersten Ast der Eiche auf den untersten stürzte. Als er nach Beendigung dieses Kompliments wieder oben angelangt war, sagte er sehr devot:
»Ich heiße Euer Gnaden nebst Hochdero Begleiter untertänigst willkommen, muß aber gehorsamst bemerken, daß leider – oder glücklicherweise – ich weiß wirklich nicht, was ich in diesem Falle zu sagen die Ehre habe –«
»Also was?« unterbrach ihn der Leutnant. »Daß schon Besuch drin ist im Neste, wollen Sie wohl sagen?«
Herr Eichhorn wiederholte seine Verneigung, wobei er sich jedoch diesmal nur bis in die mittlere Etage hinabstürzte, und sagte dann:
»Jawohl, Exzellenz, es sind zwei Damen bei mir abgestiegen: eine Fremde und das gnädige Fräulein Elkaguntascha.«
Bei dem letzten Namen bemächtigte sich des kleinen Leutnants eine fabelhafe« Erregung. Ich sah, daß er zitterte und doch im Gesicht ganz rot war. Ich ahnte etwas.
»Fräulein Elkaguntascha hier – dort drin? – Hier? O, das ist ja – das ist ja wirklich – nämlich eine entfernte Bekannte, Verehrtester, – schon von den Eltern her – jawohl! – Haben Sie nicht zufällig einen Spiegel zur Hand, Herr Wirt?«
Er war ganz außer Rand und Band. Herr Eichhorn stürzte sich etwa fünfzig Meter in die Tiefe hinab und erschien bald mit einem Stückchen blanken Eises, in dem sich Herr von Stimpekrex eifrigst bespiegelte.
»Melden Sie uns den Damen, Herr Wirt! Fragen Sie, ob sie mir und diesem Kavalier die große Gunst erweisen würden, ein Viertelstündchen mit ihnen plaudern zu dürfen.«
Herr Eichhorn verschwand, und ich stieg indessen von der Krähe. Wartend standen wir auf dem Eichenaste. Das Nest lag wie eine ehrwürdige, poetische Hütte vor uns, von Schnee bedeckt, vom Mondlicht versilbert, liebreich umfaßt von den starken Armen des Eichbaumes.
Da erschien in der Tür ein weißes Figürchen.
»Aber mein bester, verehrtester Herr Ftimpekrepf! Wie hier? Daw ift ja grofartig!«
Eine allerliebste Dame! Nur daß sie das »S« nicht sprechen konnte. Herr von Stimpekrex seiltänzerte über den Eichenast, kniete vor der Dame nieder und küßte ihr mit Inbrunst die Hand. Ich folgte seinem Beispiel, hatte aber bei der ganzen Geschichte eine greuliche Angst, die Balance zu verlieren.
»Der Chefredakteur unserer neuen Zeitung, Professor Doktor Barragu,« stellte mich Herr von Stimpekrex vor.
Ich erlaubte mir die bescheidene Einwendung, daß ich nicht Barragu heiße und auch weder Doktor noch Professor sei; Herr von Stimpekrex aber belehrte mich, daß erstens Barragu die wörtliche Übersetzung meines Namens ins Herididasufoturanische sei, und daß ich zweitens auch der beiden Titel nicht entbehren könne, da in Herididasufoturanien keiner als kluger Mann angesehen werde, der nicht mindestens Doktor sei.
»Ich freue mich wehr, Herr Profeffor, wie kennen fu lernen,« sagte das freundliche Fräulein. »Ich war nämlich ebenfalw aufwärtw und habe eine Dame engagiert, die unferen Prinfeffinnen daw Klavierfpielen und Engliwfprechen lernen woll.«
»Und jetzt sind Sie auf dem Heimwege?« fragte der Leutnant freudestrahlend.
»Jetft reifen wir nach Haufe!« nickte sie und lud uns endlich ein, in die Stube zu kommen.
Das Gemach war nicht sehr groß, aber behaglich warm. In dem Halbdunkel erkannte ich anfangs nicht viel, allmählich aber gewöhnten sich meine Augen an die Dämmerung, und ich sah eine Dame, die auf einem lang daliegenden Tannenzapfen saß. Das war sicher die Engländerin. Ich hatte mich lange mit der englischen Sprache nicht beschäftigt, nahm aber alle meine Kraft zusammen und sagte:
»Good evening, Lady, I am very pleased to see you. I am a human being, as well as you and, like you, engaged to Herididasufoturanien.«
»Wie spricht auch deutf!« rief Fräulein Elkaguntascha mir zu.
Die Fremde reichte mir die Hand.
»Ja, mein Herr, ich bin eine Deutsche. Sie können sich denken, daß ich mich ebenfalls aufrichtig freue, Sie kennen zu lernen.«
»It is better to speak English!« sagte ich mit einem Seitenblick auf die beiden anderen und setzte mich zu der Fremden, nachdem sie mich freundlich dazu eingeladen hatte. Es waren nur zwei Sitzgelegenheiten da: zwei Tannenzapfen, die hier die Stelle von Bänken vertraten; auf dem einen saßen bereits Herr von Stimpekrex und Fräulein Elkaguntafcha, die herididasufoturanisch sprachen.
Es war merkwürdig, wie ich mich vom ersten Augenblick an zu der Fremden hingezogen fühlte. Das war wohl, weil wir beide Menschenkinder waren, die einer merkwürdigen Zukunft entgegengingen.
Wir saßen nahe der Tür. Das Mondlicht drang herein und ließ mich die Züge meiner Nachbarin deutlich erkennen. Sie war sehr schön, und ihre Kleinheit fiel mir gar nicht auf, da ich alles mit Wichtelchenaugen sah. Der Nachtwind spielte leise mit ihren schwarzen Haaren und rötete das Gesichtchen, aus dem ein paar bange, dunkle Augen schauten.
Ich erzählte ihr, was ich an diesem Abend Wundersames erlebt hatte, und sie berichtete, daß ihr ganz Ähnliches passiert sei. Ein Klavierlicht neben ihr hätte sich plötzlich in die kleine Dame (Elkaguntascha) verwandelt, die ihr ein Engagement an den Hof von Herididasufoturanien als Sprach — und Klavierlehrerin angeboten hätte.
»Und denken Sie,« setzte sie verschämt hinzu, »zwei Millionen Mark soll ich für das eine Jahr Honorar erhalten.«
Ich schwieg. Zwei Millionen – ein Lumpengeldl Ja, es ist auffallend, wie schlecht die Klavierlehrerinnen gegenüber den Chefredakteuren besoldet werden.
»Ich nahm es an,« fuhr die Fremde fort, »nur um des Geldes willen. Wir sind arm, obwohl wir vom Adel sind. Papa ist tot, Mama ist oft kränklich, und dann habe ich noch zwei jüngere Schwestern und einen älteren Bruder, der Student ist und viel Geld kostet, obwohl er ganz fleißig und sparsam ist.«
Gerührt betrachtete ich das gute Kind.
»So opfern Sie sich für die Ihrigen,« sagte ich teilnehmend. »Denn es wird Ihnen wohl schwer geworden sein, die Heimat zu verlassen.«
Sie schlug das Gesichtchen nieder.
»Schwer! Ohne Abschied fortgegangen von der Mutter. Sie hätte mich sonst nimmermehr in eine so ungewisse, gefahrvolle Zukunft gehen lassen. Ich tat es, um ihnen allen später ein sonnigeres Leben bereiten zu können. Sie brauchen es doch alle so nötig.«
»Ich bewundere Sie, liebes Fräulein, ich bewundere Sie!«
»Sie müssen das nicht sagen, mein Herr; ich tue doch bloß meine Pflicht, und Sie haben ja ganz dasselbe gewagt.«
»Ja,« lachte ich, »aber aus ganz anderen Beweggründen. Weil ich ein leichtsinniger Mensch war, weil ich mir vor lauter Schulden keinen Rat wußte, weil ich ein Abenteuer erleben und Geld verdienen wollte für ein späteres genußreiches, ach, höchst selbstsüchtiges Leben.«
Sie sah mich freundlich an.
»Nur gute Menschen klagen sich selbst an,« sagte sie mild. »Und wenn Sie nicht, wie ich, Sehnsucht gehabt hätten dahinunter, tiefe, heiße Sehnsucht, würden Sie trotz allem nicht hingehen.«
Ich reichte ihr die Hand und war bewegt.
»Wir wollen Freunde sein, wenn es Ihnen recht ist, wir wollen als Fremdlinge dort unten in der geheimnisvollen Welt menschenbrüderlich zusammenhalten.«
Sie gab mir freudig ihre Rechte und nahm sie nicht bald wieder fort. Heimlich zog der Nachtwind um unser kleines, warmes Haus, der mächtige Eichbaum regte im Schlafen müde die gewaltigen Glieder, und draußen schien der Mond, und draußen ging die Zeit, nach der die Menschen rechnen.
Übers weiße Feld kam von fernher ein dumpfes Singen. Dort drüben in der blaudunstigen Ferne lag wohl ein schlafendes Menschendorf, ein schlafendes Menschenkirchlein, und auf dem Turm stand eine alte Frau, das vergangene, müde Jahr, die schlug mit zitternden Händen ihre letzte Stunde.
Zwölf Uhr. Neujahr!
»Auf eine glückliche Zukunft!«
«Ein glückliches, gesegnetes, neues Jahrl« sagte sie herzlich.
Meine Gedanken wanderten durch die Nacht zu den Freunden. Im »Adler« saßen sie jetzt, und einer hielt eine Rede aufs neue Jahr. Ich wußte, sie würden von mir sprechen, von meiner unerwarteten, geheimnisvollen Abreise, und die Augen aller würden auf einige Momente ernst werden und durch Lampendunst und Tabaksqualm mir mit ein paar träumenden Blicken nachirren, und alle würden mir Glück wünschen, wo immer ich auch sei.
Meine Nachbarin begann wieder zu sprechen.
«Jetzt werden meine Geschwister schlafen; aber die Mutter wird immer noch am Tische sitzen, und vor ihr wird mein Brief liegen.«
Ich tröstete sie. »Ein Jahr vergeht rasch, wenn die Uhr dort drüben wieder Neujahr schlägt, sind wir frei und reich, und all die Ihrigen sind glücklich.«
Station Boberquelle
Herr Eichhorn erschien und meldete, die Krähen schimpften und fluchten ganz greulich und wollten auf — und davonfliegen, wenn sie noch lange warten müßten. Er finde solche freche Redensarten ja schrecklich respektwidrig, habe sich aber für verpflichtet gehalten, die Sache zu melden.
Wir brachen sofort auf. An der Tür hielt Herr von Stimpekrex den Krähen eine donnernde Strafpredigt und kündigte ihnen den Dienst. Es treffe sich gut, sagte er, daß gerade der Quartalserste sei; am l. April sollten die Krähen ihre Stellen als herididasufoturanische Staatskuriere verlieren, während Herr Eichhorn für eine Auszeichnung in Aussicht genommen sei.
Die Krähen nahmen die Kündigung für den l. April nicht tragisch. Sie sind meist nur Not — und Winterarbeiter, während sie sich im Sommer auf die Vagabondage verlegen. Herr Eichhorn dagegen bezeigte eine geschäftige Dankbarkeit, verneigte sich in rasender Eile dreimal vom Gipfel der Eiche bis zur Erde und stand militärisch salutierend an der Tür seines Hauses, als wir abreisten.
Die Damen saßen auf silbergrauen Nebelkrähen, sehr hübschen Tieren von nicht gewöhnlicher Rasse. Unsere beiden Rapphengste hatten Mühe, mit ihnen Schritt zu halten, meist blieben wir um einige Krähenlängen zurück.
Herr von Stimpekrex hatte mit Fräulein Elkaguntascha die Spitze. Sie ventilierten im Anschluß an die Rebellion der Krähen die Dienstbotenfrage. So blieb ich mit der jungen Dame – Angelika hieß sie – allein.
Hoch über die verschneiten Fluren ging unser Weg, über weiße Berge und dunkle Täler. Ein altes Gemäuer tauchte auf, daraus erscholl die keifende Stimme einer Krähenfrau:
»Hör ich dich endlich kommen? Kommst du endlich heim, du Herumtreiber?«
»Nachtdienst!« schnarrte der also begrüßte Eheherr.
Seine Frau schien es nicht zu glauben; ich hörte noch lange, wie sie uns nachschimpfte.
Wie lange wir so flogen, weiß ich nicht. Manchmal kam mir ein Frostgefühl, manchmal schlich mir auch eine leise Bangigkeit ins Herz. Dann schaute ich meine liebliche Begleiterin an, und es ging wohlgemut weiter, immer weiter.
Endlich hielten die Krähen an, streckten breit die Flügel aus wie Fallschirme, und wir sanken langsam zur Tiefe. Mitten im Winterwalde landeten wir.
»Wir sind nun dicht an der Grenze,« sagte Herr von Stimpekrex zu Angelika und mir. »In wenigen Minuten betreten Sie herididasufoturanisches Gebiet. Einen Paß brauchen Sie nicht, da Sie durch uns rekognosziert werden; auch leben wir mit dem Deutschen Reich in bestem Einverständnis und tiefem Frieden.«
Ich erkundigte mich nach den Zollverhältnissen und erfuhr, daß außer Dynamitbomben und Alkohol jeder Reisende bei sich führen dürfe, was ihm beliebe.
Nun galt es für uns beide noch, Abschied zu nehmen von der Welt. Von unserer Welt! Von dem klaren, blauen Himmel und all seinem lieben Licht, von der freien Luft und all ihrem Duft und Klang, von Wald und Berg, von den Strömen und Auen und von den Menschen.
Die Winterluft streichelte uns noch einmal wie eine gute, herbe Mutter die Wangen mit rauhen Händen; der Mond lachte uns noch einmal ermutigend zu wie ein lustiger Onkel zwei Kindern, die sich fürchten; von einer fernen Straße klangen Schlittengeschell und ein abgerissenes, frohes Lachen.
»Lebe wohl, du liebe, herrliche Menschenerde!«
Herr von Stimpekrex reichte Fräulein Elkaguntascha den Arm, ich nahm Angelika an der Hand, hinterher marschierten schweigsam und verdrossen die Krähen. So ging es ein Weilchen in den Wald hinein. Ein grauer Stein stand senkrecht in einer Bergwand; er war kaum so groß wie eine Schiefertafel. Herr von Stimpekrex drückte auf eine Feder, der Stein drehte sich, ein Gang wurde sichtbar, der Stein schloß sich hinter uns, – die Welt lag draußen.
Als wir etwa dreihundert Meter von der Erdoberfläche entfernt waren, stand eine Grenztafel am Wege. »Deutsches Reich« stand auf der einen Seite, »Königreich Herididasufoturanien« auf der anderen. Herr von Stimpekrex blieb stehen und hielt eine kleine Begrüßungsansprache. Er sprach mehr herzlich als gut. Ein Händedruck am Schluß; wir waren im Ausland.
Wenn Deutsche ins Ausland kommen, dann sehen sie gleich immer etwas, was ihnen sehr imponiert. Mir ging es natürlich auch so. Während nämlich der reichsdeutsche Teil des unterirdischen Ganges völlig finster gewesen war, war der herididasufoturanische durch kleine, elektrische Bogenlampen sehr gut erhellt. Ich kann unserem Auswärtigen Amt den Vorwurf nicht ersparen, daß es an der Grenze von Herididasufoturanien nicht für eine dem Deutschen Reiche würdige Beleuchtung gesorgt hat, und ich werde die Sache energisch zur Sprache bringen, falls ich noch einmal in den Reichstag gewählt werden sollte.
Zwei herididasufoturanische Grenzjäger tauchten auf und forschten nach Dynamitbomben und Alkohol. Wir hatten nichts Steuerbares oder Verbotenes und konnten passieren. (In Parenthese bemerke ich, daß deutsche Grenzjäger da unten auch fehlen; ich muß unbedingt in den Reichstag.)
»Achtung, Herrschaften! Der Fahrstuhl!«
Wir bestiegen das elegant ausgestattete Coupé eines Fahrstuhls und sanken zur Tiefe. Wie tief es ging, weiß ich nicht; aber das weiß ich, daß dahinunter auch der riesigste Erdbohrer nimmer reichen wird, daß in jenes Gebiet auch der genialste Doktor-Ingenieur niemals dringen wird. Wenn überhaupt ein Mensch sich dahin durchgräbt, so wird es ein Kind mit seinem Blechlöffel sein.
Im Erdlicht
Erdlicht! Ihr Menschen würdet nichts sehen als Dunkelheit, eine schwarze, schwüle Nacht, durch die ferne, unheimliche Feuer aufbrennen, durch die graugelbe Dampfschwaden ziehen und bläuliche Strahlungen phosphoreszieren.
Wichtelchenaugen sind glücklicher.
Ich sah, daß es Tag war, nicht ganz so heller Tag wie auf der Erde; etwa wie das Licht eines bewölkten Sommermittags so war's.
Ich war nicht in einer Höhle, ich war in einem weiten, unübersehbaren Lande. Dort, wo sich der Blick verlor, baute sich ein blaues Gebirge auf, davor lag ein schimmernder See, aus dem strahlten tausend farbige Springbrunnen zur Höhe. Und um den See waren blaue, weiße, gelbe, rote Hügel, darüber rannen bunte Bäche. Durch langgestreckte Landzungen und kleine Inseln war der See in viele Becken geteilt.
»Der See der Gesundheit,« sagte mein Begleiter. Ich fragte ihn nicht nach seiner Bedeutung, ich sah zuviel Neues.
Da war ein Gebirge, das leuchtete wie die Schneefirnen, wenn sie im Abendglühen liegen, da war ein anderes, das schimmerte wie grünes Glas. Ein breiter Strom ging durchs Land, daran lagen viel tausend Zelte und Häuser, und über alles spannte sich eine riesige braune Himmelskugel.
Ich starrte hinauf und wußte nicht, was das sei.
»Ist denn das Erde?« fragte ich Herrn von Stimpekrex und wies hinauf.
»Gewiß,« sagte er stolz, »wir haben einen massiven Himmel.«
»Und Sonne, Mond und Sterne?«
»Haben wir nicht! Brauchen wir auch nicht! Wir haben ein Landesgesetz, das bestimmt ganz genau, welche Zeit als Tag und welche als Nacht anzusehen ist.«
»Aber es ist immer gleich hell?«
»Immer! Ist aber egal, Nacht und Tag müssen wir doch haben.«
»Wo kommt aber das Licht her?«
»Das sollten Sie sich eigentlich denken können! Den ganzen Tag trinkt die Erde Himmelslicht, sie trinkt es mit Millionen Poren, sie trinkt es durch jeden hohlen Blumenhalm, sie saugt es auf mit ihren blauen Augen, mit Meer und See; selbst in der Nacht, wenn Mond und Sterne scheinen, trinkt sie Licht, wie ein gesundes, vielhungriges Kindlein trinkt im Traum. Wo kommt all das Licht hin, das die Erde trinkt? Es ist hier unten bei uns.«
»O, das ist gut,« sagte ich; »das ist gut!«
»Ja,« fuhr mein Begleiter fort, »und was nun die Jahreszeiten anbelangt, so sind wir eigentlich in Verlegenheit. Es ist bei uns nämlich immer gleich warm. Da haben wir denn auch wieder ein Landesgesetz, das bestimmt, wenn Sommer und wenn Winter ist. Im allgemeinen richten wir uns nach dem benachbarten und befreundeten Deutschland. Jetzt haben wir auch Winter, das heißt also gesetzlichen Winter. Die Eisenbahnverwaltung läßt jetzt die Waggons heizen, und wenn jetzt jemand barfuß ginge oder Vanille-Eis äße, dann würde er sich strafbar machen. Sie werden das alles sehr praktisch und verständig finden.«
»Nein,« sagte ich, »ich kann nicht begreifen, wozu alle diese Maßnahmen sind, wenn es doch immer gleich warm ist.«
Der kleine Herr sah mich ärgerlich an.
»Was wollen Sie? Wir müssen doch Abwechselung haben; wir sind weder Wüsten — noch Nordpolbewohner; wir müssen absolut Abwechselung haben, schon der Geschäfte wegen, die eine Sommer — und Wintersaison brauchen. Ich rate Ihnen, Herr Doktor Barragu, stellen Sie sich nicht auf die Seite der Opposition. Das würde Ihnen furchtbar schaden!«
»Was heißt das?« fragte ich bestürzt.
»Verstehen Sie etwas von Politik?« fragte er zurück.
»Nein,« antwortete ich, »Dichter verstehen nie etwas von Politik.«
Der Gesandte atmete tief auf.
»Eigentlich müßten Sie ja als Chefredakteur der Zeitung wohl was von Politik verstehen; aber es ist immer noch besser, Sie machen die Zeitung ohne Verständnis als mit falschem Verständnis.«
***
»Wir woll'n unsern Lohn!«
»Wir haben gearbeit'!«
»Wir woll'n nu mal heim!«
»Mögen sie doch and're warten lassen!«
Das waren die Krähen, die immer noch bei uns waren. Herr van Stimpekrex hatte einen herididasufoturanischen Fluch auf den Lippen, unterdrückte ihn aber in Rücksicht auf die Damen und sagte nur:
»Bitte, kommen Sie mit nach dem Stationsgebäude, damit wir das scheußliche Pack los werden.«
In dem Stationsgebäude fiel mir nichts Besonderes auf; es war ganz nach preußischem Muster eingerichtet: einfach, praktisch und ungemütlich. Die Lampen brannten, und die Kellnerin schlief. Das war, weil gesetzliche Nacht war.
Herr von Stimpekrex bestellte bei dem schlaftrunkenen Mädchen vier Tassen Kaffee und verlangte außerdem Schreibzeug, sowie, daß der Stationsvorsteher erscheine. Hierauf schrieb er den Krähen vier Anweisungen über je 200 Gramm Regenwurmfleisch. Das war die Taxe. Eine Extragratifikation bekamen die Krähen nicht, und das wird in unserem Falle wohl auch der trinkgelderfreudigste Mensch begreiflich finden.
Die freche Gesellschaft erhob nach Empfang der Anweisungen einen furchtbaren Lärm vor dem Stationsgebäude, und besonders das schwarze Tier, auf dem ich geritten war, machte riesigen Skandal über unsere angebliche »schmähliche Knickrigkeit« und meinte, das weitere wird sich finden.
Wenn jemand wütend ist und gern drohen will, aber absolut nicht weiß, womit er drohen soll, dann sagt er immer: »Das weitere wird sich finden!« Es »findet sich« gewöhnlich dann rein gar nichts. Also nahm ich auch diese Krähendrohung sehr leicht, diesmal aber sehr zu meinem Schaden, wie sich im Verlauf dieser ernsthaften Geschichte zeigen wird.
Inzwischen erschien der Stationschef. Er kam mir sehr sonderbar vor, schwankte immer hin und her und hatte die Kokarde seiner roten Mütze nach hinten gerichtet. Auch redete er soviel vergnüglichen Unsinn, daß ich mich eines ganz bestimmten Verdachts nicht erwehren konnte.
Herr von Stimpekrex schrie das vergnügte Männlein gewaltig an, stellte sich als Gesandten des Königs vor, und bestellte einen Extrazug.
»Jhähä, – jawohl ja, – Extrazug, – Extragesandter – wupp – wupp – Wuppgesandter!«
Stimpekrex erbleichte, und vor meinen Augen tanzte in der Luft eine lustige Nummer l7.
»Mann,« zischelte der Leutnant den Beamten an, »was soll ich mir von Ihnen denken? was soll dieser Herr denken?« Hier flog die Tür auf und die Frau des Stationschefs trat hastig ein. Sie war sehr erregt und fing gleich an zu bitten und zu jammern, Exzellenz solle nur das sonderbare Benehmen ihres Mannes entschuldigen und beileibe keine Meldung machen; der gute Mann habe furchtbar die Influenza und phantasiere schon seit Mitternacht.
»Dann soll er zu Bett gehen, und der Assistent soll kommen,« sagte Stimpekrex barsch.
Die Frau fing an zu zittern.
»Exzellenz, – der – – der Assistent – hat – hat auch die Influenza.«
Ich machte auf dem Absatz rechtsum kehrt, und Exzellenz sank auf einen Stuhl.
»Hat auch die Influenza!« wiederholte er tonlos.
»Ja, – jawoll ja, – hat auch – hat auch die Influenza,« sagte der Stationschef gemütlich.
Die Frau fing an zu weinen, Herr von Stimpekrex erhob sich.
»Das ist stark, – das ist infam, – sowas in unserem Lande, – das muß ich selbstverständlich – – was sagen Sie zu der Sache, Herr Doktor?«
Ich brachte meine Gesichtsmuskeln in Ordnung, drehte mich um, zuckte die Achseln und sagte:
»Ich finde es gar nicht so sonderbar, daß beide Beamte erkrankt sind. Es ist eben gesetzlicher Winter!«
Herr von Stimpekrex sah mich mißtrauisch an.
»Frau,« sagte er, »besorgen sie einen Zug, wir wollen machen, daß wir hier fortkommen.«
In verhältnismäßig ganz kurzer Zeit fuhr ein sehr komfortabler Extrazug vor. Die Damen bestiegen den ersten, wir den zweiten Wagen, die Frau Vorsteher flötete »Abfahren«, und der Zug setzte sich in Bewegung, während oben im ersten Stock des Gebäudes der erkrankte Stationschef die Hand schelmisch salutierend an die Nachtmütze legte und mit begeisterter Stimme schrie:
»Extrazug! Extragesandter! Extrasilvester!«