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Das letzte Märchen

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»Das Geld ist echt, wir haben alles gesammelt, was an Schätzen und Altertümern unter der Erdrinde lag, damit es nicht verstreut werde und untergehe. Langsam und ratenweise geben wir den Menschen ihr Eigentum zurück; einem armen Bauern, der es verdient, schieben wir einen Topf mit Goldmünzen unter die Ackerfurche, einem Gelehrten, den wir lieb haben, legen wir ein paar alte Waffen und Knochen unter den Spaten, Es liegen ungeheure Schätze bei uns, die wir alle nach und nach den Menschen in die Hände spielen werden.«

Eine große Erregung faßte mich an. Jetzt erst erkannte ich, was für eine Schatzkammer der verbotene Berg des Märchenlandes war. Das menschliche Brudergefühl wurde in mir rege und ich sprach:

»König und Herr, wäre es nicht hochherzig, den Menschen diese Altertumsschätze auf einmal zurückzugeben? Wieviel tausend Rätsel würden uns gelöst, wieviel Unwahrheit zerstört, wieviel neues Licht auf die Welt gebrächt werden, welche Sicherheit und welcher Friede!«

Milde schaute mich der König an und sagte:

»Die Menschen sind für die Erkenntnis ihrer Geschichte nicht reif. Nicht einmal der Geschichte ihrer eigenen Zeit wagen sie lange und scharf ins Auge zu sehen. Bald senkt sich ihnen die Wimper; sie hören auf zu sehen und fangen an zu träumen; denn die Menschen sind alle Dichter. – Und es ist keine Sicherheit bei euch, was ihr mit dem ernsten Eifer der Weisen und mit der asketischen Hinopferung der Heiligen sucht, findet ihr mit dem Jauchzen des Kindes. Und ihr hebt es auf, freut euch des Besitzes und hütet ihn mit großer Treue. Aber ein anderes Volk kommt, das töricht und stark ist, und vernichtet euren tausendjährigen Fleiß in ein paar rohen Siegernächten. Dann ist die Menschheit arm wie zuvor, tappt im dunkeln und wohnt bei den Tieren. Und wir fangen wieder an, Steinplatten unter die Erde zu schieben, Pergamente, Waffen und Geräte hinzulegen und freuen uns, wie die Menschen langsam wieder einen Besitz sammeln, freuen uns, daß wir für sie gespart haben.«

Als ich den König das sagen hörte, beugte ich mich tief und küßte ihm das blütenweiße Kleid. Er aber fuhr mir liebkosend mit der Hand über das Haupt, mir, einem Sohne des unstetesten Geschlechtes der Erde. –

Längere Zeit hielt die Beklemmung an, die mich überkommen hatte bei dem Gedanken, daß die tiefsten Quellen unserer Erkenntnis jenseits unserer Geschichte liegen, aber dann raffte ich mich auf, um nicht an allzuviel Dingen mit träumenden Augen vorbeizugehen.

Da sah ich noch viele Schätze und Raritäten, ernste Dinge und solche, über die ich lächeln mußte. Das Modell des Perpetuum mobile, das schon vor Jahrhunderten erfunden worden ist, eine Goldmacherwerkstatt, einen lenkbaren Luftballon, etliche tausend unfehlbare Volksbeglückungsrezepte, eine Runzelwalze für alternde Damen, eine tadellos funktionierende Sparmaschine für Künstler, eine gesetzlich geeichte Talentwage und sonstige große Dinge, nach denen die Sehnsucht der Menschen geht und die im Märchenland alle fix und fertig daliegen. Wie gern wollte ich euch die großen Rätsel lösen, ihr lieben Brüder und Schwestern. Aber ach, ich bin ein armer Tor, der vor physikalisch kosmetischen Geheimnissen bewundernd aber ratlos steht und nicht begreift, was er sieht. Wenn ich sage, daß ich euch diese Dinge nicht erklären kann, so sollt ihr mir das nicht als falsche Bescheidenheit, aber auch nicht als Hinterlist auslegen, sondern mir glauben, daß ich es infolge mangelhafter Vorbildung nicht imstande bin.

Daß wir alle photographiert wurden, wird als selbstverständlich erscheinen; ich erwähne es nur, weil wir die farbigen Photographien sofort mitnehmen konnten.

Langsam schritten wir weiter. Manchmal standen Sinnsprüche an den Wänden. Einen habe ich mir gemerkt, einen, von dem ich lernen und gewinnen wollte:

»Der echte Spott kommt aus der leisen Trauer eines gütigen Herzens.«

Eine rote, runde Halle tat sich vor uns auf. In der Mitte stand auf einem weißgedeckten Tisch ein kristallener Pokal.

Wir traten rund um den Tisch, und der König sprach

»Dieser Kelch ist ein heiliges Gut. Ein Mann hat ihn gefertigt, der ein Künstler war, ein Weiser, ein Heiliger. Niemals hat eine unwürdige Hand dieses Glas berührt. Von allen, die daraus tranken, bin ich der geringste. Zweifache Macht ist dem Pokal eigen: dreimal kann er vom Tode retten, einmal kann er erstorbene Freundschaft erneuen. Nur die Männer dürfen daraus trinken, die dem Vaterlande dienten, nur in schwerer Not darf der Kelch gefüllt werden. Und nur durch eine große Falschheit kann er zugrunde gehen.«

Der König schwieg. Seine Augen waren ernst und seine Stirn ganz weiß, als ob ein Leuchten von ihr ausginge. Zärtlich schlang der greise Mann einen Arm um sein blondes Kind. Und er sprach weiter:

»Dreimal habe ich aus dem Kelche getrunken. Zweimal haben sie ihn mir gereicht, als ich blutend auf dem Schlachtfelde lag, einmal mußten sie ihn mir geben, als – Goldina, – deine Mutter gestorben war. – Nun hilft er mir nicht mehr!«

Das schöne Königskind fing bitterlich an zu weinen.

»Weine nicht, du Liebe! Noch bin ich stark, noch hoffe ich lange bei dir bleiben zu können. Und ich bin nicht unzufrieden. Nie brauchte ich aus diesem Kelch zu trinken, weil mir eine Freundschaft gestorben war. Keiner von denen, die ich geliebt habe, ist mir verloren gegangen. Mit dem ganzen Besitz meines Vertrauens durfte ich alt werden. Das ist eine so hohe Gnade, wie sie selten einem Leben zuteil wird.«

Langsam gingen wir aus der runden Halle. Wir traten alle leise auf, als wir aus dem Heiligtum schritten. Aber der Kelch auf dem weißen Tische klang, als sage er uns etwas zum Abschied.

Zuletzt sah ich auch die Krone. In einem goldenen, wunderbaren Dom, auf einem Altar lag sie, auf dem Hunderte von Kerzen brannten.

Der König schritt die Stufen des Altars hinauf. Er stand einen Augenblick still mit gefalteten Händen. Dann nahm er die Krone, küßte sie und setzte sie auf sein Haupt. .

Als er sich zu uns umwandte, kannte ich ihn nicht wieder. Das war nicht der freundliche, milde Greis, der mit uns gegangen war in traulicher Gefährtschaft, der plauderte und der scherzen konnte. Nicht der gütige Vater.

Es war der König!

Er erschien völlig gewandelt, viel größer und von edelster Schönheit.

Was alt und schwach an ihm war, gewichen war's einer Stärke, einer Überkraft, vor der wir alle erbebten. Ein Glaube war in uns, dieser eine Mann könne ein Volk zu Boden schmettern. Es war kein Makel an ihm, und alle seine Tugenden waren dreifach verklärt. Seine Augen waren von leuchtender Kraft und blickten scharf, als ob sie bis ins Innere schauen könnten. Heilig und unberührbar schien er, fern von uns allen. Mit diesem König hatten wir keine andere Gemeinschaft als seine Gnade.

Der Zauber der Krone wirkte auf uns.

Der König winkte den beiden Prinzen, und sie knieten nieder vor ihm am Fuß des Altars. Uns aber gebot er hinauszugehen. Auch seiner Tochter!

Einsam wollte er mit den beiden Prinzen sprechen von der Krone. – – –

Als ich die drei wieder sah, waren die Prinzen blaß.

Der König aber lächelte und legte mir einmal die Hand vertraulich auf die Schulter.

Scheu blickte ich nach seinem Haupte.

Eine weiche, grüne Mütze lag auf seinen weißen Haaren. Der Zauber der Krone war gewichen; ich konnte wieder mit ihm sprechen.

Vulkanfeuer

Es war wenige Tage später.

Die neueste Nummer der »Posaune« lag auf dem Tische vor mir. Ich hatte sie noch nicht geöffnet; ich scheute mich vor dem Sumpf, der da immer zu durchwaten war.

Da kam mein Freund Stimpekrex zu mir. Er war in höchster Aufregung.

»Kommen Sie bald zu Hofe; ich fürchte, wir stehen vor einem großen Unglück.«

Auf meine erschreckte Frage blätterte er die »Posaune« vor mir auf. Ich las:

»Se. Majestät König Herididasufoturu hat die Gnade gehabt, unseren Erbprinzen zu einem Besuch der königlichen Schatzkammer einzuladen. Wir schätzen es und begreifen es vollständig, daß der König das Bedürfnis hatte, seinem Gaste auch einmal eine Liebenswürdigkeit zu erweisen. Daß allerdings unserem Volke der lange Aufenthalt des Erbprinz im benachbarten Lande dadurch lieber geworden sei, wagen wir nicht zu behaupten. Merkwürdig war es, daß sich in dem kleinen Gefolge des Königs der Prinz Hamrigula und jener berühmte Spiritusritter Dr. Barragu befanden, sicher unserem Erbprinzen die zwei unsympathischesten Männer des ganzen Landes. Als im höchsten Grade befremdend muß uns aber erscheinen, daß unserem Erbprinzen der berühmte heilige Pokal gezeigt wurde.

Wir erinnern euch daran, liebe Landsleute, daß der heilige Pokal unser ehrwürdigster Nationalschatz war, als die beiden Länder noch ungeteilt unter einem Zepter regiert wurden. Keine Kostbarkeit, nicht alle Schätze des verbotenen Berges kommen ihm gleich. Als nach des alten Königs Tode die Länder geteilt wurden, teilten die beiden Brüder auch die Schätze. Um Kostbarkeiten ist es nicht zu tun. Ein wenig Geld, ein paar seltene Steine mehr oder weniger – darauf kommt es nicht an. Aber der heilige Pokal war ein Gut unermeßlichen Wertes. Dreimal vermag er verdienten Männern das Leben zu erhalten. In der Tat wäre König Herididasufoturu längst zu seinen Ahnen versammelt, wenn ihn der Pokal nicht dreimal errettet hätte. Wir freuen uns seines Lebens, seiner Gesundheit, freuen uns, daß es uns vergönnt war, allen denen, die seinem Lande dienen könnten, das Leben bis zu unzählbaren Jahren zu verlängern, aber wir denken auch mit Schmerz an unsere Helden, unsere Staatsmänner, unsere Dichter und Weisen, die ins Grab sanken vor der Zeit, weil der rettende Kelch unserem Volke genommen ist. Genommen ist, ihr Brüder! Tausende, Abertausende im Lande wissen das, aber keiner hat es je auszusprechen gewagt, was unser Blatt, das die Ehrlichkeit und den Mut auf sein Panier geschrieben hat, jetzt laut und offen vor aller Welt sagen wird, unbekümmert um das, was daraus folgt.

 

Der heilige Pokal ist unrechtmäßig in den Besitz von Herididasufoturanien gekommen. Ein unteilbares Gut, wurde das Los geworfen über den kostbaren Schatz. Beide Könige standen vor einem Altar und legten je einen Zettel, darauf sie ihre Namen geschrieben hatten, in eine goldene Urne. Ein Kind zog das Los. Es fiel auf König Herididasufoturu.

Das losende Kind aber war – der Prinz Hamrigula. Wir haben schon des öfteren unsere Meinung über diesen Prinzen gesagt und werden ohne Scheu heute sein Verbrecherwesen enthüllen.

Sowie der Prinz Hamrigula heut als Mann in reifen Jahren unrechtmäßig nach der Krone seines Landes strebt, so war er als Kind schon schlau und verdorben genug, den Spruch des Schicksals zu fälschen.

Zeugen, die bei der Losung um den heiligen Pokal zugegen waren, bekunden einstimmig: Hamrigula, der durchtriebene Knabe, gab genau acht, als die beiden Könige ihre Zettel falteten, ehe sie die Lose in die Urne legten. Mit suchendem seinfühligen Finger erkannte er dann am Format das Los seines Königs. So kam der kostbare Pokal, der jetzt in Begleitung eben desselben Fälschers unserem Erbprinzen huldvoll einmal gezeigt wird, in den Besitz des Nachbarlandes und ging uns verloren.«

Als ich das gelesen hatte, fühlte ich, daß mein Gesicht bleich sein müsse.

»Was wird daraus werden?« fragte ich.

Der Freund sah mich ernst an.

»Krieg!« sagte er. »Sie fühlen, daß sich unser Volk diese Beleidigung nicht gefallen lassen kann. Sie richtet sich nicht nur gegen einen Prinzen unseres Herrscherhauses, sie richtet sich gegen den König selbst und gegen unser ganzes Volk.«

»Ist keine Aussicht, das furchtbare Übel zu vermeiden?«

»Keine! Hamrigula und der Erbprinz stehen sich jetzt schon als Todfeinde gegenüber. Der Erbprinz legt eine beleidigende Nichtachtung des Prinzen Hamrigula an den Tag.«

»So glaubt er die Behauptung des Schandblattes?«

»Sicher! Jedenfalls hat er sie selbst geschrieben. Wehren Sie nicht ab! Was ich hier sage, denken Tausende, nein, denken alle im Lande. Der Erbprinz treibt ein gewagtes Spiel. Im Interesse unseres Landes hätte es längst gelegen, diesem gefährlichen Besuch ein Ende zu bereiten.«

»Und der König?«

»Er ist von grenzenloser Langmut. Er läßt auch jetzt den Prinzen noch nicht fallen.«

Ein Depeschenbote trat ein.

»In Hakalatotuland droht infolge des Becherartikels der »Posaune« die Revolution. In allen großen Städten sammeln sich ungeheure erregte Volksmassen auf den Straßen und Plätzen. Das Königliche Schloß und das Regierungsgebäude sind umlagert. Die Menge fordert ungestüm die sofortige Rückkehr des Erbprinzen. Die meisten Leute sind für den Krieg. Der Staatsrat ist zusammengetreten. Eine Entscheidung ist noch nicht getroffen.«

Und als ob der Bericht von der Empörung im Nachbarstaate eine Bestätigung im eigenen Lande finden sollte, drang ein wüster Lärm an unser Ohr.

Es wurde uns klar: Auch in Marilkaporta brach eine schwere Stunde an.

»Kommen Sie schnell, daß wir den Palast noch erreichen; der König wird uns brauchen.«

Ich antwortete dem Freunde erst nicht mehr; ich stand mit ihm in der nächsten Minute schon auf der Straße.

Mit Mühe brachen wir uns Bahn bis zum Schloß. Hinter uns schloß sich ein undurchdringlicher Wall der empörten Menge.

In einem Vorzimmer traf ich Goldina. Sie war völlig verändert. Nicht mehr das harmlose, lachende Kind, als das ich sie kennen gelernt hatte, auch nicht mehr die ernste Jungfrau, die um ihre Liebe trauerte, sondern ein reifes, mutiges Weib, das gewachsen war in den Kämpfen, die ihm bereitet wurden, gewachsen an Kraft, Mut, Charakter. Mit ernsten Augen schaute sie mich an, als sie mir entgegentrat.

»Sie sollen mir etwas sagen! Halten Sie den Erbprinzen Juvento für fähig, daß er Anteil habe, irgendwelchen Anteil an dem schändlichen Artikel dieses Verräterblattes?«

»Nein!«

Ich sagte es in aller klaren Bestimmtheit.

Da flog es wie ein Sonnenleuchten über ihre blassen Züge.

»Ich danke Ihnen! Juvento ist nicht der geringsten niederen Handlungsweise fähig. Daß er mich nicht liebt, ist nicht seine Schuld. Aber er ist edel! Das weiß mein Vater, und das weiß ich!«

Ich küßte ihr ehrerbietig die Hand.

»Kommen Sie mit zum König! Er wartet auf Sie!« sagte sie.

Wir gingen einen langen Korridor entlang. Von unten drang dumpfes Gemurre, schollen wüste einzelne Rufe. In einer Fensternische des Korridors stand Prinz Hamrigula. Er schaute hinunter auf die Menge. Goldina ging rasch an ihm vorbei.

Den König fand ich ernst, aber von milder Ruhe. Die Tochter barg den Kopf an seiner breiten Brust, und seine Hand ruhte lange auf ihrem goldenen Scheitel. Es war der stumme Segen einer tiefernsten Stunde.

Pagen öffneten zwei gegenüberliegende Türen. Gleichzeitig traten die Prinzen Juvento und Hamrigula in den Saal. Hamrigula maß den Erbprinzen mit einem haßerfüllten Blick. Der sah an ihm vorbei. Dann neigten sich beide vor dem Könige und nahmen an seiner Seite Aufstellung. Auch der Kanzlei kam und noch wenige hohe Beamte des königlichen Hauses.

»Wir wollen hinausgehen zum Volke!« sagte der König entschlossen. Keiner widersprach, aber alle waren schwer erregt.

Eine breite Tür wurde geöffnet, die auf einen großen Balkon führte.

Wie der Donnerton einer Riesenwoge, die durch das Volksmeer flutete und am Königspalast emporbrandete, erscholl ein tausend — und abertausendstimmiger Ruf:

»Der König! Es lebe der König!«

Aber gleich hinterher ein wütendes Johlen, Pfeifen, Zischen, Heulen.

»Nieder mit Juvento! Nieder mit Hakulatotuland! Krieg! Krieg! Krieg!«

Der König hob die Hand befehlend über das weiße Haupt, und der Sturm ließ nach. Nur noch ein leises Murren und Summen. Aber der König blieb reglos stehen mit seiner hochgestreckten Hand, bis der letzte Ton verhallte und Stille war, Totenstille.

Eine tiefe Erschütterung erfaßte mich, als ich Tausende vor dem einen schweigen sah. Etwas Zauberhaftes, Erschreckendes hatte es, als diese ungeheure Menge so lautlos, leblos stand.

Und der greise König sprach, und ein jedes Wort hatte Flügel:

»Ihr lieben Brüder und lieben Kinder! Ihr seid zu mir gekommen, daß ich zu euch rede. Eine törichte Kunde hat euch erschreckt. Fürwahr, eine törichte, böse Kunde! Ich, euer König, sage euch: Als mein Bruder und ich das Los befragten um den Besitz des heiligen Pokals, ist keines der völlig gleichen Lose gefaltet worden, und Hamrigula wurde erst herbeigerufen, als die Zettel in wohlverdeckter Urne lagen. Mit verbundenen Augen hat er das Los gezogen, und er war damals noch ein Kind, das kaum sprechen gelernt hatte.«

Da brach ein namenloser Tumult los. Ein Schreien Rufen, Drängen, Hochrufe auf den König, begeisterte Hochrufe auf Hamrigula und dazwischen in wilden Tönen:

»Nieder mit Juvento! Nieder mit den Lügnern! Krieg! Krieg! Krieg!«

Zornig hob der König abermals seine Hand und redete ernst, als der letzte Laut erstorben war.

»Ich hörte Worte, wie ich sie noch nie hörte, solange ich König bin in unserem Vaterlande. Worte gegen einen Gast! Wer von euch vergißt die heilige Pflicht, den Gast zu ehren, selbst wenn er der Feind wäre? Heilig ist der Herd des Königs, heilig wie der Herd des ärmsten Mannes! Wer an ihm weilt, darf nicht beleidigt werden! Geschützt, unantastbar ist jeder, den wir aufnahmen in den Frieden unserer Grenzen. Ich aber halte meine Hand über diesen Gast, und ich sage euch: er ist rein und ohne Schuld!«

Tiefes Schweigen. Der Erbprinz stand stolz und regungslos da; bei den letzten Worten des Königs nur flog ein leichtes Rot über seine Wangen.

Und wieder scholl die Stimme des Gebieters:

»Krieg fordert ihr! Krieg mit wem? Mit unseren Brüdern! Nicht bloß mit meinem Bruder, mit euren Brüdern! Ob wir siegen oder fallen, wir verwüsten eigenes Land, vergießen eigenes Blut. Fern bleibe uns allen dieser Frevel! Kein Wunsch, kein Wort soll ihn je wieder berühren! Wer schleppt meine weißen Haare in die Bruderschlacht? Friede soll sein, den Frieden will ich befestigen! Und so sage ich euch meinen Entschluß! Ich habe sieben würdige Männer nach dem verbotenen Berge geschickt. Sie werden den heiligen Pokal hierherbringen. Bald müssen sie da sein. Dreimal hat mir der Pokal das Leben erhalten, nun soll er mir ein höheres Gut schützen, den gestörten Frieden zwischen zwei Bruderländern. Mit dem Sohne meines Bruders will ich Treue trinken vor euren Augen, er für sein Land, ich für unser Land. Und wenn der Segen des Bechers gewirkt hat, wenn Ruhe und Freundschaft wiedergekommen sind, dann will ich als letztes Werk meines Lebens einen Eintrachtstempel bauen lassen auf der Grenze zwischen unserem Lande und dem Bruderlande, und in diesem Tempel soll der heilige Pokal stehen als Eigentum für beide Völker.«

Wieder Schweigen, tiefes Schweigen. Aber dann ein Murren und Surren, bedrohliche Erregung. Widerspruch! Und da – als der alte König vor diesen Zeichen reglos und mit weiten Augen stand, öffnete sich eine Gasse durch die Menge.

Sieben Männer kamen langsamen Schrittes. Ein weißhaariger Priester trug in hocherhobenen Händen den heiligen Pokal.

Links und rechts stand die Menge in atemloser Andacht.

Ein Strahlen ging aus von diesem Kelch der Gesundheit und des Friedens, und die Augen Tausender richteten sich in brennendem Verlangen auf ihn ... segensuchend.

Die kleine, würdevolle Prozession verschwand im Schloß, wir alle gingen ihr entgegen, mit Ausnahme des Königs.

Der stand noch immer reglos draußen im Angesicht seines Volkes und seiner Stadt.

Da war es, als ob es plötzlich finsterer würde, als ob das rote Feuerlicht des hohen Vulkans, der jenseits der Stadt brannte, umheimlicher sich abhöbe.

Als der Priester in den Saal trat, erscholl ein furchtbarer, prasselnder Donnerschlag, wir alle schraken heftig zusammen. Der Alte aber, der den Kelch trug, zuckte nicht mit der Wimper, wenn die Welt neben ihm geborsten wäre, er hätte weder rechts noch links geschaut, er sah nur auf den Kelch, der ihm anvertraut war.

Kniend überreichte er draußen dem König den heiligen Pokal.

Der hob ihn hoch, daß alles Volk ihn sähe, und senkte ihn dann langsam und küßte ihn.

Darauf wandte er sich an den Erbprinzen und gab ihm mit lauter Stimme den Befehl:

»Hole die goldene Kanne, die drinnen auf dem Tische steht. Sie ist gefüllt aus der reinen Quelle der Heldentreue. Mit ihrem heiligen Wasser wollen wir Treue trinken.«

Der Erbprinz neigte sich, ging hinein in das Schloß und kam mit der goldenen Kanne wieder.

Schweigend hielt ihm der König den Pokal hin, und der Erbprinz goß Wasser hinein.

Und abermals fiel ein prasselnder Donnerschlag. Eine blutfarbene, schaurige Feuersäule stieg zischend aus dem Vulkan, und alles Volk und die Stadt und der König waren von rotem Lichte übergossen.

Der König hob den Pokal hoch und wandte sich zum Erbprinzen:

»In Freundschaft trinke ich auf die Freundschaft, in Bruderliebe trinke ich auf die Bruderliebe, in Heldentreue trinke ich auf die Heldentreue!«

Und der König trank ...

Ein höllischer Donner ertönte ...

Der Pokal blitzte auf in des Königs Hand ... Ein Fallen! Ein furchtbares Klirren, ein winselndes, schauriges Klingen ...

Taumelnd stand der König! Seine Augen waren geisterhaft weit geöffnet ...

»Es ist Gift im Pokal!« schrie er auf.

Und über den Scherben des heiligen Kelches brach der König tot zusammen.

***

Drunten ... Lähmung! Tödlicher Schreck! Aber dann ein tiefes, zitterndes Atmen, ein keuchendes Stöhnen, und dann ein tausendfacher Schmerzensschrei, ein schriller, rasender, gellender Entsetzensruf.

In diesem Augenblick bricht die rote, glühende Lava aus dem Berg und rollt auf die Stadt zu.

Es wird völlig finster. Ein Aschenregen rieselt hernieder. Schwefeldunst fällt uns an, eine Glut faßt uns, die Donner heulen, das Feuer loht ... Aber die Menge starrt nach dem Balkon.

Und eine Rotte bricht los, eine gurgelnde, wahnsinnige Rotte.

»Schlagt ihn tot! Schlagt den Mörder tot! Rache! Rache für unseren König!«

In das Wutgeheul, das sich vertausendfacht, mischt sich die Stimme des tobenden Vulkans. Das rote Licht wird stärker. Gaukelnd, gespenstisch umfließt es die schreiende Menge. In der Feuerlohe erscheinen verzerrte, wilde Gesichter, zuckende Gliedmaßen, die in Qual und Wut sich dehnen. Furchtbar – grauenhaft – wie eine Rotte brennender Teufel sieht das Volk aus.

 

Wilde, fanatische Racheschreie! Das Tor des Palastes wird gestürmt.

Oben aber zückt unter dem Jubelgeheul des Volkes Hamrigula sein Schwert gegen den Erbprinzen.

»Stirb, du verhaßter Hund –«

»Halt!«

Goldina springt schreiend auf von dem Leichnam des Vaters und stellt sich zwischen den Erbprinzen und Hamrigula. Hoch hebt sie die weißen Hände über das blonde Haupt.

O siehe, o siehe, es geschieht ein Wunder! Es wird still. Das Volk schweigt. Der Berg schweigt. Nur einen roten Glorienschein wirft er über das Königskind, das groß, herrlich und rein dasteht wie ein Engel, der in die Hölle niederstieg. Laut und königlich schallt ihre Stimme:

»Diesen Mann schütze ich! Im Angesichte meines toten Vaters schwöre ich: er ist unschuldig! Wer ihn auch nur antastet, tritt das letzte heilige Gesetz des Königs mit Füßen!«

Wie vom Blitz getroffen fällt der stolze Juvento zu Boden und küßt den Saum von Goldinas Kleid.

Sie hebt ihn auf; sie reicht ihm die Hand und führt ihn schweigend in den Saal. Niemand hindert sie. Wie verzaubert steht die Menge.

Und wenig Minuten später stehen wir alle gebannt und überwältigt vor einem ergreifenden Bilde vertrauender Liebe.

Auf einem weißen Roß sitzt der Erbprinz.

Waffenlos, in langsamem Schritt zieht er durch das Volk hindurch.

Goldina geht neben ihm; sie führt sein Roß am Zügel. Sie geleitet den Geliebten, dem sie vertraut, durch die Horde seiner Feinde, die erschrocken und schweigend steht und das heldenhafte Königskind nicht anzutasten wagt.

Der Erbprinz aber schaut nicht rechts noch links, achtet nicht auf Tod oder Leben; sein Blick hängt in Verklärung an dem reinen Engel, der ihn leitet. Die Lava bleibt stehen am Berghang und verglüht in goldrotem Schimmer, und der Berg beleuchtet mit roter, stillbrennender Fackel den beiden den Weg.

Bis zur Brücke des Lebens und Todes führt sie ihn.

Wir können sie sehen auf der hohen Brücke, können sehen, daß er zu ihr redet.

Eine Sekunde hebt sie das Haupt zu ihm auf.

Dann reicht sie ihm die Hand und kehrt zu ihrem toten Vater zurück.

Er aber reitet fort, das stolze Haupt tief auf den Hals des Rosses gesenkt.