Kitabı oku: «Sie brauchen uns jetzt», sayfa 2
Der »Jugend von heute« geht es anders
Wenn die Fallzahlen bei psychischen Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen seit fünf Jahrzehnten etwa gleich geblieben sind, was ist dann mit den Sozialen Medien, dem digitalen Mobbing, den pornografischen Inhalten, denen Kinder viel zu früh ausgesetzt werden, dem steigenden Leistungsdruck an den Schulen und den zerfallenden familiären Strukturen? Sind das alles nur mediale Mythen, geboren aus der Sorge von Eltern, Lehrern und der Bildungspolitik um die jungen Generationen? Stimmt das so alles gar nicht?
Im Detail betrachtet bedeuten stabile Fallzahlen bei psychischen Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen nicht, dass sie sich in den vergangenen Jahrzehnten genau gleich gefühlt haben. Es gibt Verschiebungen innerhalb der Ursachen und in der Folge auch zwischen den Krankheitsbildern. Einige Ursachen gewinnen, andere verlieren an Bedeutung. Bei einigen Erkrankungen steigen die Fallzahlen, bei anderen sinken sie. Krankheitsbilder verschwinden und neue kommen hinzu.
Grundsätzlich gibt es einige Risikofaktoren für psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen, die sich verschieden auswirken, jedoch abseits von Einflüssen der Genetik oder des Konsums von abhängig machenden Substanzen eine wesentliche Rolle spielen können.
Das Aufwachsen in sozioökonomisch schwierigen Verhältnissen, oder anders ausgedrückt: Armut macht krank. Das gilt sowohl für das Erwachsenenalter als auch für die Entwicklungsphase. Warum ist das so?
Einer der Hauptgründe dafür liegt nahe: Ärmere Menschen haben weniger Zugang zu Hilfsangeboten. Die Angebote des Gesundheitssystems gehen ja über ambulante und stationäre Behandlungen in psychiatrischen Abteilungen hinaus. Auch Psychotherapie und Psychologie leisten wesentliche Beiträge, die aber teilweise aus eigener Tasche zu bezahlen sind. Viele Eltern wollen oder können sich das nicht leisten.
Außerdem spielt das Aufwachsen in einem bildungsfernen Haushalt eine Rolle, wobei es hier auch Überschneidungen mit dem Thema Armut geben kann. Es ist evident, dass Menschen, die weniger Aufklärung über die modernen Hilfsangebote haben, weniger oft darauf zugreifen. Auch wenn Länder wie Deutschland und Österreich seit längerem Bildung vom Einkommen zu entkoppeln versuchen, besteht diese Diskrepanz nach wie vor. Wer aus ärmeren Verhältnissen aufsteigen und zum Beispiel einfach nur studieren möchte, hat nach wie vor mit Hürden zu kämpfen, die sich Menschen aus bildungsnahen Milieus gar nicht vorstellen können.
Hier greift dann vieles ineinander. Sind die Eltern arm und unter Druck, weil sie nicht wissen, wie sie die nächste Miete zahlen sollen, oder sind sie vielleicht selbst psychisch krank oder süchtig, prägt das ihre Kinder. Es ist ein scheinbar endloser Kreislauf. Solche Eltern sind am Abend oft entnervt, müssen mitunter noch einem zweiten oder dritten Job nachgehen und es fehlt ihnen die Zeit, etwa mit ihren Kindern Hausübungen zu machen. Im Umkehrschluss heißt das: Wohlstand macht nicht »kaputt«, er kann vielmehr eine Ressource sein, die Zugang zu Hilfssystemen ermöglicht.
Sexueller Missbrauch, körperliche und psychische Misshandlung. Trotz der Sensibilisierung für dieses Thema und der inzwischen hinlänglich bekannten schweren psychischen Folgen von Gewalt sind die Zahlen nach wie vor hoch. Wie viele Kinder und Jugendliche betroffen sind, dokumentiert laufend die Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Sexueller Missbrauch: Mädchen 13,4 Prozent, Jungen 5,7 Prozent
Körperliche Misshandlung: 22,9 Prozent
Emotionale Misshandlung: 29,1 Prozent
Wir wissen mittlerweile, dass Gewalt gegen Kinder nicht nur das Risiko für spätere psychische Erkrankungen erhöht. Es führt auch zu einem gesteigerten Risiko für körperliche Erkrankungen wie etwa chronische Lungen- oder Gefäßerkrankungen. Es ist noch nicht ganz geklärt, wie diese Zusammenhänge im Körper entstehen. Vermutet wird, dass Gewalterleben in der Kindheit zentrale Prozesse in unserem stressverarbeitenden System und auch im Bereich von Entzündungsvorgängen verstellt.
Mangelnde Zuwendung. Auch wer seine Kinder weitgehend ignoriert und ihnen ein emotionales Gegenüber vorenthält, riskiert ihre psychische Erkrankung. Denn wir alle, und ganz besonders Kinder und Jugendliche, brauchen so ein Gegenüber, um Selbstwirksamkeit zu erleben. Wie reagiert eine andere Person auf mein Verhalten? Wie geht es mir damit? Diese Lernprozesse sind essentiell.
Kinder und Jugendliche können die Dinge, die diese Welt und das Leben in ihr mit sich bringen, wenn sie jung sind noch nicht einordnen und sind dabei von Rückmeldungen anderer abhängig. Nur so können sie die Welt und sich selbst verstehen lernen. Soziale Isolation und Ausgrenzung sind für uns Menschen bedrohlich. Keinen Ansprechpartner zu haben, niemanden, der sich um einen kümmert, keine erwachsenen Bezugspersonen, um Erfahrungen einzuordnen und Grenzen wahrzunehmen und um erklärt zu bekommen, was richtig und was falsch ist, das belastet und destabilisiert nicht nur. Damit fehlt auch Geborgenheit, die aber nicht unbedingt die Eltern vermitteln müssen. Wenn es Tanten und Onkeln, Großeltern oder andere Bezugspersonen tun, ist das auch gut. Zum gesunden Heranwachsen brauchen wir mindestens eine stabile Bezugsperson.
Der Sinn der blutigen Nase
Neben diesen Hauptursachen für psychische Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen gibt es Effekte von Erziehungsformen, die Eltern teils im besten Glauben anwenden, die aber dennoch eine negative Dynamik auslösen können. Dazu gehört etwa die als »Helikopter-Erziehung« bekannt gewordene Überfürsorge. Sie hat bei weitem nicht so dramatische Auswirkungen wie das Gegenteil, die Vernachlässigung, doch weil sie ein relativ neues und viel diskutiertes Phänomen ist, hier einige Worte dazu.
Kinder und Jugendliche müssen ihre eigenen Erfahrungen machen, und dazu gehören auch schlechte. Sie müssen sich nicht nur sprichwörtlich, sondern ganz real ab und zu eine blutige Nase holen. Die Rolle der Eltern ist es dabei, den sicheren Hafen zu bilden.
Kinder und Jugendliche müssen sich sicher sein können, dass ihre Eltern für sie da sind, egal welchen Unsinn sie anstellen. Ein gewisser Explorationsspielraum, um die Welt auf eigene Faust zu erkunden und zu erfahren, ist in Kombination mit diesem Gefühl des sicheren Hafens schon einmal ein guter Anfang für ein Leben.
Dieser Explorationsfreiraum ist in den vergangenen Jahren geschwunden. Das ist empirisch belegt. Eltern behüten ihre Kinder immer mehr. Es liegt zum einen daran, dass Städte durch den motorisierten Individualverkehr gefährlicher geworden sind. Es liegt aber auch an dem zunehmenden Gefühl vieler Menschen, die Welt sei ein böser Ort.
Mir gibt das oft zu denken, denn so böse ist unsere Welt gar nicht. Der Verkehr mag eine Gefahrenquelle sein, doch das war er immer. In den 1970er-Jahren zum Beispiel waren wir alle ohne Gurte unterwegs und es gab noch keine Helmpflicht. Im Schnitt starben damals bei uns in Österreich jährlich 2.443 Menschen bei Verkehrsunfällen. 1998 waren es erstmals weniger als tausend und 2019 trotz wesentlich höherem Verkehrsaufkommen nur noch 410.
Es ist zudem empirisch gut untermauert, dass das Maß an Aggression, die Menschen aufeinander ausüben, nachlässt. Was sich übrigens auch im Vergleich der jüngeren Generationen mit älteren wiederspiegelt. Ob das mit der Digitalisierung zusammenhängt oder ob wir uns einfach in diese Richtung selektieren, ist noch unklar. Tatsache ist, dass die Gewalt weltweit weniger wird.
Es gibt zwar noch immer Kriege und noch immer zu viel Gewalt, aber in den meisten Ländern hat sich die Chance, eines gewaltsamen Todes zu sterben, über die vergangenen hundert Jahre deutlich verringert. Auch ein Blick auf die kriminalpolizeilichen Statistiken zeigt, dass wir sicher sind wie schon lange nicht mehr.
Wir vermuten trotzdem überall das Böse und haben deshalb das Bedürfnis, noch besser auf unsere Kinder aufzupassen. Vielleicht auch deshalb, weil wir immer weniger Kinder haben und sie dafür umso besser schützen wollen.
Ich nehme es niemanden übel, wenn er zur Helikoptermutter oder zum Helikoptervater wird, allerdings tut das den Kindern und Jugendlichen nicht gut. Sie können dann vielleicht harte, aber wichtige Lebenserfahrungen nicht machen. Was auch ihrer psychischen Gesundheit abträglich ist, denn die erfordert ein Aufwachsen durchaus auch mit Widerständen.
Die Erfahrungen zum Beispiel, sich überwinden oder sich nach einer Niederlage wieder aufraffen zu müssen, sind wichtig. Denn auch Scheitern beziehungsweise der Umgang damit will gelernt sein. In Watte gepackten Kindern, in deren Leben es weder begrenzte Risiken noch Hürden und Herausforderungen gibt, fehlt etwas. Wer wie ein Helikopter über seinen Kindern schwebt, riskiert, dass sie sich schwertun, zu lösungsorientierten und starken Persönlichkeiten heranzuwachsen.
Gesunde Erziehung bedeutet also, Grenzen zu ziehen, die Kinder und Jugendliche zum Beispiel vor falschem Umgang und Drogenkonsum schützen. Innerhalb dieser Grenzen sollten sie sich aber frei bewegen können.
Weitere Erziehungsirrtümer mit Folgen
Niemand ist als Vater oder Mutter perfekt. Auch als Kinder- und Jugendpsychiater weiß ich bei meinen Kindern nicht immer, was richtig und was falsch ist und mache Fehler. Jedes Kind für sich ist einzigartig, das macht es auch so schwer, abgesehen von einigen allgemeinen Grundsätzen, Tipps zu geben, die immer passen. Erziehungsmethoden und -tricks drängen sich überall auf. Was davon können wir als gesichert annehmen? Und womit schaden wir der psychischen Gesundheit unserer Kinder? Hier noch zwei Beispiele für Erziehungsformen, die wie die Überbehütung gut gemeint sein, aber trotzdem eine negative Dynamik auslösen können: Leistungsdruck und Kritik.
Leistungsdruck. Eltern, die zu sehr auf schulische Erfolge drängen, können damit unwissentlich Schaden anrichten. Denn irgendwann kann der Druck auf Kinder und Jugendliche so hoch werden, dass sie psychisch erkranken. Dies wie gesagt auch, wenn die Eltern nur wollen, dass es ihre Kinder einmal besser haben als sie selbst.
Kinder in dieser Situation glauben schnell einmal, dass ihre Eltern sie nur mögen, wenn sie die entsprechende Leistung erbringen. Das kann im Umkehrschluss für sie heißen, dass sie die elterliche Zuneigung bei schlechter Leistung vielleicht verlieren. Leistung wird dann zum Ziel, das ich unbedingt erreichen muss. Alles andere, auch alles was Spaß macht, ordnen sie unter. Das kann zur völligen Erschöpfung bis hin zur Depression führen.
Wir erkennen dieses Muster auch häufig bei Essstörungen. Kinder und Jugendliche übertragen dann den Anspruch auf Perfektion auf ihren Körper. Leistung kann für solche Kinder dann auch darin bestehen, Kontrolle über ihre Nahrung und ihr Gewicht zu erlangen.
Kritik. Kritik kann demotivieren, wenn sie nicht konstruktiv ist. Natürlich müssen Eltern auch Dinge ansprechen, die schwierig oder nicht optimal sind, sie müssen es aber immer so tun, dass die Kinder sehen, was sie verändern können. Eltern müssen auch pauschale Verurteilungen der Kinder vermeiden. Ein Satz wie »Du kannst nichts« kann das Selbstbild eines Kinder vermindern, wenn sie ihn oft genug wiederholen. Er wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung.
In diesem Zusammenhang ist auch die häufige Verbreitung von mangelndem Lob anzusprechen. Viele Eltern fürchten, ihre Kinder mit zu viel Lob zu verweichlichen. Das sind hartnäckige Überbleibsel der Erziehungsmethoden der 1930er-Jahre. Nach wie vor gibt eine Generation sie an die nächste weiter.
Dabei steht fest: Lob ist eine Ressource, von der wir nicht genug bekommen können. Und niemand wird zum Weichei, nur weil er gelobt wird. Eltern sollten also lernen, bedenkenlos zu loben. Sie sollten lernen, ihren Kindern zu sagen, wie toll sie sind.
Wichtig ist dabei, dass das Lob echt ist. Die Kinder müssen tatsächlich etwas gut oder richtig gemacht haben. Sie durchschauen es, wenn sie für schlechte Leistungen gelobt werden. Das entwertet das Lob. Womit wir wieder bei der Bedeutung von Authentizität sind.
Eltern dürfen aber auch loben, wenn die Kleinen aus dem Kindergarten eine Zeichnung heimbringen, die nicht unbedingt ein Picasso ist. Schließlich geht es nicht um die Leistung an sich, sondern um die Möglichkeiten des Kindes und darum, wie sehr es sie nutzt.
Eltern brauchen also zunächst die Bereitschaft, auch kleine Erfolge wahrzunehmen und zu benennen. Dazu müssen sie die Erwachsenenperspektive verlassen und sich überlegen, welche Anstrengungen die jeweilige Tätigkeit für das Kind bedeutet hat. Wir sind um vieles schneller und effizienter wenn es darum geht, ein Zimmer zusammenzuräumen, eine Seite zu lesen oder die Schuhe zu binden. Das ist aber nicht die Messlatte. Für ein Kind bedeutet das alles oft viel mehr Anstrengung, und dann ist Lob auch gerechtfertigt.
Die Rolle des Internets und der Sozialen Medien
Welche Rolle spielen das Internet und die Sozialen Medien nun wirklich bei der psychischen Gesundheit beziehungsweise der Entstehung psychischer Krankheiten?
Wir als letzte Generation, die noch nicht mit dem Internet aufgewachsen ist und die noch jede digitale Innovation mühsam in unser Leben integrieren muss, werden nie so ganz verstehen, was Internet und Soziale Medien für Kinder und Jugendliche bedeuten. Aus Sicht der Kinder- und Jugendpsychiatrie fallen mir dazu zunächst aber einige recht positive Punkte ein.
So ist erwiesen, dass psychiatrische, psychotherapeutische und psychologische Betreuung und Behändlungen online im Bereich der Therapie von Depression und Angst sehr gute Effekte haben. Sie funktionieren in etwa gleich gut wie ein Therapie in persönlicher Begegnung. Online-Therapien haben sogar den Vorteil, dass sie niedrigschwelliger sind. Viele Kinder und Jugendliche mit psychiatrischen Erkrankungen finden diesen Zugang zur Hilfe attraktiv. Schließlich ist es leichter, auf einen Button zu klicken, als sich auf den Weg zu machen und in einer Ambulanz oder einer Praxis vorbeizuschauen.
Kritisch ist dabei anzumerken, dass bei Online-Angeboten auch die Ausfallsraten deutlich höher sind. Das ist immer die Schattenseite der Niedrigschwelligkeit. Wenn es leicht ist, mit etwas anzufangen, ist es auch leicht, wieder damit aufzuhören. Es fehlt die Verbindlichkeit, die ein persönlicher Kontakt oft bietet.
Die Digitalisierung hat auch andere positive Seiten. So gelten Computerspiele eher als negative Einflussfaktoren auf die psychische Gesundheit und die »Gaming Disorder«, um die es gleich noch ausführlicher gehen wird, häuft sich als Diagnose für krankhafte Online-Spielsucht bei Kindern und Jugendlichen. Andererseits können Computerspiele als sogenannte »serious games« auch genau andersherum wirken, wie das Computerspiel Sparx bewies.
Sparx wurde dazu programmiert, um Jugendlichen mit Depressionen zu helfen und erwies sich in Studien als genauso wirksam wie eine Gesprächstherapie. Das Fantasy-Rollenspiel um die Wiederbeschaffung von magischen Kristallen ist allerdings aus Sicht von Jugendlichen heute sicher grafisch nicht mehr ganz taufrisch. Es kam im Herbst 2013 auf den Markt.
Auch das Smartphone, das bei der Entwicklung von Kindern eine problematische Rolle spielen kann, könnte sich für die Kinder- und Jugendpsychiatrie noch als hilfreich erweisen. Dies aufgrund der Datenfülle, über die es verfügt, und über die wir uns kaum Gedanken machen.
Über Gesichtserkennung, Stimmanalyse und die Analyse von Pulsfrequenz, Schlafqualität, Körpertemperatur, der bei Postings und Nachrichten verwendeten Worte, der Anzahl der täglich gegangenen Schritte oder der Art der täglich zurückgelegten Wege und aufgesuchten Orte kann sich ein Handy ein sehr genaues Bild vom Zustand eines Menschen machen. Es erfasst dabei Bereiche, die Psychiatern, Psychotherapeuten oder Psychologen bei persönlichen Gesprächen oft verschlossen bleiben.
Erste Ansätze, wie sich das Handy in der Psychiatrie einsetzen lässt, zeigen sich bereits bei der Suchtbehandlung. Mittels Geotracking kann es erkennen, welche Wege ein Patient gerade zurücklegt und ob er dabei auf einen Ort, etwa auf ein Lokal oder einen Supermarkt stoßen wird, wo er sich gewöhnlich mit Alkohol versorgt. »Bist du sicher, dass du dorthin gehen willst?«, fragt das Handy dann über eine eigens dafür konzipierte App.
Auch im Bereich der Suizidprävention untersuchen Wissenschaftler eine Kombination verschiedener Datenquellen durch Smartphone-Algorithmen. Die Kombination aus Bewegungsverhalten, Änderungen der Schlafqualität und den geposteten Inhalten können Aufschluss darüber liefern, ob sich eine Krise zuspitzt.
Als fixer Bestandteil ihrer Lebenswelt haben zwangsläufig auch Instagram, WhatsApp, TikTok und Co. Einfluss auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, und dieser Einfluss ist nicht immer positiv. Wir haben im Rahmen der COVID-19-Pandemie zuletzt etwa eine Zunahme bei Essstörungen gesehen, wobei die Sozialen Medien eine Rolle spielten.
Kinder und Jugendliche haben sich schon immer an Medien orientiert, das ist nicht neu. Früher war es zum Beispiel die legendäre Zeitschrift Bravo und das Fernsehen, jetzt sind es eben die Sozialen Medien. Neu ist aber etwa die Interaktivität dieser Medien und die Möglichkeit der Kinder und Jugendlichen, sich selbst einzubringen, zum Beispiel über sogenannte Challenges.
Sie posten dann Fotos oder Videos von sich, auf denen sie bestimmte Ziele zu erreichen versuchen. Zum Beispiel, dass ein Blatt Papier, das sie liegend auf ihre Hüftschaufeln legen, den Bauch nicht berührt. Oder dass ihre Oberschenkel, wenn sie aufrecht stehen, nicht zusammenlaufen, sondern ein »O«, den sogenannten Thigh-Gap, bilden. Hier kann eine Dynamik entstehen, die vor allem Mädchen im Teenager-Alter dazu veranlasst, immer weniger zu essen und immer mehr Sport zu betreiben. Auch über die Gaming-Disorder und die »Challenge«-Problematik im Vorfeld von Essstörungen hinaus können Soziale Medien bei der Entstehung psychischer Erkrankungen und Phänomene mitwirken. Das hat sich zum Beispiel auf Instagram im Zusammenhang mit Selbstverletzungen gezeigt. User posteten auf der Plattform vielfach Fotos von Selbstverletzungen. Die meisten Likes und Kommentare bekamen diejenigen Bilder, bei denen die Verletzungen besonders schwer ausfielen.
Instagram änderte das Vorgehen, als eine junge Britin, die in solchen Gruppen aktiv gewesen war, an ihren Selbstverletzungen starb und der Guardian, eine britische Tageszeitung, das Thema aufgriff. Bilder von Selbstverletzungen gibt es seither auf Instagram nicht mehr, wobei sich diese auf anderen Plattformen weiter finden lassen.
Was können wir mit Sicherheit über den Einfluss Sozialer Medien bei der Entstehung psychischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen sagen?
Wir alle, Psychiater, Psychotherapeuten, Psychologen, Wirkungsforscher, Soziologen und Medien- und Kommunikationswissenschaftler befinden uns hier noch in einem Raum der Spekulation. Denn Studien, die auf Instagram, TikTok und Co. aktive Kinder und Jugendliche mit solchen vergleichen, die ohne Soziale Medien aufwachsen, gibt es noch nicht.
Nur solche Studien würden eindeutige Rückschlüsse zulassen. Deshalb wissen wir auch nicht, wie viel von dem, was wir derzeit über die Sozialen Medien und ihre Wirkung auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu wissen glauben, tatsächlich stimmt.
Es gibt nur Hinweise. Laut aktuellen Daten aus Großbritannien scheint es so zu sein, dass es vor allem bei Mädchen einen Zusammenhang zwischen Social Media-Konsum und einer steigenden Depressivität gibt. Ich bin da dennoch skeptisch, vor allem weil die Depressivität, zumindest bis zu den pandemiebedingten Lockdowns, in vielen anderen Ländern nicht merklich gestiegen zu sein scheint, obgleich auch hier Jugendliche Social-Media-Inhalte konsumieren. Zudem erwiesen sich die Sozialen Medien während der Lockdowns andersherum zumindest als schwacher Ersatz für die so wichtigen sozialen Kontakte der Kinder und Jugendlichen untereinander.
Ich gehe jedenfalls auf Basis der mir vorliegenden Studien und meiner eigenen ärztlichen Beobachtungen eher davon aus, dass die von Sozialen Medien ausgehende Gefahr zumeist höher eingeschätzt wird, als sie ist. Ich glaube, wir befinden uns gerade in einer Umbruchphase, in der wir als Elterngeneration uns noch nicht vorstellen können, wie ein guter Umgang mit diesen Medien gelingen kann.
Wir befinden uns in einer Zeit, in der sich das soziale Miteinander verändert. Jugendliche werden dabei immer besser im Umgang mit den Sozialen Medien. Damit meine ich nicht, dass sie schneller tippen und bessere Selfies machen, sondern dass sie sich bewusster mit diesen Medien und ihren Wirkungen auseinandersetzen.
Sie erleben tatsächlich viel Druck durch sie, im Sinne von »fear of missing out«, also im Sinne einer ständigen Angst, etwas zu verpassen und dem Zwang, dranbleiben zu müssen, um nicht ausgeschlossen zu werden. Da gibt es einige negative Tendenzen.
Gleichzeitig lernen sie dazu und entziehen sich diesem Zwang zunehmend und ganz bewusst. Sie schaffen das sogar um einiges besser als wir Erwachsenen. Die Jugendlichen haben inzwischen einen weitaus reiferen Umgang mit den Sozialen Medien erlernt, als wir oder als die Jugendlichen vor zehn Jahren.
Ich glaube, wir Erwachsene tun uns auch schwer mit der Vorstellung, die exzessive Nutzung der Sozialen Medien könnte spurlos an unseren Kindern vorbeigehen. In unseren Köpfen ist ein Heranwachsen ohne Soziale Medien und ohne Internet fixiert. So haben wir es erlebt, weshalb uns alles andere seltsam und sogar gefährlich vorkommt.
Dabei müssten wir es besser wissen. In meiner Kindheit und Jugend war noch der Fernseher das große Ding. Nur ja nicht zu viele Stunden vor der Röhre verbringen, sonst werden die Augen viereckig, hieß es damals. Auch diese Ängste vor dem damals noch relativ neuen Medium waren letztlich unbegründet.
Wenn ich Vorträge zum Thema Internet und Soziale Medien halte, kommt am Ende immer die Frage nach der Bildschirmzeit, die wir Kindern und Jugendlichen mit gutem Gewissen zugestehen können. Es wäre ja tatsächlich schön, wenn sie sich eindeutig quantifizieren ließe: Ein Stunde am Tag, oder vielleicht auch zwei oder drei, und alles ist gut. Ganz so einfach ist es nur leider nicht.
Vor einigen Jahren suchten die großen amerikanischen pädiatrischen und psychiatrischen Gesellschaften noch pauschale Antworten auf diese Frage. Mittlerweile setzte sich auch bei ihnen die Erkenntnis durch, dass es keine standardisierte Empfehlung geben kann. Auch ich denke, dass die Bildschirmzeit individuell zu bewerten und festzulegen ist.
Schafft es ein Kind, den schulischen Anforderungen gerecht zu werden, reale Kontakte zu pflegen und außerschulische Hobbies aufrecht zu erhalten? Dann rate ich von einer Eingrenzung der Bildschirmzeit ab.
Manche Jugendliche sind schon einmal sechs Stunden am Stück online. Wenn sie dennoch ihre Hausübungen machen und wenn sie am nächsten Tag nur eine Stunde spielen, weil sie lieber ihre Freunde treffen oder einem Hobby nachgehen, geht das meiner Meinung nach in Ordnung.
Spielen sie aber jeden Tag sechs Stunden, vereinsamen sie dabei am Handy oder am Tablet, vernachlässigen sie sportliche Aktivitäten oder Hobbies und lassen ihre schulischen Leistungen merklich nach, kann eine Begrenzung der Bildschirmzeit sehr wohl Sinn machen.
Besonders bei Kindergartenkindern ist Vorsicht geboten. Sie entwickeln sich besonders stark und brauchen besonders viel zwischenmenschlichen Kontakt. Sie müssen basale Fertigkeiten erwerben, wobei ihnen der Bildschirm nicht hilft. Weshalb er für sie nicht zum Menschenersatz und Babysitter werden darf. Für Kindergartenkinder sind Tablets oder gar Handys eine schlechte Idee.
Das gilt im Übrigen auch für die Eltern von Kindergartenkindern. Häufig sehe ich auf Spielplätzen, dass Kinder ihren Eltern zeigen wollen, was sie gemacht haben, dabei aber merken, dass ihre Mutter oder ihr Vater gerade mit dem Smartphone beschäftigt ist. Das Kind merkt also, dass das Telefon für die Eltern in diesem Moment interessanter ist als es selbst. Es sollte dann nicht verwundern, dass Kinder das Smartphone als etwas sehr Wichtiges wahrnehmen und sie ihm eine entsprechende Wertigkeit einräumen. Kinder lernen am Modell.
Ab dem Volksschulalter ist kontrollierte Bildschirmzeit in Ordnung, solange ein Kind keine der genannten Auffälligkeiten zeigt. Das gilt nicht für Smartphones, die Kindern erst jenseits des Volksschulalters zugänglich sein sollten. Der Umgang mit Smartphones erfordert Kompetenzen, die Volksschulkinder häufig noch nicht erworben haben. Eine nicht begleitete Nutzung des Internets sollte in dieser Altersgruppe unterbleiben.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.