Kitabı oku: «Das Grimmingtor», sayfa 3

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Herr Matthäus Ennshofer beugte sich zum Zedler hin und frug, seinen Groll vergessend, ob der Bursch vielleicht wahnwitzig oder unsinnig sei.

Der Kurschmied, der in der Arzneikunst zwischen Mensch und Vieh keinen besonderen Unterschied fand, antwortete ernsthaft:

»Hat Würm im Kopf, der arme Kerl.«

Dann nahm er aus dem Weisetkorb ein mürbes Bacht und lockte damit die zwei Schweinigel von der Mutter weg. Sie bissen gleich wacker zu, lachten und weinten, und die Tränen kugelten über die Farbenglori wie Seifenblasen über ein scheckiges Blumenfeld.

»Jawohl«, sprach Hansei. »Der Kleine hat einen Charakter in sich. Hat stad und stumm seinen Schädel wieder aufgereckt. Wird bald nervig sein und das Herz auf die andere Seiten tun; so gespürt er keinen Stock und keinen Rutenstreich. Aber der Große!«

»Geweinet hat der Markus auch«, trutzte die Mutter zurück.

»Einzig aus brüderlicher Erbarmnis. Weil nachbei ich den Kaspar gespielt hätt … Weil ich dem Teufel die Flachsen und Beiner liniert hätt … damit sie den frummen Kräften willig werden.«

»Lüg nit, Hansei!« rief Frau Constantia, »auf deutsch gesagt, du hast ihn eh geschlagen!«

Der Bäckenbub hob ihr das Wiegenband auf. Gab zur Antwort: »Wundersamlich. Weiß und rot, zwischen Mutter und God ischt so ein unschuldig Kindel. Wie tut Ihr’s taufen?« Andreas Stralz legte dem Spintisierer die Hand auf die schiefe Achsel.

»Er hat ihn nicht geschlagen. Item, der Lausbub hat sich mit der Mistgabel gewehrt. Hat geflennt und geflucht. Ist letztlich wütend davongeloffen. Was meint der Herr Göd, stünd das Bibelhandwerk nit besser dem Hansei zu wie meinem Sohn?« Matthäus Ennshofer, der dem Humor des Stralzen bislang mit Anstand begegnet war, hörte nun seine selbeigene Person, mehr noch den heiligen Fürsprech beschimpft, von dem er die deutliche Vorstellung in sich barg, daß er mit dem lieben Herrgott bei der Mahlzeit säße, Ihm das Brot reiche, Ihm den Wein schänke und tatsächlich ein Moar und Freisaß des himmlischen Königreiches sei. Der Ennshofer nahm also sein blaues Parapluie, setzte den Hut mit dem kostspieligen Gamskranzel auf, sagte:

»Pfüat Gott!«

Und ging. Ledig das Griesengeld beließ er auf dem Tische.

Da mußte die Buglmüllerin das Kind aus der zuckerweißen Fatsche wickeln. Der Zedler hielt eine stille Betrachtung hierüber; erinnerte sich nebenbei an den grünen Tuchfrack, den modischen Filzhut und das noble Kalesch des Herrn Göden. Er kam zur Erkenntnis, daß sie einen hochvermöglichen Mann beleidigt hatten, und sagte kleinmütig:

»Recht hat er gehabt. Warum sollt der Bua nit Lukas heißen! Schaut eh schon hiaza zinnliacht in die Welt.«

»Jawohl«, sprach der Bergverweser sänftlich beim Abschied.

»Recht hat er gehabt. Du hättest ihn mehr ästimieren sollen, Stanzi.«

Leise tickte die Uhr mit dem Schäferknaben …

Die Mutter hob ihre schweren tiefblonden Zöpf und legte sich ermüdet auf die andere Seite. Ihr Stiefbruder, der Zedler, blieb noch die längste Weil und unterhielt sich, indem er voll Neubegier den Gläserkasten aufsperrte und die Wachsstöcke, den künstlichen Blumenschmuck, die Hochzeitsbänder, den Hochzeitsteller, die Bibel und noch manches andere Stück in die Hand nahm und alsdann an den gefehlten Platz rückte. Er zog auch an den Kupferbeschlägen der Kommode, probierte die sieben Pfeifen durch, welche sich Andreas Stralz für die sieben Wochentage zugelegt hatte, und frug letztlich, wie teuer die zwei Ölbilder von der Spinnstube und der Werkstatt zu Nazareth gewesen, die Johann Zechmeister gemalet.

Frau Constantia überhörte es, daß er ging. Vor dem Fenster nach dem Obstgarten schaukelte ein blühender Aprikosenzweig. Dahinter rauschten in der Dämmerung die Birnbäume ganz weiß. Und die lange helle Nacht, in der sie nicht schlief, war der flockige Schleier vor ihren Augen, er nahm sich aus wie lauter wehende Federbetten, darin ihre Kinder lagen. Dann wurden es Wolken mit holdseligen Engeln wie in der Wallfahrtskirche zu Filzmoos. Aber einem brachen schwarze Hörner aus der lichten Stirn, nämlich dem Jüngsten, welcher ohne Chrysam und Tauf in seiner Erbsünde lag …

Früher als bei den andern Söhnlein stund die Mutter auf und siedelte mit ihm in die ehliche Schlafstube. Sie konnte das Blühgeflimmer nicht mehr ertragen und fürchtete sich vor jedem Abend, dawo aus dem himmlischen Bild ein kleiner Teufel spitzte. Als sie in den nächsten Tagen schon rührig in Haus und Wirtschaft ging, mußte sie manches Mal hinhorchen oder die Dachstiege hinaufschleichen und von der Luke gegen Gstatt spähen, ob der Ennshofer nicht käme. Einmal sagte sie zu ihrem Eheliebsten:

»Mir scheint, der Vetter laßt sich nimmer blicken.«

Er in seinem bockbeinigen Bauerntrutze schwieg.

»Mag nit der Torbäck Göd werden? Oder fahrst du auf Stainach? Oder soll ich?«

»Warum denn?« frug er kalt.

Sie gab keine Antwort. Erst am nächsten Abend hub sie neuerlich an:

»Ich hab auf Stainach einen Brief geschrieben.«

»So?«

»Kümmert’s dich nit?«

»Was denn?«

»Heut ist der Bua drei Wochen alt.«

»So.«

»Und noch allweil nit tauft. Die Leut fragen schon; häufig nehmen Ärgernis.«

Da wunderte er sich, um wieviel weicher ihr Naturell geworden war. Item, weil sie gestern vom Bitten geredet hatte und anheut bereits auf die Meinung der Nachbarn horchte; alles ihrem Kinde zulieb.

Ihre Augen bekamen einen feuchten, bänglichen Glanz. Sie regte ein paarmal die Lippen, brachte es aber zu keinem Wort. Sie zündete eine Kerze an und blies sie aus. Plötzlich ging sie aus dem Zimmer. Im Vorhaus war es dusend, über dem Hofe leuchtete noch wassergrün das Firmament. Kinder spielten auf der Gasse. Beim Veitkramer auf der Hausbank saßen etliche Nachbarinnen mit dem Strickzeug.

Es sei schade um den milden Abend, sagte Constantia Stralzin und blieb bei ihnen stehn.

Sie sprachen von vielen kleinen Dingen, auch von Sorgen und Pflichten sprachen sie, welche zwar wenig unterschiedlich waren. Aber wie Frauen eben sind, jede hielt ihr eigenes Teil für besonders wichtig. So geschah es, daß auch die Mutter die Geschichte vom Göden erzählte und manche Bitterkeit abtat und manche Seligkeit leise verriet, welche sie in den sechs Jahren ihres Ehestandes empfangen hatte. Als sie heimging, ziemte ihr, es sei frostig geworden. Sie mußte gegen ein neues, ungutes Gefühl kämpfen, denn es war das erstemal, daß sie ihr Herz fremden Menschen geöffnet hatte.

Die Gaststube war leer. Frau Constantia riegelte die beiden Haustore zu und eilte in den Oberstock. Ihr Eheliebster saß völlig in seine Zeitung vertieft und blickte nicht auf, als sie in die Schlafkammer trat. Die Zugluft bog das Kerzenflämmchen und löschte es aus. Feinklingend schwangen die Fensterflügel. Von draußen schwebte ein maimilder Hauch. Aber durch ihren Körper rann immer noch die Kälte. Sie ging mit harten Schritten und nicht zu nahe am Stralzen fürbei. Er packte sie auf einmal bei der Hand und zog sie an sich. Er sagte kein einziges Wort; er hielt sie nur in Armen … so zäh … so lang … bis sie seine heimliche Liebe spürte.

Viele Stunden lag sie wach, hatte die Finger an die Herzgrube gedrückt, die Augen groß und ruhig. Zähren brachen langsam von den Wimpern. Manchmal hauchte die nächtliche Mailuft in ihr Haar. Der Geruch von Flieder schwamm herein. Aus dem finstern Mauerwinkel blinkte weiß das elfenbeinerne Kreuz von Jerusalem. Viele Stunden hing ihr Blick daran, ganz verloren. Und oft sprach sie zu dem in der Todespein:

»Mein Gott, mein Gott, wie schön ist das Leben.«

Das wunderbare Lenzwetter und ihre eigene Glückseligkeit, fürnehmlich die Ruhe des Stralzen, ließen sie immer neu verhoffen, daß der Göd doch endlich kommen müsse. Sie verwahrte jeden Morgen den dicksten Rahm im Speisbehältnis; sie hub an zu backen, zu sieden und zu braten, daß der Dampf aus dem Küchenfenster qualmte und oft ein Bettelmann riechend stehenblieb. Ihr Halbbruder, der Kurschmied Zedler, leistete ihr in diesen Zeiten gerne Gesellschaft. Er lupfte fürwitzig jeden Hafendeckel, stupfte mit dem Finger in jedes Gewürz und brachte auf seinem Gaumen alle süßen, sauern, scharfen und milden Geschmäcker zusammen.

»Sehr guat«, sprach er alsdann befriedigt. »Hiaz därf er bald daherreisen, der Göd.«

»Meinst, er kommt?« frug die Stralzin.

»Freilich wird er kömmen.«

Es war kaum glaublich; allein sie glaubte es doch. Sie stieg wiederum fleißig auf den Dachboden und suchte, mit der Hand die Augen beschattend, die Straße zwischen Gstatt und Strimitzen ab. Richtig! Am Dienstag in der letzten Maiwoche sah sie dortselbsten ein Kalesch fahren. Ganz in den beharrlichen Wunsch verstrickt, es müsse der Moar von Stainach einmal kömmen, bemerkte sie nicht, daß es nur ein simpler Einspänner war. Sie lief ins Tafelzimmer und riß die Fenster auf, zog den schönsten Damast und das silberne Eßbesteck aus dem Kasten. Die Zinnkrüge füllte sie mit Wein und die Kupferkrüge mit Bier. Die mürben Brote, die Krapfen und Butterzelten, Schinken und Würste holte sie aus dem Speisbehältnis und trug sie auf. Und das beste Spanferkel, was rosenrot und zart in der Schlagbrucke hing, mußte die Kucheldirn auf den Spieß tun und braten. Hundertmal hatte Frau Constantia diese Überraschung in ihrer Phantasei durchlebt, und so ging ihr jeder Handgriff flink vonstatten. Sie fand neben den vielen Geschäften noch Zeit, ein frisches Fürtuch umzubinden, sie kämmte das wellige Haar zurück, putzte ihren drei Söhnlein sauber die Nase und bat ihren Eheherrn, nach Gstatt zu gehen, um bei der Wegscheid den Göd zu erwarten.

Andreas Stralz setzte den Hut auf und ging; vielleicht, weil er seinem Weib die Freude nicht ausreden wollt, vielleicht, weil er durch ihren festen Glauben auch überzeugt war.

Zwischen der Torschneider und der Torschuster Keusche traf er bereits den Wagen. Es saß darin ein schmächtiger Mann im braunen Frack sowie eine junge Frau und ein sehr kleines Mädchen. Der Knecht auf dem Bocke hielt gerade den steifen Gaul an und schrie: Hieneben wäre der Pfarrhof.

»Nein«, antwortete der Mann. »Wir essen im Wirtshaus.«

Dann fuhren sie weiter. Andreas Stralz ging, ihnen langsam folgend, heim. Vor dem Torbäck hielten sie wieder. Der Mann trat ins Haus; erschien alsbald, finster sagend:

Da sei schon abgekocht.

Weiter rumpelte das Kalesch, beim Roppel und beim Bader fürbei, über die Walchenbrücke zum Stralzen. Diesorts stand es zum dritten Male still. Frau Constantia trat hoch errötet, doch mit einer sehr adretten Haltung auf die Straße; hatte rechts den Matthäus, links den Markus … jeder trug ein Bukett. Den Gruß freilich verschlug ihr der unverhoffte Anblick. Da kam ihr Eheliebster herzu und hatte sein besonderes Lachen im strengen Gesicht, was sie allemal zittrig und willig machte.

»Stanzi«, sagte er, »der Göd ist nit kömmen, wohl aber die neuen Schulmeisterleut. Möchten ein Mittagessen. Führ sie ins Tafelzimmer, ist eh schon aufgedeckt.«

»Ja«, bestätigte der zugereiste Mann. Er sei der Schulgehilfe Raimund Winkler aus St. Gallen, welchen Seine Gnaden der Admonter Prälat mit dem selbständigen Posten in der Pfarre Öblarn betraut habe.

Er reichte sodann dem Roßknecht zehn Kreuzer Trinkgeld, langte um das kleine Mädchen, welches seiner Frau schlafend auf dem Schoße lag, und trug es ins Haus. Oben im Tafelzimmer wollte er jedoch stante pede umkehren, zumal er das kostspielige Geschirr und die vielen Gerichte sah. Die Stralzin kam indessen schon mit dem Suppentopf, und der Stralz sagte, die Stühle rückend:

»Wöllet zugreifen. Gott geseng Euch den Einstand!«

Die Schulmeisterleut waren völlig benommen. Es ziemte ihnen alles wie ein schönes Wunder.

»Mit Verlaub«, sagte er.

»Ich bin so frei«, sagte die Schulmeisterin. Dann nahm sie das Strohhütlein vom Kopf und das Tuch von den Schultern, legte beides auf das Kanapee. Und der Mann bettete das kleine Mädchen so, daß es mit den Füßen auf dem Tuche lag. Es war ein liebliches Kind, vielleicht zweijährig. Hatte über jedem Ohr schon einen kurzen prallen Zopf. Um den Hals hatte es eine reinliche weiße Krause. Ebenso weiß blitzten unter dem Kittel die Strümpf herfür.

Die beiden Stralzenbuben hatten sich hinter ihrer Mutter sacht ins Zimmer gedrückt; standen mit ihren Pfingstrosen stumm und dumm. Auf einmal, mitten in die Stille der Mahlzeit hinein, fragte Markus:

»Is das der Göd?«

Und Matthäus sagte:

»Gehört das Dirndel unser?«

Da blickte die Schulmeisterin zum erstenmal munter vom Teller auf. Ein Wort gab das andere, und die Befangenheit und die Ermüdung wich mählich von den Gästen. Sie erlabten sich wirklich an guten Speisen, kosteten vom Bier, schmeckten am Wein, und jedes legte für das schlafende Kind ein mürbes Butterbrot auf die Seite.

Es war gut so. Denn Matthäus Ennshofer brauchte viele Jahre, bis er die schmerzliche Kränkung vergaß, und fuhr erst nach Öblarn, als dem dritten Kinde der Frau Constantia schon die Milchzähne eingeschossen … und wieder ausgefallen waren. Wir möchten fragen: Bekam es füglich überhaupt keinen Göden?

O ja! Am nämlichen Tage noch, als die Schullehrerleute beim Stralzen den Taufschmaus aßen, erbot sich der Zedler, den Eltern aus der Verlegenheit und dem Kinde aus der Erbsünd zu helfen. Notabene mit dem Fürbehalt, daß sie beide, er und der Ennshofer, im Kirchenbuch verewigt würden, inmaßen einer das Griesengeld und der andere das Trinkgeld stifte. So sagte der Zedler und ließ sich also schwer aufs Kanapee fallen, daß er das zarte Schulmeisterkind bald erdrückt hätte. Man sah, er hatte sich den Moar von Stainach zum Beispiel genommen. Er trug einen grünen Tuchfrack und einen modischen Filzhut, mit einem Gamskranz sündteuer geziert. Und sein Gesicht glänzte und strahlte so zufrieden, so ehrsam und reputierlich wie der Vollmond, wann er seine feistesten Sternlein zur Parade aufführt. Als die Buglmüllerin mit dem weißen Fatschpölster erschien, reichte er ihr die Hand zum Gruß und Kuß. Und als die Eltern fragten:

Wie er das Kind heißen wölle?

Da machte er einen gewichtigen Deuter gegen das frühlingsblaue Firmament hinaus. Da sprach er:

»Lukas. Der Erleuchtete. So will’s der Obergöd. So will’s der Untergöd. Nomenes … Domenes. Hiaz tan wir taufen!«

SPAZIERGANG

Und die Zeit verstrich. Pater Laurentius Perger segnete indessen die Menschen, wie es sich schickte, den einen mit Wasser, den andern mit Erdreich; er segnete so oft und so lange, bis er müde war und zu einem schnellen seligen Tod entschlief. Das ewige Leben aber knospete weiter, auch im alten Stralzenhaus. Die drei Kinder erhielten sich weiß und rot bei quellfrischer Munterkeit und gesundem Appetit. Sie waren selten brav, niemals mustergültig und gebärdeten sich oft dermaßen stark, daß Frau Constantia sie mit peinlichen Justizgriffen nicht mehr meistern konnt und sie in die Rauchküche einsperrte, bis auf den Abend der Moarknecht Zeit fand, sie tüchtig zu streichen. Sie waren aber doch die Freude ihrer Mutter. Und wann in diesen Jahren manchmal ein Schatten über das frauliche Glück der Stralzin ging, hatten nicht die Untugenden der Kinder, sondern die karge Wesensart ihres Mannes oder vielleicht auch ihre unmaßliche große Zuneigung schuld daran. Sie hatte ihr Herz dem einen aufgespart. Und weil sie einmal seine Lieb verkostet hatte, war ihr immerwährend bang nach ihm. Sie wollte sich in vielen Aufmerksamkeiten verschwenden und verschenken, sie erlebte Wunder, wo er lediglich den Lauf der Natur empfand.

Er nahm die Zeit seines Lebens für einen schönen weiten Spaziergang; hatte keinen Ehrgeiz, dachte weder ans Reichsein noch ans Armwerden, er sog die Lust bedächtig wie die Luft und wies jede Sorge von sich, weil sie ihn belästigt hätte.

Da hat ihn einmal seine Muhme zu sich berufen. Sie war steinalt und fühlte ihren Hinschied.

»Stralz«, sagte sie, »morgen steigt mir das Wasser zum Herzen. Ich gespür’s. Setz dich her da.«

Die angstig heiße Stube, in der es von Hönig, Wermut, Wacholder und Mixturen roch, behagte ihm übel. Die Katze mit dem schäbigen Schwanz, die unaufhörlich an den Hadern und Tüchern herumschnurrte, die Bresthaftigkeit der armen Frau verursachten ihm ein Gefühl des Widerwillens. Er stand noch immer. Und sie hub an, als hab’ sie alles ihr langes Siechtum hindurch eingelernt.

»Stralz«, hub sie an, und ihre entzundenen Augen, das einzig Lebendige an ihr, suchten die Wände ab. »Wie du halt magst. Ich hab das Haus und zwanzig Joch Grund herüben, den Wald auf dem Mitterberg und etliches Kleingeld … in meinem Strumpf. Morgen ist alles dein. Ich verlang davor nit mehr, als daß du meine Leich zahlst vom Haustor weg, ein geschmiedtes Kreuz und Requiem jedes Jahr an meinem Sterbetag. Wie du halt magst.«

Während er so dastand, als höre er die Körner im Stundenglas, wechselten in seinem klaren, nüchternen Hirn die Vorstellungen traumartig. Er sah die Arbeit, welche dieser schrecklich hinwelkende Körper brauchte, bis seine letzte Spur verwischt sein würde, sah das verbriefte Testament, den Schreiberlohn, die opulente Zehrung … alles, von den neuen Knechten, die er dingen mußte, bis auf Jahrzehnte hinaus den Silbergulden für die arme Seele im Fegfeuer. Er sah die Last. Seine Sinne sträubten sich vor dem alten Leut, dem muffigen Hausrat und dem herben Wacholdergeruch. So sagte er Dank für ihren guten Willen und empfahl ihr einen notleidenden Verwandten an.

Seine brave Ehefrau grämte sich bitter, als sie vom Zedler diese Geschichte vernahm. Ihr ziemte, daß der Muhme ihr Gütel zum schönen Stralzischen Besitz wohl dazugestanden wär, und sie hätte dringlich gewünscht, daß sich dermaleinst jeder Sohn in ein volles Haus setzen könne. Sie blieb verärgert den ganzen Tag; allein sie machte dem Herrn Andreas keinen Vorwurf, denn er hatte ihr seit langem abgewöhnt, über Dinge zu reden, die er nicht hören wollte. Das war gut für den ehelichen Frieden und war böse für ihre trutzige und schamhafte Lieb … Die Liebe ist ein wildes, tückisches Element, dem Feuer, dem Wasser, dem Erdreich oder dem Sturm vergleichbar … und immer eine große Gefährlichkeit … Einschichtige befällt es gerne tödlich. Wo jedoch die Menschen zuhauf sind, zerstiebt es vielgestaltig in Funken, Tropfen, Staub und Luft, da läßt es sich erniedrigen und angreifen von jedem Schmarotzer. So erging es der Mutter Stralzin vor allem in den glücklichsten Jahren, daß sie ihr übervolles Herz auf die Gasse tragen mußte. Und wenngleich sie bei weitem verschwiegener war als die andern Frauen, so machte sie sich durch den Umgang schon mit ihnen gemein. Ihre Liebe, das wilde Element, wurde demütig unter der zudringlichen Neugier. Das eine Weibsbild schürte, das andere blies. Ihre Liebe wurde wie ein Hüglein Glut, darin viele Feuerhaken umstocherten. Es tat ihr wehe. Und sie faßte oftmalen den Vorsatz, sich wiederum den Menschen gänzlich zu verschließen. Allein sie brauchte doch Teilnahme an ihrem fraulichen Glück; und wann ihre braunen Augen zuweg dem Eheherrn hellauf leuchteten, und wann zärtliche Gedanken sie bedrängten, ging sie doch zu den Weibern in der Nachbarschaft; denn er, Andreas Stralz, gab darauf nicht Obacht.

Stundenlang streifte er durch Acker und Wald, sich an dem keimenden, blühenden und gesegneten Leben erfreuend. Immer andächtiger vertiefte er sich in die Offenbarung der Natur, und sein ganzes Wesen wurde ihr durch den steten Umgang angeglichen. Wie seine Buben so der Reihe nach aufwuchsen, nahm er sie auf seine Spazierwege mit. Weil er aber weder unterhaltend noch belehrend sprach, sondern auf seine eigensinnige Art den Dingen nachgrübelte, hie und da eine wichtige Erfahrung fix und fertig vor die unreifen, fahrigen Kindsköpfe hinwarf und notabene, wenn eins unverständig den Mund aufmachte, einfach zur Antwort gab: »Frag nit so dumm«, wurden sie dieser väterlichen Auszeichnung bald überdrüssig und verzogen sich, wenn er zum Ausmarsch pfiff. Nur auf den Herbst freuten sie sich allemal, weil er sie nämlich zum Kirchtag in die umliegenden Dörfer und Märkte mitgehen ließ.

An einem Mittwoch im Monat Oktober sagte er richtig nach dem abendlichen Tischgebet:

»Buam, morgen heißt es früh aufstehn!«

Das mußten sie eigentlich ohne Ausnahme im Sommer und Winter, indem sie ihrem Herrn Vater das eiskalte Badwasser zu bringen hatten. Sonderlich gern geschah dieses zu keiner Zeit, und in ihrer Vorfreude hielten sie es geradezu für unmöglich, morgen in der Frühe noch sechs schwere Kübel vom Fluder heraufzuschleppen. Da beschlossen sie insgeheim, es schon am Abend zu tun; und wie es finster war, daß einer den andern stieß, brachten sie gleich flinken Hutzelmännlein den Schwindel zustand. Ihre Frau Mutter merkte es wohl, denn sie hatten nicht wenig gepanscht über die Stiege. Sie zürnte aber nicht. Vielmehr zog sie drei frisch gebleichte rupfene Hemden aus der Schublad, und jedem Kind steckte sie ins lederne Sunntaghöslein ein blaues Schneuztuch, und ins Schneuztuch knüpfte sie liebevoll einen Viererbatzen.

Die Buben hatten in solcher Nacht einen unruhigen Schlaf. Sie warfen sich auf ihrem Strohsack herum, daß die Bettstatt krachte, schrien überlaut und träumten also wild und wunderschön wie Irgel, der Roßknecht, wann er vom Schnapssaufen rauschig geworden.

Kaum krähte der Hahn auf seiner Leiter, kaum war irgendein Tritt im Hause vernehmlich, sprangen sie schon in die Höhe. Durch den dünnen Kattunfürhang schimmerte noch kein Tag. Der Nebel schwamm draußen wie ein dunkles, weiches Tuch aus Baumwolle, die Sterne und selbst die Backstubenfenster des Nachbarn verhüllend. Das bißchen Gewand hatten die Kinder bald angezogen. Daß sie im Finstern öfters derb zusammenstießen, daß der Matthäus den Markus beutelte, weil dieser das Stück Pechseife nicht hergab, und Lukas in aller Eile gleich drei Knöpf abdrehte, machte ihrer hellen Glückseligkeit keinen Eintrag. Sie bumsten die Stiege hinab und trafen in der Küchentür gerade die Frau Mutter, welche Mus und Schottsuppe kochen ging.

Matthäus, sonst nicht der Eifrigste, suchte seinen Taschenfeitel, schnitt einen Buschen Späne, heizte ein krachendes Feuer an. Und Markus setzte das Wasser zu. Und Lukas hielt das beschmierte Öllämpchen und leuchtete ihr in das Speisbehältnis, damit sie Mehl und Rindschmalz und Schotten fände. Er schraubte den Docht auf und nieder und spielte mit seinem Schatten an der Wand, bis die Frau Constantia ihm das Licht wegnahm und auf den Mauersims stellte. Es zuckte, flackerte. Das Roggenmehl in der hölzernen Teigschüssel war mit Salzkristallen aufgeputzt. Und die Kinder stupften den Daumen in die Herrlichkeit, bis die Mutter Stralzin den Schnellsieder vom Dreifuß genommen und das Mehl abgebrannt hatte. Das Schmalz in der Pfanne brutzelte schon und spritzte hoch, als sie den Teig hineintat und zerstampfte.

Sie hatten alle einen glühroten Schein vom offenen Herdfeuer über den Gesichtern und dem blonden Haar. Das blanke Kupfergeschirr war neben dem rußigen Kamin wie lauter große Sonnenkugeln. Auf dem Leinenschurz der Hauswirtin spiegelten sich gelb die Flammen, daß er ausschaute wie blumiger Brokat. Und in opalfarbenem Gekräusel stieg der Harzgeruch eines Föhrenscheites.

Es gefiel den Knaben. Sie waren vertraulicher denn jemals. Sie stunden eng beisammen und sahen zu, wie feine kleine Brotblättchen vom Laib herunterflockten. Dann regnete es Kümmel, dann rieselte es Salz. Und über das alles legte sich schneeig die Schottenbrühe. Sechs Bubenhände hielten den Quirl; als die Frau Mutter das siedende Wasser in die Schüssel goß, fuhren sie nieder und sprudelten, daß die Tropfen flogen. Eins das andere schier verdrängend, schmeichelten sie sich inniger an den brokatenen Schurz und die Schottensuppe heran. Ob es darum geschah, weil die Frau Mutter zuletzt noch etliche Löffel dicken sauren Rahms aus einem Hafen schöpfte und jeder auf den Löffel paßte, ihn abzulecken … oder ob es aus einer unbewußten rauhen Zuneigung geschah, so in der absonderlichen Morgenstunde die rupfenen Pfaidlein erwärmt hat. Mag sein, beides: der saure Rahm und die süße Liebe.

Nachdem es dreiviertel auf sechs geschlagen und sie sich mit den Eltern und dem Hausgesind zum Tisch gesetzt hatten in der schmalen Kammer, welche neben der Küche, aber zwei Stufen höher als diese gelegen ist, dachten die Buben gar nicht mehr an ihr Kunststück von gestern. Doch der Herr Vater musterte sie der Reihe nach scharf mit dem linken Auge, und den ersten Löffel Suppe nehmend, sagte er:

»Wann das Fluder so warm ist, müßts mir mein Wasser vom Bach herbringen.«

Die Bürschchen hielten dem Blick wohl stand. Sie hatten eine eigene Art in solchen Fällen; rissen nämlich ihre Gucker recht groß und recht unschuldig auf und sahen dabei sein rechtes Auge an, das sanft vom Lide bedeckt war. Auch diese Prüfung ging vorüber. Endlich waren sie zur Reise gestellt. Und die Frau Mutter hat jedem noch einen Spritzer Weihbrunn auf die Stirn gedrückt und sie entlassen.

Es schweifte noch immer der Nebel in grauen, schleißigen Fetzlein und wich zerrinnend nur eine knappe Elle vor ihnen zurück. Der Hund schüttelte sich; die Kinder knöpften sich Leibel und Rock zu, denn die naßkalte Luft über den Talsümpfen drang unbarmherzig bis auf die Haut. Beim Dienerhäusel fanden sie einen frischen, rosenrot gefärbten Erdapfel. Der Herr Vater bückte sich, warf ihn zu den andern, welche hinter dem Zaune ausgegraben lagen, und bedauerte, daß man die Früchte während der ganzen Nacht im Freien ließ. Die Kinder achteten nicht darauf, sondern steckten die Köpfe zusammen und redeten, eigentlich schon seit der Morgensuppe, immer dergleichen, ob der Weg übers Grillen ginge, übers Steffel oder nach der Poststraße. Der Stralz sagte nicht ja und nicht nein, wie gewöhnlich, wenn er sehr gut oder sehr schlecht aufgelegt war. In Gstatt, wo die vier Linden an der Wegscheid gepflanzt sind, drehte er sich links gegen die Eichleiten, und itzt wußten sie es zu ihrer Freude ganz gewiß, daß er nach Gröbming wollte zum Viehkirchtag.

Im Wandern brachen sie Haselstecken ab, putzten sie zurecht und schmissen sie beiseite, wann sich einer fand, der noch schöner gewachsen war. Sie hüteten sich wohlweislich, dabei dem Herrn Vater in den Wurf zu geraten, denn er mochte es nicht leiden, wann irgendein Lebendiges in der Natur aus unnützem Anlaß zerstört wurde. Aber er machte ihnen diese Vorsicht nicht allzu schwer; denn er hatte sein Augenmerk auf den umliegenden Dunst gerichtet, prüfte ihn mit seiner Handfläche achtsam, als versuche er, ihn zu ergreifen, nahm den Filzhut ab und maß zurückblickend öfters den Abstand vom Tal. Bei der Sandgrube wartete steif und regungslos ein Wiesel auf … trug schon den Winterpelz. Erst wie Andreas Stralz ganz nahe war, machte es einen Satz und floh bergab dem Nebel zu.

Auf der Hochfläche des Mitterberges weitete sich der Gesichtskreis. Unter tausend zerrissenen Schleiern dehnte sich glashell und lieblich die obersteirische Landschaft aus. Den großen violetten Schirmbaum des Hollerbühels umspannend, schwebte die Sonne auf und zündete den Berg an, und das Licht rieselte langsam hinab über die blaugrünen, bereiften Hänge.

Sie hatten itzt noch gute Dreiviertelstunde bis Gröbming. Er pfiff seinen Söhnen, aber nur der Hund kam angesatzt. Erst beim Brennerhäusel sah er einen. Es war Matthäus, weit übergeneigt, mit seinem Hütel aus dem Ziehbrunn schöpfend, der nur Trinkwasser für das Vieh abgab und der nach den Regenwochen einen so hohen Spiegel hatte wie ringsum die Tümpel der Moorwiesen.

»Pfui Teufel, du Fark!« rief der Stralz ermahnend.

Das Kind gehorchte sogleich. Doch im Nähertreten bemerkte er in dem kecken Knabengesicht einen derart unbändigen Trotz, daß er, obwohl das Fragen nach seelischen Ursachen beileibe nicht seine Gepflogenheit war, dem Matthäus unters Kinn griff und ihn examinierte.

»No?« sagte er.

Der Bub gab keine Antwort.

»Was hast?«

Wieder nichts.

»Schneuz dich!« sagte er.

Eine Menge Unrat flog mit dem blauen Tuch aus dem Hosensack: Kletten, Lärchenzäpfchen, Roßkäfer, Schwämme, ein Hufnagel und ein toter Zaunkönig.

»Her mit dem Vogerl!« befahl der Herr Vater verdrossen und nicht recht wissend, wie er dem eigenwilligen Buben beikommen sollt. Indem er das noch warme Tier auf einen Maulwurfshaufen legte und mit dem Fuße lockeres Erdreich darüberschob, sagte er: »Wo sind die anderen?«

Der Matthäus schupfte die Achseln.

»Habts gerauft?«

»Nein«, erwiderte störrisch das Kind.

Der Stralz verlor die Geduld und spazierte weiter. Vorn lief der Hund; nebenher stapfte grimmig sein Ältester. Auf einmal hörten sie hinterrücks ein Gejammer. Alle drei drehten sich zugleich um, denn es kam ihnen sehr bekannt vor. Und richtig: aus dem Jungholz, welches an der Seitenstraße zur Sagmühl dicht und dornig aufwuchs, spähten die beiden Kinder. Lukas plärrte schreckbar. Und Markus bot, obschon er nicht weinte, einen ebenso hilflosen Anblick dar. Er hatte die rechte Hand steif um einen Prügel gekrampft, mit der linken hielt er verzweifelt sein knallrotes Ohrwaschel.

Der Herr Vater lachte laut auf. Er meinte, nun die Halbscheid erraten zu haben, und sprach wohlmeinend:

»Seids ihr ein paar Trotteln! Hätts ihn halt auch ordentlich geprügelt!«

Aber das war leicht gesagt. Denn es gab beispielsweise im ganzen Schulhäusel keinen, den Magister Raimund Winkler mit inbegriffen, der nicht schon draufgezahlt, wann der Matthäus einen Handel angefangen hatte. Lieber Gott; er war hitzig wie eine Frühkirsche und fest wie ein Zirbenbloch und grob wie der Teufel. Das bedachte der Herr Andreas Stralz, indem er die jüngern Söhnlein herfürzog und dann aufhorchte, wie sie die ganze Geschichte wahrheitsgemäß erzählten.

Nämlich beim Brenner in der Kegelbahn ist der Lukas draufgekommen, was er Schönes im Schneuztuch hat, und desgleichen die Brüder. Und während sie mit dem Gelde spielen, es hin und her schieben und sich ausmalen, was sie auf dem Kirchtag kaufen möchten, fliegt von der großen Fichte ein Zaunkönig auf. Und Matthäus sucht nach einem Stein. Und findt solchen nicht. Faßt den Viererbatzen … zielt … und schleudert ihn stracks in die Luft. Sie hätten ehwohl fleißig das Geld gesucht, stotterte Lukas, und er sei auf dem Bauch gekrochen, bis er waschnaß geworden wär. Und Markus brachte für, daß er dem Matthäus von dem seinigen zween Kreuzer für gewiß versprochen habe.

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Yaş sınırı:
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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
723 s. 6 illüstrasyon
ISBN:
9783990402641
Yayıncı:
Telif hakkı:
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Metin
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