Kitabı oku: «Das Grimmingtor», sayfa 8
Die Buben setzten ihre Koffer zur Erde, zahlten 36 Kreuzer für die Fahrt, soffen nachher tüchtig aus dem Brunn und langten, als es niemand sah, ein paar feste Pröpstlinge zwischen den Zaunstaketen herfür. Indieweil sie sich derart angenehm die Zeit vertrieben, kam richtig eine Postkutsche, kaisergelb bemalt, mit roten Felgen, aus der Einfahrt. Zwei Hengste mit prächtig geziertem Kummet und gezopftem Schweif waren vorgespannt. Kein Kotspritzer, kein Stäubchen versehrte die Fenstergläser. Der Türgriff blitzte ganz golden.
»Da steigen wir ein«, schrie Matthäus. »Der fahrt nach Öbling.«
»Ich trau mich nit«, sagte Lukas.
»No, fahrst halt du im zweiten. Nachher wird dich der Schwager beim Moarbühel wohl hinausbugsieren, und du magst zu Fuß um den Mitterberg zaschen.« So sagte Markus und schupfte keck die drei Koffer auf das Dach.
Der Knecht, welcher die ungeduldigen Pferde hielt, schimpfte mächtig. Wie aber dieses nicht half, grölte er, es würde schon der hohe Herr kömmen und sie hinausschmeißen. Und kaum war’s gesagt, erschien in der Torfahrt eine Mannsperson, welche einen scharlachroten, weitschößigen Frack und gelbe Rehlederhosen anhatte, welche einen schwarzen Zweispitz auf dem Kopfe und Stulpstiefel aus Lack an den Füßen trug. Besonders augenfällig waren die reichen Silberborten und die dukatenfarbenen Knöpf. Lukas schaute gar scheu und ehrfurchtsvoll, drückte sich ins dunkle Wageneck, und hätte er seine großen Brüder nicht gehabt, er wäre auf und davon geloffen. Er studierte bänglich, ob es der Kaiser Franz oder der Kaiser Napoleon wär und ob selbiger zuerst ihn oder den Markus beim Krawattel packen werde. Für den starken Matthäus hatte er in seiner lieben Unschuld weniger Angst.
Der hocherlauchte Herr schaute aber zum Glück gar nicht in die Kutsche, sondern sprang mit einem Satz auf den Bock, und Lukas bemerkte, durchs Fensterchen spähend, welches die Wand hinter seinem Rücken durchbrach, daß er ein wunderbares Horn von seiner Brust nahm und es, fürsichtig probierend, an den Mund brachte.
Kein Wort wagte das Kind zu sprechen, und die Brüder schwiegen weislich, damit sie niemand vor der Zeit ablade. In der Einfahrt, welche gegen die Sommerschwüle feucht und dunkel abstach, erschien itzt auch der Postmeister mit zwei Mannsbildern, die mochten sonach des Kaisers Roßknecht und Jager sein. Und in der Tat; es setzte sich der eine auf den luftigen Bock, der andere herentgegen mußte wohl oder übel in den heißen Kotter hinein. Er trat, vom Vasold geleitet, an das Türchen, fast gleichzeitig erblickten die beiden den fremden Ballast auf dem Dache, und den Hauswirt traf fast der Schlag. Trotzdessen er mit einem Jagdgewehr, Stiegelstecken und Buckelsack vollends beladen war, riß er die Klinke auf und schrie ohne Ansehen des hohen Fahrgastes:
»Malefizbuam, abgefeimte! Hab ich nit gesagt, ihr sollt in den zweiten steigen?«
Die Bürschlein rückten auf ihrem fein gepolsterten Sitz und schwiegen, und vorn bei den Pferden grinste der Knecht mit dem ganzen Gefrieß. Lukas zitterte und meinte, jetzt werde der aufgebüschte Kaiser sich umdrehen. Aber nur der Jager sah in die Kutsche, postierte die Flinte ins Eck und sagte was. Nämlich er sagte:
»Laß gehn, Postmeister! Ich find mir noch ein Platzerl.«
Der Vasold kam außer Atem und fand gegen solch rühmliche Bescheidenheit keine Einwendung. Er drückte nur stumm die gebräunte Hand, so ihm der Jager darreichte, und schaute die drei Buben an, als wöllt er ihnen baß die Höseln spannen. Seinen genagelten Schuh auf das Trittbrett setzend und hiebei lächelnd und nach vorn weisend, frug der Weidmann:
»Was hast ihm die Livrei aufgehalst? Ha? Weißt eh, ich mag’s nit leiden.«
Da brach dem Vasold wieder das steirische Gemüt durch. »Bald unser guater Erzherzog Johann wieder mit meinem Wagen fahrt, so legen wir ihm«, er deutete zwinkernd nach dem Kutschbock, »so legen wir ihm eine kurze Hosen und ein lodenes Röckel an.«
Lukas war einen kleinen Augenblick enttäuscht, daß der aufgeputzte Herr kein Kaiser, sondern nur ein Prinz war, allein er fühlte immerhin einen großen Stolz und Respekt, und er rückte nur ein bißchen von dem fremden Mannsbild beiseite, welches er um so mehr für einen geringen Menschen hielt, als er fürs erste schlecht gewandet war und als er sie zweitens nicht hinausgeschmissen hatte. Matthäus und Markus hielten den Mund säuberlich aus guten Gründen, wie wir später hören werden. Sie erlustigten sich über den Kleinsten, weil er dem Reisenden gar unverschämt in das hagere, bartlose Gesicht starrte und die längste Zeit sich alle Mühe gab, dem eigentümlich müden Zug seines Mundes nachzuspotten. Er machte schwulstige Lippen, ließ das Kinn hängen und schnitt die greulichsten Gesichter. Die Brüder, welche nicht wußten, ob Lukas sich nur so dumm anschalkte oder tatsächlich so dumm war, lachten unsicher und stießen ihn mit den Knien. Inmaßen die Kutsche sehr eng war, trafen sie einmal auch den Fremden. Der fuhr aus seinen Gedanken, legte die Ellbogen fester an sich, so daß zwischen ihm und dem Kinde ein kleiner Spalt blieb.
»No, sitz dich nur herzue!« sagte Lukas.
Solch freimütige Art erheiterte den Weidmann und bewies ihm, daß er nicht erkannt wurde. Er wandte seine lebhaften, aber recht versorgten Augen vom Zeitungsblatt ab, und indes er’s in Falten bog, musterte er nicht ungütig seine Mitreisenden und frug nach ihrem Namen. Aber nur Lukas antwortete.
»Wir sind die Stralzenbuam von Öbling.«
Da hätten sie ja alle den nämlichen Weg, sprach der Fremde.
»No ja, darum sind wir ja in den Wagen gestiegen. Verstehst?«
Ja, ja, er verstünd wohl.
»Mein Liaber, der Posthalter ist wild auf uns.«
Ja, es wär ihm so fürgekommen.
»Weil wir mit dem Erzherzog Johann fahren. Bst!« wisperte er, den Finger an die Lippen legend. »Da vorn sitzt er, ich kenn ihn wohl.«
Nun lachte der Weidmann laut heraus. Und Matthäus gab dem Kind einen ordentlichen Tritt auf die Zehen. »Sei stad!« mahnte Lukas, die Füße hochziehend, »wann er uns gach bemerkt, schmeißt er uns außi!«
Solches verhoffe er doch nit, sprach der Fremde.
Alsdann schauten sie eine Weile durchs Fenster. Es war eine unbändige Hitze in dem Kasten. Die Stralzenbuben knöpfelten Rock und Leibel auf und ließen, die Gläser schiebend, zu beiden Seiten Luft herein. Dabei gewahrte der Jager, daß Lukas den Arm in der Schlinge trug.
Ob er einen Knochen lädiert hab, und ob er vielleicht beim Bader Lobenstock gewesen wär, frug er teilnehmend den Knaben. Ein Wort gab das andere, und so geschah’s, daß Lukas nach anderthalb Stunden, als die Postkutsche schon gegen Gstatt fuhr, seinen ganzen Lebenslauf zutraulich ausgeplaudert hatte.
Dann hörten sie ein uraltes Liedel, viel wunderschön geblasen. Die breit hängenden Fichtenäste streiften die Koffer und den Stiegelstecken und den Buckelsack auf dem Dache. Auf der linken Seite floß die Enns, von der Abendröte ganz gölden angehaucht.
Unter den vier duftenden Linden verfielen die Pferde in sachten Schritt, indem der Weg zum Schloß bergan steigt. Am Hofbrunn stunden Kühe und Kälber. Und das Gesind kam, durch den Klang des Posthorns gelockt, langsam und neugierig herbei.
Der Weidmann hatte, kaum daß die Pferde stillhielten, selbst den Schlag aufgemacht und sprang aus dem Wagen. Und hinter ihm tappten, sich reckend, die Buben. Er tauschte mit jedem einen festen, freundlichen Händedruck und reichte zuletzt dem Lukas ein Hirschgränlein von seiner Uhrkette.
Damit die Stralzensöhne seiner und der unterhaltlichen Fahrt gedächten, sagte er, und falls sie seinen Namen nicht wüßten … er sei der Prinz Johann.
Der Jüngste wurde wachsweiß.
Der Mittlere lachte verschmitzt.
Matthäus aber stand großmächtig und breit vor dem Erzherzog, rückte den Hut, darunter der helle Schwitz perlte, und sagte mit einer von Schweigsamkeit schier vertrockneten Stimme:
»Ah ja … Ich und der Markus haben Euch ehwohl kennt.«
DIE LEHRE VOM HIMMELBETT
Der Herr Vater ließ seine Buben ein paar Tage lang in Haus und Hof flanieren, und die Frau Mutter stellte am ersten Abend der Heimkehr einen Milchreis, dick mit Zimmet bestreut, auf den Tisch. Am zweiten Abend sind im Rindschmalz die gebackenen Strauben geschwommen. Zum dritten Nachtmahl aber trug sie auf einem großen Holzteller einen Stoß weizene Krapfen herbei, die in der Mitte wie ein gelbes Seidentüchel dünn und knisternd waren und rundum einen kupferbraunen, weichen, flaumichten Wulst hatten.
Und nachdem jeder seine Leibspeise gegessen, seine etwas bläßliche und klösterliche Stubenfarb verbräunt, das Federpennal verwurstelt sowie die allerletzte unbestimmte Spur der Gelehrsamkeit hinter sich gebracht hatte, blickte der Herr Vater sie mit dem linken Auge ernsthaft an und kürzte die Vakanz, weil, so betonte er ausdrücklich, bei ihnen weder Geist noch Körper strapaziert wäre. Er sagte ferner, sich im Sessel aufrichtend und die Arme beidseiten an der Lehne ruhen lassend, er sagte in ganz gemessenem hartem Ton:
»Buam! Mit dem Lukas will ich’s im Herbst noch einmal probieren. Für zween Bürschel aber von fufzehn und siebzehn Jahren ist es schier gar Zeit, daß sie in die Lehr kömmen. Ich verübel euch nit, daß ihr für eine studierte Profession keine Vorlieb und keine Neigung nit habts. Und solches tat auch niemalen not, maßen ja die Heimat, Wald, Acker, Wiesen und Viehwirtschaft, nit zu vergessen der Bräuerstand, meine Kinder wird ernähren. Doch es hätt mich baß erfreut, wann wenigstens einer bei der bäuerlichen Arbeit oder beim bürgerlichen Geschäft kunnt eine bessere Schulbildung aufweisen.«
Die Söhne ließen die Köpfe hängen und entgegneten keine Silbe … Wie drei hülzerne Orgelpfeifen, denen die Luft ausging.
»Itzt seid ihr noch zu dumm«, sagte Vater Stralz. »Ihr wißt’s nit, wie mühselig es ist, wann man seine Erfahrung und Kenntnis muß zusammenklauben an allem Ort und End, und wie genierlich es ist, daß ein hoher Vierziger söllt zum Schulmeister gehn um Auskunft.«
Sodann machte der Matthäus einen Seufzer und der Stralz auch einen. Und nicht mit Unrecht; er hatte mangels jeder Unterweisung sowie mangels jugendlichen Lerntriebes erst im reifen Mannesalter sich einiges Wissen Stück für Stück angeeignet. Als Selbstbildner verfiel er keineswegs in Hochmut und Eigenbrötelei; im Gegenteil überschätzte er die Errungenschaften des Geistes an Umfang und Bedeutung; seine Verehrung war grenzenlos, indem er alles wie einen Glaubenssatz eindeutig auffaßte. In seinem Vertrauen zu gediegener Schulbildung kam er nicht zur Einsicht, daß sie auch nur ein Mittel sei, etwa eine Linse, womit man das Licht der Schöpfung in wohlanständiger Art sammelt und untersucht. Er wußte nicht, daß für jeden, auch den klügsten Scholaren, einmal der Tag kommt, wo er mit seiner Arbeit muß von neuem beginnen, weil er nicht mehr das feine Brennglas, Zeichnung, Feder und Zirkel, sondern die ewig sich entwickelnden Faktoren der Welt selbst vor Augen hat. Er wußte schließlich auch nicht, daß mancher der kultivierten Instrumente zu seinem Leben entraten kann, weil er’s unmittelbar und mit derben, gesunden Händen packt und ohne viel Federlesens zurechtrichtet. In solchen Fällen wird kein Seidendamast daraus, sondern ein grobes Leintuch; wird kein gotisches Gewölbe daraus, sondern ein Dibbelboden, nicht selten auch eine fest gezimmerte, bunt bemalte Wiege …
Als nun diesermaßen eine Stockung der Rede eingetreten war und der Herr Vater einem bestimmten und die Buben irgendwelchen sehr unbestimmten Gedanken nachhingen, schaute die Frau Mutter bei der Tür herein, sich sorgend, warum die Sache so langsam und unheimlich still abgehaspelt werde. Da sagte der Stralz:
»Stanzi! Schick um den Bräuknecht.«
Die beiden Fenster des Tafelzimmers stunden offen, denn die Sonne hatte ihre Strahlen, ausspreizend vom Bäckenhanseldach, schon längst zu Veitkramers großer Feuermauer hinübergespannt und neigte sich nun ein wenig über die Walchen, um das finstere Gesicht des Herrn Raimund Winkler zu streicheln, welcher hinter dem jungen Birnbaum saß und seinen fünf bloßfüßigen Kindern – das älteste nicht mitgerechnet – eindringlich ins Ohr schärfte, sie möchten in der Wolfsgrube fleißig Schwarzbeer brocken, derselben nicht zuviel naschen oder gar verstreuen und ja in Gottes Namen auf keinen giftigen Wurm steigen. Die Sonne streichelte den Birnbaum sowie die fünf Kinder, und weil sie von ihrem erhobenen Standpunkt gerade auch das sechste sah, wie es nämlich zwischen dem Stralzenhaus und der Grafentaverne über die Straße hüpfte, liebkoste sie auch dieses. Im Vorhaus der Grafentaverne waren an hundert leere Bierfäßchen aufgeschichtet, und die Regina nahm darüber ihren Weg oder Umweg, steckte ihre Finger in ein Spundloch, trampelte tüchtig über die hohlen Dauben; und indes die Mutter Stralzen dachte, das Kind möchte mitsamt dem Blasel schon längst herüben sein, hatte das Kind den Blasel noch gar nicht gefunden. Es suchte überall; hielt Umfrag in der Malzdarre, in der Bräustube, stieg endlich die buckeligen Staffeln in den Oberstock hinauf und stellte sich horchend zu seiner Kammer hin; die war gleich, wenn man von der Stiege in den Söller schreitend das Butzenfenster im Rücken ließ, hinter der ersten Türe rechts.
Die Regina hörte was und klinkte auf. Da hockte der Blasel wohlbeleibt und gemütlich bei der Jause, hatte ein Maß Bier und eine Speckwurst auf dem Tischbrett und ließ sich gut geschehen. Er beeilte sich nicht, als die kleine Dirn ihm die Botschaft der Frau Mutter ausrichtete. Erstens verließ er sich auf ihre Gutheit, und zweitens war er unleugbar ein naher Anverwandter seines Brotherrn, nämlich dessen älterer Bruder, freilich auf nicht ganz löbliche und einwandfreie Art.
Noch bevor der selige Johann Stralz seine nunmehr auch in Gott ruhende Gattin Maria Stralzin Anno 1756 zum christlichen Ehebündnis heimgeführt, schlief der Blasius schon in einem Waschtrog neben der Sennerin, und die junge Hausfrau nahm weiter keinen Anstoß, behielt die Dirn und ihr Kindel, ließ es, da die eigenen sieben Söhne und zwei Töchter unter Gottes Gnad aufwuchsen, am gleichen Tisch mit ihnen essen, machte ihnen die gleiche Pfaid, nur ein bißchen gröber gesponnen, nur ein bißchen schlechter gebleicht. Und als die Zeit dahinwebte und die Buben in Lehr und Walz mußten und das eine Mägdelein, eben jungfräulich erblüht, dem Postmeister Vasold anvermählt wurde, während das andere, noch zart und kindlich, einer tückischen Seuch erlag, ist der Blasel verläßlich auf seinem Platz geblieben; und als die Geschwister, mit je 2000 Gulden Konventionsmünze bar hinausgezahlt, sich weit herum in der Steiermark, nämlich zu Aussee, zu Obdach, Rottenmann, Admont und Eisenerz ansiedelten, durch Einheirat oder auch indem sie ein Geschäft gründeten, als der Jüngste nach Amerika ging … Und Vater Johann und Mutter Maria müde wurden und sich an der Südwand der Kirche niederlegten, wo es im März schon grün und trocken ist … als die Zeit dahinschwebte … blieb dem Andreas Stralz nur sein Halbbruder, der Blasius Stocker, auf dem weitschichtigen Besitztum übrig.
Es hat sich der Bräumeister, wie wir wissen, alsbald mit der Constantia Sorger verehelicht; der Bräuknecht aber verschmähte die Frauenzimmer, schon darum, weil ihn einmal eine – glaube die Veitkramerin – gefoppt hatte, und schon darum, weil er wirklich nicht gewußt hätte, ob ihn ansonsten ein Mensch begehrte. Und zum Biddeln war er zu kommod.
Je älter er wurde, um so mehr segnete er dieses einspännige Leben, und insonderheit zu Neujahr, wann er dem Bruder in einem hänfenen Säcklein das ganze Geld hinübertrug und vor Gott und den himmlischen Heerscharen hätte beeiden können, daß kein Kreuzer gestohlen, kein Kübel Malz verfault sei – dann überlief ihn ein Gefühl der Sorglosigkeit, das ihn nach und nach einschläferte, und sein letzter Gedanke vor dem ersten Schnarcher war ein Vergleich zwischen sich selbst und seinem Halbbruder Andreas, und solcher Vergleich fiel jedesmal zu eigenen Gunsten aus.
Er ließ sich wohl geschehen; doch er besaß ja sonst wirklich nichts auf der Welt. Auch Regina fand seinen guten Appetit verzeihlich. Sie betrachtete voll Geduld die bunten Glasmalereien, welche er einem böhmischen Hausierer abgehandelt hatte. Sie hingen beide über der zerknüllten Bettstatt. Ein Bild stellte die heilige Genoveva dar, in zinnoberrotem Kleide und blauem Mantel. Ihr nackend Söhnlein, so auf einer Hirschkuh geritten kam, erhob die Hände bittend zum grausamen Ritter Golo. Das zweite Bild zeigte Elisabeth von Thüringen unter einer Strahlengloriole, den Kopf geneigt und im geschürzten Überkleide zwölf Rosen, jede einzeln mit Krone, Blatt und Stengelein gemalt.
Ferner waren auch noch der Kasten sowie eine roh gezimmerte Wandertruhe, ein Kupferkrügel, das schon manchen Bug hatte, und eine schmiedeeiserne Laterne sein eigen. Lauter Erbstücke seiner seligen Mutter, der Maria Stockerin, die Anno 1762 mitsamt der Almhütten unter einen Erdrutsch gekommen war.
Sonst gab es wenig zu bestaunen. Regina näherte sich auf ihrem Rundgang schon wieder der Tür, die vom Alter gebeizt und wurmstichig war; sie probierte das Schloß und stellte sich auf die Zehen, weil ziemlich hoch im Türstock das Blechrelief eines Papstes mit vier Schuhnägeln angeschlagen war. In diesem Augenblick trampelte jemand die Stiege herauf, gegen die Kammer. Das Dirndel schoß jählings zurück, und Blasel schoppte schmatzend das Wurstende mitsamt der Hanfschnur in den Mund, als Lukas auf ihn losfuhr und schrie, daß der Herr Vater schon mißlaunig sei.
»Ah ja!« entgegnete Blasel kauend, setzte sich aber alsogleich in Gang, und als sie zu dritt beim Tor des Bräuhauses herfürkamen und die paar Katzensprüng zum Stralzen hinter sich brachten, erblickten sie bei dem einen Fenster des Tafelzimmers den Herrn Vater, bei dem andern Matthäus. Nur Markus hatte sich bockbeinig nicht von seinem Platz gerührt, wo er sich vor einer guten Viertelstunde aufgestellt hatte.
Es waren inzwischen einige gewichtige Worte gefallen. Der Herr Vater hatte, auf und ab schreitend und hiebei das Zimmer betrachtend, zu seinen Kindern gesagt:
»Wir wissen noch nit, welcher dermaleins Stralz wird. Nach menschlicher Voraussicht ist wohl anzunehmen, der Matthäus. Aber auch für euch wird gesorgt werden. Merket, nit jeder hat das Glück, daß er in einer reputierlichen Familie auf die Welt kömmt. Ihr sollts das einschätzen.«
Die Buben stunden unbeweglich da, und der Herr Vater betrachtete die Stube. Er liebte sie, weil sie nicht von beschwerlichem Reichtum, sondern von Wohlstand zeugte. Sie hatte hundertjährige steife Sessel und einen ovalen Tisch aus fein poliertem Holz. Über dem Damastsofa hing ein Spiegel, goldgerahmt und von allerklarstem Schliff. Stehkasten und Kornmode stammten augenscheinlich aus Maria Theresiens Zeit; sie waren breit und massiv und mit eingelegten Furnieren mattflammig geziert. Auch der Gläserkasten stand darin, welcher die gediegenen Hochzeitsgeschenke der Familie, allerlei künstlichen Blumenschmuck und die Bibel enthielt. Zwischen den Fenstern nach dem Obstgarten zu hingen nebeneinander die drei Lehrbriefe des Herrn Andreas Stralzen. Und auf der Kommode tickte die Bronzeuhr mit dem Schäferknaben.
Vater Stralz liebte diese Stube, weil sie groß und räumlich war, weil der grüne, in ein knopfiges Türmchen auslaufende Kachelofen im Winter gut heizte und weil man, ohne die Einrichtung viel zu rücken, gut noch drei lange Tische aufstellen konnte, wenn bei festlichem Anlaß die Vettern, Muhmen, Basen und die ganze Freundschaft zu einer Tafel hergeladen ward. So groß und räumlich war das Zimmer.
Er liebte es mehr noch aus einem andern Grunde. Wo die Mauer gegenüber der Straßenseite sich zu einem flachen Gewölb vertiefte, stand, von weichen, faltigen Gardinen umsäumt, eine Bettstatt mit vier schlank gedrechselten Säulen, so einen Himmel trugen. Das Bild über dem Kopfende zeigte die Mutter Maria, wie sie nach der Empfängnis über das Gebirge zu Elisabeth wandert. Unterhalb stellten noch frischere Farben ein Knäblein dar, in Windeln gehüllt, lächelnd und unschuldig. Und einen seltsamen Spruch gab es dortselbst zu lesen:
»Hier lig ich als Kint,
Bis ich Aufsteh und Straff die Sündt.«
Der Herr Vater liebte dieses Bett. Er schob den Fürhang zurück und zeigte es den Söhnen:
»Euer Großvater«, sagte er, »euer Muhm, die Schlosserin, die Vasoldin zu Stainach, euer Urgroßvater, dahinter die Stammältern, Glied um Glied, ich selber, meine Brüder und Schwestern sind darin geboren!
Nur der Blasel nit, drum ist kein richtiger Stralz aus ihm worden.
Bedenkt es und schätzt es ein.«
Weil aber der Herr Vater seine ganze Gedankenreihe ihnen vorenthalten und nur den Schluß hinsagte, daß es ohne Zusammenhang ausschaute wie ein Stern am lichten Tag, und weil seinen Buben die Geschichte dieses Bettes längst nicht mehr neu war, blieb sie naturgemäß ohne Wirkung. Der Stralz hatte es bemerkt, hatte den Kopf geschüttelt und, nachdem er einige Male durchs Fenster gesehn, den Lukas in die Taverne geschickt.
Nun waren sie herbeigekommen. Auch die Regina. Sie fühlte sich wie eine Schwester verpflichtet, den Stralzensöhnen in guten und bösen Stunden beizustehn, insbesonders bei denjenigen Ereignissen, welche bedrohlich und entscheidend über ihre drei strohblonden Schädel dahinschwebten. Eng an den Kachelofen gedrückt, der auf den vier Messingfüßchen solid und behäbig wuchtete, lehnte das Dirndel da, spreizte die Augen, und das Herz tickte hell und schnell mit einem leisen Unterton, so wie die Schäferuhr im Glasgehäuse, welche sie aufziehen durfte, wann die Frau Mutter es vergessen hatte …
Die beiden Männer setzten sich. Jetzt erst wurde durch Gegenüberstellung mit dem Halbbruder erkennbar, wie sorgsam gekleidet, wie wohlgepflegt der Stralz war. Selbst Blasel, dem kein Neid und kein Feingefühl wehtat, erkannte den Unterschied. Er setzte sich nur zögernd auf den Lederpolster und nahm von diesem nur die Hälfte in Anspruch, wie es sich für ihn auch schickte.
»Blasel«, sagte der Herr Vater, »morgen nimmst den Markus in die Lehr. Er muß dir in allem folgsam sein; er muß grob arbeiten wie jeder Knecht! Verstanden?«
Blasius Stocker nickte. Der Sohn aber bekam einen starren, aufgebrachten Blick. Ganz trostlos war ihm zumute wie bei einem Abschied. Wenn das Studium und die gepflegte Sprache in der Benediktiner-Abtei irgendwelchen Rest hinterlassen hätte, so möchte er vielleicht große schwingende Jünglingsworte von sich geschwätzt haben, daß Fuhrwerk, Vieh und die freie Weide sein liebstes wären, daß er möcht pflügen und dreschen mit strenger Faust, die lebfrischen Öchslein aufzügeln und die feist gemästeten Schweine stechen und vierteln in stattlicher Zahl. Denn wie in der Natur allerorts Leben und Tod, Mitgefühl und Brutalität einander die Waage halten, so geschah es auch in dem sehr natürlichen Vorstellungskreis dieses halbwüchsigen Buben. Nur daß ihn gerade im Zustand hilfloser Abwehr und Not das krasseste Bild am meisten anzog. Es war wirklich wie ein Abschied. Vergeblich tappte er nach einem Wort, das ihn erlösen sollte. Sein Gesicht wurde rot bis ins Stirnhaar. Seine Augen wurden dunkel vor Trotz. Er sagte, einen Schritt vortretend, ganz heiser:
»Herr Vater, ich kunnt aber schon ein Öchsel schlagen!« Mit diesem Schritt fing sein eigenstes Leben an. Bisher war er ein Kind gewesen mit unbewußtem und triebhaftem Eigensinn. Der Stralz horchte auf. Er verstand vollkommen, daß diesem harmlosen Knabenhirn, noch weit entfernt von Habgier, nur um den Beruf zu tun war. Er selbst jedoch dachte an das Erbe. Und weil er stets gerecht und im Sinn seiner Zeit handelte, so konnte er nichts anderes denn sagen: »Es kömmt dem Matthäus zu, weil er der Ältere ist.«
Matthäus schaute von der blauen Luft zurück ins Zimmer und hatte keinen Dunst davon, was für ihn Großes und Bedeutendes getan werde. Nein, er hörte es wie eine pure Selbstverständlichkeit, daß er vom nächsten Tage an müsse in der Fleischbank sein, und war auch vollkommen zufrieden darüber.
Hierauf gab der Stralz seinen Söhnen einen Wink, und sie konnten gehn. Regina riß hastig die Tür auf und war zuerst draußen. Und indem die peinliche Unterredung sehr ruhig und, wie ihr schien, auch bestens verlaufen war, stach sie der Hafer, und sie spöttelte über den Matthäus, daß er kein Studierter mehr sei, sondern ein geschmierter Lehrbub.
Der große Kerl reckte sich noch größer aus, warf die Lippen grausig und schaute auf das bläßliche Schulmeisterdirndel herab wie weiland der Ritter Golo auf den Schmerzensreich.
»Meine Studiertheit«, sagte er, »macht mir keiner nach im Dörfel. Und das Lateinische schon gar nit.«
»Ui jegerl!« meinte das Kind, aber doch weniger herausfordernd.
»Kann’s dein Vater?« erkundigte sich Matthäus.
»Freilich, in der Kirchen.«
»Versteht er auch alles?«
»Das weiß ich nit!« wispelte sie bescheiden.
»O je!« trumpfte Lukas, und der Respekt vor sich und den Brüdern nahm merklich zu. Markus, der noch vor wenig Augenblicken wie ein Küchlein tief erschrocken aus der Eischale der Kindheit gespäht hatte, war nun wieder wohlig geduckt und bestrebte sich zu krähen wie ein Hahn.
»Du«, sagte er zum Großen, »du redst ihr Lateinisch für, und ich werd’s austeutschen.«
»Also«, hub Matthäus an. Hernach aber entstand eine beträchtliche Pause. Es war leidig, daß ihm gar nichts einfiel. Dem Dirndel zuckte schon der Mund, als ob es lachen wolle. Da sprach der findige Lukas väterlich und nachsichtig:
»Gelt, du weißt nit einmal, was dein Taufnam bedeut’!«
»Was wird er denn bedeuten?« sagte sie, die Achseln schupfend.
»Was Schönes«, verriet Markus, mehr nicht.
»Gar was Hohes«, fügte der Älteste hinzu.
Das Mädel wurde neugierig. Sie dachte eine Weile und meinte dann:
»Ein Pappelbaum?«
Die Buben lachten sie schreckbar aus. Regina drehte ihnen beleidigt den Rücken und wollte gehn. Aber Markus packte sie beim Kittelzipf und schrie:
»Du mußt auf ein Frauenzimmer raten.«
Halb abgewandt und zögernd frug sie:
»Eine Moarin?«
»Weit mehr.«
»Eine Prinzessin?«
»Noch mehr.«
Das wagte das Mädchen gar nicht auszusprechen. Doch sie hatte das Wort auf der Zunge. Und Lukas, dem es schon zu lang herging, Lukas plapperte:
»Ja … eine Künigin.«
Regina war bis mitten ins Herz hinein glücklich erstaunt. »Hau«, sagte sie unter einem ehrfürchtigen Seufzer. Dem Matthäus aber kam nun doch die dringlich ersehnte Eingebung, und er fing leiernd das Salve Regina an. Allein schon beim Mater misericordiae betete die kleine Dirn wacker mit, denn ihr Vater war nicht umsonst auch Mesner. Markus, der sie schon um Kopfesläng überragte, trotzdessen er nur um weniges älter war, Markus blickte ganz von oben herab auf ihre braunen Zöpf, die fett geölt und glatt und glänzend das Hirnkästchen zusammenhielten, und sprach:
»Bist nit so dumm!«
»Gelt ja«, antwortete Regina zwischen dem Aufsagen des Gebetes. Und Lukas zupfte sie und sumste, die Silben verheißungsvoll hinausziehend, bis er keinen Atem hatte:
»Du … wir lernen dir Lateinisch, nachher magst dich auch wohl prahlen.«
»Ich lern dir!« herrschte Matthäus.
Das Schulmeisterdirndel war sofort einverstanden. Sie erkieste nun den Sonntag zum Tag ihrer geistigen Schulung und versprach, sich nach der Litanei mit einem Strickzeug in den Dreizipf zu setzen, allwo wegen der vielen Obstbäume frische Luft und Schatten wär. Der Matthäus möge mit seinem Büchel nur nachkommen, aber ja niemand nichts verraten, denn sie wölle ihren Herrn Vater alsdann mit der ganzen Studiertheit überraschen. Die großen Brüder hielten solches für richtig und boten nun dem kleinen Lukas unter den heftigsten Drohungen auf, dieses Geheimnis ja nicht auszuschwatzen. Sie wisperten eben noch eifrig, als plötzlich bei der letzten Stiegenstufe die Frau Mutter auftauchte und rief, ob die Rögerl vielleicht eine Prinzessin wär, weil sie sich vor der Arbeit gar so fürchte.
Dem guten Mädchen gab es einen ordentlichen Riß. Sie erinnerte sich keineswegs daran, daß sie noch mehr … nämlich eine Königin sei, und trampelte infolgedessen ziemlich ungehobelt in den Unterstock hinab. So konnte Matthäus sein lateinisches Gebet nicht zu Ende sagen; geschweige, daß der Markus zum Austeutschen kam.
Der kleine Lukas schritt langsam hinter den Brüdern. Er beteuerte ehrenwörtlich sein heiliges Stillschweigen und hielt solches auch pflichtschuldig. Seine Frau Mutter brauchte nur vom Sonntag zu reden, so wich er ihr in großem Bogen aus. Manchmal wieder überfiel ihn eine böse Lust und Versuchung, die ganze Geschichte brühwarm zu erzählen, und er stellte sich mit Genauigkeit vor, wie alsdann sein Bruder Matthäus ihn durchhauen und sein Bruder Markus ihn beuteln und wie Rögerl einen Buschen Brennesseln zwischen Decke und Leintuch stecken werde. Diese mühsam gehaltene Heimlichkeit glich schließlich einem gefangenen Ratzen, der, an seiner eignen Falle schleppend, immerfort toller und furchtbarer wird.
Er fühlte sie aber auch schmerzlich wie eine Gewalt, und er versäumte nicht, diese Macht zu mißbrauchen, indem er bei der Rögerl Zuckerstücke und Heiligenbilder erpreßte und oftmals die Drohung aussprach:
»Du! Heut sag ich’s.«
Es wurde endlich Sonntag. Und es goß in klatschenden Strömen. Obwohl die Stralzendirn mit diesem Naturereignis nicht gerechnet hatte, blieb sie ihrem Vorsatz treu, und schon beim Mittagessen schaute sie den Matthäus bedeutungsvoll an. Die zwei Stunden bis zum nachmittäglichen Kirchgang strichen nicht schneller, soviel das Mädchen die Sanduhr in der Wirtsstube schüttelte und soviel sie den Markus auch mahnte, daß es Zeit zum Vesperläuten sei. Aber die Stunden verstrichen doch. Und sie sang klopfenden Herzens die lauretanische Litanei herab, und bei jeder Anrufung dachte sie:
»Wann mein Vater grad wüsset, was ich im Sinn hab …«
Sie sang hellklingend und schwelend, allein so unsicher, daß der Schulmeister höchlich erstaunte. Beim Segen vergaß sie das Kreuz zu machen, und zuletzt, als Raimund Winkler das Notenblatt auf die Seite legte, lief sie flugs davon, ohne seine Hand zu küssen, was sich von Rechts wegen geziemt hätte.