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Kitabı oku: «Memoiren einer Grossmutter, Band II», sayfa 13

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Der Tod meines Mannes

Leise und tückisch schlich sich das Gespenst des Todes an unser Heim heran. Mein Mann fühlte sich von Tag zu Tag schlechter. Es stellte sich bei ihm ein Herzleiden ein, das die Aufregung im Geschäft nur immer verschlimmerte. Er sollte nicht mehr lange unter den Lebenden weilen. Aber ich ahnte damals noch nicht, wie nahe sein Ende war.

In den letzten Jahren seines Lebens wurde er still, milde und verfiel in die mystische Stimmung der Jugendzeit, da er sich in die Lehren der Kabbala vertiefte. Ich fühlte, wie er mich beneidete, daß ich mir durch alle Stürme unseres Lebens mein gläubiges Gemüt erhalten hatte —

Er empfand die mystischen Regungen aber dennoch als eine Schwäche. Und er schämte sich ihrer im Stillen. Mich ließ er jetzt gewähren und hatte keinen Hohn mehr für meine religiöse Auffassung und mein Tun. Ja es kam sogar vor, daß er an Feiertagen – er selbst ging nicht beten – zu mir in die Synagoge kam, um, wie er sich verlegen entschuldigte, nach mir zu sehen – Seine Besuche hatten aber eine tiefere Ursache: es war ein Zwang der Seele, der ihn ins Bethaus trieb. Die Atmosphäre der feierlich versammelten betenden Juden zog ihn an.

Er kam ins Schwanken. Die einmal eingeführte Lebensweise mochte er nicht ändern. Die Jugenderinnerungen wurden aber doch immer mächtiger, immer stärker und schlugen ihn in Bande. Die Tradition, die ihm im Blute lag, war eben doch stärker als aller moderne Sturm und Drang…

Diese innere Zerrissenheit kam immer mehr zum Vorschein, oft ganz unvermittelt. Einmal gaben wir ein Abendessen, zu dem sechzig Personen geladen waren. Mein Mann war die ganze Zeit gut gestimmt, unterhielt sich mit allen und spielte den liebenswürdigen Wirt. Es war schon spät in der Nacht, als die Gäste unser Haus verließen. Plötzlich, wie aufgewühlt von einem großen Schmerz, rang mein Mann die Hände und rief: »Ach, sechzig jüdische Kinder saßen hier beieinander und aßen treife!«

Und so erfüllte sich die Prophezeiung meiner Mutter! – Diese Stimmung gewann wieder Macht über viele Männer dieser Generation. Denn in den heiligen Stunden, da sie sich selbst zu offenbaren wagten, fühlten sie den Riß, der durch ihre Seele ging. Der Rausch verflog, die Erinnerungen der Jugend rieben sich den Schlaf aus den Augen und heischten schmeichlerisch ihr Recht. Das Alte nahm sie gefangen. Die neue Zeit lockte.

Mein Mann wurde immer stiller und einsamer. Die einzige Leidenschaft seiner letzten Lebensjahre war die Pflege der Blumen, die er mit väterlicher Sorge betreute. In seinen Mußestunden beschäftigte er sich auch gern mit der Holzschnitzerei und Kupferstecherei. Aber das tat seinen Lungen nicht gut.

Bis zum letzten Augenblick seines Lebens vertrat er die Interessen seiner Stammesgenossen. Sein Eifer kannte keine Grenzen, wenn es galt, ihnen zu helfen, irgend etwas Nützliches für sie durchzuführen. Da half nicht mein Warnen und Flehen. Er arbeitete dann ohne Rücksicht auf den bedrohlichen Zustand seiner Gesundheit. Jedes jüdische Ungemach traf ihn wie ein eigenes. Und ein Unrecht, das anderen mehr als ihm galt, gab ihm den Tod.

Der Bürgermeister der Stadt Minsk war damals der Graf Czapski, ein vornehmer, gebildeter Mann von echt europäischer Kultur, dessen einziges Ziel es war, Minsk zu europäisieren. So führte er die Straßenbahn ein, ließ ein prächtiges Schlachthaus bauen, die Straßen pflastern u. a. m. Er gab Hunderttausende Rubel für diese Zwecke aus – nicht nur vom Gemeindegeld, sondern er legte auch große Summen aus seiner eigenen Tasche zu. Für seine eigene Person war er einfach und sparsam. Sein Essen und seine Kleidung waren schlicht, ja dürftig. Doch rechnete Graf Cz. bei der Ausführung seiner großen Pläne nicht mit den Mitteln der Bürgerschaft, die in der Mehrheit arme Leute waren und die Ausgaben nicht tragen konnten. Das Resultat seines Eifers war eine städtische Schuld von 200 000 Rubeln, und diese sollten selbstverständlich die Bürger begleichen. Es war eine überschwere Last, die vor allem den Juden aufgebürdet wurde. Mein Mann hielt es für eine Ehrenpflicht, gegen dieses Ansinnen anzukämpfen.

Er arbeitete genaue Aufstellungen für die Ausgaben der letzten Jahre aus, die seine Ausführungen stützen sollten. So ausgerüstet begab er sich in die letzte Sitzung der Stadtduma – deren Mitglied er seit 12 Jahren war. Trotz meiner Beschwörungen und verzweifelten Bitten!

Mein Mann hielt eine zweistündige Rede, die einen starken Eindruck machte. Sie wurde in den Blättern abgedruckt und war das Tagesgespräch in der Stadt. Aber schon am folgenden Tage brach er zusammen.

Am dritten Tage – es war ein Freitag – ging mein Mann zum letztenmal in die Bank, kam aber bald zurück und ließ unseren Hausarzt holen. Der Arzt beruhigte uns, daß es nur eine vorübergehende Schwäche sei. Zwar ahnte ich das Furchtbare schon, doch ließ ich mich gern täuschen.

Mein Mann teilte mir mit, daß er zum Abendessen einen Geschäftsfreund eingeladen hätte und bat mich, gute jüdische Fische vorzubereiten. Der Abend verlief sehr gemütlich, die Kinder spielten auf Vaters Wunsch Klavier und Cello. Die eleganten Räume waren festlich erleuchtet und zum letzten Male herrschte in unserem Heim Sabbathstimmung.

Aber mein armer Mann hatte keine Ruhe, es hielt ihn nicht auf seinem Platze. Er sprang auf und ging hastig in der Wohnung herum.

Er sah auf die spielenden Kinder, auf die schönen Räume, und ich merkte, daß in aller Unrast ein Hauch des Glückes über seine flammenden Wangen strich. – Gott hatte ihm noch eine frohe Stunde vor seinem Hinscheiden gegönnt.

Der Gast nahm Abschied von uns und lud mich ein, mit den Kindern zu ihm nach Libau zu kommen.

Mein Mann begab sich, von seinem Diener begleitet, sofort in sein Schlafzimmer. Die Kinder gingen zur Ruhe. Im Hause wurde es still. Nur ich allein war noch im Eßzimmer beschäftigt.

Plötzlich ertönte schrill die Klingel aus dem Zimmer meines Mannes. – Das war die Glocke, die den kommenden Sturm ankündigte, der unser ganzes bisheriges Leben zerstören und uns für immer zerstreuen sollte —.

Ich eilte in das Schlafzimmer und fand meinen Mann schon sehr verändert. Der Arzt kam, verordnete Medikamente und tröstete uns, so gut er es nur vermochte. Doch blieb er gemeinsam mit mir die ganze Nacht am Krankenbett. Mein Mann war unruhig, erwachte jeden Augenblick von seinem Schlummer, und jedesmal, wenn er mich noch am Bette wachen sah, bat er mich, zur Ruhe zu gehen: »Schone dich, erhalte du dich wenigstens gesund für die Kinder…«

Morgens fühlte sich der Kranke erheblich besser und verlangte aufzustehen. Er kleidete sich an, trank seinen Tee, ging in sein Arbeitszimmer, las in einem Buche und erteilte sogar einem Bankprokuristen Anordnungen.

Und wieder schlich sich die Hoffnung in mein verzweifeltes Herz – doch die verhängnisvolle Stunde näherte sich immer mehr und mehr. Mein Mann fing von neuem zu klagen an. Die Unruhe in ihm erreichte den Höhepunkt. Bald saß er, bald legte er sich wieder hin, um sich nach einem Augenblick wieder hastig zu erheben. Die Uhr schlug sechs. – Die entsetzlichste Stunde meines Lebens. Es war an einem Samstag, 18. April 1892. Ich war neben meinem Mann, der sich auf ein Sopha niedergesetzt hatte. Ängstlich schaute ich ihm ins Gesicht, und mit quälender Sorge beobachtete ich die winzigsten Veränderungen seiner Züge. Das regte ihn auf, und er ließ meine Fragen unbeantwortet. Ich goß ihm Tee auf die Untertasse, von dem er einen Schluck zu sich nahm.

So saßen wir noch etwa fünfzehn Minuten nebeneinander, als er plötzlich die Augen voll Schrecken weit aufriß, den Atem schwer durch Mund und Nase einzog und den Kopf in den Nacken warf. Die Kräfte versagten ihm. Er fiel zurück und blieb bewegungslos liegen.

Es wurde ganz still – einen Augenblick herrschte im Zimmer jene entsetzliche Ruhe, die entsteht, wenn Tausende Stimmen aus Verzweiflung und in grenzenlosem Schmerz verstummen.

Halb wahnsinnig warf ich mich schluchzend über meinen Mann. Ich hielt seinen Kopf in beiden Händen. Seine Augen waren schon geschlossen. Ich rief laut seinen Namen. Mein ganzes Herz, meine ganze Liebe, alle unsere lieben Erinnerungen legte ich in diesen Ruf. Ich glaubte, er müßte ihn noch einmal wecken. Noch einmal sollten seine Augen auf mir ruhen, bevor er sie für ewig schloß. Und er blickte auf. Aber es waren nicht mehr die Augen meines geliebten Mannes. Verschwommen, glanzlos, fremd war sein Blick, als ob er von weither käme, von dort vielleicht, woher man nicht mehr zurückkehrt.

Die nächsten Stunden war ich bewußtlos. Und dann – das Erwachen! Eine Leere tat sich vor mir auf, in der alle Trost- und Liebesworte der mich umgebenden Kinder und Freunde und Verwandten ohne das leiseste Echo in meinem Herzen verhallten.

Leer, leer, namenlos leer lag das Leben vor mir, das ich in jener Stunde so gerne verlassen hätte, um gemeinsam mit meinem Teueren, Geliebten den anderen Weg zu gehen. In dieser Stunde begriff ich so gut die indische Sitte, nach der die Frau des Toten zusammen mit ihm eingeäschert wird.

Zehn alte Juden (ein Minjan) »Batlonim« verrichteten dreimal täglich an der Leiche Gebete, und mein seliger Wolodia sagte »Kaddisch«.

Am Montag, um zwölf Uhr mittags, fand das Begräbnis statt.

Eine große Menschenmenge versammelte sich um unser Haus. Viele Knaben, die von den Gebethäusern abgesandt waren, sangen Psalmen an der Leiche. Man brachte Blumenkränze, die aber auf mein Verlangen im Hause zurückgelassen wurden.

Meine Kinder und ich – wir zerrissen unsere Kleider an der Brust. Man hob die Bahre und trug ihn hinaus – den Mann, den Vater, den Herrn dieses Hauses.

Auf dem Friedhof sprachen alle, die das Grab umstanden, Gebete. Aus der Menge, in der sich die vornehmsten Juden und Christen befanden, trat der Maggid, der Stadtprediger, hervor und hielt eine Leichenrede, die mit den Worten schloß: »Wenn er auch manche jüdische Sitte in seinem Leben vernachlässigt hat, so muß man doch an seinem Grabe laut gestehen: ›Daß er ein Auhew Amau Jisroel war, daß er sein Volk Israel liebte.‹«

Im gleichen Verlag erschien:

Memoiren einer Großmutter.

Bilder aus der Kulturgeschichte der Juden Russlandsim 19. Jahrhundert
Von
Pauline Wengeroff
Mit einem Geleitwort von Dr. Gustav Karpeles
Band 1
Preis broschiert M. 3.—.    Leinwandband M. 4.—

Urteile der Presse:

Berliner Tageblatt.

Wenn man das Memoirenwerk eines russischen Autors zur Hand nimmt, das russische Verhältnisse behandelt, ist man von vornherein darauf gestimmt, eine Jobiade zu lesen, in der alles zu finden ist, nur keine Freude und kein Sonnenstrahl. Diese Vorerwartung steigert sich noch, wenn es sich um russisch-jüdische Verhältnisse handelt, die ein jüdischer Verfasser schildert. Aber diesmal sind wir auf wunderbarste und angenehmste Weise enttäuscht. Das Werk der Pauline Wengeroff ist so sonnig und innig, daß es kein Leser unbefriedigt aus der Hand legen wird. Insbesondere wird der jüdische Leser seine reiche Freude finden an der warmherzigen Pietät, die das ganze Buch adelt. Die Schilderungen der jüdischen Feiertage nehmen den breitesten Raum ein; aber sie sind so künstlerisch dargestellt und dabei von soviel Gemütswärme unterströmt, daß man mit tiefer Ergriffenheit der alten Erzählerin lauscht, als sei sie unser aller Großmütterchen, das uns in stimmungsvoller Dunkelheit wunderbare Märchen erzählt; Märchen, die wir selber einmal geschaut und erlebt haben, da wir jung waren… Das Herz feiert Reminiszenzen bei dieser Lektüre, und die Seele klagt um all das, was wir Modernen verloren haben im Kampf ums bittere Leben – alles, was tief und innig war, und was das Leben einst zu einem ernsten Feiertag machte. Welch ein naives, gemütreiches Buch, das keine andere Prätension hat als die, uns den Spiegel der eigenen Vergangenheit vorzuhalten. Und doch gibt dieses Memoirenwerk zugleich ein Kulturbild von unvergleichlicher Treue.

Vossische Zeitung, Berlin.

Ein merkwürdiges und, was noch mehr bedeutet, ein wertvolles Buch sind diese von einer Greisin geschriebenen Memoiren, die durch die Gewissenhaftigkeit und Ausführlichkeit, mit denen die von einem staunenswerten Gedächtnis unterstützte Verfasserin zu Werke geht, einen sehr schätzenswerten Beitrag zur Kulturgeschichte der russischen Juden während der Mitte des vorigen Jahrhunderts liefern. Der Leser wird in das Familienleben, wie es sich in jener Zeit in einem reichen jüdischen Haus abspielte, eingeführt und gewinnt durch die keine Einzelheit vergessende Darstellung einen Einblick in die von tausend religiösen Vorschriften eingeengte, nur dem Studium des Talmuds dahingegebene und jede weltliche Bildung abweisende Lebensführung auch der oberen Klassen der orthodoxen Juden damaliger Zeit. Von der Wiege bis zum Grabe, während der zahlreichen Fest-, Trauer-, Buß- und Fasttage des Kalenderjahres mußte der Jude auf die Erfüllung der unzähligen Vorschriften bedacht sein, die ihm der Talmud machte, und durch die sein Essen und Trinken, seine Kleidung, sein Wachen und Schlafen, sein Beten und Feiern, seine Lust und seine Trauer geregelt wurden. Das, was dem Laien nur als Sitte erscheint, wurde bei diesem temperamentvollen Volke auch zur Sittlichkeit. Innerhalb der strengen Gebundenheit, die jede menschliche Empfindung einer Kontrolle unterwarf, wurde der Jude zur Frömmigkeit, zur Selbstbeherrschung erzogen. Das Studium des Talmuds gewöhnte an logisches Denken, und die Gemeinsamkeit der zahlreichen Religionsübungen entwickelte im Verein mit der Abgeschlossenheit des Juden gegen die ihn umgebende christliche Welt den Familiensinn zu einer Innigkeit, wie kaum je bei einem anderen Volke. Ergreifend ist die Schilderung der auf Befehl Kaiser Nikolaus I. erfolgten Zerstörung des Heimatsortes der Verfasserin, der Stadt Brest in Lithauen, an deren Stelle eine Festung erbaut werden sollte. Selbst die Toten mußten ihre letzte Ruhestätte verlassen. Im Jahre 1838 kam es wie die erste Ahnung einer neuen Zeit über das in Unwissenheit und strengem Formelglauben dahinlebende Volk, als die russische Regierung die Schulen einer gründlichen Reform unterzog und mit der Aufgabe, westeuropäische Bildung unter den Juden zu verbreiten, den Minister der Volksbildung und den Gelehrten Dr. phil. Lilienthal betraute. Zu dem Wert und Reiz des Buches trägt die Darstellung nicht wenig bei. Schlicht und einfach, ohne rethorischen Aufputz, ohne besonderes Pathos schreibt die Verfasserin Gebräuche und Einrichtungen, jedoch besitzt sie in hohem Grade die Gabe, Erlebtes anschaulich zu machen und auch den fernstehenden Leser lebhaft zu interessieren.

Frankfurter Zeitung.

Die Verfasserin, deren Jugend in die dreißiger und vierziger Jahre des verflossenen Jahrhunderts fällt, entwirft ein sehr anschauliches Bild vom Leben und Treiben in einer streng gläubigen, jüdischen Familie, die zu den wohlhabendsten in der Stadt Brest-Litowsk zählte. Schon nach Durchsicht der ersten Seiten wird einem der Eindruck zuteil, daß man es mit einer photographisch treuen, dabei künstlerisch abgerundeten Wiedergabe des Geschauten und Erlebten zu tun hat, daß, mit einem Wort, ein kulturhistorisches Dokument vorliegt. Solche Bücher sind immer lesenswert. In diesem Falle kommt noch das Spezialinteresse hinzu, welches die bis in die feinsten Details gehenden, dabei keineswegs ermüdenden Schilderungen der religiösen Gebräuche der lithauischen Juden, den Religionsgenossen der Verfasserin, darbieten können. Bedeutungsvoll ist das Kapitel, welches vom Beginn der Aufklärungsperiode unter den russischen Juden handelt. Wie anderwärts, so auch hier hat die Emanzipation der Geister neben mancherlei Freuden auch ihre Leiden mit sich gebracht. Die Aufklärung hat, wie Dr. Karpeles in seinem Geleitwort sagt, »die Nebel, die bis dahin über dem russischen Judentum lagerten, durchbrochen,« sie hat aber auch die Juden, die bis dahin, gleichsam wie auf einer Insel inmitten des slawischen Völkerozeans eine Sonderexistenz führten, in Berührung mit feindlichen und häufig moralisch minderwertigen Elementen gebracht. Im zweiten Bande, der hoffentlich bald dem ersten nachfolgen wird, erfahren wir vielleicht einiges darüber.

Die Zeit. Wien.

»La Russie se recueille«, »Rußland sammelt sich«, hat bekanntlich Gortschakow nach dem Krimkriege gesagt. Dasselbe kann man vom Judentum sagen, seitdem es von allen Seiten aus der Oeffentlichkeit verdrängt ist. Zwar finden die reichen Juden noch immer Eingang in aristokratischen Kreisen, wenn man ihr Geld braucht, und man läßt sich sogar auf eine Mesallianz mit ihnen ein, wenn es gilt, ein verblaßtes Adelswappen frisch zu vergolden. Auch lassen sich »freisinnige« Deutsche die Stimmen der Juden bei den Wahlen gefallen. Aber es heißt doch auf der ganzen Linie: »Grüß mich nicht unter den Linden!« Der Rückschlag dieser Verdrängung äußert sich bei den Juden in ihrer Besinnung auf sich selbst, in verstärkter Pflege ihrer Memoirenliteratur und vermehrter Schilderung der Vergangenheit des Judentums, besonders seines Innenlebens. Eine solche Schilderung liegt in den »Memoiren einer Großmutter« vor. Es ist ein liebenswürdiges Buch, das die Häuslichkeit und Lebensführung eines wohlhabenden russischen Juden in Brest aus dem ersten Viertel des vorigen Jahrhunderts in anspruchsloser Weise beschreibt. Über dem Hauswesen lagert der Hauch patriarchalischer Frömmigkeit und angestammter Sitte. Von Sabbat zu Sabbat, von Festtag zu Festtag übersteigen die Hausgenossen wie auf Brücken die Mühseligkeiten und Beschwerden der Arbeitstage und erhalten sich in gehobener Stimmung, die in der Innigkeit des Ehe- und Familienlebens, in strenger Kinderzucht, in der Gastlichkeit und Wohltätigkeit zum Ausdruck kommt. Es entfaltet sich hier ein Reichtum an geistigen Anregungen und sittlichen Befriedigungen, der wohl imstande war, für manche bittere Erfahrung zu entschädigen. Auch an Seelenkämpfen fehlt es nicht, die durch den Eintritt deutscher Bildungsversuche und die veränderte Kleidertracht herbeigeführt wurden. Die fesselnde Schilderung macht das Buch zu einer ebenso anregenden wie belehrenden Lektüre.

Wien.

Oberrabbiner Dr. M. Güdemann.

Pester Lloyd.

»Ich bitte die Leser um Nachsicht. Ich bin keine Schriftstellerin und mag auch nicht als solche erscheinen. Ich bitte nur, diese Aufzeichnungen als das Werk einer alten Frau anzusehen, die einsam in der stillen Dämmerung ihres einsamen Lebensabends schlicht erzählt, was sie in einer ereignisvollen Zeit erlebt und erfahren.« Wahrlich, jeder Versuch einer sachlichen Kritik und Würdigung dieses Buches wäre eine Blasphemie. Solange wir unter dem Banne der Lektüre stehen, kommt uns die Erwägung gar nicht in den Sinn, ob diese Blätter vom rein künstlerischen Standpunkt aus überhaupt eine literarische Existenzberechtigung haben, und selbst wenn wir das Buch schon lange aus der Hand gelegt, empfinden wir nur das Gefühl verehrungsvoller Dankbarkeit für diese feinsinnige Großmutter, die uns so großmütig aus dem reichen Schatz ihrer abgeklärten Lebenserfahrungen teilnehmen läßt. Mit liebevollen, behutsamen Frauenhänden entrollt Pauline Wengeroff heitere und ernste, aber immer gleich farbenprächtige Genrebildchen aus dem jüdischen Familienleben; Bilder, von denen jedes einzelne durch seinen eigenartigen strengen Reiz unser Herz gefangen nimmt, die aber dann in ihrer Gesamtheit sich zu einem imposanten Kulturgemälde runden. Was die temperamentvolle Greisin da von Emanzipation der lithauischen Juden erzählt, mutet uns wirklich an wie ein Märchen aus Großmütterchens liebem Plaudermunde; aber ein ganz modernes Märchen, vom schicksalsschwangeren Feuergeiste unserer Zeit durchweht. Mit zauberhafter Geschwindigkeit verdrängt die Morgenröte einer neuen Epoche die Nebel des Ghetto. Manch liebliches Bild, das nur im Dämmer gedeihen konnte, muß der unbarmherzigen Helle weichen. Aber wie zahlreich auch die Opfer der Übergangszeit gewesen sein mögen, der Platz an der Sonne war den Juden damit nicht zu teuer erkauft. Schmerzlich süß muß es für diese Großmutter sein, in diesen freud- und leidvollen Erinnerungen zu wühlen. Wahrhaft heroisch ist es jedenfalls, diese zarten Herzensblüten vor der großen, blasierten Menge auszubreiten. Aber wenn auch nur wenige sich finden sollten, denen aus diesen vergilbten Blättern erquickender Duft bis ins tiefste Gemüt dringt, so werden diese wenigen um so gespannter der weiteren Plaudereien der Großmutter harren.

Tägliches Unterhaltungsblatt der Posener Neuesten Nachrichten.

Den bisher ganz vereinzelten Memoirenwerken der jüdischen Literatur reiht sich hier ein Werk an, das uns einen tiefen, charakteristischen Einblick in die große Übergangszeit der Aufklärungsperiode unter den Juden Lithauens gestattet. Pauline Wengeroff ist eine der ersten, die uns diesen Kulturschatz aufzeigt, und sie tut es mit so inniger Liebe und Pietät, mit so seltener Treue und Wahrhaftigkeit, mit mildem Humor und feinem psychologischen Takt, daß man mit größtem Interesse ihren liebenswürdigen Schilderungen folgt. Wenn mau diesen ersten Band gelesen hat, wird man mit um so lebhafterer Erwartung dem zweiten entgegensehen.

Unterhaltungsblatt des Fränkischen Kurier.

Die jüdische Literatur besitzt nur sehr wenige Memoirenwerke. Aus dem jüdischen Leben in Rußland dürfte nur ein einziges, die »Zapiski Jewreja« von Gregor Isaakowitsch Bogrow, bekannt sein. Diesem Werke, das einen tiefen und charakteristischen Einblick in das Leben und Treiben der Juden in Rußland zu Anfang des vorigen Jahrhunderts eröffnet hat, schließen sich die Memoiren von Pauline Wengeroff ebenbürtig an. Mit inniger Liebe und großer Pietät, mit seltener Treue und aufrichtiger Wahrhaftigkeit, mit einem milden, verklärenden Humor und feinem psychologischen Takt erzählt sie wichtige Episoden aus einer großen Übergangszeit, aus der Zeit, in welcher die Aufklärung unter den Juden in Rußland die Nebel, die bis dahin über dem russischen Judentum lagerten, zu durchbrechen begann.

Essener Volkszeitung.

Es ist ein Buch, das uns in breiter, behaglicher Form das Leben der Juden in der Stadt Brest in Litauen vorführt. Die Verfasserin blickt bereits auf siebzig Jahre zurück, und sie hat sogar die Eindrücke aus ihrer frühesten Kindheit mit bewundernswerter Genauigkeit im Gedächtnis behalten. Der vorliegende Band schildert die Zeit, wo die Juden noch ungestört nach ihren alten Sitten und Gebräuchen und in ihrer eigenen Tracht in Rußland leben konnten, sowie den Anfang des von der Regierung eingeleiteten Reformwerkes. Eine Menge charakteristischer Einzelzüge aus dem Leben dieses Volkes finden wir hier mit gewissenhafter Sorgfalt verzeichnet. Es sind ganz eigenartige kleine Kulturbilder, die auch für den Forscher von Wert sein werden und in denen nebenbei auch die Kenner des jüdischen Jargons eine reiche Ausbeute finden werden. Besonders muten uns die Schilderungen des behaglichen, engumgrenzten Familienlebens dieser Juden alten Schlages an, dies feste Zusammenhalten der einzelnen Familienglieder, der Eltern und der Kinder, selbst wenn diese schon selbst verheiratet waren. Jeder, der den ersten Teil dieser interessanten und auch in der Form gut abgerundeten Memoiren gelesen hat, wird der Fortsetzung mit Spannung entgegensehen.

Breslauer Zeitung.

Selten haben in kurzer Zeit so mächtige Wandlungen in einer Bevölkerungsschicht stattgefunden als unter den russischen Juden Litauens, jahrhundertelang wie bewegungslos, einem Bilde gleich verharrend, hat ganz plötzlich eine gewaltige Umgestaltung dort Platz gegriffen und gewitterartig Veränderungen geschaffen. Das Interesse für dieses Eckchen Unkultur und Kultur ist ein allgemeines geworden, und insbesondere die Verfolgungen, denen die russischen Juden ausgesetzt waren, ließen die Augen der ganzen Welt sich nach jenen Gegenden richten. Da interessiert es denn besonders, wenn ein Buch uns mit Schilderungen bekannt macht, die noch von keinem Hauche der Neuzeit berührt wurden, und doch finden wir dort eine Fülle von interessanten Tatsachen, von Phantasie, dichterischer Begabung, eigenartiger Bildung und sonderlicher Zustände. Man wird deshalb mit großem Interesse das Buch »Memoiren einer Großmutter« lesen und es gleich einem interessanten alten Bilde auf sich wirken lassen.

Ost und West, Berlin.

Ein Buch der Erinnerungen. Wir haben diese stillen Dämmerstunden der sabbatlichen Nachmittage alle selbst erlebt. Und glühend haben unsere Kinderaugen zur Großmutter geblickt und Großmutters Träume zogen wie wundersame Helden-Scharen in unsere Seelen ein.

Nicht als Erlebnis: – als Traumgebilde voll blasser, milder Farben, voll schwermütigen Dämmerglanzes knüpft sich das Einst an das Heute. Und so erscheint uns das Einst immer so reich an Frieden, selbst wenn es noch so stürmisch war und die blaue Blume der Romantik blüht auf der Stätte, die eines Ahnen Fuß beschritt…

Eine Großmutter erzählt von altem Leben und eine Welt der Stille, idyllischer Enge und einer die Seelen befreienden Gebundenheit steigt vor uns auf. Aber sie würde wieder versinken. Die Enkel wachsen heran und von Großmutters Erzählungen bleibt nur süße körperlose Erinnerung. Das Wort verfliegt. Die Melodie nur bleibt. Akkorde, —

Ein sabbatlicher Spätnachmittag… Heimlich und verstohlen gleiten scheue Sonnenstrahlen durch das dichte Netzwerk der Gardinen und zeichnen matthelle, seltsam verästelte, verschlungene Linien auf den dunklen Eßtisch.

In einem Winkel sitzt Großmutter in ihrem Lehnstuhl, und die Enkel drängen sich an sie, und die Dämmerung hüllt sie mit dunkeldichtem Schleier ein…

Großmutter erzählt von fernen Tagen; von Menschen, die ferne sind, weit, weit, wo Gottes stille Himmel liegen; von einem Leben, das längst erstorben.

Großmutter erzählt: Ein süßes Behagen läßt jedes Wort aufquellen; selige Erinnerungen steigen lächelnd auf; und eine milde Trauer flutet weich um die versunkene Vergangenheit und dämpft die Worte zu stiller Ergebung.

Großmutter erzählt: Und Seufzer schleichen durch das Dunkel. Und die Kinder lauschen und lauschen. Es ist wie ein Märchen…

Es fehlt den Juden nicht der Sinn für einstiges Geschehen. Der Zwang der Tage, das Joch des Heute hielt nur immer die Seelen gefesselt. Die Großmütter, die in den engen Stübchen ihre Gebete flüstern, hüteten – frei von der Frohnde des Daseinskampfes – den Schatz der Erinnerungen. Und hätten sie alle nur die Erzählungen aufgeschrieben, denen im Dämmer sabbatlicher Nachmittage ihre Enkel gelauscht, die Geschichte unseres Volkes läge vor uns, festgefügt und durchglüht von einem Stimmungszauber, den niemals ein Historiker wird ahnen lassen können.

Das Wort war behende. Doch die Hand war schwach und welk… Und so trug der Tod zugleich mit den Hütern der Vergangenheit die Vergangenheit ins Grab. Nicht was einst war und was einst geschah, bildet den intimen Reiz der Geschichte. Das mag die Sorge des hockenden Chronisten sein, der wie ein geiziger Wucherer die Einzelstücke aneinanderreiht und aufeinander schichtet. In den Geschehnissen und Menschenschicksalen suchen wir das Einzelschicksal. Wir kennen wohl die Wirkungen großer Ereignisse als kompakte Größen; und der Philosoph wird aus diesen Werten den Weg der Geschichte, die Richtung der Entwicklung, aus der Verworrenheit der wirksamen Faktoren die Gesetzmäßigkeit, aus allen Brutalitäten ringender Mächte den Sinn, den Geist der Geschichte ableiten. Aber verhüllt sind uns die einzelnen kleinen Komponenten der geschichtsschreibenden Kräfte: wie der einzelne Mensch die Geschichte beeinflußt und wie er von der Geschichtsentwicklung beeinflußt wird. Denn ein Nehmender und Gebender, zugleich Schöpfer und Geschöpf, Baumeister und Baustein, Subjekt und Objekt der Geschichte ist das Individuum. In diese wundersame Gewalt des Werdens, des Wandelns, der ewigen Umformung läßt uns die mikroskopische Geschichtsforschung blicken. Diese »Andacht zum Kleinen« – wie Grimm sie genannt – schafft und verinnerlicht die Weihe für den wuchtigen Schritt Gottes in der Geschichte. Die Sonne spiegelt sich in den kleinsten Tautropfen und gigantischen Epochen der Vergangenheit in der Seele des niedrigsten Zeitgenossen. Aus diesen Erkenntnissen ist allmählich der Sinn für die Familienforschung erstanden, das Interesse für den Briefwechsel zwischen Menschen früherer Geschlechter, die Lust an Memoirenwerken … »Großmutter erzählt…«

Das neuere jüdische Schrifttum ist arm an solchen nachdenklichen Erinnerungen und es kann wohl nicht anders sein. Familienforschung! Wie kann Familienforschung den Spürsinn regen, wo in unserer Gemeinschaft ängstliche Scheu die Kette der Geschlechter zerbrechen möchte? Ein jeder möchte ein Autochthone sein – gewachsen aus der Erde, geworden durch eigene Kraft. Wir haben noch nicht den Mut, von der geduldigen Märtyrerkraft unserer Ahnen zu sprechen, noch nicht den Sinn, die stille Schönheit ihres engen Seins zu rühmen. Wer möchte das Leben seines Urahns erforschen, der mit dem Packen auf dem Rücken von Dorf zu Dorf keuchte, mit alten Kleidern handelte – und doch ein ganzer Mensch war: unbarmherzig gegen sich, weil das Wissen um Gottes Barmherzigkeit in ihm war… Wir haben noch nicht die Kraft der festwurzelnden Persönlichkeit, den billigen Witz zu verachten, den der Tor über das armselige, erzwungene äußere Leben unserer Ahnen machen könnte. Wir wagen noch nicht laut zu sagen, daß sie nur Knechte schienen und freie Menschen waren, die in Not und Wanderelend danach rangen, würdig zu werden der Gnade, im Ebenbilde Gottes erschaffen zu sein. Wir haben uns noch nicht emanzipiert von dem Hochmut der eben erst bürgerlich Emanzipierten, über Sitte und Brauch unserer Ahnen, über ihre Vorstellungen und Gedanken zu lächeln. Wir haben die Phrase noch nicht überwunden – die Phrase, die unsere ganze Armut bloslegt: Moderne Menschen. Mit dieser Phrase wollen wir das eiserne Band zerhauen, das uns an die Ahnen schmiedet. Bilden wir uns ein – und ist doch ein Strohhalm in der Hand eines Kindes.

»Großmutter erzählt.« Von ihrer Welt! Wie weit wären wir, könnten wir erst ohne ängstlich umherblickende Voreingenommenheit mit Großmutter durch ihre Zeiten wandern. Sie faßt uns gütig an der Hand und führt uns: ein kleines Städtchen, ein niedriges Häuschen, sogar mit einer richtigen Vortreppe – also ein Herrensitz! – ein paar winklige Gassen, ein dunkles Cheder – und da lebt man!

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 haziran 2018
Hacim:
240 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
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