Kitabı oku: «Schüchterne Gestalten», sayfa 12
Als sein Mittelklassewagen in der Einfahrt verschwand, schlossen sich die beiden Tore unmittelbar danach selbständig.
Jutta Kundoban schlug um sich, vergrub sich in ihr Kissen und unter die Decke, mit der Claudia sie vor dem Einschlafen zugedeckt hatte.
Nein, nein, nein. Jetzt nicht!
Ihr Telefon gab weder nach noch Ruhe. Der Anrufer war hartnäckig und legte nicht auf. Okay, jetzt war sie wach. Sie suchte nach dem Quälgeist und sah auf das Display „Jan Remsen“. Mehr widerwillig als mit Enthusiasmus nahm sie den Anruf entgegen.
„Wissen Sie, wie spät es ist?“
„Ja Moment, ich schaue mal nach.“ Remsen war tatsächlich auf dem Weg zur Uhr, um Jutta die Zeit anzusagen.
Dieser Spießer!
„Weit nach Mitternacht. Hatten Sie schon geschlafen? Es täte mir leid, Sie geweckt zu haben.“
„Wo waren Sie denn heute Nachmittag? Der arme Dietering war auf der PK richtig hilflos. Was gibt’s eigentlich? Warum haben Sie mich mitten in der Nacht angerufen?“
„Sagt Ihnen der Name Grundberg etwas? Sie sind doch von hier?“
„War mal ein Parteibonze in der Gegend, schon lange her. Entweder ist der jetzt uralt oder schon unter der Erde. Warum interessieren Sie sich für den?“
„Ich frage mich die ganze Zeit, warum CodeWriter mit Safety Objects Geschäfte gemacht hat, obwohl Abtowiz nicht gerade als seriös daherkommt.“
„Was wissen Sie, Remsen?“
„Ich probiere gerade eins und eins zusammenzuzählen und komme auf kein Ergebnis. Der alte Weilham geht zu der Zeit mit Abtowiz essen, in der sein Sohn einen Hirsch umfährt und danach am Baum bammelt. Abgeschlachtet, ausgeblutet. Tags darauf fallen beide übereinander her. Gefällt mir nicht.“
„Ja und, können wir das nicht morgen durchgehen? Ich möchte jetzt schlafen.“ So langsam wurde sie ungnädig mit ihrem Kollegen.
„Da ist noch was. Eigentümer von CodeWriter sind nicht nur Weilham und Hausmann. Da gibt es noch einen Dr. Stahlburg. Der wurde gerade in die Notversorgung gebracht. Umgefallen, irgendwie?“
„Den kenn ich, denke ich. Woher wissen Sie das?“
„Was, das mit dem Kollaps?“ Remsen mauerte, wie immer.
„Nein, das mit der Beteiligung von dem Dr. Stahlburg an CodeWriter. Warum hat uns das Weilham nicht erzählt?“
„Sie haben doch gesagt, steht alles im Internet. Ein wenig surfen und schon weiß man, dass Hausmann und dieser Stahlburg partiell miteinander arbeiteten. Stahlburg kannte den Hausmann schon sehr lange und assistierte ihm bei der Gründung von CodeWriter. Hausmann hielt immer mal wieder an der Berufsschule von Stahlburg Vorträge, so als Mann aus der Praxis; glaubwürdiger.“
„Was hat das alles mit unserem Fall zu tun?“ Jutta stierte ihr Telefon an und warf es wütend auf die Couch.
Remsen legte einfach auf.
Ich weiß es nicht, murmelte Remsen als Antwort.
Montag, 15. November 2010, ein Novembertag
Der Montagmorgen war, wie ein Montagmorgen im November sein muss: Trist, grau, wolkenverhangen. An solchen Tagen muss Remsen sich besonders motivieren, diesen Tag als seinen Freund zu betrachten.
Remsen saß im Taxi und studierte das Vesberger Tageblatt. Der Guther ist ein Meister seines Fachs. Fast schon übermütig spitz nahm er die Pressekonferenz auseinander, führte mit einem Tag Verzögerung ein zweites Mal Stiegermann vor und ließ ihn in recht schlechtem Licht erscheinen.
Nichts, aber auch gar nichts wusste die Polizei. Nur scheinbare Teilerfolge, mutmaßliche Indizien und Hinweise, denen nachgegangen wird. Und ganze PKs bestritten werden. Faktisch haben die Ermittler nichts vorweisen können.
Zwei ganze Tage ohne ein Ergebnis!
Remsen hatte seinen Spaß beim Lesen, besonders dann, als Guther recht vehement nachfragte, warum der Leiter der Ermittlungen bei der PK nicht mit anwesend war. Soll er doch. Jeder, der es wollte, konnte gesehen, wie gelackt und blasiert Stiegermann Fragen abwies und die Journalisten ins Leere laufen ließ.
Wieder in seinem Buick, suchte er im Handschuhfach nach einer passenden CD, die nach seiner Einschätzung dem mausgrauen Morgen angemessen erschien. Seine Wahl fiel auf Neil Young, der ein Solokonzert, nur auf der Gitarre bestritten, mit der Veröffentlichung viel später auch Remsen zugänglich machte. Sein „Dreamin‘ Man“ ist genial, Remsens Lieblingsstück mit Abstand ist „Old King“. Das passt heute, also rein damit und schön laut.
Im Büro ging es schon laut zu. Jutta Kundoban telefonierte mit irgendwem und schrie dabei ins Mikrofon. Sie beachtete Remsen nicht, als dieser leicht grinsend und zustimmend nickend an ihr vorbei zu seinem Schreibtisch ging.
Die beiden Verstärker in seinem Team bestückten inzwischen die Ermittlungswand mit Bildern, Zeitungsausschnitten und Fragmenten von Dokumenten und Notizen. Er erkannte die beiden Weilham's und Igor Abtowiz. Zum ersten Mal sah er Karl Hausmann auf einem der Bilder. Auf ihn wirkte dieser überhaupt nicht wie ein Macher. Da hatte Stahlburg mit Sicherheit viel rein interpretiert. Ach ja, Stahlburg – der fehlte natürlich auf die Landkarte.
Remsen suchte sich einen schwarzen Filzstift und notierte „Oberstudienrat a.D. Dr. Kurt Stahlburg“ oberhalb der CodeWriter und zog Verbindungspfeile von Hausmann und Georg Weilham zu ihm.
„Wer bitte ist das denn? Muss ich den kennen?“ Kundoban stand mit einem Zettel in der Hand jetzt auch der Wand und sah Remsen fragend an.
„Ein alter Freund von mir. Na, Freund ist vielleicht etwas überzogen, aber jemand, der eine ganze Menge weiß und mir schon einige Male mit Informationen weitergeholfen hat.“
Remsens lässige Antwort ließ seine Kollegin leicht explodieren. Zumindest nahm ihre Gesichtsfarbe kräftigere Züge an, als draußen das Wetter sich heute gab.
„Und was hat dieser Oberstudienrat a.D. Ihnen denn so alles erzählt? Wäre doch schon, wenn Sie Ihre Informationen mit uns teilen würden – oder nicht?“
Remsen plante das ohnehin, denn schließlich wusste er, was er an seiner jungen Kollegin hatte. Sie war zuverlässig und selten beleidigt, wenn er mal wieder ein Fettnäpfchen nicht ausließ. Persönlich nahm sie das nie, deshalb verdiente sie es sich in seinen Augen, mit Sonderinformationen einen Montagsmorgenmotivationsschub von ihm zu bekommen. Zumal er ihr gegenüber wegen gestern Nacht ein schlechtes Gewissen hatte. Ein wenig zumindest.
„Als ich hier nach Vesberg kam und die Geschichte mit der illegalen Schwarzarbeit bearbeitete, konnte mir Stahlburg helfen und Informationen liefern, damit wir die Mörder des Professors finden konnten.“
Im Schnelldurchlauf fasste Remsen seine Erkenntnisse aus dem Gespräch mit Stahlburg gestern Abend zusammen und sparte dabei auch nicht mit Schlussfolgerungen. Was er allerdings nicht erwähnte, war, dass der ehemalige Oberstudienrat nach einem Kollaps jetzt auf der Intensivstation lag. Remsens Meinung nach könnte seine Kollegin nur auf dumme Gedanken kommen und ihn als möglichen Hauptbelasteten ansehen.
Er wollte ihre Aufmerksamkeit ablenken und erkundigte sich nach dem merkwürdigen Telefonat vorhin: „Was war das vorhin für ein lautes Geschrei am Telefon?“
„Da war Nöthe dran. Er ist jetzt in Lemberg und etwas Stress mit der Einreise. Ihm dauerte die zu lange und ganz geheuer war die Prozedur der Befragung auch nicht, sagte er. Jedenfalls war er schlecht zu verstehen und klang ziemlich genervt.“
„Wahrscheinlich kann er kein Russisch und versteht dort kein Wort. Kann ich mir schon lebhaft vorstellen, wie Nöthe schwitzend in der Schlange steht. Wann trifft er unsere Kollegen dort? Holen die ihn vom Flughafen ab?“
„Ja, schaut so aus. Nöthe meinte, die hätten gleich auch einen Termin bei diesem Dmytro Lypar. Danach will sich Nöthe wieder melden.“
„Der fehlt hier!“ Remsen deutete auf die Wand mit den Bildern und Pfeilen.
„Wer? Nöthe?“
Remsen ließ die Frage unbeantwortet und beteiligte sich erneut als Zeichner und malte in der Nähe von Carsten Weilham ein weiteres Kästchen, schrieb darin „Zentrale Gebäudeüberwachung Lemberg“ und den Namen des Chefs. Zum Schluss verband er mit einem weiteren Pfeil sein Werk mit dem Konterfei vom toten Weilham.
Ganz unbemerkt versammelte sich die gesamte Mordkommission an der Wand. Die allmorgendliche Zeremonie hat etwas von einer Arbeitseinteilung.
Remsen übernahm das Kommando. „Haben wir schon den Abschlussbericht von Dr. Ansbaum?“
Einer der beiden Verstärker schüttelte den Kopf: „Noch nicht, soll aber bis Mittag vorliegen. Bis jetzt kennen wir die Aussagen, dass Carsten Weilham an übermäßigen Blutverlust gestorben ist. Er hatte erhebliche Verletzungen und Stauchungen, als man ihn im Wald aus seiner misslichen Lage befreite und vom Baum abschnitt. Seine Beifahrerin ist tatsächlich eine Ukrainerin, so wie es der Doc. schon vermutete. Hier müssen wir noch das genaue Untersuchungsergebnis abwarten. Bis jetzt steht die Vermutung im Raum, dass ihre Todesursache ein Genickbruch war.“
Remsen nickte seinen Kollegen zu: „Danke und bitte bleiben Sie dran, damit wir recht schnell die Abschlussberichte erhalten. Hatte die Spurensicherung noch mehr herausgefunden, als wir ohnehin schon wussten? Autospuren? Fingerabdrücke am Hirsch oder so?“
Seine Mitstreiter schüttelten die Köpfe.
„Wegrennen konnte der Hirsch ja wohl kaum. Okay, dann fragen Sie bitte bei Günther Reiken nach. Der war Freitagnacht am Tatort und hat die Untersuchungen geleitet. Wer übernimmt das?“
Wieder nickte der erste der beiden Verstärker und machte sich eine Notiz.
Remsen lag nach: „Bis Mittag brauche ich von den Kollegen der Spurensicherung alle Informationen, damit wir nichts übersehen und in alle Richtungen ermitteln.“
Wie auf Kommando nickte das gesamte Team.
Bis auf einen!
„Guten Morgen.“ Kriminalrat Dietering trat zur Ermittlungswand, sah zunächst in die Runde und dann auf die Wand. Lange, sehr lange studierte er alle Informationen, wiegte den Kopf nach links und rechts und dachte nach.
„Wo ist eigentlich Ulrich?“ Remsen war gleich wieder angefressen: Warum musste Dietering gleich wieder den Chef raushängen lassen.
„Hier!“ Hanns-Peter Ulrich, der gerade ins Büro kam, deutete auf zwei Tüten in der Hand, die eindeutig aus einem Bäckerladen stammten.
„Gibt’s was Neues? Habe ich was verpasst?“
„Nöthe versucht gerade, in die Ukraine reinzukommen. Der hat tatsächlich den ganz frühen Flieger genommen.“
Dietering stufte die Informationen nicht als neu und interessant ein und schaute weiter angestrengt auf die Wand. „Typisch Stahlburg“, murmelte er. „Woher kennen Sie ihn denn?“ Er wandte sich dabei an Remsen, da er sicher davon ausging, dass Remsen diesen Kontakt beisteuerte.
„Guter Bekannter von mir, hat viele Informationen beigesteuert und mir gestern eine ganze Menge von Weilham und Hausmann und vom Anfang der CodeWriter erzählt. Er ist, nee er war viele Jahre an der Berufsfachschule für Informatik hier aktiv. Stahlburg hat erstaunlich gute Kontakte in die Informatiker-Clique hier, weiß jede Menge und hat die beiden damals vor 15 Jahren bei der Gründung von CodeWriter beraten.“
„Was Konkretes hat er nicht gesagt? Klingt alles so banal Remsen.“
„Das Gespräch gestern, es war keine Vernehmung, vernahm einen er ungeplanten Verlauf. Der Mann hat das Gespräch beinahe nicht überlebt und einen Kasper bekommen. Jetzt liegt er in der Intensivstation. Was immer er noch zu sagen hätte, ich werde es hoffentlich bald erfahren.“
Remsen schaute etwas verlegen seine Kollegin an, in deren Augen ganz deutlich der Vorwurf abzulesen war, den Remsen jetzt erwartete. Wenn Blicke töten könnten, wäre für ihn die Ermittlung gelaufen. Das mit dem Kollaps hätte er Kundoban sagen müssen.
Mia Culpa.
„Was meinen Sie – kann man da noch was erwarten? Oder versiegt die Quelle wie bei Ihnen schon so oft?“ Dietering schien es überhaupt nicht zu gefallen, wenn Remsen mit verdeckten Karten spielt. Ja klar, der Remsen kommt so an Informationen, die schon manche Ermittlung zum Durchbruch verholfen haben. Aber muss das immer sein Ermittlungsleiter sein, der dann die Früchte erntet? Er, Dietering, war hier der Boss und nur er sah sich in der Rolle, Ergebnisse, und zwar in Form von Erfolgen, zu präsentieren.
Remsen nicht, basta!
„Kann ich nicht sagen Chef. Diese Quelle sprudelte, bis sie vorerst versiegte. Ich glaube nicht, dass Stahlburg uns wirklich weiterhelfen kann und wird.“
„Bleiben Sie dran Remsen. Sobald er aufwacht, soll er Ihr Gesicht erblicken und weiter mit Informationen sprudeln.“
Remsen antwortete nicht; er dachte nach: Wie war er bloß auf die Idee gekommen, seinen Informanten an der Ermittlungswand preiszugeben? Andererseits wäre es irgendwann allen aufgefallen, dass er, und zwar nur er, mal wieder mehr weiß, als seine Kollegen.
Also zuckte er nur mit den Achseln und wechselte das Thema: „Hanns-Peter, was wissen wir inzwischen über den Brandanschlag vom Sonnabendabend auf das Haus der Weilham's?“
Sein Partner biss gerade in so etwas wie eine Streuselschnecke, die er aus einer seiner Tüten fischte. Den Mund voll und damit unfähig, jetzt und ohne Schäden für die Umstehenden zu sprechen, tat er es Remsen gleich und zuckte auch nur mit den Schultern. Parallel dazu schüttelte er den Kopf.
Einer der beiden Verstärker übernahm für ihn: „Die Kriminaltechniker haben gut gemachte Molotow Cocktails identifiziert. Es schaut so aus, als ob da Profis am Werk waren. Wir warten noch auf einen Bericht von Reiken.“
„Zwei, jetzt sind es zwei Berichte.“ Remsen war wieder einmal der Spielverderber. „Ich gehe davon aus, dass Reiken uns beide Berichte bis Mittag vorlegt. Bleiben Sie bitte dran, denn je eher wir alles ganz genau wissen, umso besser können wir unsere Ermittlungen koordinieren. Jede verlorene Stunde verschafft unseren unbekannten Freunden einen weiteren Vorsprung.“
Ulrich schaffte es inzwischen, wieder am Gespräch teilzunehmen: „Die Befragung der Nachbarn hat absolut nichts ergeben. Wir wissen nur, dass Frau Weilham gesehen haben will, wie ein schwarzer SUV ziemlich schnell davongefahren ist. Auch wenn die Frau recht wirr erschien, ist das der einzige und bislang beste Hinweis auf mögliche Täter. So viele schwarze SUVs fahren in Vesberg nun mal nicht rum.“
„Aber in Osteuropa, die Grenze ist nah und der SUV ist mit Sicherheit in Sicherheit.“ Remsen musste grinsen, denn solch ein doppeltes Wortspiel gelang ihm selten aus dem Stand. Schon gar nicht am Montagmorgen!
„Ich werde mich gleich um den Streit zwischen CodeWriter und Safety Objects kümmern. Was immer dahinter steht, ich finde es raus. Mal sehen, wie behilflich das Landgericht ist. Vielleicht finden wir dort einen Hinweis zu einem möglichen Mordmotiv. Es kann doch nicht sein, dass Weilham und Abtowiz sich vor Gericht streiten, gemeinsam essen gehen und nebenbei sein Sohn, der junge Weilham aufgeknüpft wird. Das passt einfach nicht.“ Die Frau in der Runde, Jutta Kundoban, wollte sich auch am Gespräch und an den weiteren Ermittlungen beteiligen.
Dietering schlich noch immer an der Ermittlungswand herum und konzentrierte sich auf die rechte Seite. Rechts bedeutete hier Osteuropa. Ein Pfeil zeigte von Abtowiz in Richtung Polen. Kleine Kreuze auf polnischem Gebiet deuteten bisher bekannte Kunden oder einfach nur Geschäftspartner von CodeWriter dort an. In der Ukraine gab es nur die Zentrale Gebäudewirtschaft, die Weilham jun. in Lemberg besuchte. Mehr Kontakte schien CodeWriter bisher nicht in die Ukraine zu haben. Jetzt nahm er sich einen Stift und kreiste den Namen ‚Dmytro Lypar‘ ein und verband das Kästchen mit dem von Igor Abtowiz. Er drehte sich zu seinem Team um und zeigte mit dem Stift auf das Fragezeichen, welches jetzt die Verbindungslinie zwischen beiden zierte: „Kennen sich die beiden? Was wissen wir von diesem Lypar aus Lemberg? Was ist, wenn Abtowiz mit seiner Firma auf Expansionskurs und diesem Lypar in die Quere gekommen ist?“
„Oder umgekehrt?“ Ulrich grinste in die Runde. „Kann ja sein, dass die Ukrainer hier aktiv waren oder es vorhaben. Wenn Lypar ein Oligarch ist oder hinter ihm einer anderer die Fäden zieht, dann ist es doch nicht unwahrscheinlich, dass CodeWriter in bester Absicht Geschäfte machen wollte und zwischen die Fronten geraten ist. Kann doch sein.“
„Wir werden sehen, was uns Nöthe erzählt. Der ist hoffentlich gerade bei diesem Lypar und hört sich dessen Geschichte an.“ Kundoban wollte daran glauben, dass die Reise ihres Kollegen nicht umsonst war.
Dietering war allerdings anderer Meinung: „Wie gut sind denn die Sprachkenntnisse unseres Kollegen. Ich glaube kaum, dass der Ukrainer perfekt Englisch oder sogar Deutsch spricht. Schon alleine deshalb gebe ich nicht viel auf die Aussagen.“
„Ja, ja, aber Nöthe ist ja nicht allein dort unterwegs. Die Kollegen aus Lemberg helfen und übersetzen.“
„Wenn Lypar irgendwas mit Oligarchen zu tun hat, dann gehen Sie bitte davon aus, dass von dem keine Hilfe zu erwarten ist und Nöthes Reise nichts Verwertbares bringt.“ Dietering blieb pessimistisch.
Irgendwie gerat die Runde ins Stocken, niemand konnte oder wollte irgendetwas zur Besprechung mehr beitragen. So schauten alle abwartend Remsen an, der verdutzt zu seinen Kollegen sah und verlegen den Kaffeebecher drehte.
Dietering versuchte, seinen Ermittlungsleiter in der Runde unter Druck zu setzen: „Und Sie Remsen, was haben Sie heute vor?“
Remsen war mit einem Mal gar nicht mehr verlegen und entgegnete: „Chef, ich habe gleich eine Verabredung an der Berufsschule. Dort treffe ich den Direktor, der auch schon zu Zeiten von Stahlburg dort aktiv und angeblich lange Zeit ein enger Kollege von ihm war. Ich...“ Sein Telefon klingelte, Remsen sah auf das Display und meinte lapidar: „Da muss ich rangehen, Entschuldigung.“
Er entfernte sich von der Runde und nahm das Gespräch an. Obwohl Dietering und wahrscheinlich auch die anderen versuchten, ganz genau hinzuhören, konnten sie definitiv nichts aufschnappen. Remsen redete für seine Verhältnisse lange und gestikulierte mit dem freien Arm herum. Dann schien er einige Zeit seinem Gesprächspartner zuzuhören, um sich danach in Rage zu reden. Abrupt beendete Remsen das Gespräch und verließ auf direktem Weg das Büro.
Remsen saß in seinem Buick und drehte kräftig an der Lautstärke. Ziemlich intensiv dröhnte Neil Young mit seinen Crazy Hourse, Like A Hurricane; super Aufnahme von denen in SFO. Die Solo-CD von heute Morgen lag verächtlich hingeworfen auf dem Beifahrersitz. Wenn Stahlburg abkratzt, dann geht mir eine richtig gute Quelle verloren. So erfahren wie er war, so sehr beschlich ihn die Angst, dass mit Stahlburg jemand aus dem Spiel ausscheiden könnte, der verdammt viel zur Lösung des Puzzles beitragen könnte.
Vielleicht sogar mehr!
Er bekam einen Anruf von der Intensivstation und war mehr als besorgt. Seine vor Stahlburg‘s Zimmer platzierte Wache war am Telefon. Diese sollte ihm jede Regung, jedes Wimpernzucken des Patienten sofort mitzuteilen. Allerdings war der junge Beamte hoffnungslos überfordert, als Ärzte und Schwestern in einiger Aufregung in das Zimmer von Stahlburg stürmten. Wen sollte er jetzt benachrichtigen und wer müsste überhaupt wissen, dass es dem Patienten schlechter ging? Also rief er Remsen an.
Offensichtlich schlug einer der Apparate Alarm und Remsen seinerseits am Telefon so einen Terz, dass es der Beamte dann doch geschaffte, einen der Ärzte ans Telefon zu bekommen. Was Remsen da hörte, deutete auf ein schnelles Ende von Stahlburg hin.
Trotz allem hielt sich Remsen mit seinem Buick an die Regeln, beachtete Ampeln und übertrieb es nicht mit der Geschwindigkeit. Er hätte durchaus Anlass genug gehabt, die beliebte blaue Lichtorgel auf dem Dach anzubringen, um damit vielleicht einige Augenblicke eher am Klinikum anzukommen.
Nein, das war nicht nötig. Er beschäftigte sich zu sehr mit der möglichen Rolle, die Stahlburg bei CodeWriter gespielt haben könnte. Das Dreieck Stahlburg – Abtowiz – Hausmann biss sich in seinem Hirn fest. Immer wieder ging er mögliche Verbindungen durch, dichtete für jedem Motive für einen Mord, nein für alles an, verwarf alles wieder und begann erneut mit seinen Theorien.
Welche Feinde sollte der junge Weilham haben? Denn er war es ja, der am Freitagabend dran glauben musste. War das so geplant oder hatte er aus welchem Grund auch immer einfach nur Pech gehabt?
Beinahe übersah er die Einfahrt zum Klinikum. Da er keinen Parkplatz fand, nahm er sich einen der für die Geschäftsleitung reservierten Plätze; nicht ohne vorher noch seine staatliche Autorität deutlich sichtbar hinter die Frontscheibe zu platzieren.
Remsen erkundigte sich nach der Intensivstation und danach, wo er den Patienten Stahlburg finden könnte. Selbst das war nicht einfach, aber als er seinen Dienstausweis zückte, bekam er die gewünschten Informationen.
Der üble Geruch von Jod und Tinktur. Remsen hegte seit seiner Kindheit eine Aversion gegen jede Form von Krankenhaus, inklusive seiner Pflichtbesuche in der Pathologie. Die dunkle Seite seines Berufs, so sah er es.
„Jan, du hier?“
Remsen schrak förmlich auf, erstarrte kurz und drehte sich in die Richtung, aus der er die Stimme vermutete: Prof. Eilers!
„Schön dich zu sehen. Wie geht’s? Wir sollten mal wieder...“
„Hör auf Jan. Du und ich sind mit unseren Berufen mehr verheiratet als mit unseren Frauen. Sofern vorhanden, natürlich. Warum sollten ausgerechnet wir zwei Zeit für einen gemeinsamen Abend finden. Ausgeschlossen. Es sei denn, ich rufe deine Sekretärin an.“
„Kenn ich nicht. Du, ich suche einen Dr. Stahlburg, der wurde gestern eingeliefert und soll hier auf der Station sein.“
„Ich bin zwar von der Chirurgischen, aber so ganz unbekannt ist mir der alte Informatikprofessor nicht. Hier in Vesberg kennt die Elite sich eben. Hab gehört, dass das Herz nicht mehr so richtig mitmacht und er wohl schon unterm Messer liegt.“
„Doktor. Er hat es nur bis zum Doktortitel gebracht. Weißt du, wer mir sagen kann, ob der durchkommt? Wer ist dort der Chef?“
„Keiner wird dir das sagen, Jan. Ärztliche Schweigepflicht, auch gegenüber Polizisten. Erst wenn er hinüber ist, wirst du von uns etwas erfahren. Ich habe was anderes Interessantes für dich – wenn du schon mal da bist. Komm mal mit.“
Beide wechselten in die Richtung zurück, aus der Prof. Eilers gekommen ist und trotteten nebeneinanderher.
„Was willst du mir zeigen, großer Professor?“
Remsen kannte Erwin Eilers seit seiner Ankunft in Vesberg. Beide waren auf einer Wellenlänge, sich auf einer Geburtstagspartie vom Polizeipräsidenten getroffen und den Kontakt nicht abreißen lassen. Remsen hatte kaum Bekannte, schon gar keine Freunde in Vesberg und war deshalb an einen regelmäßigen Austausch mit Eilers interessiert. Aber, der hatte recht: Beide leben in ihren Universen und werden genau deshalb über Absichten nicht hinauskommen.
„Jan, am Sonnabendabend haben wir einen übel Zugerichteten hinzubekommen. Keine Ausweise, keine Andeutungen, wer er sein könnte“.
„Mit Verlaub Prof., ich bin von der Mordkommission und suche Mörder, keine Schläger.“
Prof. Eilers entschied sich, nach kurzem Überlegen nicht auf die Einwürfe einzugehen.
„Ich hab schon viel gesehen Jan. Aber der Typ hat offensichtlich so eine Abreibung bekommen, dass er nur mit Glück durchkommt. Wenn überhaupt. Brüche, Quetschungen, Schnittwunden und ein fast komplett entstelltes Gesicht sieht man auch nicht alle Tage. Die meisten Zähne dürfte er bei der Rauferei eingebüßt haben.“
„Wie oft denn noch, ich will Stahlburg am Leben wissen und mich nicht von deinen chirurgischen Analysefähigkeiten überzeugen lassen. Weißt du: Mörder ist zu finden ist meine Profession.“
Der Professor machte einfach weiter.
„Er wurde am späten Samstagabend in der Nähe der Uferstraße gefunden. Ein Anwohner war mit seinem Hund nochmal unterwegs. Wir haben nichts gefunden; keine Ausweise, kein Geld – rein gar nichts. Was mich aber wundert, der Mann erscheint sehr gut austrainiert und er hat am linken Unterarm ein Tattoo.“
„Wirklich, das klingt nach einer Rauferei, einem Bandenkrieg oder schlicht nach einem Raubüberfall. Ich hoffe, ihr habt das zuständige Dezernat informiert. Auf jeden Fall ist das nicht meine Baustelle“. Remsen zeigt seinem Freund, wie sehr er genervt war, recht deutlich.
Inzwischen standen sie beide am Bett des Patienten. Nahezu der gesamte Körper war eingegipst oder verbunden. Es wird sicher Wochen dauern, bevor dieser Mann wieder alleine die Klobrille hochklappen kann. Prof. Eilers deutete auf eine gips- und verbandsfreie Stelle und auf ein Tattoo. Remsen sah sich das genauer an: Kyrillische Buchstaben und dazwischen etwas, das aussah wie eine Rose und ein Tiger, der zum darüber Sprung ansetzen will. Oder was man davon noch erkennen kann.
Russische Mafia offensichtlich – hier in Vesberg? Vesberg ist so nahe an Osteuropa dran, dass es fast schon Normalität geworden ist, sich mit den Kriminellen des Ostblocks auseinanderzusetzen.
„Kann ich davon mal ein Foto machen?“
„Also doch interessant Herr Kommissar? Aber nur zum privaten Gebrauch bitte.“
Remsen war ganz konzentriert. „Sieh mal, das Tattoo können Symbole der russischen Mafia sein. Es kann aber auch sein, dass damals in der Sowjetunion Eliteeinheiten sich mit speziellen Symbolen so etwas wie einen Zusammenhalt, eine Identität gegeben haben. Das Bild würde ich gerne mal prüfen lassen. Sonst weiß man gar nichts von ihm hier?“
Er deutete auf den Patienten, der unter den vielen Verbänden lag und machte mit seinem Smartphone einige Aufnahmen.
„Wie gesagt: Mr. ohne Namen, so wurde er hier getauft.“
„Okay, gibt es hier keine Wache vor dem Zimmer? Soll ich das organisieren?“
„Das ist jetzt wirkliche eure Baustelle Jan. Wir flicken ihn zusammen, wenn er mitmacht natürlich nur. Das ist unser Teil der Aufgabe. Ich mag nur nicht, wenn hier auf der Station Scherereien entstehen und jemand versuchen würde, ihn endgültig übern oder in den Jordan zu befördern. Das käme nicht sonderlich gut.“
„Gut, ich frage mal nach. Damit hat sich aber mein Interesse erledigt, den Rest müssen die Kollegen ermitteln. Vielleicht ist es wirklich nur eine Schlägerei gewesen; keine Ahnung.“ Remsen zuckte mit den Schultern, schaute desinteressiert drein und wollte nur noch raus hier.
Benjamin Nöthe fühlte sich unwohl. Erst diese ewige Warterei bei der Einreise, gespickt mit Schikanen der Beamten, die an diesem Montag überhaupt keine Lust verspürten, irgendjemand in ihr gelobtes Land zu lassen. Nöthe konnte sich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass er morgen oder nächsten Montag wahrscheinlich ebenso wenig freundlich empfangen worden wäre. Remsen verpasste ihm gestern spontan diese Dienstreise und jetzt musste er sehen, wie er schnellstens nach Lemberg kam.
Das frühe Aufstehen war noch nie eine seiner Schokoladenseiten, sodass er vor Aufregung ohnehin kaum schlafen konnte. Seine leise Hoffnung, dass sein Reisepass abgelaufen war und er um diese Reise einfach herumkam, zerschlug sich schnell. Jetzt nach dem Flug verfolgte ihn immer noch das Gefühl, auf einem Campingstuhl durch die Lüfte gesegelt zu sein. Diese Airline dürfte seiner Meinung nach, nicht in der EU, schon gar nicht Vesberg landen; aber ihn fragt ja keiner.
„Hallo Jutta, bist du das? Ich kann dich nicht verstehen. Sprich bitte lauter.“
Nöthe entschloss sich, auf die Roaming-Kosten zu pfeifen und diese sich von seiner Dienststelle wieder zurückzuholen. Er wollte sich von Jutta den aktuellen Stand der Ermittlungen durchgeben lassen, da er hoffte, dass sein Chef über Nacht zu neuen Erkenntnissen gekommen sein könnte, die ihn hier weiterbringen würden.
„Benjamin, bist du es? Hast du schon mit Lypar gesprochen? Was hast du rausbekommen?“
Nöthe erzählte ihr, nein er schrie ins Telefon, dass er ab jetzt ein Flugtrauma hat und ihm die ganze Reise nach Lemberg überhaupt stinkt. Auch davon, dass er sich gut bewacht fühlte und überhaupt nur müde ist.
Nach einigem Hin und Her beendeten beide das Telefonat, da die Gesprächsqualität unbrauchbar war und es darüber hinaus keine Neuigkeiten auszutauschen gab.
Seine Kollegen fand er schnell; die Trachtengruppe war ja nicht zu übersehen. Einer von Ihnen, Daniil konnte sogar ein passables Englisch sprechen, sodass der erste Austausch ganz entspannt verlief.
Nöthe kapierte schnell, dass Arbeitseifer nicht Teil des Anforderungsprofils für ukrainische Beamte sein kann, denn Daniil und sein Begleiter suchten erst einmal eine Bar auf. Gegen einen Kaffee hatte Nöthe nichts einzuwenden; aber er wies auf den Termin bei dem Sicherheitschef und auf seinen Rückflug hin.
Daniil klärte ihn auf: „Der Termin bei der Überwachungsfirma ist verschoben worden, weil Herr Lypar am Wochenende nicht in Lemberg war und erst gegen Mittag zurückerwartet wird. Außerdem sind es bis dahin nur wenige Kilometer. Und zur Sicherheit haben sie ja die Autorität, die für eine schnelle Fahrt sorgen wird.“
Nöthe beruhigte sich und versuchte, etwas von der Firma und von Lypar selbst zu erfahren. Beide ukrainischen Polizisten waren redselig, auch wenn die konkreten Auskünfte insgesamt und von Daniil‘s Begleiter besonders dünn waren. Das mag an den Sprachproblemen liegen oder eben daran, dass beide wirklich nichts wussten. Nöthe blieb wachsam und machte sich seine Notizen.
Beim Kaffee schwenkten seine ukrainischen Kollegen auf Smalltalk um und beantworteten Nöthe sogar nicht gestellte Fragen über Land und Leute.
Redselig? Zeitvertreib? Lange Weile? Oder gar Ablenkung?
Nöthe war sich nicht sicher, sah auffallend oft seine Uhr und wurde von Minute zu Minute immer nervöser.
Daniil bekam einen Anruf und entfernte sich etwas. Seinen Gesten nach zu urteilen, nahm er eine devote Grundhaltung ein, gestikulierte zurückhaltend und nickte ständig.
Großer Boss ruft an, dachte sich Nöthe.
Doch plötzlich ging alles ganz schnell. Daniil beendete das Gespräch, klappte sein Telefon zu und steckte es ein und drückte aufs Tempo. Ohne zu bezahlen forderten sie Nöthe auf zu folgen und stürmten sie zum Auto.