Kitabı oku: «Gehirngerecht lernen (E-Book)», sayfa 2

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1.2 Was geschieht im Gehirn, wenn wir lernen?

Es gibt mindestens drei Zugänge zum wissenschaftlichen Verstehen des Lernens:


Abb. 3: Drei Zugänge zum Lernen

Wie die Abbildung zeigt, ist Lernen zunächst ein beobachtbares Verhalten bzw. eine mehr oder weniger dauerhafte Veränderung von Verhaltensbereitschaft und Verhaltenspotenzialen (z. B. die Vergessenskurve korrekt und auswendig zeichnen können). In kognitiver Sicht geht es dabei um den Aufbau innerer Strukturen und mentaler Repräsentationen (z. B. verstehen, wie die Vergessenskurve zu interpretieren ist). Beides ist getragen von neuronalen Prozessen, das heißt von der Stärkung und Erweiterung synaptischer Verbindungen und Netze, die reaktivierbar sind und vorübergehend oder nachhaltig umgebaut werden (z. B. neuronale Aktivitäten im Stirnhirn, im Temporal- und Parietallappen sowie im primären visuellen Areal).

Es fällt auf, dass sowohl in der Alltagssprache als auch im wissenschaftlichen Diskurs die drei Aspekte Verhalten (»Sei still!«), innere Repräsentation (»Stell dir ein Quadrat vor!«) und zugrunde liegende neuronale Prozesse (»Das Areal 17 ist aktiviert«) vermischt oder leichtfertig verknüpft werden, obschon deren Zusammenhang keineswegs immer nachgewiesen ist – und deshalb große Vorsicht geboten ist (vgl. dazu Janich 2009). Im Folgenden geht es darum, einige Aspekte dieses Zusammenhangs zu erläutern.

Lernen aus Sicht des Gehirns

Lernen wird von Neuropsychologen in der Regel folgendermaßen beschrieben:

1 Lernen bewirkt, dass Zellen (Neuronen), die gleichzeitig aktiviert sind, sich funktionell verbinden (Hebb’sche Zellverbindung).

2 Beim Lernen wird das Aktionspotenzial von Synapsen erhöht und gestärkt.

3 Es bilden sich immer mehr Synapsen, das heißt Anschlussstellen zu andern Zellen (pro Neuron bis zu 10 000 Synapsen zu andern Zellen).

4 Die empfangenden Anschlüsse, d. h. die postsynaptischen Dendriten-Flächen, werden vergrößert.

5 Durch häufiges Üben erweitern sich neuronale Areale (bei Violinspielern z. B. Areale der linken Hand rechtshemisphärisch).

6 Durch vielfältige musikalische Aktivitäten wie hören, spielen, Noten lesen, improvisieren, komponieren usw. entstehen in den relevanten Arealen fast unbegrenzte Netze von Anschlussstellen für Neues.

7 Je größer und vielfältiger die Vernetzung ist, desto störungs- und zerstörungsresistenter sind die neuronalen Netze (auch im Alter).

8 Neuronen und neuronale Netze werden durch nachhaltiges Lernen (längeres Fremdsprachentraining, Mathematiklernen, Musizieren, Schachspielen usw.), das man auf das Gedächtnis bezogen auch Langzeitpotenzierung nennt, intern umgebaut.

9 Gefühle beeinflussen das Lernen. Sie werden vorab im limbischen System mit Neuromodulatoren über die Amygdala (negative Gefühle) und über Dopamin und Nucleus accumbens (positive Gefühle, Erfolgsgefühle) moderiert – und längst nicht nur über die rechte Gehirnhälfte. Der Einfluss von Emotion und Motivation auf das Lernen ist kognitionspsychologisch gründlich und ergebnisreich untersucht. Für einige dieser Mechanismen kennt man heute die neuronalen Grundlagen und Bedingungen, das heißt die neuronalen Korrelate.Generell werden neutral empfundene Inhalte weniger gut behalten.

10 Angstbelastetes Lernen ist längerfristig eher hemmend und schädlich, aber nicht immer ganz auszuschließen.


Lernen verändert das Gehirn.

Die skizzierte Sicht betont die neurobiologische Argumentation, es ist von Neuronen, Synapsen, Dendriten und Neuromodulatoren die Rede. Leider gerät man von dieser Basis nicht mit einem neuropsychologischen »Salto mortale« zu inhaltlichen Anweisungen für das Lernverhalten oder für unterrichtsmethodische Gestaltung. Die schwierige Frage lautet: Wie ist der Zusammenhang von neuronalem Geschehen, mentalen Prozessen und beobachtbarem Lernverhalten zu denken?

Diese Frage ist meines Ermessens längst nicht für das gesamte Spektrum von Lernprozessen zu beantworten oder gar beantwortet. Es gibt bislang keine konsistente neuropsychologische Lerntheorie, aber doch hoffnungsvolle Beiträge und Ansätze. Neben vielen Einzelbefunden zur Neugier und Motivation, zum Lernen unter Angstbedingungen, zu Wahrnehmungs-, Lese- und Behaltensleistungen bzw. entsprechenden Störungen beginnt sich derzeit eine Interpretationspraxis auszubreiten, die ich als neuropsychologische Hermeneutik bezeichne: Neuropsychologische Forschung setzt kognitions- und lerntheoretisches Wissen voraus, impliziert viele Annahmen über mentale Vorgänge und greift in ihren Experimenten auf Verhaltenssequenzen des Lernens zurück. Andererseits beruht alles Lernen, Üben, Denken und Fühlen auf neurobiologischer Aktivität.

Neuropsychologie kann nach meiner Ansicht in diesem Spannungsfeld vermitteln. Um hilfreiche und verhaltensrelevante Aussagen machen zu können, muss sie dabei berücksichtigen, dass Lernen verschiedene Aktivitäten, Verläufe und Formen umfasst:

Lernen umfasst verschiedene Aktivitäten

Schulisches Lernen wird oft als Abfolge von Stufen organisiert und gestaltet. Die in der folgenden Abbildung erwähnten Aktivitäten sind jedoch nicht zwingend in der angegebenen Reihenfolge zu durchlaufen: Das Spielen kann beispielsweise am Anfang oder am Schluss stehen. Das Probieren kann mit einer schnell eintretenden Lösung beendet werden. Das Üben kann Tage und Wochen dauern. Viel wichtiger als die Formalisierung des Lernens ist es, die Aktivitäten der Sachbegegnung, des Vermutens, des spielerischen Umgangs, der Problemanalyse und Problembeschreibung, der kreativen Bearbeitung und des Transformierens von Einsichten zu berücksichtigen. Dabei werden offenkundig verschiedene neuronale Areale, Karten und Aktivitäten beansprucht.

Gehirngerecht lernt, wer verschiedene Lernaktivitäten berücksichtigt und nicht alles über den gleichen Leisten schlägt.


Abb. 4: Kreisprozess des Lernens

Lernen kann verschiedenartig ablaufen

 »Steter Tropfen höhlt den Stein« – zum Beispiel beim Auswendiglernen oder beim Aufbau motorischer Fertigkeiten (Klavierspiel, Tischtennis, Schwimmen, Jonglieren usw.).

 Oft findet man die Lösung nicht sofort, und manchmal ist ein Stillstand zu überwinden. Man muss trotz Misserfolg dranbleiben. Man redet auch von Barrieren, von Denkblockaden, von Widerstand oder Lernplateau. Lernen heißt manchmal, diesen Widerstand beispielsweise mit einer neuen Lösungsidee oder mit einem eingeübten und gleichbleibenden Verfahren (Algorithmus) zu bewältigen. Neuronal geht es dabei um die Aktivierung anderer als der gewohnten Netzzugänge und Netze.

 Manchmal versteht und begreift man etwas schlagartig – und sagt »Aha!«. Das »Aha-Erlebnis« ist der emotionale Ausdruck der intellektuellen bzw. kognitiven Einsicht, wie die Dinge zusammenhängen, wie etwas funktioniert und was es bewirkt.

Neuropsychologische Experimente sind meistens Momentaufnahmen, sie untersuchen ausgewählte Lernverläufe unter spezifischen Bedingungen. Sie bedürfen deshalb weiterhin kognitions- und lernpsychologischer Rahmung und Erklärung.


Abb. 5: Lernverläufe

Es gibt verschiedene Lernformen

Lernen erscheint beispielsweise als

 Wahrnehmungslernen: Wir lernen perspektivisch wahrnehmen und denken.

 Nachahmung: Schon als Kleinkind ahmen wir vieles unbewusst nach, wir lernen an Vorbildern und Modellen. Später kommt das bewusste Nachahmen dazu.

 Erfahrungslernen: Schon früh lernen wir aus Erfahrung, dass man an der Tischkante den Kopf anschlagen kann.

 Probieren: Bei manchen Aufgaben reagieren wir schlicht mit Probieren (Learning-by-Doing, Versuch-und-Irrtum-Lernen).

 Problemlösen: Wenn Neues auftritt, müssen wir uns »anstrengen«, d. h. Areale des Neocortex aktivieren (z. B. uns erinnern und Vorhandenes neu vernetzen bzw. sehen lernen).

 Verstehen: Für das Verstehen von Gründen, Bedeutungen und Argumenten sowie für das Begreifen von Funktionen braucht man das ganze Gehirn.

 Gestalten: Oft ist nicht nur Reproduktion oder Rekonstruktion gefragt, sondern aktives Gestalten gefordert.

Jede Lernart setzt andere Hirnareale und neuronale Netze in Gang. Manche Aktivitäten laufen parallel oder überschneiden sich. Im Einzelfall ist dies nur schwer abzugrenzen und mit bildgebenden Verfahren (PET, fMRT usw.) präzise festzuhalten. Der Beitrag der bildgebenden Verfahren ist zwar eindrücklich und oft auch verführerisch oder scheinklar. Manche Lernaktivitäten lassen sich zwar neuronalen Korrelaten, das heißt bestimmten Gehirnarealen, zuordnen. Viele längere Lernprozesse wie Erfahrungslernen, Problemlösen und Lerntransfer (Übertragen und Anwendung des Gelernten) sind neuropsychologisch unbearbeitet, also »terra incognita«, das heißt unbekanntes Neuland.


Abb. 6: Bilder von Netzaktivitäten

Während einer Autofahrt zeigt das Gehirn des Beifahrers im Vergleich mit dem Autolenker unter Umständen erhöhte Aktivität. Dies beruht vermutlich (!) auf dem Kontrollverlust des Beifahrers und den damit erhöhten Orientierungs- und Verarbeitungsleistungen im Frontal- und Parietallappen.

Welche neuropsychologischen Einsichten helfen das Lernen verbessern?

Es gibt Bereiche, die außerhalb der neuropsychologischen Zuständigkeit liegen: kulturelle Themen, Lernziele, schulische Organisationsformen, Unterrichtskonzepte usw. Auch der einzelne Kopf mit seinen konkreten Interessen, Lernvoraussetzungen, Lernwiderständen oder Lernfortschritten usw. ist nicht neuropsychologisch erfassbar oder gar berechenbar. Und man kann nicht jede Schülerin, die am Freitag eine schlechte Mathematikprüfung geschrieben hat, am Montag in den Computertomografen stecken, um ihr Hirn mit funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) zu »scannen« – und die Defizite in den neuronalen Netzen zu erkunden. Manche versuchen zwar, mit Ritalin oder Prozac nachzubessern, aber das ist ein anderes Thema.

Im Folgenden geht es um jene neuropsychologischen Einsichten, die das Lernen im Alltag und in der Schule teilweise neu begründen, anregen und vielleichtverbessern helfen:

 Informationsverarbeitung ist nicht gelehrte Vermittlung von Bedeutungen bzw. Codierung und Decodierung durch die Lernenden, sondern unbewusste und bewusste Konstruktion unter limbischen und neocorticalen Bedingungen: Wissen lässt sich nicht übertragen, sondern auf der Basis von Vorwissen konstruieren.

 Lernen ist ein individueller und aktiv-konstruktiver Prozess der Bedeutungsund Wissenserzeugung, die schulisch unterstützt oder behindert werden kann – und im besten Fall zur Erweiterung und Differenzierung der Wissensbasis führt.

 Es gibt eine neue Sicht des Gedächtnisses und seiner Speicherfunktionen. Wir lernen gedächtnisvariabel, das heißt mit verschiedenen Formen der Langzeitspeicherung. Und wir erinnern uns rekonstruktiv und nicht nur reproduktivabbildhaft. Das Gedächtnis ist weder ein Behälter noch ein bestimmter Ort im Gehirn, sondern eine komplexe und leicht störbare, aber auch positiv beeinflussbare Netzaktivität.

 Die Bedeutung der Gefühle beim Lernen erscheint in neuem Licht: Emotion und Motivation werden vom limbischen System weitgehend unbewusst und vorbewusst modelliert. Das System der Neuromodulatoren reguliert nicht nur Aufmerksamkeit und Antrieb, sondern auch Neugier und Belohnungserwartung.

 Wir bevorzugen Lernprozesse, die emotional positiv besetzt sind. Angstbelastetes Lernen kann blockieren und neuronale Netze abbauen. Belastungen kann man allerdings aushalten lernen – und erfolgreich bewältigen. Auch dies sind notwendige Lernerfahrungen.

 Das im herkömmlichen Unterricht betonte lineare und reproduktive Denken ist mit neuropsychologisch begründbaren Erlebnis- und Denkformen zu ergänzen. Das Gehirn arbeitet größtenteils unbewusst, bereichsweise implizit und intuitiv, auf jeden Fall assoziativ.

 Das ganzheitliche Lernen lässt sich im Sinne der Vernetzung qualitativ neu interpretieren. Lernen ist meistens mehrkanalig: Was man liest, laut wiederholt oder mit eigenen Worten zusammenfasst, jemandem erklärt oder skizziert usw., vernetzt sich. Die bevorzugten Lernweisen verdichten sich zu Lerngewohnheiten und Präferenzen, die oft als Lerntypen bezeichnet werden. Leider gibt es dazu fast keine wissenschaftlichen oder neuropsychologischen Belege.

 Das Gehirn ist ein Beziehungsorgan – und die Neuropsychologie begründet das Lernen am Modell, das Lernen von Vertrauen und Empathie usw. vertieft und in neuer Sicht.

 Störungen des Sozialverhaltens gründen auch in Gehirnprozessen, die wir heute besser zu verstehen beginnen.

Lernen beruht auf neuronaler Vernetzung und baut diese aus und um.

Kapitel 2

Gedächtnis und Vergessen

Die Neuropsychologie hat das Verständnis von Gedächtnisprozessen revidiert und neu fundiert. Daraus lassen sich einige Lerntipps entwickeln, die ältere Einsichten bestätigen und teilweise erweitern.

2.1 Von der älteren zur neuen Sicht des Gedächtnisses

Das ältere Verständnis des Gedächtnisses

Seit alters her geht man davon aus, dass Menschen ein anlagemäßig mehr oder weniger gutes Gedächtnis haben und dass man sich auf dem Königsweg des Memorierens und Wiederholens eine Sache einprägen und merken kann. Notfalls helfen dabei auch Mnemotechniken und Eselsbrücken, das heißt Gedächtnisstützen. Wer viel auswendig lernt, trainiert damit vermutlich auch sein Gedächtnis und kann so noch im hohen Alter Gedichte aufsagen. Das Gedächtnis erscheint damit als Behälter, als anzureichernde Bibliothek oder als einzufüllender Schubladenstock.

Dies dürfte ungefähr eine verbreitete Ansicht repräsentieren, die voller Metaphern (Sprachbilder) ist: Das Einprägen erinnert an den Siegelabdruck im Wachs, das Einspeichern an Kornspeicher usw. Derzeit ist die Computer-Metapher in Mode: Man codiert, decodiert, setzt Hardware und Software ein.


Abb. 7: Der klassisch gebildete Lehrer Lämpel weiß: »Repetitio mater studiorum est« (Repetition ist die Mutter des Studierens)

Was ist daraus zu lernen?

Ohne Repetieren geht es in der Regel nicht – mit Ausnahme emotional starker Ereignisse, die sich auf Anhieb ins Gedächtnis einbrennen. Bis heute hat es sich als gültig und brauchbar erwiesen, gewisse Mnemotechniken und Eselsbrücken einzusetzen.

Die Vergessenskurve von Ebbinghaus

Eine erste wissenschaftliche Untersuchung des Gedächtnisses hat Ebbinghaus 1885 geleistet und als Vergessenskurve präsentiert: Wir vergessen schon nach zwanzig Minuten oder nach wenigen Stunden mehr als die Hälfte des zuvor bis zum fehlerfreien Abrufen wiederholten sinnlosen Materials (VUP, KEZ, PEL, SOK usw.). Beim Einprägen sinnhaltiger Inhalte fällt die Vergessenskurve weniger steil ab. Zudem verringert das verteilte Üben die Halbwertszeit des Vergessens, wie die folgenden Skizzen illustrieren.


Abb. 8: Vergessenskurve nach Ebbinghaus (1885)

Was bedeutet die Kurve für das Lernen?

Was lässt sich daraus folgern und ableiten?

Hier einige heute noch gültige Merkpunkte für das Repetieren:

 Lerne vor allem Verstandenes, denn Sinngehalt und Verstehen reduzieren das Vergessen!

 Repetiere verteilt und in zeitlich relativ kurzen Phasen! Beginne bald, am besten noch heute! Verteiltes Lernen ist effizienter als massiertes Repetieren.

 Teile den Lernstoff auf, lerne wenig aufs Mal, aber lerne auf hundert Prozent, das heißt bis zum fehlerfreien Abrufen!

 Rufe vor jedem Repetieren das Vorhandene ab und kontrolliere es auf Richtigkeit und Vollständigkeit.

Vom Einprägen zum Mehrspeichermodell

In einer dritten Phase der Gedächtnisforschung, das heißt in den 50er- bis 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts sind sogenannte Speichermodelle entstanden: Die Metapher des Speicherns (Kornspeicher) löst jene des Einprägens ab. Grob gesehen geht es darum, dass Einprägen und Behalten über mehrere Stufen des Einspeicherns laufen und dass dabei ganz bestimmte Lernaktivitäten erforderlich sind: Was über unsere Sinnesorgane in unseren Kopf gelangt, erreicht für Bruchteile einer Sekunde das Ultrakurzzeitgedächtnis, wird dort gefiltert – und zerfällt, wenn nicht die Aufmerksamkeit die Sinnesdaten in den Kurzzeitspeicher befördert, wo sie durch Rehearsal, das heißt Wiederholen (z. B. einer Telefonnummer), aufrechterhalten werden.

Die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses (KZG) ist nach dem amerikanischen Forscher Miller auf etwa 7 plus/minus 2, nach neueren Ergebnissen auf 5 plus/ minus 2 Informationseinheiten beschränkt. Soll ein Lerninhalt das Langzeitgedächtnis (LZG) erreichen, um dort verankert und abrufbar zu bleiben, muss er bearbeitet, das heißt geordnet, gruppiert und organisiert bzw. elaboriert und mit vorhandenem Wissen verknüpft werden.

Was ist im Hinblick auf das Mehrspeichermodell zu lernen?

 Um etwas aufzufassen, bedarf es in erster Linie Aufmerksamkeit für den Lerninhalt.

 Lerninhalte, die beispielsweise aus Wörtern oder Merkmalen, aus Einsichten, Lehrsätzen oder Formeln bestehen, müssen mental, das heißt innerlich, wiederholt werden, um während Sekunden bis Minuten im Kurzzeitgedächtnis zu bleiben.

 Eine Verankerung im Sinne des Behaltens erfordert vielgestaltige Aktivitäten am Lerninhalt, die vom Anschauen, Betasten, Untersuchen und Identifizieren von Merkmalen über das Gliedern, Gruppieren und Ordnen bis zum Bearbeiten und Verändern (Transferieren, Verdichten oder Kürzen) gehen.

 Verteiltes Üben ist effizienter als massiertes Repetieren beispielsweise kurz vor einer Prüfung oder Klausur.

 Auch das Abrufen muss systematisch geübt werden. Zudem gibt es verschiedene Prüfungsformen, die man lernen und optimieren kann.

Abb. 9: Das Mehrspeichermodell

Die neuropsychologische Sicht

Die neuropsychologische Sicht des Gedächtnisses besteht darin, dass unter Gedächtnis nicht ein mehr oder weniger klug einzufüllender Speicher verstanden wird, sondern ein assoziatives, höchst dynamisches Netzwerk, das zeitsensibel und inhaltsdifferent, sowohl explizit als auch implizit funktioniert. Das Gedächtnis ist zwar sehr ausbaufähig, aber auch vergessens- und täuschungsanfällig.

Diese Aspekte werden im Folgenden abrissartig erläutert.

1 Das Gedächtnis arbeitet assoziativ-vernetzt

Beispiel:

Meine Erinnerung an den Mathematikunterricht der Mittelschule bezieht sich nicht nur auf die FIBONACCI-Folge, auf quadratische Gleichungen, Binominalverteilung, Vektorprodukte und elementare Funktionen, sondern auch auf Pestalozzis Bildnis an der Rückwand des Schulzimmers. Bei Lektionsbeginn musste das leider immer wieder leicht verschobene Bild (!) gerade gehängt werden, bevor die Lehrkraft mit dem verhassten Schnellrechnen begann. Ich erinnere mich aber auch an eine Kurvendarstellung auf Millimeterpapier, die von mehreren Schülerinnen und Mitschülern der Lehrkraft als Eigenleistung präsentiert – und je nach Lehrersympathie mit verschiedenen Noten bewertet wurde…

Offenkundig werden Lerninhalte nicht computerähnlich in Dateien gespeichert, sondern mittels Assoziationen, die nicht nur Orte und Inhalte, sondern auch Gefühle, Bilder, Ereignisse, Gerüche, Tasterfahrungen usw., vor allem auch Situations- und Kontextmerkmale umfassen. Wir reaktivieren unsere Erinnerung mit Anhaltspunkten und Kontextmerkmalen, also auf eine höchst unzuverlässige Art. Der amerikanische Forscher Gary Marcus bezeichnet denn unser Gedächtnis auch als »Murks« der Evolution, das heißt als umständliche, unelegante und höchst unzuverlässige Lösung (Marcus 2009). Wie wird das gigantische assoziative Netzwerk des Gedächtnisses aufgebaut?

In funktionaler Sicht beruhen Gedächtnisprozesse auf der Aktivierung von Neuronen. Von einem aktiven Neuron aus laufen elektrische Signale, sogenannte Aktionspotenziale, über eine Nervenleitung (Axon) in die verdickten Endknöpfe bzw. Anschlussstellen, die man Synapsen nennt. Jedes der rund 100 Milliarden Neuronen hat bis zu 10 000 Anschlussstellen zu andern Neuronen. Das ankommende elektrische Signal löst in der Synapse chemische Prozesse aus. Die Signale werden von Neurotransmittern über den sogenannten synaptischen Spalt zur Postsynapse bzw. über die Empfangsstellen (Dendriten) zum nachfolgenden Neuron übertragen, wo in der Zellwand (Membran) die Ladungsverhältnisse verändert, das heißt erhöht oder geschwächt werden.

Durch die geschilderte Erregungsübertragung bilden sich bei wiederholtem Feuern in den neuronalen Netzen zuerst Engramme, das heißt Erregungsmuster, als erste Spuren. Bei häufiger oder besonders intensiver Informationsübertragung entstehen relativ stabile Muster. Überdies entstehen neue synaptische Anschlüsse, und die Empfangsstellen (Dendriten) vergrößern sich. Auch die Neuronen werden intern ausgebaut. Das heißt: Was anfänglich als schwache Spur und Erregung im Sinne der Kurzzeitspeicherung wirksam ist, etabliert sich bei Wiederholung als stabiler Gedächtnisinhalt in strukturell veränderten neuronalen Netzen, die praktisch im gesamten Gehirn, das heißt auf den assoziativen Cortex, verteilt sind. Dies ist der Prozess der Langzeitpotenzierung (LTP): Die Lerninhalte sind assoziativ vernetzt, das heißt langzeitgespeichert und als Verknüpfungsmuster abrufbar bzw. reaktivierbar. Die Erinnerungsstärke hängt denn auch von den Inhalten ab, die damit gekoppelt sind.

Ein schulisches Beispiel:

Der Begriff »fünf« ist nicht nur mit dem Wortlaut /f-ü-n-f/, mit dem Schriftbild fünf und mit der Ziffer 5, sondern auch mit fünf Fingern und Zehen, mit fünf Kindern einer Familie, mit der Ordinalzahl 5 (zwischen 4 und 6), mit der Mächtigkeit der Kardinalzahl 5 (3+2), mit den fünf Augen eines Spielwürfels, mit dem fünften Teil von etwas, mit dem Fünffachen von etwas, mit der Menge 5, mit der Hälfte von 10 (im Sinne der Operation) usw. gekoppelt. Bereits hier deutet sich an, dass der Aufbau neuronaler Netze im Sinne schulischen Lernens eine komplexe Aufgabe ist – und das Planbare und Beabsichtigte weit überschreitet.

Wissen ist als reaktivierbare Erregungsmuster in neuronalen Netzwerken des assoziativen Cortex repräsentiert und gespeichert.


Abb. 10: Elektronenmikroskopische Aufnahmen von Neuronen, Synapsen und vernetzten Nervenzellen; die Aktionspotenziale der Synapsen bewirken neuronale Ladungsmuster – etwa dem Muster aktivierter Lichtquellen bei der Anzeige eines einfahrenden Zuges vergleichbar

2 Dynamische Aspekte des Gedächtnisses

Es ist ein Wunder, dass sich im geschilderten Wechsel von Aktivierung und Hemmung im Erinnerungsdschungel von Ideen, Gefühlen und Vorstellungen überhaupt ein Gedanke (wie beispielsweise die FIBONACCI-Reihe 1; 1; 2; 3; 5; 8; 13; 21 …) durchsetzen kann und erinnerbar ist. Wie kommt es dazu?

Das Gedächtnis dient – wie das Gehirn im Ganzen – dem Überleben: Lebewesen müssen wissen, wie und wo sie Nahrung finden, wo Gefahren lauern, was ihnen guttut, was wichtig ist usw. Genau dies leistet das limbische System, das aus mehreren Teilen, Knoten und Arealen besteht: Der Hippocampus ist das Tor bzw. der Flaschenhals, durch den Lerninhalte ins Langzeitgedächtnis gelangen. Zusammen mit der Amygdala, die vorab Furcht und Angst bearbeitet, bewertet er alles Neue: Ist es bekannt oder unbekannt, bedrohlich oder nicht bedrohlich, wichtig oder unwichtig? Zudem sind an Gedächtnisprozessen die Fornix, die Mamillarkörper – und als Gefühlsgedächtnis der anteriore cinguläre Cortex (Cingulum) beteiligt. Wenn demnach eine Lernsituation als stark belastend, angstbesetzt und stressig erlebt wird, ist unter anderem die Amygdala aktiv, die wiederum weitere Gehirnteile und chemische Reaktionen (Hypophyse, Stresshormone usw.) aktiviert. Der Umkehrschluss ist allerdings nicht zulässig: Die Aktivität der Amygdala kann auch positive emotionale Betroffenheit signalisieren und Erkennungsmarken für positiv besetzte autobiografische Erfolgserlebnisse bereitstellen.

Was individuell bedeutsam und emotional intensiv erlebt wird, ist meistens besser erinnerbar.

Ähnliches ist vom Hippocampus zu sagen: Er spielt beim Einspeichern zwar meistens in einem Ensemble von weiteren Stirnhirn- und Schläfenlappenbereichen die erste Geige; er lässt sich jedoch nicht als alleiniger Ort des Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnisses bezeichnen, obschon er wesentliche Kurzzeitspeicherfunktionen übernimmt. Die Hauptleistung des Hippocampus besteht darin, neues Wissen zu sortieren und zu strukturieren und es über Stunden und Tage bzw. Nächte ins Langzeitgedächtnis zu überführen.

Einspeichern und Abrufen beruhen auf unterschiedlichen neuronalen Systemen: Bei gewissen Amnesien können manche Inhalte noch erinnert, neue Ereignisse aber nicht mehr eingespeichert werden. Dies belegt der berühmte Fall H.M., der nach der Entfernung des Hippocampus zwar weniger epileptische Anfälle hatte, aber an anterograder Amnesie, das heißt an einem Gedächtnisverlust, litt. Einspeichern und Abrufen erfolgen getrennt – und sind dennoch eng verbunden. Episodische und autobiografische Inhalte werden beispielsweise vor allem über die linke Hirnhälfte bzw. über das linke Stirnhirn und über den Hippocampus dem vorderen rechten Schläfen- und Temporallappen zugeleitet. Beim Abrufen wird wiederum das limbische System aktiv, was beispielsweise bei stressartiger Belastung in Prüfungen dazu führen kann, dass der Zugriff auf das deklarative (bewusst formulierte) Wissen blockiert wird. Das Abrufen episodischer und autobiografischer Inhalte fällt insofern leichter, als Erlebnismerkmale, skurrile Bilder und Kontexthinweise als Abrufreize dienen können.

Einspeichern und Abrufen sind unterschiedliche Netzaktivitäten, die aber über auffällige Kontextmerkmale und Abrufetiketten verbunden werden können.


Abb. 11: Das limbische System als dynamischer Faktor des Gedächtnisses

3 Der Zeitbezug des Gedächtnisses

Von Ultrakurzzeit-, Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis ist nach wie vor die Rede, wenn auch das Ultrakurzzeitgedächtnis im Bereich von wenigen hundert Millisekunden weniger alltagsrelevant ist.

In den letzten Jahren hat sich für das Kurzzeitgeschehen und für das »Online-Gedächtnis« der vom englischen Psychologen Alan Baddeley gebrauchte Begriff Arbeitsgedächtnis eingebürgert. Seit einigen Jahren unterscheidet Baddeley eine zentrale Exekutive (sozusagen das Überwachungs- und Aufmerksamkeitssystem) und drei weitere Komponenten: Ein visuell-räumlicher Notizblock hält für kurze Zeit Bilder, Skizzen und Vorstellungen fest. In der phonologischen Schleife hält man das eben Gehörte präsent, das Gehörte klingt noch nach. Der episodische Puffer ermöglicht es uns, beispielsweise während eines Gesprächs das Thema im Kopf zu behalten. Die erwähnten vier Elemente bilden das fluide (beeinflussbare) System, das an Langzeitkomponenten des visuellen, sprachlichen und episodischen Gedächtnisses anknüpft.


Abb. 12: Arbeitsgedächtnis nach Baddeley

Das Arbeitsgedächtnis lässt sich insofern optimieren, als mit spezifischen Aufgaben oder Spielen manche Exekutivfunktionen wie Zuwendung, Aufmerksamkeit und Konzentration im Sinne des aufmerksamen Fokussierens von Details oder Vorgängen, das kurzfristige Behalten von Daten und Namen, das Vergleichen von Bildern, das zwischengeschaltete Abrufen benötigten Wissens usw. trainierbar sind.

Was über den Minutenbereich hinausgeht, wird dem Langzeitgedächtnis zugeordnet. Entscheidend ist dabei die Feststellung, dass mit Ausnahme von erlebnisund emotionsstarken, episodischen und autobiografischen Ereignissen, die sich sofort ins Gedächtnis einbrennen, alle Langzeitspeicherung ein kontinuierlicher Prozess ist, der durch verschiedene Lernaktivitäten vorangetrieben wird: aufmerksame Zuwendung, Wiederholung, Bearbeitung usw.

Für das Lernen ergeben sich daraus Hinweise, die schon lange bekannt sind und Von Der Kognitionspsychologie untersucht worden sind:

 Schau hin! Sei aufmerksam!

 Wiederhole innerlich und stell es dir vor!

 Ordne! Suche Regelmäßigkeiten! Gliedere!

 Sei an der Sache aktiv! Bearbeite, vertiefe und elaboriere den Inhalt!

 Halte das Wesentliche wörtlich, mit Skizzen und Strukturen fest!

 Wiederhole! Rufe ab und kontrolliere! Nutze Abrufhinweise!


Abb. 13: Zeitbezug des Gedächtnissystems

4 Inhaltliche Aspekte des Gedächtnissystems

Die jüngste Phase der Gedächtnisforschung unterscheidet fünf Langzeitgedächtnissysteme. Unterschiedliche Lern- und Erlebnisinhalte werden in unterschiedlichen Gedächtnisarealen gespeichert. Das bedeutet, dass eine örtliche Gehirnläsion unter Umständen zur Beeinträchtigung oder zum Verlust eines einzelnen Gedächtnissystems führen kann. Zu beachten ist, dass die Langzeitgedächtnissysteme Informationen verschiedenartig einspeichern, in unterschiedlichen Arealen behalten – und teilweise auch verschiedenartig abrufen.

Das Gedächtnissystem der Langzeitspeicherung kann grob in zwei Teilsysteme unterteilt werden:

 Zum impliziten, das heißt weitgehend unbewussten Gedächtnis gehören das prozedurale Gedächtnis, das Fertigkeiten, Handlungen und Sprachregeln usw. speichert, aber auch das perzeptuelle (Wahrnehmungs-)Gedächtnis sowie das Priming-Gedächtnis im Sinne unbewusster Bahnung: Was wir schon einmal in ähnlicher Form gesehen haben, erkennen wir (in der Werbung) leichter.

 Das explizite und bewusste Gedächtnis umfasst das semantische bzw. das Fakten- oder Wissensgedächtnis und das episodische bzw. autobiografische Gedächtnis, in dem Ereignisse und persönliche Erlebnisse gespeichert werden.

Prozeduren werden im Bewegungsgedächtnis der Basalganglien, im motorischen Cortex und im Kleinhirn gespeichert. Wissen und Episoden werden über das Stirnhirn und das limbische System in die Assoziationsareale des Großhirns eingespeichert und verteilt. Das Faktenwissen wird primär über das sprachlastige linke Stirnhirn bzw. über die linke Hirnhälfte, Episoden werden über die rechte Hemisphäre abgerufen.

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