Kitabı oku: «Agrarische Religiosität», sayfa 7
3.3 Vom ästhetischen zum Renditedenken
Ordnung und Sauberkeit waren, wie eben an den wenigen von den Normen Abweichenden gezeigt werden konnte, in der bäuerlichen Welt allgemein anerkannte Prinzipien, über welche auch die soziale Kontrolle wachte. Grob gesagt, gab es hinsichtlich ihrer Arbeitsauffassung drei Kategorien von Bauern: Als Extreme die übereifrigen und überexakten Schaffer (negativ derb «Tüpflischeisser»26 genannt), deren Höfe jederzeit und überall vor Ordnung und Sauberkeit nur so strotzten, und auf der anderen Seite die Nachlässigen und Liederlichen, bei denen am Hof Vorübergehende den Kopf schüttelten und sich nach den Gründen für den Dreck und die «Sauordnung» fragten. Dazwischen stand die zahlenmässig weit überwiegende Gruppe derjenigen, die zwar den beiden eingangs genannten Prinzipien ebenfalls nachlebten, aber etwa bei hoher Arbeitsbelastung auch einmal fünfe gerade lassen konnten.
Das Ordnungs- und Sauberkeitsdenken zeigte sich beispielhaft in den bereits genannten Massnahmen zur Bodenverbesserung, die man selbstverständlich ganz verschieden intensiv vornehmen konnte. Bereits bei dieser Arbeit zeigt sich die Verschränkung von Ästhetik und Renditedenken. Für den Bauern war eine «schöne» Wiese eine solche ohne Steine und Unkraut, möglichst ausgeebnet, solid eingezäunt und akkurat von Wäldern, Flussläufen oder Tobeln abgegrenzt.27 Eine solche Wiese brachte sicher auch mehr Futter ein, sie «rentierte» besser. Ob allerdings der Mehrertrag die dafür erforderliche aufwendige Mehrarbeit immer kompensierte, sei dahingestellt: Vermutlich hätte eine genaue Berechnung das Gegenteil gezeigt. Aber solche Berechnungen stellte man in unserem Zeitraum gar nicht an, weil eben der bäuerliche Schönheitssinn an einer solchen Wiese Freude hatte und eine solche vorzuzeigen ausserdem soziale Reputation verschaffen konnte. Ohnehin war aber die Tendenz zur Renditeberechnung in der Agrarwirtschaft der Voralpen damals noch keine Tugend.28 Ähnliche Beobachtungen kann man beim Heuen machen. Auch wenn man bereits Mähmaschinen hatte, so mähte man zusätzlich Stellen, die von jener nicht erreicht wurden, also an Weiderändern, unter den Zäunen oder um Baumstämme herum, noch mit der Sense nach. Jeder Quadratmeter sei genutzt und noch das letzte Hälmchen geschnitten worden, sagten mehrere Befragte spontan.29 «Sauber mähen» hiess das und entsprach genau den Vorstellungen, die man innerhalb des Berufsstandes von einem ordentlichen Bauern hatte. Dieselbe Sorgfalt wandte man nachher beim Zusammenrechen des Heus an: Auch hier sollte kein Hälmchen durch die Zinken gehen. Rationalisieren konnte man dieses Verhalten natürlich mit den allgemein knappen Ressourcen, mit denen sorgfältig umzugehen war. Die Futterbasis konnte in der Tat auf diese Weise ein wenig verbreitert werden. Aber auch hier kann man sich fragen, ob die Kühe wirklich nicht ohne das zusätzliche Quäntchen Heu durch den Winter gekommen wären. Die Frage wurde nicht gestellt, denn auch hier überwog noch das ästhetische Denken. Dies zeigt sich auch in den abschätzigen Bemerkungen einiger Interviewpartner, die darauf hinwiesen, dass heutzutage selbstverständlich kein Landwirt mehr einen solchen Aufwand betreiben würde.30 Damals allerdings mehrte man damit auch das soziale Kapital und vielleicht war das wichtiger als der materielle Mehrertrag. Kaum eine Rolle scheinen hingegen religiös-ethische Vorgaben gespielt zu haben, zum Beispiel die, dass die Früchte der Erde Gottesgaben seien, die man nicht verschwenden dürfe. Wenn schon, dann war eher die Sorge um das Wohl der Tiere treibendes Motiv.
Von einem ökonomisch begründeten Renditedenken kann bei den angeführten Beispielen nicht gesprochen werden, eher traf das Gegenteil zu, und es waren, neben allgemeinen und familiären Traditionen und Gewohnheiten, eher ästhetische Beweggründe und die Sorge um die Reputation im Dorf, welche die Bauern veranlassten, solche nicht unbedingt sinnvollen Arbeiten auszuführen. Das Argument einer möglichst umfassenden Ressourcennutzung ist daher eher ein vorgeschobenes. Ähnliches gilt für die Viehhaltung. Allerdings kann man hier in der Nachkriegszeit sehr gut einen Wandel der Einstellung beobachten. Schon Ebel war als Merkwürdigkeit aufgefallen, dass der Appenzeller besonderen Wert auf schönes und reines Vieh legte.31 Dass man für die Viehschau die Kühe und Stiere auf Hochglanz putzte, ist selbstverständlich; wenn einige Bauern aber täglich viel Zeit für das Putzen ihrer Tiere aufwendeten, so gehört das in dieselbe Kategorie wie die Wiesenpflege oder das saubere Heuen; zusätzlich kann man dabei allerdings wohl eine Äusserung der Tierliebe sehen. Interessanter sind die angestrebten Zuchtziele. Diese waren zwar in der Schweiz landesweit ziemlich einheitlich und wurden von den jeweiligen Viehzuchtverbänden propagiert und durchzusetzen versucht. Man bekommt indes den Eindruck, dass sie besonders im voralpinen Gebiet der Braunviehzucht wirksam waren und sich länger gegenüber verändernden Einflüssen von aussen frei hielten. Seit dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde nämlich die Zucht nicht auf die rationalen Ziele der Milch- oder Fleischleistung ausgerichtet, sondern vor allem auf die äussere Schönheit der Tiere.32 Dazu gab es einen ganzen Katalog von Kriterien, nach welchen die Viehbeschauer das «Exterieur» beurteilten und, wenn genügend Punkte zusammen kamen, Prämien und Preise ausrichteten.33 Jeder Bauer war also darauf bedacht, möglichst schöne Kühe zu besitzen, die Milchleistung zählte erst in zweiter Linie.34 Wenn schon, dann achtete man bei der Milch statt auf die Menge eher auf eine gute Qualität, wie schon früher die sogenannten Vorzugsmilch produzierenden «Oberschweizer» in Deutschland. Allerdings war ein derartiger agrarischer Ästhetizismus in der Regel nur denen möglich, die es sich leisten konnten, also eher den wohlhabenden und mittelständischen Landwirten, während für ärmere und kinderreiche Familien eine möglichst hohe Milchproduktion existenziell wichtig war.
Es regierten also vor der grossen Modernisierung auch bei der Rindviehhaltung (etwas weniger ausgeprägt beim Schmalvieh) zunächst nicht Renditeüberlegungen, sondern ästhetische Kriterien, und wenn man mit seinem Bestand bei der Viehschau, jenem profanen Hochfest der voralpinen bäuerlichen Kultur, prunken und nach der Prämierung die Tiere mit Blumenkränzen wieder heimtreiben konnte, so war dies ungefähr so viel wert wie ein schöner Hof mit viel Land: Es verschaffte einem Bauern ebenfalls Bewunderung und soziale Anerkennung.35 Wenn wir indes vernehmen, dass für besonders schöne Tiere Phantasiepreise bezahlt wurden, so sehen wir allerdings das Renditedenken durch die Hintertür wieder hereinkommen: Es lohnte sich damals, auf dieses Ziel hin zu züchten, denn auf den Viehmärkten konnte man damit vor allem im Export hübsche Summen erzielen.
Der Wandel der Zucht hin zu erhöhter Milchleistung, welche auch das traditionelle Rassenspektrum der Kühe in der Schweiz durcheinander brachte,36 begann in den späten 1950er-Jahren im Mittelland und setzte sich in den 1960er-Jahren auch andernorts weitgehend durch, parallel zur allgemeinen agrarischen Modernisierung. Diese Veränderung hängt auch mit der zunehmenden Verbreitung der Milchsammelstellen sowie mit der damaligen veränderten Subventionspolitik zusammen, welche mehr und mehr nur noch «rentable» Betriebe unterstützte. Das Kriterium der äusseren Schönheit verschwand in der Folge zwar nicht ganz, wurde aber zweitrangig gegenüber dem nur noch Renditeüberlegungen gehorchenden Ziel einer möglichst hohen Milchproduktion. Damit wurde das Tier, dem man früher gewisse auch beim Menschen zu findende Qualitäten, eben zum Beispiel die Schönheit, zuerkannt hatte, zur Ware, zur blossen Produktionsmaschine.37 Das veränderte Zuchtziel führte allerdings schon bald in eine Sackgasse, nämlich zur Überproduktion, doch liegt dieses Problem ausserhalb des Zeitraums unserer Untersuchung.
3.4 Zeitbewusstsein und Zeitdisziplin
Der Umgang mit der Zeit, die Balance zwischen Arbeit und Musse, gehört, wie Max Weber in seinen grundlegenden Ausführungen zur «Protestantischen Ethik» erkannte, zu den zentralen Fragen, die sich beim Übergang zur Moderne stellten.38 Schon Ebel war die Mussepräferenz der Innerrhoder aufgefallen: «Er fühlt kein anderes Bedürfnis, als nach vollbrachter Arbeit ruhig und müssig bei Milch und Käse im Kreise seiner Familie, oder beim Glase Wein im Wirthshause unter seinen Bekannten zu sitzen und zu schwatzen.»39 Jener Innerrhoder, der die «Überwerker» kritisierte,40 formulierte auch die Gegenposition dazu: Im Gespräch unter Bauern habe man gerne gesagt «Loss de de Wyl» (Lass dir Zeit).41 Ebenso sah ein ehemaliger appenzellischer Landwirtschaftsdirektor in dieser Maxime einen der zentralen Werte seiner Gesellschaft in früheren Jahren.42 Ein deutscher Wissenschaftler, welcher die bäuerliche Mentalität in Bayern nach 1945 erforschte, fand in der Ablehnung des Übereilten und Flüchtigen, in der Ausrichtung des Lebensrhythmus auf natürliche Zeitläufe etwas dem Katholizismus eigenes.43 Aber auch ein niederländischer Autor sah hier einen zentralen Punkt des Wandels der dörflichen Gesellschaft in der Nachkriegszeit.44 Mehrere unserer Befragten erwähnten nicht ohne nostalgische Gefühle, dass man früher das Leben und die damit verbundene Arbeit gemächlicher genommen habe als heute, wo auch der Landwirt dem allgemeinen Stress unterworfen sei.45 Zeit zu haben bedeutete aber nicht zuletzt auch, über Zeit für das Religiöse zu verfügen, wie in den folgenden Abschnitten noch ausführlich gezeigt wird. Allerdings wird dabei auch zu Tage treten, dass die weniger in einen fixen Zeitrahmen eingespannten Frauen dabei besser gestellt waren. Umgekehrt waren aus religiösen Überzeugungen herrührende Verhaltensnormen einer optimalen Zeitnutzung, wie sie etwa pietistische und andere protestantische Sondergruppen befolgten, unseren katholischen Bauern völlig fremd.
Eine genaue Tageseinteilung und ein effizientes Zeitmanagement waren dem Menschen erst nach Erfindung der Uhr möglich. Ein Gewährsmann aus dem Berner Oberland berichtete, dass dort alle Bauern Uhren besessen hätten und mit deren Hilfe den Tag nach einem strikten Zeitplan gestaltet hätten.46 Auch in Obwalden besassen, nach dem Zeugnis unserer Interviewpartner, alle Bauern Uhren. Es waren, wie früher allgemein üblich, sogenannte Sackuhren (Taschenuhren). In Appenzell sollen die meisten, aber doch nicht alle Bauern, Uhren gehabt haben. Sogenannte Sennenuhren, wie sie dort einige Reichere ihr Eigen nannten, dienten eher als Schmuckstück zur Tracht denn als Zeitmesser. Die Besitzer einer Uhr nahmen diese allerdings zur Arbeit ausserhalb des Hauses in der Regel nicht mit. Wer keine Uhr besass oder sie zu Hause liess, musste wie in früheren Jahrhunderten auf Naturgegebenheiten, in erster Linie den Lauf der Sonne, achten oder aber auf den Glockenschlag der Kirchenuhr hören. Als neuer Zeitanzeiger kam die Eisenbahn hinzu, deren Vorbeifahrt oder Pfiff zu einem bestimmten Zeitpunkt, den man auswendig wusste, erfolgte. Diese Möglichkeiten wurden gelegentlich auch in Obwalden als zusätzliche Zeitorientierungsmittel erwähnt. Insgesamt waren die Möglichkeiten zur Orientierung an der Uhrzeit zweifellos viel ausgedehnter als noch 100 bis 200 Jahre früher.
In beiden Kantonen wurde aber auch bemerkt, dass man die Zeit, zu der diese oder jene Arbeit zu erfolgen hatte, «im Gefühl» hatte und auch ihre Dauer zu schätzen wusste, also sozusagen über eine innere Uhr verfügte. Dies schaffte gewisse Freiheiten für minimale Mussezeiten. Eine rigorose Zeitdisziplin war in der Tat für die landwirtschaftliche Arbeit gar nicht nötig. Die Essenszeiten waren zwar in den meisten Familien ziemlich fixiert, aber dieses Problem konnte man im Gebiet der arrondierten Streusiedlung so lösen, dass die Frau aus der Wohnung, wo es praktisch immer eine Uhr gab, sei es eine Wand- oder auch nur eine aufgehängte Sackuhr,47 die auf dem Felde Arbeitenden zum Essen rief. Eine Uhr brauchte man eigentlich nur für zeitliche Abläufe, die von Aussen vorgegeben wurden, nämlich für den Kirchgang und den Schulbesuch der Kinder. Für den ersteren wurden allerdings die Glocken geläutet und für den Hauptgottesdienst sogar vorgeläutet.48 Die Rolle der Schule wurde von den älteren Bauern ohnehin nicht ohne Vorbehalte betrachtet, und das Zuspätkommen der Kinder war für sie ein Kavaliersdelikt. Neu zu diesen alten Zeitvorgaben hinzu kam nun allerdings für sie ganz direkt die Einlieferung der Milch in die Milchzentralen. Diese waren, nach dem Urteil von mehreren Befragten in unserem Untersuchungsgebiet, vor allem in Appenzell, nebst ihrer primär wirtschaftlichen Funktion, seit den 1940er-Jahren die eigentlich wirksamen Zeitdisziplinierer der Bauern gewesen. Sie müssen daher noch kurz beleuchtet werden.
Die ersten Milchzentralen beziehungsweise -sammelstellen («Hütten») entstanden in der Zwischenkriegszeit, einerseits als Antwort auf Absatzkrisen und Verwertungsprobleme der Milch, andererseits aus dem Bestreben, ihre Weiterverarbeitung zu zentralisieren und so die Qualität der Endprodukte (Konsummilch, Butter, Käse usw.) zu verbessern.49 In Innerrhoden wurden die ersten Zentralen 1933 eingerichtet, 1938 bereits ein Verband gegründet und rasch das ganze Land mit ihnen durchsetzt: 1953 gab es 32 solcher Einrichtungen.50 Die dort gesammelte Milch wurde zum grössten Teil zentrifugiert und der gewonnene Rahm mit der Appenzellerbahn in die 1927 eröffnete Butterzentrale in Gossau spediert, welche daraus die bekannte «Floralp»-Butter herstellte. Die Magermilch wurde den Bauern zurückgegeben und diente ihnen zum Kälber- und Schweinetränken. In Obwalden verlief die Entwicklung ähnlich, jedoch etwas weniger einheitlich.51 Die Bauern lieferten dort die Milch Sennereien ab, die zum Teil schon früh entstanden waren und von denen es in jeder Gemeinde mehrere gab. Es wurde vor allem Käse fabriziert, ein Teil ging über den Luzerner Milchverband als Konsummilch in die Stadt Luzern, und der Rest wanderte als Rahm ebenfalls in die dortige Butterzentrale. Meist hielt in Obwalden der Käser die Schweine und fütterte sie mit der übrig gebliebenen Molke oder der Magermilch.52
Die Milchzentralen traten an Stelle der bisher üblichen häuslichen Verwertung der Milch zu Käse und Butter. Die Bauernfamilien betrachteten, nach anfänglicher Skepsis, die Zentralen schliesslich als Wohltat, weil ihnen das monatlich abgerechnete Milchgeld zum ersten Mal grössere und regelmässige Bargeldeinnahmen verschaffte.53 Die Familienväter indes mussten nun die Stallarbeit auf die Milchablieferung einrichten und wurden in ein Zeitkorsett gezwängt. Für die Ablieferung der Milch in die Zentralen gab es fixe Zeiten: In der Regel musste sie morgens und abends bis 8 Uhr erfolgen.54 Für die meisten bedeutete dies am Morgen einen früheren Arbeitsbeginn. Vor allem aber fielen nun die gemütlichen Abendpausen weg, die man bis anhin mit Jassen verbringen konnte. Am Sonntag konnten sich Probleme mit den Gottesdienstzeiten ergeben, worauf an anderer Stelle noch einzugehen sein wird.55 Die Milchzentralen förderten auch das Renditedenken: Menge und Fettgehalt der Milch wurden nun erstrebenswerte Ziele des bäuerlichen Wirtschaftens.56 Auf der anderen Seite sollte allerdings nicht übersehen werden, dass das Zusammentreffen der Bauern bei der Milchablieferung, auch wenn man dabei nicht so viel Zeit für lange Gespräche hatte, eine neue Möglichkeit zur Kommunikation bot. Auch in dem zur Moderne hinführenden Strom der Milchzentralen war somit noch eine Insel der Musse vorhanden.
3.5 Das Verhältnis zum Geld und zum Risiko
«Zeit ist Geld» – Das berühmte, von Max Weber als eines der sprechendsten Zeugnisse der «Protestantischen Ethik» betrachtete Wort des Amerikaners Benjamin Franklin führt uns direkt zu einem weiteren Thema, das im Rahmen einer Auflistung traditioneller Wertvorstellungen vor allem heute, angesichts einer umfassenden Ökonomisierung und Monetarisierung von immer mehr Lebensbereichen, einen zentralen Diskussionspunkt bildet.57 Zunächst ist allerdings dazu zu sagen, dass in der in unseren Gebieten vorherrschenden, mindestens noch teilweisen Subsistenzwirtschaft (ausgeprägter in Obwalden als in Appenzell) Geld keine so zentrale Rolle spielen konnte: Wie bereits erwähnt, war vielmehr Bargeldmangel ein Charakteristikum dieser Ökonomien. Ein haushälterischer Umgang mit dem Geld war somit keine besondere Tugend, sondern für die meisten Familien schlichte Notwendigkeit. Daher rührte unter anderem der sorgfältige, geradezu kleinliche Umgang mit den natürlichen Ressourcen, das Nicht-Weg-werfen-Können, das Flicken, Ausbessern und Umnutzen bis zum Letzten. Als vorsorgendes, zukunftsgerichtetes Sparverhalten kann man es wohl nicht bezeichnen.
Hatte man trotzdem einmal etwas Geld übrig, etwa nach einem einträglichen Verkauf von Vieh, so gab es drei Möglichkeiten zu dessen Verwendung. Man konnte die Banknoten auf ein Sparbuch oder – was auch vorgekommen sein soll – unter die Matratze legen. Diese Möglichkeiten wurden nicht eben häufig erwähnt, scheinen auch nicht grössere Dimensionen angenommen zu haben und erfüllten eher den Zweck eines Notgroschens als den einer habgierigen Anhäufung von Geld um ihrer selbst willen. Die zweite Möglichkeit wurde ebenfalls selten direkt erwähnt, aber vermutlich nicht, weil sie effektiv kaum praktiziert worden wäre, sondern weil sie moralisch etwas diskreditiert war. Gemeint ist das Geldausgeben für nicht notwendige und immaterielle Dinge, also etwa Wirtshausbesuche, Tanz oder andere Vergnügungen. Für diese Art Verschwendung gab es in beiden Kantonen den speziellen Dialektausdruck «vebotze» beziehungsweise «verbutzä». Dieses Verhalten existierte also zweifellos, auch wenn sich sein Umfang schwer abschätzen lässt. Im Vergleich der beiden Appenzell galten die Innerrhoder als ausgabefreudig, die Ausserrhoder dagegen als «bhäbig» (zurückhaltend), wie es der «Protestantischen Ethik» entspricht. Letztere wurden daher von der Volksmeinung auch als reicher angesehen.58 Ein grosszügiges Ausgabeverhalten von reichen Grossbauern wurde bei entsprechenden Gelegenheiten allgemein erwartet, sonst verfielen sie schnell dem Verdikt des Geizhalses.
Am häufigsten wurde nicht unmittelbar benötigtes Kapital jedoch im Betrieb investiert. Dies konnte auf zwei Arten erfolgen – traditionell oder «modern». Die traditionelle Weise bestand vor allem darin, dass man, sofern das Geld nicht von einem Viehverkauf, sondern etwa aus der Milchabrechnung herrührte, ein oder zwei Kühe zusätzlich kaufte, wenn die Futterbasis ausreichte oder mit irgendwelchen Massnahmen, etwa der Zupacht oder Alpung, etwas vergrössert werden konnte. Ferner gab es vielleicht etwas am Haus zu sanieren, wozu man Handwerker benötigte. «Modern» war man, wenn eine landwirtschaftliche Maschine angeschafft wurde, worauf gleich im nächsten Abschnitt noch eingegangen wird.
Das Gegenstück zum Sparen stellt das Kreditwesen dar. Weil die Verschuldung und die daraus resultierenden Zinszahlungen der schweizerischen Bauernbetriebe, zum Teil bedingt durch die hohen Bodenpreise, allgemein hoch waren,59 sollen hier noch einige Bemerkungen dazu angebracht werden. Die Schuldenlast war in jüngerer Zeit gestiegen, vor allem in der grossen Krise der Zwischenkriegszeit. An diese erinnerten sich noch einige Befragte mit Sorgen, doch stände eine detaillierte Schilderung dieser Zustände ausserhalb unseres Untersuchungszeitraums. Es kam damals sogar zu nicht wenigen Verkäufen überschuldeter Höfe an reiche Bürger, wobei die in Not geratenen früheren Besitzer ihren Betrieb meist als Pächter weiter betreiben konnten.60 Die Situation verbesserte sich merklich durch die gute Wirtschaftslage nach 1945. Die früher sehr üblichen Privatkredite waren damals selten geworden; Missbräuche und Ausnutzung der Notlage der Schuldner hatten sie längst in Verruf gebracht. Auch der kirchliche Kredit, der einstmals, im Barock, konkurrenzlos führend gewesen war, existierte mit einer kleinen Ausnahme nicht mehr.61 Allerdings hatten einige Geistliche bei der Gründung lokaler Banken und Leihkassen eine gewisse treibende Rolle gespielt. Fast ausschliesslich bei diesen besorgten sich die Landwirte nach 1945 notwendige Hypothekarkredite. Konsumschulden galten als ehrenrührig, gleichwohl mussten arme Familien manchmal bei Bäckern oder in Läden anschreiben lassen, bis das Milchgeld ausgezahlt wurde. In Schulden führen konnten einerseits Krankheiten, Unfälle und Viehseuchen, andererseits leichtfertige Ausgaben, vor allem für Alkohol oder Geldspiele. Letztere waren früher nicht selten, allerdings nach 1945 im Verschwinden begriffen.62
Der Umgang mit dem Risiko hängt in mehrfacher Hinsicht mit dem Bezug zum Geld zusammen. Das klassische Instrument zur Milderung und Behebung von Risiken aller Art ist die auf mathematischem Kalkül beruhende Versicherung. Sie war eine im Wesentlichen auf das 18. Jahrhundert zurückgehende typisch protestantische Erfindung und wurde danach von den Katholiken nur zögerlich und verspätet übernommen.63 Es herrschte bei ihnen die Meinung vor, man dürfe nicht in das Walten Gottes über Glück und Unglück eingreifen. Die Versicherung hängt indirekt mit dem Geldwesen zusammen, weil mit diesem Instrument die meisten Verschuldungen wegen der genannten, nicht selbst verschuldeten Ursachen hätten vermieden werden können. Umgekehrt waren aber in vielen Familien die Mittel so knapp, dass man die Prämien kaum hätte bezahlen können. Da und dort war ferner noch ein gewisses Misstrauen vorhanden, was mit dem eingegangenen Prämiengeld geschah. Infolgedessen war man im Zeitraum nach dem Krieg in den hier untersuchten Gebieten in der Regel, wenn überhaupt, nur unterdurchschnittlich versichert. Betrachten wir die Sache im Einzelnen:64
Personenversicherungen waren bei der bäuerlichen Bevölkerung eine Randerscheinung. Dies gilt in erster Linie für die Krankenkassen, die bei ihr praktisch unbekannt waren. Erst lange nach dem hier betrachteten Zeitraum (1971) wurde zum Beispiel in Appenzell durch den dortigen Bauernverband eine bäuerliche Krankenkasse eingerichtet, wodurch eine grössere Anzahl Mitglieder in den Genuss eines solchen Versicherungsschutzes kommen konnte. Für Unfälle gab es früher die sogenannten «Heftliversicherungen», mit denen man gekoppelt mit dem Abonnement auf eine illustrierte Zeitschrift auch eine relativ billige Versicherung abschliessen konnte.65 Ziemlich bedeutungslos scheint die Haftpflichtversicherung gewesen zu sein, auch weil damals das Bewusstsein dafür noch kaum ausgeprägt war.
Bei den Sachversicherungen war sowohl in Appenzell wie in Obwalden die Brandversicherung für Gebäude praktisch obligatorisch, nämlich dann, wenn sie hypothekarisch belastet waren. Diese Bestimmung lag im wohlverstandenen Interesse der Gläubiger und konnte nicht umgangen werden. Die Versicherung musste man privat abschliessen, eine obligatorische staatliche Brandversicherung gab es in beiden Kantonen nicht. Auf eine Mobiliarversicherung verzichteten aber die Bauern damals offenbar fast vollumfänglich. Wichtiger, ja von existenzieller Bedeutung war für sie die Viehversicherung. Schon früh, in Appenzell bereits 1914,66 wurden entsprechende Bemühungen unternommen, um die manchmal furchtbaren Folgen der damals noch grassierenden Viehseuchen (Maul- und Klauenseuche, Bangsche Krankheit, Tuberkulose usw.),67 aber auch von Unfällen zu mildern. Dennoch war nach der Aussage der appenzellischen Interviewpartner nur eine Minderheit der Bauern entsprechend versichert.68 In Obwalden gab es in vier Gemeinden durch entsprechenden Beschluss eingerichtete Viehversicherungskassen, die für die dortigen Bauern obligatorisch waren.69 Der Anteil der Versicherten war daher lokal unterschiedlich, scheint aber insgesamt etwa ähnlich klein wie im Appenzellischen gewesen zu sein.70 Die zweite wichtige Sachversicherung für die Landwirtschaft war die Hagelversicherung. Appenzell und Obwalden lagen witterungsmässig in einem Gebiet mit mittlerer Schadenhäufigkeit. Dennoch waren offenbar in beiden Kantonen nur sehr wenige Bauern dagegen versichert, in Appenzell weniger als ein Zehntel aller Betriebe.71 Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, dass in den Gegenden mit Graswirtschaft die möglichen Schäden viel weniger eingreifend waren als in Regionen mit Getreideanbau. Der Anteil der Versicherten könnte in Obwalden deshalb etwas grösser gewesen sein, weil hier besonders auch das Obst betroffen werden konnte. Da es allerdings fast nur für den Eigengebrauch verwendet wurde, spielten mögliche Schäden, die meist eher äusserer Natur waren, ebenfalls eine geringere Rolle als in den gewerblich betriebenen Anbaugebieten.
Das Interesse an den kommerziellen Versicherungen hielt sich vor allem in Innerrhoden aber auch deshalb in Grenzen, weil es hier noch eine Art «religiöse Versicherung» gab. Gegen Wetterunbill gab es eine ganze Reihe geistlicher Abwehrmittel.72 Trat eine Viehseuche auf, so machten offenbar einige Bauern dem zuständigen Patron, in Innerrhoden also in erster Linie dem Heiligen Sebastian,73 ein Gelöbnis, sein Heiligtum, nämlich die Kirche in Brülisau, bei Verschonung am nächsten Kirchenfest mit einer grösseren Gabe zu beschenken.74 Tatsächlich war in solchen Zeiten beim Patronatsfest am 20. Januar nicht nur die Kirche mit Gläubigen, sondern auch die Opferkasse mit Geld prall gefüllt. In Obwalden war von solch spezifischen Gelöbnissen nichts bekannt (sie wurden aber für denkbar gehalten). Allerdings sei es üblich gewesen, präventiv oder nachher zum Dank bei Verschonung von Unglück bei den Tieren, Andachten abzuhalten oder Messen lesen zu lassen.75 Das Beispiel Brülisau zeigt sehr schön, wie barocke religiöse Gewohnheiten noch lange nachwirkten und das moderne rationale Verhalten bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein konkurrieren konnten.