Kitabı oku: «Der Ruhrbaron aus Oberhausen Paul Reusch», sayfa 2

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Prolog

Paul Reusch wurde am 9. Februar 1868 in Königsbronn in Württemberg geboren. Nach seiner Schulzeit in Königsbronn, Aalen und Stuttgart studierte er an der Technischen Hochschule in Stuttgart Bergbau- und Hüttenwesen. Seine Berufstätigkeit als junger Ingenieur begann er bei den Jenbacher Berg- und Hüttenwerken in Tirol. Nach einer einjährigen Unterbrechung 1890/91 zur Ableistung des Militärdienstes in München ging er für zehn Jahre ins Ausland, zunächst zur Firma Ganz & Co nach Budapest, dann 1895 zur Witzkowitzer Bergbau- und Hüttengesellschaft in Mähren. Die Eindrücke in Osteuropa haben ihn stark geprägt; er berief sich in späteren Jahren immer wieder auf seine Erfahrungen als junger Ingenieur in den östlichen Ländern der Donaumonarchie.

Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, am 1. September 1901, trat Paul Reusch eine Stelle als Direktor bei der Friedrich-Wilhelms-Hütte in Mülheim an der Ruhr an. Er muss in dieser Position herausragende Leistungen gezeigt haben, denn nur vier Jahre später berief der Aufsichtsrat des Gutehoffnungshütte Aktienvereins den 37-Jährigen in den Vorstand nach Oberhausen. 1908 folgte die Ernennung zum Vorstandsvorsitzenden. Als gerade 41-Jähriger übernahm er diese Verantwortung. Er bekleidete diese Position fast 33 Jahre lang bis Anfang 1942.

„Ich habe mir, solange ich im wirtschaftlichen Leben stehe, stets die größte Mühe gegeben, der Sozialdemokratie und den sozialdemokratischen Gewerkschaften das Wasser abzugraben.“ (Paul Reusch am 22. 12. 1913)

1.Der neue Vorstandsvorsitzende der GHH im Kaiserreich

Gemessen an der Zahl der Beschäftigten (21.657) behauptete die Gutehoffnungshütte (GHH) 1907 ihren dritten Platz unter den Firmen der Schwerindustrie an der Ruhr, weit hinter dem Marktführer Krupp (64.354) und knapp hinter der Gelsenkirchener Bergwerks-AG (31.252), aber noch vor Thyssens Gewerkschaft Deutscher Kaiser im benachbarten Hamborn.1 Aus dieser Position der Firma ergab sich aber nicht zwangsläufig ein gleichrangiger persönlicher Einfluss des neuen Vorstandsvorsitzenden der GHH. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg gaben im Kreis der Ruhr-Barone neben der überragenden Figur des Hugo Stinnes Emil Kirdorf, August Thyssen und der neue Krupp-Direktor Hugenberg den Ton an, sowohl wirtschaftlich und verbandspolitisch als auch hinsichtlich des direkten politischen Einflusses auf staatliche Institutionen.2 Es war für den neuen, noch sehr jungen Generaldirektor der GHH gewiss nicht leicht, gegenüber diesen machtbewussten Gestalten die Stellung zu behaupten bzw. sich überhaupt erst eine unabhängige Machtposition zu erkämpfen. Wenn er für sein Unternehmen und für die Stadt Oberhausen einen „Platz an der Sonne“ reklamierte, so war dies nicht nur eine rhetorische Verbeugung vor Kaiser Wilhelm, sondern hatte seinen realen Hintergrund im Konkurrenzkampf mit den mächtigen Unternehmen in der Nachbarschaft.

Innerhalb des Unternehmens jedoch und auf lokaler Ebene lagen die Dinge anders. Spätestens Reuschs Auftritt bei der 50-Jahr-Feier der Stadt Oberhausen, drei Jahre nach seiner Ernennung, zeigte, dass es nicht die Eigentümer der Gutehoffnungshütte waren, die als Großunternehmer im öffentlichen Leben in Erscheinung traten, sondern der angestellte Vorstandsvorsitzende. Dies setzte bei der GHH eine lange Tradition fort: Auf die Luegs im 19. Jahrhundert folgten im 20. Jahrhundert die Reuschs. Die Verlagerung der Macht hin zu den angestellten Unternehmern entsprach dem Trend, der generell in den Werken der Schwerindustrie zu beobachten war.3 Nicht zufällig berief auch die Konkurrenzfirma in Essen in diesem Jahr 1909 einen neuen Vorstands-Vorsitzenden: Alfred Hugenberg übernahm diese Funktion bei Krupp. Anders als bei der GHH jedoch überließ Gustav Krupp von Bohlen und Halbach seinen angestellten Managern die Unternehmensführung keineswegs in alleiniger Zuständigkeit.

Als Reusch 1909 Generaldirektor der GHH wurde, dominierten in der deutschen Industrie wirtschaftlich – nicht politisch – längst die „neuen Führungssektoren“ Großchemie, Elektrotechnik und Maschinenbau, die alle sehr stark exportorientiert waren.4 Diese Ausrichtung auf die Weltmärkte begründete objektiv ein Interesse am freien Zugang zu den internationalen Märkten, an niedrigen Zöllen, an der Freiheit der Verkehrswege auf den Weltmeeren, d. h. an einer internationalen Verständigung zumindest mit den benachbarten Großmächten, langfristig also an der Erhaltung des Weltfriedens. Es wäre somit naheliegend zu vermuten, dass Reusch seine Unternehmensstrategie ganz auf das weitere Wachstum des friedlichen internationalen Warenaustausches ausrichtete, als er zu Beginn einer langen Hochkonjunkturphase die Führung übernahm. Der politische Kontext dieser Jahre war aber nicht durch friedliche Verständigung sondern durch wachsende Spannungen geprägt. Reuschs Ernennung zum Generaldirektor fiel in „jene fatale imperialistische Hochrüstungsepoche“, die 1914 folgerichtig „in einem schrecklichen Kriegsgemetzel mündete“.5 In diesem Kontext machte vor allem die Firma Krupp glänzende Geschäfte. Die „Waffenschmiede“ des Deutschen Reiches sonnte sich wie kein anderes Unternehmen in der Gunst des Monarchen. Daneben musste die viel kleinere GHH versuchen, sich zu behaupten.

Der Expansionskurs des neuen Generaldirektors

Einer aus dem Kreis der Autoren, die an Reuschs Mythos zimmerten, sah ab 1909 einen „neuen Geist in Oberhausen“ walten. Unter Reuschs Führung habe sich die GHH, das Ziel „restloser Rohstoffautarkie“ im Blick, „unter die ganz Großen“ eingereiht.6 Die Kundschafter der GHH schwärmten in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg in die ganze Welt aus auf der Suche nach zusätzlichen Rohstoffquellen, in Europa neben Frankreich auch in Spanien und Portugal, in Griechenland, Norwegen und vor allem in Schweden, dem für die Zukunft wichtigsten Lieferanten von Eisenerz. Der wichtigste sachverständige Ingenieur bei der Rohstoffsuche war schon vor dem ersten Weltkrieg neben Bergrat Mehner Bergassessor Kipper, der ein Vierteljahrhundert später von seinem Chef Paul Reusch gedrängt werden würde, als Experte für Eisenerz in Görings Vier-Jahresplan-Behörde mitzuarbeiten.7

Die GHH erwarb 1911 Mehrheitsbeteiligungen an großen Erzgruben in der Normandie. Reusch engagierte sich bei diesem Projekt persönlich sehr stark. Er machte später im Krieg diesen Besitz, wie die anderen Konzernherren der deutschen Schwerindustrie auch, zum Ausgangspunkt der Annexionsforderungen, die bis in den Spätsommer 1918 hinein alle Bemühungen um die Beendigung des längst aussichtslos gewordenen Kriegs torpedierten.

Allerdings erschien die GHH erst auf dem Schauplatz in Nord-Frankreich, als die deutschen Konkurrenzfirmen dort schon mehrere Jahre aktiv waren. Seit 1901 bemühte sich der Thyssen-Konzern um Eisenerzkonzessionen in der Normandie und in Lothringen, stieß aber auf große Schwierigkeiten bei den französischen Behörden. Ein aggressiver Konfliktkurs, bei dem August Thyssen zeitweise von der Reichsregierung Repressalien gegen französische Firmen in Deutschland verlangte, brachte keinen Erfolg.8 Es muss ihm bald klar geworden sein, dass eine Konfrontation weder der französischen noch der deutschen Industrie nützen würde. Der erfahrene Industrie-Stratege August Thyssen, gewiss keiner pazifistischen Neigungen verdächtig, wies deshalb 1907 darauf hin, dass sich Frankreich und Deutschland wirtschaftlich hervorragend ergänzen könnten: „Sie haben in Lothringen ungeheuer viel Eisen, aber gar keine Kohle, während wir einen Überfluss an Kohle besitzen, aber gar kein Eisen. Deshalb ist es durchaus notwendig, dass unsere beiden Länder nicht nur friedlich, sondern auch freundschaftlich miteinander stehen.“9 Krupp, vor dem Krieg der größte Ruhr-Konzern, arbeitete gleichzeitig bei der Erschließung von Erzfeldern in Marokko und Algerien eng mit der französischen Firma Le Creusot zusammen. Die von Fritz Fischer zitierte bemerkenswerte Äußerung von August Thyssen stand also am Ende einer Phase „gegenseitiger Durchdringung der Interessen“. Die „französisch-deutsche Solidarität, wie sie die Eisenhüttenleute anstrebten, [wurde jedoch] von den französischen Behörden gebremst.“10

Was die Wirtschaft anging, so gab es also in der Phase zwischen 1906 und 1910 durchaus Chancen für einen Interessenausgleich zwischen der französischen und der deutschen Seite.11 Die Marokkokrise beendete 1911 jedoch alle Ansätze einer Verständigung zwischen den Nachbarn. Ein wirtschaftlicher Interessenausgleich wurde generell durch den „assymetrischen“12 Charakter der deutsch-französischen Beziehungen erschwert: Dem massiven Eindringen der deutschen Schwerindustrie in Nord-Frankreich stand nämlich kein auch nur annähernd gleichwertiges Engagement französischer Firmen in Deutschland gegenüber. Auf die zweite Marokkokrise folgte denn auch eine „Ära der Schwierigkeiten 1911–1914“; in der französischen Öffentlichkeit brach – spiegelbildlich zum fanatischen Nationalismus in deutschen Massenmedien – eine „Kampagne gegen die germanische Invasion“ los.13 Die deutsche Schwerindustrie ihrerseits nahm in den letzten Friedenswochen 1914 die französische Eisenindustrie als zunehmend unangenehme Konkurrenz war. Reusch beauftragte seinen Stellvertreter Woltmann, ihm für einen Vortrag bei Minister Delbrück Material mit dieser Akzentuierung zusammenzustellen.14 In dieser aufgeheizten Atmosphäre sucht man vergeblich nach nüchternen, die wirtschaftliche und politische Vernunft betonenden Stellungnahmen aus den Kreisen der deutschen Schwerindustrie. Von Reusch ist auch für die früheren Jahre nirgends ein auf Verständigung mit Frankreich drängender, gegen den fanatischen Nationalismus gerichteter Ausspruch überliefert. Reuschs Vortrag bei Delbrück fiel bereits in die ersten Kriegswochen. Für seinen Vortrag bei der Reichsregierung würde er deshalb das Thema „Konkurrenz“ beiseite schieben und dem Geist der Zeit entsprechend nur noch über „Annexionen“ sprechen. Doch greift dies der Entwicklung vor. Zunächst zurück zum Eindringen der GHH in der Normandie.

Im 1871 annektierten „Deutsch“-Lothringen betrieb die GHH bereits Eisenerzgruben gemeinsam mit der Phoenix AG.15 Reusch strebte die Verhüttung des französischen Erzes in eigenen Anlagen vor Ort in Lothringen an, konnte aber dieses Projekt vor dem Krieg nicht mehr realisieren.16

Sein Hauptaugenmerk richtete Reusch jedoch auf die Erzfelder in der Normandie, ein Vorhaben, bei dem er sich persönlich außerordentlich stark engagierte. In den Jahren 1911 bis 1913 reiste er zehn Mal nach Paris, um die Verhandlungen mit den französischen Geschäftspartnern selbst in die Hand zu nehmen.17 Bis Ende 1913 nahm er an neun Sitzungen des Aufsichtsrats in Paris persönlich teil.18 Im Frühjahr 1911 lag Reusch ein ausführlicher Bericht über die südlich von Caen liegenden Erzgruben Barbery, Estrées-la-Campagne, Urville und Gouvix vor. Da nach französischem Recht keine Person oder Gesellschaft zwei Konzessionen erhalten durfte, musste zur Verschleierung der Besitzverhältnisse die „Société anonyme d’Extraction de Minerais“ mit Sitz in Paris gegründet werden.19 Dies geschah am 13. März 1911. Alle Aktien waren im Besitz der GHH. Diese durfte aber zunächst offiziell nicht in Erscheinung treten, weshalb für die Leitung dieser Firma die folgende bemerkenswerte Regelung gelten sollte: „Der Aufsichtsrat besteht vorläufig aus Herrn Schickardt und zwei Franzosen als Strohmännern. Nach Erledigung der Formalitäten werden die beiden Franzosen durch die Herren Reusch und Mehner ersetzt.“20 Dies war eine sehr durchsichtige Taktik, die denn auch vom französischen Präfekten sofort durchschaut wurde. Er erteilte die Abbau-Konzessionen für Gouvix nicht.21 Die GHH gehörte somit zu den deutschen Firmen, die nach der Marokkokrise von 1911 die Verschlechterung des Geschäftsklimas sofort zu spüren bekamen.22

Im April 1911 hatte Bergassessor Kipper seinem Chef eine detaillierte Zusammenstellung der Eisenerzanalysen für die Gruben in der Normandie vorgelegt. Die Verhandlungen mit den französischen Behörden über die Abbau-Konzessionen, vor allem über die Besteuerung, gingen nach dem Misserfolg von 1911 bis Ende 1912 weiter.23 Begleitmusik waren während der ganzen Zeit die von der deutschen Industrie als „willkürlich und schikanös“24 empfundenen Ausfuhrbestimmungen und Zölle der Franzosen und 1914 schließlich die angeblich überhöhten Frachttarife der belgischen Eisenbahnen, die für den Erztransport dringend benötigt wurden.25 Die Konkurrenzfirma Thyssen wollte dieses Problem durch die Verlagerung der Massentransporte auf Schiffe umgehen. Um kostengünstig Erz aus der Normandie nach Rotterdam und auf dem Rhein weiter ins Ruhrgebiet transportieren zu können und für den Kohletransport in der Gegenrichtung wollte Thyssen große Hafenanlagen in der Normandie bauen. In der Nähe der Erzgruben sollte ein großes Hüttenwerk entstehen. Auf diese gigantischen Investitionspläne der Konkurrenzfirma reagierte Reusch nervös. Um bei den Eigentümern nicht den Eindruck entstehen zu lassen, dass die GHH gegenüber Thyssen ins Hintertreffen geraten könnte, betonte er, dass „unser Erzbesitz in der Normandie nach aller Voraussicht wesentlich bedeutender ist als der Thyssen’sche“.26

In den langwierigen Verhandlungen mit den französischen Geschäftspartnern und dem französischen Staat verließ sich Reusch weitgehend auf den Präsidenten der Société des Mines de Barbery, Albert Taraud. Drei Jahre lang, bis zum Juli 1914, pflegten Reusch und Taraud in ihrer Korrespondenz einen persönlichen, ja freundschaftlichen Stil. Taraud schrieb dem „Directeur Général de la Gutehoffnungshutte“ viele Briefe in gestochen schöner Handschrift. Reusch revanchierte sich im April 1912 mit einer Sendung deutscher Qualitätsweine von der Mosel. Im November 1912 lud Taraud Reusch zur Hochzeit seiner Tochter ein; Reusch war jedoch verhindert und sagte telegraphisch ab. Noch am 10. Juli 1914 einigte sich Reusch persönlich mit Taraud über den Ausbau der Bahnlinie längs des Orne-Kanals zum Erzhafen bei Caen.27 Die Niederschrift einer Besprechung mit den französischen Geschäftspartnern vom Juli 1914 endet mit der folgenden Terminabsprache: „Nächste Sitzung 15. September 1914 in Paris.“28

Abb. 1:Taraud an Reusch, 8. 5. 1911, in: RWWA 130-300193006/16

Die Verhandlungen über die Erzgruben in der Normandie, besonders die freundschaftlichen Kontakte mit dem Geschäftspartner Taraud, mussten Reusch an sich deutlich machen, welch großes Interesse international tätige Firmen wie die GHH an einem friedlichen politischen Umfeld, besonders an einer Verständigung mit Frankreich, hatten. Der Krieg drohte die in langen Verhandlungen erworbenen Rechte an den Eisenerzfeldern in der Normandie mit einem Schlage wertlos zu machen. Der abrupte Abbruch der Geschäftsbeziehungen musste einem nüchtern denkenden Unternehmer eigentlich Anlass zur Sorge geben. Von Reusch sind jedoch keinerlei sorgenvolle oder auch nur nachdenkliche Äußerungen über die riskante, den Krieg in Kauf nehmende oder gar bewusst provozierende Politik der kaiserlichen Regierung überliefert. Er ließ sich im August 1914 vom blinden Begeisterungstaumel mitreißen und entwickelte sofort Pläne für die Enteignung der französischen Schwerindustrie nach dem deutschen Sieg. Den deutschen Grubenbesitz in der Normandie wollte er gegen entsprechende Erzfelder in Lothringen, das nach dem Sieg natürlich vollständig zu annektieren war, tauschen.29

Vergleichsweise geringe Probleme stellten sich dem neuen Generaldirektor beim anderen wichtigen Rohstoff der Schwerindustrie, der Kohle. Reusch setzte den Ausbau der Zechen im eigenen Konzern konsequent fort.30 Reusch trieb gleichzeitig die vertikale Expansion in die verarbeitende Industrie voran.31 Verglichen mit dem Erwerb der Deutschen Werft und vor allem der MAN nach dem Kriege waren dies jedoch nur erste kleine Schritte.

Schon bevor Reusch die Leitung des GHH-Konzerns übernahm, hatte die Schwerindustrie im Bündnis mit der Groß-Landwirtschaft gegen die Interessen der stark exportorientierten verarbeitenden Industrie die Wiedereinführung stark überhöhter Schutzzölle durchgesetzt.32 Als im Frühjahr 1914 die Frage der Schutzzölle wieder auf die Tagesordnung kam, „arbeiteten Schwerindustrie und Landwirtschaft“ wieder „Hand in Hand“ gegen die im Bund der Industriellen (BdI) zusammen geschlossene Fertigwarenindustrie, den Handel und die Banken. Alle bedeutenden Industriellen des Reviers (Hugenberg, Kirdorf, Stinnes, Reusch u.a.) waren beteiligt, als im März 1914 die „Auslands GmbH“ zur Verteidigung der speziellen handelspolitischen Interessen der Schwerindustrie ins Leben gerufen wurde.33

Während sie einerseits den deutschen Markt rigoros abschotteten, verlangten die Ruhrbarone gleichzeitig den freien Zugriff auf die Eisenerzlager in aller Welt. Diesen Anspruch sollte die kaiserliche Regierung durch eine energische imperialistische Politik durchsetzen, z. B. 1911 in der Marokko-Krise. Denn der „Anteil am Erzreichtum Marokkos ist für [die deutsche Schwerindustrie] eine Lebensfrage.“34 Paul Reusch, der noch sehr junge Nachkömmling unter den Ruhrbaronen, sah die Dinge offenbar genauso; er sah die Interessen der Schwerindustrie durch eine hoch riskante Politik der Konfrontation mit den benachbarten Großmächten am besten gewahrt.

Der nach außen gerichteten Expansionsstrategie des Konzerns entsprach im Innern die Konfrontation mit den Gewerkschaften.

Wachsende Spannungen mit Gewerkschaften und den Interessenverbänden der Angestellten

Der neue Generaldirektor Paul Reusch hatte seinen Posten in einer Situation verschärfter Spannungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften angetreten. Die freien Gewerkschaften hatten nach dem großen Streik von 1905 erheblich an Selbstbewusstsein gewonnen und waren deshalb spätestens 1910 nicht mehr bereit, die Reallohnverluste der vorausgegangenen Jahre seit der Hochkonjunktur 1907 hinzunehmen. Die Arbeitgeber der Schwerindustrie versteiften sich jedoch nach 1905 auf einen kompromisslosen Herr-im-Haus-Standpunkt; durch ihre Ablehnung jeglicher Verhandlungen mit den Gewerkschaften versuchten sie, die noch unorganisierten Arbeiter von einem Beitritt zur Gewerkschaft abzuschrecken. Noch vor der nächsten großen Kraftprobe mit den Gewerkschaften im Bergarbeiterstreik von 1912 jedoch ging die GHH unter Reuschs Führung gegen die Verbände der Techniker in die Offensive.

Der wachsende Einfluss der Interessenverbände der Angestellten alarmierte die Arbeitgeber fast noch mehr als das Anwachsen der streikbereiten Gewerkschaften der Arbeiter. Denn die unerschütterliche Gemeinsamkeit der Interessen von „Beamten“ und Werksleitung geriet dadurch ins Wanken. In den Verbänden der Techniker und der kaufmännischen Angestellten regte sich ein neuer Mittelstand; deshalb gab es in den liberalen Parteien große Sympathien für diese Bestrebungen, was die Schwerindustriellen veranlasste, umso härter gegen die unabhängigen Organisationen in ihrem Mittelbau vorzugehen.35

Die GHH erregte im Herbst 1911 durch die Maßregelung organisierter Techniker im Werk Sterkrade landesweit Aufsehen. Seit einer Resolution beim „Gautag“ des Bundes der technisch-industriellen Beamten (Butib) am 28. Mai 1911 in Duisburg stand dieser Verband unter verschärfter Beobachtung, weil seine Mitglieder es in diesem Beschluss abgelehnt hatten, sich als Streikbrecher einsetzen zu lassen. Dies – so der Duisburger Beschluss – sei mit der Standesehre der technisch-industriellen Beamten nicht vereinbar. Noch Monate später auf der Hauptversammlung von „Arbeitnordwest“36 wetterten die Unternehmer gegen diesen Beschluss als Wurzel allen Übels.37 Reuschs Stellvertreter Woltmann schrieb den Werksleitern der GHH in „streng vertraulichen“ Briefen, dass der Butib seitdem „völlig in radikalem Fahrwasser“ schwimme. Beim „Gehaltskampf“ im September 1911 in Berlin werde dies besonders deutlich. Ausdrücklich im Auftrag von Reusch wurden die Werksleiter verpflichtet, festzustellen, wer diesem Verband angehörte, und die Listen mit der Aufschrift „privat“ auf dem Umschlag Woltmann zukommen zu lassen.38

Die Erfassung der Verbandsmitglieder konnte nicht geheim bleiben, was den „Deutschen Techniker-Verband“ zu einem besorgten Brief an den Konzernherrn persönlich veranlasste. Schon der Stil der Anrede lässt erkennen, dass hier niemand „in radikalem Fahrwasser“ agierte: Der Geschäftsführer des Verbandes in Dortmund wandte sich an den „Hochwohlgeboren Herrn Generaldirektor P. Reusch, Königlicher Kommerzienrat“ in der Hoffnung, „bei Ihrem bekannten Wohlwollen den Angestellten gegenüber keine Fehlbitte zu tun“. In den Werken der GHH seien die Angestellten von den Abteilungsdirektoren einzeln vernommen worden, zum Teil seien sie zum Austritt aus dem Techniker-Verband gedrängt worden, „mit der gleichzeitigen Androhung, dass im Weigerungsfalle gekündigt werden würde“. Der Verband glaubte, dass hier ohne Reuschs Kenntnis „übereifrige Vorgesetzte den Staatsbürgerrechten der Angestellten zu nahe getreten sind“, und bat Reusch, Vertretern ihres Vorstandes „gütigst eine Unterredung gewähren zu wollen“.39 Reusch war wohl nicht „gütig“ in dieser Sache. In den Akten findet sich kein Antwortschreiben und auch kein Hinweis auf die höflich erbetene Unterredung, stattdessen ein Schriftstück, in dem ein Beamter in gestochener Sütterlin-Handschrift „ergebenst“ seinen Austritt aus dem Technikerverband mitteilt.40


Abb. 2:Deutscher Techniker-Verband, Geschäftsstelle Rheinland-Westfalen, Dortmund, an Reusch, 24. 10. 1911, in: RWWA 130-3001038/1b

Die angedrohten Entlassungen wurden zu diesem Zeitpunkt bereits eingeleitet. Bei dieser Aktion zeichnete sich Direktor Häbich im Werk Sterkrade durch besondere Härte aus. Dieser hatte in einer Konferenz mit den Abteilungsleitern die Vorgehensweise genau festgelegt. Der Nordwestlichen Gruppe des Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller teilte er konkrete Details mit: Die Verbandsmitglieder würden in Einzelgesprächen „zunächst mündlich dahin belehrt, dass sie durch ihre Berufsverbände irre geleitet und auf den Weg des Klassenkampfes gedrängt würden“. Man ließ ihnen nur die Wahl zwischen dem Austritt aus dem Verband und der Kündigung. Wenn sie sich weigerten, sofort eine Austrittserklärung zu unterschreiben, folgte die Entlassung. Von 44 so behandelten Technikern blieben nur sechs standhaft. Die Namen der Entlassenen wurden, mit Geburtsdatum, Geburtsort und genauer Berufsbezeichnung, dem Arbeitgeberverband mitgeteilt, damit alle Mitgliedsfirmen unterrichtet werden konnten.41 Bei Einstellungen mussten die Bewerber eine schriftliche Erklärung abgeben, dass sie keinem Berufsverband angehörten. Von Seiten der Firma sei, „zur Pflege der Geselligkeit“, die Gründung eines Beamten-Vereins in die Wege zu leiten.42 Die Direktoren ließen also keinen Zweifel daran, dass zwischen betriebsinterner Wohlfahrtspflege und Disziplinierung ein enger Zusammenhang bestand. Es wurde genau Buch geführt, welche Gehaltszahlungen den „ausgesperrten Technikern“ noch zustanden. Gleichzeitig erhielten sie ihre Beiträge zur Pensionskasse zurück vergütet. Alle Schritte der Sterkrader Werksleitung waren mit der Hauptverwaltung der GHH bis in alle Einzelheiten abgestimmt.43 Die GHH ließ also keinen Zweifel daran, dass eine Wiedereinstellung ausgeschlossen war.

Der harte Kurs der GHH stieß selbst in Unternehmerkreisen nicht überall auf Beifall. Reusch berichtete über die Maßnahmen seiner Firma bei einer Sitzung des Gesamtverbandes Deutscher Metallindustrieller in Berlin. Kein Geringerer als sein Unternehmerkollege Borsig kritisierte bei dieser Gelegenheit die Entlassungen als zu weitgehend. Er befürchtete negative Rückwirkungen bei den bevorstehenden Reichstagswahlen. Reusch beharrte aber auf seinem Standpunkt; der „Missstimmung in Beamtenkreisen“ glaubte er durch positive innerbetriebliche Maßnahmen entgegenwirken zu können.44

Die Maßregelung der Angestellten bei der GHH löste einen Sturm der Entrüstung aus. Die „Deutsche Industriebeamten-Zeitung“ erschien am 3. November 1911 mit der Schlagzeile „Der Tag von Sterkrade“ und kommentierte die Ereignisse auf der Titelseite, wie folgt: „Der Tag von Sterkrade ist ein schwarzer Tag in der Angestelltenbewegung. Mit Hilfe eines brutalen Gewissenszwanges hat die Gutehoffnungshütte einer Anzahl Kollegen ihr gesetzlich gewährleistetes Koalitionsrecht abgepresst. … Rücksichtslos, großartig. Bewundernswert, wenn solche Energie einmal für den Fortschritt der Menschen aufgewandt würde; verdammenswert, und alles Edle im Menschen zum Kampfe herausfordernd, wenn, wie hier, von dem Throne eines viele Millionen zählenden Aktienkapitals herunter Menschen, die nichts als ihr bisschen Ehre und Selbstachtung besitzen, auch dieses noch geraubt, die Menschenwürde mit Füßen getreten wird. … Was nun? Was tun?“45 Der Techniker-Verband und der Butib riefen zu großen öffentlichen Protestversammlungen in Köln, Düsseldorf, Elberfeld und Essen, aber auch in weit entfernten Städten wie Hamburg, Breslau oder Nürnberg auf.46

Eine besondere Wirkung versprachen sie sich von der Versammlung in Köln, da dort die Stadtverordnetenwahlen anstanden und das neue Stadtparlament über den Auftrag für den Bau einer neuen Rheinbrücke würde zu entscheiden haben. Bei der Ausschreibung lag die GHH gut im Rennen. Daher bestand bei den Techniker-Verbänden die Hoffnung, „dass die Versammlung die Kandidaten für die Stadtverordnetenwahlen veranlassen wird, ihr Amt von vorneherein mit dem festen Entschlusse anzutreten, der Gutehoffnungshütte, die das Recht ihrer Angestellten so schmählich mit Füßen getreten hat, den Auftrag auf keinen Fall zukommen zu lassen“.47

Für die Versammlung in der Düsseldorfer Tonhalle liegt ein ausführlicher „Stenographischer Bericht“ vor, wobei offen bleiben muss, auf welchem Weg dieses aufschlussreiche Dokument in die Akten der Konzernleitung der GHH gelangte. Der Hauptredner beschrieb die Vorgänge im Werk Sterkrade höchst anschaulich: „Es lässt der Direktor den Vorsitzenden der dortigen Ortsverwaltung des Deutschen Technikerverbandes zu sich kommen und gibt ihm auf, eine gemeinsame Austrittserklärung seiner Mitglieder einzureichen. Dem Vertrauensmann, dem die Mitglieder dieser Gruppe doch anvertraut sind und der ihre Rechte doch zu wahren hat, dem gibt man so kaltlächelnd den Auftrag, sammel mal die Austrittserklärungen deiner Mitglieder ein (Lachen!), die 22 Jahre dem Bunde angehört haben, ältere Leute, Familienväter, die sich freuen, dass sie versorgt sind, durch die Organisation mit dem ganzen Gros der Deutschen Techniker Fühlung zu haben. Für die Mitglieder des Bundes technisch-industrieller Beamten ging es etwas anders zu, für die hatte man hektographisch vervielfältigte Erklärungen ,Sterkrade, den 25. Oktober 1911. Ich verpflichte mich hiermit, sofort meinen Austritt aus dem Bunde anzumelden.’ Gleich für alle hergestellt.“48 Der „Gauleiter“ und andere Verbandsvertreter seien noch am gleichen Tag nach Sterkrade gefahren. „Wir fanden 37 Kollegen vor, die sich in außerordentlich gedrückter Stimmung befanden und sich immer fragten, was könnten wir tun gegen diese übermächtigen Geldmenschen. Nur 50 Minuten war Zeit zum Verhandeln. … Im Übrigen war allen gesagt worden, dass kein Zappeln etwas helfen würde, die Direktion hat es beschlossen und der Vorstand hat es beschlossen und was der Vorstand beschließt, das geschieht. Es ist ein sehr trauriges Kapitel, dass das alles geschieht. … Die Kollegen sahen sich sehr gedrückt gegenseitig an, sie hatten wenig Hoffnung, der Gutehoffnungshütte gegenüber etwas machen zu können.“49 Nachdem die Verbandsvertreter ihre Unterstützung versprochen hatten, wurde in geheimer Abstimmung beschlossen, dem Druck der Betriebsleitung nicht nachzugeben. 31 Unterschriften standen unter einer entsprechenden Erklärung, die die Verbandsvertreter dem Vorstandsvorsitzenden Reusch übergeben wollten. Der jedoch habe es abgelehnt, sie „zu empfangen“.50 Danach fiel einer nach dem anderen um. „Man holte den jüngsten herein. Man schnauzte ihn an, er unterschrieb. … Die Verhältnisse in diesen Werken sind dazu angetan, Charaktere zu fällen, wer einmal in diesem Betriebe gewesen ist, wer einige Jahre Beobachtungen gemacht hat, der weiß, dass dort Charaktere gebrochen wurden, systematisch, planmäßig. Man hat mit den Jüngsten angefangen, man hat ihnen einfach befohlen, sie haben unterschrieben. Sie fühlen sich nicht berufen, Vorkämpfer für andere zu werden. ,Wir setzen Sie einfach auf die schwarze Liste, und Sie werden nie wieder Arbeit finden’ (Pfui!).“51 Besonders hervorgehoben wurde danach sogleich der Mut der Wenigen, die dem Druck standgehalten hatten und sofort entlassen worden waren. Im Spektrum der gewiss nicht gewerkschaftsfreundlichen Schwerindustrie hatte sich die Konzernleitung der GHH mit dieser Aktion als besonders reaktionär profiliert. „Die Herren von der Gutehoffnungshütte vergessen aber … eins, dass nicht alle Betriebe so sind wie die der Gutehoffnungshütte. Dass nicht in allen Betrieben jener Geist umhergeht, der die Menschen, die Angestellten einander gegenüber misstrauisch macht, der es nicht dazu kommen lässt, sich zu verständigen. So sieht es aus. Aber Gott sei Dank nicht überall, und wo sie hinfassen werden mit tückischer Hand, die Geldleute, da werden sie sich das nächste Mal die Finger verbrennen.“52

Weitere Redner prangerten die Vorgehensweise der GHH an. In teilweise sehr pathetischem Stil beriefen sie sich auf die Menschenrechte, verlangten das Eingreifen des Staatsanwaltes zum Schutz des Koalitionsrechtes der Angestellten und forderten immer wieder dazu auf, bei der kommenden Reichstagswahl, Kandidaten zu unterstützen, die für die Rechte der Arbeitnehmer eintraten. Kein Redner ließ sich die Gelegenheit entgehen, durch Wortspiele mit dem Namen der GHH zu punkten: „Es ist ein eigentümliches Wort, das sich die Gutehoffnungshütte genommen hat (Lachen). Gute Hoffnung. Die Hoffnung, die wir hatten, dass es endlich im Deutschen Vaterlande anders gehen sollte mit den Menschenrechten, gerade diese Gutehoffnungshütte hat uns die gute Hoffnung und den Glauben daran gründlich versalzen. … Wem liegt nicht daran einzutreten für Menschenrecht, wem liegt nicht daran, für Staats- und Bürgerrecht einzutreten? Diejenigen, die nicht davon überzeugt sind, dass wir uns unser Recht erkämpfen müssen, können gestrichen werden wie die Umgefallenen von Sterkrade, sie gehen heute als Knechte einher und das in einem Werke, das sich Gutehoffnungshütte nennt.“53 Auch wenn man rhetorische Überspitzungen in Betracht zieht, so drängt sich doch der Eindruck auf, dass in den Betrieben der GHH, und dort wiederum vor allem in Sterkrade, unter Reuschs Führung ein extrem harter Kurs gegen die Arbeitnehmer gefahren wurde. „Sterkrade“ wurde zum Symbol für die kompromisslose Durchsetzung des Herr-im-Haus-Standpunktes: „Was wird aus uns werden, wenn in dem Kampf das Arbeitgebertum Sieger bleibt, das sich den Scherz von Sterkrade geleistet hat. Was wird aus uns werden, wir alle werden Nummern und bleiben Nummern in dem bewegten großen Betrieb, der uns beherrscht. Wird unser Schicksal glücklicher sein, wenn wir willenlos alles mit uns geschehen lassen müssen, was die Großindustrie mit uns vor hat?“54 Ein Redner nach dem anderen kritisierte die extreme Härte des „Arbeitgebertums“ in der GHH, wetterte „gegen das Herrentum von Sterkrade“55, auch gegen Reusch ganz persönlich: „Mag Sterkrade einen Direktor haben, der Kommerzienrat oder wer weiß was ist, wir werden ihm zeigen, dass unsere Organisation stark ist.“56 Niemand jedoch rief zum Umsturz des wirtschaftlichen und politischen Systems auf. Im Gegenteil: Es sollte im Rahmen des bestehenden Systems bei der Vergabe von Staatsaufträgen Druck ausgeübt werden: „Ich frage Sie, wie stellen sie sich dazu, soll der Bau der neuen Rheinbrücke [in Köln] der Gutehoffnungshütte übertragen werden?“57