Kitabı oku: «SONNENBRAND», sayfa 4

Yazı tipi:

Balsamäpfel

Memory 1

1.

Es war der lausigste, himmeltraurigste Auftrag, auf den ich mich in meinen fünfundvierzig Jahren je eingelassen hatte. Unser Raumschiff, die 4-Alpha, genoss den Ruf, die Desperados des halben Universums anzuziehen. Wer vorbestraft war und keinen regulären Job mehr erhielt, wer pleite war wie ich, landete unweigerlich über kurz oder lang auf der 4-Alpha. Ihr Captain, Martina Lebeau, ein altes Schlachtross, befand sich längst im Ruhestand. Aber statt ihre Altersrente zu genießen, hatte sie die Kiste gekauft und führte damit gegen gutes Geld die Aufträge aus, um die die Schiffe der Handelsmarine einen großen Bogen machten. Die Besatzung wurde für jeden Job gesondert zusammengestellt. Sie bestand heute, Martina eingerechnet, aus sechs Mann: einem Kommunikationsexperten, dem Zweiten Offizier – der Erste war Martina – und drei Arbeitern. Und so hatte sie mich eingefangen:

Ich war einer der drei. Wir hingen in Lunatown, dem größten außerplanetaren Raumhafen, herum. Einen der anderen, Billy, kannte ich von früheren Einsätzen, damals noch auf einem Handelskreuzer. Ich saß in der Planetenbar vor einem Kartoffelschnaps und träumte von einem Urlaub auf den Seychellen. Natürlich mit einer wunderschönen Frau, versteht sich.

»Suchst du Arbeit?«

»Sehe ich so aus?«, fragte ich zurück. Mein schöner Traum zerstob.

»Ja. Viel schlimmer noch. Du siehst so abgetakelt aus, dass man dich nicht einmal bei der Kehrichtbeseitigung brauchen kann.«

Ich wusste, wer sie war, hatte aber noch nie mit ihr zusammengearbeitet. Jetzt stand sie da und musterte mich, als litte ich an einer ansteckenden Krankheit. Ihr Kopf war fast breiter als hoch, und ihre Kleider mussten nach Maß angefertigt werden.

»Und?« Ich trank einen Schluck von meinem Schnaps. »Bist du wieder auf der Suche nach dem Abschaum der Gesellschaft?«

Sie setzte sich auf den leeren Stuhl an meinem Tisch; die Sitzfläche war zu schmal. Sie sagte:

»Hunderttausend Solar als Anzahlung vor dem Start, noch einmal soviel nach der Rückkehr vom Einsatz.«

»Einsatz?« Zweihunderttausend Solar waren viel Geld, sehr viel Geld. Also ein Himmelfahrtskommando. »Einsatz?«, wiederholte ich.

Martina winkte der Kellnerin. »Bring mir eine Brause.« Dann zu mir: »Balsam. Genauer: Balsamäpfel. Pflücken und heimbringen.«

»Wo?«

»Memory, siebter Planet im System Kepler. Erdähnliche Atmosphäre. Manche nennen sie zart, weil sie lieblich duftet. Tausendvierhundert Lichtjahre. Das schafft meine Kiste in dreizehn Erdentagen.«

Die Sache fing an, mich zu interessieren. Mit dem Geld konnte ich mich zur Ruhe setzen oder ein eigenes Unternehmen aufziehen, eine Weltraumagentur zum Beispiel. Vorausgesetzt ich überlebte die Übung. Ich fing an, mit mir selber zu verhandeln. Schon mehr als einmal war mein Leben an einem Faden gehangen. Aber ich hatte es stets geschafft, weil ich nicht in Panik geraten war. Ich würde es wieder schaffen.

Zu Martina sagte ich: »Diese Balsamäpfel müssen sehr teuer sein. Wer ist deine Konkurrenz?«

Martina schüttelte den Kopf. »Ich weiß nichts von Konkurrenz.« Ihr Dutt löste sich, und ihr Grauhaar fiel fast bis zu den Schultern. »Ja, die Scheißäpfel sind teuer, verdammt noch mal«, bestätigte sie. »Ich habe ganze Ländereien davon aufgekauft. Da hat niemand etwas zu suchen. Wenn sich jemand dort an meinen Äpfeln zu schaffen macht, wird er abgeknallt. Verstanden?«

»Ja«, sagte ich. »Und wer knallt ab?«

»Meine Mannschaft.«

»So.« Ich begriff immer besser, wofür sie so hohe Honorare bezahlte. Dann fiel mir ein: »Was sind dies eigentlich für Äpfel? Balsamäpfel?«

»Nicht so schnell, Raumfahrer«, bremste sie. »Sind wir uns einig? Bist du dabei, Pietro Serra?«

Mir war klar, dass sie sich über mich erkundigt hatte. Sie würde nicht irgendjemandem zweihunderttausend Solar ausrichten, und die Hälfte davon sogar als Vorschuss. Sie wusste, dass ich als Weltraumjournalist gearbeitet hatte und später von zwei Betrügern beim Kartenspiel über den Tisch gezogen worden war, und sie wusste, dass ich kämpfen konnte.

Ich sagte: »Ich bin dabei, Captain, wenn bis morgen früh, den 3. März 2030, bei der Terrabank hunderttausend Solar zu meiner freien Verfügung einbezahlt sind. Und jetzt die Äpfel, was ist damit?«

Sie stand auf und trank ihre Brause im Stehen aus. »Sie duften himmlisch. Und wenn du daran schnupperst oder davon isst, wirst du ein besserer Mensch.«

»Und das heißt?«

Martina lachte. »Das findest du spätestens heraus, sobald ihr auf Memory gelandet seid. Wir treffen uns morgen um zwölf bei der 4-Alpha.« Sie wandte sich zum Gehen, drehte sich aber nochmals um. »Und zieh' deine Uniform an, die gute.«

2.

Die Flüge zu fernen Planeten sind meist langweilig. Wenn sie es nicht sind, ist oft ein Problem aufgetreten, von dessen Lösung das Überleben der Besatzung abhängig ist. Das Raumschiff, das uns zum Planeten Memory bringen sollte, die 4-Alpha, war wohl alt, aber robust und bullig, wie damals noch die Toyota Landcruiser auf der Landstraße. Man konnte sich in den vierunddreißig Metern nanoverstärktem Kunststoff wohlfühlen.

Unser Start war reibungslos verlaufen. Der Kurs war programmiert, der Überlichtantrieb getestet und in Betrieb genommen. Unsere gesamte Flugdauer würde zwölf Tage, dreizehn Stunden, fünf Minuten und achtundzwanzig Sekunden, Erdzeit, betragen. Die Zeitdilatation war neutralisiert. Wie das funktionierte, war mir ein Rätsel. Ich wusste nur, dass die Neutralisierung bewirkte, dass die Menschen in unserem Raumschiff bei der Rückkehr gleich alt waren wie diejenigen in unserem heimischen Sonnensystem. Für mehr waren Martina und Leandro, ihr zweiter Offizier, zuständig.

Philipp Beckett, dem Funkoffizier, unterstanden Verbindung und Kommunikation. Er war vorbestraft und hatte fünf Jahre abgesessen. In der Zeit war sein Haar schlohweiß geworden, und er hatte sich den Siebenten-Tag-Adventisten, einer alten Religionsgruppe auf der Erde, angeschlossen.

Mein offizieller Einsatz würde, zusammen mit Billy und Gregor, erst auf Memory beginnen. Aber als Amateurkoch war ich an Bord für die Verpflegung zuständig. Das tönte nach mehr, als es war. Wenn wir lange genug in einem Raumhafen lagen, kaufte ich vorportionierte und zum Teil tiefgekühlte Speisen ein, Teigwaren und Kartoffeln für den Kalorienhaushalt, Gemüse und Fruchtsäfte wegen ihrer Vitamine und Randen und Bohnen für die Verdauung. Als kleinen Luxus hatte Martina in der Kombüse eine Nespressomaschine für die ganze Mannschaft eingerichtet; wahrscheinlich glaubte sie, der Kaffee würde uns jederzeit wach und munter halten.

Während des Fluges erwies sich Martina als viel umgänglicher als in den Kneipen auf Lunatown. Im Raumschiff fühlte sie sich unter ihresgleichen; in den Kneipen jedoch war sie den Blicken der anderen Raumfahrer ausgesetzt, die sich an ihrem breiten Hintern und ihrem mächtigen Kopf ergötzten.

Jetzt rief sie uns zusammen. Auf dem Pult unter dem Steuermechanismus des Schiffes lagen drei Früchte, ungefähr halb so groß wie Tennisbälle.

»Balsamäpfel«, sagte Martina. »Schaut sie gut an.«

Ich sah ihr Schmunzeln und schnappte mir einen der Äpfel. Er sah aus wie eine blaugrüne Blumenknospe, die noch nicht aufgegangen war. Ich hielt ihn an die Nase, und, tatsächlich, sogleich umwehte mich ein Duft, der süß und sauer, bitter und zart zugleich war. Ich schloss die Augen und ließ den aromatischen Lufthauch sanft um mich wehen. Dann öffnete ich die Augen wieder und erschrak; Martinas Gesicht hatte sich mir bis auf einige Zentimeter genähert, und ihr Kopf drohte mich zu verschlingen. Ich sah ihren halb offenen Mund, der etwas zu sagen im Begriff war, und ich sah jede Pore im derben Gesicht unseres Captains.

»Leg ihn zurück«, wies mich Martina an. Ich gehorchte, und ihr Gesicht stand wieder in gebührendem Abstand von meinem.

»Das war ein ganz harmloses Beispiel«, erklärte Martina. »Ein psychisches Phänomen, das in der Fachwelt als Bewusstseinserweiterung bekannt ist. Ihr müsst daran denken, wenn ihr auf Memory für mich die Balsamäpfel pflückt.«

Billy meldete sich zum Wort. Seine Augen blickten verunsichert. »Gibt es noch andere Phänomene, auf die wir achten müssen?«

»Oh ja, das eben war nur eine ganz kleine Kostprobe, sozusagen«, erwiderte Martina grinsend. »Wenn du einen Apfel bei dir hast, hörst du jedes Geräusch aus deiner Umgebung viel stärker als normal; wenn sich dein Nachbar mit seiner Frau streitet, verstehst du jedes Wort selbst bei geschlossenem Fenster. Du empfindest Düfte und Gerüche, die sonst außerhalb der üblichen Wahrnehmung bleiben, und dein Unterbewusstsein spült dir Ereignisse an die Oberfläche, an die du dich sonst nie erinnern würdest.«

Ich sah, wie es in Billys Gesicht arbeitete. Erst nach einer Pause brachte er hervor: »Danke. Das war sehr interessant. Ich bin bloß nicht sicher, ob diese Phänomene angenehm oder unangenehm sind. Ich brauche das Geld. Aber ich habe mich für einen einfachen Job gemeldet, Apfelpflücken, verladen und zu Hause wieder ausladen. Aber was ich jetzt gehört habe, ist ja viel mehr und vielleicht sogar gefährlich.«

Jetzt richtete sich Martina auf und stellte sich in ihrer ganzen Breite vor Billy. »Hör zu, Junge«, donnerte sie. »Du hast dich zu einer Arbeit verpflichtet – Äpfel pflücken, du hast Geld dafür bekommen. Du hast keine weiteren Fragen gestellt, deine Sache. Für eure Sicherheit auf Memory wird gesorgt. Jetzt hör auf zu flennen und klemm deine Arschbacken zusammen. Ende der Diskussion!«

»Fick dich, alte Krähe«, schnaubte Billy. »Pass auf, sonst kannst du deine Äpfel selber pflücken.«

3.

Der Flug zum Keplersystem verlief mustergültig. Martina hielt die Ordnung im Raumschiff aufrecht, manchmal durch Schweigen, manchmal durch einen lauten Fluch, manchmal durch schallendes Gelächter, bei dem sie ihr Pferdegebiss so weit aufriss, dass die hintersten Zähne sichtbar wurden. Sie entwickelte eine Tendenz, mir gewisse Informationen anzuvertrauen, die ich diskret zu behandeln hatte. Ich versuchte sie zu bremsen; es lag mir nichts daran, gegen die übrigen Mitglieder der Besatzung abgegrenzt zu werden, aber Martina war ein Ereignis, gegen das kein Kraut gewachsen war. Einmal gerieten wir in der Kombüse aneinander, weil ich ein Detail aus Leandros Privatleben nicht entgegennehmen wollte. Sie beendete die Diskussion mit einem kurzen, trockenen »Leck’ mich!«

An diese Art der Gesprächsführung hatten wir uns schnell gewöhnt. Die 4-Alpha war ihr Leben und die Besatzung der Blitzableiter für alles Übrige …

Etwas vom Schönsten, was die Natur für uns bereithielt, war die Annäherung an einen neuen Himmelskörper. Memory, unser Zielplanet, war zunächst lediglich ein weiterer Lichtpunkt im Weltall wie alle anderen. Langsam, als er näher kam, wuchs er zu einer farbigen Kugel, hinter der sich bereits, noch in weiter Ferne, die Sonne Kepler abzeichnete. Da ich keine Funktion im Zusammenhang mit der Landung hatte, stellte ich mich hinter Martina auf und bewunderte auf ihrem Großbildschirm, wie Memory allmählich dessen ganze Fläche einnahm.

Ich konnte zwei große Kontinente ausmachen, die im Norden des Planeten zusammenwuchsen und im Übrigen von riesigen Ozeanen umgeben waren. Die Kontinente schimmerten grünblau, waren aber stellenweise von gelben, wüstenähnlichen Flächen durchzogen. Nach Gebirgszügen hielt ich vergebens Ausschau. Wenn es sie je gegeben hatte, waren sie im Lauf der Jahrmillionen zu kleinen Hügelchen erodiert, die von unserer Entfernung aus noch nicht auszumachen waren.

Martina hatte uns erklärt, dass Memory noch unbewohnt war, aber dank der erdähnlichen Atmosphäre über kurz oder lang wohl von abenteuerlustigen Unternehmern für menschliche Besiedlung erschlossen würde. Zehn Jahre jünger, dachte ich mit leiser Wehmut, und ich wäre dabei!

Gregor war das jüngste Mitglied der Besatzung. Mit seinem gedrungenen, breiten Körperbau hätte er Martinas Sohn sein können. Er lachte viel, und dabei schwollen seine Wangen zu rosigen Pölsterchen an. Mir schien, sein Lachen überspiele eine große Unsicherheit. Jetzt stand er reglos neben mir und bestaunte das Wunder des schnell wachsenden Planeten auf dem Bildschirm vor uns.

»Wunderschön«, sagte er leise.

»Dein erster Trip?«, fragte ich ihn.

»Soweit hinaus schon.«

»Vorher?«

»Kurierdienste zwischen Luna und Terra. Langweilig und schlecht bezahlt.«

»Hm.« Der Junge gefiel mir. »Und das hier? Warum?«

Gregor blickte mich an. Seine Augen fragten, wie viel er mir verraten dürfe. Er entschied sich. »Das Geld. Und der Weltraum. Ich habe mein Jurastudium abgebrochen. Vom Weltraum habe ich schon als Junge immer geträumt, vom richtigen Weltraum. Und jetzt – jetzt bin ich hier.«

»Ja, jetzt bist du hier«, sagte ich.

Nun wurde er mutiger. »Und du?«, wollte er wissen. »Warum bist du hier?«

»Das Geld«, erwiderte ich. »Im Zweifelsfall dreht sich immer alles ums Geld. Ich habe mit einem Unternehmen Pleite gemacht. Und das hier –«, ich machte mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand die Bewegung des Geldzählens, »hilft mir wieder auf die Beine. Verstehst du?«

»Ja, klar.«

Nach unseren Geständnissen schwiegen wir beide. Ich dachte an die Balsamäpfel. Martina hatte genug darüber erzählt, um mich misstrauisch zu stimmen. Misstrauischer als normal. Bewusstseinserweiterung – dank ihren Äpfeln. Wenn das stimmte, was sie sonst noch berichtet hatte, steckte ein ungeahntes Potenzial dahinter. Geschäftliche Vorteile, Erfolg. Aber auch Betrug, Verbrechen. Staatsstreiche. Und wenn sie behauptete, sie wisse nichts von Konkurrenz, bedeutete dies noch lange nicht, dass tatsächlich keine Konkurrenten hinter ihren Äpfeln her waren. Und das Honorar, das sie mir zugesichert hatte, sprach gleich nochmals eine deutliche Sprache. Vielleicht wusste sie wirklich nicht, ob Schwierigkeiten bevorstanden, aber sie ahnte es. Ich musste mich vorsorglich auf unfreundliche Begegnungen auf Memory gefasst machen.

4.

Für die Landung und den Aufenthalt auf Memory trugen wir leichte Schutzanzüge ohne Helm. Die 4-Alpha ging am Rand eines Wüstenabschnitts nieder; gleich links davon begann ein riesiges Feld mit Balsamapfelbäumen. Die Bäume waren knapp zwei Meter hoch, und die Äpfel tragenden Zweige begannen einen halben Meter über dem Boden, er war steinhart und sandig. Die Früchte waren nicht blaugrün wie diejenigen, die wir im Raumschiff gesehen hatten, sondern gelbrot. In der Luft lag ein besonders schwerer Duft mit einem süßen Unterton. Es war, als hätten die Bäume sich verschworen, ihre gesamten Gerüche gleich jetzt, zu unserem Empfang abzugeben. Martina erklärte uns, dass sie nun reif waren und die Erntezeit begonnen hatte. Und um uns auf das einzustimmen, was vor uns lag, verkündete sie mit ihrem lauten Bass, der bis weit ins Apfelfeld hinein zu hören war:

»Jetzt ist Schluss mit Faulenzen, ihr Penner. Ich brauche fünf Tonnen Äpfel. Ihr habt vier Tage Zeit zum Pflücken. Das gilt für Pietro, Billy und Gregor. Die Anderen machen das Schiff klar zur Rückreise und helfen danach bei den Bäumen.«

Gregor fragte: »Wie kommen die Äpfel ins Schiff?«

»Naseweis, kannst nicht warten«, knurrte Martina. In Ihrem Gesicht stand als Belohnung für Gregor ein kleines Lächeln. »Durch die Ladeluke hinten. Ihr füllt im Feld flache Anhänger mit den Äpfeln, der Antigravroboter holt sie und lädt sie im Schiff ab. Du wirst gleich alles sehen.«

Sie unterbrach sich und fummelte in den Taschen ihres Schutzanzugs. »Hier sind Funkgeräte für jeden. Damit ruft ihr den Roboter herbei. Der besorgt alles Weitere. Und –« Sie hob ihre Stimme wieder und sagte streng: »Äpfel nur pflücken und in die Anhänger. Nicht schnuppern und nicht essen, verdammt noch mal. Verstanden?«

Sobald wir alle genickt hatten, setzte sie hinzu: »Und nun zur Artillerie.« Sie trat zu einem Schrank, der bis jetzt nicht geöffnet worden war. »Für jeden eine Pistole und ein halbautomatisches Gewehr samt Munition. Was wir hier unternehmen, ist kein Kinobesuch im Plüschsessel. Es könnte eine Schlange auftauchen oder irgendein unbekanntes Raubtier oder sonst etwas Verrücktes. Dann müsst ihr euch wehren.«

Der Hinweis auf die Waffen erschreckte mich nicht, aber für meine Kollegen kam er unerwartet. Gregor gestand, noch nie eine Feuerwaffe in den Händen gehalten zu haben. Wir holten die Waffen aus dem Schrank. Ich nahm ihn zur Seite und verpasste ihm einen Blitzkurs in Pistolenschießen: entsichern, Pistole halten, zielen, ruhig bleiben, abdrücken. »Halte dich in meiner Nähe«, sagte ich ihm noch. Mehr lag nicht drin; das Gewehr musste warten.

Martinas Anleitung, wie wir vorzugehen hatten, dauerte kaum eine Viertelstunde. Sie war gut vorbereitet. Sie zeigte uns die Anhänger, und wir luden sie aus. Dann folgte wie von Geisterhand der Antigravroboter, von Martina durch ein Funksignal in Bewegung gesetzt.

Im Laderaum des Raumschiffs war eine große Tiefkühltruhe eingebaut. Sie fasste die fünf Tonnen Äpfel. Diese bewahrten ihre besonderen Eigenschaften längstens während drei Monaten. In dieser Zeitspanne mussten sie zum Mond gebracht und danach den Kunden, die ungeduldig warteten, für teures Geld ausgehändigt werden.

Martina hatte mir vertraulich mitgeteilt, dass für einen einzelnen Balsamapfel bis zu tausend Solar bezahlt wurden. Ich unterließ es zu berechnen, wie viel demnach die ganze Ladung von fünf Tonnen wert war. Sie überlege, sagte sie, mir einen hübschen Bonus auszurichten, wenn die ganze Expedition erfolgreich abgeschlossen war. Ich nahm das zur Kenntnis und äußerte mich nicht dazu.

Die Schwierigkeiten begannen, bevor ich den ersten Apfel gepflückt hatte. Es brauchte fast übermenschliche Kraft, die Früchte von den Zweigen zu lösen, und zudem waren Stamm und Äste der Bäume mit Dornen bewachsen. Auf unsere entrüsteten Rufe reagierte Martina kühl: »In den Taschen der Anzüge hat es Handschuhe.«

Ich begann zu zweifeln, ob wir angesichts dieser Umstände die fünf Tonnen in vier Tagen schaffen würden. Aber das vereinbarte Honorar war nicht von einer bestimmten Menge transportierter Balsamäpfel abhängig gemacht worden.

Keine Viertelstunde später machte uns neues Ungemach zu schaffen. Wir hatten die Äpfel von unten nach oben zu pflücken. Das hieß, dass wir bei jedem Baum eine Zeit lang mit gebeugtem Rücken und entsprechenden Schmerzen nahe dem Boden arbeiten mussten. Aber die Schmerzen schwanden, wenn wir uns auch nur kurz dem süßschweren Duft hingaben, der über allem in der Luft schwebte. Der Himmel leuchtete in schönstem Rosarot, Wolken waren keine zu sehen. Wenn wir die Augen schlossen, umhüllt vom Apfelduft, wurde die Welt unwirklich. Die Gesetze der Physik existierten nicht mehr. Farbige Ringe umkreisten und entführten uns, unwiderstehliche Müdigkeit kam über uns, und wir legten uns schwerelos in der süßen Luft zum Schlafen nieder.

Dann verscheuchte ein raschelndes Geräusch die verlockende Illusion; ich sah unmittelbar vor mir ein vierbeiniges Wesen vorbeihuschen. Ich hätte es fast mit Händen greifen können. Ein Fell bedeckte Körper und Pfoten. Der Kopf war nackt, und zwei übergroße Ohren dienten wohl als Signalempfänger. Das Rascheln klang auch, als komme es direkt von nebenan. Bewusstseinserweiterung!

Gregor, der ein paar Meter neben mir mit den Dornen eines Balsamstammes kämpfte, hielt mit seiner Arbeit inne. Vor unseren Augen verfolgten jetzt zwei wesentlich größere Tiere das erste. Sie rannten halb aufrecht auf den Hinterläufen an uns vorbei; mit den Armen fuchtelten sie nervös um sich. Mit ihren kurzen Schnauzen und dem breiten Mund sahen sie menschenähnlich aus. Sie erreichten ihr Opfer und packten es brutal. Das Erste hielt das Kleine mit einem Klammergriff fest, das andere verbiss sich mit spitzen Klauenzähnen in seiner Kehle. Dann schleppten sie das wehrlose Kleintier aus unserem Gesichtsfeld weg, tiefer in den Apfelwald hinein. Ein jämmerliches Quietschen war alles, was wir hörten.

»Schrecklich«, flüsterte Gregor. »So was habe ich noch nie gesehen.«

Sein Gejammer passte mir nicht. »Gewöhne dich daran, je schneller desto besser. Ich habe auf anderen Planeten viel Schlimmeres erlebt. Und jetzt zurück an die Arbeit.«

Meine Reaktion auf seine Bemerkung war schroffer ausgefallen, als ich mich fühlte. Martina hätte uns auf das Vorhandensein einer Tierwelt hinweisen können; mit Sicherheit hatte sie Memory schon vor unserer Reise besucht und kennengelernt. Der Fantasie, was sich auf dem Planeten alles herumtreiben konnte, waren keine Grenzen gesetzt. Kleintiere wie das, das den Großen zum Opfer gefallen war, Raubtiere, menschenähnliche Wesen, intelligente Wesen und so weiter. Aber es passte zu Martina, dass sie ohne große Kommentare einfach Waffen verteilte. Wir würden ja selber sehen …

5.

Nach den Anfangsschwierigkeiten verliefen die ersten beiden Pflücktage erstaunlich gut. Philipp Beckett, der Funkoffizier, half uns. Martina schaute zu und prüfte, ob nicht versehentlich eine Frucht am Stamm hängen geblieben war. Zu viert pflückten wir die Äpfel, luden sie auf die Anhänger und schickten sie zum Schiff zum Abladen. Wir lernten, den Dornen auszuweichen und die Balsamäpfel mit einem schnellen Griff aus dem Handgelenk vom Stamm zu reißen. Das Bücken nach den unteren Äpfeln tat uns sogar gut. Unsere Rückenmuskulatur wurde stärker, und die Schmerzen verschwanden.

Trotz meiner vielen Raumflüge zu anderen Planeten als Journalist hatte ich noch nie eine Welt erlebt, auf der eine Frucht das vorherrschende pflanzliche Lebewesen darstellte. Der Balsamapfel glich äußerlich am ehesten der irdischen Artischocke. Dazu trugen vor allem die dachartig übereinandergestapelten spitzen Blättchen bei. Diese verströmten den schweren Duft mit seinen besonderen Auswirkungen. Sie waren essbar und sehr süß wie Ananas oder vollreife Orangen. Aber wenn man sie verzehrte, traten im Bereich der Psyche Wirkungen auf, die nicht voraussehbar waren und sich einlässlicher wissenschaftlicher Erforschung entzogen. So konnte es geschehen, dass der Genuss des Balsamapfels nicht nur die Funktionen wie Hören, Sehen, Fühlen, Schmecken massiv verstärkte, sondern dass sich bestimmte Zustände vom beobachteten Objekt direkt auf den Beobachter übertrugen.

Martina hatte versucht, mir das zu erläutern. Wenn ein Adler hoch im Himmel mit weitoffenen Schwingen seine Kreise zog und ich ihn intensiv beobachtete, wurde ich selber zum Adler. Wenn ich Reitpferden beim Dressurreiten angestrengt zuschaute, konnte es geschehen, dass ich selber vorübergehend zu einem Pferd wurde. Völlig unberechenbar wurde es bei Gerüchen, Geräuschen und Erinnerungen. Im zurückliegenden zwanzigsten Jahrhundert hatte ein Wissenschaftler in Basel ein Psychopharmazeutikum namens LSD erfunden, das die menschliche Psyche in unerhörte Höhen aufschwingen ließ. Ein Anwender des Produktes war überzeugt, fliegen zu können und sprang aus dem sechsten Stock ins Freie. Es kam nie zu einem zweiten Versuch.

Am dritten Tag geriet Martinas Fahrplan massiv durcheinander. Gregor und ich waren schon ziemlich weit in den Apfelwald eingedrungen, Billy und Philipp nicht weit hinter uns. Unvermittelt tauchten vor uns drei der Tiermenschen auf, die an unserem ersten Pflücktag ein kleines Tier getötet hatten. Mit gefletschten Zähnen und ihren klauenbewehrten Vorderläufen stürzten sie sich auf Gregor. Dieser schrie und versuchte die Angreifer mit Händen und Füssen abzuwehren. Ich zog meine Pistole, zielte vorsichtig, um Gregor nicht zu verletzen, und schoss auf den hintersten der drei. Ich sah, dass ich ihn am Hals getroffen hatte. Er jaulte laut und zog sich zurück. Die anderen beiden, vom Schuss erschreckt, ließen von Gregor ab und schauten ratlos um sich. Ich gab einen zweiten Schuss ab und traf den vorderen der beiden verbliebenen Angreifer. Nun ergriffen auch sie die Flucht.

Ich ging zu Gregor. Sein linker Ärmel wies einen Riss auf, die Hand einen Kratzer. »Noch etwas?«, wollte ich wissen. Er schüttelte den Kopf.

Ich rief Martina an. Sie stand bei der Ladeluke und kontrollierte die Ladungen der Anhänger. Ich berichtete ihr.

Sie fluchte wie ein Rohrspatz: »Scheißpack. Normal ist, sie haben Angst vor uns. Habt ihr sie provoziert?«

Das forderte Billy heraus. »Dir fällt wohl keine dümmere Frage ein, was?«

»Hüte deine Zunge, Milchgesicht!«

»Du hast dich verpflichtet, für unsere Sicherheit zu sorgen. Jetzt tue etwas, verdammt noch mal.«

»Ja, das tue ich, Hosenscheißer«, gab sie zurück. »Wir gehen jetzt gemeinsam in einer breit gezogenen Linie in den Apfelwald und pflücken weiter. Jeder hält seine Pistole so, dass er jederzeit sofort schießen kann. Das wird die Viecher vertreiben. Gemeinsam sind wir sicher. Alles klar?«

»Nein!«, maulte Billy. »Die wissen doch gar nicht, was eine Pistole ist.«

»Umso besser.«

Ich mochte mich nicht an diesem Wortgefecht beteiligen. Martina hatte am Ende immer recht.

Wir arbeiteten uns, wie Martina angeordnet hatte, in breit gezogener Linie vorwärts. Pro Baum schafften wir fünfzehn bis zwanzig Äpfel. Wir waren an die dreihundert Meter von der 4-Alpha entfernt, und jeder hatte neun oder zehn Bäume leergepflückt, als wir einen durchdringenden Schrei vernahmen.

Es war Philipp. Wie aus dem Nichts waren fünf der Tiermenschen aufgetaucht und hatten sich auf unseren Funkoffizier gestürzt.

»Die Affen!«, rief Martina laut. »Erschießt sie.«

Philipp schaffte es nicht, seine Pistole zu ziehen. Zwei hatten seine Arme gepackt, weitere zwei zerrten ihm den Anzug vom Leib, und der Letzte hatte sich in seine Kehle verbissen. Martina stand am nächsten bei Philipp, sie gab einen Schuss ab, traf aber keinen der Angreifer. Diese zogen sich blitzartig zurück; Philipp schleppten sie mit sich.

Es gelang mir, auf den hintersten der fünf einen gezielten Schuss abzugeben. Ich traf ihn am rechten Hinterlauf, und er hinkte nur noch und geriet rasch in Rückstand zu den anderen. Jetzt nahm ich mein Gewehr von der Schulter und zielte sorgfältig. Mein zweiter Schuss traf ihn am Hinterkopf; er stürzte zu Boden und blieb reglos liegen. Zwei der anderen gingen zurück, packten ihn und folgten der Dreiergruppe mit Philipp; innert Sekunden waren sie alle zwischen den Balsamapfelbäumen verschwunden.

Mir gingen verschiedene Gedanken durch den Kopf, aber ich behielt sie für mich. Ihr organisiertes Vorgehen deutete auf eine gewisse Intelligenz, und sie benutzten für ihre Angriffe keine Waffen, sondern nur ihr Gebiss und ihre Vorderläufe.

Ich ging zu Martina, sie war bleich. Ich sagte: »Der nächste Angriff steht unmittelbar bevor. Wir müssen uns vorbereiten.«

»Wie?«

»Das Gelände besser beobachten. Schießen, bevor sie bei uns sind. Oder hast du eine andere Idee?«

»Hm.« Sie senkte den Kopf. »Wir zwei sind die einzigen Schützen.«

»Wie wahr«, sagte ich. »Also?«

Ich erwartete, dass sie sagen würde: Zurück zum Schiff und abhauen.

Aber sie rief: »Sie kommen schon!«

Weit vor uns lebte es zwischen den Bäumen. Es war ein einziges Gewusel, und es sah aus, als lebten die Bäume. Die Affenwesen rannten in ihrem ganz eigenen Laufschritt auf uns zu, und zwischen ihnen und den Bäumen war kein Unterschied zu erkennen.

»Zurück zum Schiff!«, schrie Martina.

Wir rannten los. Ich rief: »Pistolen entsichern und bereithalten. Schießen, wenn die Affen bis auf zwanzig Meter vor uns sind. Dann trefft ihr besser.«

Es kam alles ganz anders. Wir waren noch knappe hundert Meter vom Raumschiff entfernt, als wir die Angreifer in Körpernähe auf uns zukommen sahen.

Bewusstseinserweiterung, wurde mir sofort klar. Ich sah mich selber mitten in einem Rudel angriffswütiger Tiere; sie lebten und pulsierten, ihre grünen Augen fixierten mich, einen gezielten Schuss abzugeben war unmöglich. Meinen Gefährten ging es gleich.

Ich rief ihnen zu: »Schießt so gut es geht, aber sofort.«

Ich schoss auf eines der Affenwesen, die um mich herumtanzten. Gleichzeitig spürte ich, wie andere an meinen Kleidern zerrten, und ein Angreifer biss in meinen rechten Arm. Ich hüpfte, sprang und drehte mich, damit sie mich nicht packen und noch mehr verletzen konnten. Ich musste zusehen, wie zwei der Affen Billy angriffen, ihn auf den Boden zerrten und sich in seinem Hals festbissen. Martina schoss ebenfalls auf die Affen, verpasste sie aber. Sie stürzte, und die Angreifer fielen sofort zu viert über sie her. Ich kämpfte mich zu ihr durch und feuerte auf das Pack, bis sie von ihr abließen. Unterdessen rannte Gregor an uns vorbei zum Schiff. Ich half Martina auf die Beine und stützte sie, während wir zum Raumschiff taumelten. Leandro, der auf Martinas Geheiß an Bord geblieben war, kam uns auf der Leiter zur Einstiegsluke entgegen, fasste ihren linken Arm und zog sie nach oben.

Aber im letzten Augenblick sprang ein Affe Martina von hinten an und krallte sich in ihrem Rücken fest. Er biss sie in die Schulter, ich zielte sorgfältig an ihr vorbei und erledigte den Angreifer mit einem Kopfschuss. Erst jetzt bemerkte ich, dass vier Affen und Gregor an uns vorbei über die Leiter nach oben kletterten und im Schiffsbauch verschwanden.

Ich zog Martina vollständig ins Schiff hinein, dann gingen Leandro und ich mit gezogenen Pistolen gegen die vier vor. Gregor folgte uns. Die Affen beachteten uns nicht, sondern öffneten mit vereinter Kraft die Türe zur Tiefkühlkammer. Ich feuerte einen Schuss auf den Letzten ab; die anderen drei verschwanden in der Kühlkammer und kamen je mit einer Handvoll Äpfel zurück. Sie warfen sie aus der Luke hinaus und eilten zurück in den Kaltraum. Ich verstand: Sie wollten ihre Balsamäpfel zurückholen! Ich erschoss noch einen, dann warfen wir die beiden toten Affen über Bord. Die verbliebenen zwei verschwanden von selber, als wir uns mit den Pistolen auf sie stürzten.

6.

Das Ergebnis unserer Landung auf Memory war erschreckend ausgefallen. Während der Planet uns mit den süßesten Düften umwehte, griffen uns einheimische Wesen, halb Mensch, halb Tier, zu Dutzenden an und töteten Billy und Philipp auf brutalste Weise. Das Ziel der Expedition, fünf Tonnen Balsamäpfel heimzubringen, war weit verfehlt. Bloß etwas mehr als drei Tonnen lagen jetzt im Kühlraum. Martina, die Schiffseignerin, war schwer verletzt, und ihre Kunden in Lunatown würden wohl ihre Anwälte auf sie loslassen, wenn die vereinbarte Menge an Äpfeln nicht geliefert wurde.

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

₺171,53

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
290 s.
ISBN:
9783957658593
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre