Kitabı oku: «Lust und Liebe dann kam das Leben», sayfa 9

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28. NOVEMBER

Drei Wochen später …

Zum wiederholten Mal an diesem Vormittag beendete mein Handy abrupt meine schönen Tagträume und die so genussvolle Entspannung im warmen Wasser von Claudis Pool.

»Hallo mein Paul«, klang erschöpft Claudis Stimme in mein Ohr, »alles gut bei dir und in meinem Himmelreich?«

Bei mir ist alles bestens, aber du klingst gar nicht gut.«

»Die Tournee schlaucht einfach, aber die Nächte danach eigentlich noch mehr, … hihi. Habe gestern in Moskau einen ganz, ganz süßen Typen kennengelernt. Bin wunderbar durchgevögelt … War das ein heißes und vor allem gut gebautes russisches Bärchen!«

»Gratuliere! … was sagst du? Moskau? Ich glaube es nicht.« Sie hatte die letzten Wochen von den verschiedensten Metropolen Europas angerufen und ausführlich von ihren jeweiligen Eroberungen berichtet. War fast ein wenig neidisch auf dieses Leben.

»Paul, Moskau ist einfach so abgefahren, da sollten wir auch mal zusammen hin. Meine Truppe ist gestern in einem kleinen Restaurant für Neureiche aufgetreten. Kannst du dir einfach nicht vorstellen … Pinkelbecken aus Meißner Porzellan mit Blümchenmuster und Petit Four mit Blattgold oben drauf. Die Flasche Wein ab tausend Euro, zum Glück war ich von meinem russischen Bärchen eingeladen. Einfach super dekadent. Und dazu mein Bärchen mit seinem russischen Vorzeigeschwanz. Mir zittern jetzt noch die Knie.«

Dass Claudi so erschöpft klang, war ja kein Wunder. Aber sie klang auch sehr glücklich. Ich freute mich für sie.

»… und alles klar in meinem Himmelreich? Gießt du auch schön und regelmäßig meine Pflanzen?«

Erschrocken glitt mein Blick durch das große Poolzimmer, wo viele Pflanzen devot ihre Blätter vor mir neigten um so unterwürfig meine geschätzte Aufmerksamkeit zu erregen.

»Selbstverständlich Claudi«, murmelte ich spontan sehr leise, »alles bestens!«

Im selben Augenblick streifte etwas meinen Kopf und landete neben mir im Pool. Erschrocken starrte ich auf ein großes, gelbes Blatt – eines der letzten – von Claudis geliebtem Gummibaum.

»… und vergiss nicht meinen geliebten Gummibaum, der neben dem Pool steht«, kam es sofort wie zur grausigen Untermalung meines Schreckens aus dem Handy.

»Bleibe wahrscheinlich etwas länger. Mein ach so süßes russisches Bärchen hat mich nach der Tournee auf seine Datscha eingeladen. Aber du kümmerst dich ja um mein schnuckliges Himmelreich, danke nochmals dafür mein lieber Paul. Tschüss und Küsschen!« Ein auf einmal im Handy erklingendes brünstiges tiefes, raues Stöhnen wurde abrupt durch schnelles Auflegen von Claudi unterbrochen.

Den vorletzten Lebensabschnitt von vielen Pflanzen vor Augen sprang ich blitzartig aus dem Pool und leistete mit Claudis großer Gießkanne in Penisform erste Hilfe in der umfangreichen Pflanzenwelt vom Himmelreich.

Seit Claudis Abreise waren es äußerst traumhafte Wochen für mich gewesen. Jeden Morgen, wenn ich so gegen elf Uhr mein schickes Büro betreten hatte, war es eine geliebte Gewohnheit von mir geworden, mir sofort ein ausgiebiges Bad im Pool zu gönnen. Konnte einfach dieser Verlockung nicht wiederstehen. Während ich dann im warmen, duftenden Wasser lag, gingen mir oft die Chaterlebnisse mit der Streetlady66 durch den Kopf. Diese Bäder waren die schönsten Stunden vom Tag. Schon nach wenigen Minuten im Pool rekapitulierte mein Gehirn Satzfetzen und Fantasiebilder von dem, was die Streetlady66 so geschrieben, aber vor allem, was sie dabei so alles mit sich selbst getrieben hatte. Meine Hand, die dabei mit heftigen auf-und-ab Bewegungen nachhalf, verstärkte diese Bilder aufs Beste. Endlich konnte ich den jeweiligen Vorabend ungestört und unkompliziert genießen, ohne dass ich dabei die Tastatur vom Computer bearbeiten musste. Dass ich jetzt auch beide Hände frei hatte, verstärkte diesen täglichen Vormittagsgenuss für mich auf das Trefflichste. Sehr oft schoss ich mich in dieser Zeit ab. ›In diesem einen Fall hielt ich mich strikt an Claudis Anweisungen …‹, grinste ich im Stillen, ›nur Fremdeiweiß im Pool war mir ja verboten worden.‹

Bei der Größe des Beckens konnte das Wasser bestimmt jahrzehntelang meine oft sehr reichlichen Zusätze verkraften, ohne umzukippen.

Die Streetlady66, ihren richtigen Namen wollte sie mir einfach nicht verraten, hatte nach dem für sie ersten Cybersex sehr großen Gefallen an dieser Art der Unterhaltung mit dem ›Prinzmit-weißem-Pferd‹ gefunden. Anfänglich hatten wir nur gechattet, wenn ein Pokalspiel oder ähnliches im Fernsehen übertragen wurde. Da brauchte sie keine Angst zu haben, dass ihr Mann ihre neu gefundene und mittlerweile sehr geliebte Art und Weise zur Befriedigung ihrer reichlich vorhandenen Lust, wie ich langsam mitbekam, störte. Musste jetzt noch lachen, wenn ich daran dachte, dass nach zwei Wochen auf einmal der Schichtplan ihres Mannes im Chatfenster erschien, mit der Bemerkung, mich bei der Kontaktaufnahme bitte daran zu orientieren und vor allem auch keine Möglichkeit auslassen sollte. Außer unseren richtigen Namen wussten wir schon sehr viel voneinander. Meine Streetlady66 war ungefähr zehn Jahre älter als ich, was mich sehr anmachte, wie ich verwundert feststellte. Sie arbeitete als Krankenschwester und war außer mit mir im Chat noch nie fremdgegangen, obwohl sexuell in ihrer Beziehung fast nichts mehr lief. Bei meinen Fragen, warum sie so lebte und sich das antat, erhielt ich nur ausweichende Antworten. Eigentlich konnte es mir egal sein, aber durch die vielen Chatgespräche waren wir uns näher gekommen, als wir es bestimmt im realen Leben je oder zumindest so schnell gewesen wären. Wieder einmal bestätigte sich meine Erfahrung, dass man in der anonymen Welt des Netzes viel offener miteinander redete. Ich hatte ein ungewisses aber sehr schönes Gefühl für meine Streetlady66, keine Liebe, irgendetwas anderes machte sich in mir breit. Einfach eine ganz enge Vertrautheit, sie war auf einmal mehr als nur Lustobjekt geworden. Besonders nachdenklich und traurig machte mich ihre Einstellung, dass sie angeblich nur entscheiden konnte zwischen abgesicherter Langeweile oder Einsamkeit. Sie hatte sich für die Sicherheit entschieden.

Auch auf sexuellem Gebiet war diese Vertrautheit entstanden. Wir verstanden uns wahrscheinlich auch hier besser, als wenn wir in der kurzen Zeit, die wir uns kannten, täglich 24 Stunden nur gevögelt hätten.

Sexuelle Wünsche waren auch für mich viel einfacher in den Computer einzutippen, als wenn ich der Streetlady66 real gegenüber gestanden oder treffender gesagt, gegenüber gelegen hätte. Warum hatte ich dies noch nie im wahren Leben hinbekommen? Könnte alles viel einfacher sein …

›Mach’s doch endlich einmal, wenn dir deine Traumprinzessin über den Weg laufen sollte …‹, kam es bestätigend von Klein- Paul, ›dann halte ich auch einen jahrelangen stupiden Speiseplan durch.‹

Da hatte er wirklich Recht, ich musste viel lockerer werden, in Bezug auf Sex meine Wünsche und Vorstellungen einfach so zu äußern als würde ich eine Pizza oder Ähnliches bestellen.

›Aber vornehmen und es wirklich machen sind bei dir oft zweierlei, kenne dich doch schon so lange!‹ gab Klein-Paul keine Ruhe. ›Bin sehr gespannt …‹

Auch wenn mir die Streetlady66 nicht ihren richtigen Namen verraten wollte, was sie sonst so im Chat über sich verriet, machte Lust auf mehr. Schwarze, lange, lockige Haare, schlank mit Körbchengröße 75c, einen trainierten Körper – sie spielte nebenbei Handball – und einen kleinen, süßen, ganz festen Po sollte sie haben. Ob ich dies jemals in der Realität überprüfen dürfte, war fraglich. Alle Fragen meinerseits in dieser Richtung wurden mir mit lustigen Zitaten aus Grimms Märchenbuch beantwortet. Dort, wo ich ihrer Meinung nach ja zu leben hatte, der Prinz-mit-dem-weißen-Pferd.

Zu Beginn unserer Chattreffen lebten wir beide noch im Märchenland, ich war ihr Prinz und sie die von der Stiefmutter verstoßene Prinzessin. Aber mein virtuelles Schloss reichte uns auf einmal nicht mehr, auch ihre oft kurz bemessene Zeit und unsere wachsende Lust verkürzten immer mehr das romantische Rollenvorspiel.

Werde nicht den Abend vergessen, als nach meinem ›Hallo liebe Prinzessin‹ sofort die Antwort kam:

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von: Streetlady66

an: Prinz-mit-weißem-Pferd

Fick mich bitte sofort. Ganz schnell und hart, reibe mich schon eine halbe Stunde selbst, mmhhh … vor Vorfreude auf Dich!

Laufe förmlich aus …

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Unsere gegenseitige Geilheit kannte bald keine Hemmungen mehr. Als uns keine Stellung und kein Möbelstück, auf dem wir es treiben konnten, mehr einfiel, gingen wir zu Natursekt, Analsex und Sadomaso-Spielchen über. Alles Dinge, die wir im normalen Leben noch nie fabriziert hatten, die uns aber, selbst nur in Worte gefasst, eine unbeschreibliche Lust bereiteten.

Immer noch splitternackt mit Claudis Plastik-Penisgießkanne in der einen und einem zuckenden, harten und tropfenden, sehr lebendigen Penis, aufgrund der zahlreichen Gedanken an die Streetlady66 während des Blumengießens, in der anderen Hand, beschloss ich, mein morgendliches Bad heute ausnahmsweise etwas zu verlängern.

Zum Glück hatte ich meine Poolspielereien rechtzeitig beendet, denn als ich nun endlich an meinem Schreibtisch saß, klingelte es Sturm an der Haustür. Schnell rannte ich hin und öffnete die Tür.

»Tag Paul, so ein Leben wie du möchte ich wenigstens im Urlaub mal haben! Hast wohl gerade erst geduscht?« und lachend zeigte David, der Fahrradkurier, auf meine noch nassen Haare.

»Ne, ne, war nur etwas ungeschickt beim Blumengießen«, gab ich ausweichend zurück.

Kannte David schon von meinem ersten Agenturleben. David war einfach am zuverlässigsten, so hatte ich mich auch bei meinem Neustart für ihn entschieden.

»Sind ja tolle Andrucke. Habe die Plakate beim Abholen in der Repro kurz bewundern dürfen. Ganz der alte Paul, aber das bin ich ja gewohnt von dir!«

»Danke für dein Lob, kann ich wirklich gebrauchen.« Schnell streifte ich dabei die unzähligen Wassertropfen aus meinem Haar, die sonst ungebremst auf die Andrucke getropft wären.

»Hier nimm« und David hielt mir die Rolle mit den Andrucken entgegen. »Ist heute die Hölle los, alle wollen alles auf einmal. Gib mir noch schnell ein Autogramm, muss weiter.« David streckte mir den Lieferschein entgegen und war fast schon im selben Moment mit seinem Bike und dem großen, orangefarbenen Rucksack wieder im dicken Straßenverkehr untergetaucht.

Etwas aufgeregt entrollte ich in meinem Büro die frischen Andrucke und die zahlreichen Proofs von Claudis neuer Werbekampagne. Langsam drehte ich die Andrucke im Licht der schon wieder untergehenden Sonne. War selbst jetzt, als ich die Drucke zum ersten Mal in der Hand hielt, immer noch von meiner Umsetzung begeistert. Von dem dunklen Hintergrund des Plakates leuchtete mir die Headline ›Claudi & Friends‹ entgegen. Ihre Bühnenpartner hatte ich sehr zurückgenommen und leicht abgesoftet, fast Ton in Ton mit dem Hintergrund. Zusätzlich hatte ich die Silhouetten der Tänzerinnen noch mit Mattlack versehen lassen. Als Keyvisual dominierte Claudi in ihrem extravagantesten und schrillsten Kostüm in grellen Farben das Plakat. Der zusätzliche glänzende UV-Lack nur auf Claudi verlieh dem ganzen Motiv fast einen räumlichen Ausdruck. Einfach ein Hingucker, hoffentlich empfand das Claudi auch so, wollte sie auf keinen Fall enttäuschen.

Eigentlich war es für mich fast zu einfach gewesen, so ein Ergebnis zu erzielen. Schon beim ersten Hochfahren des Macs in meinem Büro, MEINEM Büro, konnte es immer noch nicht richtig fassen, war ich nur noch voller Euphorie. Wiederholt schickte ich, wie schon so oft in den letzten Tagen, gedanklich danke, danke und nochmals danke Richtung Claudi.

Alle nötigen Grafik- und Bildprogramme waren in ihrer aktuellsten Fassung installiert. Säuberlich sortiert fand ich schnell Fotos von Claudi, ihren Bühnenkollegen und viele Liveaufnahmen von ihren Shows in einer speziellen Bilddatenbank. Die Fotos waren größtenteils von einem Profi geschossen worden, das erkannte ich sofort. Jetzt wurde mir auch klar, warum das alte Werbematerial von ihr so lasch aussah. Die Bilder waren zwar perfekt, aber von Bildbearbeitung schien kein Vorgänger von mir etwas verstanden zu haben.

Schnell hatte ich eine Auswahl aus dem umfangreichen Material für ihren neuen Auftritt zusammengestellt und mit Photoshop Spielereien – darin war ich schon immer ein Experte – und ein paar schnell zusätzlich installierten Zauberfiltern etwas geschaffen, was in dieser Welt Bestand haben könnte. Wie von Claudi gewünscht, hatte ich zwei verschiedene Kampagnen komplett durchlayoutet. Natürlich war die zweite Kampagne absichtlich etwas unstimmig. Kundin Claudi konnte ich hoffentlich damit genau auf die Kampagne lenken, die ich für die Bessere hielt. Dieser Trick hatte mir schon oft unnötige und langwierige Diskussionen erspart, welche Variante denn nun endgültig ausgewählt werden sollte.

Erleichtert legte ich alles für Claudis Rückkehr bereit und wendete mich wieder der für mich äußert nervenden und kräftezehrenden Akquise von potentiellen Kunden zu. Hatte es mir viel einfacher vorgestellt, wieder ins Geschäft einzusteigen. Dies wurde mir im Verlauf der letzten Tage immer mehr bewusst. Gleich am ersten Tag in meinem neuen Büro hatte ich begonnen, meine alten Kunden aus den vergangenen Zeiten anzurufen. Aber jeden Tag, der verging, musste ich aufs Neue enttäuscht feststellen, das sich die Erde trotzdem weiterdrehte, auch wenn Werbeprofi Paul verdammt viele Umdrehungen davon ausgelassen hatte. Die hoffnungsvollsten Aussagen waren bis jetzt, ›vielleicht später einmal …‹, ›sehr gern sogar, aber nicht jetzt …‹ oder ›… wir melden uns später bei ihnen‹. Ob das ›später‹ noch in diesem Jahrtausend sein würde, verschwiegen mir meine möglichen neuen Kunden natürlich immer.

Dass der Neuanfang schwierig sein würde, hatte ich mir gedacht, aber so schwierig musste er auch nicht unbedingt sein. Langsam vom Selbstmitleid etwas angefressen dachte ich immer öfter an die guten alten Zeiten mit meiner ersten Agentur zurück. Mit einem Blick auf die Uhr und der Erkenntnis, heute sowie nicht mehr die Welt retten zu können, versank ich in Gedanken wieder in die Zeit von damals …

Bambi in Leipzig. Wie immer, wenn ich daran dachte, hob sich durch das dort Erlebte meine Stimmung schlagartig. Auch wenn ich diese Scheinwelt im Laufe der Jahre fast gehasst hatte, hierbei musste ich immer wieder grinsen.

Nach dem Gewinn und dem Erfolg einer großen überregionalen Werbekampagne wurde meine Agentur regelrecht hofiert. Manche wollten wahrscheinlich etwas von dem Glanz abbekommen. Werde den Moment nie vergessen, als ich den Umschlag aufriss und darin die Einladung zu diesem Event vorfand. Schon nach dem Lesen hatte ich das erste größere Problem. Als Dresscode war Smoking vorgeschrieben. Aber zum Glück konnte man in einer großen Stadt wie Leipzig vieles ausleihen.

Vorschriftsmäßig gedresst lief ich dann an dem betreffenden Tag Richtung Augustusplatz, auf dem sich der Musentempel befand, in dem die Bambiverleihung über die Bühne gehen sollte. Ich wohnte zu dieser Zeit unweit vom Leipziger Zentrum und war einfach losgelaufen, um vor dem endlosen Rumgestehe und Sitzen noch etwas Bewegung zu haben. Das nächste Problem erreichte mich kurz darauf, als ich dem Musentempel immer näher kam. Schon von Weitem sah ich Menschenmassen, die sich um den roten Teppich drängten, ansonsten war kein anderer Weg dahin zu finden, alles war weiträumig abgesperrt. Im Protokoll war es bestimmt noch nie vorgekommen, dass jemand, der zu Fuß kommt, an dieser Veranstaltung teilnehmen will.

›Wie komme ich da rein …‹, überlegte ich krampfhaft. Hatte auch keine Lust und keinen Mut mich da durchzudrängeln, Menschen sanft beiseite zu schieben und immer wieder zu murmeln, ›Sorry, lassen sie mich bitte mal vorbei, ich darf da mitmachen …‹. Im Minutentakt fuhren mit VIP-Bambi-Standarten versehene XXL-Limousinen vor und spuckten sie aus, die bekannten Gesichter und die vielen Schönen.

Mein spontaner Einfall, mit dem Taxi in eine der beiden damaligen Nobelherbergen von Leipzig zu fahren, erwies sich als goldrichtig. Nach dem Betreten der Hotelhalle musste ich mir einen Lachanfall mühsam unterdrücken. Dort standen sie, die Promis dieser Welt, ganz brav in einer Reihe und warteten auf die nächste Limousine. Es sah fast genau so aus, wie vor einem Gemüsegeschäft im Osten, wenn es Bananen gab. Genau so brav stellte ich mich mit in die Reihe und wurde kurze Zeit später vor dem Musentempel auf dem roten Teppich abgeladen. Muss ehrlich zugeben, wenn man nicht jeden Tag über einen roten Teppich zu solch einer Veranstaltung schreitet, ist das schon ein echt cooles Gefühl. Blitzlichtgewitter, Beifallsstürme links und rechts vom Teppich und gemeinsames lautes Aufstöhnen, wenn die Menge jemanden für besonders prominent hielt. Leider kannte ich fast nie den Grund des lauten Gestöhns, da ich selten Fernsehen schaute und mir deshalb nur wenige Gesichter bekannt vorkamen. Ich erinnerte mich in diesem Moment wieder an die sarkastische Bemerkung vom Chef eines großen TV-Senders im Anschluss an eine Präsentation von damals, über die ich schon oft lachen musste, ›… ich weiß, warum Sie die Kampagne für unseren Sender gewonnen haben! Sie haben sich diesen Mist noch nie angeschaut …‹. Auch jetzt grinste ich innerlich über diese Bemerkung. Es sollte das Letzte ungezwungene Lachen für die nächsten Stunden werden. An diesem Abend gab es für mich nicht mehr viel in dieser Richtung. Aber mit etwas mehr Allgemeinwissen auf diesem Gebiet, hätte ich dem nächsten Problem, was sich bereits anbahnte, aus dem Weg gehen können.

Als alle im Musentempel die Plätze zur Bambi-Verleihung einnehmen sollten, ging ich mit einer älteren charmanten Lady, mit der ich kurz zuvor einige nette Worte gewechselt hatte, gemeinsam die Treppe zum Saal empor. Sanft und unauffällig wurde ich etwas zurückgehalten und eine leise Stimme erreichte mein Ohr ›… würden sie bitte den Bundespräsidenten neben seiner Frau gehen lassen …‹ Erschrocken schaute ich zur Seite und neben mir stand er auf einmal, der Bundespräsident. Peinlich, peinlich … und leicht errötend ließ ich mich etwas zurückfallen.

Noch viele andere Begebenheiten von diesem Abend kreisten in meinem Kopf. Schräg war auch ein Ereignis beim Dinner. Nachdem ich auf einem der vielen Galatische mein Namensschild entdeckt hatte, erklang gleich darauf eine Stimme mit holländischem Dialekt vom Nachbartisch. Den dazugehörigen Mann kannte sogar ich. Meine vorgeschriebene Tischnachbarin, die schon Platz genommen hatte, war eine sehr nette ältere Dame, mit der ich schnell in ein interessantes Gespräch verwickelt war. Als sich nach einiger Zeit die Fotografen und Kamerateams verabschiedeten, fragte ich sie, ›Was machst du denn so, dass du bei der Presse so beliebt bist?‹ Lachend kam zurück, ›Ich spiele doch die Hauptrolle in der momentan beliebtesten Fernsehserie.‹ ›Sorry, tut mir echt leid, die kenne ich nicht‹, versuchte ich mich höflich zu entschuldigen. Sie kriegte sich vor Lachen fast nicht mehr ein, als sie sogleich darauf erwiderte, ›Sei froh sie nicht zu kennen.‹ Es wurde doch noch ein sehr schöner Abend.

Das letzte Problem dieses Events hatte diesmal zum Glück nicht ich, sondern der Chauffeur der XXL-Limousine, die mich in den frühen Morgenstunden nach Hause bringen sollte. Gemeinsam mit einem langbeinigen Model, das mich schon oft von Titelseiten begrüßt hatte und in der letzten halben Stunde meine Gesprächspartnerin war, genoss ich noch einmal das Gefühl des roten Teppichs. Höflich ihr bei den wartenden Limousinen den Vortritt lassend, brauste sie damit in ihre Welt zurück. Kaum hatte ich in der nachfolgenden Nobelkarosse Platz genommen, säuselte mir der selbstverständlich mit Chauffeuruniform und weißen Handschuhen verzierte Fahrer die Frage nach hinten, wohin er mich denn bringen dürfte. Als einzige Möglichkeiten nannte er die Namen der beiden Leipziger Nobelherbergen. »Nein Entschuldigung, ich möchte bitte in die Eisenbahnstraße, da wohne ich«, gab ich lächelnd zurück. Etwas verunsichert, ob dies ein cooler Gag von einem Promi sein sollte, kam die Antwort, »Wenn sie mir den Weg beschreiben, fahre ich sie selbstverständlich auch dahin.« So konnte wenigstens auch mal ein Bambi-Chauffeur das etwas andere Leipzig kennenlernen und die Eisenbahnstraße ihre erste, aber bestimmt auch letzte XXL-Limousine mit VIP-Bambi-Standarte begrüßen.

Das Klingeln des Festnetztelefons auf meinem Schreibtisch brachte mich in meinen Neuanfang in der Werbewelt zurück. ›Ein alter Kunde ruft zurück!‹ Freudig ergriff ich den Hörer.

»Agentur Paul Petersen, was kann ich für Sie tun?«

»Seit wann so förmlich, Paul?« kam Stefans Lachen aus dem Hörer. »Hast Zeit heute Abend? Habe tolle Neuigkeiten!«

»Sag bloß, deine Urlaubsbekanntschaft ist zusammen mit ihrer Schwester bei dir aufgeschlagen?«

»Nein, schön wär’s, aber der Jütte in unserem Haus stellt uns beide fast in den Schatten.«

»Verstehe Bahnhof …«

»In einer Stunde in deinem zweiten Wohnzimmer, du wirst staunen! Bis gleich.«

Mit einem letzten stolzen Blick auf Claudis neuen Werbeauftritt beendete ich freudig meinen heutigen sehr kurzen Arbeitstag. Endlich hatte ich einen Grund, die nervenden Akquiseanrufe zu beenden, morgen war ja auch noch ein Tag. Sorgfältig und neugierig verschloss ich das Himmelreich und düste mit dem knallroten Rover Richtung zweites Wohnzimmer.

Bis zu Stefans Eintreffen war noch viel Zeit und da mir schon beim Betreten des Cafés von Weitem Frau Müller freudig zuwinkte, ging ich auf Klein-Pauls Drängen ein.

›Will endlich mal wieder richtiges Fleisch, dein ständiger Handbetrieb nervt einfach nur noch‹, kam es angesäuert aus seiner Richtung.

»Servus Paul!« und mit vielen Bussi, Bussi links und rechts verschlangen mich Frau Müllers Arme. »Ist einfach immer wieder schön, dich zu sehen. Es sind langsam die einzigen Lichtblicke in den oft grauen Tagesabläufen für mich« und zärtlich landete Frau Müllers Hand kurz auf der meinen.

Sogar einen Hauch von Make-up konnte ich heute in dem Gesicht mit der viel zu langen und spitzen Nase erkennen.

»Mein Mann macht nur noch seine angeblichen Überstunden. Wenn er dann in den frühen Morgenstunden mit einem billigen Parfümduft von seiner Tippse kommt, schnarcht er mir vollkommen erschöpft die Ohren voll.«

»Hau doch einfach ab …« und ich versuchte behutsam einige von Claudis Ratschlägen und meinen Wünschen an das Leben auch einer Frau Müller begreifbar zu machen. Tat mir langsam echt leid, die Frau Müller.

›Streetlady66 tut dir leid, Frau Müller tut dir leid, was ist mit dir passiert? Versuch es doch einfach mal wieder mit dem Trösten der anderen Art, bin auch noch da!‹, mischte sich ungefragt Klein-Paul ein.

›Vielleicht später, wenn nicht bald das Besondere passiert, von dem ich träume. Gib mir etwas Zeit, mein Lieber. Wir wollten doch nicht mehr einfach alles gleich mitnehmen, was immer nur für deine Vorstellungen vom Leben ausreichend ist. Haben wir uns doch abgemacht, schon vergessen?‹

Langsam wusste ich fast alles über Frau Müller. Sie hatte mir an den vergangenen Abenden immer wieder sehr ausführlich und traurig von ihrem Leben und dem dazugehörenden Ehealltag berichtet. Ihr Mann hatte sie gedrängt, mit nach Leipzig zu kommen. Nach langem Zögern hatte sie sich dazu bereit erklärt, diesen Schritt zu wagen, dabei leise hoffend, dass dieser Umzug vielleicht auch ein Neuanfang für ihre eingeschlafene Ehe wäre. Dass es leider nur ein Neuanfang für ihren Mann geworden war, versuchte sie schon seit Längerem mit unzähligen Esoterik-Workshops zu kaschieren. Eine fremde Welt, der ich schon immer sehr kritisch gegenüberstand. Besonders die Kosten für die sogenannten Horizonterweiterungs-Seminare, die sie sehr oft besuchte, hatten bestimmt den jeweiligen dozierenden Seminarguru vor Lachen nicht in den Schlaf kommen lassen.

»Die Trennung hatte ich mir bis zum letzten Wochenende fest vorgenommen, Paul.«

»… aber?« und ich sah in die auf einmal recht verklärten Augen von Frau Müller.

»War am Wochenende zu einem neuen Workshop ›Öffne deine Seele‹. Jetzt sehe ich es alles wieder ganz anders. Mich verbindet so viel nach diesen gemeinsamen Jahren mit meinem Mann.«

Einen Einwurf, dass es nach ihren Erzählungen und den vielfachen Verletzungen, die ihr Mann ihr zugefügt hatte, eigentlich nur noch das Bankkonto sein könnte, was logisch denkende Menschen dann noch verbindet, konnte ich mir nur schwer verkneifen.

»… und, hat sich deine Seele geöffnet?«

»… es ist nicht einfach. Ich arbeite jeden Tag an mir. Aschuam …«

»Wer ist Aschuam?«

»Aschuam ist der Workshopleiter. Also Aschuam rät mir, einfach alles viel lockerer zu sehen. Mein Ehemann soll seine Liebe ausloten. Bei seiner Geliebten und bei mir. Ich soll seiner geistigen Erweiterung nicht im Weg stehen. Wenn seine Seele dabei eine neue Stufe der Erkenntnis erklommen hat, fühlt er, wie er mich immer verletzt hat, und wird uns beide gleichberechtigt lieben können.«

»… und daran glaubst du?!!« Sitze ich hier mit einer Psychopathin am Tisch? Schon aus vorangegangenen Beschreibungen ihres Gatten hatte ich diesen für mich als arroganten Typen ohne Charakter eingestuft.

»Selbstverständlich Paul! Bewusstseinserweiterung hilft immer, eine höhere Stufe bei der eigenen Erleuchtung zu erreichen.«

Die Theorie würde bestimmt mal funktionieren, wenn wir hier alle nur noch als Mücken oder ähnliches rumschwirren würden, aber jetzt war sie für mich einfach nur eine Verarschung und Geldschneiderei von nach Hilfe schreienden Seelen. Einfach nur schrecklich.

»Komm Lotte, ich lade dich zu einem Drink ein«, versuchte ich elegant das Thema zu wechseln.

War mir echt zu blöd, die eigentlich sehr nette und liebe Frau Müller so ferngelenkt erleben zu müssen.

»Danke Paul, nehme einen Rotwein. Du auch?«

»Ja, auch Rotwein, wie immer …« und ich winkte Claus zu.

»Gümmre disch mal e wenisch um die Dame, die schaud in ledzder Zeit immer so draurisch«, ließ Claus sofort vernehmen, als er unseren Tisch erreicht hatte.

»Mach ich, Claus, versprochen. Bitte zwei Rotwein.«

»Lotte, pass bitte bei aller Bewusstseinserweiterung auf dich auf, und wenn es dir nicht besser geht, sag es mir einfach«, versuchte ich ihr Mut zu machen.

»Danke Paul, warum habe ich dich nicht viel früher kennengelernt? Da wären wir jetzt vielleicht ein glückliches Paar und ich wäre meinem Ehegatten nie begegnet.«

So viel Glück wollte ich eigentlich nicht mit Frau Müller haben und überlegte krampfhaft, was ich erwidern könnte. Erlösend spürte ich auf einmal eine Hand auf meiner Schulter und die Stimme von Stefan.

»… bissel später geworden Paul, musste noch schnell telefonieren.«

»Darf ich vorstellen Lotte, das ist Stefan, mein lieber Nachbar.«

Stefans Blicke wanderten neugierig über Frau Müller und ließen keine Erhebung aus. ›Zum Glück Stefan ja Maler und kann sich mehr vorstellen, als er nur in Andeutungen sehen kann‹, lachte ich innerlich, denn auch heute saß Frau Müller in einem bestimmt nicht billigen Sackgewand im Ökostil im Café.

»Muss mit Stefan leider noch was Dienstliches besprechen. Also wenn du Hilfe brauchst, weißt ja, wo du mich finden kannst, bin fast jeden Abend hier. Nicht verzweifeln, Lotte!«

Sie zum Abschied drückend verschwand ich mit Stefan und meinem Rotweinglas an den kleinen Tisch gleich neben der Eingangstür, an dem man sich sehr ungestört unterhalten konnte.

Kaum hatten wir uns gesetzt, kam es neugierig von Stefan »Deine neue Flamme?«

»Nee, nur so eine Bekanntschaft von hier.«

»Dachte schon, du wirst alt, Paul. Im Vergleich zu Claudi ist die ja ein wahres Mauerblümchen.« Seine Blicke wanderten unauffällig zu Frau Müller. »Wenn ich mir die so ansehe, von ihrem Kopf mal abgesehen, scheint sie aber eine Traumfigur zu haben. Schade nur, dass sie sich mit ihren Klamotten so geschmacklos verhüllt.«

»Hatte ich mir gedacht, dass du das sofort erkennst, bist ja nicht umsonst ein gefragter Maler.« Meine Hand klopfte dabei anerkennend auf Stefan Schulter. »Lotte steht auf Esoterik.«

»Alles klar, hatte auch mal so eine. Wirst noch viele lustige Dinge erleben, wenn du sie noch näher kennenlernen solltest.« Ein wissendes Schmunzeln erschien in Stefans Gesicht. »Die lief auch so rum, immer in ihrem dreifach geprüften Ökolook. Kann einfach nicht begreifen, wie eine Frau sich so verunstalten kann, besonders wenn sie die Voraussetzung besitzt, auch anders aussehen zu können.«

»Hat gerade viel Pech mit ihrem Ehemann. Tut mir langsam echt leid.«

»Kannst dich ja um sie kümmern«, kam es nun auch von Stefan und seine Augen leuchteten, »ihre Möse reagiert bestimmt rein biologisch und nicht nach esoterischen Vorgaben.«

»Lieber nicht, hatte schon genug Abenteuer, will endlich mal was Richtiges, so mit Liebe und allem was dazu gehört …«

»Träum weiter, Paul, man kann auch anders und einfacher glücklich sein. Wenn nur meine Urlaubsbekanntschaft endlich einmal ihre Schwester mitbringen würde …, mmhhh!«

»Was ist denn nun mit dem Jütte aus unserem Haus?«, versuchte ich Stefans Fantasien zu beenden, »Erzähl endlich!«

»Stell dir vor, seine Mutter ist zurück!« flüstert Stefan geheimnisvoll.

»Du spinnst, Lottes Aura schwappt wohl in dein Gehirn? Kannst mich auch mal anschauen, wenn wir miteinander reden.« Stefans Blicke, die mühsam erkunden wollten, was unter Frau Müllers Sackleinwand alles verborgen war, wandten sich wieder mir zu. »Die ist doch tot, waren doch beide selbst dabei!«

»Na, nicht so richtig, aber ihre Seele scheint sich in einer Schaufensterpuppe wieder manifestiert zu haben.«

»Schaufensterpuppe …??? Bist du auf einem Trip, habe langsam heute genug von so etwas, hatte gerade einen Esoterikkurs« und nickte Richtung Frau Müller. »Spaß …, aber hast du noch nicht die Puppe gesehen, die nach dem Tod von Jüttes Mutter auf einmal in dem Schaufenster stand, gleich links, wenn du aus deinem zweiten Wohnzimmer fällst?«

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23 aralık 2023
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ISBN:
9783957440877
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