Kitabı oku: «Tochter der Inquisition», sayfa 5

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»Nein. Sie hat niemandem gesagt, wohin sie reitet. Auch Sofia nicht. Hätte ich’s gewusst, wäre ich diesem Hinweis natürlich nachgegangen.«

»Als man sie fand – gab es da irgendwelche Anzeichen eines Kampfes? Hat sie sich gegen ihren Mörder gewehrt?«

»Der Stadtrichter, der die Leiche noch am Fundort untersucht hat, behauptet: nein. Sie dürfte … schnell gestorben sein.«

»Gab es irgendwelche anderen Hinweise? Etwa an der Kleidung oder an ihrem Körper?«

»Nein. – Das heißt, doch. Da gab es zwei Dinge, die etwas ungewöhnlich waren, aber darin entscheidende Hinweise sehen zu wollen, wäre wohl zu weit gegriffen.«

»Ach – und was war das?«

»Ihr Kleid. Vom rechten unteren Ärmel war ein Stück abgerissen. Außerdem … krabbelten unzählige Amei­sen darauf herum. Später stellte sich heraus, dass der Ärmel voller Honig war. Wahr­scheinlich ein kleines Missgeschick beim Essen.«

Honig! Falks Blick zuckte zu Christine hinüber. Peter Seimer. Der begnadete Holzschnitzer und allseits gelobte Bauer. Peter Seimer, der regelmäßig nach Ternberg fuhr, um Most und Honig dorthin zu liefern …

»Klara mochte Honig?«

»Aber ja doch, sie aß ihn gern zum Frühmahl.«

»Ihr sagtet, sie habe sich den Ärmel offenbar beim Frühmahl verschmutzt, bevor sie aufbrach, um …«

»Nein, nein, das habt Ihr falsch verstanden«, unterbrach der Ternberger. »Ich wollte damit lediglich ausdrücken, dass sie sich irgendwo beim Essen verschmutzt hat, wo, vermag ich Euch nicht zu sagen.«

»Also nicht hier im Haus?«

»Nein. Wäre es zu Hause geschehen, hätte Klara das Kleid natürlich sofort gewechselt. Außerdem erinnere ich mich, dass wir in jener Woche keinen Honig im Haus hatten. Das heißt, sie muss sich den Ärmel woanders beschmutzt haben.«

»Und Ihr habt nicht die leiseste Ahnung, wo?«

»Nein.«

»Könnte sie nicht auf dem Seimerhof gewesen sein?«

Wernher schüttelte den Kopf. »Dort habe ich selbstverständlich als Erstes nachgefragt. Aber dort war sie nicht.«

»Aber Ihr müsst doch eine Vorstellung davon haben, wo sich Eure Gattin aufgehalten haben könnte.«

»Glaubt mir, ich habe bei sämtlichen Personen, die infrage kommen, nachgeforscht – nichts!«

Falk runzelte die Brauen und starrte schweigend in die Flammen, die im Kamin knisterten. Ihr Flackern ließ unruhige Schatten über ihre Gesichter huschen und tauchte den Teil der Halle, in dem sie sich aufhielten, in warmes, zuckendes Rot.

»Ihr sagtet vorhin, der Stadtrichter habe den Körper Eurer Gattin noch am Fundort untersucht?«

»Ja.«

»Ich nehme an, auch die unmittelbare Umgebung?«

»Ich gehe davon aus.«

»Über das Ergebnis hat er nichts verlauten lassen?«

»Er hat mit Sicherheit nichts gefunden. Aber besser, Ihr fragt ihn selbst danach.«

Falk nickte. »Das werde ich. Gleich morgen.«

»Morgen wird er Euch nicht empfangen können. Da trifft er sich mit dem Bannrichter in Enns. Der Panhalm muss die Verhandlung am Freitag vorbereiten, bei der vielleicht der Bannrichter zugegen sein wird. Es geht um den Vorwurf des Mordes gegen einen gewissen Jobst Heiss aus Steyrdorf.«

»So?«, murmelte Falk und kramte in seinem Gedächtnis: Jobst Heiss – plötzlich fiel es ihm wieder ein. Natürlich. Die Verhandlung, bei der Peter Seimer als Zeuge aussagen würde. Jos, der Knecht vom Seimerhof, hatte ihnen erst heute Nachmittag davon erzählt.

Auch Christine hatte die Äußerung des Alten noch im Sinn. Gegenwärtig war alles, was mit Peter Seimer zusammenhing, von Interesse. »Diese Verhandlung – es geht dabei tatsächlich um Leben und Tod?«, fragte sie darum.

»Das weiß man noch nicht so genau. Ich selbst habe mich mit der Sache nicht näher beschäftigt. Aber die Tatsache, dass der Bannrichter anwesend sein wird, lässt eigentlich keinen anderen Schluss zu. Was diesen Jobst Heiss angeht, habe ich gehört, dass er ein zwielichtiger Geselle sein soll. Die Genannten, die für die Verhandlung bestimmt wurden, um den Richter bei der Urteilsfindung zu unterstützen, sind sich über seine Person nicht einig. Die einen sagen, er habe sein Opfer bewusst getötet, die anderen sprechen von einem unglücklichen Zufall. Ich schätze, Stadt- und Bann­richter wer­den sich schwertun, die Wahrheit herauszufinden.«

»Er hat derzeit eine ganze Menge um die Ohren, Euer Stadtrichter, nicht wahr?«

»Das könnt Ihr laut sagen. Zu all dem soll sich das Rußgesicht wieder in der Gegend herumtreiben. Auch dieser Sache muss er nachgehen.«

»Das ›Rußgesicht‹?«

»Ja, ein Waldenserprediger, der sich das Gesicht mit Kohle färbt und sich in den Wäldern verbirgt. Vor einigen Monaten gelang ihm die Flucht aus dem Kerker. Er verschwand zunächst spurlos, muss sich aber immer noch in der Gegend aufhalten. Der eine oder andere will ihn in den vergangenen Tagen wieder gesehen haben.«

Falk sah angespannt vor sich hin, seine Wangenmuskeln zuckten.

Wernher griff nach der Kanne mit dem Würzwein, die auf dem Kamin stand.

»Jeder noch einen Becher?«

Die Frage riss Falk aus seinen Grübeleien heraus. Er schüttelte den Kopf.

»Nein, Wernher, lasst es gut sein. Es ist Zeit fürs Lager. Für Euch kräht der Hahn morgen früher als sonst. Ihr habt eine anstrengende Reise vor Euch und auch wir sind rechtschaffen müde«, sagte er und erhob sich.

Christine folgte seinem Beispiel. Gähnend reckte sie die Glieder.

»Nun denn, lasst mich Euch noch hinüber zum Fondaco begleiten. Ein wenig frische Luft wird mir nicht schaden«, entgegnete der Ternberger und ging zur Tür.

Sie traten in den kühlen Abend hinaus; ein klarer Sternenhimmel wölbte sich über ihnen.

Vor der Türe zum Fondaco verabschiedeten sie sich.

»So Gott will, sehen wir uns in etwa einem Monat wieder. Betrachtet mein Haus als das Eure. Mein Verwalter, Hans Söhnlein, und Irmingard, meine Obermagd, sind angewiesen, Euch jedwede Unterstützung zu gewähren«, bemerkte der Ternberger, nachdem sämtliche guten Wünsche ausgetauscht worden waren.

Einem plötzlichen Impuls folgend, umarmte er seine Gäste noch einmal. Dann wandte er sich um und ging mit weit ausgreifenden Schritten zum Haupthaus zurück.

Kapitel 9

Freitag, 07. August 1388

Der Hof vor dem Gerichtsgebäude zu Steyr war voller Menschen. Es herrschte ein Schubsen, Drängeln, Stoßen und Rempeln, dass einem angst und bange werden konnte. Aus nah und fern war man herbeigeströmt, um bei der Verhandlung dabei­ sein zu können. Ganze Familien waren zugegen. Einige von ihnen hatten sogar ihre Speisen mitgebracht: Brot, Käse und Dünnbier. Auch Christine war gekommen und versuchte nun, einen guten Platz in den vorderen Reihen zu ergattern, um möglichst nah am Geschehen sein zu können. Das Wetter an diesem Freitag schien für eine solche Veranstaltung geradezu geschaffen zu sein: Der Himmel war blau, und die Sonne strahlte nicht zu allzu heiß. Selten hatte eine Verhandlung vor dem Stadtrichter so viele Zuschauer angezogen. Das war auch kein Wunder, ging es doch um den Mord an Dietrich Pützer, ehemals Schuster zu Garsten. Oder zumindest um das, was einige als Mord bezeichneten. Denn es gab nicht wenige, die den Tod des Pützer lediglich als einen unglücklichen Zufall ansahen.

Und das kam so:

Wie viele andere Mannsbilder aus der Gegend war auch Dietrich Pützer Stammgast im Schwarzen Raben zu Garsten gewesen. Nicht, dass das Gebräu, das man dort genießen konnte, besonders frisch und von herausragendem Geschmack gewesen wäre – es war eher von durchschnittlicher Güte. Nein, was viele der Männer so sehr erfrischte, waren vor allem die Reize der Wirtstochter Luzia, mit denen diese nicht gerade geizte.

Eines Abends war in der Schankstube des Rabenwirts zwischen Dietrich Pützer, dem Schuster, und Jobst Heiss, der in der Nähe von Garsten eine Schmiede betrieb, ein Streit ausgebrochen. Ein Streit darüber, wer von beiden denn nun das Recht habe, dem lieblichen Töchterchen den knackigen Hintern zu tätscheln, wenn es einem den Humpen kredenzte.

Luzia selbst war das völlig gleichgültig; tätscheln konnte sie, wer wollte – Hauptsache, der Pfennig rollte. Aber zwischen Pützer und Heiss führte die Erörterung dieser unglaublich schwierigen Frage zu einer lautstarken Auseinandersetzung, die von Humpen zu Humpen an Intensität zunahm.

Außer den beiden Streithähnen waren an diesem Abend nur noch Peter Seimer und Balduin, der Schweinehirt des Dorfes Ternberg, als Gäste anwesend gewesen.

Als der Rabenwirt die Hitzköpfe beschwichtigen wollte, war es bereits zu spät. Die gewaltigen Mengen an Bier hatten nicht nur ihre Bäuche, sondern auch ihren Verstand geflutet. So war aus dem verbalen Gefecht schnell eine handfeste Rauferei geworden; Jobst und Dietrich droschen wie wild aufeinander ein.

Peter Seimer, der nahe Wolfern einen großen Hof bewirtschaftete, hatte sich schon bei Beginn der Auseinandersetzung mit seinem Krug in die hinterste Ecke der Wirtsstube verzogen. Er hatte die Schankstube des Rabenwirts nicht wegen dessen Töchterchen aufgesucht, sondern weil er an diesem Abend im Raben zu nächtigen gedachte und die Heimreise erst bei Tageslicht fortsetzen wollte. Peter galt als ruhig und besonnen und als jemand, der dem Streit aus dem Weg ging. Längst schon hätte er die Kneipe verlassen, hätten die Hitzköpfe ihre Debatte mit Fäusten und Worten nicht in unmittelbarer Nähe der Türe ausgetragen.

Balduin der Schweinehirt dagegen hatte an der Prügelei seine wahre Freude. Sie brachte Kurzweil in sein erbärmliches Leben; einmal Jobst, ein andermal Dietrich anfeuernd, klatschte er begeistert in die Hände, wenn ein gut gesetzter Hieb dem anderen folgte.

Jakob, dem Wirt, war schnell klar geworden, dass er allein die beiden Streithähne nicht zur Vernunft bringen konnte. Also hatte er seine Kneipe durch eine Hintertür verlassen, um nachbarliche Hilfe einzuholen. Luzia war schon vorher in ihre Kammer geflüchtet.

Die Schlägerei eskalierte währenddessen weiter. Beide hatten nun begonnen, mit Gegenständen aufeinander einzuschlagen. Ein Tisch, zwei Stühle und einige Tonkrüge waren bereits zu Bruch gegangen, als Jobst plötzlich ein Messer gezückt und blitzschnell auf Dietrich eingestochen hatte. Wie vom Blitz getroffen, war dieser daraufhin in die Knie gegangen und dann, vornüber kippend, leise röchelnd liegen geblieben.

In dem Moment, da der Pützer zu Boden ging und vor sich hinröchelte, schien bei Jobst Heiss plötzlich wieder der Verstand einzusetzen. Bestürzt sah er auf seinen Widersacher herunter, dem das Blut aus der Seite quoll; es hatte ihn in der Nierengegend erwischt.

Gehetzt blickte Jobst um sich. Panischen Blickes musterte er die beiden anderen Gäste, die ihn entsetzt anstarrten. Mit einem Mal sprang er zum Tresen. Er griff sich ein Messer, das dort lag, sprang zu dem sich am Boden krümmenden Dietrich zurück, beugte sich zu dem Schwerverletzten hinunter, packte dessen Rechte und drückte ihm das Messer in die Hand.

Dann rannte er wie von Furien gehetzt durch die offenstehende Tür in die laue Nacht hinaus.

Balduin der Schweinehirt sah blöde drein. Peter Seimer hatte zunächst nur ungläubig zugesehen, unfähig einzugreifen. Dann aber war er zu dem Verletzten gestürzt, hatte ihm das Hemd vom Leib gefetzt, es zu einem Ballen geformt und diesen auf die Wunde gepresst, um das Blut zum Stillstand zu bringen.

Irgendwann war der Wirt mit einigen Nachbarn, die er in aller Eile zusammengetrommelt hatte, in die Kneipe gestürmt. Einer von ihnen war der Dorfbader von Garsten, ein geschickter Bursche, der, was die Wundbehandlung anging, recht erfahren war. Er nahm sich sofort des Verletzten an und sorgte dafür, dass er auf einem Karren in die Obhut der klösterlichen Krankenstube gebracht wurde. Dort hatte Bruder Adalbert ihn weiterbehandelt. Von Anfang an war jedoch klar gewesen, dass der Schuster – wenn überhaupt – nur mit Hilfe sämtlicher Heiliger hätte gerettet werden können. Ob die allerdings willens sein würden, sich eines Saufboldes anzunehmen, der für seine derben Flüche berüchtigt war, blieb abzuwarten. Doch wider Erwarten sah es anfänglich tatsächlich danach aus. Der Pützer hatte eine starke Natur. Zuerst schien es, als ob er sich erholen würde. Dann aber, etwa vier Wochen waren seit dem Streit im Schwarzen Raben vergangen, verschlechterte sich sein Zustand zusehends. Er bekam hohes Fieber und starb.

Das war schlecht für Jobst Heiss, der im Schergenhaus zu Steyr auf seinen Prozess wartete. Seine überstürzte Flucht hatte ihm nichts genützt; man hatte ihn schnell eingefangen und auf Anordnung des Stadtrichters festgesetzt. Er sollte sich vor Gericht für die derbe Schlägerei und für den Schaden, der dem Wirt dadurch entstanden war, verantworten. Zusammen mit Dietrich Pützer, sobald dieser wieder genesen wäre. Nun aber war der Pützer tot und Jobst nach Meinung vieler – allen voran die Witwe Dietrichs – zum Mörder geworden. Andere dagegen – und von denen gab es eine ganze Menge, denn Jobst verfügte über eine große Anzahl Freunde – vertraten die Ansicht, Jobst sei kein Mörder, denn der Pützer sei schließlich am Fieber verstorben und nicht an dem Stich, der ihm verpasst worden sei. Außerdem glaubten sie der Aussage Jobsts, dass Dietrich als Erster das Messer gezogen habe. Jobst sei schließlich nichts anderes übrig geblieben, als sich mit ebenbürtigen Mitteln zu verteidigen, argumentierten sie.

Dem allerdings widersprach die Aussage Peter Seimers und Balduins des Schweinehirten. Beide waren von Stadtrichter Georg von Panhalm bereits als Zeugen vernommen worden. Heute nun sollten sie ihre Aussagen vor den Ohren der versammelten Öffentlichkeit wiederholen und mittels des Eides bestätigen. Auch der Rabenwirt und seine Tochter sollten noch einmal gehört werden. Besonders dem Auftritt Balduins sahen viele mit großer Erwartung entgegen; der tölpelhafte Schweinehirt würde bestimmt für einige vergnügliche Augenblicke sorgen. Darüber hinaus war bekannt geworden, dass die zwölf Genannten, die dem Stadtrichter beim Urteilen zur Seite stehen sollten, – wobei die Hälfte aus dem Stande des Angeklagten, die andere Hälfte aus den Nachbarn desselben gewählt worden war – sich über Schuld oder Unschuld des Angeklagten alles andere als einig waren.

Alles in allem versprach die Gerichtsverhandlung also eine spannende und kurzweilige Sache zu werden, die ein wenig Abwechslung in den tristen Alltag brachte.

»Dort kommen sie.«

Der schrille Ruf der Praitenbergerin schallte über den Platz und lenkte die Blicke der versammelten Menge auf die Prozession, die, durch die Enge Gasse kommend, auf den Hof vor dem Stadtrichterhaus zuschritt. Allen voran Stadtrichter Georg von Panhalm und Ludwig der Neudlinger, Bannrichter zu Enns. Ihnen folgten die eigens für die Verhandlung vom Stadtrichter ausgewählten zwölf Genannten, des Weiteren zwei Mitglieder des Rates sowie der Gerichtsschreiber und mehrere Büttel, die als Gerichtsdiener fungierten, dann die Zeugen Peter Seimer, der Wirt Jakob Rabener, seine Tochter Lucia und schließlich Balduin Lechner, der Schweinehirt. Den Schluss bildeten zwei bewaffnete Schergen, die den an den Händen gefesselten Jobst Heiss in ihrer Mitte führten.

Die Prozession hatte die Treppe vor dem Gebäude erreicht, die zu der unmittelbar neben der Fassade errichteten überdachten Gerichtslaube hinaufführte. Zuerst schritten die wichtigsten Angehörigen des Gerichtes die Stufen empor, um auf den Bänken Platz zu nehmen, die sich an der Längsseite eines langgestreckten Tisches reihten: in der Mitte Georg von Panhalm, den Richterstab in den Händen; neben ihm Bannrichter Ludwig der Neudlinger, rechts und links flankiert von jeweils einem Mitglied des Rates. An einer der kurzen Seiten des Tisches hatte der Gerichtsschreiber Platz genommen und breitete bedächtig die Untensilien seines Standes vor sich aus: Blätter und Rollen aus Pergament, Federkiele, Tinte und Siegelwachs.

Jetzt erst erklommen auch der Angeklagte Jobst Heiss und seine beiden Bewacher sowie die zwölf Genannten die Stufen, um vor dem Tisch, an dem das Gericht Platz genommen hatte, stehen zu bleiben. Die Zeugen warteten, bewacht von einigen Bütteln, unten am Fuß der Treppe darauf, aufgerufen zu werden.

Georg von Panhalm – in der Linken den Richterstab und in der Rechten einen Holzhammer – blickte gewichtig in die versammelte Menge. Dabei war er sich weniger der Würde des Amtes bewusst, das er heute innehatte, sondern vor allem der Wichtigkeit seiner Person. Es kam nicht oft vor, dass er in Gegenwart des Bannrichters eine Verhandlung zu leiten hatte.

Mit dem Holzhammer klopfte der Stadtrichter dreimal kräftig auf die Tischplatte.

»Hiermit gibt das Gericht der Klage gegen Jobst Heiss statt«, eröffnete er die Verhandlung, und fuhr fort: »Er wird beschuldigt, den Tod von Dietrich Pützer verursacht zu haben. Ich fordere alle Anwesenden auf, während des Verfahrens Ruhe und Ordnung zu wahren.« Dann wandte er sich an den Gerichtsschreiber. »Gerichtsschreiber, lest die Klageschrift vor.«

Der Aufgeforderte erhob sich. Er räusperte sich, entrollte ein Pergament und brachte mit lauter Stimme den genauen Ablauf des verhängnisvollen Abends der aufmerksam lauschenden Zuhörerschaft zur Kenntnis. Anschließend verlas er die Namen der zwölf Genannten und schloss mit der Aufforderung: »Ehrwürdiger Herr Stadtrichter, waltet Eures Amtes.«

Spätestens als der Schreiber begonnen hatte, die Klageschrift vorzulesen, war Ruhe auf dem Platz vor der Laube eingekehrt. Als er die Stelle verlas, in der erwähnt wurde, wie der Beschuldigte dem am Boden liegenden Opfer nachträglich ein Messer in die Hand gedrückt hatte, war ein empörtes Raunen durch die Menge gegangen. Es war schließlich jedermann klar, aus welchem Grund Jobst Heiss das getan hatte. Jobst spürte, wie sich die Stimmung gegen ihn zu richten begann. Es lief ihm kalt den Rücken hinunter.

Georg von Panhalm wandte sich zunächst an ihn. »Ihr seid Jobst Heiss?«, fragte er formell.

Jobst nickte nur. Er brachte keinen Ton hervor.

»Ihr habt gehört, was Euch zur Last gelegt wird. Was habt Ihr dazu zu sagen?«

Jobst schwieg. Zerknirscht und furchterfüllt blickte er zu Boden.

»Nun, was ist, Jobst Heiss?«, fragte von Panhalm ungeduldig. »Habt Ihr denn nichts zu Eurer Verteidigung vorzubringen?«

Jobst hob den Kopf. »Doch, Herr Stadtrichter. Es war ein dummer Streit. Es tut mir leid. Aber er hat damit angefangen«, Jobsts Stimme verriet zwar eine gehörige Portion Furcht, doch es lag auch ein gewisser Trotz darin.

»Wer, ›er‹?«, fragte der Richter. Obwohl er natürlich wusste, wer gemeint war.

»Na, der Dietrich.«

»Ihr meint: Dietrich Pützer? Er hat also den Streit begonnen? Um was ging es denn dabei?«

Jobst trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. »Na ja – das lässt sich … schlecht sagen. Es ging um … es ging um … Jungfer Luzia.«

Aus den Reihen der Zuschauer klang verhaltenes Lachen herauf.

Panhalm blickte streng in die Menge hinunter, bevor er sich wieder an Jobst wandte. »Aha, es ging um Jungfer Luzia. Ihr meint die Tochter des Wirts, Jakob Rabener? Sie war der Grund Eurer Auseinandersetzung? Inwiefern?«

»Nun …«, wieder zögerte Jobst mit der Antwort. »Es ging … es ging eigentlich nur um ihren … um ihren Hintern.«

Jetzt lachte die Menge aus vollem Hals. Sogar in der Miene des Stadtrichters zuckte es verdächtig.

Doch er hatte sich gleich wieder in der Gewalt. »Könntet Ihr das etwas näher erklären?«

»Luzie – äh, ich meine Jungfer Luzia – ich mag sie eben. Und sie mich auch, glaube ich. Und immer, wenn sie dem Dietrich seinen Humpen brachte, … klopfte er ihr … klopfte er ihr auf den Hintern, einfach so. Und das hat mir … hat mir eben … nicht gefallen. Und da habe ich ihm gesagt, er soll … er soll … das bleiben lassen. Aber er sagte, das ginge mich nichts an. Er sagte auch, er habe die gleichen … die gleichen Rechte wie ich … Und da bin ich eben einfach fuchsteufelswild geworden, und dann gab ein Wort das andere, … und dann … und dann…«, Jobst wusste nicht mehr weiter und blickte hilfesuchend in die Runde.

»Und dann sprachen Eure Fäuste«, vervollständigte der Stadtrichter den angefangenen Satz.

Wieder lachten die Zuschauer.

»Ja, ja, … genauso war es. Aber es wäre alles nicht geschehen, … wenn wir nicht … wir waren … wir hatten ja auch …«, abermals suchte Jobst nach Worten, ohne die richtigen zu finden.

Erneut kam ihm der Stadtrichter zu Hilfe. »Ihr meint wohl, Ihr hattet so etwas wie einen Rausch?«

»Richtig, Herr Stadtrichter, Ihr sagt es. Das viele Bier. Wir … wir hätten etwas weniger davon kosten sollen.«

»Hattet Ihr eben ›kosten‹ gesagt? Ich nenne das ›saufen‹«, gab der Stadtrichter trocken zurück.

Der Gerichtsschreiber ergriff das Wort. »Soll ich diesen Euren Satz in das Protokoll mit aufnehmen?«, fragte er gewichtig.

»Natürlich nicht, Ihr Narr«, antwortete Panhalm.

Die Zuhörer amüsierten sich köstlich. Die Verhandlung schien ganz nach ihrem Geschmack zu laufen. Nicht wenige begannen, flachsige Kommentare von sich zu geben.

Energisch klopfte Panhalm mit seinem Hammer auf den Tisch. »Ich bitte mir Ruhe aus. Und ein wenig mehr Respekt«, polterte er los.

Dann wandte er sich wieder an Heiss. »Wie kamt Ihr eigentlich dazu, plötzlich auf den Pützer einzustechen?«

Jobst hatte diese Frage erwartet. So unbeholfen, wie er bis jetzt gesprochen hatte, so überlegt und bewusst setzte er nun zur Antwort an. Er wusste, dass er in diesem Augenblick absolut glaubwürdig wirken musste; sein Leben hing davon ab.

»Ich hätte niemals mein Messer gezogen. Er hat es zuerst getan. Ich musste mich gebührlich verteidigen. Ich zog mein Messer in Notwehr«, sagte er mit fester Stimme.

Peter Seimer, der zusammen mit den anderen Zeugen auf dem Podest stand und bis jetzt aufmerksam der Verhandlung gefolgt war, zuckte ob dieser groben Lüge zusammen. Balduin den Schweinehirten schien die Antwort Jobsts gleichgültig zu lassen; er schwankte wie ein Ast im Wind. Die Bierfahne, die vor ihm herwehte, ließ den Schluss zu, dass ihm die Tragweite dieser Aussage verborgen blieb.

»Ihr behauptet also tatsächlich, dass der Pützer zuerst das Messer zog?«, vergewisserte sich der Stadtrichter. »Ihr wisst, dass Ihr darauf den Schwur zu leisten habt!«, fügte er mahnend hinzu.

Jobst Heiss wusste dies. Doch was nützte es ihm, wahrheitsgemäß zu antworten, wenn ihn dies den Kopf kostete? Andererseits war ihm klar, dass seine Darstellung der Dinge in direktem Widerspruch zu der Aussage der beiden Zeugen stand. Was Balduin den Schweinehirten anging, brauchte er sich da keine allzu großen Sorgen zu machen. Denn dass Balduin als Zeuge so viel wert war wie ein durchlöchertes Wams bei heftigem Regen, wusste schließlich jeder. Die Glaubwürdigkeit Peter Seimers zu erschüttern, würde dagegen weitaus schwieriger sein. Dennoch – er musste es versuchen, es ging ums Überleben.

»Ich weiß sehr wohl, dass Ihr mich vereidigen werdet, Herr Stadtrichter. Doch ich bleibe dabei – der Pützer zog das Messer als Erster.« Die Stimme Jobsts klang trotzig, fast herausfordernd.

Während der Stadtrichter daraufhin nur nickte, sah Peter Seimer abermals empört zu Jobst hinüber. Gleichzeitig lastete die Ungewissheit über das, was ihn selbst erwartete, wie ein schwerer Stein auf seiner Seele. Er wusste, dass der Stadtrichter auch ihn dazu auffordern würde, seine Aussage zu beeiden. Aber er würde dies ablehnen. Er durfte nicht schwören. Weil er sein Leben dem Herrn geweiht hatte. Als einer der Angehörigen der Gemeinde der »Armen Christi« zählte er zu denjenigen, die niemals einen Eid ablegten. Selbst nicht angesichts des Todes. Denn dies war schließlich eine Sünde. Eigentlich hatte er sich schon vor Wochen damit abgefunden, mit seinem heutigen Auftritt vor Gericht unweigerlich seine Identität preisgeben und sich als einer der »Armen« zu erkennen geben zu müssen. Doch dann, vor wenigen Tagen erst, war ihm etwas Seltsames widerfahren. Etwas, das ihn in die Lage versetzte, den Eid zu verweigern, ohne sich in aller Öffentlichkeit zu denjenigen bekennen zu müssen, welche die Kirche als Ketzer bezeichnete. Von diesem Zeitpunkt an hatte er wieder Hoffnung geschöpft. Doch ob der Richter seiner Geschichte Glauben schenken würde, war mehr als fraglich.

»Jobst Heiss, ich fordere Euch dazu auf, vor Gott und den Menschen zu bezeugen, dass Ihr die Wahrheit gesagt habt.« In fast feierlichem Ernst klang die Stimme Georg von Panhalms über den Platz. Zusammen mit ihm hatten sich auch alle anderen, die am Richtertisch saßen, erhoben.

»Hebt die Hand und schwört also: Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und bei allem, was mir heilig ist, dass ich die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt habe.«

Jobst Heiss hob die Hand. »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen, und bei allem, was mir heilig ist, dass ich die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt habe«, verkündete er Gott und den Menschen. Als er zu Ende gekommen war, standen Schweißperlen auf seiner Stirn.

»Nun gut. – Ich rufe als ersten Zeugen Balduin Lechner auf«, fuhr der Stadtrichter mit der Verhandlung fort.

Mit unsicheren Schritten erklomm der Schweinehirt in Begleitung eines der Büttel die Stufen und begann, sichtlich zum Ergötzen der Zuschauer, im Zick-Zack-Kurs quer durch die Laube zu stolpern. Den schwarzen, zerlumpten Hut mit der durchlöcherten Krempe hatte er abgenommen. Das graue Haar hing ihm in verwegenen Strähnen in das schmutzige, von einem struppigen Bart gerahmte Gesicht. Der schwarze Umhang über dem Wams starrte vor Dreck, ebenso die Beinlinge und die Lumpen, mit denen er seine Füße umwickelt hatte. Zielbewusst strebte Balduin mit wenigen Schritten dem Richtertisch zu, den er wider Erwarten auch tatsächlich erreichte. Deutlich schwankend, aber sich durchaus der Wichtigkeit seiner Person bewusst, verharrte er schließlich unmittelbar vor Georg von Panhalm.

Das hohe Gericht rümpfte entsetzt die Nase. Von Panhalm verzichtete darauf, Balduin förmlich zu fragen, ob er auch wirklich Balduin sei. Dass der Mann, der da vor ihm stand, Herr der Ternbergschen Schweine war, hätte nur ein Wahnsinniger oder jemand ohne Geruchssinn leugnen können. Ebenso wenig, dass das Bier Herr über den Mann war. Die Schwaden, die seiner Gestalt entströmten, ließen an seiner Identität keinen Zweifel zu.

Nur mit eisernem Willen gelang es dem Stadtrichter, seine Nase von der Umklammerung seiner Finger zu befreien.

»Balduin Lechner, Ihr wart Zeuge an jenem Abend, als Dietrich Pützer und Jobst Heiss miteinander stritten?« Der Richter bemühte sich, seiner Stimme einen amtlichen Ton zu verleihen.

Balduin schwankte bedenklich. Er sah den Richter mit glasigen Augen an – dann wandte er sich plötzlich um und torkelte an die Brüstung der Laube. Breit grinsend sah er auf die Masse der Zuschauer hinunter, ungeachtet der schwarzen Zahnstummel, die er dabei entblößen musste, und fuchtelte mit den Armen.

»Ha… habt Ihr … es a… alle … ge… gehört – hicks – er … er ha… hat … ›Ihr‹ zu mir … ge… gesagt … Verstanden? – hicks – ›Ihr‹ … hat er … ge… gesagt … Nicht … ein … einfach… ›Du‹. Der … der Mann … der Mann da – hicks« –, tollkühn vollzog Balduin eine halbe Drehung um die eigene Achse und wies mit einer kreisenden Bewegung seiner Rechten auf den Richtertisch, – »hicks – der … der weiß, … was sich … ge… gehört.«

Die Zuschauer brüllten vor Lachen.

»Weiter so, Balduin!«, schrie einer.

»Sollen wir in Zukunft auch ›Ihr‹ zu dir sagen?«, feixte ein anderer.

»Oder vielleicht ›Euer Gnaden‹«, rief jemand dazwischen.

»Wenn schon, dann ›Eure schweinischen Gnaden‹«, setzte ein anderer drauf.

Die Menge johlte. Sogar einige vom Rat und den Genannten begannen zu grinsen. Der Gerichtsschreiber lachte gar aus vollem Hals und hielt sich den Bauch. Georg von Panhalm merkte, wie ihm die Verhandlung zu entgleiten drohte. Schlagartig begriff er, dass nicht nur die Würde des Gerichts auf dem Spiel stand, sondern auch seine künftige Karriere.

»Wollt Ihr diesem unwürdigen Treiben nicht endlich ein Ende machen?«, raunzte Ludwig der Neudlinger den Stadtrichter an und mischte sich damit zum ersten Mal in die Verhandlung ein.

Von Panhalm erhob sich mit hochrotem Kopf und blickte wütend in die Runde.

»Ruhe!«, brüllte er von der Laube herunter. »Ruhe! Wollt Ihr endlich Ruhe geben! Das ist eine Gerichtsverhandlung und kein Possenspiel. Oder sollen Euch meine Büttel vom Platz prügeln?«

Sofort kehrte Ruhe ein.

»Wer es noch einmal wagen sollte, sich ungebührlich zu benehmen, den lasse ich drei Tage einlochen. Der Zeuge Balduin Lechner ist hiermit entlassen. Auf seine Aussage kann vorerst verzichtet werden, er wird diese morgen in meiner Amtsstube wiederholen – wenn er wieder nüchtern ist. – Entfernt den Mann!« Mit den letzten Worten hatte sich von Panhalm, ruhiger geworden, an den Büttel gewandt, der für den Schweinehirten zuständig war. Der packte Lechner bei den Armen und beförderte ihn die Treppe hinunter.

Balduin sah enttäuscht drein. Er hatte das bedauerliche Gefühl, dass sein Auftritt zu Ende war, bevor er richtig begonnen hatte. Da hatte er es endlich einmal geschafft, einige Augenblicke lang zu einer wichtigen Person zu werden, und schon war das Interesse an ihm wieder dahin. Missmutig torkelte er von dannen.

»Peter Seimer, seid Ihr bereit?«, rief von Panhalm seinen wichtigsten Zeugen auf. »Tretet näher und erklärt dem Gericht, wie sich die Dinge an jenem Abend aus Eurer Sicht zugetragen haben.«

Peter Seimer ging festen Schrittes die Treppen hinauf und trat an den Richtertisch. Mit einem sonderbaren Gesichtsausdruck, in dem Furcht und Zweifel, aber auch ernste Entschlossenheit lagen, sah er den Richter an.

»Nun?«, fragte der Stadtrichter. Irgendetwas in der Miene Seimers irritierte ihn.

Peter schwieg. Es fiel ihm sichtlich schwer, mit dem Sprechen zu beginnen.

»Was ist, Seimer? Hat es Euch die Sprache verschlagen?« Der Stadtrichter runzelte die Brauen; er wurde sichtlich ungeduldig.

»Nein, Herr Stadtrichter«, Peter hatte sich endlich überwunden, doch seine Stimme klang rau und brüchig. »Es ist nur«, er zögerte, »ich … ich möchte Euch und die anderen ehrenwerten Herren davon in Kenntnis setzen, dass ich meine Aussage zurückziehen muss.«

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25 mayıs 2021
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