Kitabı oku: «Waldheimat», sayfa 5
ALS ICH BETTELBUB GEWESEN
Die schmale Straße, die durch den Wald ging, hatte weißen Sand und dunkles Moos, war zur sonnigen Zeit nicht staubig und in Regentagen nicht lehmig. Sie zog nicht in der Schlucht, sie zog auf der sanften Bergeshöhe hin, wo das kurze, grüne Heidekraut und in dünner Anzahl die alten, verknöcherten Fichtenbäumchen standen. Stellenweise ging der Weg über eitel grünen Rasen, und ein Wagengeleise war gedrückt; strebsame Ameisenvölker trieben auf dieser Straße ihren Handel und Wandel.
Und doch erstreckte sich der Weg aus weitem her und war von Menschen getreten. Hie und da stand etwas, wie ein Wegzeiger, eine hölzerne, wettergraue Hand wies geradeaus oder seitab und sagte nicht, wohin. An anderen Stellen wieder, wo ein alter, flechtenbewachsener Baumstamm hart am Wege ragte, prangte daran ein rotangestrichenes Holzkästchen mit einem Liebfrauenbildnis oder mit einem „Martertaferl“, erzählend vom Unglücksfalle, der sich an der Stelle zugetragen, bittend um ein christlich Gebet.
Ich habe in der weiten Welt keinen Weg mehr gefunden, der mir so grauenhaft heilig erschienen wäre, als diese Straße, die durch unseren Wald strich und von der wir Kinder nicht wußten, woher sie kam und wohin sie ging. Erfahrene Leute sagten es zwar, sie käm’ aus dem fernen Ungarlande und führe nach Mariazell. – ’s ist ein ewiges Wandern von Sonnenaufgang her. Auch die wilden Türken vor drei- und mehr hundert Jahren sollen diesen stillen Weg herangewütet haben; auch kleine Zigeunerbanden trippelten zuweilen auf demselben daher, und dann einmal ein Handwerksbursche oder ein Bettelmann oder ein Schwärzer kam des Weges und verneigte sich vor den Bildnissen.
Im ganzen jedoch war der Weg sterbens einsam und die wenigen Häuser standen fernab im Tale oder auf entlegenen Bergen.
Doch war es alle Jahre einmal, zur Zeit der Bittage, in jener Maienwoche, in welcher unsere Religion das Fest der Himmelfahrt des Herrn feiert, daß auf diesem Waldwege eine förmliche Völkerwanderung ausbrach. Seltsame Menschen mit fremden Kleidern, Gebärden und Sprachen wallten scharenweise heran. Sie hatten braune Gesichter, knochige Glieder und struppige Haare. Sie hatten scharfe Augen, weiße Zähne, lange, kühn aufgeworfene Nasen und fremdartige Züge um die Mundwinkel. Die Männer trugen weiße, flatternde, unten befranste Linnenhosen, die so weit waren, daß sie aussahen wie Kittel, und dunkelblaue Übermäntel mit breit zurückgeschlagenen Kragen, und kleine Filzhütchen mit schmalen, aufgeringelten Krempen. Auch hatten sie blaue Westen an, besetzt mit einer Reihe von großen Silberknöpfen. Andere trugen wieder so enge weiße Beinkleider, als wären selbige über und über an die Glieder gewachsen, und anstatt mit Stiefeln hatten sie die Waden und den Fuß in kreuz und krumm mit Binden umwunden. Auch hatten manche der Männer schwere Übermäntel aus weißem Filze an ihren Achseln hängen, und diese Mäntel, sowie auch ihre Beinkleider waren ausgeziert mit roten oder blauen Rändern, und allerlei Geschnüre schnörkelte sich um die Wämser.
Die Weiber trugen blauschwarze oder weiße Kittelchen, die kaum ein bißchen übers Knie hinabgingen und bei jedem Schritt keck hin und her schlugen. Bei anderen wieder waren die Kittel so eng und die schwarzen faltenlosen Schürzen so breit, daß bei jedem Schritte die Rundungen der Gestalt hervortraten. Ferner trugen sie hohe und schwere Stiefel, daß unter denselben der Sand knarrte, oder sie gingen gar barfuß und hatten Staubkrusten an den Zehen. Weiters staken die Weiber in kurzen schwarzen Spenserchen oder sie hatten gar nur ein weites Hemd über Arm und Busen flattern. Die Köpfe hatten sie turbanartig mit einem Tuche umschlungen, unter dem schwarze Lockensträhne hervorquollen.
So wogten sie lärmend und heulend heran, und jede Gestalt hatte ein weißes Bündel auf den Rücken gebunden und trug in der Hand einen glattgeschälten Stock. Diese Stöcke waren meist frisch in unseren Wäldern geschnitten, es waren Lärchenstäbe; auch an den Hüten trugen die Männer frischgeschnittene Lärchenzweige und Lärchenkränze; dieser herrliche Baum mit seinem weichen Genadel, wie er mit dem vielgestaltigen Marbelwerk der Rinde seines Schaftes in der Form einer hellgrünen Pyramide unsere Alpenwälder schmückt, war ihnen seltsam, er ist in jenen fernen, flachen Gegenden, aus denen die Scharen kamen, nimmer zu finden.
Die fremden Gestalten, welche in kleineren Rotten und großen Haufen einen ganzen Nachmittag lang heranströmten, kamen aus dem Ungarland und waren Magyaren und Slowaken. Es waren die bigotten Massen, die alljährlich einmal aus ihren Heimatsgemeinden davonwandern, um den weiten Weg von sechs bis acht Tagen bis zu dem weltberühmten Wallfahrtsorte Mariazell zu wallen. Ungarische Herren und slawische Fürsten hatten einst viel zum Ruhme und zur Verherrlichung der Gnadenstätte zu Zell getan, und so wogt heute noch der Strom jener Völker dem berufenen Alpentale zu und macht einen Hauptteil der gesamten Wallfahrer aus, die alljährlich in Zell erscheinen.
Es waren also fromme Wallfahrerscharen, die betend und singend unseren stillen Wald durchzogen. Jedes Häuflein trug eine lange rote Stange mit sich, auf welcher ein Kreuz mit bunten Bändern oder ein wallendes Fähnlein war. Vor jedem Bildnisse, wie sie am Wege standen, verneigten sie tief diese Stange; und wenn sie zu jener Höhung herangestiegen waren, auf welcher dem Wanderer das erstemal die zackige Hochkette des Schwabengebirges und der gewaltige Felsrücken der Hohen Veitsch sichtbar wird, standen sie still und senkten dreimal fast bis zur Erde ihren Fahnenstab. Begrüßten die Menschen aus dem Flachland die wilderhabene Alpennatur? Nein. In der Felsenkrone jener hohen Berge lag ihr heiliges Ziel, und das begrüßten sie mit Herz und Gebärden.
An diesem Punkte waren sie nur noch eine starke Tagreise entfernt von Zell; manche empfanden in solchem Gedanken zum Wandern neue Kraft, anderen sank der Mut im Anblicke der blauenden Alpenwände, die zu übersteigen waren. Bisweilen schleppten die Fremdlinge einen Genossen mit sich, der unterwegs erkrankt war. Einmal trugen sie auf frischer Lärchbaumtrage die Leiche eines auf der Straße verstorbenen Kameraden, um sie im nächsten Friedhofe zu bestatten.
So hallten am ersten Tage der Bittwoche die grellstimmigen Gebete der Ungarn und die melancholischen Lieder der Slawen durch unsere Gegend. Die Leute traten aus fernen Häusern und horchten den seltsamen Stimmen; wir Kinder aber pflegten eine andere Sitte. Wir zogen unsere zerfahrensten Kleider an und mit fliegenden Lumpen hüpften wir der Straße zu. Dort knieten wir auf den Sand, aber so, daß wir auf unsere eigenen Fersen zu hocken kamen, und wenn eine der Kreuzscharen nahte, so rissen wir die Hauben vom Kopf, stellten dieselben als Gefäß vor uns hin und schlugen zuerst mit zagender, bald mit kecker Stimme zahlreiche Vaterunser los.
Die Früchte blieben nicht aus. Die Männer schossen Kreuzer in unsere Hauben, Weiber warfen uns Brot und Kuchen zu, welche, wie die Spuren ihrer Zähne daran gar oft bewiesen, sie ihrem eigenen Munde entzogen hatten. Andere hielten gar an, und öffneten ihr Bündel und kramten drin herum, und reichten uns Backwerk, und manch alt’ Mütterlein, das unsertweg auf ein paar Minuten zurückgeblieben war, konnte die Schar wohl oft lange nicht mehr erreichen.
Manchmal stellten die Fremden Worte an uns, die wir nur mit glotzenden Augen zu beantworten wußten. Je seltsamer ihr Wesen und ihre Sprache war, je feiner und lieblicher zeigte sich die Gabe. Je brauner die Gesichter, je weißer war das Brot – wir hatten die Erfahrung bald gemacht. Vielleicht dachten die Geber an ihre Angehörigen in ferner Heimat, denen die Liebe galt, die uns fremden Kindern erwiesen wurde.
Bisweilen wurden wir auch in deutscher Sprache angeredet: wie wir hießen, wem wir zugehörten, wieviel unser Vater Ochsen hätte und ob wir auch Kornfelder besäßen. Des Grabenbergers Natzelein war unter uns, das gab stets die Antwort und log fürchterlich dabei: Wir gehörten armen Holzhauerleuten an, der Vater wäre vom Baum gefallen und die Mutter läge krank schon seit Jahr und Tag; Ochsen hätten wir nicht, aber zwei Ziegen hätten wir gehabt und die hätte der Wolf gefressen. Mit einem Kornacker wär’s schon gar nichts, aber Pilze äßen wir und die wären heuer nicht gewachsen. – Ich bohrte vor heimlicher Wut über derlei Darstellungen die Zehen hinter mir in die Erde hinein. Ja, das Natzelein verfing sich derart in das Lügen, daß es schließlich selbst unsere ehrenhaften Taufnamen falsch angab.
Die guten Ungarn schlugen hell ihre Hände zusammen über so arme Würmer, dann blickten sie in die Waldgegend hinaus und meinten, es wäre leicht zu glauben, es wäre eine elende Gegend; gar der Schnee lag noch hie und in den Gruben, zu einer Zeit, da auf den weiten Ebenen draußen längst das Korn in Ähren stand. Sie griffen dann in den Sack.
Das Natzelein war mir schon von jenem Rattner Kirchtag her verleidet, aber ich getraute mich vor den Fremden kein Wort zu sagen; und wenn sie mich zuweilen doch dahin brachten, daß ich den Mund aufmachte, so ward das Wort so ängstlich und leise hervorgemurmelt, daß sie mich nicht verstanden. Die anderen, besonders das Natzelein, kriegten daher immer mehr in ihre Hauben als ich; nur dann und wann ein mildherziges Weiblein legte mir, dem „Hascherl“, was bei.
Einmal – ich und des Grabenbergers Natzelein waren allein – gerade vor dem Herannahen einer größeren Schar, nahm ich eine Stellung ein, die vorteilhafter war als der Platz, auf welchem das Natzelein hockte. Das Natzelein war darüber erbost, und als die Gaben wirklich in größerer Menge mir zuflogen, rief es aus: „Der da ist eh reich, sein Vater hat vier Ochsen und einen großen Grund! Vater unser, der du bist, usw.“
Auf der Stelle wendete sich das Glück und alles Brot und Geld wäre in den Hut des Natzelein geflogen, da erhob ein Mann, der mitten unter den Wallfahrern stand, das Wort: „Schaut einmal den neidischen Schlingel an! Ihr seid beide nicht so arm, als daß ihr ohne unser Brot verhungern müßtet und auch nicht so reich, als daß wir euch die kleinen Gaben versagen wollten. Ihr seid Waldbauernkinder, aber ich gebe meinen Sechser diemal dem, dessen Vater vier Ochsen hat!“
Mein Lebtag vergeß ich’s nimmer, wie jetzt die Batzen in mein Häublein klangen – hell zu Dutzenden, und ich konnte nachgerade nicht schnell genug die „Vergelt’s Gott!“ sagen, daß auf jeden eins kam. Und da dieser wundersame Hagel, wie ich ihn noch nie erlebt hatte, gar nicht wollte aufhören, konnte ich die Lust in meinem Herzen nimmer verhalten, in ein helles Wiehern und Lachen brach ich aus; das Natzelein aber schleuderte seine fast leer gebliebene Haube mitten in die Straße und schoß wütend in den Wald hinein.
Mit Gelächter zog die Kreuzschar ab. Und ich hub an, meine Schätze zu zählen; in der Kappe und um dieselbe, im Sand und auf dem Moos und im Heidekraute lagen die Kreuzer und Sechser zerstreut. Und als ich sie alle versammelt hatte, wollte ich wohl verzichten auf alle weiteren Wallfahrertruppen, die heute noch kommen konnten, wollte schnurstracks heim zu meinen Eltern laufen, um ihnen das Glück zu verkünden. Da bin ich angepackt von rückwärts, zu Boden geworfen und auf meiner Brust reitet das Natzelein. Mit seinen strammen Händen preßt es meine Arme tief in das Heidekraut hinein und so grinst es mir ins Gesicht.
Stärker bin ich nicht, wie er, dachte ich bei mir, wenn ich auch gescheiter nicht bin, so ist’s um mich gefehlt.
„Du!“ murmelte das Bürschlein zwischen den Zähnen hervor, „gib mir die Hälfte vom Geld!“
„Nein“, sagte ich trocken.
„So nehm’ ich mir’s selber.“
„Dann spring’ ich auf.“
„Aber ich laß dich nicht los!“
„Dann kannst du das Geld nicht nehmen.“
„Ich setz’ dir meine Knie auf die Gurgel!“
„Ich laß mich umbringen, nachher wirst du gehenkt.“
Der Gesang einer neuen Schar unterbrach die Verhandlung. Wir beide sprangen auf, stürzten zur Straße hin und lallten unser Gebet.
Das von den vielen Abenteuern an der Straße nur als Stücklein.
Und wenn das Tagwerk vorbei, so versammelten wir Kinder uns auf der Au, wo die Schafe noch grasten, und tauschten unsere Gaben um, wie sie jedem entsprachen. Geld war stets der gesuchteste Artikel; nur die Kinder armer Kleinhäusler und Köhlersleute gaben feine Leckerbissen und Kreuzerchen für ein Stück schwarzes Brot, wenn es nur groß war.
Am fünften Tage kehrten dieselben Scharen stets auf demselben Wege wieder zurück. Und jeder von den Wallfahrern hatte an seiner Brust einen oder mehrere Rosenkränze hängen oder Amulette, Frauenbildchen und funkelnde Kreuzlein und Herzen. Die Mädchen trugen rote und grüne Krönlein von Wachs auf ihrem Haupte. Die Bündel auf den Rücken hatten sich sehr bedeutend verkleinert und die Brote, die wir bekamen, waren hart und Geldstücke sprangen spärlich hervor aus den Taschen.
Doch lohnte es sich des Hockens immer noch und die Erwartung der Gabe war mindestens so anziehend, als die Gabe selbst.
Einmal, ich war schon an die elf Jahre alt geworden, kniete ich ganz allein am Stamme eines Bildnisses, und recht zungenfertig im Vaterunserhersagen, wie ich endlich geworden war, kehrte ich alle Vorteile des Absammlers heraus und hoffte reichlichen Gewinn. Da kam eine Kreuzschar; ein paar Brötchen wurden mir zugeworfen, und sie war vorüber.
Nur ein schon betagter, gutmütig aussehender Mann war zurückgeblieben, schritt ganz nahe an mich heran, neigte ein wenig sein Haupt zu mir nieder und sagte: „Bettelbub’!“ Dann ging er den anderen nach.
Mir war das halbe Vaterunser im Mund steckengeblieben. Ich glotzte eine Weile um mich, dann stand ich langsam auf und schlich von dannen.
Das war mein letztes Hocken gewesen an unserer Waldstraße.
– Bettelbub! – Das Wort hat mich aufgeweckt. Ein junger gesunder Bursche, der mit seinem neuen grünen Hut Sonntags schon etlichemal gleich den Knechten ins Wirtshaus gegangen ist, der es demnächst mit dem Tabakrauchen probieren wird und der nicht allzuselten ins Fensterglas guckt, wie es mit dem Bart steht – ein solcher Bursche betteln!
Auch das Natzelein tut’s nimmer. Das Natzelein ist ein reicher Bauer geworden und es gibt, wenn man ihm glauben darf, jeden Tag erklecklich Almosen an wahrhaft bedürftige Bettelleute.
Und die Magyaren und Slowaken kommen noch heute jenen einsamen Waldweg gezogen, immer an Kinder, die am Weg kauern, Gaben spendend, in ihrem Beten und Flehen selbst Bettelleute vor der Gnadenmutter zu Zell.
ALS ICH ZUR DRACHENBINDERIN RITT
Wenn mein Vater am Sonnabend beim Rasieren saß, da mußte ich unter den Tisch kriechen, weil es über dem Tisch gefährlich war.
Wenn mein Vater beim Rasieren saß, wenn er seine Backen und Lippen dick und schneeweiß eingeseift hatte, daß er aussah wie der Stallbub, welcher der Kuhmagd über den Milchrahm gekommen; wenn er dann das glasglänzende Messer schliff an seinem braunledernen Hosenträger und hierauf langsam damit gegen die Backen fuhr, da hub er an, den Mund und die Wangen und die Nase und das ganze Antlitz derart zu verzerren, daß seine lieben, guten Züge schier gar nicht mehr zu erkennen waren. Da zog er seine beiden Lippen tief in den Mund hinein, daß er aussah wie des Nachbars alter Veit, der keine Zähne mehr hatte; oder er dehnte den Mund nach links oder rechts in die Quere, wie die Köhlersani tat, wenn sie mit den Hühnern keifte; oder er drückte ein Auge zu und blies eine Wange an, daß er war, wie der Schneider Tinili, wenn ihn sein Weib gestreichelt hatte.
Die spaßhaftesten Gesichter der ganzen Nachbarschaft fielen mir ein, wenn der Vater beim Rasieren saß. Und da kam mir das Lachen.
Darauf hatte mein Vater stets liebevoll gesagt: „Gib Ruh’, Bübel.“ Aber kaum die Worte gesprochen waren, wuchs wieder ein so wunderliches Gesicht, daß ich erst recht herausplatzte. Er guckte in den kleinen Spiegel und schon meinte ich, sein schiefes Antlitz werde in ein Lächeln auseinanderfließen. Da rief er plötzlich: „Wenn du keine Ruh’ gibst, Bub, so hau’ ich dir den Seifenpinsel hinüber!“
Kroch ich denn unter den Tisch und das Kichern schüttelte mich, wie die Nässe den Pudel. Der Vater aber konnte sich ruhig rasieren und war nicht mehr in Gefahr, über seine und meine Grimassen selbst in ein unzeitiges Lachen auszubrechen.
So war’s einmal an einem Winterabend, daß der Vater beim Seifenschüsselchen saß und ich unter dem Tisch, als sich draußen in der Vorlauben jemand den Schnee von den Schuhen strampfte. Gleich darauf ging die Tür auf und ein großer Mann trat herein, dessen dichter roter Schnurrbart Eiszapfen trug, wie draußen unser Bretterdach. Er setzte sich gleich nieder auf eine Bank, zog eine bauchige Tabakspfeife aus dem Lodenmantel, faßte sie mit den Vorderzähnen und während er Feuer schlug, sagte er: „Tust dich balbieren, Waldbauer?“
„Ja, ich tu’ mich ein wenig balbieren“, antwortete mein Vater, und kratzte mit dem Schermesser und schnitt ein Gesicht.
„Na, ist recht“, sagte der fremde Mann.
Und später, als er schon von Wolken umhüllt war und die Eiszapfen bereits niedertröpfelten von seinem Barte, tat er folgende Rede: „Ich weiß nicht, Waldbauer, wirst mich kennen oder nicht? Ich bin vor fünf Jahren einmal an deinem Hause vorbeigegangen und hab’ beim Brunnen einen Trunk Wasser genommen. Ich bin von der Stanz, bin der Drachenbinderin ihr Knecht. Ich bin da um deinen größeren Buben.“
Mir unter dem Tisch schoß es bei diesen Worten heiß bis in die Zehen hinaus. Mein Vater hatte nur einen einzigen größeren Buben und der war ich. Ich duckte mich in den finstersten Winkel hinein.
„Um meinen Buben bist da?“ entgegnete mein Vater, „den magst wohl haben, den werden wir leicht entraten; halt ja, er ist gar so viel schlimm.“
Bauersleute reden gern so herum, um ihre vorwitzigen Kinder zu necken und einzuschüchtern. Allein der Fremde sagte: „Nicht so, Bauer, gescheiterweis’! Die Drachenbinderin will was aufschreiben lassen, ein Testament oder so was, und sie weiß weit und breit keinen zu kriegen, der das Schreiben tät’ verstehen. Jetzt, da hat sie gehört, der Waldbauer im Alpel hätt’ so ein ausbündig Bübel, dem solch Ding im kleinen Finger stecken tät’; und so schickt sie mich her und laßt dich bitten, Bauer, du sollst die Freundschaft haben und ihr deinen Buben auf einen Tag hinüberleihen; sie wollt’ ihn schon wieder fleißig zurückschicken und ihm was geben zum Lohn.“
Wie ich das gehört hatte, klopfte ich mit den Schuhspitzen schon ein wenig an den Tischschragen – das täte mir gleich nicht übel gefallen.
„Geh’“, sagte mein Vater, da er auf einem Backen bereits glatt gekratzt war, „wie könnt’ denn mein kleiner Bub’ jetzt im tiefen Winter in die Stanz gehen, ist ja völlig vier Stunden hinüber!“
„Freilich wohl“, versetzte der große Mann, „deswegen bin ich da. Er steigt mir auf den Buckel hinauf.“
„Versteh’s schon“, drauf mein Vater, „Buckelkraxentragen.“
„Nu, und nachher wird’s wohl gehen, Waldbauer, und wenn der Sonntagabend kommt, trag’ ich dir ihn wieder ins Haus.“
„Je nu, dasselb’ weiß ich wohl, daß du mir ihn wieder redlich zurückstellst“, sagte mein Vater, „und wenn die Drachenbinderin was will schreiben lassen und wenn du der Drachenbinderin ihr Knecht bist, und wenn mein Bübel mit dir will – meinetwegen hat’s keinen Anstand.“
Die Worte hatte er bereits mit glattem, verjüngtem Gesichte gesprochen.
Eine kleine Weile nachher stak ich in meinem Sonntagsgewand; glückselig über die Bedeutung, ging ich in der Stube auf und ab.
„Du ewiger Jud’, du“, sagte mein Vater, „hast mehr kein Sitzfleisch?“
Aber mir ließ es keine Ruhe mehr. Am liebsten hätte ich mich sogleich auf das breite Genick des großen Mannes niedergelassen und wäre davongeritten. Da kam erst die Mutter mit dem Sterz und sagte: „Esset ihn, ihr zwei, ehe ihr fortgeht!“
Umsonst hatte sie es nicht gesagt; ich habe unseren breitesten hölzernen Löffel nie noch so hochgeschichtet gesehen, als zur selbigen Stunde, da ihn der fremde große Mann von dem Sterztrog unter seinen Schnurrbart führte. Ich aber ging in der Stube auf und ab und dachte, wie ich nun der Drachenbinderin ihr Schreiber sein werde.
Als hierauf die Sache insoweit geschlichtet war, daß die Mutter den Sterztrog über den Herd stülpen konnte, ohne daß auch nur ein Brosamchen herausfiel, da hüpfte ich auf das Genick des Mannes, hielt mich am Barte fest und ritt denn in Gottes Namen davon.
Schon ging die Sonne unter; in den Tälern lagen Schatten, die fernen Schneehöhen der Almen hatten einen mattroten Schein.
Als mein Gaul über die kahlen Weiden aufwärts trabte, da trug ihn der Schnee, aber als er in die Gegend des jungen Lärchenwuchses und des Fichtenwaldes kam, da wurde die Bodenkruste trügerisch und brach ein. Jedoch darauf war er vorgesehen. Als wir zu einem alten, hohlen Lärchenbaum kamen, der sein Geäste recht keck in die Luft hinausreckte, hielt er an, langte mit einer Hand in die schwarze Höhlung und zog ein paar aus Weiden geflochtene Fußscheiben hervor, die er an die Schuhsohlen band. Mit diesen breiten Sohlen begann er die Wanderung von neuem; es ging langsam, denn er mußte die Füße sehr weit auseinanderbiegen, um die Scheiben füreinander zu bringen, aber mit solchen Entenfüßen brach er nicht mehr durch.
Auf einmal, es war schon finster und die Sterne leuchteten klar, hub mein Gaul an, mir die Schuhe loszulösen, zog sie zuletzt gar von den Füßen und tat sie in seine aufgebundene Schürze. Dann sagte er: „Jetzt, Bübel, steck’ deine Pfötelein da in meine Jackentaschen, daß die Zehen nicht herabfrieren.“ Meine vorgereckten Hände nahm er in die seinen und hauchte sie mit dem warmen Atem an – was anstatt der Handschuhe war.
An meinen Wangen kratzte die Kälte, der Schnee winselte unter den Scheiben – so ritt ich einsam fort durch den Wald und über die Höhen. Ich ritt über den ganzen langen Grat des Hochbürstling, wo ich nicht einmal zur Sommerszeit noch gewesen war! Ich preßte zuweilen, wenn es schon ganz langsam ging, meine Knie in die Weichen, und mein Gaul ertrug es willig und ging, wie er konnte, und er wußte den Weg. Ich ritt an einem Pfahle vorbei, auf welchem Winter und Sommer der heilige Viehpatron Erhardi stand. Ich kannte den heiligen Erhardi von daheim; ich und er hatten zusammen die Aufsicht über meines Vaters Herden; er war immer viel angesehener als ich, ging ein Rind zugrunde, so hatte ich, der Halterbub, die Schuld; gediehen die anderen recht, so hatte er das Lob. – Nun tat’s mir wohl, daß er sah, wie ich es zum Rittersmann gebracht.
Endlich wendete sich der Lauf, ich ritt abwärts über Stock und Stein, und immer niederwärts, einem Lichtlein zu, das unten in der Tiefe flimmerte. Und als so alle Bäume und Gegenden an mir vorübergegangen waren und ich vor mir den dunkeln Klumpen mit der kleinen Tafel des Lichtscheines hatte, stand mein guter Christof still und sagte: „Du liebes Waldbauernbübel! Da du mir fremdem Menschen so unbesonnen gefolgt bist – wohl könnte es sein, daß ich schon jahrelang einen Groll hätt’ gegen deinen Vater, und daß ich dich jetzt in eine Räuberhöhle führte.“
Horchte ich einen Augenblick so hin.
Weil er zu seinen Worten nichts mehr beisetzte, so sagte ich in demselben Tone: „Da mein Vater mich der Drachenbinderin ihrem Knechte so anvertraut hat, und da ich so unbesonnen gefolgt bin, so wird der Drachenbinderin ihr Knecht keinen Groll haben können und mich nicht in eine Räuberhöhle führen.“
Der Mann hat nach diesen meinen Worten in seinen Bart gepfustert. Bald darauf hub er mich auf einen Strunk an der Wand und sagte: „Jetzt sind wir bei der Drachenbinderin ihrem Hause.“ Er machte an dem dunkeln Klumpen eine Tür auf und trug mich hinein.
In der kleinen Stube war ein Herd, auf dem das Häufchen Glut lag, ein Kienspan, der brannte, und ein Strohlager, auf dem ein Kind schlief. Daneben stand ein Weib, das schon sehr alt und gebückt war und das im Gesicht schier so blaß und faltenreich aussah, wie das grobe Nachtkleid, in das es gehüllt stand.
Dieses Weib stieß, als wir eintraten, jauchzende Töne aus, hub dann heftig zu lachen an und verbarg sich hinter dem Herde.
„Das ist die Drachenbinderin“, sagte mein Begleiter, „sie wird gleich zu dir reden, setze dich hieweilen auf den Schemel da neben dem Bett und tu’ deine Schuh’ wieder an.“
Ich tat es und er setzte sich daneben auf einen Holzblock. Als das Weib still geworden war, trippelte es am Herde herum und brachte uns in einer Tonschüssel eine graue dampfende Mehlsuppe und zwei beinerne Löffel dazu. Der Knecht aß würdevoll und beharrlich, mir wollte es nicht schmecken. Zuletzt stand der Knecht auf und sagte leise zu mir: „Schlaf wohl, du Waldbauernbub!“ und ging davon.
Und als ich in der schwülen Stube allein war mit dem schlummernden Kinde und dem alten Weibe, da hub es mir an, unheimlich zu werden. Doch nun trat die Drachenbinderin heran, legte ihre leichte, hagere Hand an meine Wange und sagte: „Dank’ dir Gott unser lieber Herr, daß du zu mir gekommen bist! – Es währet kein halbes Jährlein noch, seit mir meine Tochter ist gestorben. Das da“ – sie deutete auf das Kind – „ist mein junger Zweig, ist ein gar armer Wurm, wird mein Erbe sein. Und jetzt hör’ ich schon wieder den Tod anklopfen an meiner Tür; ich bin alt schon an die achtzig’ Jahr’. Mein Leblang hab’ ich gespart – mein Sargbett will ich mir wohl erbetteln von guten Leuten. Mein Mann ist früh gestorben und hat mir das Drachenbinderhäusel, wie es genannt wird, zurückgelassen. Meine Krankheiten haben mir das Häusel wieder gekostet – sind’s aber nicht wert gewesen. Was ich hinterlaß, ist meinem Enkelkind zu eigen. In sein Köpfel geht’s heut noch nicht hinein und in die Hand geben kann ich’s keinem Menschen. So will ich’s schreiben lassen, daß es bewahrt ist. Durch den Schulmeister in der Stanz will ich’s nicht tun und der Doktor kann’s ohne Stempelgeld vielleicht nicht machen. So haben die Leut’ vom Waldbauernbuben erzählt, der wär’ so hoch gelehrt, daß er einen letzten Willen wüßt’ zu schreiben. Und hab’ ich dich von weiten Wegen bringen lassen. Morgen tu’ mir die Lieb’, und heute geh’ zur friedsamen Ruh’.“
Sie geleitete mich mit dem brennenden Span in eine Nebenkammer; die war nur aus Brettern geschlagen. Ein Lager von Heu und eine Decke aus dem dicken Sonntagskleide des Weibes war da, und in einem Winkel stand aus wurmstichigem Holz ein winziges Kirchlein mit zwei Türmen, in welchen Glöcklein schrillten, so oft wir auf den schwankenden Fußboden traten. Die Drachenbinderin steckte den Span in ein Turmfenster, segnete mich mit einem Daumenkreuze und bald darauf war ich allein in der Kammer.
Es war kalt, ich fröstelte vor dem Winter und vor dem Weibe, das meine Gastfrau war; aber noch ehe ich mich ins Nest verkroch, machte ich mit Neugierde die Tür des Kirchleins auf. Eine Maus huschte heraus, die hatte wohl eben an dem goldpapiernen Altare und der pappenen Hand des heiligen Josef ihr Nachtmahl gehalten. Es waren Heilige und Engel da, und bunte Fähnlein und Kränzlein – ein lieblich Spiel. Ich meinte, das sei gewiß der alten Drachenbinderin ihre Pfarrkirche, weil das Weib doch schon viel zu mühselig, um nach Stanz zum Gottesdienst zu wandern. Ich betete vor dem Kirchlein mein Abendgebet, worin ich den lieben Herrgott bat, mich in dieser Nacht recht zu beschützen; dann löschte ich den Span aus, daß er nicht zu den Turmfenstern hineinbrennen konnte und legte mich auf das Heu. – Mir kam es vor, als wäre ich losgerissen von mir selber und ein gelehrter Schreiber in einem fernen kalten Hause, während der wahrhaftige Waldbauernbub daheim in dem warmen Nestlein schlummere. Als ich endlich im Einschlafen war, hörte ich drinnen in der Stube wieder das kurz ausgestoßene Jauchzen und bald darauf das heftige Lachen.
Was ergötzt sie denn so sehr und wen lacht sie aus? – Ich sann auf Flucht.
Ein Wandbrett wäre doch leicht ausgehoben – aber der Schnee!
Erst gegen Morgen schlief ich ein und träumte von einer roten Maus, die allen Heiligen der Kirche die rechte Hand abgebissen hatte. Und zum Turmfenster sah mein Vater mit den eingeseiften schiefen Backen heraus, und er hielt einen brennenden Span im Mund; ich schluchzte und kicherte zugleich.
Als ich endlich erwacht war, spielte es, als wäre die Kammer ein Käfig mit silbernen Spangen, so strahlte das weiße Tageslicht durch die aufrechten Bretterfugen. Und als ich hinausging vor die Tür, da staunte ich, wie eng die Schlucht, und wie fremd und hoch und winterlich die Berge waren.
Im Hause schrie das Kind und jauchzte wieder die Drachenbinderin.
Bei der Frühsuppe war auch mein Gaul wieder da; aber er sagte schier kein Wort, er sah nur auf sein Essen und als dieses um war, stand er auf, setzte seinen großmächtigen Hut auf und ging gegen Stanz hinaus zur Kirche.
Als das Weib das Kind beruhigt, die Hühner gefüttert und andere Dinge des Hauses getan hatte, schob es den Holzriegel vor die äußere Tür, ging in die Kammer und hub mit den kleinen Glocken des Kirchleins zu läuten an.
Dann entzündete sie zwei Kerzen, die am Altare standen und dann tat sie ein Gebet, wie ich meiner Tage keines gehört habe.
Sie kniete vor dem Kirchlein, streckte die Hände aus und murmelte:
„Von wegen der Marterwunden deiner rechten Hand, du kreuzsterbender Heiland, tu’ meine verstorbenen Eltern erretten, wenn sie noch in der Pein sind. Schon der Jahre ein halbes Hundert sind sie in der Erden, und heut’ noch hör’ ich meinen Vater rufen um Hilf’ mitten in der Nacht. – Von wegen der Marterwunden deiner linken Hand laß dir empfohlen sein meiner Tochter Seel’. Sie hat kaum mögen die Welt anschauen, und wie sie dem Gatten das Kindlein in die Hand will legen, da kommt der bittere Tod und tut sie uns begraben. – Von wegen der Marterwunden deines rechten Fußes will ich dich bitten wohl im Herzen für meinen Mann und für meine Blutsfreund’ und Guttäter und daß du den Waldbauernbuben nicht wolltest vergessen. – Von wegen der Marterwunden deines linken Fußes, du kreuzsterbender Heiland, sei auch eingedenk in Lieb’ und Gnaden all’ meiner Feinde, die mich mit Händen haben geschlagen und mit Füßen haben getreten. – Von wegen der Marterwunden deines heiligen Herzens sei zu tausend- und tausendmal angerufen: Du gekreuzigter Gott, schließe mein Enkelkind in dein göttliches Herz. Sein Vater ist bei den Soldaten in weitem Feld, ich hab’ leicht kein langes Verbleiben, du mußt dem Kind ein Vormund sein, ich bitte dich! Amen!“