Kitabı oku: «Euch aufgesetzt»

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Inhalt

Impressum 2

Vorwort 3

1. 5

2. 13

3. 17

4. 21

5. 26

6. 30

7. 38

8. 49

9. 54

10. 60

11. 64

12. 67

13. 71

14. 74

15. 75

16. 78

17. 80

18. 83

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2021 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99107-672-8

ISBN e-book: 978-3-99107-673-5

Lektorat: Laura Oberdorfer

Umschlagfoto: Peter Schwarz

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Vorwort

Der Teufel hat nur wenig Zeit? Na, so wie es aussieht hat er eine Menge Zeit. Es ist daher wichtig sich in Geduld zu üben und sich die Lust am Leben nicht von der Zeit trüben zu lassen. Viele können sich diesen Vorzug jedoch aus gewichtigen Gründen nicht leisten. Viele Nächte habe ich die gleiche Art von Traum. Ich träume, Berater eines berüchtigten Diktators zu sein, ihm Ratschläge zu geben, ohne ihm dabei zu nahe zu treten, oder ihn in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen und über seine grottenschlechten Witze zu lachen, die er mit einem breiten Grinsen reißt. Ich wache immer dann auf, wenn mir bei seinem Anblick die Mimik einfriert oder ich verlegen zu Boden schaue, und ich ihm eigentlich nichts mehr zu sagen habe. Und er dann mit einer kleinen Gebärde, die Wächter anweist, mich abzuführen. Der besagte Diktator, den ich sicherheitshalber lieber nicht beim Namen nenne, beschäftigt mich tagsüber gar nicht. Man hört in den Nachrichten zwar oft von ihm, aber die unmittelbaren, alltäglichen Dinge, sind wichtiger als Radio, Fernseher oder Computer und das vermeintliche Weltbild, was man daraus zu erhalten glaubt. Ich zähle sogar neben Licht in der Nacht auch das Handy zum Blendwerk der Moderne. Wenn man telefoniert, ist man meistens mutterseelenallein. Man will das immer kaschieren, indem man länger und immer länger telefoniert. Man hat nie das Gefühl genug gesagt zu haben. Ich telefoniere von Zeit zu Zeit mit meinem Kumpel Igor. Ich halte mich dann immer möglichst kurz und erwähne besagten Diktator, von dem ich so oft träume, nicht. Zumal ich das Gefühl habe, abgehört zu werden. Die Tage im Dämmerzustand fliegen dahin. Der Morgen ist mir die liebste Tageszeit. Man kann dann immer das Gestern gegen das Heute wiegen. Den Blick auf das Kommende gerichtet, schrumpfen die Schatten der Vergangenheit. Ich brauche mir gar nicht erst die Unendlichkeit vorzustellen, um mein Vorstellungsvermögen zu sprengen. Es reicht die Anzahl der Möglichkeiten, ein tausendseitiges Buch zu füllen. Vor meiner letzten Einweisung wusste ich, dass sie bald wieder kommen würden. Wären Gedanken etwas Reales, hätte ich Antimaterie absondern müssen. Das Blut gefror mir in den Adern. Ich hielt an Prinzipien fest. Allen voran meinem letzten Versuch, diesem Haufen hochtechnologisierter Raubaffen Vertrauen zu schenken. Ich war cholerisch.

Ich dachte, ich könnte mein Umfeld wie ein Zitteraal unter Strom setzen. Dachte ich könnte das schwarze Etwas, das auf mir saß, anderen aufsetzen. Mein Urin ist Sondermüll, der kommt ins Grundwasser, dann in den See, dann in den Fisch, der landet dann auf einem Silbertablett mit Blattgold garniert vor den Pharmakonzernbossen. Mahlzeit.

1.

Ein schöner Samstagmorgen. Der Himmel war blau und klar. Um geschätzte siebenmal weniger Flugverkehr als üblich. Ich lag im Bett und träumte einen Traum, an den ich mich nicht mehr richtig erinnern kann. Ich war in einem Einkaufszentrum, nein, es war ein Krankenhaus. Das Ambiente war eher wie in einer Raumstation, eng und beklemmend. Szenenwechsel. Ich lag in einem Bett in der geschlossenen Abteilung. Ich versuchte zu schlafen, es ging aber nicht. Als ich träumte, nicht nur zu träumen, bekam ich Klaustrophobie und wollte raus. Woraufhin der Boden unter mir zerbrach und das Wasser eines Ozeans das Zimmer flutete. Ich wachte auf. Der Wecker meines Handys war aus. Dennoch glaubte ich, ihn gehört zu haben. So geht es einem, wenn man sich nachts darüber den Kopf zerbricht, wie wohl der nächste Arbeitstag in der Lagerhalle aussehen würde. Und schließlich um 4 Uhr morgens anfing, die Stunden zu zählen, bis man schlaflos im Morgenlicht fast einnickte, aber wusste, dass man nicht schlafen durfte. Weil man ansonsten, im tiefen Schlummer, den Wecker nicht mehr hören würde. Also trinkt man Kaffee und macht sich am besten ein nahrhaftes Frühstück, um weitere 12 Stunden einen ausreichend klaren Kopf zu bewahren, damit man LKW-Ladungen von Kartons entgegen nehmen, die Ware sortieren und registrieren und die leeren Kartons wieder entsorgen konnte. Als ich am Donnerstag heimkam, war ich 36 Stunden wach gewesen. Und schlief dann von 18 Uhr abends, bis 7 Uhr Freitag morgens. Gestern ging mir alles leichter von der Hand. Doch nun war es Samstagmorgen und ich schaute nicht auf die Uhr. Ich rappelte mich auf, machte einige Schritte in die Küche und kippte in einem Zug den gezuckerten, schwarzen, kalten Kaffee vom Vortag runter. Unmittelbar danach zündete ich mir eine angeblich Zusatzstoff-freie Zigarette an. Der Puls sank, Dopamin wurde freigesetzt und die morgendliche Frische verflog. Meine Erlebniswelt glich in solchen Momenten Salvador Dalís Bildern. Nikotin führt zu einem rein mechanischen Denken. Das Haben wird zum Sein. Und ich kam mir vor, wie Dalís Schubladenmann. Der sein Angesicht, geblendet vom Licht der Welt, abwendet und wohl hofft, dass niemand ihm sein Innerstes von seinen Schubladen entwendet, und zum Besitz der Welt, im Gegensatz stehend zu seinem eigenen Besitz, macht. Doch ich war bereits von der Welt besessen. War besessen von der Angst, wieder zur Laborratte zu werden. Irgendwann, so hoffte ich insgeheim, würde ich sie alle los sein. Diese Herzparasiten in weißen Kitteln, die so taten, als würden sie sich um mich kümmern, und sich einredeten, sie hätten einen sinnvollen Beruf. Dieses ganze abgefuckte, moderne Kunstwerk würde zerbrechen und ich würde frei sein. Würde meine Tabs nicht mehr nehmen und endlich verrückt sein können, verrückt sein dürfen. Das Handy läutete und riss mich aus den Gedanken.

Es war Igor. Ein Blick auf den Screen verriet mir die Uhrzeit. 09:23 Uhr. Ich hob ab.

„Morgen Alex.“

„Hallo Igor, schon so früh munter?“

Igor war arbeitslos und stand für gewöhnlich erst um 12 Uhr auf. Ich lernte ihn damals auf der offenen Station kennen.

„Ja, es geht mir das erste Mal seit langem wieder gut, ich bin jetzt mit Tanja zusammen.“

„Ich hab doch gesagt, dass daraus was wird.“

Tanja hing bis vor kurzem an der Nadel, aber zog ihren kalten Entzug entschlossen durch. Igor und ich waren keine großen Aufreißer, und ich sagte ihm immer, dass er nicht auf die perfekte Frau zu warten brauchte. Aber nun freute es mich für ihn, dass er sogar eine gefunden hatte, die stark genug war, dem Heroin zu entsagen.

„Das muss gefeiert werden!“, meinte Igor.

„Jaja“, sagte ich. „ Ich darf nur eben nicht so viel trinken, du weißt schon, Tabletten.“

„Ach was! Ein paar Gläschen werden dir nicht schaden, und wenn’s mehr wird, nimmst du sie eben einmal nicht.“

Klang überzeugend. Es ödete mich an, immer im gleichen Trott, das mir vorgesetzte Gift zu nehmen. Einmal auf den Reset-Knopf zu drücken, konnte ja nicht schaden. In Vino est Veritas.

„Abgemacht, wann und wo treffen wir uns?“

„Bei mir zuhause, ich hol dich um 17 Uhr ab.“

Wir verabschiedeten uns. Ich dachte nach, wie der heutige Tag wohl enden würde.

Allzu viel würde ich wohl nicht trinken. Der Gedanke, die Tabletten einmal auszulassen, war sehr verlockend. Bis der Spiegel zu niedrig wäre, um bei klarem Verstand zu bleiben, würde es dreier Tage Abstinenz bedürfen. Aber auf diese wahnwitzige Idee würde ich wohl nie mehr kommen. Mein Psychiater würde es merken. Einen Zombie, der wieder Mensch wird, erkennt man schon vom weiten. Einer der auf LSD ist, kann ja auch nicht verhehlen wie er drauf ist. Den Trip, den man hat, wenn man eine Absetzpsychose bekommt, kann man mit nichts vergleichen. Der Herr Doktor würde es merken und man würde mich im Krankenhaus so sehr mit Haloperidol vollstopfen, bis ich mit meinem pathetischen, sedierten Verstand so mündig wie ein Vierjähriger wäre, und mich nicht mehr zu artikulieren wüsste. So ist die postapokalyptische Moderne. Wo immer auch Potential aufkeimt, wird es zertreten. Ich ging ins Bad, rasierte mich, putzte mir die Zähne und zog mir Hemd und Hose an. Wenn ich an einem freien Tag Gesellschaft erwartete, und sonst nichts zu tun hatte, wartete ich einfach nur. Auf der Couch liegend betrachtete ich, wie der Rauch meiner Zigarette und Staubflusen in der Luft schwebten. Ich war Meister darin. Um 12 Uhr ertönte die Sirene, Autos fuhren vor meinem Fenster vorbei. Die Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude. Um 17 Uhr abends klopfte es an der Tür. Ich öffnete. Es waren Igor und Andi. Igor und Andi lernten sich bei einem ihrer zahlreichen Psychatrieaufenthalte kennen.

Damals waren sie beide drin, weil man Igor in letzter Sekunde von seinem Strick geholt und Andi seinem Küchenchef das Nasenbein gebrochen hatte. Andi war wie ein verschlossenes Buch. Er hatte ein markantes Gesicht, auf dem immer sein neutraler Ausdruck lag. Igor war ein Saubermann und es dauerte nicht lange, bis er anmerkte „Wie sieht’s denn bei dir schon wieder aus? Räumst du denn nie auf? Was für ein Chaos.“

Tatsächlich waren ein vollgeräumter Tisch und ein Teller mit Besteck in der Abwasch, für mich zwar ein klitzekleiner Makel, der behoben werden sollte, aber noch lang kein Grund für eine derartige Begrüßung.

„Es ist mein Chaos wenn du es so nennen willst, aber erstmal hineinspaziert und hallo. Andi, rauchen wir doch zuerst noch eine und fahren dann los.“

„Hier drin ist die Luft eh schon wie in einer Selchkammer“, bemerkte Igor. „Jaja, die Ex-Raucher und ihre feinen Nasen.“ Andi lachte knapp und kramte eine Zigarette der Marke R.I.P aus einer zerknitterten Packung. „Rauchst du noch immer dieses mit Gift und Aromastoffen versetzte Zeug?“, sagte ich, als ich mir eine Apache anzündete. „Die hier schmecken nach Schokolade, kannst ja dann mal eine probieren“, bot mir Andi an. „Ich“, warf Igor ein, „habe 10 Jahre lang geraucht und wenn man will, ist es ein Klacks aufzuhören.“ „Du hast ja auch nicht mit 12 Jahren angefangen“, entgegnete ich, „außerdem kenne ich vom Hören-Sagen die Behauptung, dass Nikotin Parkinson vorbeugen soll. Was mir bei einem Jahr Haloperidol und weiß der Teufel wie viel noch verbleibenden Jahren Olanzapin ja nur recht sein kann.“

Igor schüttelte den Kopf und seufzte. „Sei froh, dass es heutzutage Medikamente gegen Schizophrenie gibt und sei nicht immer so skeptisch.“ „Jedem das seine“, meinte ich nur. Sollte ich nicht den Versuchstieren dankbar sein? Den sogenannten Ballastexistenzen, die im 20 Jahrhundert in Laboren gräulich verendet sind? Vielmehr dankte ich Gott, dass es mir verhältnismäßig um einiges besser erging. Aber ich hatte heute nicht vor großartig zu debattieren. Menschen sind und bleiben nun mal verschieden. Andi und ich machten die Zigaretten aus. Wir gingen zum Parkplatz ins Freie. Dort stand im Abendlicht Igors VW Käfer. Er hatte ein 1000-Watt-Sound-System samt Subwoofer. Die Leute glotzten uns nach, als wir mit der absurdesten und lautesten Musik von Shostakovich Richtung Supermarkt fuhren. Igor pfiff vergnügt mit, was man jedoch unmöglich hören konnte. Im Laden angekommen, kaufte ich mir zwei Flaschen Apfelmost. „Was anderes trinke ich nicht“, sagte ich. Andi kaufte für sich und Igor eine Flasche Wodka. Dann fuhren wir zu Igors Wohnung am Rande der Stadt. Es war halb sechs als wir ankamen. Die Wohnung lag im siebten Stockwerk. Es gab keinen Lift, also stapften wir die Treppen hoch. Oben angekommen standen wir dann vor der Tür, auf der ein kleines Bild angebracht war. Es zeigte Igor mit seinem Zier-Samurai-Katana in der Hand und darunter stand „Hier wache ich“. Er hielt sich für einen Künstler. Er sperrte die Tür auf und wir betraten seine fein säuberlich aufgeräumte Wohnung. Andi zog eine Zigarette hervor und wollte sie anzünden. „Denk nicht mal dran“, fauchte Igor ihn an. „Man kann in Zeiten wie diesen nicht einmal mehr in Lokalen rauchen und jetzt auch nicht mehr bei Freunden?“ „Geh auf den Balkon.“ „Deine Lunge dankt’s dir, komm Alex.“ Am Balkon konnten wir sehen wie Igor drinnen den Tisch abwischte und drei Gläser, dazu eine Flasche Bitterlemon für den Wodka, herrichtete. Ich griff fest an das Geländer, senkte zaghaft den Kopf und blickte runter. Andi rauchte entspannt. „Schöne Aussicht“, bemerkte er. Ich riss meinen Blick weg vom Abgrund und setzte mich auf einen Stuhl. Andi erriet mich sofort. „Ich verstehe nicht, was für manche Leute daran so schlimm ist, in der Höhe zu sein“, sagte er.

„Es ist nicht wirklich Angst“, meinte ich. „Vielmehr ist es die Betrachtung eines Verbots und es drängt sich die Frage auf, was wohl wäre, wenn …“ „… Wenn du dich hinunterstürztest?“ „Ja.“ „Du würdest Sekunden, die dir vermutlich sehr lang erscheinen würden, fallen, dir ziemlich dumm vorkommen, auf dem Beton wie eine Wasserbombe zerplatzen und vermutlich keine Antwort auf deine Frage erhalten.“ „Wer weiß, wer weiß, lassen wir das.“ Die Sonne neigte sich schon und es war Vollmond. Wir gingen rein und setzten uns zu Igor auf die Couch. Ich füllte mein Glas mit Most, 0,5 Liter versteht sich. Sie tranken ihren Wodka-Bitterlemon. „Auf Igor und seine Tanja!“, johlte Andi feierlich in seiner Vorsauf-Freude „Jaja, Prost, und sauf mir nicht alles weg.“

„Wie lange ist sie denn jetzt schon clean?“

„Zwei Wochen und drei Tage. Sie hat aber erst nächstes Wochenende wieder Zeit, sich zu treffen. Sie ist nämlich seit gestern in Italien mit ihren Eltern und ihrem Bruder.“

„Was arbeitet sie?“, fragte Andi weiter.

„Sie studiert Psychologie, Geld kriegt sie von ihren Eltern, die sind recht wohlhabend.“

„Pah! Psychologie. Eine Erscheinung der verkackten Neuzeit, wenn du mich fragst.“

„Es interessiert sie eben, was ist daran so falsch?“

„Pauschal erstmal gar nichts. Die klinische Psychologie orientiert sich halt hauptsächlich an einer schwanzgesteuerten Koksnase des 20. Jahrhunderts. Und schau dir doch an was für bescheuerte ‚Therapiemethoden’ die haben. Weißt du denn nicht mehr damals? Malen mit Zahlen, Mandalas, dieses hirnrissige Brainstorming mit Tiernamen.“

„Darum geht es im Studium der Psychologie doch kaum bis gar nicht.“

„Ach, was du nicht sagst, und worum geht es denn dann dabei?“

Igor grübelte einen Augenblick.

„Es geht … Es geht darum andere und sich, besser zu verstehen. Sie will ja auch nicht im Irrenhaus arbeiten, sondern Gesprächstherapeutin mit eigener Praxis werden. Sie hat ja gute Voraussetzungen dafür.“

Andi verkniff sich seine Antwort: „Ja, reiche Eltern und einen Dachschaden.“ Er hatte wieder seinen undeutbaren Gesichtsausdruck aufgesetzt und kippte seinen Wodka herunter. Man sagt Österreich sei ein Land glücklicher Alkoholiker. Ich schenkte mir das zweite Glas Most ein. Igor und Andi unterhielten sich über Fußball. Schade, dass ich mich dafür nie begeistert habe. Andi machte mit seinem Wissen über Fußball rund 30 % Gewinn beim Wetten. Aber für ihn war es auch schon ohne Einsatz immer spannend gewesen. Ich trank mein Glas aus, ging auf den Balkon und zündete mir eine weitere Apache an. Auf den Packungen waren seit einem Jahr diese Schockbilder drauf, die das Sammlerherz höher schlagen ließen. Seitdem stand dort auch keine Anmerkung mehr darüber, dass diese Zigaretten Zusatzstoff-frei wären. Was in Zigaretten alles drin ist, steht sowieso nicht auf der Packung. Aber was man nicht weiß, macht einen nicht heiß. Andi kam mit rotem Gesicht raus, und zündete sich solidarisch eine R.I.P an. „Weißt du gar nicht, was du da für ein Gift rauchst?“ „Man soll sein Leben in vollen Zügen genießen.“ „In vollen Zügen ist gottseidank Rauchverbot. Allein schon wie die Dinger aussehen. Schwarz angemalt. Igitt!“ „Jedem das seine“, sagte er, während er an irgendwas anderes dachte. Mein Handy läutete. Es war meine Mutter.

„Hallo Mama, was gibt’s?“ „Hallo Alex! Wollt nur mal hören, wie’s dir geht.“ „Ich bin gerade bei einem Freund zu Besuch, es geht mir einigermaßen gut.“

„Das freut mich zu hören. Freut mich, dass du vernünftige Freunde und endlich wieder eine Arbeit hast und vor allem, dass du deine Medikamente nimmst.“ „Ja.“ „Und wie geht’s dir in der Arbeit?“ „Ganz gut.“ „Isst du denn auch wohl immer gesund? Wer hart arbeitet, muss sich auch gut ernähren.“ „Ja, mach dir da keine Gedanken, ich ernähr’ mich gesund.“ „Und du trinkst auch wohl nicht zu viel mit deinen Freunden?“ „Nein nein … du, Mama, ich will jetzt nicht allzu lang telefonieren. Gibt’s sonst noch irgendwas?“ „Nein wollt nur mal von dir hören.“ „Also dann, tschüs!“

„Alles Gute, tschüs!“

Meine Mutter rief mich selten an, ich sie noch seltener. Je wichtiger mir Menschen waren, desto kürzer hielt ich die Telefonate mit ihnen, warum ist eine psychologische Frage, aber wozu gibt es schließlich Psychologen. Wieder auf Igors Couch schenkte ich mir das dritte und vierte und fünfte Glas ein. „Wird wohl nichts mit den Tabletten heute“, dachte ich. Natürlich hatte ich, ohne es mir einzugestehen, ohnehin den ganzen Tag geplant, dass ich sie heute nicht nehmen würde. Es wurde 20 Uhr und ich schenkte mir das sechste Glas ein. Die warme Heiterkeit hatte sich schon längst in Melancholie gewandelt. Wir saßen schweigend auf der Couch und tranken immer langsamer. „Zeit für etwas passende Musik“, meinte Igor. Und er legte eine Schallplatte in den Plattenspieler. Es war die Mondscheinsonate. Immer noch besser als die schöne neue Weltmusik, die sie immer im Radio spielten. Ich nickte ein. Ich schlief mit einer vom Alkohol und Zigaretten zwar getrübten, aber dennoch authentischeren Frische als sonst.

2.

Sonntagmorgen. Andi und Igor schnarchten vor sich hin. Der Schallplattenspieler war auf Repeat geschaltet und so wachte ich pünktlich zu einem weiteren Beginn der Mondscheinsonate auf.

Draußen regnete es. Ich stand auf, schaltete die Musik ab, ging auf den Balkon und zündete mir eine Zigarette an. Ich blickte noch einmal den Abgrund, der sich vorm Balkon auftat, hinunter, riss meinen Blick weg und setzte mich hin. Freitage waren besser als Sonntage. Ich musste mich an diesem Tag schonen, wollte ich montagmorgens fit sein. Ich war seltsamerweise gar nicht richtig verkatert, aber fühlte mich, wie wohl ein Astronaut sich fühlen musste, wenn er nach einiger Zeit in Schwerelosigkeit wieder auf der Erde war. Ich fühlte mich echter. Wenn auch der Alkohol trügerisch war, so war er immerhin doch noch ehrlicher als die meisten Neuroleptika, welche nur bewirken, dass der Botenstoffwechsel im Körper „reguliert“ wird. Das eigene Leben wird immer dickflüssiger, bis es irgendwann ausgehärtet ist und man den Glückseligen nur noch eine gute Reise durch den Fluss des Lebens wünschen kann, auf dessen Grund man selbst wie ein Stein sinkt und ertrinkt. Ich dachte über den Tod nach und über die Art meiner Bestattung. Hoffentlich würde man mich, wie ich es mir wünschte, im Mariannengraben versenken. Keinesfalls verbrennen oder verscharren. Sondern mich dem weiten, tiefen, reinen Ozean übergeben. Aber vermutlich spielte das dann auch keine Rolle mehr. Tot ist tot. Ich erinnere mich nicht was davor war, wie sollte ich mir vorstellen was danach kommen würde. Ich drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. Als ich wieder reinkam, öffnete Andi die Augen. „Au, mein Kopf.“ „Dein Kopf würd’ mir auch wehtun“, sagte Igor mit noch geschlossenen Augen daliegend. „Und, gut geschlafen, schön geträumt?“, fragte ich. „Ja“, sagte Andi. „Von einer überdimensionalen Super-Mario-Figur, die zu krächzendem Gameboy-Gedudel auf und ab sprang.“ „Da kenn ich schlimmeres“, meinte ich. Igor raffte sich auf und streckte sich. „Uahrg, Morgen miteinander. Ist noch Wodka da?“ „Gerade noch genug gegen die Kopfschmerzen“, sagte Andi und schenkte sich reichlich ein. Mein Apfelmost war aufgebraucht, aber das war auch gut so. Ich hätte mich gerne noch weiter gehen lassen, aber ich beschloss mich auf den Heimweg zu machen. Ich verabschiedete mich. Igor bot mir an, mich nachhause zu fahren, aber ich lehnte ab, nicht zuletzt weil ich Bewegung brauchte. Ich polterte die Treppen runter und eine alte Stimme rief laut: „Ruhe!“. Aber da war ich sowieso fast schon unten. Ich setzte meine Kapuze auf und ging Richtung Bahnhof, hinter dem meine Wohnung auf mich wartete. Für einen Sonntag war auffällig viel Verkehr, vermutlich ist man aus dem ganzen Land hergekommen, um das Konzert irgend so einer neuen Boyband zu besuchen. Wie hießen die noch gleich? Ich sah mich am Weg nach ihren Plakaten um. Aber sah nichts was mir mehr ins Auge stach als eine McRonalds-Werbung mit einem Huhn und der Aufschrift „Bock, Bock, Bock drauf!“. Mir knurrte der Magen und ich legte einen Zahn zu, um mir endlich Zuhause etwas kochen zu können. Die Wolken verdichteten sich und der Regen wurde heftiger, um mich kurz vor meiner Ankunft nochmal richtig zu durchnässen. Ich sperrte die Wohnungstür auf, schloss sie hinter mir und zog mir frisches Gewand an. Ich briet mir Garnelen in Olivenöl und würzte sie mit Knoblauchgranulat. Das Essen schmeckte mir gut und gab mir wieder Energie. Ich fühlte mich lebendig, allzu lebendig. Es war seltsam sein inneres Gesicht wieder zu sehen und mit einem Blick in den Spiegel festzustellen, dass dessen Abglanz nur eine Belanglosigkeit war. Plötzlich spielte das Archiv sorgsam eingeteilter Verhaltensmuster, Sorgen und Kalküle zwischenmenschlicher Belange eine immer geringere Rolle und zum Vorschein kam das, was man gemeinhin als Seele bezeichnet. Das Eis begann langsam zu tauen und floss Richtung Ozean. Die Ketten im Kopf lösten sich. Konnte es wirklich sein, dass ich 2 Jahre lang alles Wesentliche ignoriert hatte? Doch ich hatte keine Wahl, genau so wenig wie ich Macht über die Gesichte und Gesichter, Eindrücke und Erinnerungen hatte, die in langen Warteschlangen vor meinem Kopf auf Einlass warteten. Seelenfragmente, die ich erbarmungslos ausgesperrt und Druck, den ich eingesperrt hatte, gerieten aneinander. Ein Leben lang zu vergessen, nur um kompatibel zu sein und am Ende ein sinnentleertes Leben in einem Pflegeheim? Nein, auf diese Art nicht. Ich nahm die Nagelfeile, die mir meine Mutter geschenkt hatte und die bisher nur nutzlos herumgelegen war und feilte an einer meiner Tabletten ein Stück weg. Dann nahm ich ein Lineal. Genau ein Millimeter weniger. Würde man sie so schnell absetzen, wie die Ärzte es in nicht seltenen Fällen taten, würden einem starke Halluzinationen und Dyskinesien nicht erspart bleiben. Deswegen war ich vorsichtig. Denn es würde heißen, dass man mich vor mir selbst schützen müsste und mir wäre nicht anders zu helfen, als mich wegzusperren. Sie hatten schon immer die Falschen als minderwertig bezeichnet, sie von der Gesellschaft abgesondert oder sogar kastriert, in der Hoffnung ihr makelloses Volk zu züchten. Für sie war ich nur ein nutzloser Esser. Doch diesmal würden sie mich nicht kriegen. Ein Millimeter weniger pro Monat und es musste einfach funktionieren. Aber eins nach dem anderen, mit zu viel Träumerei fing bei mir immer jedes so tückische Pathos an, mit dem ich meinem Psychiater besser nicht vor die Augen träte. Am Mittwoch musste ich wieder zu ihm. Er erkundigte sich immer genauestens nach meinem Zustand. Wenn auch nur sehr kurz, denn obwohl es in meiner Stadt mehr Psychiater als Zahnärzte gab, war seine Praxis immer pump voll. Kein Wunder bei einem Umfeld, das sich nicht um Raum und Zeit, Tag und Nacht, Anfang und Ende scherte. Kompromisse eingehen, hieß nicht selten die These zu sein, die durch die Antithese zu etwas Synthetischem wird. Ja, wer konnte schon ahnen, in welche Richtung die ganze synthetische Welt steuerte. Alles voller Plastik und anderen auf Erdöl basierenden Stoffen. Es war ein Kompromiss, dass ich seit Jahren Olanzapin nahm. Man probierte schon alles Mögliche an mir aus, als wäre ich ein lebendes Reagenzglas. Levomepromazin, Haloperidol und anderes Zeug. Doch das Schlimmste war Amilsulprid. Ich erinnere mich noch, als ich bei meiner ersten Einweisung Amilsulprid bekam. 2 Monate schlief ich nicht mal 20 % der Nacht oder konnte zumindest nicht empfinden zu schlafen. Es ging mir so elend, wie noch nie zuvor, doch vor lauter Benzodiazepinen grinste ich ununterbrochen, was offensichtlich einen guten Eindruck machte. Ich wurde entlassen und setzte schlagartig wieder alles ab, was zu sehr real erscheinenden Halluzinationen führte. So ging es noch einige Jahre weiter. Einweisung, Entlassung, Psychose und das fünfmal. Und die Jahre vergingen. Als ich mich schließlich damit abfand, war ich auch „krankheitseinsichtig“. Ob ich je vor meiner ersten „Behandlung“ wirklich krank war, daran konnte ich mich nicht erinnern. Um mir meine Seele wieder zu holen, brauchte ich Geduld. Morgen in der Arbeit würde ich auf andere Gedanken kommen. Ich legte mich hin und wartete bis 20 Uhr, nahm meine Tabletten und wurde müde, todmüde. Des Todes müde.

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