Kitabı oku: «Die Katholische Grundschule NRW Öffentliche Grundschule im konfessionellen Gewand», sayfa 4

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2.2Der Klerus zur Schulfrage der Weimarer Republik

Die beschriebenen Schwierigkeiten um eine Schulgesetzgebung in Reich und Land und die langwierigen Verhandlungen in den politischen Auseinandersetzungen um die konfessionelle Ausrichtung der Grundschule als Teil der Volksschule machten in der gesamten Weimarer Zeit dem deutschen Episkopat zu schaffen. Sie führten zu starker Beunruhigung und zu Misstrauen gegenüber dem Staat78 und zur Sorge um den Erhalt der Bekenntnisschule. So äußerte sich schließlich Pius XI. in der Enzyklika „Die christliche Erziehung der Jugend“ im Jahr 1929 zur Schulfrage. Auch der deutsche Episkopat ging in verschiedenen „Hirtenbriefen“79 sowie in einer gemeinsamen „Denkschrift“ der Frage einer konfessionellen Ausrichtung der Volksschule nach.

Auf welchem kulturhistorischen und soziologischen Selbstverständnis und Hintergrund sind diese im Folgenden exemplarisch näher zu untersuchenden Texte zu lesen?

Michael Klöcker80 legt dar, dass die Vorstellung und Idee einer Katholischen Schule als ein „geschlossenes Bildungsgehäuse“ prägend war für weite Teile des deutschen Katholizismus und insbesondere des Episkopats. Diese Vorstellung entsprang, soziologisch betrachtet, der Idee einer katholischen Gesellschaft innerhalb einer nichtkatholischen Umwelt; eines „katholischen Milieus“ also, dessen Besonderheit in der Geschlossenheit und Abgeschlossenheit lag, innerhalb einer „Außenwelt“, die als Bedrohung wahrgenommen wurde.81 Niederschlag und Sicherung fand dieses „katholische Milieu“ in einem katholischen Werte- und Normensystem, welches sich zwar nicht in einem einheitlichen Sozialmilieu realisierte, wohl aber im Rahmen einer gemeinsamen, verbindenden norm- und wertegebundenen, spezifischen Fest- und Feiertagskultur (in schichtspezifisch unterschiedlich konkreter Ausgestaltung und Ausprägung)82 – flankiert von einem zunehmenden binnenkirchlichen Bestreben um Vereinheitlichung.83 Für das „geschlossene Bildungsgehäuse“ der Katholischen Bekenntnisschule können im Rahmen des „katholischen Milieus“ folgende konkrete, typische Merkmale einer katholischen Erziehung und Bildung84 benannt werden:

•die Einteilung der Welt in „Gut und Böse“,

•das Auswendiglernen nach dem Prinzip „klare Frage – klare Antwort“ (Katechismuswissen),

•eine Lohn-Strafe-Pädagogik (Hölle = Pein und Himmel = Seligkeit),

•das Einüben in Gehorsam, Disziplin und Genügsamkeit,

•klare Hierarchisierung: „Gottvater – Heiliger Vater – Landesvater – Beichtvater – Familienvater“85,

•die Frau als mütterlich fürsorgendes, vielgebärendes Herz der Familie,

•Heilige („himmlische Helfer“) als Vorbilder normgerechten Verhaltens,

•Jesus als der „gehorsame Musterknabe“.

Klöcker skizziert damit Merkmale katholischer Bildung und Erziehung, die sich vorrangig in den ländlichen Gebieten, aber auch in den Großstädten vor dem Hintergrund zunehmender, Unsicherheit hervorrufender ökonomischer Veränderungen in der Gesellschaft als attraktiv erweisen sollten: Sicherheit und Klarheit in den Aussagen, Ausrichtung auf das Jenseits und Geborgenheit im Milieu erwiesen sich für einige Bevölkerungsteile als ausgesprochen anziehend.

Es ist dieser Hintergrund katholischer Milieubeschreibung, vor dem es nun reizvoll erscheint, nach einem möglichen historischen Proprium Katholischer Bekenntnisgrundschulen zu fragen.

Drei Schreiben werden nachfolgend daraufhin – in chronologischer Reihung – exemplarisch befragt und untersucht:

•die Denkschrift der katholischen Bischöfe von 1920,

•die Hirtenworte der deutschen Bischöfe zur Schulfrage aus den Jahren 1919 und 1920 sowie

•die Enzyklika von Papst Pius XI.: Divini illius magistri – Über die christliche Erziehung.

Verzichtet werden kann an dieser Stelle auf eine Untersuchung der Stellungnahmen katholischer Verbände und Initiativen, wie sie zum Beispiel seitens der „Katholischen Schulorganisation“ vorliegen, die 1911 vom preußischen Zentrumsabgeordneten Marx gegründet wurde und deren Ziel es u. a. war, das Elternrecht auf katholische Erziehung zu stärken. Da diese Organisationen zwar über großen, auch politischen Einfluss86 verfügten, ihre Schriften allerdings keine Verbindlichkeit erreichten, kann an dieser Stelle auf eine eingehende Aufarbeitung verzichtet werden.

2.2.1Denkschrift der katholischen Bischöfe von 1920 87

Im November 1920 wandten sich die katholischen Bischöfe mit Bezug auf das diskutierte und geforderte Reichsschulgesetz in einem als „Denkschrift“ bezeichneten Schreiben über den Reichskanzler an die Reichsregierung und den Reichstag. Die „Denkschrift“ hebt auf eine naturrechtlich legitimierte, moralische Verpflichtung katholischer Eltern zur religiösen Erziehung ihrer Kinder als „heilige Pflicht“ ab. Unveräußerliche Pflicht der Kirche (im Sinne einer ihr eigens übertragenen göttlichen Pflicht) sei es, zum einen die Eltern in dieser ihrer Pflicht anzuleiten und zum anderen auch selbst Kinder durch Bildungs- und Erziehungsmaßnahmen „zu guten Christen“ heranzubilden. Dem Staat, so stellen die Bischöfe unmissverständlich fest, sei es nicht erlaubt, Eltern und Kirche in der Ausübung dieser Pflichten und Rechte zu behindern.

Das Schreiben endet mit zwölf Forderungen, die an dieser Stelle zunächst zusammengefasst werden, um die gesamte Schrift nachfolgend auf ihre Substanz hin zu untersuchen.

•Die Katholische Volksschule als gleichberechtigte Schule gegenüber der „Simultanschule“ ist für katholische Schüler auch dann einzurichten, wenn aufgrund regionaler Bevölkerungszusammensetzung Katholiken die Minderheit darstellen. In diesem Fall ist ein geordneter Schulbetrieb auch dann als solcher anzuerkennen, wenn dadurch einklassige Konfessionsschulen entstehen. Bestehende Konfessionsschulen sind in ihrem Bestand zu sichern.

•Der Katholische Religionsunterricht ist an „Minderheitenschulen“ dann einzurichten, wenn mindestens zehn katholische Kinder diese Schule besuchen.

•An Katholischen Konfessionsschulen verantworten gläubige, katholische Lehrer den Unterricht. Zu deren Ausbildung erhält die Kirche das Recht einer konfessionellen Lehrerausbildung unter „wohlwollender“ finanzieller Unterstützung der öffentlichen Hand, damit eine ausreichende Anzahl an konfessionell ausgebildeten Lehrern zur Verfügung steht. Die Entscheidung über die Eignung zur Erteilung des Religionsunterrichts und die Überwachung der „Erziehung im katholischen Geiste“ obliegen der Kirche bzw. zumindest im Sinne einer Mitwirkung. Eltern und Kirche verfügen über ein „Beschwerderecht“.

•Die Schulbücher sind auf ihre „Konfessionsverträglichkeit“ hin zu überprüfen.

•Es sind Zeiten und Räume einzurichten, die die Ausübung religiöser Praxis erlauben.

Die „Denkschrift“ umschreibt aus der Sicht der Katholischen Kirche das Idealbild einer kirchlichen Schule, einer Schule, die durchzogen ist von kirchlicher Lehre und Praxis, die sich in starken religiösen Überzeugungen, Grundsätzen und Übungen ausdrückt. Es entsteht das Leitbild einer „Glaubensschule“, deren Ziel eine kindliche Charakterbildung durch die Vermittlung der kirchlichen „Gnadengaben“ ist. Der Religionsunterricht bildet in diesem Kontext die Mitte allen unterrichtlichen Geschehens; er durchzieht die gesamte unterrichtliche Gestaltung. Zugespitzt könnte man formulieren: Jeder Unterricht ist immer auch Religionsunterricht, denn Unterricht verfolgt das Ziel eines „Einübens in den Glauben“.

Aus dieser Zielsetzung ergibt sich zwangsläufig die Notwendigkeit einer kirchlich verantworteten und gestalteten Lehrerbildung.88 Der Lehrer ist gegenüber dem Kind Zeuge und Sämann des Glaubens, indem er über Gott, die Lehre der Kirche und die religiösen und sittlich-moralischen Pflichten spricht. „Dadurch kommt erquickende Wärme in das Erziehungswerk hinein, so daß sich die Seele des Kindes zu freudigem Aufhorchen und frohgemutem Folgen erschließt.“89

In Kapitel 4 der Denkschrift begründen die Bischöfe die Notwendigkeit einer konfessionellen Ausrichtung der Schule mit den (aus ihrer Sicht zu bedauernden) starken Unterschieden in der religiösen Lehre und Praxis. Zeithistorisch bemerkenswert sind der Hinweis und die Aufforderung zu einer Erziehung zu religiöser Toleranz, die ein Einüben in die Achtung vor dem anderen und die Liebe zum Nächsten gebiete. Zu religiöser Toleranz ist derjenige am ehesten fähig, so die Bischöfe, der eingeübt ist in sein eigenes Bekenntnis, der erfahren hat, wovon zu sprechen ist, der in Achtung vor dem anderen einen eigenen Standpunkt vertreten kann. Allerdings: Vor dem Hintergrund des in der Denkschrift eingeforderten „Rechts der Eltern auf Beschwerde“ wirken diese Ausführungen im vorliegenden Dokument wenig stringent: „Lehrkräfte an katholischen Schulen, welche die Erteilung des Religionsunterrichtes aus grundsätzlicher Gegnerschaft gegen die katholische Religion ablehnen oder während des Unterrichtes oder in der Öffentlichkeit durch Äußerungen oder Handlungen eine unkatholische Gesinnung bekunden, sind auf Beschwerde der Kirche oder der Erziehungsberechtigten von konfessionellen Schulen zu entfernen.“90 Hier spiegelt sich deutlich die von Misstrauen durchzogene Haltung gegenüber Menschen anderer Überzeugungen wider.

Was bleibt? Die Denkschrift von 1920 ist ein zeithistorisches Dokument, ein Spiegelbild des theologischen und gesellschaftlichen Selbstverständnisses der Katholischen Kirche dieser Zeit. Sie versucht, aus den Verhältnisbestimmungen von Kind, Eltern, Lehrer, Staat, Kirche im Feld von Schule die Forderung nach einer konfessionellen Beschulung der katholischen Kinder abzuleiten. Die vorgetragenen theologischen und kirchenpolitischen Argumentationslinien haben sich mit den Texten des II. Vatikanischen Konzils überholt, wie noch zu zeigen sein wird. Die beschriebenen Seins- und Verhältnisbestimmungen zwischen Staat, Kirche und Gesellschaft tragen heute andere Bedeutung.91 Hinübertragen in die Problematik dieser Arbeit lassen sich jedoch Fragen, die die Denkschrift aufwirft und die für eine Katholische Grundschule des 21. Jahrhunderts neu Beantwortung finden müssen. Es sind dies die Fragen

•nach der Bedeutung „religiöser Erziehung“ in Orthodoxie und Orthopraxie für unser Zusammenleben in Staat und Gesellschaft,

•nach dem Verhältnis von Schule und Kind (so beginnt die Denkschrift) und einer subjektbetonten Erziehung,

•nach der Bedeutung einer gemeinsam verantworteten, wertegebundenen Erziehung in Schule und Elternhaus als Voraussetzung für gesellschaftliches Zusammenleben und

•nach einer „Einübung“ in eine religiöse Praxis im Sinne einer Performation von Religion, ohne die ein wirkliches Verständnis derselben kaum möglich ist.

2.2.2Hirtenworte der deutschen Bischöfe zur Schulfrage

In den Jahren 1919 und 1920 und auch in den Folgejahren setzten sich deutsche Bischöfe in ihren Fastenhirtenbriefen mit Fragen einer christlichen Erziehung der Kinder und Jugendlichen auseinander. Sie brachten darin ihre Sorge und Angst um eine schwindende Einflussnahme auf die schulische Erziehung zum Ausdruck und ermunterten die katholischen Eltern zum Widerstand gegen die als antikirchlich empfundenen staatlichen Bestrebungen. Diese Hirtenbriefe sind Zeugnisse einer Kirche, die sich als bedrohte „Kontrastgesellschaft“ perzipiert und die um ihren gesellschaftlichen Einfluss fürchtet. Sie spiegeln und prägen das Bild eines separierenden Katholizismus, der am Ideal einer „Katholischen Schule mit katholischen Lehrern für katholische Kinder“ festhält. Die Untersuchung und Rekonstruktion dieser historischen Zeugnisse wird eine (Kontrast-)Folie bilden, auf deren Grundlage das Konzept einer zu entwickelnden KGS des 21. Jahrhunderts entstehen kann. Konsequent ist also auf dieser Spur zu fragen: Was war kirchliche Hintergrundmusik, und was waren die historischen Absichten in der Auseinandersetzung um eine auf Konfessionalität ausgerichtete Grundschule?

Exemplarisch sei an dieser Stelle der Hirtenbrief des Bischofs von Paderborn, Dr. Karl Joseph Schulte, aus dem Jahr 1919 aufgegriffen. Dieses Rundschreiben, das zu Beginn der Fastenzeit in allen Kirchen des Bistums verlesen wurde, stellt in Inhalt und Duktus ein prägnantes, vorkonziliares Schriftstück dar. Es ist Ausdruck starker Besorgnis und massiver Ängste um eine schwindende kirchliche Einflussnahme und Autorität: „Wenn nicht bald Unglaube, Leidenschaft und Leichtsinn von ihrem Zerstörungswerk ablassen, muss man dann nicht fürchten, daß die letzten Dinge noch viel ärger werden als die ersten?“92 Sieht man einmal von der doch recht emotionalen Konnotation dieser Einlassung ab, wie sie sicher auch dem Predigtstil der Zeit geschuldet ist, stellt sich hier dennoch die Frage, ob – jenseits der Sorge um mögliche Kontrollverluste über die Erziehung der Kinder – in diesem Schreiben Hinweise aufzuspüren sind, die eine substanzielle und materielle Antwort auf mögliche Propria einer Katholischen Grundschule gegenüber einer Gemeinschafts- bzw. Simultanschule aus Sicht der Diözesankirche aufscheinen lassen. Lässt sich vielleicht aus den kirchlicherseits so gefürchteten regressiven Akten des Staates auf die gewünschte bzw. bestehende Substanz einer Katholischen Grundschule schließen? Welchen „Mangel“ rufen eine schwindende katholische Bildung und Erziehung hervor? Welche Reaktionsmuster zeigt die sich als bedroht empfindende Kirche, „das kleine Schifflein Kirche in den Stürmen der Zeit“?

Es lassen sich textbezogen fünf zentrale Aspekte und Merkmal benennen:

1.Verlust einer schulischen Gebets- und Gottesdienstkultur: „Ihr kennt genau die Absichten der Gegner, die euch im Namen der Gewissensfreiheit zwingen wollen, eure Kinder ihnen auszuliefern und sie in Schulen ohne Gebet und Gottesdienst, ohne Religion und ohne allen religiösen Geist unterrichten und erziehen zu lassen.“93

2.Verlust einer Anleitung zum Glauben: „Für Gott und für die Ewigkeit erziehen […] die Anleitung zum heiligen Glauben und Leben.“94

3.Verlust an moralisch-sittlicher Erziehung des Kindes: Der katholische Lehrer „weiß auch, […] wie nur dadurch, daß man Christen erzieht, auch gute Menschen erzogen werden.“95

4.Verlust der Deutungshoheit über eine Anthropologie des Kindes: „Setzet denen, die das Kind nicht mehr als Kind Gottes und Gott nicht mehr als Erzieher der Menschen anerkennen und darum die Verweltlichung aller Schulen wollen, unbeugsam euren eigenen Elternwillen entgegen.“96

5.Verlust der Möglichkeit einer katechetischen Unterweisung der Kinder: Die Kirche „bereitet das jugendliche Herz für den würdigen und wirksamen Empfang der heiligen Sakramente und bricht vor allem den Kindern das geheimnisvolle Brot des Lebens in der heiligen Kommunion.“97

Bischof Schulte betont in seinem Hirtenbrief die vorrangige und elementare Aufgabe der Eltern, ihre Kinder im Glauben zu erziehen und ihnen durch ihr eigenes Lebensbeispiel zum Vorbild zu werden. In dieser Aufgabe hat die Schule als staatliche Einrichtung die Eltern zu unterstützen: „Die Schule muß bei eurer Arbeit helfen! Auf ihre Hilfe habt ihr Recht und Anspruch.“98 Insofern das elterliche Recht auf Erziehung als natürliches Recht über dem staatlichen Recht angesiedelt ist, besteht ein Anspruch auf Fortsetzung und Unterstützung der religiösen Erziehung im Elternhaus durch die Kirche innerhalb der Schule. Die staatlich verordnete Schulpflicht des Kindes und die Pflicht katholischer Eltern, ihre Kinder in Bekenntnistreue zu erziehen, verlangen nach einer Gewährleistungspflicht des Staates. „Ihr konntet der Schule ruhig eure Kinder anvertrauen; in der religiösen Erziehung bestand zwischen der Schule und eurer Familie eine segensvolle Harmonie.“99 Als Garant für diese enge Bindung steht die katholische Lehrerschaft.

Eine Katholische Bekenntnisschule gründet demnach auf dem natürlichen Recht und der religiösen Pflicht der Eltern, ihre Kinder katholisch zu erziehen. Dabei darf die Elternschaft auf die Unterstützung der Kirche bauen und vertrauen. Die Kirche wiederum realisiert ihre Unterstützung im Raum der Schule über eine kirchlich gebundene, katholische Lehrerschaft, die die Kinder in eine Gebets- und Gottesdienstkultur einführt, sie zum Glauben an Jesus Christus anleitet und katechetisch unterweist und die in ihrer eigenen Lebensführung und in ihrer Erziehung Orientierung nimmt an einer katholischen Tugend- und Sittenlehre.

2.2.3Papst Pius XI.: Divini illius magistri

Am 31.12.1929 brachte Papst Pius XI. in der Enzyklika „Divini illius magistri – Rundschreiben über die christliche Erziehung der Jugend“100 seine Vorstellungen von einer katholischen schulischen Erziehung im Kontext der Trias Staat – Kirche – Eltern im Rahmen eines theologischen Lehrschreibens zum Ausdruck. Diese Enzyklika gilt als erste systematische und zusammenhängende Abhandlung über die Grundsätze einer katholischen Erziehung.101

„Divini illius magistri“ ist eine lehrhaft angelegte Schrift, die ihren argumentativen Ausgang in der Feststellung einer „allgemeinen Zeitlage“ nimmt und ihre Kausalität im kirchlichen Selbstverständnis einer Gesellschaft vollkommener, übernatürlicher Ordnung102 findet: Insofern die Familie, so die Argumentation, als Gesellschaft natürlicher Ordnung eine zum Zweck der Zeugung und Erziehung der Nachkommen unmittelbar von Gott geschaffene Einrichtung ist, nimmt sie gegenüber dem Staat, der ebenfalls natürlicher Ordnung ist, eine natürliche und damit auch rechtliche Vorrangstellung ein. „Zunächst steht die Erziehung in ganz überragendem Sinne der Kirche zu auf Grund zweier Rechtsansprüche übernatürlicher Ordnung.“103 Aus diesem Selbstverständnis heraus ergeben sich Recht und Pflicht der Kirche zur schulischen Erziehung. So ist es Aufgabe der Kirche, dort ein Einvernehmen mit dem Staat herzustellen, wo es in dieser Hinsicht Schwierigkeiten gibt.104 Die Kirche hat somit einen zweifach vorrangigen Auftrag gegenüber dem Staat. Sie nimmt eine inhaltliche und eine institutionelle Vorrangstellung ein. Zwar ist die Erziehung Aufgabe „aller drei Gesellschaften“105, also von Staat, Eltern und Kirche. Der Kirche aber steht diese aufgrund des göttlichen Auftrags ganz besonders und vorrangig und absolut zu. Im Sinne der Enzyklika kann mit Blick auf die Fragestellung, wem das Recht auf Erziehung zusteht, also folgende „institutionelle Rangfolge“ aufgestellt werden: zunächst der Kirche als Gesellschaft übernatürlicher Ordnung, qua göttlichen Auftrags als Vermittlerin der göttlichen Heilsmittel (Sakramente und Gebote), dann dem Elternhaus als von Gott geschaffener Gesellschaft und schließlich dem Staat in subsidiärer Funktion106 gegenüber dem elterlichen Recht auf Erziehung.

In der Frage also, welchen Charakter die Institution Schule im Spannungsfeld Kirche – Eltern – Staat einnimmt, ist „Divini illius magistri“ folglich eindeutig: Die Schule ist ihrem Wesen nach eine subsidiäre Einrichtung, die den natürlich begründeten erzieherischen Auftrag der Eltern ergänzt. Der Staat handelt in subsidiärer Funktion gegenüber diesem elterlichen Recht. Insofern leistet die Kirche auch einen Beitrag zur Stabilisierung des Staates bzw. des staatlichen Auftrags, denn Inhalt und Absicht katholischer Erziehung gehen konform mit dem Ziel eines guten Staatsbürgers. Die Kirche bietet dem Staat durch die Erziehung der Kinder und Jugendlichen ein Wertekorsett an, das ihm Orientierung und Richtung gibt. „Sie wollen ihre Kinder damit nicht etwa vom Körper und Geist des Volkes lostrennen, sondern sie auf die vollkommenste und dem Wohl der Nation dienlichste Art dafür erziehen. Denn der gute Katholik ist gerade kraft der katholischen Glaubenslehre auch der beste Staatsbürger.“107 Hier entdeckt man eine legitimierende Beweisführung, die nach 1945 noch einmal aktuell wurde.

Für unsere Fragestellung lässt sich nun resümieren und nochmals zuspitzen:

Papst Pius XI. nimmt ein vorrangiges kirchliches „Recht auf Erziehung“ in Anspruch, das er aus der „natürlichen Ordnung“ ableitet. Aus diesem auf naturrechtlicher Apologetik gründenden Kausalzusammenhang leitet er einen kirchlichen Aufsichtsanspruch über das erzieherisch und bildend tätige Lehrpersonal und die sächlichen Mittel (Schulbücher) ab, der sich aus dem Selbstverständnis einer Kirche als „Besitzerin und Hüterin der Wahrheit“ ergibt. Eben weil Wahrheit nur in der Katholischen Kirche zu finden ist und letztgültiges Ziel aller Erziehung und Bildung darstellt, kann nur die Kirche den Wächterdienst über die richtige Erziehung ausüben: „Da die Erziehung ihrem Wesen nach in der Bildung des Menschen besteht, wie er sein und im Diesseits seine Lebensführung gestalten soll, um das erhabene Ziel zu erreichen, für das er geschaffen ist, so ist es klar, daß es keine wahre Erziehung geben kann, die nicht ganz auf das letzte Ziel ausgerichtet ist, und daß es darum in der gegenwärtigen Ordnung der Vorsehung, nachdem Gott sich uns in seinem eingeborenen Sohne geoffenbart hat, der allein ‚der Weg, die Wahrheit und das Leben‘ ist, keine angemessene und vollkommene Erziehung außer der christlichen geben kann.“108 In seinen Ausführungen leitet Pius XI. aus dem Sendungsauftrag Jesu an seine Jünger den Sendungsauftrag der Kirche sowie aus dem Seinsverständnis einer „Kirche als Braut Christi“ im Sinne einer geistigen Mutterschaft über alle Geschöpfe ein kirchliches Alleinstellungsmerkmal in Fragen der Erziehung des Menschen ab.109 „Daraus folgt mit Notwendigkeit, daß die Kirche wie im Ursprung so auch in der Ausübung ihrer Erziehungsmission unabhängig ist von jeder irdischen Macht nicht allein hinsichtlich ihres eigentlichen Gegenstandes, sondern auch hinsichtlich der notwendigen und angemessenen Mittel zu deren Erreichung. Hinsichtlich jeder weiteren Erziehung und menschlichen Schulung, die in sich betrachtet Erbgut aller, der Einzelnen wie der Gesellschaft sind, hat darum die Kirche das unabhängige Recht, von ihnen Gebrauch zu machen und besonders darüber zu urteilen, inwieweit sie der christlichen Erziehung nützlich oder schädlich sind.“110

Die in „Divini illius magistri“ benannten inhaltlichen Ansprüche an eine katholische Erziehung folgert der Papst aus Schrift und Tradition: Der gefallene, d. h. erbsündige Mensch neigt aufgrund seiner natürlichen Verfasstheit zur Schwäche des Willens und zu Triebhaftigkeit. Hieraus resultiert der erzieherische Auftrag der Kirche, nämlich durch Lehre und Sakramente das Ungeordnete im Kind zu verbessern und es durch Schulung des Verstandes und Festigung des Willens zur sittlichen Reifung zu führen.111 Diese Überzeugung verknüpft Pius XI. mit einer Reihe von Abweisungen verbreiteter Ansichten und Überzeugungen:

Ablehnung einer als „pädagogischer Naturalismus“ bezeichneten Auffassung, die das Kind als autonomes Wesen unbegrenzter Freiheit definiert und aus der ein erzieherischer Primat des Kindes unabhängig vom göttlichen Gesetz abgeleitet wird;

Ablehnung von Despotismus und Gewaltanwendung in der Erziehung;

Ablehnung von Erziehungskonzepten, die nicht auf der Basis von Dekalog, Evangelium und Naturgesetz – als dem Menschen genuine, eingepflanzte Fähigkeit, das göttliche Gesetz mit dem Verstand ergründen zu können – gründen;

Ablehnung von Konzepten, die eine Befreiung des Kindes von religiöser Bevormundung anstreben;

Ablehnung von Konzepten einer verfrühten sexuellen Aufklärung als Folge der Missbilligung des christlichen Menschenbildes, das um dessen angeborene Tendenz zu einer Schwäche des Willens weiß, denn „solange noch das Kindesalter andauert, wird es genügen, die Heilmittel anzuwenden, welche die Doppelwirkung haben, der Tugend der Keuschheit den Weg zu bereiten und dem Laster die Tore zu verschließen“112.

Ablehnung der Koedukation, die sich aus der Schöpfungsordnung ergibt, die eine Abstufung der Geschlechter in Familie und Gesellschaft vorsehe. Christkatholische Erziehung habe eine Trennung nach Alter und Umstand vorzunehmen. Konkret benannt werden die „gefährlichen Entwicklungs- und Reifejahre“, die Sportstunden sowie eine Rücksicht auf das „christliche Schicklichkeitsgefühl“ der Mädchen.

Ablehnung von Widersprüchen zwischen den Inhalten des Religionsunterrichts und andere Fächer, auch in der Auswahl der Lektüre.113

Zur Frage, an wen sich die formulierten Erziehungsansprüche und Erziehungsgrundsätze wenden, finden sich in der Literatur unterschiedliche Auffassungen. Wer sind die „christifideles“, an die sich die Enzyklika richtet? Dabei interessiert uns weniger die Klärung der Frage, für wen ihre Aussagen normative Gültigkeit besitzen.114 Was hier vielmehr interessiert, ist die Klärung der Frage nach möglichen Propria einer KGS aus der Historie heraus, also in Auswertung der vorliegenden Enzyklika. Sicherlich ist inhaltlich insgesamt kritisch festzuhalten, dass die von Pius XI. formulierten Grundsätze einer christlichen Erziehung wenig substanziell und vielfach von einer negativen Weltsicht geprägt sind. Auch spiegelt die Enzyklika ein stark objektbetonendes Bild vom Kind wider, so dass das Kind als eigenständiges Wesen nur wenig Beachtung findet.

Dennoch: Die Enzyklika enthält sehr wohl erste Ansätze eines subjektiven Rechts des Kindes auf Bildung und Erziehung, wie zum Beispiel nachfolgendes Zitat zeigt: „Aus den angeführten Grundsätzen erhellt gleichfalls klar und deutlich die, man kann wohl sagen unübertreffliche Vorzüglichkeit des christlichen Erziehungswerkes, das letzten Endes dahin zielt, den Seelen der zu Erziehenden das höchste Gute, nämlich Gott […] zu sichern.“115

Bleibt man in der Wahrnehmung und Rezeption dieses heute fremd anmutenden Textes hartnäckig und fragt weiter, ob sich Bemerkenswertes finden lässt, das zum Nachdenken und zur Profilierung heutiger Katholischer Bekenntnisschulen herausfordert: Ohne in dieser Ausrichtung einem universalen Anspruch katholischer Auffassungen oder restaurativen Tendenzen und Neigungen das Wort zu reden und einmal abgesehen vom lehrhaften Duktus, von den zahlreichen Negativformulierungen im Text und der aus heutiger Sicht problematischen theologischen Argumentation, lassen sich in „Divini illius magistri“ nämlich tatsächlich einige interessante Reflexionsimpulse einer christlichen Erziehung freilegen, die in der aktuellen pädagogischen Diskussion ihren Platz haben. Befragt man also nochmals die oben genannten Punkte, ob sie für heutige Katholische Grundschulen und die Frage nach einer „Erziehung und Bildung im Geiste des Bekenntnisses“ den Charakter eines Reflexionsangebots haben könnten, denn sie berühren durchaus auch moderne Fragestellungen: Dazu gehören zum Beispiel die Aspekte einer genderorientierten Erziehung, der Gewalt in der Erziehung, einer altersangemessenen Sexualerziehung angesichts der Gefahr subjektiver Überforderung von Kindern, Fragen nach einem „Recht des Kindes auf Religion“. Die Beantwortung all dieser Fragen könnte zur Profilbildung Katholischer Grundschulen beitragen.

Die kritische Einlassung von Schmitz-Stuhlträger, die in „Divini illius magistri“ formulierten erzieherischen Absichten seien rein auf das „Seelenheil“ und das „Jenseits“ ausgerichtet, so dass das Leben im „Diesseits“ keinen Eigenstand mehr besitze, findet zweifelsfrei ihre Berechtigung: Die Erlangung des „Seelenheils“ als Verheißung auf ewiges Leben und zum „Schutz vor den Qualen des Fegefeuers“ durch konsequente Befolgung der kirchlichen Gebote, Regelmäßigkeit in den Frömmigkeitsübungen und Teilhabe an den Sakramenten der Kirche als Ziel christlicher Erziehung sind theologisch kritisch zu hinterfragen. Ob allerdings eine reine „Diesseitsorientierung“ als Grundlage erzieherischen Handelns die entsprechende Alternative bildet, ist einer zeitkritischen Anfrage wert.

Schließlich sei ein letzter Aspekt an dieser Stelle hervorgehoben, weil er zeithistorisch bemerkenswert ist: Grundsätzlich unterscheidet die Enzyklika zwischen den Gläubigen und den Ungläubigen.116 Insofern, hier folge ich Schmitz-Stuhlträger117, die Enzyklika von einer erzieherischen Sendung spricht, nimmt sie – gegenüber den Ungläubigen – den Charakter eines Angebots an.

Zugegeben: Der Blick auf die Enzyklika „Divini illius magistri“ hat für die Suche nach transformationsfähigen Propria kaum wesentliche Aspekte hervorbringen können. Er war aber dennoch unumgänglich, weil in diesem Text der in den unmittelbaren Nachkriegsjahren aufblühende kirchliche Anspruch auf ein „Recht zur Erziehung“ wurzelt. Dies unterstreicht auch Klöcker: „Der Rekurs auf den in der Erziehungsenzyklika von 1929 reklamierten ‚kirchlichen Totalitätsanspruch‘ […] als erster Erziehungsträger im Rahmen hierarchisch gestufter Ordnung und Wahrheitsverkündigung wird in den 1950er Jahren nochmals verstärkt.“118 Neben den wegweisenden Erkenntnisgewinnen muss demnach kritisch die Frage gestellt werden, ob und inwiefern – auch nachkonziliar – die Idee eines geschlossenen katholischen Milieus (katholische Lehrer, katholische Eltern, katholische Schule), wie es in „Divini illius magistri“ intendiert, vorausgesetzt und beschrieben wird, ein – weil nicht ins Bewusstsein gehobenes – unhinterfragtes Leitmotiv der KGS geblieben ist.

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